Donnerstag, 18. November 2010

Da waren sie wieder...

...die Filme, über die ich schreiben wollte. Und die ich dennoch aus Zeitmangel hier nur kurz erwähne:
- Im Oktober werden Wunder wahr, ich kann es nur bestätigen, eine Filmperle, reduziert, geschlossen, mit ganz eigener Dramaturgie und Atmosphäre.
- Eat Pray Love - wohl eher ein Film für die Leute, die das Buch kennen. Aber ich habe mich lange nicht mehr so gelangweilt. Der Film zieht sich wie Kaugummi, Julia Roberts spielt gut, aber reißt die elende Story auch nicht raus, die sich teilweise ausnimmt wie eine Urlaubs-DVD von TUI. Schade, dabei sind es so wichtige Themen - vor allem das Essen ;)

Einblick in die Szene

"Erste Anhörung" junger Komponisten an der Musikhochschule

Auf dem Reißbrett junger Komponisten entsteht zur Zeit die Musik der Zukunft. Obwohl es im ganzen Land Festivals und Aufführungsmöglichkeiten für die zeitgenössische Musik unserer Tage gibt, sollten wir uns bewusst sein, dass wir doch nur einen Bruchteil der Kunstwerke wirklich zu Gehör bekommen. Denn nicht immer findet sich ein geeigneter Interpret oder ein passender Konzertrahmen. Die Kompositionsstudenten an den Hochschulen haben da eher leichtes Spiel, denn ein Kommilitone, der die frische Tinte in Noten umsetzt, findet sich schnell. Was aber tun mit einem großen Orchester oder Ensemblewerk? Auch dies will gehört und geprüft werden.

In dieser Hinsicht hat die Dresdner Musikhochschule immer große Bemühungen unternommen, sei es mit den Orchestern in Pirna und Riesa oder wie jetzt mit der Dresdner Philharmonie. Die "Erste Anhörung" von Orchesterwerken junger Komponisten, die nun schon zum dritten Mal stattfand, ist auch ein Spross des KlangNetz Dresden, das damit seinen Vermittlungsgedanken und die Unterstützung neuer, junger Stimmen in der Komponistenlandschaft in den Vordergrund rückt.

Im Konzertsaal in der Schützengasse standen am Dienstag zwei Kompositionen auf dem Programm, die am selben Tag im Dialog mit den Komponisten einstudiert wurden. Es war ein erfreulicher Zufall, dass sich die Stücke in ihrer Ästhetik fast diametral verhielten und somit zu reichlich Auseinandersetzung einluden. Richard Röbel (Student bei Mark Andre) stellte ein Stück namens "Orca - Arco" für Solostreicher und Saiteninstrumente vor, wobei die vier durcheinandergewirbelten Buchstaben des Titels für die Arbeit mit unkalkulierbaren Prozessen stehen. Röbel versuchte durch (nur augenscheinlich) neue Beschäftigung mit Klangerzeugung die Identität jedes Instrumentes zu erkunden. Dass keine Geige wie eine andere klingt, wäre jedoch schneller zu beweisen gewesen - Röbels stark differenzierte Klänge führten in der Masse zur Reizüberflutung und Zerfaserung des Eindrucks. Das Unkalkulierbare darin erzeugt eine Verwischung des Ergebnisses - Musikern wie Zuhörern mag dieses ungefähre Erleben unangenehm erscheinen. "Bekanntes, was unbekannt ist" sollte aber auch in der Wirkung gut geplant werden. Trotzdem waren gerade in Momenten des Zusammenspiels der Streicher mit Harfe, Klavier und Cembalo reizvolle Frequenzüberlagerungen zu entdecken.

Theodor Schubach, ein Schüler von Wilfried Krätzschmar, Jörg Herchet, Mark Andre und nun Clemens Gadenstätter in Graz stellte dann mit "Resonanzen // Aurora" für Orchester und Stimme ein ungemein spannendes Klanggemälde auf Fragment-Texte von Silvia Plath vor. Ohne Holzbläser, dafür mit starkem Blech, zwei Klavieren, Harfen und Schlagwerk besetzt fand Schubach expressive Farben für den Vor- und Nachklang von Ereignissen. Auch formal und in der fast instrumentalen Einbindung der Singstimme (Lisa Fornhammar, die dies kompetent löste) war das Stück überzeugend - mal mit prasselnder Ornamentik spielend, mal bedrohlich schwankende Flächen aufbauend. Unter dem sorgsamen Dirigat von Ulrich Kern stellte die Dresdner Philharmonie ihr großes Engagement und Können unter Beweis, vor allem das Stück von Richard Röbel wäre unter anderen Bedingungen kaum innerhalb eines Tages konzertreif erklungen. So aber war man mit erfrischend neuen Klängen versorgt und hatte einen interessanten Einblick in die "Szene" bekommen.

Dienstag, 19. Oktober 2010

Nicht von dieser Welt

Artist in Residence Håkan Hardenberger bei der Dresdner Philharmonie

Einen "Artist in Residence" gönnt sich die Dresdner Philharmonie in dieser Spielzeit, wobei drei über die Saison verstreute Konzertbegegnungen nicht zwingend den Titel erklären. Doch für Dresden sollte auch ein seltener Besuch des Weltklasse-Trompeters Håkan Hardenberger eine Ehre sein, denn solch einem vielseitigen Virtuosen hört man gerne und wiederholt zu. Doch nicht jedes Programm lockt den gemeinen Dresdner vom Sofa runter: wo kein Brahms, da kein Publikum und so versammelten sich nicht allzuviele neugierige Zuhörer in der Mitte des Parketts um dem wirklich Neuen und Spannenden zu lauschen.

Schließlich gab es ja auch ein Debüt zu goutieren: der jungt russische Dirigent Dima Slobodeniouk, der hauptsächlich in Finnland arbeitet, dirigierte erstmals das Orchester und überzeugte durchaus mit engagiertem und zumeist präzisem Dirigat. Im ersten Teil des Konzertes bereitete man sich mit leichter Klassik auf den Hauptgang nach der Pause vor: Respighi und Mozart hießen die Komponisten - des einen "Antiche Danze ed Arie" (Alte Arien und Weisen, Suite Nr. 1) kamen griffig und musikantisch daher. Für Respighi muss diese künstlerische Beschäftigung mit der Barockmusik ein Ärmelschütteln gewesen sein - die Philharmoniker schlossen sich dieser Leichtigkeit an und präsentierten luftigen Klang.

Nicht ganz so einfach stellt sich der Fall Mozart dar: die g-Moll-Sinfonie KV 183 ist zwar formal einfach gebaut, aber reizvolle Instrumentation mit vier Hörnern und Details wollten herausgearbeitet werden. Das gelang Slobodeniuok mit weiterhin flotten Tempi und schlanker Tongebung gut, vielleicht war manchmal sogar etwas zuviel Aktivität im Spiel.

Nach der Pause hätte man dem leider nicht anwesenden HK Gruber auch gleich noch einen Titel namens "Autumn Composer in Residence" verleihen können - hatten doch die Philharmoniker samt dem Konzert vor Wochenfrist bei den Tonlagen Hellerau nicht weniger als drei anspruchsvolle Partituren des Österreichers zu spielen. Das Trompetenkonzert "Aerial" wurde 1998/99 geschrieben und stellte sich als phantasie- und kraftvolles Konzertwerk dar, bei dem Gruber sowohl einen virtuosen Orchesterpart ausnotierte als auch den Solisten genussvoll an die Grenzen seines Instrumentes führte. Dabei blieb das Stück immer zugänglich: der erste Teil beeindruckt durch sein langsames, fortwährendes Kippen in eine Kadenzlastigkeit, aus der plötzlich jazzartige Schwebungen auftauchten, dazu formulierte Hardenberger Trompetenklänge, die nicht von dieser Welt schienen, so glasig-schön und sanft webte er den Klangteppich mit dem Orchester.

Im 2. Teil dann Getümmel, der Blick aus der Luft schien von Windstößen durchzogen, man meint im Orchester fast das Papier auffliegen zu sehen. Immer wieder jedoch fand das Werk dann seine Basis in einem nur Groove zu nennenden rhythmischen Wogen, aus dem auch der Solist seine halsbrecherischen Passagen formte. Das beeindruckte am Ende auch das Publikum und für die Naturalisten gab es noch eine wunderschöne Zugabe auf dem Kuhhorn. So spannend kann Neue Musik sein.

Mashup aus der Zukunft

Jennifer Walshes Performances bei den Tonlagen Hellerau

Der Dienstagabend stand beim Festival Tonlagen Hellerau, das noch bis zum Wochenende andauert, ganz im Zeichen des Stuttgarter Ensembles Ascolta und der irischen Komponistin Jennifer Walshe. Die Konzertüberschrift "Ascolta goes popular" war nicht wirklich wörtlich zu nehmen, denn bei Jennifer Walshe stolpert man dann schnell in eine ästhetische Schieflage: sie benutzt die Popkultur als virtuosen Parameter ihrer Performance-Kompositionen. Was daraus neu entsteht, wird niemand als "populär" bezeichnen, war aber auch offenbar im Vorhinein schwierig zu vermarkten: nur wenige Zuhörer entschlossen sich zum Besuch dieser Darbietung.

Walshes Uraufführung für Hellerau "The Church of Frequency and Proteine" wartet mit einem gedanklichen Überbau auf, der mindestens in moderne Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Bereiche von Science-Fiction und Zukunftstheorien vorstößt. Wer sich zufällig mit Memetik schon einmal beschäftigt hat, dem dürfte der Nachvollzug der künstlerischen Betrachtung Walshes etwas leichter gefallen sein. Wer sich in diesem Bereich gar nicht auskannte und auch nicht der Aufforderung nachkam, den Programmhefttext zu studieren, wohnte einer Performance bei, die möglicherweise Kopfschmerzen statt Erleuchtung verursachte.

In der bildenden Kunst haben wir mit Verschachtelungen der Ebenen, Anhäufungen und Diskussionen unterschiedlichster Ästhetiken weniger Probleme - Zeitfluss und Hörkonzentration sind zumeist ausgeblendet. Was Walshe uns hier als Mashup (Neu-Kombination oder Vermischung von Bestehendem) einer Science-Fiction-Story mit Meme-Theorien, Donkey Kong-Videospielen samt Killscreen sowie Klavierstücken, Popsongs und Aktionstheater entgegenschleudert, wirkt in der Summe, als hätte man zwölf Fernsehprogramme gleichzeitig gesehen (was moderne Zapper heutzutage auch durchaus hinbekommen).

Eine innere Bewegung blieb jedoch aus, seltsam kalt fühlten sich am Ende diese Stapel von pseudo(?)-philosophischen Formulierungen, Liedern und gehackten Kräutern, die im Publikum verstreut wurden, an. Emotionale Ebenen wirkten oft schematisiert, Stoppuhr und heftiges Skandieren bestimmte den Fortgang. Zudem gab es eine Disproportion der Musik in diesem Werk: neben wabernden Klängen aus dem Lautsprecher fungierte das Ensemble Ascolta willig und wandlungsfähig lediglich als Instrumentaltheatertruppe - kompositorisch erklang kaum originäre Walshe-Musik, denn wurde zumeist zitiert, collagiert und improvisiert. Angesichts der reinen Reproduktionsfunktion von Memen darf man über den Sinn von an sich feinen und souverän ausgeführten Einzelaktionen (blinde Schlagzeuger, die im Publikum Bilder knipsen) und der Besessenheit, mit der Walshe die Materialien anhäuft, getrost streiten.

Vielleicht hätte der wissenschaftlich gefärbte Blick aus der Zukunft künstlerisch mit etwas weniger Masse und stärkerer Focussierung an Kontur gewonnen. So wirkte auch das vorangestellte Werk "meanwhile, back at the ranch" mit der verblüffend einfachen Konzeption, aus Comicbildern live eine spielbare Musikpartitur zu erzeugen, ungleich erfrischender.

Poesie der Vokalkunst

Neue Vocalsolisten Stuttgart mit Fedele und Sciarrino in Hellerau

Aus der zeitgenössischen Musik dieses Landes sind sie kaum wegzudenken, denn überall, wo neue Vokalmusik geschrieben und aufgeführt wird, sind sie zugegen, und die Liste der uraufgeführten Werke ist lang: die "Neuen Vocalsolisten Stuttgart" sorgen für eine stetige Belebung des Genres, gleich ob in theatralischer Einbindung, mit Elektronik oder Verstärkung durch Instrumentalensembles. Beim Tonlagen-Festival in Hellerau waren sie a cappella zu hören, und die räumliche Konzentration auf einen Teilbereich des Saales im Festspielhaus sorgte für eine intime Atmosphäre.

"Madrigale" war dieses Konzert überschrieben und nahm damit begrifflich Bezug auf die Tradition des mehrstimmigen weltlichen Gesanges. Doch die direkte Gegenüberstellung wurde vermieden, vielmehr sorgten die zwei umfangreichen Stücke des Abends für eine sehr spezielle, zeitgenössische Deutung des Genres - wer wollte, konnte in vielen Details jedoch auch die Rückblicke der Komponisten auf die Vokalpolyphonie der Renaissance bemerken. Die Entscheidung für Werke der italienischen Komponisten Ivan Fedele und Salvatore Sciarrino hatte allerdings auch zur Folge, dass hier die Vielfalt etwa im Vergleich mehrerer Komponistenhandschriften, Stile und Herangehensweisen an das Vokale unterblieb.

Fedele und Sciarrino sind obendrein ästhetische Nachbarn: "Animus Anima" von Fedele gibt sich reichlich virtuos, und auch im Nachklang bleibt das Ornament im Vordergrund, eine griffige Tonsprache stellt sich nicht ein. Die Frage nach dem - verschwenderischen - Umgang mit dem Material stellt sich auch bei Sciarrionos "12 Madrigali", bei denen ein naturalistischer Eindruck beabsichtigt ist und sich auch prompt einstellt: Zikaden zirpen und werden staccato dargestellt, der Wind weht durch die Vokale und die hohe Sonne erhält einen markant stechenden Rhythmus. Die verdoppelte Vertonung der sechs Gedichte ist eine interessanter Kniff, allerdings wird die ohnehin vage Aussage dadurch nur noch verstärkt: es könnte so sein, aber auch anders. Die Aussage wird verlängert, aber vertieft wird sie kaum, denn wenig Neues kommt hinzu.

Auch bei Sciarrino bleibt also nur die Hingabe an die Sinnlichkeit der Ereignisse, und im Momenthaften, Augenblicklichen liegt dann auch die Stärke dieser Stücke. Was die Vocalsolisten hier an Facetten hervorzaubern, immer im gegenseitigen Einklang und in höchster Konzentration auf Stimmverschmelzung und Homogenität bedacht, das ist schlicht fabelhaft. Wenig verlangt waren Akzente und forte-Passagen, diese hätten noch präsenter geformt werden können. Beide Partituren quillen indes über vor Verzierungen, Schwelltönen und illustren Farbspektren, denen sich die Vocalsolisten mit Genuss widmen. Am Ende verbleibt ein poetischer Eindruck: den Texten und Kompositionsabsichten nähern sich die sieben Sänger mit Sorgfalt und betten diese stilsicher auf ihr Können. Zu Recht hat auch die CD-Einspielung der Sciarrino-Madrigale jüngst durch die Bestenliste des Preises der Deutschen Schallplattenkritik eine Auszeichnung erfahren.

Mittwoch, 13. Oktober 2010

Zur Feier des Tages

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Mikrotonale Beben

Ensemble Resonanz präsentiert Werke für Streicher bei den Tonlagen Hellerau

Nach einer bunten ersten Woche der "Tonlagen" im Festspielhaus Hellerau präsentierte sich das Haus am Sonntagabend zumindest optisch entschlackt: für das Konzert des Hamburger Ensembles Resonanz gab es weder Tanzboden noch Trockeneis, auch die Lichtorgel schwieg. Nur Stühle und Notenpulte waren aufgebaut, die von einem bevorstehenden Abend kündeten, der diese "nackte", oftmals ungleich stärkere Wirkung der Musik bereits im Titel verbarg: "Open Spaces". Vielleicht ist dies auch eine der anspruchsvollsten Darbietungsformen Neuer Musik, denn in der Genreverschränkung des Musik- oder Tanztheater können sich Auge und Ohr gut die Arbeit aufteilen. Doch hier waren verschärfte Bedingungen: nicht nur fehlte das stets präsente "ON"-Fiepen einer arbeitenden Technik im Ruhezustand der Musik, auch wurden ganze Instrumentengruppen dem Publikum vorenthalten: sechs Stücke nur für Streicher, davon gleich zwei Uraufführungen.

Der Anspruch blieb hoch, die Qualität der Stücke allerdings ebenfalls, die Interpretation sucht seinesgleichen und so hatten die Besucher des Konzertes am Ende allen Grund zum Applaus. Denn allen Werken gemeinsam war, dass die Komponisten den Korpus "Streicherensemble" als eigenes Instrument handhabten und damit fleißig experimentell oder konzeptuell umgingen.

Iannis Xenakis kompaktes "Aroura" machte schon fast als Klassiker den Auftakt und gab die Räumlichkeiten vor, die Georg Friedrich Haas dann am Ende in "Open Spaces II" mühelos sprengte. Ohnehin lohnt in struktureller Hinsicht das Nebeneinanderstellen dieser beiden Grenz-Werker, die in gewisser Hinsicht verschiedene Quartiere desselben Ortes bearbeiten. Das Programm zum Mittelpunkt verfolgend erklangen weitere vier Kompositionen, die sich vor allem in einer dichten, aber im jeweiligen Stil konsequenten Materialbehandlung ähnelten.

Alessandro Perinis "Exploración de la biblioteca de Babel" fiel allerdings in einer bruchstückhaften, manchmal zu offen expressiv daliegenden Gestik heraus aus dem Reigen und war dennoch das am schwierigste geistig nachzuvollziehende Stück des Abends. Beat Furrers "Xenos III" bildete dann fast das Gegenstück dazu: Dirk Rothbrust und Thomas Meixner traten als Schlagzeuger hinzu und formte gemeinsam mit dem Ensemble eine Meta-Ebene der Sprache hinter dem zugrundeliegenden Text von Händl Klaus, dieser Teil wurde dann in einer zweiten Schicht noch einmal in emotionale sprachlose Regionen tiefergeführt. Benjamin Schweitzers "holzschnitt" führte das Streichorchester auf originelle Weise zurück zu den Ursprüngen und bewies, dass ausgehörte Klanglichkeit keine Frage der Massierung von Effekten ist.

Einen ungemein poetischen Beitrag leistete Michael Hirsch mit "Rezitativ und Arie" für Claves (Hölzer) und Streicher, bei dem man meint, ein virtuelles Opernfragment durchschimmern zu hören, dass eben nur in einem erinnerten Rhythmus oder schemenhaften Vorbeihuschen existiert. Dass alle diese Streichergeschichten so plastisch wurden, liegt an der exzellenten Darbietung des Ensemble Resonanz unter Leitung von Beat Furrer, die am Schluss wirkungsvoll die Planeten von Georg Friedrich Haas mikrotonal erbeben ließen.

Bewegender Brückenschlag

"Hasretim - eine anatolische Reise" mit den Dresdner Sinfonikern bei den Tonlagen Hellerau

Es ist schon eher eine Seltenheit, dass sich die Dresdner Sinfoniker eine fertige Partitur aufs Dirigentenpult legen. Neben dem musikalischen Ergebnis zählt immer der Innenblick in musikalische Kulturen, die wir viel zu selten zu Gehör bekommen. Die Sinfonikerkonzerte sind mit lange gehegten und mit Nachdruck verfolgten Ideen verbunden, für die Initiator und Intendant Markus Rindt einsteht.

So entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau das Projekt "Hasretim - eine anatolische Reise", das am Samstag bei den Tonlagen im Festspielhaus Hellerau uraufgeführt wurde. Wie zeitaktuell das Werk war, läßt sich anhand der Terminlage verdeutlichen: tags zuvor spielte die Nationalmannschaft in Berlin gegen die Türkei, zudem war der türkische Ministerpräsident Erdogan bei der Kanzlerin zu Gast. Eine Integrationsdebatte wird auf politischer Ebene schon lange im Land geführt. Dass dazu zwingend auch die inspirative, auch experimentell geführte Auseinandersetzung zwischen den Kulturen gehört, ist die wichtige Botschaft des Konzertes - Erdogan und Merkel wären sicher gern gesehene Gäste von "Hasretim" gewesen und sie hätten lernen können, wie bewegend sich über die Musik Sprachen, Bräuche und Menschen verbinden lassen.

Über einen längeren Zeitraum fuhr Rindt mit dem deutsch-türkischen Komponisten und Musiker Marc Sinan und einem Kamerateam an die Schwarzmeerküste und in den inneren Nordosten der Türkei und zeichnete die Gesänge und Tänze der Einheimischen auf. Es zählte nicht unbedingt der musikethnologische Anspruch, dafür ist die musikalische Landkarte zu vielschichtig. Was entstand, ist eine Art tönendes Skizzenbuch der Reise, das in Konzertform mit Video und großem Kammerensemble wieder neu zusammengesetzt wurde. Dabei wurde die Reiseroute zwischen Ordu, Erzurum und Kars beibehalten - seien wir ehrlich, kennt einer der bekennenden Türkeiurlauber diese auch historisch bedeutsamen Orte überhaupt? Geschweige denn die Musik, die über die Generationen hinweg weitergetragen wurde und die hoffentlich als kulturelles Erbe auch erhalten wird. "Hasretim" leistete dazu einen wertvollen Beitrag.

Marc Sinan schuf eine Partitur, die zwischen den Originalaufnahmen und der Live-Musik des Ensembles changierte, sich aber nur selten wesentlich vom Charakter der Volksmusik entfernte, lediglich ein jazziges Klaviersolo wirkte etwas eigenartig im Zusammenhang. Im Gesamteindruck hätte eine bessere Verstärkung einiger Instrumente (Flöte, Kaval, Streicher) die Strukturen noch transparenter gemacht. Sinans Musik zeichnet behutsam nach und hat damit die Wirkung eines Spiegels oder Kommentars, zudem funktionierte die "Integrationspolitik" im Orchester einwandfrei: türkische und armenische Gastmusiker saßen mit im Ensemble; die Kollegen der Sinfoniker indes hatten die respektable Aufgabe, sich fernab einer wohltemperierten Stimmung auf Skalen und Strophenlieder einzulassen, für die spezielle Spielarten gefunden werden mussten.

Was nämlich beim Lieblingstürken um die Ecke basslastig aus dem Lautsprecher dröhnt, ist maximal noch ein skelettartiger Rest der reichen musikalischen Kultur Anatoliens. Das wird allein schon angesichts der Instrumente klar, die sich in Hellerau auf der Bühne einfanden: Saz, Ud, Kavel und Kemence, dazu die beiden hinreißenden Duduk/Zurma-Spieler, die schon im letzten Jahr zur Terterjan-Sinfonie begeisterten. Der italienische Dirigent Andrea Molino hatte wesentlichen Beitrag zur Zusammenstellung des Werkes geleistet und koordinierte Bild und Ton in der Aufführung sicher zusammen. Das Videozuspiel (Filip Zorzor, Lonni Wong) wirkte manchmal zu verspielt, dadurch wurde die intensive Wirkung des Authentischen leicht verwischt. Das tat aber der hervorragenden Aufführung keinen Abbruch; dankbar nahm das Hellerauer Publikum diesen kulturellen Brückenschlag entgegen und feierte anschließend ausgelassen mit den Sinfonikern und den Gastmusikern, die sich für eine Zugabe nicht lange bitten ließen.
Alexander Keuk

* "Hasretim - eine anatolische Reise" wird am 1.11., 20.03 Uhr auf DeutschlandRadio Kultur gesendet.

Sonntag, 10. Oktober 2010

An der Grenze

Ensemble Courage spielt Michael Wertmüller und Klaus Lang

Nach einigen Erkundungen im Musiktheater, in der kammermusikalischen Behandlung des DrumSets und in der rockigen Betrachtung zu Andy Warhol geht das Tonlagen-Festival in Hellerau nun aufs Ganze: "Avant-Core" war das Konzert am Mittwoch übertitelt - "core" in seiner Bedeutung von "knallhart" oder "bis ins Mark" ist hier wörtlich zu nehmen, denn viel zu gediegen klingt der gute alte Avantgarde-Begriff, um die Wirkung des Konzertes zu beschreiben.

Das Ensemble Courage, längst den Kinderschuhen entwachsen und nun vor allem im Dunstkreis von Berlin und Dresden auf Spürsuche nach spannenden Entwicklungen in der Neuen Musik, traute sich glatt, Stücke von Michael Wertmüller und Klaus Lang in ein Konzert zu packen. Für den, der die beiden Komponisten nicht kennt, nutzt leider ein plastischer Vergleich wenig, denn beide muss man in ihrer Grenzauslotung und stellenweise auch in ihrem beabsichtigten Grenzübertritt nebeneinander erlebt haben.

Michael Wertmüller ist Schlagzeuger und Komponist; er schreibt Partituren, die Interpreten und Hörer vor allem in rhythmischer und dynamischer Hinsicht überfordern. Stellt man sich dieser Überfrachtung, öffnet sich schnell eine zweite Ebene: in allem Schwindel der Tempi und Rhythmen und in der permanenten Dichte der Musik offenbart sich eine spielerische Virtuosität, die stellenweise sogar frei schwingt. An diesen Stellen enthebt sich die Musik ihrer offen exerzierten Gewalt-Tätigkeit. In der Uraufführung "in time. next step!", waren diese Momente ebenso zu beobachten wie in "time - involved in processing", allerdings gibt es auch lange nach dem Konzert noch erhebliches Potenzial, die entgegengeschleuderten Noten zu einem Eindruck zu formen,

insbesondere an den Nahtstellen zu maschinell anmutenden Prozessen, die auch die Frage nach dem Sinn des Interpreten aufwerfen. Wer Neue Musik als extrem empfindet, hat hier den Exzess vorgesetzt bekommen. Fragen werfen die Stücke vor allem in der Ausdrucksqualität auf, aber vielleicht ist auch hier eine neue Syntax vonnöten, die die Materialmasse sinnvoll erfasst. Der noch endgültigste Gedanke ist, dass man einer exzellenten, hochseriösen Interpretation zuhören durfte: Titus Engel, das Ensemble Courage und das Gast-Trio "Steamboat Switzerland" mit Hammond-Orgel, Bass und Percussion versuchten auch noch das Unmöglichste überzeugend zu realisieren, wohl wissend, dass körperliche und geistige Grenzen dabei hart beansprucht werden.

Dass diese Grenzerfahrung beim anderen Extrem, der an der unteren Hörbarkeitsschwelle schrammenden Stücke von Klaus Lang, ganz anders gelagert ist, ist klar. Dennoch wirkte die Gegenüberstellung gut, denn auch Lang überbeansprucht den Hörer, allerdings mit einer Zeitbetrachtung in der Gegenrichtung: verschwommen und verwischt ahnt man in der Uraufführung "Schnee im August" (der Titel hier als Relikt einer verzweifelten Was-Passiert-da-Beschreibung?) Details herauszuhören und findet trotzdem selten ein Ziel oder einen Halt in der Musik. Es ist die Suche nach genau dem Halt, den Wertmüller einem in der nächsten Viertelsekunde unter dem Boden wegreißt - intensiver kann Musik kaum wirken.

Nach diesem außergewöhnlichen Konzert gab es eine Impro-Zugabe der Schlagzeuger im Dalcroze-Saal bevor ein Live-Act den Abend versöhnlich und tanzbar beschließen sollte. Nur schade, dass sich die Größe von Felix Kubin nicht bis in Dresdner Breitengrade herumgesprochen hat, nur wenige Liebhaber genossen dieses DJ-Set der besonderen Art.

Donnerstag, 7. Oktober 2010

Hilary Hahn

hat ne neue Platte. Ich habe sie ja vergöttert für ihre Schönberg-Aufnahme, auch der Sibelius auf der selben CD ist wunderbar. Frühere CDs mit Spohr und Brahms sind ebenfalls hörenswert. In der letzten Zeit hat meine Begeisterung aber eher abgenommen. Die jüngste Aufnahme mit Bach-Arien zusammen mit Matthias Goerne und Christine Schäfer hat mich eher erschrocken angesichts eines reichlich antiquierten und undifferenzierten Stiles, mit dem sich Hahn den Bach-Stücken nähert. Nun frohlocken wir, denn eine neue CD erscheint just, diesmal mit dem Tschaikowsky-Konzert und einer Weltpremiere von Jennifer Higdon. Aber ach, die amerikanische Komponistin enttäuscht schon im Trailer mit einer derart flachen Musiksprache, dass man weit hinter Prokofieff und Milhaud greifen muss, um ähnliche forgotten pieces zu finden - dumm nur: das ist "Neue Musik", angeblich. Da ich die ganze CD noch nicht gehört habe, schweige ich zu den kurzen Tschaikowsky-Ausschnitten...noch.



Laut, lauter - subtil.

DrumSet-Konzert bei den "Tonlagen" Hellerau

Im Bereich der Neuen Musik sind auf den Instrumenten besondere Fertigkeiten gefragt. Wer sich als Geiger in der romantischen Musik des 19. Jahrhundert bestens auskennt, darf bei anstehenden Uraufführungen den Begriff Virtuosentum noch einmal neu definieren oder in Frage stellen. In den derzeit aktiven Neue-Musik-Ensembles finden sich für jedes Instrument diese Virtuosen, die für beständig Neues in unseren Klang-Horizonten sorgen. Komponisten betrachten es daher oft als Ehre, für musikFabrik oder Ensemble Modern ein Stück schreiben zu dürfen: die Interpretationen sind herausragend und intensiv.

Die heimlichen Stars dieser Ensembles sind oft die Schlagzeuger, denn Rhythmus und Schlagwerk-Klangfarben sind stets wichtige Parameter der Kompositionen. Grund genug, einmal vier Schlagwerker zum Tonlagen-Festival nach Hellerau einzuladen. Und zwar gemeinsam, als Quartett. Das ist ungewöhnlich genug, noch interessanter wurde der Ansatz dadurch, dass man sich (fast) auf ein Drum-Set pro Spieler beschränkte. Diese Reduzierung war aber gleichzeitig genau die subtile Differenzierung, die für ein herausragendes, sinnliches Erlebnis im Konzert sorgte. Denn mit den unterschiedlichen Schlag-, Reibe- und Wischtechniken und den Anforderungen der Komponisten war für reichlich Abwechslung gesorgt.

Lukas Schiske (Klangforum Wien), Rainer Römer (Ensemble Modern), Dirk Rothbrust (musikFabrik) und Gerrit Nulens (Ictus) hatten sich je ein Solostück zurechtgelegt. Zu viert wurde die Uraufführung von Oscar Bettisons "Four Drums for Dresden" bestritten, ein Stück, das sauber gearbeitet war und immer wieder zu einem Refrain mit reizvollen Becken-Sounds zurückkehrte - die vier Sets vereinigten sich mehrfach zu einem einzigen Instrument. Zum ersten Mal erklang auch Sven-Ingo Kochs "Durchaus phantastisch und leidenschaftlich vorzutragen", allerdings nutzte dieses mit Dante und Schumann angereicherte Solo mehr Percussion-Instrumente als nur das reine Drum-Set und bot eher softe und fragile Ausdruckswelten feil, die Dirk Rothbrust hervorragend herausarbeitete.

Gerrit Nulens Solobeitrag war ein Stück Körper-Kultur von Francois Sarhan, wobei die auf den Körperteilen perkussiv-vokal vorgetragene Gebrauchsanweisung eine eher beängstigende Subschicht offenbarte. Rainer Römer glänzte mit einem diffizil-sinnlichen Maracas-Solo von Javier Alvarez und Lukas Schiske brachte eine eigene Komposition ein - schließlich sind Drummer als Improvisatoren zumeist auch innovativer Geister, die beständig an eigenen Fertigkeiten und an Klangerweiterung feilen. Schiskes "Maschinencode R3G7T" war denn auch ein schwindelerregender Ausflug in die Welt von Rotationen, Wellen und maschinenartigen Abläufen.

Das ohne Pause zu einem Ganzen modellierte Konzert fand mit Frank Zappas "Black Page" seinen Abschluss - leichtfüßiger dürfte man das vertrackte Werk wohl selten gehört haben. Am Ende war man von den vier sympathischen Herren schlicht begeistert und hätte gern noch den einen oder anderen Xenakis als Zugabe gehabt. Ob allein oder im Ensemble - sie werden mit Sicherheit nach Hellerau zurückkehren.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Hammerschlag zum Auftakt

Kontrastreiche Konzerte bei den "Tonlagen" in Hellerau

Die 2. Dresdner "Tonlagen", das Festival der zeitgenössischen Musik in Hellerau sind eröffnet. Am vergangenen Wochenende fanden bereits drei Veranstaltungen statt, dazu ging tagsüber in der Musikhochschule Dresden das Symposium des Festivals über die Bühne. Dessen Leitthema "populär - elitär" wurde dort theoretisch abgehandelt, praktisch konnte man sich bei den ersten Konzerten auch darüber seine Gedanken machen.

"Jacob's Room", ein Musiktheater des amerikanischen Komponisten Morton Subotnick (*1933) wurde als Auftakt ausgewählt, in jeder Hinsicht war dies ein Stück, was im ungewöhnlichen Einsatz der Materialien und in einem diskutablen und häufig überfordernden Umgang mit Musik, Text und Bühne die ganze Kraft des Zuhörers erforderte. Für dieses Gastspiel eines der Pioniere elektronischer Musik des 20. Jahrhunderts hätte man sich allerdings ein rappelvolles Haus gewünscht. Intendant Dieter Jaenicke gelang mit der Subotnick-Oper ein Hammerschlag zu Beginn des Festivals, der fernab der bloßen Aufführung eigentlich einer Vor- und Nachbereitung bedurft hätte.

Eine Situation des Alleinseins bildet den Kern des Werkes, in der sich der Protagonist Platon lesend seiner Vergangenheit als Überlebender eines Völkermordes bewusst wird. Das hätte ein hochinteressanter Ansatz sein können, wenn Subotnick es vermieden hätte, nach einer eigentlich spannenden Einleitung in einer Wort-Schlacht von reichlich über einer Stunde Dauer genau diesen Schrecken über dem Zuschauer auszugießen. Beim allzu plötzlichen Ankommen in der Realität bricht das Stück schließlich kommentarlos ab. Damit stellt sich für den Zuschauer genau die Alleinsein-Situation ein, allerdings nunmehr überfrachtet mit der Bedeutungslastigkeit der Themen der Welt, die Subotnick uns um die Ohren geworfen hat: Liebe, Schuld, Tod, Erinnerung, Glaube, Macht wären reizvolle Kompositionsanlässe gewesen, doch Subotnicks kaum den Stil der typischen "Minimal Music" verlassende Behandlung eines Ensembles aus vier Celli und Keyboard war ebenso anstrengend und wie die permanent extrem (und damit im Einzelnen zu charakterlos) geführten Singstimmen. Regie (Mirella Weingarten) und Video (Lillevan) verhielten sich auf der stets kippenden Viereck-Bühne behutsam, einzig Jacob hielt sich ständig den Kopf: die Schuld ist ebenso unaushaltbar wie das Stück selbst, das an seiner eigenen Dramaturgie scheitert.

Am Sonnabend dann gastierte die Dresdner Philharmonie in Hellerau, bedauerlicherweise erlaubte sich das ansonsten treue Philharmoniepublikum einen freien Tag und verpasste somit einen vergnüglichen Abend. Der Komponist, Dirigent und Sänger HK Gruber aus Wien zeichnete für das abwechslungsreiche Programm verantwortlich und startete mit der Ursonate von Kurt Schwitters. Damit war die Reiseroute klar: Ernst und Spaß tanzten im Folgenden fröhlichen Reihen und in dieser Einbettung bekam auch das Fagottkonzert "Zefiro aleggia --- nell'infinito" von Olga Neuwirth mit dem grandiosen Solisten Pascal Gallois plötzlich eine schillernde Bildhaftigkeit. Sowohl HK Grubers Johann-Strauss-Alptraum "Perpetuum Mobile / Charivari" als auch das Pandämonium "Frankenstein!!" entfachten bei den Philharmonikern ungeahnte Kräfte sowohl der Virtuosität des exzessiven Nachschlages als auch in der Fertigkeit auf zahlreichen Nebeninstrumenten. Das Glatteis zwischen Konvention, Tradition, Satire, Klamauk und Doppelbödigkeit wurde von Gruber und den Musikern wunderbar ausgekostet, zudem verließen die Philharmonie nie ihr absolut konzentriertes hohes Niveau der Interpretation.

Im Dalcroze-Saal stellte sich dann zu später Stunde noch das Dresdner "New Composers Collective" mit Thomas Zoller, Sascha Henkel und Gabriel Hahn vor. Die drei Musiker schaffen es tätsächlich, sich zwischen alle Stühle zu setzen und in sorgfältiger Stückkonzeption mal den Freejazz hereinzuwinken oder minimalistische Klangerforschung zu betreiben, damit bleiben sie originell und verleugnen auch nicht den Experimentcharakter ihrer Stücke. Eines ist sicher: die starken Wechselbäder des Kontrastes werden auch in den kommenden Veranstaltungen der Tonlagen spannende Basis der Erlebnisse sein.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Fünfmal Höchstspannung

elole-Klaviertrio konzertierte im Leonhardi-Museum

elole-Konzerte fordern zumeist den ganzen Zuhörer. Man glaubt kaum, dass das Trio erst seit neun Jahren besteht, hat man doch in dieser Zeit so viele Konzerte mit immer neuen, immer spannenden Stücken gehört und konnte so seinen Horizont beständig erweitern - der Lexikadefinition, dass die Gattung Klaviertrio ins 19. Jahrhundert gehört widersprechen die drei Dresdner Musiker mit der vehementen Lebendigkeit ihrer Aufführungen. Im Leonhardi-Museum präsentierten Uta-Maria Lempert (Violine), Matthias Lorenz (Cello) und Stefan Eder (Klavier) nun einen Abend mit Werken von fünf Komponisten - die Landmarken reichen von Wien über Dresden und Berlin bis nach Düsseldorf.

Ganz neue Werke gab es von Erik Janson und Christoph Theiler zu hören, eine kraftvolle Klammer um das ganze Konzert war durch die Werke von Peter Köszeghy und Carsten Hennig geschaffen. Hier war es eine offen hervortretende Emotionalität, die sowohl in den Kompositionen selbst angelegt ist als auch die Wirkung beim Zuhörer beschreibt. Schnell ist man in Köszeghys "Utopia" über den denkenden Nachvollzug hinaus und jagt den Ausbrüchen, Stauungen und rhythmischen Verschiebungen hinterher. Der Ausnahmezustand, in dem der Zuhörer hinterlassen wird, mutet einem musikalischen Schock an, dem sich nach und nach die gehörten Ereignisse wieder zuordnen lassen. Das ist Arbeit für Kopf und Herz, macht aber Spaß, wenn man feststellt, wie sensibel und klassisch zugleich dieses wütende Stück am Ende doch ist.

Michael Flade war doppelt präsent: Sein "Spiel: seltsam attraktiv" erklang in zwei Versionen. Exakte Notation und interpretatorische Freiheit mischten sich hier wirklich auf einer spielerischen Ebene, die Leichtigkeit erzeugte und vor allem die einzelnen Elemente frei schwingen ließ. Bei Erik Jansons "Bhagavat Gita-Fantasie" war man allerdings ohne jegliche Ausführung über diese altindische Schrift recht alleingelassen mit der Musik, auch Jansons Textauswahl war nicht veröffentlicht. So teilte sich zwar die Faszination und der schöpferische Umgang des Komponisten mit der Schrift mit, aber genauere Beziehungen oder Deutungen waren nicht erfassbar. Losgelöst vom Hintergrund hörte man ein Werk, das von sorgfältiger struktureller Arbeit bestimmt war, was sich etwa in verschieden verschachtelten Zeitebenen niederschlug.

Christoph Theilers "Terminal" hatte die umgekehrte Problematik: der Komponist beschrieb im Programmheft eine äußerst spannende konzeptuelle Ausgangssituation (das Leben, ein Warten), formte aber in diesem kreativen Wartezustand lediglich eine Art Suite aus verschiedenen bagatellartigen Stücken, die erst zum Schluss hin stringenter wirkte. Carsten Hennigs "desire III" blieb es dann vorbehalten, das finale Ausrufezeichen zu setzen: mit rotierenden Metallscheiben und virtuoser Instrumentalbehandlung wurde die Welt des Geldes und der Macht und die musikalische Avantgarde frech in einen Topf geworfen - es wurde ein tolles Stück draus. Und wer genau diese künstlerischen Überraschungen liebt, sollte sich auch das nächste Konzert vormerken: am 28. November spielt das Trio im Kulturrathaus.

Ich will das Rad nicht neu erfinden

Interview mit Morton Subotnick anläßlich der Aufführung von "Jacob's Room" in Dresden


Mit der deutschen Erstaufführung des Musiktheaters "Jacob's Room" des amerikanischen Komponisten Morton Subotnick (*1933) wird am heutigen Freitag im Festspielhaus Hellerau das Dresdner Festival der zeitgenössischen Musik "Tonlagen" eröffnet. Der Komponist gilt als einer der Pioniere der elektronischen Musik in den USA, Alexander Keuk sprach vor der Premiere mit ihm.

Mr. Subotnick, wer ist dieser Jacob, was hat es mit dem Raum auf sich?

Oh, da muss ich etwas ausholen. Als ich damals mit dem Stück anfing, suchte ich nach einem Text und stieß auf eine Passage in Virginia Woolfs "Jacob's Room" - der Protagonist kommt nach Hause aus dem Britischen Museum, das ihm die Welt und die Zivilisation zeigte. Er ist allein und liest Platon, ist in seiner eigenen Welt und merkt erst am anderen Morgen beim Öffnen der Vorhänge, dass es geregnet hat - er ist zurück in der Realität. In meiner Geschichte ist Jacob ein Holocaust-Überlebender, der zurück auf sich selbst geworfen ist. Man sieht: der Mensch kann alles, das Gehirn macht alles möglich, aber es kann auch einen schlechten Job machen und alles zerstören, sogar die Erinnerung.

Also eine Ausnahmesituation, ein Focus auf das Individuum?

Ja, zum einen hatte er den Kontakt zur Vergangenheit verloren, und hier kommt ihm alles wieder ins Gedächtnis. Das andere, was mich auch interessiert, ist nicht so sehr die Schuldfrage, die der Überlebende sich stellt, aber das Alleinsein steht im Zentrum des Stückes - es ist schmerzvoll, das Alleinsein zu erleben, die Erfahrung der Gegenwart zu erleben. Es ist an Dir, die Dinge besser oder anders zu machen, aber das Angesicht dessen kann sehr schmerzvoll sein.

Alleinsein ist hier also nicht als Einsamkeit gemeint?

Nein, eher als Gegensatz zu einer Masse oder Gruppe, die schreckliche Dinge tun kann. Meine Oper bietet auch keine Lösung, es gibt kein Happy-End oder dergleichen, aber vielleicht ein Angebot für die Leute, sich mit dem Thema zu beschäftigen - verändern will ich niemanden. Aber möglicherweise ist es ein interessanter Ansatz, auf sich selbst zurückgeworfen zu sein, in jeder Hinsicht.

Wie kam es zu diesem doch existentiellen Stück in Ihrem OEuvre?

Es hat eine lange Geschichte, begann als Auftrag für Sopran und Streichquartett, dann sollte es szenisch realisiert werden, schließlich wurde eine Kammeroper daraus, die 1993 realisiert wurde, aber das Stück war noch nicht fertig. Jetzt habe ich viel daran gearbeitet für die Aufführung in Bregenz und jetzt in Hellerau, nun bin ich soweit zu sagen, das Stück ist fertig, aber mir ist auch wichtig zu sagen, dass der ursprüngliche Geist des Werkes immer noch enthalten ist.

Welche Möglichkeiten nutzen Sie für die Oper, Sie sind ja ein Komponist, der sowohl elektronische als auch instrumentale Möglichkeiten gleichermaßen innovativ nutzt?

Es ist jetzt eine Fassung mit Sängern und vier Celli - ich könnte 68 Celli haben für den Klang, den ich anstrebe, nun sind es aber vier - dazu Elektronik und eine sehr erweiterte Vokalbehandlung. Der Frage nach dem Menschsein, die hier aufgeworfen wird, versuche ich zu begegnen, indem ich wieder zurück zur "Kreatur" komme und erforsche, welcher Ausdruck etwa der Lautäußerung möglich ist - bedenken Sie, dass in unserem Hirn immer noch ein reptilischer Teil vorhanden ist. So gibt es sowohl tiefe brummende Geräusche aus dem Bauch heraus als auch Zirpen gleich einer Schlange. Ich habe versucht eine Art "creatureness" zu erzeugen.

Sie gelten als einer der Pioniere der elektronischen Musik, haben schon 1963 einen analogen Synthesizer entwickelt. Dennoch haben Sie auch Instrumentalmusik geschrieben?

Erst kam die Elektronik, ich wollte etwas Neues schaffen, was noch nie da war, der Buchla-Synthesizer gab mir die Möglichkeit dazu, Klänge selbst zu erfinden. Später kam ich dann zurück zur instrumentalen Komposition, später auch zur multimedialen Musik und arbeitete dort die Erfahrungen ein.

Heute galoppiert die Technik, wir schreiben bereits an einer Musikgeschichte der elektronischen Musik, wie beobachten Sie die Szene heute?

Wir sind doch erst am Anfang! Fragen Sie mich in 60, 70 Jahren noch einmal - die Synthesizer wurden ja damals nicht entwickelt um wohltemperierte Musik darauf zu spielen, da gibt es oft ein Missverständnis. Die Technik hat sich zwar enorm weiterentwickelt und natürlich arbeiten die DJs heute damit, das ist auch gut so. Aber es sind in der Kreativität noch so viele neue Wege zu erschließen, die weit jenseits unseres derzeitigen Gebrauchs und unserer Vorstellungskraft von Computern liegen.

Wie ist dann Ihre Beziehung zur Tradition?

Ich habe mal gesagt, Tradition sollte man vergessen. Das war vielleicht ein bißchen vorlaut, heute würde ich sagen, natürlich sollten wir damit umgehen, Tradition ist wundervoll. Aber schauen Sie sich ein kleines Kind an: das ganze Leben hat es vor sich - schauen Sie, wie es Dinge entdeckt und kreativ damit umgeht. Als 40jähriger schaut man vielleicht gerne zurück und liest die alten Bücher. Aber für mich ist es spannender nach vorne zu schauen.

Also suchen Sie auch heute noch nach der Innovation, dem Neuen in der Musik?

Ich will nicht das Rad neu erfinden. Aber man muss sich bewusst sein, der Zugang zu allem ist heute unheimlich leicht, aber das härteste ist, sich klarzumachen, was man will, wie man die Möglichkeiten sinnvoll verbindet. Vor hunderten von Jahren hat man das Wasser mit der Hand zum Mund geschöpft, was haben wir heute? (zeigt auf eine Wasserflasche) - wir sollten uns den Sinn unserer Tätigkeiten wieder bewusst machen.

Mittwoch, 22. September 2010

Obst ist nicht gleich Obst

Ich bin ja eigentlich seit kurzem Stammgast auf dem Sachsenmarkt (Freitags, Lingnerallee) und kann diesen auch nur bedingungslos weiterempfehlen. Hier findet jeder etwas, von der Lausitz bis zum Erzgebirge ist alles vertreten, was gesunde und frische Ware vom Basilikum bis hin zum Mangold anbietet. Immer auch kommt man mit Händlern und Verkäufern ins Gespräch und lernt eine Menge über Lebensmittel hinzu. Anders ist es in der Neustadt, wenn man "zwischendurch" schnell mal was Frisches braucht. Heute platzte mir dann der Kragen. Ich brauchte Schnittlauch, Petersilie und Zitronen und steuerte auf der Hauptstraße den "Marktplatz" an, in der Hoffnung, Frische anzutreffen. Das Bund Schnittlauch war das letzte in der Auslage und hatte schon eine dunkelgrüne Färbung die an einigen Halmen ins Schwarze ging. Der Verkäufer bejahte meine Frage, ob der Bund von heute sei. Ich fragte nach Zitronen, er zeigte links rüber und ich griff frohgemut in den Karton. Dabei störte ich nicht nur etliches Ungeziefer beim Chillen, sondern konnte auch nach dem Griff zur ersten Zitrone gleich ein Kleenex verlangen, denn die war durchgeschimmelt. Mehrere ähnlicher Qualität lagen noch daneben. Daraufhin habe ich den Einkauf abgebrochen, allerdings nicht ohne wirklich lautstark auf meinen Unmut hinzuweisen (Ich bitte die erschrockenen Verkäuferinnen der Bäckerei daneben um Verständnis...) - Sicher, Zitronen überstehen auch mal einen Tag des Nichtverkaufs, aber ist es nicht ein Minimum, dem Kunden GUTE Ware anzubieten und damit auch die Stände in Ordnung zu halten? In dem Zusammenhang sei einmal auf den sehr informativen Beitrag von djane hingewiesen, die verschiedene Stände und Läden in der Neustadt besucht und bewertet hat. Mein Tipp übrigens: der Gemüsehändler am Bischofsplatz neben dem Bagel-Laden. Superfreundlich und knackig-frisch. Also nie mehr "last minute"-Zitronen...

Neustadt: Die Macht des Stärkeren

...auszuüben muss für manche Autofahrer ein Hobby sein. Ganz egal wer dabei draufgeht, die Nerven des eigenen Beifahrers, Radfahrer oder Fußgänger. "Ich komme jetzt und Du hast zu warten und falls nicht, kurbel ich noch die Scheibe runter und brülls Dir ins Gesicht" ist ein in Dresden beliebtes Gesellschaftsspiel. So auch heute an der Königsbrücker Str., allerdings ist die Ausgangssituation auch einigermaßen unklar. In Höhe der Dresdner Bank-Filiale (nun Commerzbank) macht die Scheunenhofstr. einen Knick. Geradeauszu zur Königsbrücker Str. hin befand sich immer eine Absperrung und Parkmöglichkeiten. Seit einigen Jahren stehen nun auch Glas- und Papiercontainer dort. Irgendwann in den letzten Wochen verschwand allerdings die Absperrung und die Container sind nun so aufgestellt, dass eine winzige Gasse zur Königsbrücker hin entstanden ist. Jawollja, brüllen die Autofahrer und heute morgen konnte ich dann auch beobachten, wie ein ahnungslos Flaschen einwerfender Passant (die Einfüllstutzen gehen ja auch zu der Gasse hin aus) von einem Mercedes Kombi fast umgenietet wurde. Und richtig: Scheibe runter, Gebrülle "Das ist hier ne Straße, aus dem Weg.." usw. Dabei hatte neben dem Auto der Fußgänger keinen Platz mehr, ein eingeklappter Spiegel war dann die Folge, der Mercedes brauste davon. Liebe Stadt, was soll der QuarK? Ein zusätzlich dort stehendes verwaistes Baustellenschild sorgt außerdem für Irritierung. Bitte doch einfach wieder die Pfosten mit der Leine aufstellen, damit nicht noch Leute beim Recyclen ihrer Zeitungen plötzlich ihren Lebensabend verkürzen. DANKE.

Dienstag, 21. September 2010

Sinfonisch, konzertant und kommentiert

2. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie

In einem Interview äußerte ein bekannter Dirigent kürzlich, Brahms sei für die Orchester "das tägliche Brot". Wirklich sind die Werke des Komponisten dankbar und herausfordernd in allen Bereichen; sie demonstrieren die Kultur eines Orchesters und laden gleichzeitig ein, die Bandbreite des romantischen Ensembleklangs zu zeigen. Insofern ist der Brahms-Zyklus zu Beginn der Spielzeit bei der Dresdner Philharmonie mehr als nur bloße Gefälligkeit gegenüber dem Publikum. Zudem sollten die vier kleinen Uraufführungen neue Beziehungen zum Werk von Brahms eröffnen. Im vierten Beispiel am Sonnabend im 2. Zykluskonzert gelang das bei der "BRAHMSFARE" des Spaniers Alejandro Yagüe (geb. 1947) allerdings nicht.

Die Unentschlossenheit im Charakter der Komposition spiegelte sich auch in einer nicht sehr eindeutigen Interpretation wider; der Tonsatz war traditionell, weder die Brahms-Kommentierung noch ein Fanfarenduktus wollte sich mitteilen. Mit dem Stück konnte auch das Publikum nichts anfangen - ein recht müder Applaus war die Folge.

Im Mittelpunkt des Konzertes stand (nach einer krankheitsbedingten Absage im vorangegangenen Konzert) das Gastspiel von Nelson Freire mit dem 2. Klavierkonzert B-Dur. Auf diesen Markstein des romantischen Konzertes freute man sich, zudem Freire als überaus renommierter Brahms-Interpret gilt. Nach einer fast unauffälligen Einleitung startete Freire mit kernigem, robustem Spiel und grenzte die lyrischen Passagen der ersten beiden Sätze davon deutlich ab. Eine beseelte Partnerschaft mit Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos und der Dresdner Philharmonie wollte sich dennoch nicht entwickeln, im Verlauf des Konzertes war die Suche nach diesem gemeinsamen Nenner dann auch zu oft offenliegend. Freire nahm sich viele Freiheiten in den Tempi, zog in Solopassagen und vor allem im Schlusssatz enorm an. Diese starken Charakterschwankungen vollzog das Orchester nicht mit - es fehlte an tiefergehender thematischer Ausgestaltung, Unstimmigkeiten in Tuttipassagen des Orchesters und am Schluss der ersten beiden Sätze gesellten sich hinzu. Im sehr zurückgenommenen Poco Adagio des langsamen Satzes blitzte dann plötzlich Noblesse auf, doch dem 4. Satz fehlte eine metrisch gestützte Ruhe. So blieb ein wenig geschlossener Eindruck, sowohl beim Pianisten als auch im sinfonischen Part.

Mit der Aufführung der 4. Sinfonie e-Moll Opus 98 endete der Brahms-Zyklus dieser Saison. Von der eher mühsamen Arbeit des ersten Konzertteils war nun nichts mehr zu spüren, Frühbeck de Burgos gelang es, das Orchester frei und temperamentvoll aufspielen zu lassen. Auffallend war wiederum der in vierfacher Verstärkung recht markige Holzbläserklang - trotz Verständnis für die akustischen Gegebenheiten im Kulturpalast verändert dieser Eingriff in die Partitur den Gesamtklang spürbar. Im Programmheft sollte zumindest auf die Originalbesetzung hingewiesen werden, denn mit der Verstärkung des Orchesterapparates seit Wagner und Strauss ging ja auch eine Differenzierung der Instrumentationstechnik einher, womit man Brahms mit bloßer Tutti-Verdopplung keinen Gefallen tut. Insgesamt war die Interpretation der 4. Sinfonie jedoch eine runde Sache: mit dem wunderbar feinsinnig musizierten Allegro giocoso und der von Frühbeck de Burgos mit vorwärtsdrängendem Impetus dargestellten Passacaglia am Schluss der Sinfonie gelang so ein überzeugender Ausklang des Konzertes.

Freitag, 17. September 2010

Ostrale - Eindrücke

Noch bis zum Sonntag ist die Ostrale 010 auf dem Schlachthofgelände an der Messe in Dresden geöffnet - man glaubt ja kaum, dass die Ostrale erst seit 2007 stattfindet, so sehr hat sie sich zum Schaufenster internationaler Kunst gemausert und so gut wird sie auch vom Publikum angenommen. Das Pfund der Ostrale ist ider Kunst-Raum innerhalb des Schlachthofgeländes. Charme versprühen die Futterställe nicht mehr, stattdessen scheinen sie der ideale Ort für zeitgenössische Kunst zu sein, die sich manchmal an bzw. in den Räumen regelrecht entzündet. Wenn es gar um Körperlichkeit oder Fleisch(es)Kunst geht, ist der Weg zu Objekten und Installationen nicht weit. Anderes atmet den Kontrast, findet die Nische oder seinen Frei-Raum.

In diesem Jahr gab es für mich nur zwei recht kurze Besuche, dennoch will ich auf einige Künstler hinweisen - zum Erinnern, aber vielleicht auch, um die Aufmerksamkeit zu fördern. Im Gesamtüberblick fällt die Ausgewogenheit zwischen den Genres auf, es ist für jeden etwas dabei und für Reibung ist gesorgt. Ein Raum in der Fettschwemme lädt zum Schmunzeln ein, der nächste beängstigt, ein dritter langweilt, der vierte erregt. So möchte ich Ausstellungen immer erleben.

[Alle hier gesetzten Links laden übrigens zum Stöbern und Kennenlernen der Künstler ein]

Musikalisches findet man auch, und diesmal waren die Töne der Ostrale eher entspannend: Michael Petermann von Weisser Rausch hatte bereits im letzten Jahr eine wunderschöne Orgel-Installation (hier ein kleiner Ausschnitt) im Sozialtrakt - nun wartete sein "Blödes Orchester" gar nicht blöd zur vollen Stunde mit einer Sinfonie auf. Küchenmaschinencharme der 60er und 70er zum Klingen gebracht.


Martin Müller (CH) wartete mit einer Installation aus Glaskörpern auf, die ebenfalls orgelähnliche Harmonien in eine Halle entluden. Hingegen ein optischer wie akustischer Alptraum die Kuckucksuhrenwand von Stephanie Hotz.


Eine 5,2m lange Posaune kreierte Dennis Tan und überließ dem Zuschauer die Klangvorstellung.


Weniger eindeutig war die Installation von Einautis Markunas, zu dessen Schuhen im Mehl etwas unmotiviert nebenher zeitgenössische Kammermusik erklang.


Wer zu gute Laune hatte, konnte sich draußen auf dem Hof von Benoit Maubreys "Rap Fields" beschimpfen lassen: Esshohl und Fukiou als Lautmalerei.

Und hier noch ein paar Hinweise auf starke Kunst:
- Sabrina Bautz an Crewdsons Inszenierungen gemahnende Fotos
- Michel Boekhoudt mit kräftigen Acrylbildern (siehe Website)
- Serge Cloots verstörende Facebook/youtube-Installation


- Giacomo Costas Unterwasser-Szenarien, die mich stark an Dusolliers Kurzfilm Obras erinnern
- Elke Daemmrichs phantasievolle, farbenfrohe Malerei
- Katrin Hanuschs rotierende Sonnenschirme
- Judith Heinsohns kraft- und gefühlvolle Installation, die auch Angst machte
- Ebenso angreifend herznah war die Fotoserie "Le grand voyage" von Christian Roosen, die einem kein Entrinnen läßt. Ein Besuch der Website lohnt sich, es sind hervorragende Momente und fotografische Erzählungen.

Es wäre noch viel mehr Gutes und Spannenes zu nennen, aber mit dieser Auswahl will ich es bewenden lassen.

Und auch das darf nicht fehlen: enttäuscht war ich von Kunstwerken, die als allererstes den Gedanken aufkommen ließen, "das ist ja genau wie..." - bestes Beispiel Jeffrey Isaacs Bush-Politmalerei, da ziehe ich Fabian Marcaccios documenta-Wand vor, die 2004 viel zeitnaher und heftiger wirkend war. Und zum Gähnen sind auch die ewig wiederkehrenden Raumirritationen in Form von Beulen, künstlich aufgerauten oder gelöcherten und verschobenen Wänden (Marten Schech). Dann doch bitte das Leben schichten, wie Veronika Schneider es in ihren Atemnot verursachenden Schichtungen überzeugend vormacht. Auch den von m.gitjes/bobok mit Texten, Bildern und Collagen vollgestopften Raum findet man auf fast jeder Kunstausstellung, nur der Künstler heißt jedesmal anders. Dass sich hinter dem bobok-Raum diesmal ein Schrei nach Liebe verbarg, nimmt man dann leider kaum noch wahr, denn die Schreierei steht zu sehr im Vordergrund.
Hat noch jemand Lust auf eine Partie Schach mit Martin Werthmann? Nicht?
Dann freuen wir uns auf die nächste Ostrale.

Donnerstag, 16. September 2010

Von der Baracke ins Schloss

Festkonzert in der neuen Aula des Landesgymnasiums für Musik

Einige Superlative sind schon angebracht, wenn es gilt einen Um- und Neubau zu feiern, der höchsten Ansprüchen gerecht wird. Ob das im Falle des Landesgymnasiums für Musik "Carl Maria von Weber" so sein wird, wird der laufende Betrieb zeigen. Für die Arbeits-, Lern- und Übebedingungen der musikalischen Schüler jedenfalls wurde im Vorhinein alles getan, um nicht nur Leistungen und Ergebnisse zu erzeugen, sondern einen Ort hervorzubringen, so Schulleiter Mario Zecher, an dem die Schüler sich gerne aufhalten, sich wohlfühlen.

Nur aus dieser Atmosphäre heraus kann in der Musik wie im Gymnasium kreative und gemeinschaftliche Arbeit entstehen. Dabei war vermutlich jegliche Steigerung der Bedingungen willkommen, denn das alte Schulgebäude stand auch für eine Schulform, die hoffentlich immer mehr der Vergangenheit angehören wird, so die Träger und Förderer Einsicht zeigen. Im Schülermund ist man "von der Baracke in Schloss" gezogen (das Internet-Kartenwerk google-maps hat den Umzug übrigens noch nicht mitbekommen...) - letztlich zieht das Landesgymnasium nun mit den künstlerischen Hochschulen in Dresden gleich, die ebenfalls in den letzten Jahren große Anstrengungen in dieser Hinsicht unternommen haben.

Drei Tage lang nun wurde das neue Gebäude an der Kretschmerstraße, das Haus des ehemaligen Martin-Andersen-Nexö-Gymnasium festlich eingeweiht. Am Sonntag beteiligte sich die Schule zudem am "Tag des offenen Denkmals" und wurde von reichlich Besuchern bevölkert. Neben Kantine, Übe- und Schulräumen entstand innerhalb des Altbaus die Aula neu, deren Inneres mit einer optisch gelungenen architektonische Mischung aus einem, modernen, funktionalem Konzertsaal und eben der Altbausubstanz mit den großen Fenstern zum Garten hin aufwartet. Neben den technischen Möglichkeiten, von Zeugnisverleihung über Orchesterproben (dafür kann man die Fenster noch mit ausfahrbaren Wänden verkleiden) bis hin zum voll bestuhlten Kammermusikkonzert ist vieles möglich.

Zwei Festkonzerte boten Gelegenheit zur musikalischen "Inbetriebnahme" und natürlich für die geladenen Gäste auch jede Menge Unterhaltung und einen Querschnitt durch das Angebot der Schule. So zeigten sich im Konzert am Sonntag Schüler, Lehrer und Ehemalige vom Solo bis hin zum Kammerensemble, von Mozart bis hin zu Jazz. Dem Geiger Florian Mayer blieb es vorbehalten, den - auch musikalisch virtuos in Erscheinung tretenden - Conferencier zu mimen, Katja Erfurth begleitete ihn mit tänzerischen, aphoristischen Erkundungen des Bühnenraumes. Wolfgang Hentrich und Heike Janicke, Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, gaben sich ebenso die Ehre wie Camillo Radicke und Gunther Anger, letzterer mit familiärem Anhang am Cello. Akustisch ist die Aula mit wenigen Wandeinzügen und einer neuen Deckengestaltung als gelungen zu bezeichnen; der Klang ist direkt, aber niemals scharf, sondern eher abgerundet und in den hinteren Reihen etwas gedeckt. So läßt sich gleichermaßen Bläser- und Streichermusik in interpretatorischer Breite aufführen, ohne dass Interpreten zu aufwändig Klang erzeugen müssten. Auch der Klavierklang trägt im Raum exzellent, ohne dass man eine Höhen- oder Tiefenbevorzugung empfindet.

Im Gesamteindruck glich das Konzert weniger einer Leistungsschau der Eleven als vielmehr einem bunten Begrüßungsstrauss, bei welchem sich Korngold und Mozart, Esbjörn Svensson und Luciano Berio die Hand reichten. Von letzterem erklangen die erfrischenden "Folk Songs" und da bereits Florian Mayer in der Moderation prophezeite, was heute in der Zeitung stünde, hier auch stellvertretend für alle engagierten Protagonisten die Namen der Interpreten, "die man sich merken muss": Anne Petzsch (Sopran), Klara Penkert (Flöten), Christian Wettin (Klarinette), Alice Ludewig (Harfe), Sebastian Dietrich (Viola), Daniel Thiele (a. G., Cello), Toni Hartung und Johannes Graner (Schlagzeug).

Größe und Geschenk der Werke

Beethoven, Janáček und Sibelius im 2. Kapellkonzert

Wer die Klaviermusik von Mozart liebt, kommt an dieser Dame nicht vorbei. Wer Schönberg liebt, erst recht nicht. Mitsuko Uchida ist seit Jahren anerkannte und gefeierte Interpretin dieser Komponisten, aber ihr Repertoire geht weit darüber hinaus. Die Flexibilität dieser Künstlerin und ihre Aufrichtigkeit beim Herangehen an die Partituren erzeugen immer wieder hochklassige, spannende Interpretationen. Auch bei ihrem Gastspiel bei der Staatskapelle Dresden im 2. Sinfoniekonzert war das der Fall und wurde vom Publikum mit lauten Bravos bedacht.

Die Darstellung des 1. Klavierkonzertes C-Dur von Ludwig van Beethoven war von unglaublicher Reife und Souveränität, Uchida reizte die Farbpalette des Klaviers, wie sie Beethoven um 1800 nutzte, voll aus und präsentierte sowohl schlanke Verspieltheit als auch grimmigen Ernst und im 2. Satz ein zauberhaftes Largo, das immer im Melodiefluss blieb und so nicht in romantische Missdeutung abglitt. Gleiches gilt für das Orchester, dem der Ehrendirigent der Kapelle, Sir Colin Davis, nicht nur genaues Spiel abverlangte, sondern das mit Uchida eine glänzende Partnerschaft einging, dies war schon in der Exposition des 1. Satzes spürbar. Virtuosität ist bei Uchida keine Zurschaustellung, sondern pure Demonstration von Sinnlichkeit des Anschlages und dem Fortgang der Komposition. So blieb immer Beethoven gewahrt und man wähnte sich in der Betrachtung eines facettenreichen Bildes - Uchida brach so eine Lanze für den frühen, bereits genialen Meister, ohne ihm seine Eigenheiten zu nehmen.

Bestens aufgelegt ging die Staatskapelle auch in den zweiten Teil des Konzertes, der mit einem besonderen Programm aufwartete. Es ist eine interessante Erfahrung, dass Partituren von Leoš Janáček und Jean Sibelius über 80 Jahre nach der Entstehung immer noch Staunen verursachen. Die Kopplung beider Komponisten ist sinnfällig und erhellt spannende Zusammenhänge in der Übergangsphase zwischen Romantik und Moderne. So eindeutig, wie Richard Strauss über Heldentaten und Alpenwanderungen phantasierte, begegnet einem diese Musik jedoch nicht, und trotz des brennenden Feuers, das Sir Colin Davis in der Rhapsodie "Taras Bulba" entfachte, konnte das Sonntagspublikum für das Schlachtengemälde kaum Begeisterung aufbringen. Davis wählte forsche Tempi und scharfe Akzentuierung der Motivik, so dass alle drei Teile stets dramatisch blieben, fand aber auch die Ruhe und rhythmische Basis für die tänzerischen und melodischen Elemente, die auch in zahlreichen solistischen Passagen gut gestaltet waren.

Für die Aufführung von Jean Sibelius letztem vollendeten Orchesterwerk, der sinfonischen Dichtung "Tapiola" Opus 112 sollte man ebenfalls dankbar sein, zumal Davis als ausgezeichneter Kenner dieser Musik exemplarisch den großen Atem der Musik zeichnete und immer wieder die Weite und das Volumen dieser Musik fast dreidimensional ausformte. Transparent ausgehörte Harmonik und intensiv angelegte Steigerungen machten dieses Naturgemälde äußerst plastisch. Die Größe und das Geschenk dieser Werke zu vermitteln, daran liegt Davis spürbar am Herzen - ohne Janáček und Sibelius wären viele Entwicklungen der Musik im 20. Jahrhundert völlig undenkbar.

Es ist ungewöhnlich, darauf hinzuweisen, aber dieses Konzert war ein wichtiger Schritt, um dieses Verständnis zu fördern und zu begreifen, dass auch abseits der bekannten sinfonischen Pfade musikalische Delikatessen zu finden sind.

Montag, 6. September 2010

Im Rausch der Geschwindigkeit

Hisako Kawamura im Abschlusskonzert des Pianoforte-Fest Meißen

Das diesjährige Pianoforte-Fest-Meissen ist seit Mittwoch beendet. Im Gymnasium St. Afra fand das Abschlusskonzert statt. Seit Juni hatte es insgesamt 10 Abende mit Klaviermusik gegeben. Fünf dieser Abende wurden von Pianisten asiatischer Herkunft gestaltet, was zumindest zu interessanten Vergleichen einlud, nicht aber zwingend zu einem Urteil über den "Markt" führt. Feststellen läßt sich, dass die meisten dieser Musiker hervorragen in Ost und West ausgebildet wurden und zumeist eine illustre Biografie vorweisen.

So auch die Japanerin Hisako Kawamura, die etwa den ARD-Musikwettbewerb und den Clara-Haskil-Concours gewonnen hat. Am Ende zählen jedoch nicht die erworbenen Meriten, sondern das Erlebte im Konzertsaal - Hisako Kawamura spielte in der Aula des Landesgymnasiums ein klassisch-romantisches Programm und löste hohe Erwartungen leider kaum ein. Dabei begann sie mit zwei dynamisch gut ausbalancierten Choralvorspielen von Bach in der Busoni-Bearbeitung, wobei der ruhige Choralfluss noch intensiver, auch barocker gestaltet vorstellbar wäre. Eine Beethoven-Sonate folgte, später Brahms und Chopin, somit gleich drei berühmte Säulen der Klavierliteratur.

Beethovens Sonate Es-Dur Opus 31/3 gilt als vermeintlich "kleine" Sonate und anfangs ging Kawamuras Konzept auf, das Stück in eine Haydnsche Leichtigkeit zu versetzen. Das jedoch hätte zumindest Graziösität und Farbenreichtum verdient, was Kawamura ebensowenig anbot wie Beethovens Hakenschläge in der Harmonik auszugestalten. Stattdessen setzte sie auf Virtuosität und einen Tempoturbo, der bald das ansonsten liebenswerte Stück aus den Fugen geraten ließ: nach-hören, atmen, inszenieren, empfinden, all diese pianistischen Tugenden ließ sie in der hitzigen Hast von Allegro, Scherzo und Finale außer acht, nur das Menuett nutzte sie zum (notwendigen) Innehalten.

Ähnlich gleichgeschaltet wirkten die vier späten Klavierstücke Opus 119 von Johannes Brahms. Auf guter rhythmischer Basis angelegt, versagte die Interpretation dort, wo die eigentliche Kunst des Brahms-Spiels beginnt: in der Anschlagskultur. So wurden etwa die Final-Akkorde gründlich als äußerlicher Kraftakt missverstanden. Wo aber Kraft keinerlei Spannung überträgt, Haupt- und Nebenstimmen nicht getrennt sind und nur Ton neben Ton planvoll gesetzt ist, teilt sich der Zauber dieser Stücke nicht mehr mit.

Im zweiten Teil des Konzertes gab es jedoch eine Steigerung, offenbar lagen der Japanerin die Werke von Frédéric Chopin mehr: die b-Moll-Sonate konnte im Largo durchaus klangschön überzeugen, während Kawamura die Außensätze wieder ihrer technischen Brillanz widmete. Damit lag sie hier zumindest nicht falsch, jedoch teilte sich ein tieferes Interpretationsverständnis der Sonate nicht mit: der Trauermarsch "passierte" einfach ohne weitere Nachwirkungen zu verursachen. Schönster Beitrag des Konzertes waren dann ausgerechnet die Drei Mazurkas Op. 59 in leichtfüßiger Schlichtheit und kantabler Auszeichnung. Beim abschließenden Scherzo Op. 39 war die Konzentration überbeansprucht, Fehler schlichen sich ein, die die Pianistin mit wuchtigen Passagen auszugleichen versuchte. Angesichts der bereits demonstrierten Klasse des Festivals war dieses Konzert nicht der qualitativ hochwertige Abschluss, den man sich erhofft hatte.

Ein knallbunter Elfenbeinturm - Hellerau stellt Programm für die "Tonlagen" 2010 vor

Das "Tonlagen"-Festival der zeitgenössischen Musik Hellerau geht im Oktober in sein zweites Jahr - insgesamt wird seit nunmehr 24 Jahren immer im Herbst die Neue Musik in den Vordergrund des kulturellen Interesses in Dresden gerückt. Intendant Dieter Jaenicke hat innerhalb von zwei Jahren das Festspielhaus neu profilieren können und dabei bereits bestehende Tendenzen fortentwickelt - zeitgenössische Musik ist längst angekommen im bunten Mix der Kunstausübung.

Jaenicke stellt sich der Auseinandersetzung mit dem provokanten (und dabei uralten) Thema "Populär versus Elitär" und wird diese Fragestellung sowohl im Symposium als auch in einer Diskussionsreihe "Hellerau Talks" aufwerfen, doch die Besucher der Tonlagen werden sich in rund 24 Veranstaltungen vom 1. bis zum 16. Oktober selbst davon ein Bild (und Ohr!) machen können, ob diese Gegenüberstellung in der Realität anwendbar ist. Jaenicke vermochte keinen Höhepunkt zu nennen, dafür biete das Festival in diesem Jahr "eine Fülle von musikalischen Erfahrungen und Experimenten". Die Hellerauer setzen auf reichlich Reibungs- und Kontaktflächen zwischen den Künsten, kaum ein Konzert der Tonlagen wird als klassischer "Frontalunterricht" stattfinden.

Sinnlichen Klangwirbel wird ein Prolog von Moritz Gagern verursachen: Ein Konzert für 50 Windgongs und Ensemble lädt bereits am Sonnabend, 4. September zu einem besonderen Erlebnis ein - als begeh- und bespielbare Installation sind die Gongs dann auch während der Tonlagen präsent. Schlagwerke spielen ohnehin eine besondere Rolle: dem altehrwürdigen Drumset wird (im Quartett!) ein Uraufführungskonzert am 3.10. gewidmet, bei dem Zappa, Reich und Varèse sich die Hand geben. Kooperationen mit der Dresdner Philharmonie und den Dresdner Sinfonikern dürften zwei große, aber völlig unterschiedliche Konzertereignisse bescheren: die Philharmonie lädt mit dem österreichischen Dirigenten und Chansonnier HK Gruber zu einem Pandämonium namens "Frankenstein!", während sich die Sinfoniker auf eine Klangreise nach Ost-Anatolien begeben. "Neue Musik" heißt dann vor allem unbekannte Kulturkreise zu entdecken, ebenso wie in "Waft" 500 Jahre alte Sutartiné-Gesänge aus Litauen auf eine audiovisuelle Performance trifft (11.10.). Im Projekttheater läßt sich dieser Kulturschatz einen Tag vorher pur genießen (Trys Keturiose, Gesang - 10.10., 17 Uhr).

Ensemblekonzerte bilden eine Konstante des Festivals, denn neue Kammermusik bildet ein unerschöpfliches Feld. Ensemble Resonanz, Ascolta und courage gastieren mit außergewöhnlichen Programmen zwischen Aktion und "Avantcore"; Uraufführungen wird es dabei u. a. von der Performerin und Komponistin Jennifer Walshe (11.10.), Michael Hirsch, Klaus Lang und Michael Wertmüller geben. Ein Musiktheater des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton Subotnick namens "Jacob's Room" nach Virginia Woolf wird die Festspiele am 1.10. eröffnen. Neben Theater und Konzert sind auch Film (Andy Warhols Screen Tests neu betrachtet und vertont, 5.10.) und Tanz (Gastspiel der kanadischen Compagnie O Vertigo am 14.10.) in das Festival integriert. Eine Neuauflage des MELT-Klubs am 16.10. dürfte ein Publikumsmagnet sein, am 2., 8. und 14. Oktober wird zudem jeweils um 21.30 intimere Elektronika-Kultur vorgestellt.

Die Musikhochschule wird nicht nur Partner für das Symposium (1. und 2.10. im Wettinum) sein, sondern auch Aufführungsort für das Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden (16.10., 16 Uhr). Zwei Konzerte sind der Orgel gewidmet, davon dürfte das Konzert am 8.10. in der Auferstehungskirche Plauen in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Gesellschaft für Musik schon aufgrund einer Uraufführung von Jörg Herchet ("Namen Gottes") spannend geraten. Die Tonlagen genießen wird, wer die Bilder, Töne, Worte und Aktionen täglich mit Neugier und Offenheit empfängt - was mit einem Festivalpass ermöglicht wird. Kombitickets und ein Gruppentarif werden ebenso angeboten. Fest steht in diesem Jahr: keiner wird leer ausgehen, und den vermeintlichen Elfenbeinturm gilt es selbst knallbunt anzumalen, die Palette mit den Farben hält Hellerau bereit.

Vollständiges Programm und Kartenbestellung unter www.hellerau.org

Mittwoch, 1. September 2010

Der kleine Nick

Schade. Ich hatte es geahnt: dieses wunderbare Buch meiner Kindheit ist eigentlich tabu für eine Verfilmung. Dennoch habe ich mich überreden lassen, ihn anzuschauen (die Alternativen wären auch dieser Tage noch schlimmer gewesen...) und muss leider sagen: es kam schlimmer, als ich dachte. Ich hatte mir ja noch ein bißchen "Emil und die Detektive"-Flair im Kino vorgestellt, aber dieser französische Weichspülerhumor läßt einen sprachlos in den Kinosessel sinken. Jede Pointe, jeder zauberhafte Witz wird an der entscheidenden Stelle zusammengefaltet, von smoothiger Chansonmusik übertüncht und mit einer Grimasse des Hauptdarstellers gekrönt. Na, nicht gelacht? Pech, aber der nächste Witz kommt gleich...MUSIK! Das hat mit dem aparten Buch von Sempé und Goscinny leider gar nichts zu tun. Gerade gelingt es den Regisseuren noch, ein paar wunderbare Kinderdarsteller auszuwählen, was diese allerdings nicht verhindern können, ist das holperige Drehbuch, das sogar mit der "nackten Kanone" mithalten kann: Die Katze war in der Waschmaschine. Ha, nun ist sie naß. HARHAR.
Da darf man auch ungeniert den letzten Satz des Filmes zitieren: Nicks Berufswunsch: "Ich möchte die Leute zum Lachen bringen" - Richtig, das haben die Bücher geschafft. Dieser Film schafft es nicht. Trotzdem hier der Trailer, der das beste, den papiernen Sempé-Vorspann leider nicht zeigt:



Rezensionen:
* Welt - "großartiger Film"
* Schnitt.de - "terrible"
* Frankfurter Rundschau - "Der Schein der heilen Welt"

Und anstelle eines Hinweises auf die Filmseite im Netz geht es hier zu
Le Petit Nicolas - viel Spaß!

Freitag, 27. August 2010

Verregnet: Public Viewing der Berliner Philharmoniker

Er ist unberechenbar, der Herr Petrus, und heute schlug er erbarmungslos zu - Die Berliner Philharmoniker spielen ihr Saisoneröffnungskonzert nicht nur live in der Berliner Philharmonie, sondern werden per SAT-Übertragung auch in 60 Kinos in ganz Europa gehört.

In Dresden gab es zu diesem Anlass ein besonderes Public Viewing in der Jungen Garde. Waldbühnenfeeling sollte sich einstellen, doch Veranstalter Bernd Aust wird den Dresdner Himmel verfluchen, denn die Ausläufer des Starkregen-Tiefs trafen just zu Konzertbeginn den Großen Garten. Mit Blitz und Donner verabschiedete sich dann auch der Satellit, der die Übertragung garantieren sollte und notgedrungen kam Sir Simon dann per eingelegter DVD als Aufzeichnung zum etwa 80köpfigen Volk: Konservenbrahms statt Livebeethoven.

Kurz nach 20 Uhr gab es dann aber Entwarnung: die Leitung stand wieder, und pünktlich zu den ersten waldigen Tönen der 1. Sinfonie von Gustav Mahler tauchte "der echte" Rattle (und Albrecht Mayer nun mit Bart...) auf dem Bildschirm auf. Den wenigen Hartgesottenen gefiel die vorzügliche Darbietung, auch die Akustik war bestens eingestellt. Mahler unterm Schirm für ein exquisites Publikum - nur die etwas vorschnell in den Buden gerösteten Bratwürste dürften heute keinen Abnehmer mehr finden...

Bunte Uraufführung

Musikalischer Flashmob begleitete den Sounding-D-Zug in Dresden

Früher verabredete man sich unter dem Lindenbaum am Dorfplatz zum Tanzen und Singen. Heute heißt die spontane Versammlung "Flashmob" und fordert die Kreativität der Beteiligten. Auf dem Altmarkt trafen sich gestern zu einem musikalischen Flashmob-Konzert rund 800 Teilnehmer, singend und spielend begeisterte man die Passanten.

Hintergrund war der Auftakt zu "sounding D" - einer Präsentation der 15 Projektorte, an denen seit zwei Jahren das Netzwerk Neue Musik, ein Förderprojekt der Bundeskulturstiftung, aktiv ist. Verbunden werden diese Orte von Passau bis Kiel, Köln bis Dresden derzeit durch einen speziellen "sounding D"-Hörzug, der zwei Wochen lang die Städte der Netzwerkprojekte anfährt und jeweils musikalische Darbietungen an und um die Bahnhöfe herum auslöst.

Der Zug erreichte den Dresdner Hauptbahnhof gegen halb zwölf und bot auf Bahnsteig 14 den ganzen Tag über im Inneren Klangkunst und Hörüberraschungen an. Der Komponist Robin Minard hatte einen Waggon komplett zu einer Licht-Klang-Installation umgebaut und vorproduzierte Klänge mit aktuellen, alltäglichen aus den Standorten des Zuges mischte. In einem anderen Waggon konnte man in speziellen Sitzen körperliches Hören von Musik erfahren. Zudem ist für jede Stadt ein Soundwalk entstanden mit jeweils 15 Hör-Orten (darunter in Dresden die Waldschlößchenbrückenbaustelle, die Hochschule für Musik oder die Skateranlage an der Lingnerallee). Der Soundwalk kann während der Reise des Zuges auch im Internet verfolgt werden.

Der Leiter des Sounding D-Projektes Bojan Budisavljevic betonte, dass zwar an allen Stationen des Zuges natürlich Neue Musik-Konzerte der Projektteilnehmer erklingen würden, jedoch sei gerade der Zug auf das Erfahrbarmachen des Hörens selbst abgestimmt, ein Prozess, den wir oft zu unbewusst in unseren Hörumgebungen geschehen lassen. Neue Musik drängt so in die Öffentlichkeit und die Klänge des urbanen Alltags werden im Umkehrprozess wieder zu einer Sound-Installation.

Dresden als Auftaktort hat mit dem "KlangNetz Dresden" schon seit zwei Jahren viele Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik erlebt, nun war es der Flashmob auf dem Altmarkt, der an einem ganz normalen Mittwoch Besucher zum Zuhören und Mitmachen animierte. Die Noten gab es vorher im Internet zum Ausdrucken - Carsten Hennig hatte ein Stück komponiert, das mittels farbiger Ballons seine Dramaturgie erhielt und auch für Laienmusiker machbar war. Und sie kamen in Scharen: Ensembles des Heinrich-Schütz-Konservatoriums, der Carl-Maria-von-Weber Chor Dresden, das Hornquartett der Dresdner Philharmonie und sogar eine Gruppe des Meeting Points Messiaen Görlitz versammelte sich vor den Ballons; mancher nutzte den Flashmob, um wieder einmal aktiv seiner Klarinette oder Blockflöte Töne zu entlocken.



Kurz vor Beginn war der Wind der härteste Widersacher der Notenblätter, doch bald hallten die Fassaden des Altmarktes von den neuen Tönen wider - Lennart Dohms koordinierte mit Schildern den Ab- und Aufstieg der Ballons. Zwischen Liegetönen und flatterhaften Passagen gab es da so manchen überraschenden Zusammenklang, vor allem für die wandelnden Passanten. Nach gut fünfzig Minuten hieß es "Die Luft ist raus" und man formte (Ballon Gold) einen strahlenden D(resden)-Dur-Akkord. Am Ende gab es großen Applaus für die Aktion und für den Komponisten Carsten Hennig, der auf diese unkonventionelle Weise das musikalische Dresden jenseits der hehren Konzertbühnen zusammengeführt hatte.

In einer bunten musikalischen Parade zogen die Flashmobber anschließend die Prager Straße hinunter, um am Hauptbahnhof mit einem Konzert des Philharmonischen Kammerorchesters und des Staatsopernchors in der Wandelhalle den Abschied des Zuges vorzubereiten. Der verließ Dresden am Abend in Richtung Berlin, der nächsten Station von sounding D, am 10. September wird die Reise mit einem dreitägigen Fest in Eisenach enden. Alle Mitwirkenden und Zuhörer auf dem Altmarkt hatten großen Spaß an der Sache, allerdings war auch der recht kurze Zugbesuch selbst in Dresden fast ein Flashmob, denn gerne hätte man sich länger mit dem wichtigen Anliegen, das Zu-Hören im Alltag neu zu entdecken, beschäftigt.

Carsten Hennig am Partitur-Tisch:


Das HSKD mischt mit Hörnerklang mit:


Hier der Videobericht der nmz:



Linktipp: Der Sounding-D-Zug im Internet

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