Mittwoch, 14. Oktober 2009

Geht nicht gibt's nicht.

ascolta Ensemble plays Zappa @Hellerau

Es gibt kaum eine zweite Musikgestalt im 20. Jahrhundert, die ausgehend vom Rock und von der Jazzmusik ein dermaßen kreatives und diffuses Output über Jahrzehnte schuf wie Frank Zappa. Zappa experimentierte in seinem Spätwerk mit Orchester- und Ensemblefarben und komponierte viele nicht mehr aufgeführte Stücke im Studio. Bereits 1984 war Zappa mit Pierre Boulez für das Album "The Perfect Stranger" in Neue-Musik-Gefilde eingetaucht und komponierte in der Folge vor allem auf dem Synclavier, einem umfangreichen Musikproduktionssystem, das es Zappa ermöglichte, komplizierteste Strukturen und Klangkombinationen zu erfinden. Kurz vor Zappas Tod 1993 gab es eine Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern und daraus resultierend das letzte Album "The Yellow Shark".

Dass nun das renommierte Ensemble ascolta sich um die Musik Zappas bemüht, liegt nicht an einem erneuten Interpretationsansatz, sondern beruht auf der Tatsache, dass in Los Angeles weiterhin unveröffentliches Material des Musikers liegt. Seit vier Jahren erarbeitet das Ensemble spielbare Arrangements der dort gesichteten Stücke, sieht sich aber auch mit der Quadratur des Kreises konfrontiert, wenn es gilt, auseinanderdriftende und rhythmisch komplexeste Zeitschichten übereinander im Ensemble zu organisieren. In Hellerau konnte ascolta "Samba Funk" als Uraufführung präsentieren - vor allem Posaunist (und Multitalent) Andrew Digby bemühte sich um die Rekonstruktion der Zappa-Werke. Das gesamte Zappa-Vorhaben (eine CD ist in Vorbereitung) kann man trotz des großartigen Konzertergebnisses aus mehreren Gründen kontrovers betrachten, denn zum einen übersteigen die Stücke schlicht menschliche Möglichkeiten. Der Vergleich zu Conlon Nancarrow ist naheliegend, der ebenfalls eine Maschine nutzte, um seine Ideen zu realisieren.

Weiterhin wäre die Frage der Rezeption zu stellen, denn die rasche Schnitttechnik einiger Stücke benötigt eine gute Kondition des Hörers, denn dieser bekommt kaum eine Chance zum Verweilen oder zum Nachvollzug. Stellenweise dürfte die Frage durchaus erlaubt sein, ob man einem hyperkomplexe Musikmatrixen abspielenden Computersystem mit gleichem sinnlichen Interesse zuhören würde. Zum dritten wäre zu fragen, ob die spezifische Klangfarbe des ascolta-Ensembles den Studio-Ideen von Zappa wirklich entspricht oder ob nicht manches orchestraler, manches noch solistischer gemeint war. Und trotzdem: die herausragende musikalische Leistung, der Ernst, mit dem ascolta bei der Sache war, und der Enthusiasmus, mit dem die Musiker die Stücke vorstellten, nötigte höchsten Respekt ab. Atemberaubende Drumsoli (Lukas Schiske) und eine selbstverständliche Hochkonzentration über zwei Stunden demonstrierte das Credo von ascolta: "Geht nicht gibt's nicht"

Im Medley des ersten Teils und mit dem augenzwinkernd hyperkomplexen "Black Page" waren dann auch Stücke im Programm enthalten, die zumindest für einige Takte Entspannung boten. Riesiger Applaus von einem recht kleinen Publikum war das Resultat. Kritisch anzumerken sei außerdem, warum ein ohnehin zu erklecklichen Phonstärken fähiges Kammerensemble im Festspielhaus tontechnisch so aufgeplustert werden muss, dass man sich bei einigen Passagen aufgrund des Frequenzspektrums von Bläsern, E-Cello und Schlagzeug schlicht die Ohren zuhalten musste. Die Brutalität der Ensemble-Verstärkung stand leider in keinem Verhältnis zu dem guten Eindruck des Konzertes.

Polterabend in der Frauenkirche

Veronique Gens und das Balthasar-Neumann-Ensemble

Eine musikalische Horizonterweiterung kann erleben, wer einmal ein Konzert des in Freiburg beheimateten Balthasar-Neumann-Ensembles, von seinem Leiter Thomas Hengelbrock 1995 gegründet, besucht. Am vergangenen Sonnabend konnten die Besucher der Frauenkirche sich vom Klang der versierten Barockmusiker überzeugen, obwohl im Programm eher der Sturm und Drang der frühen Wiener Klassik vorherrschte.

Dem designierten Leiter des NDR-Sinfonieorchesters Thomas Hengelbrock sieht man seine vielen Verpflichtungen überhaupt nicht an. Das Rezept von Dirigent und Ensemble ist die flammende Leidenschaft für die Musik. Weder trockene Theorien der Aufführungspraxis noch autokratische Egomanie vom Dirigentenpult bestimmen das Musikerlebnis. Es ist eine exzellente Mischung, die sich live und nachvollziehbar generiert: die Zutaten sind seriöses, gemeinsames und engagiertes Musizieren mit dem Wissen um die Materie, aber auch mit einer gehörigen Portion Herz.

Bloß eine Haydn-Sinfonie zu Beginn? - Nein, wir haben im Jubiläumsjahr des großen Komponisten in vielfacher Weise gelernt, wie spannend jede einzelne Sinfonie ist, wie viel es auch noch in der Kammermusik oder im Opernbereich von Haydn zu entdecken gilt. Und so macht sich Hengelbrock ans Werk, als ob er mit der 56. Sinfonie C-Dur eine Uraufführung vor sich hätte: muntere Trompetenstöße und markante dynamische Kontraste bestimmten ersten Satz, ein höchst lyrisch-empfindsamer Ruhepunkt folgt im Adagio. Der Klang des Ensembles ist weich und rund, mehr als auf kalte Präzision setzen die Musiker auf volumenreiche Tongestaltung in jeder Phrase. Überraschend ist, dass Hengelbrock mit einer eigenwilligen Aufstellung (die hinteren Pulte der Streicher spielen im Stehen) eine akustische Verbesserung in der heiklen Frauenkirche erzielt. Die tellerartige Anordnung führt zu einem silbrigen, transparenteren Streicherklang. Davon haben nur leider die Bläser nichts, deren aufmerksames Spiel dennoch im Kirchenrund zu schnell verschwindet.

Die französische Sopranistin Véronique Gens gestaltete den Solopart in Haydns "Scena di Berenice" (übrigens eine der avanciertesten und effektvollsten Partituren des Komponisten), zeigte aber nur in der Schlusskoloratur wirklich ihre große, nuancenreiche Stimme und wirkte für die Dramatik des Textes leider zu zurückhaltend. Ihre fast privat zu nennende Stimmführung war dann aber für die Vokallinie des "Salve Regina" von Domenico Scarlatti angebracht und überzeugend. Gens packte den Zuhörer durch ihren warmes Sopran-Timbre, das in der Mittellage erdige Farben aufweist. Mühelos würde sie den Raum mit Klang ausfüllen - aber genau dort sparte sie, beließ Scarlattis Spätwerk in bescheidener Intimität statt in spanisch-italienischer Grandezza und wirkte nicht in allen Passagen so locker und frei wie die hinter ihr leichtfüßig agierenden Streicher.

Dass Wolfgang Amadeus Mozart die Auftragskompositionen oft "kurz vor knapp" aus der Feder flossen, ist bekannt. Dass er für den Mäzen Sigmund Haffner einen ganzen Polterabend musikalische illustrierte, wohl weniger. Resultat (und Zweitverwertung) daraus ist die "Haffner-Sinfonie", die Hengelbrock mit dem Balthasar-Neumann-Ensemble zum Abschluss hinreißend lebendig und dennoch niemals überstürzt musizierte. Ein überzeugender, rassiger Konzertabend ging so zu Ende.

CD-Tipp:

Tragédiennes 2 - Von Gluck zu Berlioz, mit Les Talens Lyriques / Christophe Rousset (Virgin, 2009)

Viele elektrische Freunde

Dopplereffekt gastiert bei der microscope session in Hellerau

Seit mehreren Jahren sind die "microscope sessions" fester Bestandteil des Festivals der zeitgenössischen Musik in Hellerau. In Zusammenarbeit mit der Transmedienakademie Hellerau wird so eine wichtige Brücke nicht nur hin zur elektronischen Musik geschlagen, sondern darüberhinaus auch zur audiovisuellen Raumgestaltung mit digitalen Medien.

Die "elektronische Bewusstseinskultur" manifestiert sich daher auch durch die Einladung besonderer Acts, die nicht den Mainstream der Samstagabendclubs reflektieren sollen, sondern Bestandteil eines fast komponierten Erlebnisses in Hellerau werden. Die Gruppe DS-X.org sorgte im Oberlichtsaal und in der Seitenbühne für die visuelle Ausgestaltung; credit00 oblag, vom Publikum nur wenig goutiert, die Umrahmung des Haupt-Acts. Bei einem reinen DJ-Set entfaltet die kleine Seitenbühne leider keine rechte Anziehungskraft. Das genaue Gegenteil ist der Fall bei einer Live-Performance im selben Raum: die Nähe zu den Künstlern und die unmittelbare Botschaft reiner elektronischer Klänge formt ein besonderes Erlebnis. Und dieses stellte sich auch sofort ein beim Genuss der Performance von Dopplereffekt, einem Musikprojekt, das ohnehin selten zu erleben ist und sich selbst mit Geheimnissen und Pseudonymen umgibt.

Wer sich rar macht und dabei auf so konstant hohem musikalischen Niveau agiert, erzeugt eine große und überzeugte Fanschar. Also drängte man sich in der Seitenbühne unter dem freundlichen Titel "are friends electric?" mit der maximalen Zuhöreranzahl und staunte über zwar wohlbekannte Soundscapes der beiden Synthesizer, deren Anordnung und fast puristische Vollkommenheit jedoch in dieser Strenge eine fast symphonische Dimension erreichte. Spätestens am plötzlichen Ende dieser großartigen Darbietung dürfte man von einem kräftigen Hauch der eingangs erwähnten elektronischem Bewusstseinskultur durchweht worden sein. Und der Blick durchs Hellerau-Mikroskop ist in diesem Jahr vollends gelungen.

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