Weblog mehrLicht - 2. Jun, 17:32
Emanuel Ax und das Russische Nationalorchester in der Semperoper
Das zweite Wochenende der "Russlandia"-Musikfestspiele hatte einmal mehr orchestrale Leckerbissen zu bieten, dazu gab es beim zweiten Gastspiel des Russischen Nationalorchesters die (Wieder-)Entdeckung des russischen Komponisten Sergei Tanejew (1856-1915), der sehr zu Unrecht mehr Bekanntheit als Lehrer denn als Komponist erlangte. Im Konzert in der Semperoper stand aber zunächst das 2. Klavierkonzert B-Dur Opus 83 von Johannes Brahms auf dem Programm. Dabei stand natürlich der großartige Solist Emanuel Ax im Vordergrund, aber auch die klangfarbliche Behandlung der Partitur des Russischen Nationalorchesters ist erwähnenswert. In diesem spezifischen Gesamtklang sind kulturelle und historische Besonderheiten natürlich einzubeziehen, und so klingt dieser Brahms eben für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig: die Streicher sind in höheren Lagen oft eng und obertonarm, die Holzbläser formen einen eher abgedunktelten Klang. Das Tutti klingt robust, solistisch kann den Russen ohnehin keiner etwas vormachen - eher fremdartig wirkt eine stark terrassenartige Abstufung der Haupt- und Nebenstimmen. Emanuel Ax, sonst auf der anderen Seite der Erdkugel zu Hause, musizierte gut mit dem Orchester und seinem Gründer und Leiter Michail Pletnjow zusammen. Bezüglich emotionaler Tiefe hatte Ax allerdings einen gewaltigen Vorsprung gegenüber dem recht brav begleitenden Ensemble. Seine Interpretation darf man durchaus als saftig bezeichnen, aber dies im besten Sinne pro Johannes Brahms. Die ersten beiden Sätze strotzten vor Kraft und Männlichkeit, überschritten aber nie die Grenze zum Poltern oder zum demonstrativen Virtuosentum. Dafür ist Ax viel zu sehr interessiert an Entstehen und Vergehen des musikalischen Flusses und das war meisterlich etwa im 3. Satz ausgeführt. Der Pianist ließ sich auch nicht vom kontinuierlich zwischen den Sätzen klatschenden Publikum aus der Ruhe bringen und brachte das Konzert zu einem gebührenden Abschluss. Nach diesem Kraftakt war um so staunenswerter, dass Ax die (schon im langsamen Satz mit wunderbarem Solo brillierende) Cellistin vom ersten Pult zu sich rief und sichtlich gelassen dem Publikum mitteilte: "Wir spielen noch ein bißchen Schumann" - auswendig und mit dem Rücken zur ebenso souverän musizierenden Dame aus dem Orchester erklang ein Satz aus den "Phantasiestücken". Die Koppelung mit Sergei Tanejews Sinfonik erschien sinnfällig, denn hier sind harmonisch und kontrapunktisch enge Verwandtschaften zu beobachten. Unergründlich ist mir, warum dieses Werk es kaum von westlichen Orchestern gespielt wird, an Spannung, Seele und vielen typisch russischen Klangfarben fehlte es nicht. Michail Pletnjow führte mit ernster Miene und effizient-sparsamer Zeichengebung durch die Partitur und konnte sich aufmerksamer Reaktion im Orchester sicher sein. Schön, dass man hier erfahren konnte, dass Brahms in Moskau ganz anders klingt und die russische Seele nicht nur aus Tschaikowski-Melodien schöpft.
Camille Saint-Saëns Orgelsinfonie im Frauenkirchen-Kapellkonzert
Wie bekommt man Freunde der Orgelmusik und Freunde der hochromantischen Sinfonik an einen Tisch? Oder anders gefragt: wie läßt sich die Frauenkirche fast bis auf den letzten Platz füllen? Richtig: man spielt die 3. Sinfonie c-Moll Opus 78, die "Orgelsinfonie" von Camille Saint-Saëns, einen imposanten Klassiker, der dennoch aufgrund seines Aufwandes selten erklingt. Wenn Raum, Orgel und Orchester dann noch eine so glückliche Verbindung eingehen, wie im Kapellkonzert am Sonnabend, das im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele stattfand, sind die Zuhörer begeistert. Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin, mehrfach bereits Gast der Sächsischen Staatskapelle, leitete eine überzeugende Aufführung, die trotz der bekannten akustischen Schwierigkeiten für den Orchesterklang das Optimum erreichte. Nézet-Séguin sparte nicht mit Vorwärtsdrang, legte die feurigen letzten beiden Sätze mit straffem Tempo und ordentlich Pomp an, ließ aber in den immer wieder sanft aufsteigenden Streicherthemen Ruhe walten. Es war keine Überraschung, dass sich die Kern-Orgel gleichrangig in den Orchesterklang mischte. Samuel Kummer sorgte für eine jederzeit präsente Farbgebung ohne das Instrument im Tutti verschwinden zu lassen, der warme Soloeinsatz im langsamen Satz geriet andächtig. Mit vollem Werk der Orgel und kraftvollem Einsatz von Schlagzeug und Blechgruppe war somit großer Beifall am Ende garantiert. Vor der Pause stand ein weiterer Klassiker auf dem Programm. Die hoch gelobte Geigerin Arabella Steinbacher sprang für den erkrankten Leonidas Kavakos in Ludwig van Beethovens Violinkonzert als Solistin ein. Während Saint-Saëns allerdings natürlich musizierten Esprit versprühte, entschieden sich Nézet-Séguin und Steinbacher bei Beethoven für die denkbar langsamste Variante der Darbietung. Natürlich gibt es kein abgesichtertes Falsch oder Richtig in der Tempowahl, aber zumindest Beethovens Tempoangaben und die rhythmisch-motivische Anlage geben eine Richtung vor. Doch im 1. Satz hatte bereits die Einleitung tiefromantischen Charakter und ein klar durchgehaltenes Allegro non troppo war dies keinesfalls: Steinbacher retardierte an jedem Phrasenende, insbesondere am Übergang zur Durchführung und bei triolischen Figuren. Nézet-Séguin folgte mit raumschwelgerischem Ausbreiten der Themen, so dass irgendwann auch die Tuttipassagen nicht mehr präzise genug gerieten. Das Larghetto geriet im völligen Adagio-Duktus einige Male fast zum Stillstand. Der Vorteil dieses Musizierens lag natürlich auf der Hand: Steinbacher konnte im Kirchenraum mit großem Klang und absolut sauberer Intonation intensivst gestalten, fremdartig wirkte dann die plötzliche Virtuosität der Kreisler-Kadenzen. Die Brillanz des Werkes blieb dem klar und frisch gespielten 3. Satz vorbehalten. Wieviel Feuer in der Solistin loderte, zeigte die zugegebene "Obsession" von Eugène Ysaÿe. Eine wenig mehr dieser nach vorne gerichteten, spannungsgeladenen Haltung hätte der Beethoven-Interpretation gutgetan.