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Weblog mehrLicht - 2. Okt, 19:02
"Hallo Welt!"-Prolog der
"Tage der zeitgenössischen Musik" im Bahnhof Neustadt
Wenn die "Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik" in diesem Jahr 20jähriges Jubiläum feiern, dann kann ein Eröffnungsprolog durchaus festliche Züge tragen. Der Prolog des Prologes fand indes schon in Hellerau statt: die Wiedereröffnung des Festspielhauses Anfang September bereitete den Ort für Zukünftiges. Fehlt nur noch die Ankunft der Musiker, insofern ist die Auswahl des Neustädter Bahnhofs für den Prolog sinnfällig. "Hallo Welt!" riefen die Beteiligten daher auch vielstimmig, künstlerisch und auch künstlich. Unter das Reisevolk mischten sich Musikschüler, Sänger und Instrumentalisten, das typische Publikum des Festivals bevölkerte den Bahnhof und erkundete dessen Gänge und Treppen als galt es überall versteckte Klänge aufzuspüren. Diese hatte der Initiator und Komponist Johannes S. Sistermanns fein verteilt, einige waren lautstark und offenkundig, andere wiederum nur als leichte Irritation zu spüren, so etwa eine verstörende Audio-Fläche in der Buchhandlung oder die merkwürdige Eingebung, eine Abfahrtszeitenvitrine würde zum Zuschauer sprechen - kleine, ins Glas eingelassene Mikros machen es möglich. Sistermanns Szenen waren teils örtlich gebunden, teils wanderten sie. Und so vielfältig sich dies darstellte, so kritisierenswert ist es auch. Denn die Gratwanderung zwischen Intention, Inszenierung, Improvisation und den vorgefundenen Realitäten im öffentlichen Raum ist schwierig.

So wirkte das "Bimbo-Town-Orchester" Leipzig, das um 21.00 Uhr einem Zug entstieg und im folgenden im ganzen Bahnhof improvisierten Lärm entfachte, mehr als lächerlich im Kontext. Wenn ein Festival mit zeitgenössischem Anspruch zur Eröffnung ein Clownerieorchester engagiert, das mehr Spaß an der Selbstinszenierung denn an zeitgenössischem Diskurs entwickelt, stimmt dies nachdenklich. Gegenbeispiel: am Ende des Durchganges im Bahnhof hockten zwei Musiker mit E-Gitarren, die sofort ihr - vom Festival unbemerktes und nicht eingeladenes - Publikum fanden. Dies war eine kleine Oase von Authentizität, von wirklichem Be-Spielen des Raumes unter Einbeziehung seiner vorbeieilenden und verweilenden Menschen. Der an die Zuhörer ausgeteilte "Fahrplan" hätte im "Ernstfall" zum Verpassen jeglicher Züge geführt, denn einige Punkte der Veranstaltung gingen gründlich schief, so etwa die komplett unsichtbaren Videoinstallationen. So lag die Stärke der Aufführung auch eher in den leisen, unmerklichen Regionen, große Atmosphäre hatte etwa das "Pas de pied", in welchem drei Dutzend Musikschüler das übliche Tempo eines Bahnhofes in die Zeitlupe verlagerten. Auf diese Weise teilte sich der Bezug zum Ort sofort und direkt mit. Auch die Klangaufgaben im Schließfachraum hatten eigene, etwas abgeschottete Qualität, man musste sich schon mit Kopfhörern, Auge und Ohr diesen Kleinodien widmen. Insgesamt förderte die Performance das unkonventionelle Einlassen auf einen Raum und seine Ereignisse. Manch Reisender wird sich über die Kurzgeschichten anstelle von Zugansagen aus dem Lautsprecher gewundert haben. Andere betrieben eher "business as usual" und ließen sich beim Feierabendbier im Stehen nicht von umherwandelnden Sängern stören. Bei allem organisatorischen Aufwand stellte sich am Ende doch stark die Frage, wer hier wen begrüßte und ob für solche Performances, die mehr das Offene betonen, über diesen Gedanken aber auch gefährlich in die Überflüssigkeit kippen können, nicht längst "der Zug abgefahren ist".
1. Kammerabend der Staatskapelle mit Matthias Wollong und Gerald Fauth
Normalerweise halten die Kammerabende der Sächsischen Staatskapelle Dresden ein buntes Programm in gemischten Besetzungen bereit - diesmal bestritt Konzertmeister Matthias Wollong die Saisoneröffnung dieser Reihe alleine und widmete sich drei vielgespielten Komponisten, deren Jubiläen eigentlich in diesem Jahr schon genug strapaziert wurden: Mozart, Schumann und Schostakowitsch. Wollong dürfte aber Gründe für dieses Programm gehabt haben. Zum einen bestätigte ihn ein volles Haus (was für Kammerabende nicht immer garantiert ist), außerdem wählte er von Mozart und Schostakowitsch nicht eben bekannte Werke aus. Da zudem die bekannte a-Moll-Sonate von Schumann in Wollongs sehr lässigen Interpretation eine gratwanderische Selbstverständlichkeit erhielt, konnte man von einem insgesamt spannenden Abend sprechen. Wollong betonte bei Robert Schumann den natürlichen Fluss, nicht die rhythmischen Kanten, das klang unaufgeregt und in dieser beruhigten Haltung schon fast extrem. Die Sonate A-Dur KV 526 von Wolfgang Amadeus Mozart wird nicht häufig gespielt, die Faktur ist sperrig und ungewohnt "modern", wenn man andere Sonaten des gleichen Komponisten damit vergleicht. Wollong beherrschte das Werk bis auf wenige Unsauberkeiten, nahm allerdings im 3. Satz viel Vibrato, sodass das schnurrende Rondo einige Male in dramatischer Aufwühlung eher nach Weber klang. Erfreulich, dass Wollong nach der Pause einige Präludien aus Opus 34 von Dmitri Schostakowitsch in einer Bearbeitung für Violine und Klavier aufführte. Diese Miniaturen stehen selbst in der Originalfassung selten auf den Konzertprogrammen. Wollong traf den Charakter der kleinen Stücke jedes Mal sehr exakt und zeigte hier eine unprätentiöse, angenehme Virtuosität. Wäre hier das Programm beendet gewesen, wäre der Konzertmeister der Kapelle um seine "großen Bögen" gekommen. Da aber die Sonate von César Franck den Schluss bildete, durfte Wollong nun die Geige mit großem Ton singen lassen. Positiv hervorzuheben war im gesamten Konzert Wollongs organische Zusammenarbeit mit dem Pianisten Gerald Fauth, der zunächst unauffällig und sehr sicher begleitete, im zweiten Teil des Konzertes dann eigene, passende Akzente setzte. Der zweite Satz der Franck-Sonate geriet bei beiden in der Geschwindigkeit auf die Überholspur. Was dort noch gutging, war dann im Finale eine Nervensache, die Fauth leider misslang. Doch der Mut zum Äußersten wurde mit reichem Applaus belohnt.
Telefonische Reservierung beim Inder zum Abendessen:
"Ist es möglich, dass ich meinen Hund mitbringen kann?" -
"Nein, ist nicht erlaubt. Aber ich schreibe mit auf, dann ist erlaubt."
Diese Flexibilität wünsche ich mir hierzulande auch öfters...
Weblog mehrLicht - 28. Sep, 12:02
Tolle Jobbeschreibung, nicht wahr?
Ich finde,
Frau Harms sollte gehen. Und mit ihr gleich das völlig verängstigte Ensemble der Deutschen Oper Berlin. Sollen sie sich ein Opernhäuschen im Schrebergarten bauen, mit Jägerzaun und Video drumherum. Vielleicht löschen sie sich dann auch ruckzuck gegenseitig aus, weil jeder den anderen des Sicherheitsrisikos verdächtigt. Mozart hat das jedenfalls nicht verdient. Berlin auch nicht. Oder kommt Frau Harms morgen etwa zur Presse: Alles Spaß, wir spielen wieder!! - das wäre auch schlechte Kunst. Würde aber zu einer völlig derangierten Frau passen, die im
Tagesthemen-Interview weder Stellung zu ihrem Haus noch zur Kunst nimmt, sondern auf die Fragen von Anne Will nicht mal mehr ihre eigene Entscheidung zu kommentieren weiß. Absetzung der Oper "ja, äh,...damit ein differenzierter Diskurs beginnt". Hallo Frau Harms? HALLO? Der Idomeneo IST der Diskurs, ... Traurige Welt...
Weblog mehrLicht - 27. Sep, 09:01
...gerade
Reinhold Beckmanns Kindergartenfragen zertrümmert, ist wirklich sehenswert. Ungleicher könnte dieses Paar nicht sein.
Und wenn ich diesen 87jährigen Mann so klug argumentieren sehe frage ich mich, wer ihm in der heutigen Politik das Wasser reichen kann...
Weblog mehrLicht - 25. Sep, 22:57
Ich bin in einem Ferienort, womöglich Italien. Ein Haus dient zur Chorprobe, ich habe aber auch den Hund mit. Durch die Fenster sehen wir, wie eine Sturmflut vom Meer her bis an das Haus gelangt. Wir gehen hinaus und sehen, dass viele Menschen freudig (?) dem Wasser entgegenlaufen. Ich versuche mich mit einigen zurückgebliebenen zu unterhalten, stelle fest, dass es arrogante Schweden sind, die selbst auf Englisch nicht antworten wollen. Ich pfeife meinen Hund zurück, merke in dem Moment, dass er übersät mit Zecken ist. Das Chorprobenhaus ist nun eine verlassene Tierklinik, ich mache mich selbst daran, den Hund zeckenfrei zu machen, wobei ich feststelle, dass die Dinger den Teilen aus "Matrix" verblüffend ähnlich sehen, allerdings kleiner sind. Das Tierkrankenhaus ist ansonsten sehr merkwürdig, viele alte Gerätschaften und ein Bassin, in dem Baby-Schildkröten schwimmen. Ich verpasse das gemeinsame Abendessen mit dem Chor. Abends kurve ich mit dem Auto durch die Gassen (orange) der kleinen Stadt. Ich halte neben einer Art Wetterstation, wo digital angekündigt ist: morgens Sonne, nachmittag Gewitter, abends bewölkt. Darunter hängt ein handgeschriebener Zettel: "es gibt kein Gewitter", vermutlich um Touristen zu beruhigen.
Cat-Stevens-Freaks sind die nervigsten Kunden. :/
Weblog mehrLicht - 21. Sep, 13:35
Um Chikatzes Neugier zu befriedigen - ;) - es handelte sich um einen Radiobeitrag, noch dazu meinen ersten. Er wurde gestern beim SWR gesendet. Da ich nicht genau wusste, ob der Platz im Magazin reicht und der Beitrag gut genug war, habe ich mich erstmal bescheiden zurückgehalten. Aber nun bin ich froh, dass das über den Äther ist, konnte sogar mithören, da ich derzeit mal wieder im "Ländle" bin. Heute gehts aber mit Hund und Audi zurück in die Heimat, neuen Taten entgegen.
Und wer am Donnerstag Lust auf Neue Musik hat, sei herzlich in die Nikolaikirche
eingeladen.
Weblog mehrLicht - 19. Sep, 10:23
Wagner orchestral in der Dresdner Philharmonie
Zur Eröffnung der Reihe der Zykluskonzerte der Dresdner Philharmonie unter dem Thema "Mythen und Märchen" wurde am vergangenen Wochenende passenderweise ein reiner Wagner-Abend gegeben. Wagners Orchestermusik Wagners Orchestermusik als Gipfel der Romantik und Schwelle zur Moderne sei hoch geschätzt, jedoch kann ich mich nie mit rein sinfonischen Extrakten der Opern anfreunden, da Text, Gesang und Orchester bei diesem Komponisten eine untrennbare Einheit bildet und die Platzierung von Vorspielen und Zwischenspielen natürlich dramaturgischen Sinn hat. So wirkt es in dieser Sichtweise gar absurd, wenn auf das Tristan-Vorspiel gleich der Liebestod folgt. Aber die Liebhaber von Klassik-"Schmankerln" kamen in diesem Konzert durchaus auf ihre Kosten. Aus rein technisch-musikalischer Sicht war dieser Abend gelungen, interpretatorisch jedoch bleiben mir viele Fragen. Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos leitete die Opernausschnitte, die dann als nächste Folge der neuen CD-Edition der Philharmonie bei der Firma Genuin erscheinen werden. Dass die Musiker wohl wegen der CD-Aufnahme um äußerste Präzision bemüht waren, war leider zu oft im Vordergrund der Interpretation und verhinderte so ein wirklich tiefes Eintauchen in die Welten von Sängerwettstreit, Verklärung und Götter-Apokalypse. Organisches Atmen der Musik ging dabei oft verloren, Frühbeck de Burgos leistete sich nur wenige Freiheiten im Auskosten der Themen obwohl Wagner ja gerade im "Ring" und im "Tristan" fortwährenden Druck aufbaut, der aus der Harmonik resultiert: die zurückzulegenden Wege und Übergänge der Musik werden wichtig, die Horizontale von Sehnen und Streben ist das A und O bei diesem Komponisten. Dabei war der erste Teil des Konzertes in vielen Punkten mäßiger als die ohnehin Sog entfaltenden Passagen aus der "Götterdämmerung" nach der Pause. In den "Meistersingern" stand die Musik einige Male, weil innerhalb langsamer Phrasen die Bögen der Musik nicht deutlich genug gezeichnet waren. Wenn man im Meistersinger- Vorspiel zu früh zu laut wird, hat man zwar eine große Masse Klang ausgebreitet, aber das Werk nicht genügend strukturiert. Ein wahrer Schrecken ereilte mich beim folgenden Vorspiel zu "Tristan und Isolde". Ich hoffe nicht, dass das völlige Überfahren dieses Marksteins der Musikgeschichte etwa fehlenden Sekunden auf der CD geschuldet ist. Jeglicher Zauber und angekündigter Mythos ging den ersten Takten dieses genial komponierten Werkes verloren, denn hatte man sich innerlich gerade in die Cellostimme verliebt, war Frühbeck de Burgos auch schon zum dritten Ansatz dieses Themas enteilt. Ähnlich starr und durchgeschlagen wirkte auf mich der "Liebestod", bei dem eine jede Isolde in der Originalfassung kaum zu Atem gekommen wäre. Einen viel runderen und intensiveren Eindruck allerdings hinterließen die Ausschnitte aus der "Götterdämmerung". Jörg Brückner blies ein exzellentes Hornsolo, Rheinfahrt und Tod Siegfrieds waren von Frühbeck de Burgos mit Vorwärtsdrang gestaltet. Bei der Apokalypse hatte ich eher den Eindruck eines "kontrollierten Abbrennens" der Walhalla, was für eine CD-Aufnahme sicher nicht schlecht ist, aber im Live-Konzert wiederum merkwürdig starr wirkt. Wagner orchestral darf, soll und muss auf der emotionalen Ebene jedenfalls noch um einiges intensiver klingen, das Potenzial im Orchester ist vorhanden.

Die Erschaffung des Lichts
(Quelle)
Durch eine sehr gute
Doku über Walt Disney bei arte stieß ich gerade auf den mir unbekannten Maler
Gustave Doré. Spannend, wie Disney bereits in den 30er Jahren vor allem Malerei des 19. Jahrhunderts für seine Boards nutzte. Über Doré schließlich gelange ich zu der
Wilden Reise von Walter Moers. Ich glaube, das Buch brauche ich dringend.
Weblog mehrLicht - 15. Sep, 23:18
So, 17.9.2006, 19.30 Uhr
Auferstehungskirche Dresden-Plauen,
Do, 21.9.2006, 19.30 Uhr
Nikolaikirche Leipzig
mit Reimund Böhmig - Orgel, Anna Palimina - Sopran, Lydia Weißgerber - Sprechgesang, Günter Schwarze - Glockenspiel
Werke von:
Christian FP Kram: "Fanal de l`ombre" für Orgel solo (2000)
Alexander Keuk: "Als wenn die Welt aus Lego wär" für Orgel solo (1994)
Steffen Reinhold: "ros pikata ros" für Orgel solo (UA)
Günter Schwarze: "Zersprungene Glocken" für Orgel und Glockenspiel (UA)
Ernst Helmuth Flammer: "Farben des Lichts" für Orgel solo (1979/80)
Lydia Weißgerber: "Alleluia-Kommentar" für zwei Soprane und Orgel (UA)
mehr dazu
hier.
Weblog mehrLicht - 14. Sep, 21:24
...stellt sich ein, wenn man nach langer Zeit der Sorgen für andere einmal wieder etwas selbst anpackt, es schafft und anschließend überrascht ist, dass es so gut gelaufen ist.
Weblog mehrLicht - 13. Sep, 00:15
Wiederaufführung der "Vier Jahreszeiten" von
Johann Christoph Schmidt im Großen Garten
Für den an der Dresdner Stadtgeschichte interessierten Bürger halten die hiesigen Museen und historischen Bauten eine Fülle von Material bereit, doch vor Schaukästen und Tafeln stehend muss man die Imagination bemühen. Das höfische Zeitalter in Dresden jedoch unmittelbar nachzuempfinden war bisher in zweifelhafter Weise etwa mit barock verkleideten Touristenführern möglich. Im Rahmen des Stadtjubiläums wurde mit vereinten Kräften nun eine Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert plastisch und mit dem Willen zur Authentizität aufgeführt: Anlässlich der Trauung von Maria Josepha und Kurprinz Friedrich August II. im August 1719 fanden in Dresden Festivitäten statt, zu welchen die Aufführung des Divertissements "Les Quatre Saisons" des damaligen Hofkapellmeisters Johann Christoph Schmidt (1664-1728) im Großen Garten zählte. Am Samstagabend fand ebenda die Wiederaufführung statt. Während Barockopern italienischer Prägung heutzutage allerorten präsentiert werden, sind die an französischen Vorbildern orientierten "Opéra-Ballets" eher selten auf den Bühnen zu finden, schon gar nicht in einer solch galant-vornehmen Lesart, wie der des Choreographen Ingolf Collmar. Im ausverkauften Palais geriet die Wiederaufführung zu einer Demonstration höfischer Lebensart weit über die Bühnenhandlung hinaus. Der Raum verschmolz mit dem Werk, theatralische Lustbarkeit in der Pause gehörte ebenso dazu wie ein wahrhaft barockes Bodenfeuerwerk - belegt ist, dass auch 1719 im Großen Garten Feuerzauber entfacht wurde. Selbiger drang auch aus dem Orchestergraben. Unter Leitung von
Ludger Rémy spielte das Orchester "Les Amis de Philippe" eine zupackende, aufführungspraktisch äußerst kundige und spannungsgeladene Interpretation einer Musik, die ich kaum einem deutschen Komponisten damaliger Zeit zugetraut hätte - Rameau und Lully lugten hier stark durch die Partitur, damit zeigte diese Aufführung nachdrücklich die Verbindungen zu Versailles. Einfühlen muss sich der Zuhörer auch in die handlungslose, kontinuierliche Huldigung, die in Gesang und Tanz von der Bühne schwebt: die Jahreszeiten und Götter erscheinen in persona und verkünden ausschließlich gute Laune und Feststimmung. Constanze Backes war da als Venus/Flora eine Idealbesetzung und sang mit betörender Natürlichkeit. Ebenso angenehm wirkte Christine Maria Rembeck, während bei den Herren nur Egbert Junghanns vor allem in seiner Rolle als "Winter" glänzte, Reinaldo Dopp, Henning Klocke und Christopher Jung blieben stimmlich blass und konnten den Anforderungen der Partitur nicht durchweg gerecht werden. Souverän meisterte ein kleiner Chor (Einstudierung: Tobias Mäthger) die jeweiligen Schlusssequenzen der Partien. In der Regie von Ingolf Collmar waren besonders die originalgetreu rekonstruierten Tänze spannend, die Mitglieder des Dresdner Hoftanzes e.V. repräsentierten auf der Bühne das sächsische Volk. Nach der rundum gelungenen Aufführung rieb man sich verwundert die Augen und brauchte erst einmal eine Weile, um die 287 Jahre "zurück" in die Gegenwart zu bewältigen.
Gestern abend gab es die erste Veranstaltung im Festspielhaus Hellerau, die Premiere von "Human Writes" der Forsythe-Company als deutsche Erstaufführung. "Endlich!" dachte ich, als ich den Raum betrat. Das Wort bezog sich auf den Einzug des modernen Tanztheaters in Dresden. Zuletzt hatte ich eine solche Darbietung beim "Theater der Welt" als Gastspiel gesehen, das ist Jahre her. Die Dresdner Palucca-Schule steht zwar für die Ausbildung solcher Tänzer, aber die Öffentlichkeitswirkung ist gering. Das dürfte bei Forsythe anders sein. Und doch regt sich in mir Unmut: Warum gibt man dieser Company eine "dritte Spielstätte", während andere junge Ensembles ums Überleben kämpfen? Und was ist mit der viel beschworenen Laborsituation, wenn man eine Company auswählt, die bereits 20 Jahre aktiv ist? "Human Writes", eine performative Installation hinterließ nicht unbedingt Glücksgefühle, da die vielen Einzelaktionen höchst unterschiedliche Spannungszustände aufwiesen und man bei einigen Tänzern eher den Verdacht hatte, sie wollten auf möglichst bequeme Weise die drei Stunden Spielzeit herumbekommen. Eine merkwürdige Unart des Publikums ist es, teilnahmslos am Rande mit zufällig getroffenen Arbeitskollegen oder Geschäftspartnern die nächsten Projekte durchzugehen. Auch eine Definition von Kultur. An der an sich im Raum gelungenen Installation störte eine Ebene gewaltig: die akustische. Dass Forsythe selbst nicht auffällt, dass die durch die Lautsprecher wabernden Elektronikteppiche weder zu seinem Stück passen noch irgendetwas "eigenes" akustisch im Raum vertreten, ist ärgerlich. So einen verantwortungslosen Umgang mit Klängen habe ich selten erlebt und ich hoffe, das bleibt auch für einen Ort, an dem in den letzten 10 Jahren vor allem die zeitgenössische Musik regierte, ein einmaliger Faux-Pas.