Mittwoch, 19. Januar 2011

Beschwörungen an der Marimba

Martin Grubinger im 5. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie

Nach knapp zwei Jahren war er wieder zu Gast bei der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast - der Hexenmeister am Schlagzeug namens Martin Grubinger, der in aller Welt staunendes Publikum hinterläßt und doch einfach nur macht, was ihm Spaß macht: Schlagzeug spielen. Aber dies eben auf einem Niveau, dass die Komponisten mittlerweile Bestkenntnisse in höherer Arithmetik aufweisen sollten, um dem Herrn einigermaßen Herausforderungen zu bieten.

Was da möglich ist, zeigte Grubinger in seiner bescheiden "...und nun zum Sport" angekündigten selbstkomponierten Zugabe. Die kannten die Dresdner zwar schon von seinem letzten Gastspiel, aber die Wiederholung war notwendig, damit nun die erneute Bestätigung hatte: es war real, dieses aberwitzige Tempo und diese Präzision, mit der Grubinger seinem Stick sogar einen Weg auf dem Arm bis zur Schulter anweist - wahrlich ein Hexenmeister.

Als solcher ("Conjurer") wird er auch im 2007 entstandenen Schlagzeugkonzert des Amerikaners John Corigliano (geb. 1938) betitelt, das im 5. Zykluskonzert seine deutsche Erstaufführung erlebte und von Grubinger erstmals gespielt wurde. Corigliano trennt die Klangwelten Holz, Metall und Fell und entwickelt relativ geschlossene und zumeist konventionelle Formen. Das der Percussion zugeordnete Streichorchester versagt allerdings dann aus akustischen Gründen schon seinen Sinn, wenn Grubinger aufdreht; hier ist (mal wieder) ein anderer Konzertsaal vonnöten, um diese Überblendungen hörbar zu machen. Andererseits stellte sich der Sinn des Begleitapparates ohnehin nicht ganz ein, denn außer flachen Dialogstrukturen wurde keine tiefer wirkende Ebene erreicht. Ohnehin dominierte der Solist völlig - im 1. Satz waren die Marimbabeschwörungen durchaus noch spannend, doch zu langatmig rollte der 2. Satz in süßlicher Idylle dahin. Grubingers sensible und kraftvolle Klasse machte diese Schwächen der Komposition wett - schließlich wartete im Finale ein abzubrennendes Feuerwerk auf Pauken und Trommeln - Grubinger empfing großen Jubel für diese Demonstration von Rhythmus und Klangsinn.

Der finnische Gastdirigent Hannu Lintu war bereits hier als verläßlicher Partner des Solisten aufgetreten. In der 1. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius erreichte er nach der Pause mit den Philharmonikern eine höchst bemerkenswerte Leistung. Für einen sinfonischen Erstling im Dunstkreis zwischen Brahms und Strauss ist dieses Werk nämlich nur dem Anschein nach am damaligen Geschmack orientiert: zahllose Abbrüche, eine erweiterte, überraschende Harmonik und die formalen Weiten dieses Werkes wollen entdeckt und herausgekitzelt werden. Lintu gelang dies mit dem Orchester hervorragend, wenngleich manchmal der gute Wille noch einen vielleicht freieren, extremeren Ausdruck verhinderte. So aber freute man sich über einen höchst homogenen, ausgeformten Bläserklang, rassiges Fundament in den Streichern und viele ausgehörte Details. Kein Werk zum Glänzen, aber eines, das intensiven Zugang von Hörern und Interpreten verlangt und dann zeitlose Schönheit offenbart.

Zwischen Phantasy und Reißwolf

Szenische Miniaturen von Kompositionsstudenten

Die jungen Komponisten an der Dresdner Musikhochschule haben ihre neuesten Schöpfungen im Institut bisher zumeist in den als "Podium" bekannten Abenden vorgestellt. Oft war dies bunt gemischte Kammermusik, und es fanden sich immer Kommilitonen, die die noch tintenfeuchten Partituren zur Uraufführung brachten. Die Zeiten ändern sich, der Komponist von heute ist gestählt in multimedia-Anwendungen, schreibt für alle Gattungen und Genres und bindet performative, bildende und literarische Kunst wie selbstverständlich in sein Werk ein. Aus der Fülle der Möglichkeiten jedoch zeitenüberdauernde Kunst zu schöpfen, ist nicht planbar. Doch zumindest bietet das Kompositionsstudium ein Füllhorn von Spiel-Möglichkeiten in Theorie und Praxis zum Entwickeln der künstlerischen Persönlichkeit.

Ein Abend der Klasse von Prof. Manos Tsangaris stellte daher sozusagen Momentaufnahmen, Streiflichter vom gegenwärtigen Schaffen der Kompositionsstudenten dar. Der Abend war außerdem als Suite von szenischen Miniaturen unter dem Titel "Briefmarkenopern" zusammengefasst - die Bildkraft dieses Begriffes regt an und irritiert zugleich, und genau so war auch die Wirkung der Darbietung. Im Konzertsaal wurde das Publikum auf der Bühne platziert, auf diese Weise entstand zwar ein enger, begrenzter Raum von Sicht- und Hörflächen, doch wollte sich der "klassische" Frontalaspekt zwischen Publikum und Interpreten nicht völlig aufheben. Außerdem ist das Auditorium von Natur aus gleichzeitig geduldig und träge und reagiert selbst dann nicht genervt, wenn gleich zu Beginn dieser Zustand als erlaubt annonciert wird.

Was erklang? Verschiedene Zugänge zu szenischer Musik, die oft als Ansatz, Annäherung, Skizze zu begreifen waren, in seltenem Fall in ihrer Dringlichkeit oder Abstraktion aber durchaus als starkes Ganzes wirkten - "recycle" von Neele Hülcker etwa formte mit lediglich drei Sängerinnen samt Diktiergeräten eine beängstigend kalte Meta-Ebene des Theaters und überzeugte mit einem konsequent durchgeführten Material, das Kraft entwickelte. Katharina Vogt formulierte einen sanften Antibeginn mit schweigenden Musikern und Blockflötenstörungen vom Nachbarplatz. Christian Rheber wiederum lockte in einen Phantasy-Raum mit einem theatralischen Fragment, das sich selbst in Frage stellte. "Come and Go" von Nicolas Kuhn war der vielleicht introvertierteste, aber auch stimmungsvollste Beitrag, während Peter Motzkus' "ARIA" für Sängerin und Smartphone auf merkwürdige, vielleicht einsame Parallelwelten zwischen Leben und Technik hinwies.

Martin Baumgärtel erschien für eine szenische Miniatur der Schaffensprozess in seiner Spiegelung als Ansatz spannend und die Briefmarkenoper "In Liebe, Agnes" erinnerte vor allem in ihrer musikalischen Unbekümmertheit stark an Milhauds "Minutenopern". Wunderbar, wie engagiert und professionell alle Aufführenden agierten und so einen erhellenden Streifzug durch die Werkstatt der in Dresden studierenden Komponisten ermöglichten. Und schön, dass ein Klassenabend Komposition neben sicherlich auch notwendigem Diskurs über Theorie und Ästhetik einmal fünfe grade sein lässt und mit den Augen zwinkert: Baumgärtels Ringen mit dem Skizzenblatt verschwand live im - Reißwolf.

Montag, 17. Januar 2011

Auf der Reise zum Ich - Sophie Marceau in "Vergissmichnicht"

Nein, so wird das nichts. Der Ansatz von "Vergissmichnicht" (im Original L'Age de Raison) von Yann Samuell könnte unterhaltsam sein, denn er passt perfekt in die breite Palette des Genres Selbstfindungsfilm oder auch Wie-werd-ich-ein-besserer-Mensch-Film: Business-Frau erinnert sich mitten im Karriereschwung an ihre eigene Kindheit und besinnt sich auf die wahren Werte des Lebens. Soweit, so gut. Allerdings hapert es in dem Film massiv an der Umsetzung. Das Strickmuster, die 7jährige Marguerite ihrem 40jährigen Ich Briefe zu schreiben, die diese dann schnitzeljagdmäßig per altersweisem Notar in ihr Leben integriert, fällt doch zu überzogen aus. Zeitweise wirkt die Kleine wie eine Fremde, denn man mag sich jede andere Kindheit für Margaret (der Kindesname musste aus karrieretechnischen Gründen weichen) vorstellen, aber doch nicht diese. Und Kinder, die reflexiv in die Zukunft Briefe schreiben und dabei eine Moral- und Erkenntniskeule schwingen, auf die andere weit nach ihrem 80. Geburtstag immer noch warten? Mon Dieu! - So hangeln wir uns durch diese einfältige Schwarz-Weiß-Geschichte zwischen Konferenztischen, hektischen Fahrten im SUV oder fetten Audi aufs Land und unachtsamen Filmfehlern (so oberflächlich, wie die Schatzkiste im Brunnen hockt, hätte sie schon vor 30 Jahren gefunden werden müssen...) - Ach ja, Sophie Marceau ist die Hauptdarstellerin. Hatten wir schon fast vergessen, denn in diesem Film agiert sie wirklich, als stecke sie in einer Drehbuchröhre, die ihre schauspielerischen Stärken fast ersticken läßt. Und am Ende blicken wir auf glückliche afrikanische Kinder. Dass Franzosen träumen können, wissen wir. Dass sie es besser als in diesem Film können, wissen wir nun auch.



Rezensionen:
* Die ZEIT: Von Tränen reichlich aufgeweicht
* Hamburger Abendblatt: Nur schön reicht nicht
* Deutschlandradio: Radiofeuilleton - Film der Woche

-> läuft diese Woche noch im Thalia Dresden

Dienstag, 11. Januar 2011

Apotheose der Farben

Tschaikowsky und Schostakowitsch im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Vorbei ist die Silvesterseligkeit mit leichter Muse - gleich das erste Sinfoniekonzert der Staatskapelle im neuen Jahr widmete sich in Gestalt der 4. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch existenzieller musikalischer Ausdruckskraft. Vorangestellt war das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky - ein hinlänglich bekanntes und geschätztes Repertoirestück, das aber in der Nachbarschaft zur sinfonischen Wucht nach der Pause kaum ins Erinnerungsgewicht fiel. Wohl aber bleibt die Interpretation im Gedächtnis, mit Vadim Repin stand ja immerhin ein russischer Teufelsgeiger zur Verfügung. Wer nun eine "authentische" Darstellung erwartete, durfte seinen Horizont erweitern, denn wer will den Anspruch erheben, das spezifisch russische Element der Musik eindeutig erfassen zu können?

Repin versuchte es mit makellosem Schmelz, der nur in der Exposition des 1. Satzes etwas lapidar und unauffällig wirkte. Dass Repin ein Meister von Virtuosität und Geschwindigkeit ist, weiß das Dresdner Publikum von seinen Gastspielen, allerdings sei die Frage erlaubt, ob die im Kopfsatz erfolgte Demonstration geflitzter Passagen wirklich adäquat ist; trotz vertracktem solistischen Part ist dieses Konzert bei weitem keine Konzertetüde. Man hechtete mit dem Hören hinterher und verstand überdies nicht, warum das Orchester unter der höchst detailgenauen Leitung von Vladimir Jurowski in der Partitur ganz andere Tempoauffassungen vorfand. So konnten sich die Ebenen zwischen Virtuosensport und empfundenem Ausdruck (die Canzonetta gelang wunderbar) vor allem im 3. Satz nicht immer einpendeln - der Eindruck blieb zwiespältig.

Nach der Pause füllte sich die Bühne - Dmitri Schostakowitschs 4. Sinfonie c-Moll verlangt nicht nur ein Riesenorchester, die 60-minütige Partitur reizt dynamische, harmonische und rhythmische Möglichkeiten bis ins Extrem aus und erschüttert auch ein dreiviertel Jahrhundert nach ihrer Vollendung noch durch ihre direkte Ansprache und einer Apotheose der Farben und Formen. Dass am Ende nach einer spannungsvollen Stille im Opernrund ein sichtlich mitgenommener Vladimir Jurowski einen wahren Beifallssturm entgegennehmen durfte, war Ausdruck einer exemplarischen, höchst intensiven Interpretation.

Ein überaus zwingend nach vorne gerichtetes Moderato bestimmte den ersten Satz, in dem Jurowski vor allem den Holzbläsern harsche Klangfarben zuordnete, die in jeder Brahms-Sinfonie zum Rauswurf führen würden. Doch eben diese Schärfe und Genauigkeit, dieser letzte Wille im Ausdruck war das Besondere dieser Interpretation. Dies manifestierte sich vor allem im höllenartigen Fugato, nach welchem der 1. Satz kaum beruhigt auspendelte. Jurowski wahrte auch im 2. Satz die Übersicht und legte dann das Finale als Kompendium aus Schostakowitschs Frühwerk an: Ballettklänge überschlugen sich mit anrollenden avantgardistischen Stürmen; immer wieder brachen sich solistische Stimmen Bahn, so etwa die ausgedehnten Monologe für Fagott und Posaune. In der Kapelle perfekt, musikalisch und musikantisch ausgeführt. Mit diesem Programm gastiert das Orchester in dieser Woche in Paris und Köln - in der derzeitigen Form und mit einem solch impulsiv-kompetenten Dirigenten am Pult wird sich das dortige Publikum auf herausragende Konzerte freuen dürfen.

Übrigens besorgte die Staatskapelle Dresden auch die deutsche Erstaufführung der 4. Sinfonie im Februar 1963, zwei Jahre nachdem das Stück in Russland durch das Engagement von Kyrill Kondraschin uraufgeführt wurde - Schostakowitsch selbst hatte das Werk 25 Jahre zurückgehalten und damit womöglich weitere Repressalien gegen ihn und seine Musik verhindert. In der Staatskapellen-Edition ist die Aufnahme des DDR-Rundfunks von 1963 unter Leitung von Kyrill Kondraschin wieder zugänglich geworden und stellt auch klangtechnisch eine höchst aufschlussreiche, wenn nicht gar authentische Dokumentation dar, denn Schostakowitsch vertraute Kondraschin, dieser wiederum hatte eine exzellente Beziehung zum Dresdner Orchester. Hörenswert.

Montag, 10. Januar 2011

CD-Tipp Januar: Mahler Herreweghe

In loser Form, mindestens jedoch einmal im Monat, stelle ich hier ein paar Neuerscheinungen vor, die mich bewegen. Das heißt, es wird sowohl Jubelstürme als auch Ärgerliches geben, ich hoffe allerdings, dass die positiven Anlässe überwiegen. Allerdings verliere ich nicht viele Worte - wer mich kennt, weiß um meinen Geschmack und meine Ansichten. Jedoch hoffe ich, dass auch aus den kurzen Zeilen vielleicht der eine oder andere einen Hörtipp mitnimmt oder sogar kommentieren mag.

Die CD des Monats Januar steht für mich bereits fest:


Philippe Herreweghe hat nicht nur ein neues Label gegründet (Gardiner und das LSO, auch der Bayrische Rundfunk haben es vorgemacht) - er widmet sich auch meines Wissens erstmalig in einer Produktion einer Mahlersinfonie (vom "Lied von der Erde" und den Liedern gibt es bereits Aufnahmen). Nun ist gerade diese Sinfonie sehr häufig auf dem Plattenmarkt vertreten, vermutlich weil sie auch in ihrer kantablen Faktur sehr zugänglich ist. Herreweghe aber schockiert in positiver Weise, weil er das Stück bis in die letzte Achtelnote ausmalt und durchinterpretiert. Und zwar in einer höchst frühlingshaft-pointillistischen Weise, die das Werk im Gesamt-OEuvre als unverhohlenen Lichtblick, als Sonnenaufriß zeigt. So musikantisch und tänzerisch leicht, so zwingend natürlich habe ich Mahler selten gehört. Dazu kommt Herreweghes intensiver Zugang zum Originalklang, ohne dogmatisches "Müssen" anzusetzen. Heraus kommt ein Orchesterklang von lauter völlig kammermusikalisch aufspielenden Solisten, die aber dennoch gemeinsam eine Linie gehen. Einziges Manko sind vielleicht die wenigen doch etwas zu weich angegangenen forte-Passagen und mit Rosemary Joshua als Solistin kann ich mich (noch) nicht hundertprozentig anfreunden. Auf jeden Fall, auch für Mahler-Neulinge höchst empfehlenswert.

Weitere neue CDs im Januar:
* Hilary Hahn spielt Tschaikowsky & Higdon (DGG) - siehe auch mein Preview
* Nils Mönkemeyer widmet sich barocker Musik auf "Folia" (Sony)
* das Collegium 1704, in Dresden wohlbekannt, produzierte auf einer Doppel-CD oratorische Werken von Jan Dismas Zelenka (accent)

Freitag, 7. Januar 2011

Howl - Das Geheul. Ein filmischer Versuch.

Das scheint ja ein üppiges Kinojahr zu werden - diesmal ging es allerdings auf eine schleppend-langweilige Reise in mir eher fremde Gefilde.

Bevor ich länger um den heißen Brei herumrede: es handelt sich um "Howl" der US-amerikanischen Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman. Es ist der Versuch, das Gedicht filmisch in einer Art Hommage widerzugeben. Ich wiederhole mich, aber ich habe mich bisher weder intensiv mit Ginsberg, Kerouac und der socalled Beat Generation beschäftigt noch würde mich das, was ich bisher gelesen und gehört habe, zu weiterer Beschäftigung hinreißen. Auf deutsch: es ist mir fremd, teilweise sogar trivial und uninteressant. Dieser Film, so hoffte ich, würde mein Bild etwas verändern und den Horizont erweitern.

Er tat es nicht und ich befürchte, Ginsberg-Lover sind die einzigen, die diesem Film sozusagen als spezielle Bauchpinselung ihres Idols einen Sonderplatz im DVD-Regal zuweisen werden. Filmisch jedenfalls pendelt das Machwerk zwischen einem peppig mit bunten Animationen aufgemotzten Literaturwissenschaftsseminar und einem Dokudrama mit drittklassigen Schauspielern, dabei schleicht sich sogar die Vermutung ein, der Wechsel und die Länge der einzelnen Szenen wurden bewusst gleich lang gestaltet, um den Zuschauer auch ja nicht von der Größe des Gedichtes abzulenken, leider entsteht dabei eine innere Kapitellastigkeit, die schon fast bürokratisch wirkt.

Die Interviewszenen wiederum zeigen nicht einen genialen Dichter, sondern allerhöchstens einen stinknormal vor sich hin palavernden Raucher und Mitmenschen ...so what? Wozu denn dieses - fiktive? - Sofagelaber über den "richtigen Moment, ein Gedicht zu schreiben" und die Analyse der Freude beim Analsex, während sich der Ginsberg-Schauspieler (mehr ist er wirklich nicht) gerade in der Küche einen Tee aufgießt.

Nach der vierten steifen Gerichtsszene und dem slamartig rezitierten Schluss des Gedichtes zweifelt man, ob nun wirklich Schluss ist. Und siehe: es erscheint der fixe Biographie-Abgesang, um wieder in die nüchterne Welt zurückzufinden (denn auch Beatniks sterben friedlich), und Abspann. What a jazz.

[Vielleicht doch besser --lesen--, hier im Original als txt (danke an kleefunkelchen!)

Kurzes Interview mit rundum begeisterten Regisseuren:


Rezensionen:
* Die ZEIT: Die flammende Schrift
* FAZ: Versandeter Schrei
* Tagesspiegel: Prosa statt Poesie

Sonntag, 2. Januar 2011

Stephen Frears - Immer Drama um Tamara

Bereits am zweiten Tag des neuen Jahres habe ich den ersten Film des Jahres konsumiert - nein, falsch - genossen. Wobei ich bei der Übersicht über das Kinoprogramm schon dachte: lass es besser. Aber dann habe ich mich doch für Stephen Frears neues Opus entschieden, weil ich dachte, dieser Mann kann einfach keinen schlechten Film machen. Richtig geschätzt. Schon seit dem Wunderbaren Waschsalon war klar, dass dieser Mann ein Gespür hat für die feinen, bedeutsamen und doch uns allen so bekannten Situationen zwischen Menschen. Die er mit Genuss und Humor inszeniert. "Immer Drama um Tamara", ja, welcher (sorry) Idiot kommt denn auf so einen blödsinnigen deutschen Titel? Im Original heißt der Film schlicht (Vorname/Nachname) "Tamara Drewe", basierend auf dem gleichnamigen, in England sehr populären Comic von Posy Simmonds (hier ein kleiner Ausschnitt). Hoffentlich zahlt der Übersetzer die Einspielverluste aus der eigenen Tasche...
Zunächst könnte man Angst bekommen, wenn man sich den Plot von "Immer Drama um Tamara" durchliest: südenglisches Landleben mit Schriftstellern, Kühen und einigen einfliegenden Paradiesvögeln samt erotischer Verdrehung in Form von Gemma Arterton. Doch der Film geht gut, mehr noch, er ist höchst unterhaltsam und steuert auf einen völlig abgedrehten Showdown zu, an dem auch zwei Teenager (glänzend: Jessica Barden und Charlotte Christie) nicht unschuldig sind. Wie stets bei Frears weiß man nicht, ob er nach dem nächsten Schnitt "ernst" macht oder die Geschichte völlig ins Absurde abdriftet. Da beides im stetigen Wechsel den ganzen Film über passiert, kommt man kaum zum Luftholen und freut sich über die detailliert gezeichneten Charaktere vom intellektuellen Schriftsteller in der Sommerfrische bis hin zur Dorf-Bardame, die weitaus mehr Weisheit aufweist als mancher Schreiberling auf der Farm. Einziger Schwachpunkt des Films: Boxer würden niemals Kühe jagen. Sondern sich davor hinsetzen und die Ohren anlegen. Maximal.
Website des Films: Tamara Drewe - deutsche Website

Da ich mir den Film ohnehin noch einmal in OmU anschauen werde, gibt es auch den Trailer auf englisch:



Reviews:
* The Guardian
* Die ZEIT
* FAZ.net

Museen in Dresden - Service: offline.

Die erste investigativ erarbeitete Neuigkeit des Jahres 2011 ist die, dass ich meinem Begehren nach einer Jahreskarte für die städtischen Museen nicht nachkommen kann. Zumindest nicht online.
Für die Museen hat sich die Stadt eine schöne Website bauen lassen, die offenbar aus der Städtischen Galerie heraus betreut wird: Museen-Dresden.de. Dort findet man aber ebensowenig einen Hinweis auf eine Jahreskarte wie auf den Kultur-Seiten der Stadt Dresden selbst. Auf Museen-Dresden.de fehlt zudem das Kunsthaus Dresden, wieso dort auch nicht das Hygienemuseum vertreten ist will sich mir auch nicht erschließen. Dresden.de wartet wiederum für auswärtige Besucher mit einer Fehlerseite auf, wenn man das Angebot für die Museen über Dresden-Cards nutzen will. Nicht gerade sehr touristenfreundlich.
Landet man dann doch mal über einige Klicks etwa beim Leonhardi-Museum, fällt einem glatt die Kinnlade runter, wie guter Service aussehen kann, wenn das betreffende Museum das selbst in die Hand nimmt: Service-Seite des Leonhardi-Museums. Und dort liest man dann nicht nur staunend, dass es eben diese Jahreskarte gibt, sondern auch, dass Freitags ab um 12 überall kostenloser Eintritt ist. Tolle Sache, nur weiß keiner davon...

Die Staatlichen Kunstsammlungen gehen da mit gutem Beispiel voran, dort darf man den bekannten online-Einkaufswagen mit der Jahreskarte zur Kasse schieben.

Post an die Stadt Dresden ist jedenfalls bereits verschickt. Fortsetzung folgt.
EDIT: museen-dresden.de hat mir eine nette Mail geschickt und auf der Website die Jahreskarte ergänzt.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

Zum neuen Jahr

Dies wird wohl der letzte Eintrag hier sein und ich widme ihm dem Jubilar des kommenden Jahres - Allan Pettersson, der am 19. September 100 geworden wäre. Hier ein kleiner Film des Gehrman-Verlages, weitere Informationen zu Pettersson auf Pettersson100.de



Konzerte mit Werken von Allan Pettersson im Jahr 2011 (Stand 29.12.2010)

20. Januar, 18 Uhr, Stockholm, Berwaldhallen, 8 Barfußlieder
Radiokören, Peter Dijkstra
https://berwaldhallen.ebiljett.nu/Home/tickets/85/False

5. Februar, 15 Uhr, Malmö, Malmö Concert Hall, 7. Sinfonie
Sinfonieorchester der Hochschule für Musik, Charles Hazlewood

7. April, 19 Uhr, Norrköping, Geerhallen, 7. Sinfonie
Norrköpings Symfoniorkester, Stefan Solyom

7. und 8. April, Stockholm, Berwaldhallen, Mesto aus dem 3. Streicherkonzert,
Schwedisches Radiosinfonieorchester, Daniel Harding

22. April, Berlin, 19 Uhr, Gethsemanekirche Stargarder Str. 77, Vox Humana
Sing-Akademie zu Berlin

11. Mai (19.30) und 12. Mai (18 Uhr), Stockholm, Konserthuset, 7. Sinfonie
Stockholmer Philharmoniker, Leif Segerstam

26. und 28. Mai, Stockholm, Konserthuset, Barfußlieder (Orch.Fass.)
Stockholmer Philharmoniker, Anders Larsson (Bariton), Sakari Oramo

18. und 19. September, Oldenburg, Staatstheater, 7. Sinfonie
Staatsorchester Oldenburg, Peter Ruzicka

Montag, 27. Dezember 2010

Wichtelbericht :)

Nun also auch hier mein leicht verspäteter Wichtelbericht vom Chitime-Wichteln:
Am 24. früh hatte ich also gleich was zum Auspacken und war sehr gespannt, habe ja schon über das Paket berichtet. Nach dem Öffnen gab es viel zum Staunen: was zum Naschen, die Weihnachtsgeschichte auf CD und einen Tannenbaum zum Anklammern, der Würfel mit Fähnchen ist eine tolle selbstgemachte Trinkschokolade (wird übrigens gleich vernichtet!)


Aber das tollste war im großen Päckchen verborgen, nämlich ein kombiniertes Musik- und Kochbuch: "Geniessen mit Johann & Johann Strauss" - jede Menge Wissenswertes über den Walzerkönig, die Monarchie, das alte Wien und dazu 60 wunderbare Rezepte. Und das einem der noch nie in Wien war...



Also vielen lieben Dank an meine Wichtelin in den Nordwesten Deutschlands, das war ein Volltreffer!

p.s. EINEN Leser dieses Blogs wird das Buch ganz sicher auch interessieren und vermutlich auch die Ergebnisse, die ich beim Brutzeln der Wiener Köstlichkeiten erzielen werde....

p.p.s. jetzt warte ich nur noch auf den Wichtelbericht meines zu-bewichtelnden Blogs...bin ja gespannt

Dienstag, 21. Dezember 2010

Weihnachtsbaum

Da ich kaum mehr zum Bloggen komme vor Weihnachten, überlasse ich es zwei wunderbaren Musikern, Euch frohe Weihnachten zu wünschen.



(via Neustadt-Geflüster

Montag, 20. Dezember 2010

Tom Tykwer - DREI

Liebe Leute, vergesst mal den ganzen Adventsramsch, Disney und Harry Potter. Man kann auch am 23.12. noch einen guten Film sehen, und das ist auch das Premierendatum für den neuen Film von Tom Tykwer, DREI. Der Name ist Programm bei dem Film, bei dem man nicht eine Minute lang an öselige Beziehungskomödien denken muss, weil Tykwer es schafft uns die Wirklichkeit eines ganz normalen Lebens uns so um die Ohren zu hauen, dass wir am Ende baff ob solch filmischer Gestaltungskunst im Sessel ruhen. Dabei gelingt Tykwer gar nicht mal der "perfekte" Film, im Gegenteil, hier sind Ecken und Kanten drin und er selbst sagte bei der Premiere (am Sonntag im Programmkino Ost, schön, dass er da war!), es sind Kniffe darin, "für sowas wird man normalerweise von der Filmhochschule geschmissen, weils angeblich nicht funktioniert". Tut es doch, und so freut man sich über fantastische Schnitte, über die grandiosen Schauspieler Sophie Rois, Sebastian Schipper und Devid Striesow und eine Geschichte, die so gefühlvoll und ehrlich erzählt ist, dass man es mit dem eigenen Leben im Nacken stellenweise mit der Angst zu tun bekommt: DAS hat jeder von uns schonmal erlebt. Die Handlung nachzuerzählen erübrigt sich hier: man nehme ein Paar, das seit 20 Jahren zusammenlebt - "der Mensch strebt lebenslang nach Erneuerung." - Bei diesem Urinstinkt setzt der Film an und entwickelt einen fabelhaften Spannungsbogen in allen drei Charakteren: genau das kleine, unglaubliche, fiese, liebevolle, schmerzende oder himmelhochjauchzende, von diesen Gefühlen erzählt Tykwers Film. Nein, eigentlich alle seine Filme. Und das macht ihn so stark. Und irgendwo isser auch immer noch der sympathische Junge ausm Tal. Genug gejubelt - Kinokarte kaufen oder verschenken und rein da.



Rezensionen:
* Frankfurter Rundschau: Das Wunder von Berlin
* Interview mit Tykwer in der Märkischen Allgemeinen
* Kino-Zeit.de

Wichtelgeschenk ist da!

Heute ist mein Wichtelgeschenk vom Chitime-Wichtelnangekommen, wo ich (meine ich) schon zum dritten Mal dabei bin *kopfkratz* - Jedenfalls hier auch mal danke an Chikatze und sluff fürs Organisieren, das ist immer ne schöne Überraschung zur Weihnachtszeit und neue Blogs lernt man so auch kennen.



Da liegt es nun und darf noch drei Tage angeguckt werden, was nicht weiter schwer ist, da ich eh kaum zu Hause bin. Vermutlich wird der Auspackbericht erst nach dem Weihnachtswochenende geschehen, denn ich werde garantiert nicht den Heiligabend am PC verbringen, ich bitte um allgemeines Verständnis. Wer sich die Wartezeit aufs Christkind hier verkürzen will, darf sich hier gerne durch die Rezensionen der vergangenen Jahre schmökern... ;)

Montag, 13. Dezember 2010

Sachsen einig Bloggerland

Das Barnim-Blog hat das sächsische Web (auch Indóórnätt genannt) durchforstet und festgestellt, dass hier eine beachtliche Blog-Landschaft blüht. Und siehe da, unter Gulduur ist auch das mehrlicht-Blog erwähnt. Danke dafür. Und wer heute noch nix zu lesen hat, darf sich mal bitte durchklicken, bitteschön: ganz viele hundert tolle schöne Blogs. Übrigens sollte man sich den Link ohnehin bookmarken, denn die Blogs sind nach Themen sortiert, praktisch also, wenn man mal was beim Blognachbarn sucht.
Schönen Restmontag noch.

(via Stephan)

p.s. der Saggse an sich is ja eh ordentlischer Mensch und hat daher längst sortiert: hier sind die Dresdner Blogs auf dem Blechkopp-Blog :)

Freitag, 10. Dezember 2010

...mit eigenen Augen das Wunderbare sehen

Ehrenprofessur und ein kleines Festival für Helmut Lachenmann an der Musikhochschule

Während andernorts adventliche Klänge das hektische Vorweihnachtstreiben bestimmen, setzte die Hochschule für Musik Dresden um den zweiten Advent herum einen deutlichen Akzent auf die zeitgenössische Musik. Für Helmut Lachenmann, eine der prägendsten und faszinierendsten Stimmen der Musik der Gegenwart wurde zum 75. Geburtstag ein kleines Festival initiiert, das in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Künste und der Dresdner Philharmonie unter Regie des "KlangNetz Dresden" stattfand.

Lachenmann ist seit Jahren der Hochschule freundschaftlich verbunden, erst im letzten Jahr führte der Dresdner Kammerchor seine "Consolation II" im Konzertsaal der Hochschule auf. Jetzt waren es gleich drei Konzerte, eine Filmvorführung, und vor allem die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Musikhochschule, die Lachenmann am vergangenen Freitag entgegennahm - die Laudatio hielt der ehemalige Bundesminister Dr. Gerhart Baum. Der Gabentisch zum 75. hielt reichlich Musik bereit und die Programme beleuchteten den Komponisten vor allem im Kontext von Schülern, Weggefährten oder auch einfach mit Musik, die in einer erhellenden Weise Lachenmanns Denken und Wirken nahesteht.

Das Ensemble Courage präsentierte unter Leitung von Titus Engel ein Doppelporträt von Mark Andre und Helmut Lachenmann, in dem die im Klang forschende Arbeit von Schüler und Lehrer zu Tage trat. Schwerpunkt im Festival war der vokale Aspekt, die Nutzung von Sprache als autarkes Instrument oder als Auslöser von ganzen Klanglandschaften. Eine Uraufführung von Robin Hoffmann beleuchtete das Thema Zauberei und Illusion, im Konzert des KlangNetz-Ensembles am Dienstag war es die 5. Sinfonie von Galina Ustwolskaja (Solist Olaf Bär), die in eindringlicher Weise "Pression" (Solist am Cello: Wolfgang Lessing) und "...Zwei Gefühle..." von Helmut Lachenmann einrahmte.

Eine schöne Erfahrung war es auch, den Meister einmal selbst als Interpreten zu erleben. Im "Kinderspiel" für Klavier lud Lachenmann zu einer fast heiteren Klangwanderung auf den Tasten ein, während er als Sprecher in "...Zwei Gefühle..." gemeinsam mit dem Ensemble unter Leitung von Lennart Dohms eine intensive Reise auf den Grund vielfältiger Klangerzeugung unternahm. Anton Weberns Konzert Opus 24, ein Schlüsselwerk der zeitgenössischen Musik, sowie eine Miniatur von Yuval Shaked ergänzten das Programm sinnfällig. Wer Helmut Lachenmanns auf dem Podium geäußerter "Einladung zum Hineinhören" gefolgt war, stellte bei diesem ehrgeizigen Projekt fest, dass der Eintritt in die Welt des Komponisten wie von Leonardo da Vinci beschrieben geschehen kann: "...mit eigenen Augen zu sehen, was darin an Wunderbarem sein möchte."

Diese offene Neugier aufzubringen kann für Interpreten und Zuhörer höchst gewinnbringend sein. Dringt man etwa in "Pression" ins Innere der Musik vor, erschließt sich schnell das Neue und Schöne, das den Geist wachhält. Zu entdecken gibt es in dem großen OEuvre von Lachenmann also noch vieles. Und für weitere willkommene Entdeckungen in Dresden ist dem Professor honores causa ungetrübte Schaffenskraft zu wünschen.

Flackernde Energieblöcke

Opernpremiere "Der Tod und das Mädchen" von Alfons Karl Zwicker in Hellerau

Eigentlich ist es unmöglich. Wie soll man dem Leid und dem Trauma von Folteropfern, der Gegenüberstellung mit den Tätern eine adäquate Darstellung geben? In Franz Schuberts Lied ist es "nur" der Tod, der vorübergehen soll, doch die Schändungen des Doktor Miranda, Folterarzt in einem diktatorischen Land wiegen schwerer: sie zerstören ein Menschenleben, das sich fortan unter dem Leid windet - der Moment des Aufeinandertreffens mit dem Täter ist schon in der Vorstellung kaum aushaltbar, noch bevor Fragen von Schuld und Reue entstehen. Berühmt ist das gleichnamige Theaterstück von Ariel Dorfman, beklemmend der Film von Roman Polanski, nun hat das Europäische Zentrum der Künste Hellerau hat am Donnerstagabend in Kooperation mit dem MDR eine Oper uraufgeführt, die eine ungewöhnlich lange Entstehungszeit hatte: fast seit zehn Jahren ist der Schweizer Komponist Alfons Karl Zwicker (*1952) mit dem Stoff beschäftigt, eine Uraufführung in Leipzig 2006 scheiterte.

In Hellerau erklang das Werk trotz witterungsbedingter Widrigkeiten (die MDR-Ensembles saßen zweimal auf der Autobahn im Schnee fest, Proben wurden hinfällig) in einer kaum die Schwierigkeiten ahnen lassenden Konzentration und Professionalität. Hauptverantwortlich für die Souveranität auf und hinter der Bühne ist Regisseurin Annette Jahns, die die Personen behutsam führte und so den Charakter des Kammerspiels auf der Bühne bewahrte. Wenige Gesten genügen da, und gerade die klar gespielten Haltungen und Bewegungen der Personen sprechen ganze abgrundtiefe Geschichten. Die Farbe Weiß bestimmt alles Visuelle auf der Bühne und wandelt sich von der Unschuldsfarbe hin zur klinisch-kalten Farbe des Grauens. Stark sind auch die Videozuspielungen (Markus Glandt/Benjamin Schindler), die in untere Ebenen des Bewusstsein führen oder irritierend die komplette Bühne in einen schwankenden Angst-Raum verwandeln.

Völlig konträr zu diesem Stückverständnis verhält sich die Musik: Komponist Zwicker fährt ein riesiges Orchester auf und verirrt sich mit abstraktem Konstruktivismus in einer gigantischen musikalischen Parallelwelt, zu der nur er Zugang hat - den Zuhörer erreicht dieses Chaos höherer Ordnung nicht. Was Zwicker als "unverwechselbares Klanggefüge" bezeichnet, ist ein blutleerer, über 130 Minuten zerrissen und zerklüftet wirkender Kosmos, in der man den sechs Schlagzeugern nach vier Szenen zurufen möchte, sie sollen endlich die Finger ruhen lassen. Zwicker scheitert am eigenen Anspruch der Musik, am Umgang mit Proportionen, Wahrnehmungen und Wirkungen - obwohl die erste Szene ansatzweise so etwas wie eine emotionale Introduktion versucht. Der Hagener GMD Florian Ludwig und das MDR-Sinfonieorchester versuchen dennoch, dem kleinsten angerissenen Klangfragment Leben einzuhauchen. Akustisch ist die Grabensituation in Hellerau noch nicht befriedigend, von den Streichern bekam man zu wenig mit, vom Schlagzeug viel zu viel. Die vokale Ebene behandelt der Komponist kaum sensibler: Die drei Solisten Frances Pappas (Paulina), Uwe Eikötter (Miranda) und Andreas Scheibner (Gerardo) schlagen sich höchst respektabel durch einen konsequent durchgehaltenen, für die Zuhörer kaum über längere Zeit ertragbaren syllabisch-rezitativischen Stil. Mehr als Hochleistungssport kommt dabei nicht heraus, denn die Momente charaktervoller vokaler Ausgestaltung der Szenen sind rar.

Ausgerechnet in einer dem Drama angehängten Prozess-Chorszene (stimmgabelbewaffnet und vokalstark: der MDR-Rundfunkchor) wird Zwickers Musik dann doch noch stark: in der Konzentration auf die chorische Klangfarbe flackern plötzlich Energieblöcke, doch hier ausgerechnet kippt das Libretto von Daniel Fuchs, das bisher dem Handlungsablauf brav gefolgt war und formuliert ein fragwürdiges Finale: statt mit dem inneren Zweifel "Glaubt ihnen nicht" zu enden, proklamiert Fuchs die Einreißung der Theater. Dass Sekunden nach dem freundlichen Premierenapplaus im Nebensaal zu aufgehängten Kreuzen und DJ-Musik gefeiert wird, gibt der Aufführung einen letzten, unangenehmen Nachgeschmack.

Erfolg wird dem Stück nicht beschieden sein, dafür fehlt eine Einheit und Tragfähigkeit von Stoff, Szene und Musik, die verantwortlich für die Erreichbarkeit der Zuschauer ist. Die exorbitante Höranstrengung, der sich das Publikum hier unterziehen muss, verhindert die offene Auseinandersetzung mit dem doch so wichtigen Stoff, statt sie zu befördern.

Gelungenes Debüt

James Gaffigan dirigierte den 1. Aufführungsabend der Staatskapelle

In den Aufführungsabenden der Sächsischen Staatskapelle darf man sich auch in dieser Saison auf junge Talente am Dirigentenpult freuen. Weitere Merkmale dieser Reihe sind eine Programmgestaltung, die oft kleiner besetzte Entdeckungen am Rande des sinfonischen Repertoires ermöglicht sowie natürlich die Begegnung mit exquisiten Solisten. All dies kam auch im 1. Aufführungsabend am Mittwoch zusammen.

Bereits im ersten Werk des Konzertes, der "Preciosa"-Ouvertüre von Carl Maria von Weber teilte sich die besondere Atmosphäre mit: da alle Musiker vor dem Schmuckvorhang musizieren, entsteht der Eindruck eines intensiven Miteinanders, wie es in der Kammermusik üblich ist. Die Musik steht im Mittelpunkt, und solchermaßen durfte sich das vom Schneegestöber kaum abgehaltene Publikum eben schon über eine Ouvertüre freuen, die sorgfältig vorbereitet dargeboten wurde. Unter der Leitung des 31jährigen Amerikaners James Gaffigan, gerade zum Chef beim Luzerner Sinfonieorchester berufen, entfaltete sich schnell der bekannte Weber-Klang, locker und mit Noblesse gesellte sich Schlagwerk hinzu.

Der besonders schöne Klang des Horns von Robert Langbein, seit fünf Jahren Solohornist der Kapelle, dürfte den Zuhörern schon in vielen Konzerten und Opernabenden aufgefallen sein. Nun stellte Langbein ein Solokonzert vor, dass in mehrfacher Hinsicht zum Höhepunkt des Konzertes geriet. Nicht nur ist das Hornkonzert des Schweden Kurt Atterberg (1887-1974) ein in der Instrumentation (Klavier, Schlagzeug, Streicher) besonders außergewöhnliches Exempel seiner Gattung. Es ist auch für den Solisten recht dankbar, kann er doch von der saftigen Fanfare bis hin zu quasi unendlich scheinenden Bögen im Adagio seine ganze Kunst zeigen. Langbein schaltete mühelos zwischen diesen Polen hin und her und hatte Mut zu einem sehr leisen, immer tragenden piano, was vom Orchester aufmerksam aufgenommen wurde. Der spätromantische, leicht impressionistische Charakter wurde sehr gut getroffen - Gaffigan und Langbein gingen den feurigen letzten Satz rasant an, behielten aber immer eine federne Leichtigkeit bei.

Das galt auch für das sinfonische Schlussstück, das passenderweise gleich mit einem Hornmotiv startete - Johannes Brahms' früh entstandene Serenade Opus 11 wirkte in der etwas kleineren Streicherbesetzung sogar ansprechend kernig, einzig das Adagio konnte trotz schönstem Cantabile der einzelnen Musiker seine himmlischen Längen nicht ablegen. Viele Facetten des Werkes legte Gaffigan im großformatigen Kopfsatz, im fast mozartesken Menuett und dem impulsiv musizierten Finale bloß, dafür verdiente er sich einen überaus starken Applaus: Debüt gelungen!

Ostern im Advent

Festkonzerte mit der Staatskapelle in der Frauenkirche als medialer Doppelpack

Das Adventskonzert in der Frauenkirche gibt es schon seit zehn Jahren, das erste Konzert fand noch auf der Baustelle statt. Mittlerweile aber drängt der Musikmarkt heftigst in die kleine Goldgrube Frauenkirche und die Kameras und Scheinwerfer über den Köpfen sind längst ein gewohntes Bild geworden. Vielleicht ist die Zeit der Besinnlichkeit auch wie geschaffen dafür, einmal über den Sinn solcher Entwicklungen nachzudenken.

In diesem Jahr jedenfalls schlug das Adventskonzert einige Kapriolen. Denn das das ZDF zeichnete am Sonnabend direkt im Anschluss gleich ein Passionskonzert auf, was die TV-Mitarbeiter zu der absurden Ansage verleitete, man solle doch bitte in der Kirche Schals und Wintermantel ablegen, es sei schließlich Frühling. Das erste Konzert hatte zudem Starsopranistin Anna Netrebko aus künstlerischen Gründen abgesagt. Dem mit der Einspringerin, der Sopranistin Mojca Erdmann besänftigten Publikum musste das ZDF dann zur Begrüßung in der Frauenkirche recht spontan beibringen, dass diese sich am Vorabend krankgemeldet hatte. Erst wenige Stunden vor dem Konzert wurde rettender Ersatz gefunden: Carolina Ullrich, seit dieser Spielzeit Mitglied im Ensemble der Semperoper, sagte zu und sang das Programm ohne Änderungen. Die souveräne Darbietung der aus Chile stammenden 28jährigen Sopranistin nötigt allerhöchsten Respekt ab. Mozart und Händel gestaltete sie mit höchst geschmeidiger Stimmführung - ihre "Rejoice"-Arie war in dieser natürlichen Fröhlichkeit ein schönes Erlebnis.

Ostern und Weihnachten fielen also dank Sony und dem ZDF auf einen Tag. An diesem Punkt darf man einmal kräftig die Kantoreien und Kirchgemeinden in Sachsen loben, die sich Jahr für Jahr bemühen, dem Kirchenjahr die jeweils passende Musik zu verleihen, die dann mit reichlich Herz aufgeführt wird. Das mag man zwar den hochkarätigen Interpreten in der Frauenkirche nicht gänzlich in Abrede stellen, doch der Wille zum Tiefgang darf angesichts der Schnipsel-Klassik, bei der unwidersprochen Praetorius' "Morgenstern" neben einem winzigen Satz aus Tschaikowskys Nussknacker-Ballett platziert wurde, zumindest bezweifelt werden. Eine technische Panne (der Beweis des menschlichen Versagens war notwendig, um das dräuende Bild eines völlig erkalteten Produktionsablaufs zu durchbrechen) sorgte für die doppelte Darbietung eines Hammerschmidt-Liedes durch den Frauenkirchen-Kammerchor unter Matthias Grünert, der die "echten" Adventslieder (es hätten gerne mehr sein können) von der Empore musizierte.

Der Italiener Vittorio Grigolo war als neuer Stern am Tenorhimmel bereits im Vorfeld gepriesen worden. Das stimmliche Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden, doch Schmachtfetzen wie "Panis Angelicus" und "Ave Maria" sind eigentlich kaum dazu geeignet, die Interpretationsfähigkeiten eines jungen Talentes zu beschreiben. Man wird auf jedem Fall viel von ihm hören. Entdeckung im Programm war das kleine "Te Deum" von Joseph Haydn. Es hatte zwar auch nichts mit Advent zu tun, aber die Staatskapelle und der Staatsopernchor zeigten sich hier wohl am souveränsten, weil hier doch mehr als drei Minuten zusammenhängende Musik zu bewältigen waren, deren innerer Reiz von Dirigent Bertrand de Billy, der übrigens beide Konzerte als Debut bei der Kapelle mit gelassener Übersicht leitete, auch gut herausgearbeitet wurde.

Nach rund einer Stunde war die Festlichkeit vorbei, fernsehgerecht anständiger Applaus ward gegeben, die Kerzen verschwanden, der Stern wurde abgehangen, und fertig war die Passionsatmosphäre. Das Ballett der Kameramänner gab es auch hier inklusive, die Musikschnipsel ebenso. Diesmal mussten Haydn und Bach als Füllstoff herhalten: Von den "Sieben letzten Worten des Erlösers am Kreuze" reichte eines, und mit "Erbarme Dich" hatte man auch Johann Sebastian Bach zur Genüge getan, schließlich stand das Pergolesi-Stabat Mater als Sängerfest im Mittelpunkt.

Anna Netrebko und Marianna Pizzolato fanden hier wirklich zu empfundener, manchmal etwas zu dramatisch-opernhafter Darstellung, die aber noch im angemessenen Rahmen verblieb. Insbesondere Netrebkos "Vidit suum" war von intensiver Schönheit, ein "Paradisi Gloria" verschmolz zwischen beiden Stimmen in wunderbarer Weise, bevor Netrebko das Amen forsch und selbstbewusst ansetzte. Insgesamt war die Interpretation von de Billy recht flott angesetzt, ein intimer Charakter wollte sich jedoch auch durch den von der Kapelle nicht vollends abgelegten romantischen Klangansatz nicht einstellen. Die Geschichte der Staatskapelle reicht weit ins barocke Zeitalter zurück, die Spezialisten für diese Musik sitzen auch heute mitten im Orchester. Dennoch wurde hier in beiden Konzerten ein butterweich-sämiger Grundklang von Vivaldi bis zu Haydn produziert, den man vor allem im bei Bach heute nur noch als kontraproduktiv zur komponierten Botschaft empfinden kann. Eine eindeutige Positionierung in dieser Hinsicht dürfte weitaus bedeutsamer wirken als der flüchtige Glamour der Mattscheibe und so auch nicht diese musikalisch zweifelhaften Ergebnisse erzeugen.

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Adventskalender

Pünktlich zum 1. Dezember gibt es natürlich hier wieder die Adventskalenderschau und wie jedes Jahr konzentriere ich mich auf die Kalenderchen, die mit Reisen oder Musik zu tun haben, nebst einigen Querschlägern. Es scheint mir, dass die Erstellung der Links in diesem Jahr gar nicht so schwierig ist, denn im Facebook und Twitter-Land rieselt heute der Hashtag #Adventskalender nur so durch. Allerdings kann ich mit 24 CSS-Tipps ebensowenig anfangen wie mit Adventure-Forengeschichten. Also hier meine völlig subjektive Liste:

* bei Artill gibt es Grafik, Kunst und manche Überraschung im Blog
* der Sender detektor.fm aus Leipzig hat natürlich was für die Ohren
* per facebook gehts natürlich auch: das Gewandhaus verlost einige Schmankerl auf dem Adventskalender-Reiter seiner facebook-Seite
* der Klassikversandhandel jpc.de hat 24 geheimnisvolle Türchen
* und der Kalender von crescendo wartet ebenfalls mit tollen Gewinnen auf, wenn man die Fragen beantworten kann.
* das Nachrichtenportal der westen wartet mit seinem beliebten Kalender auf
* einen Bad-Link gibt es auch, denn sollte Die Welt dieses Jahr auch einen Kalender haben, darf sie mir den Link selbst verraten, ich weigere mich auf der überfrachteten Hauptseite samt Werbepopups und Blinkerkram danach zu suchen.

Mit Fliegen und Reisen siehts eher wieder dürftig aus:
L'Tur und tuifly bieten wohl dieses Jahr keinen Kalender an, wohl aber
* Germanwings (Tickets) und
* Air Berlin (2 für 1, Rabatte)

so. Wer noch weitere Türchen gefunden hat, bitte melden :) Und Schokolade gibts natürlich nur im nichtvirtuellen Kalender, daher bin ich jetzt offline.

p.s. wer noch immer nicht genug hat --> *KLICK*

Donnerstag, 25. November 2010

LÖMUWEIKA

Tja, hinter diesem kryptischen Wort verbirgt sich etwas, das noch gerade im Entstehen ist, aber in der Adventszeit dann sehr tönend zu Tage kommt: der LÖbtauer MUsikalische WEIhnachts KAlender. Darüber habe ich ja schon im letzten Jahr berichtet. Funktionieren wird der Löbtauer Kalender ähnlich wie der früher in der Neustadt, aber lebendig wird er nur, wenn viele mitmachen, also hier mein
*** AUFRUF *** an alle, die singen, Instrumente spielen oder eine Band im Keller haben. Selber organisieren ist die Devise, daher ist der LÖMUWEIKA auch mit einem Blog und einem Wiki im Netz präsent - organisiert Euch also, schaut nach einer Location (Tipps auch im Wiki) tragt Euch auf dem Wiki mit Eurem musikalischen Beitrag ein und dann freuen sich (nicht nur) alle Löbtauer :)

Link zum Blog: LöMuWeiKa-Blog

und bitte weitersagen! :) - Schöne Adventszeit!

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