Francaix, Franck und Borodin im 2. Kammerabend
Auf großes Interesse beim Publikum stieß der 2. Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle in der Semperoper am Mittwochabend. Vermutlich ist dies ausnahmsweise weniger den guten Interpreten oder dem spannenden Programm zu verdanken - auch das war der Fall - sondern einem besonderen Instrument. Dabei war es "nur" eine Geige, die die Aufmerksamkeit auf sich zog, aber bis vor wenigen Tagen war sicher nicht jedem bekannt, dass die Staatskapelle bereits seit fast 200 Jahren ein Instrument des Geigenbauers Antonio Stradivari besitzt. Die Geige hatte ein unrühmliches Schicksal, nachdem sie 1910 einem Malheur zum Opfer fiel; nach mehreren Notoperationen konnte sie in den letzten Jahren umfangreich restauriert werden und Konzertmeister Kai Vogler konnte das wertvolle Instrument nun wieder seiner eigentlichen Aufgabe zuführen, nämlich durch ihren besonderen Klang im Konzert zu betören.
Natürlich maßt sich niemand an, diese Einzigartigkeit auch im Hörerlebnis sofort nachvollziehen zu können - gar viele Kollegen der Geigenbaukunst haben dem Meister nachgeeifert und kaum weniger passable Ergebnisse produziert. Für die Premiere hatte Vogler die Violinsonate A-Dur von César Franck ausgewählt, ein opulentes, durch und durch romantisches Werk, in dem man mit Legato und großem Ton nicht sparen muss. Der satte Violinklang entfaltete sich da ohne große Mühe und stets blieb eine gewisse Wärme, auch in der Höhe, erhalten.
Weitgehend instrumentenunabhängig sollte sich allerdings die Interpretation gestalten, hier blieben aber einige Wünsche offen. Das leidenschaftliche Feuer, das Francks Sonate nach wenigen Partiturseiten entfacht, blieb auf merkwürdige Weise gezügelt. Vielleicht lag es daran, dass Vogler mit Mirjana Rajic am Klavier nicht immer den gleichen Atem hatte - Rajic blieb vor allem im 1. Satz sehr zurückhaltend und die anspruchsvollen Aufgaben im Klavierpart löste sie zwar zumeist sauber, der emotionale Drang dieses Stückes trat jedoch kaum einmal bei beiden Musikern in den Vordergrund. Die Themengestaltung an sich war zumeist von sehr geradliniger Haltung geprägt, zumindest erschien dies für diese französische Musik ein außergewöhnlicher Zugang zu sein.
Umrahmt wurde die Sonate von einem Trio und einem Quartett: zu Beginn musizierten Annika Thiel, Holger Grohs und Friedwart Christian Dittmann das Streichtrio von Jean Francaix. Liest man diesen Komponistennamen im Programm, ist immer niveauvolle Unterhaltung garantiert. Schwungvoll und stets in Bewegung erschienen die ersten beiden Sätze, überraschend innig im Ausdruck stand an dritter Stelle ein kostbarer Andante-Satz. Sehr überzeugend musizierte das Trio gerade die leisen, fast verwehten Passagen dieses nicht sehr tiefgründigen Werkes.
Zum Beschluss des Konzertes gesellte sich an der zweiten Geige Kay Mitzscherling hinzu. Mit dem Quartett Nr. 2 D-Dur von Alexander Borodin wurde ein Werk vorgestellt, das zwar äußerst selten erklingt, aber dennoch zum Kammermusikschaffen der russischen Romantik einen gewichtigen Beitrag leistet. Sind die ersten beiden Sätze eher konventionell gestaltet, so ist das Notturno ein wunderbarer langsamer Satz und im Finale weiß Borodin die Spannung durch fanfarenartige Themenartikulation aller Instrumente zu halten. Das Kapell-Quartett zeigte sich hier ebenso versiert wie bei Francaix und konnte für die klangschöne Interpretation viel Applaus verbuchen.
Ton Koopman mit dem Amsterdam Baroque Orchestra in der Frauenkirche
Wenn es um historische Aufführungspraxis und die Verdienste um die barocke Musik geht, muss sein Name unbedingt genannt werden: der niederländische Organist und Dirigent Ton Koopman gilt als einer der gefragtesten Interpreten auf diesem Gebiet. Am Sonnabend konnte man sich in der Frauenkirche davon überzeugen, wie Koopmans Bach klingt - der Dirigent brachte sein von ihm 1979 gegründetes "Amsterdam Baroque Orchestra" mit, das nach vierunddreißig Jahren Erfahrung unter anderem auf eine komplette Einspielung des Kantatenwerks von Bach zurückblicken kann und derzeit mit dem Gesamtwerk von Dieterich Buxtehude befasst ist.
Der Begriff der Authentizität drängt sich hier fast auf, und doch wissen wir, dass das historisch informierte Spiel immer nur eine Annäherung, eine Sichtweise an das barocke Zeitalter vermitteln kann. Ton Koopman verlieh der Musik mit impulsivem Dirigat vom Cembalo aus sehr viel Energie und Lebensfreude. Schon nach wenigen Takten der 3. Orchestersuite BWV 1068 von Johann Sebastian Bach ist man beim Hören in einer Selbstverständlichkeit angelangt, die nicht aus Routine heraus entsteht. Koopman begreift die Musik aus dem Moment heraus als etwas, was immer wieder neugierig angegangen werden muss - das machte Bach in der Verbindung mit der hohen Spielkompetenz des Ensembles zu einem Hörabenteuer.
Aus dieser Haltung heraus veredelte Koopman auch das berühmte "Air" in der Suite, das im schlanken Ensembleklang genau die richtige Balance zwischen Harmonie und Melodie erhielt. Die anderen Sätze erhielten markanten Zugriff und im Fall der Gigue auch ein durchaus rasantes Tempo, wobei Koopman nie den Sinn für die Faktur und die vielen Details verlor. Mit einem frühen Werk von Mozart und einem späten von Haydn wurde dann ein großer Bogen über die Wiener Klassik gezogen. Der Fagottist Wouter Verschuren gehört dem Ensemble an, wie viele seiner Kollegen ist er aber auch Spezialist für sein Instrument und konzertiert solistisch.
Mozarts Fagottkonzert B-Dur, 1774 entstanden, mag man auf dem modernen Fagott kennen, das aber erst im 19. Jahrhundert seine heutige Bauart erhielt. Verschurens Interpretation auf dem Barockfagott war höchst spannend, weil man sich von vornherein auf eine herbere Klanglichkeit einstellen musste. Koopman und Verschuren boten eine mitreißend lebendige Darstellung, die in den schnellen Tempi und in den hochvirtuosen Kadenzen auch einiges sportliches Risiko in sich barg. Das machte Verschuren aber mit einer unglaublichen Versiertheit im klanglichen Bereich aller Register des Fagotts wett.
Haydns 103. Sinfonie Es-Dur ist der vorletzte Vertreter der "Londoner Sinfonien" - der Beiname "Mit dem Paukenwirbel" deutet wieder einmal auf die Gewitztheit der Kompositionen des Meisters hin. Diese Sinfonie beginnt mit einem Fermatentakt für die Solopauke, die pompöse Intrada bleibt aber Augenwischerei angesichts des folgenden nebulösen Adagios, das schon an das Gewürm in der "Schöpfung" gemahnt. In dieser Sinfonie ist das Orchester mit komplettem Holz, Hörnern und Trompeten voll besetzt und Koopman hatte keinerlei Mühe, die vielen Raffinessen hervorzulocken, die hier vor allem in stetig veränderter Instrumentation einfachster melodischer Grundlagen aufblitzen. Das "con spirito" des letzten Satzes nahm Koopman wörtlich - wenn ein Geist dieses Konzert durchwehte, dann war es vor allem die Beseeltheit einer gemeinsam und kompetent angegangenen frischen Musikalität, die Koopman mit seinem Ensemble überzeugend vermittelte.
Gustav Mahlers 9. Sinfonie im Kapell-Konzert mit Myung-Whun Chung
Viel ist über Gustav Mahler gesagt und geschrieben worden - vor allem 2011, als des Komponisten 100. Todestag gewürdigt wurde. Dabei musste "seine Zeit erst kommen", denn die Rezeption seiner Musik verlief keinesfalls geradlinig. Vielleicht sind wir heute imstande, aus der Distanz besser zu verstehen, welchen Visionen, Lebensentwürfen und Philosophien der Komponist in seiner Musik nachgespürt hat. Vielleicht ist Mahler aber auch - wie Axel Brüggemann im Programmheft zum 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle treffend formuliert - "einer von uns". Einer von uns - das schließt persönliche Stärken und Schwächen ebenso ein wie höchstes Glück und tiefste Trauer zu erfahren.
Können wir überhaupt den Schöpfer von seiner Musik trennen? Wo sollen wir hinhören angesichts der schonungslosen Existenzialität eines Werkes wie der 9. Sinfonie - bei der man sich ja kaum traut, die Bezeichnung "D-Dur" hinzuzufügen angesichts des Erlebnisses eines inneren Weltenbrandes, der sich jeglicher Kategorisierung verweigert. Das "Wozu?" formulierte bereits der Dirigent Bruno Walter als die quälende Grundfrage von Mahlers Seele - in seinen 10 Sinfonien, dem "Lied von der Erde" und den Liedkompositionen nimmt die Erörterung der Frage weitaus breiteren Raum ein als jeder Antwortversuch. In diesem Sinn konnte man Myung-Whun Chungs recht schonungslose Darstellung des Klingenden begreifen und gutheißen.
Chung hielt sich in bescheidener, fast demütig agierender Weise davon fern, zuviel deuten zu wollen. Mit der "Neunten" setzte der Erste Gastdirigent der Kapelle seinen Mahler-Zyklus fort, der sich über mehrere Spielzeiten spannen wird. Chung ließ auf eine interessante Art und Weise die Musik schlicht passieren, was zu einer schmucklosen Ehrlichkeit führte. Zwingend und überzeugend wirkte die Interpretation vor allem, wenn Chung mit knappen Signalen ganz aus innerer Ruhe heraus Übergänge formte oder den Instrumentengruppen Freiraum zur Entfaltung gab. Genau dieser Freiraum war es, der den aschfahlen Beginn der Sinfonie erzeugte, später dann vor allem im Holzbläsersatz zu schroffen und mit Mut ausmusizierten Klangfarben im 1. und 2. Satz führte. Unmissverständlich zeigte Chung, dass diese Sinfonie keinesfalls schöne Musik zur Erbauung und Ertüchtigung enthält - hier spricht das Leben selbst mit all seinen extremen Erfahrungen.
Chungs Darstellung überzeugte auch in der Verklammerung der beiden Mittelsätze, deren straffe Tempi - ohne jegliche wienerische Verzärtelung - dazu geeignet waren, eine Ahnung vom schicksalhaften "Weitermüssen" zu bekommen. Dabei begnügte sich die Kapelle nicht mit Details des Dreivierteltaktes - dieser bekommt bei Chung ohnehin eine bittere Endzeitdramatik. Nach dem ebenso unwirklichen Wirbel der Rondo-Burleske des 3. Satzes schlägt die Tür nach draußen zu. Es bleibt der große Abgesang des finalen Adagios, den die Staatskapelle mit großem Legato und fein austarierten abgedunkelten Klang ausformte. Chung gelang es, die dichten Steigerungen und den allmählich auskomponierten Zerfall dieser Sinfonie unter einen großen Spannungsbogen zu fassen, was in den letzten Takten zu einer seltenen Erfahrung von Stille im gesamten Opernrund führte - in der Summe zu einem großen Musikerlebnis.
Ich bin in einem großen Raum, in dem Massen von Chorsängern auf ihren Einsatz warten, freue mich aber diebisch und öffentlich darüber, dass ich nicht mitmachen muss, weil die meisten Chorsänger in unmöglich aussehende Uniformen (zumeist in grün-weiß) gesteckt wurden. Es geht auch nicht um ein Stück von mir, als das Spektakel beginnt, kommen zunächst Pferde in den Raum getrabt, am Boden spielende Kinder werden in letzter Minute gerettet. Mir wird das dann doch alles zuviel und ich verziehe mich in einen kleinen Nebenraum, aus dessen Oberlicht ich in den Park schauen kann. Von draußen werde ich von einer Frau beobachtet.
1) komplett leere, muffig riechende Räume in einer Jugendherberge mit offenstehenden Türen. Ich stehe am Fenster, gegenüber in einer Tür H.
2) ich trinke eine Art Schnaps aus vergorenem Obst. Es ist aber mehr eine Art Mus. Vielleicht Birnen. Den süßlich-fauligen Geruch kenne ich aus der hinteren Ecke des Gartens...
Widmann und Bruckner mit der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche
Auf ihrer langen musikalischen Reise durch die Stadt befindlich fand sich die Dresdner Philharmonie am Sonntagabend zum Konzert in der Kreuzkirche ein. Sinfonien von Anton Bruckner sind in diesem Raum gut aufgehoben - mit der australischen Dirigentin Simone Young, die schon mehrfach bei der Philharmonie gastierte, stand auch eine Spezialistin am Pult, die Raumklang und Charakteristik der Partitur zu verbinden wusste. Zuvor gab es einen zeitgenössischen Prolog, der zu Bruckners lichtestem Sinfonieopus nur als Kontrast verstanden werden konnte.
Jörg Widmann ist in Dresden ebenfalls ein gern gesehener Gast und präsentierte sich als Interpret seines eigenen Werkes "Elegie für Klarinette und Orchester" aus dem Jahr 2006. Diese Aufgabe erfüllt er weniger aus Notwendigkeit denn aus Leidenschaft, denn Instrumentalist und Komponist inspirieren sich hier gegenseitig. Der Aufführung war anzumerken, dass spontan vor allem im Bereich des Timbres gearbeitet wurde. Dynamik und Tempo wurden stets genau justiert, um Echowirkungen und Überlagerungen zu erzeugen. Die letzten Geheimnisse einiger Details vor allem in leisesten, schnellen Passagen der Soloklarinette verschluckte der Raum dann leider dennoch. Irritierend mutet Widmanns Tonsprache in diesem Werk an: zwischen avancierten Geräuschklängen und Neoromantik wähnt man sich auf einem schwankenden Boot, findet aber eine Antwort, wenn man diese Elegie als Summe verschiedenster Empfindungen deutet.
Die 6. Sinfonie in A-Dur von Anton Bruckner hat ein merkwürdiges Schicksal erlitten. Zu Lebzeiten des Komponisten wurde sie nie komplett aufgeführt, obwohl Bruckner, nach mehrjähriger Schaffenspause in gesicherter Stellung befindlich, sich nun endlich wieder an eine große Partitur gewagt hatte. Auch heute findet sich das Werk selten in den Konzertplänen; eine gewisse Introvertiertheit ist der Sechsten nicht abzusprechen, anders gesagt: die Schönheiten wollen entdeckt werden. Simone Young sorgte bereits im 1. Satz für einigen vorwärtsgerichteten Schwung, der aber noch einige Male von leicht nervös ausfallenden Übergängen beeinträchtigt wurde. Das legte sich im empfunden ausmusizierten Adagio, in welchem Young ganz klar auf eine fast kammermusikalische Lyrik setzte; damit unterschied sie diesen Satz auch deutlich von ihren ungleich gewaltigeren Partnern in anderen Sinfonien.
Schön war auch die Ausgestaltung des Scherzos, das mit einem sehr legeren Trio und insistierenden Pulsationen an den äußeren Enden aufwartete. Das Finale wurde von Young klar im Tempo bestimmt und durfte sich dynamisch frei und mit natürlicher Kraft entfalten. Die Philharmoniker beantworteten die angenehmen Zeichen vom Pult mit guter Homogenität vor allem im Tutti-Spiel - für diese lebendige und facettenreiche Bruckner-Aufführung gab es starken Applaus.
Zum 70. Geburtstag von Udo Zimmermann: "Weisse Rose" in Hellerau
Der Komponist Udo Zimmermann ist am Sonntag 70 Jahre alt geworden. Ihm zu Ehren gestaltete das Europäische Zentrum der Künste Hellerau eine Jubiläumsveranstaltung aus. Hellerau ist mit dem Namen Zimmermann untrennbar verbunden - es war ein weiter Weg vom Studio Neue Musik, das Zimmermann 1974 gründete, über das Dresdner Zentrum für Zeitgenössische Musik an der Schevenstraße bis nach Hellerau, das 2004 seinen heutigen Namen bekam. Immer war dem Intendanten, Komponisten, Visionär Udo Zimmermann die lebendige Pflege der Gegenwartskunst und vor allem der zeitgenössischen Musik und des Musiktheaters in allen Facetten ein Anliegen.
Politische oder finanzielle Barrieren schienen ihm erst recht Herausforderung zu bedeuten - wider die Bequemlichkeit, wider Scheuklappen und allzu leichtem Verharren in gewohnten Bahnen. Im Herzen stets Komponist geblieben, überwog doch immer die Neugier und Freude am Wirken der anderen - unzählige Uraufführungen beförderte er in seiner Zeit in Hellerau, als Opernintendant in Leipzig und Berlin und als Leiter der "musica viva" in München.
Im Zentrum der Ehrung in Dresden stand die Aufführung von Udo Zimmermanns wohl erfolgreichstem Werk, der Kammeroper "Weisse Rose", entstanden 1968 und mit dem Librettisten Wolfgang Willaschek textlich überarbeitet als "Szenen" 1986 uraufgeführt - seitdem erfuhr das Stück über 200 Inszenierungen in aller Welt. Das Stück thematisiert das Schicksal der antifaschistischen Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl, ist aber weit mehr als eine dokumentarische Aufarbeitung der Ereignisse im Musiktheatergewand. Briefzitate, Gedichte und Tagebuchaufzeichnungen formieren sich zu einem Zerrspiegel des Entsetzens, bei dem jede normale Empfindung fehl am Platze ist, das Unaussprechliche sich maximal in instrumentalen Splittern äußern kann und Haltung dort entsteht, wo man Gefühlen einen Raum zur Entfaltung gibt.
Wenn Willaschek von "existenziellen Zwischenräumen" spricht, derer man sich vergewissen soll, so waren diese angesichts der äußerst intensiven Interpretation der "Weissen Rose" durch die Musiker der Dresdner Philharmonie fast körperlich erfahrbar. Mit einem großen Ausdrucksspektrum versahen Sarah Davidovic (Sopran) und Christian Oldenburg (Bariton) die Partitur, stellten insistierendem Gespräch, Rufen und Schreien einen innigen Gesang gegenüber, der in seiner Natürlichkeit der Äußerung sofort das "Müssen" einschloss.
Vor allem gelang es den beiden Sängern eine Ebene der Interpretation zu erreichen, die keine zu eng festgelegte Identifikation mit den Personen proklamierte und damit zu emotionaler Übersteigerung geführt hätte. Der junge Dirigent Dominik Beykirch, derzeit als Assistent bei der Dresdner Philharmonie tätig, vollbrachte eine Meisterleistung mit dem 15köpfigen Ensemble. Ihm gelang es außerordentlich, jede der Szenen mit einer charakteristischen Innenspannung zu versehen. Das führte in den verzerrten Märschen zu (notwendiger) Klanggewalt; ebenso gut gestaltet war das ineinander verschlungene Raunen der Streicher, der wie eine flüchtige Erinnerung an das Leben aufscheinenden Walzer oder das unnachgiebige Pochen einer stets gegenwärtigen Angst, die Reaktion erfordert.
Dass Zuhörer wie Interpreten sich diesem Werk stellen müssen, Position beziehen müssen und jeder unabhängig von seinem Geschmack und seiner Ahnung etwas mitnimmt aus diesem hochemotionalen Erlebnis, dies war eine wichtige Erkenntnis dieser Aufführung und zeigt gleichzeitig den Respekt, den man vor dem humanistischen Ansatz der "Weissen Rose" haben muss. Für den Jubilar, der gerührt den starken Applaus aller Anwesenden entgegennahm, war dieser Abend eine sehr würdige Ehrung am Orte seines langjährigen Wirkens - ihm sei auch von dieser Stelle gratuliert und von Herzen Gesundheit und Schaffenskraft gewünscht.
1) Ich nehme an einer Demo gegen irgendetwas teil, die ich aber nur beobachtend vom Straßenrand verfolge. Vor mir steht mein Laptop, auf dem ein Video eines Manifestes läuft. Wasserwerfer tauchen auf, ich muss alles einpacken und flüchten. Es geht quer durch die Stadt (durch die ich schon mehrfach im Traum gelaufen bin, da ich die Ecken und die Topographie wiedererkenne - es ist eine Mischung aus W und DD mit fiktiven Bausteinen), unter anderem auch auf einem schmalen Steinsims, das sich hoch über der Stadt zwischen zwei Viertel windet. Es ist wie ein überdimensionales Treppengeländer, auf dessen Handlauf ich laufen muss. Auf der Hälfte der Strecke auf diesem Handlauf durchquere ich eine Kirche, danach geht es nach oben und der Untergrund wird glatt. Da links und rechts unter mir die Stadt als Abgrund droht, ich aber die glatte Stelle nicht im Stehen überwinden kann, setze ich mich hin und versuche, weiter hochzurutschen, was mir nicht gelingt.
2) Ich bin mit dem Rad unterwegs und lasse es an einer Ampel stehen, weil ich auf dem Platz gegenüber eine Matratze holen will. Dazu überquere ich Straße, Bahngleise und eine Wiese, sehe aber noch vor Erreichen meines Ziels, dass ein Typ mein Fahrrad nimmt und losfährt. Er hat eine dieser gefütterten, überdicken Sport-Jacken an. Ich verfolge ihn, verliere ihn aber ein paar Straßen weiter und komme zu Fuß zu Hause an.
Cellist Alban Gerhardt schenkt den Dresdnern "Bach im Bahnhof"
Es ist Rush Hour im Dresdner Hauptbahnhof, am Tag vor dem Feiertag nachmittags um halb fünf. Die Zeit drängt, die Menschen sind damit beschäftigt, von A nach B zu kommen. Die Kuppelhalle im Hauptbahnhof ist ohnehin ein wenig verengt - Werbeaufsteller, Stände und eine Fotoausstellung säumen den Weg zu den Zügen. Für gute vierzig Minuten jedoch bekommt die Halle eine akustische Veredelung. Der Berliner Cellist Alban Gerhardt, sonst in den Konzerthäusern der Welt zu Hause, initierte selbst die Reihe "Bach im Bahnhof", telefonierte sich bei der Deutschen Bahn durch, um in mehreren Großstädten die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach spielen zu dürfen - ohne Bühne, ohne Gage, ohne Hut, mitten im Alltag der Leute.
Gerhardt will die Musik zu den Menschen bringen, für einen kleinen Moment des Innehaltens sorgen, an einem Ort, wo die Sinne normalerweise nur dafür gebraucht werden, um das Ankommen und Abfahren zu koordinieren. Alban Gerhardt hat an diesem Tag schon im Leipziger Hauptbahnhof gespielt und reist - selbstverständlich - mit dem Zug an. Es braucht nicht viel Vorbereitung: der Verstärker ist ausklappbar, ein Stuhl steht bereit. Ein unauffälliges Plakat kündigt die Spontandarbietung an, aber solange kein Ton erklingt, hasten die Menschen vorbei. Gerhardt nimmt Platz zwischen zwei großen Werbeplakaten, links wirbt die Dresdner Philharmonie, rechts ein Erotikhandel. In Gerhardts Rücken erkennt man hinter den Scheiben eines Restaurants schemenhaft Menschen, die auf der Durchreise einen Imbiss einnehmen.
Dresden bekommt die beiden Moll-Suiten, Nummer 2 und 5 zu Gehör - es sind intime Stücke, die nicht zuerst mit barocker Strahlkraft auftrumpfen, mehr von melancholischer, nachsinnender Art geprägt sind. Gerhardt schließt die Augen und Bach strömt durch die Kuppelhalle, vermischt sich mit der Wolke der Alltagsgeräusche im Bahnhof. Ab dem ersten Ton verändern sich Raum und Zeit auf merkwürdige, beglückende Weise, wenn auch nur für eine Momentaufnahme: Bach erreicht die Menschen und sie gelangen zu Bach. Manche nehmen in den Sekunden des Vorübereilens nur ein kleines Motiv mit, andere bleiben länger stehen und lassen die Musik auf sich wirken.
Gerhardts intensivem Spiel kann man sich kaum entziehen. Nur wer sich per Kopfhörer schon der akustischen Außenwelt entledigt hat, eilt auch an Gerhardt teilnahmslos vorbei. Der Cellist seinerseits läßt sich auch nicht von einem rumpelnden großen Gepäckwagen irritieren, den eine Frau genau vor ihm durch die Halle schiebt. Die Traube der Zuhörer wächst beständig - am Ende gibt es Applaus und auf vielen Gesichtern ein Lächeln. Gerhardt verschwindet nicht sofort, sondern kommt mit den Besuchern ins Gespräch, nimmt Dank entgegen und stellt fest, wie klein die Welt am Hauptbahnhof ist - ein australisches Ehepaar auf Besuch in Dresden hatte hatte den Cellisten erst vor kurzem im Konzert in Perth gehört. Als Gerhardt dann mit Koffer und Cellokasten zum Bahnsteig aufbricht, um noch am selben Abend am Berliner Hauptbahnhof zu spielen, ist er in der Menge ein Reisender wie jeder anderer. Doch einigen Menschen hat er - samt Johann Sebastian Bach - an diesem Nachmittag ein wertvolles Geschenk gemacht.
Philharmonie-Konzert in der Frauenkirche mit Wagner und Bruckner
Wagner und Bruckner - das Aufeinandertreffen dieser beiden Komponisten im Konzert birgt immer Spannung in sich, denn was da oft vorschnell in die Schublade musikalischer Romantik sortiert wird, kann nicht so einfach zusammengebracht werden. Zu unterschiedlich sind die Persönlichkeiten, Biografien und Werke. Mit einigem Staunen verfolgte Bruckner das bewegte Leben des Opernrevolutionärs - selbst im Alter von 50 Jahren gerade auf dem Weg der künstlerischen Emanzipierung und in Wien leidlich als Lehrer akzeptiert, reiste Bruckner 1873 mit zwei Sinfonien im Gepäck auf eigene Faust nach Bayreuth, um eine Dedizierung seiner Stücke an den Meister vornehmen zu können.
Fortan nannte er seine 3. Sinfonie d-Moll "Wagner-Sinfonie". Jedoch nutzte das Vorbild wenig - das Stück fiel bei der Uraufführung durch; wie viele seiner Sinfonien landete das Stück zur Überarbeitung erneut auf Bruckners Schreibtisch. Angesichts der enormen Schwierigkeiten des Komponisten, die ersten fünf Sinfonien überhaupt Orchestern und Dirigenten schmackhaft zu machen, kann man die Entscheidung der Dresdner Philharmonie, der "Dritten" Wagners "Tristan-Vorspiel" an die Seite zu stellen, nahezu als keck empfinden.
Im ersten Philharmonie-Konzert dieser Saison in der Frauenkirche leitete Michael Sanderling das Werk mit guter Kontrolle über Tempo und Fluss der Musik, sodass auch im forte stets ein warmer und gedeckter Klang bestehen blieb. In der Mitte des Konzertes, mehr als Intermezzo denn als Verbindung zu Bruckner wirkend, stand eine Preziose der Wagner'schen Amtsausübung als Hofkapellmeister in Dresden, die auch die Pflege der Kirchenmusik einschloss. Es war üblich, Werke alter Meister ins romantische Gewand zu kleiden, wiesen doch die alten Handschriften kaum Hinweise zur musikalischen Ausführung auf. Heute dürfte Palestrinas achtstimmiges "Stabat Mater" in Wagners "Interpretationspartitur" kaum eine andere Absicht als die der Dokumentation haben. Fast schon dankbar war man daher für die nicht frontale Aufführung durch den Philharmonischen Chor (Leitung Gunter Berger), der die Rotunde der Kuppel wählte und damit die Distanz körperlich erfahrbar machte. Nichtsdestotrotz war die Aufführung selbst sehr ansprechend und das Stück durchhörbar angelegt.
Bruckners 3. Sinfonie d-Moll schloss sich direkt an - anders als im stetig vorwärtsstrebenden Tristan-Vorspiel herrschen hier starke Kontraste, Abbrüche und oft auch eine gewisse Ziellosigkeit vor, was eine klare Richtung für eine Interpretation erschwert. Das Scherzo ist hiervon ausgenommen - dessen klare Gesetzmäßigkeiten brachte Sanderling schön zur Geltung. Für die anderen drei Sätze entschied sich der Chefdirigent für ein Konzept vieler genau ausgearbeiteter Momente, gleichsam wechselnder Landschaftsbilder, die immer wieder genau betrachtet werden. Das überzeugte bei diesem Stück außerordentlich und wurde auch dankbar von den Musikern aufgenommen, die in dieser ruhigen Führung gut ausmusizieren konnten, wobei Sanderling dem Stück in diesem Raum genug Luft in den Pausen gab und zu schnelle Tempi vor allem im Eingangssatz vermied. Die Klarheit des philharmonischen Spiels (exemplarisch sei das Hornquartett zu nennen) führte nicht zur Mystifizierung - dies war ein durchaus irdischer Bruckner, noch auf dem langen Weg der sinfonischen Selbstfindung befindlich, dennoch schon voller musikalischer Schönheiten.
Manchmal braucht es ein bestimmtes Ereignis, um zu einer Erkenntnis zu kommen und die eigenen Verhältnisse neu einordnen zu lernen. Sicherlich gibt es statistische Erhebungen, wie gut Dresden über Social Media vernetzt ist und dies auch nutzt (würde mich mal interessieren), aber vor allem wird einem der Wert klar, wenn man etwa ein Großereignis wie die Flut in diesem Jahr rückwirkend betrachtet. Das wurde hier schon von den Medien und auch der Stadt bzw. den Hilfsorganisationen
ausgewertet . Meine persönliche Einschätzung war, dass gerade Twitter und facebook für eine rasante Informationsverbreitung sorgte, die aktive Hilfe zum Ziel hatte - dass dies auch Diskussionen und neue Probleme, etwa die Schwierigkeit der Prüfung des Wahrheitsgehaltes oder den Umgang mit einem "Hype", aufwirft, ist klar.
Ich will heute eher zeigen, dass wir in Dresden eigentlich ein bißchen im Schlaraffenland leben, wir wissen es vielleicht nur noch nicht richtig oder gehen (typisch Dresdner) davon aus, es sei überall so - doch der Tellerrandausblick belehrt uns angesichts eines Fallbeispieles: die Welt darf auch ruhig mal zu uns gucken. Das Ereignis von gestern abend: ein Stromausfall in meiner Heimatstadt Wuppertal - eine Stadt einer Größenordnung, die zumindest bis vor ein paar Jahren noch (W schrumpft, DD wächst) annähernd eine ähnliche Einwohnerzahl hatte.
Es war durchaus keine Bagatelle, sondern in einem Umspannwerk in Wuppertal-Hahnerberg sind offenbar Trafos/Schaltkästen explodiert, daraufhin war die gesamte Südstadt mit Küllenhahn und Cronenberg (meine Schätzung: ca. 50000 Bewohner) mehrere Stunden ohne Strom. Einige Straßen bekamen erst Sonntag früh gegen 5 Uhr wieder Versorgung. Ein Foto den Hang hinauf zeigte gestern abend einzig die Universität als Lichtpunkt, drumherum war alles schwarz.
Da ich noch Verbindungen in meine Heimat habe, habe ich also den üblichen Informationsbeschaffungsweg (heute morgen um 7 Uhr) eingeschlagen und liste einmal auf, was sich dort zum Begriff "Stromausfall Wuppertal" ansammelte oder auch eben nicht:
- Google benannte eine Quelle, nämlich eine besorgte Privatanfrage aus gutefrage.net (hey, ist bei euch auch der Strom weg?)
- Google News - Fehlanzeige, keine Zeitung, kein Onlinemedium, keine Agenturmeldung - um 9.40 meldet das unabhängige Portal
njuuz.de als erstes das Ereignis, das nun schon 12 Stunden alt ist.
- facebook
- a) der Lokalsender
Radio Wuppertal hat als letzten Eintrag "Ein tolles Herbstwochenende in Wuppertal...bla" - da die Seite keine Eigeneinträge von Personen zuläßt, findet man in der Kommentarspalte zum Schönwettereintrag dann die aufgeregten Bürger, die zum Stromausfall nachfragen. Vom Radio selbst bislang kein Kommentar dazu. Das Radioprogramm selbst dudelt mit der Morgensendung vor sich hin - Wochenende = Feierabend.
- b) die WDR-Sendung
Lokalzeit Bergisch-Land mit eigener
facebook-Seite scheint das einzige Medium zu sein, das "drauf" ist. Via Handy meldet die facebook-Seite um 22h gestern den Stromausfall und verspricht "wir melden uns" und "wir halten euch auf dem Laufenden". 7 Statusmeldungen bis tief in die Nacht, und die Betroffenen melden sich ebenfalls auf der Seite, danken heute morgen für die schnellen Infos.
- c) die
Westdeutsche Zeitung hat Wochenende. Null Meldung bis jetzt. Keine Einträge auf der Pinwand möglich.
- d) weitere Seiten wie z.B.
"We love Wuppertal" sind Privatinitiativen, aber auch hier wird lediglich erstaunt festgestellt, dass der Strom weg ist, keiner weiß recht, warum.
Wenden wir uns Twitter zu.
Gegen 21.35 melden die ersten User einen Stromausfall, später "ganze Südstadt dunkel". Die Twittersuche ergibt bis heute morgen eine ganze Reihe von Beobachtungen privater Personen, aber keinen einzigen Tweet einer öffentlichen Institution wie Stadt, Stadtwerke, Feuerwehr, Medien. So bleibt es den Bürger-Twitterern überlassen, vor Gefahren in der Dunkelheit zu warnen (
"Achtung, es haben sich bereits Unfälle ereignet") oder zu informieren ("Tunnel wurde gesperrt"). Privat betriebene Seiten oder Blogs wie "Tal-Journal.net" schalteten sich in die Diskussion ein, sind aber ebenso überrascht wie uninformiert und sitzen zudem nicht an der Quelle der Nachricht ("Sonnborn hat Strom und wir nutzen ihn").
Und da wird es langsam erschreckend. Denn offenbar ist Wuppertal in wichtigen social-media-Belangen - nomen est omen - zappenduster. Was mir schon beim Vergleich der
Wuppertaler Stadtwerke (die auch Verkehrsbetriebe sind) mit der
DVB AG auffiel, wird hier zur Gewissheit: Wenn kein Bus fährt, fährt eben keiner, wozu soll man da noch den Technikschnickschnack benutzen? Die Ausfälle der WSW sind seit längerem schon
Thema in der Presse, und an der Haltestelle steht man sich die Beine in den Bauch.
Ein Vergleichsfazit ist natürlich mit Vorsicht zu ziehen, denn da gibt es zu viele Faktoren, und die Äpfel-Birnen-Kiste ist zu nah. Die Dresdner scheinen mir aber sehr viel offener und kreativer im Infomanagement per Web zu sein, was in Wuppertal wohl am fehlenden Geld/Personal als auch an Ideen/Initiative scheitert. Vielleicht sind wir hier drüben auch einfach gewappneter durch zweimaliges Hochwasserunbill und lernen, aktiver im Alltag mit den Instrumente der Gegenwart umzugehen? Der Nutzen ist immens, das sollte sich auch langsam mal wieder in den Städten herumsprechen, zu denen wir einst neidisch auch eben wegen der hochentwickelten Technik herüberblickten...
Edit:
Der Blogbeitrag kann natürlich auch nur meine splitterhafte Fernsicht per Web widergeben und darf gerne per "Augenzeuge" korrigiert werden. Hier einige Nachträge und Links:
- die WSW informierte per App über den Feuerwehreinsatz
- die Polizei informierte heute morgen per
Pressemeldung
- dpa meldete etwa gegen 10 Uhr (z.b.
via derWesten), die WZ zog gegen 12 Uhr nach.
- Blogeintrag bei
psychomuell.de
Weblog mehrLicht - 29. Sep, 09:05
Busfahrt, vermutlich mit dem Chor. Es geht in eine Stadt, die aus einem einzigen Areal-Klops aus dichter Bebauung mit Hochhäusern besteht. Auf der Fahrt dorthin steht der Bus an grünen Ampeln und fährt bei rot, was auch alle anderen Autos machen. Das Hotel befindet sich am Rand dieser Stadtskyline, es heißt "Hotel Option".
Neuer GMD Raoul Grüneis dirigierte 1. Sinfoniekonzert in Freiberg
In Freiberg wurde nach einem Theatertag zum offenen Denkmal nun die neue Theater- und Konzertsaison mit dem 1. Sinfoniekonzert der Mittelsächsischen Philharmonie eröffnet. Auf die erste Musiktheaterpremiere, "Gräfin Mariza", wird man indes noch warten müssen, da im Theater Döbeln weiterhin Hochwasserschäden beseitigt werden. Das Sinfoniekonzert wurde mit Spannung erwartet, denn es war das Antrittskonzert des frisch im Amt befindlichen neuen Generalmusikdirektors Raoul Grüneis (49). Sein Vorgänger Jan Michael Horstmann ist nach zehn Jahren an die Landesbühnen Sachsen als Operndirektor gewechselt; der aus Würzburg stammende Grüneis dirigierte bereits in der letzten Saison ein zur Ausschreibung gehöriges Konzert.
Grüneis war zuletzt an der Staatsoper Istanbul tätig, vordem auch schon in Oldenburg und Regensburg. Grüneis plant in Freiberg eine Konzertsaison, die sowohl ein klassisches Programm mit Haydn, Mozart und Beethoven vorsieht, als auch einige Überraschungen bietet: so darf sich das Freiberger Publikum freuen, türkische Musik für den Konzertsaal kennenzulernen, der Moderne steht Grüneis ohnehin sehr offen gegenüber. Das 1. Sinfoniekonzert, wenngleich etwas schwach besucht, hatte reichlich Höhepunkte zu bieten und bot ein deutsch-französisches Programm des 19. und 20. Jahrhunderts.
Das Orchester durfte in voller Besetzung antreten und zeigte sich bestens motiviert. Umrahmt wurde das Konzert vom Jubilar Richard Wagner - dem Vorspiel zu "Lohengrin" gab Grüneis nach dem umjubeltem Schluss des Konzertes noch das Vorspiel zum 3. Akt als Encore hinzu. Schon im Lohengrin-Vorspiel zeigte Grüneis Willen zur Deutlichkeit und die Bevorzugung gut angelegter musikalischer Linien, die das Orchester selbst zur Klangentfaltung brachte. Schön, dass auf diese Weise Wagners Musik sowohl frisch als auch mit Anspruch musiziert wirkte.
Im Mittelpunkt des Konzertes stand ein sehr intensives Musikerlebnis mit dem Solisten Isang Enders - der junge Cellist, der im Alter von 20 Jahren bereits Konzertmeister bei der Staatskapelle Dresden wurde, brillierte nicht mit einem Repertoirestück, sondern erinnerte mit einer fabelhaften Aufführung des Cellokonzertes "Tout un monde lontain" an den kürzlich im Alter von 97 Jahren verstorbenen Komponisten Henri Dutilleux. Gewichtiges hat Dutilleux in fünf Sätzen zu sagen - Enders war immer wieder ein inspirierender Klanggeber und stand in stetigem aufmerksamen Dialog mit dem Orchester, das die schwere Partitur unter Grüneis Leitung konzentriert und farbschillernd umsetzte. Sicher - für viele Zuhörer war dies eine fremde Welt, aber eine, die in dieser vom Solisten völlig souveränen Umsetzung nur faszinieren konnte. Mit einem empfunden vorgetragenen Satz aus der Solosuite von Benjamin Britten bedankte sich Isang Enders für den Applaus - damit war auch der zweite Jubilar des Jahres berücksichtigt.
Nach der Pause sorgte Grüneis für einige Entspannung mit den ersten beiden Sätzen der "Trois Nocturnes" von Claude Debussy - dass die "Sirènes" vermutlich mangels verfügbarem Frauenchor entfielen, fiel angesichts der schön austarierten und mit großer Ruhe gestalteten Interpretation der "Nuages" nicht ins Gewicht. Das Finale blieb Paul Hindemith vorbehalten: die "Sinfonischen Metamorphosen nach Carl Maria von Weber" wurden glutvoll und rhythmisch sauber musiziert - der neue GMD forderte hier viel vom Orchester, befand sich aber in den Tempi immer auf federleichtem Terrain, das gerade die Blechbläserabschnitte sehr durchsichtig erscheinen ließ. Grüneis gab damit insgesamt einen sehr guten, auch mutmachenden Einstand, der auch vom Publikum positiv aufgenommen wurde.
Paul-Heinz Dittrich und Marek Kopelent im Konzert der Sächsischen Akademie der Künste
Auf den ersten Blick wirkt der akademische Titel einer Konzertreihe der Sächsischen Akademie der Künste nicht unbedingt einladend, dabei beschreibt die Formulierung "Binationales Gesprächskonzert" doch recht eindeutig, was man zu erwarten hat. Das Konzept verspricht Erhellung, wenn nicht gar Spannung: ein deutscher Komponist lädt einen anderen ein, beider Musik wird "aufeinander losgelassen", allerdings nicht im Wettstreit, sondern im friedlichen Nebeneinander, was Korrespondenzen und Kontraste ermöglicht.
Hochwasserschadenbedingt konnte die neueste Auflage dieser Reihe nicht im Saal des Blockhauses am Neustädter Markt stattfinden und wich in den Konzertsaal der Hochschule aus - ohnehin ist die Akademie im dort residierenden KlangNetz Dresden eingebunden. Der Berliner Komponist Paul-Heinz Dittrich (*1930) hatte einen Weggefährten seiner Generation aus Tschechien eingeladen: Marek Kopelent (*1932). Beiden Komponisten gemeinsam ist eine große biographische Zeitspanne in einem sozialistischen Staat, was sich in der künstlerischen Arbeit niederschlug, aber eben auch zu Begegnungen führte.
Das Dresdner Ensemble courage stellte insgesamt fünf Kompositionen vor, wobei Dittrich das Programm mit zwei längeren Stücken umrahmte. Die engen Bezüge beider Komponisten zur Literatur waren in einem Motto "Klangtexte" zusammengefasst. Paul-Heinz Dittrich benutzt für die Vertonung ihm naher Texte keine Singstimmen, gleich das zu Beginn von Frank Gutschmidt mit großem Verständnis und Können aufgeführte Klavierstück "Gegenbild" entwirft eine opulente Instrumentalwelt, die zwar Paul Celan als Sujet ins Felde führt, aber am Ende doch ebensogut ohne Sujetnennnung auskäme, ein direkter Bezug ist im Hören kaum nachvollziehbar. Sein Kollege Marek Kopelent bekennt sich im Gespräch dann auch fast entschuldigend zur Zuhilfenahme des Wortes und der das Wort formenden menschlichen Stimme.
Dennoch fallen seine Vertonungen nicht klassisch aus, sind eher gedrängt im Ausdruck, zwischen hervorbrechender Emotion und überraschender Wendung pendelnd, dabei eben auch poetische Klangwelten erkundend. Das brachte courage sowohl in "En el dia que tempo" als auch in "Chant du merle au détenu" mit der Solistin Dorothea Winkel gut heraus, etwas Potenzial bestand allerdings noch in der auch für den Ausdruck wichtigen Pronouncierung der jeweiligen Sprache. Antje Thierbach (Oboe) überzeugte weiterhin mit einem Solowerk von Kopelent namens "London spring greeting" - vom Komponisten sehr subtil eingesetzte Klangfarben wusste Thierbach zu spannendem Vortrag umzusetzen. Das Konzert ging mit Dittrichs "Kammermusik X - Journal des Pierres" nach Ossip Mandelstam zu Ende.
Bereits im Gespräch wussten Moderator Jörn Peter Hiekel und der Komponist nicht so recht über die Nennung des Begriffs der Komplexität hinaus Antworten zu den Stücken zu geben. Dass die Materialschlacht in Dittrichs recht strenger Faktur leider doch oft ermüdend wirkt und trotz Bekenntnis kaum einmal zum Dichter dringt, war eine ernüchternde Erkenntnis des Konzertes. Vielleicht hätte ein Gespräch, dass stärker die Intentionen und Strukturen der vorgestellten Stücke beider Komponisten beleuchtete, erhellender gewirkt.
Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie mit Lise de la Salle
Mit einem ersten Konzert im Lichthof des Albertinums startete am Wochenende die Dresdner Philharmonie in die neue Saison - die zweite Reisesaison in der eigenen Stadt ohne festen Saal. Chefdirigent Michael Sanderling lag es daher auch am Herzen, den Zuhörern in diesem Konzert persönlich für die gehaltene Treue und Solidarität im vergangenen Jahr zu danken. Die Reise geht weiter - an bekannten und nunmehr erprobten Spielstätten mit verläßlichen Partnern.
Das erste Sinfoniekonzert bot ein abwechslungsreiches Programm - weniger Pomp als vielmehr Können war gefragt, denn die Stücke waren durchweg sehr anspruchsvoll. Benjamin Brittens aus einer Filmmusik heraus entstandene frühe Orchestersuite "Soirées musicales" wirkt nur auf den ersten Blick leichtfüßig. Das Vorbild der Lieder von Gioacchino Rossini ist immer offensichtlich, doch hier macht sich schon die raffinierte Orchestrierungskunst des jungen Britten bemerkbar. Sanderling ließ hier viel ausmusizieren und sorgte für einen beschwingten Gesamtklang, bei dem aber Sorgfalt zu spüren war.
Die erst 25jährige französische Pianistin Lise de la Salle ist bereits auf der ganzen Welt zu Hause - schon mit 15 nahm sie bei einem großen Label ihre erste Soloplatte auf. Ihre Interpretation des A-Dur-Konzertes KV 488 von Wolfgang Amadeus Mozart zeigte, dass sie sich weitgehend unabhängig von dem nicht gerade zimperlichen Klassikmarkt stetig weiterentwickelt hat und gerade bei diesem Komponisten eine beachtliche Reife und Tiefe erreicht. Sehr deutliche Artikulation paarte sich hier mit dem Willen, dem jeweiligen Charakter der Sätze auf den Grund zu gehen. Das schaffte Lise de la Salle mit einer kontrollierten Spannung, in der ab und an noch Wildheit schlummerte, die sie aber eben "mozartesk" einsetzte, in Dosierungen, die charakterstark und überlegt wirkten.
So gestaltete sie den 1. Satz mit schöner Themenkontrastierung, fesselte mit Poesie im zweiten Satz und spielte das kleine Feuerwerk des 3. Satzes auf vollkommen natürliche Art. Nicht ganz so pointiert antwortete das Orchester - die Einleitung erschien etwas flach im Ausdruck, und manche Binnendynamik in den Phrasen hätte mehr Prägnanz vertragen können - der erste Orchestereinsatz im 2. Satz hatte davon allerdings etwas zu viel. Lise de la Salle bedankte sich für den doch etwas artigen Applaus (das darf sich bei solchen Ausnahmekünstlern auch gerne einmal ändern) mit "La danse de Puck" aus den Préludes von Claude Debussy.
Eine große Aufgabe wartete nach der Pause auf die Philharmoniker: Igor Strawinskys Ballett "Petruschka" - zwischen dem "Feuervogel" und dem "Le Sacre du Printemps" für Diaghilevs "Ballets Russes" in Paris entstanden - musizierte das Orchester mit höchster Konzentration. Michael Sanderlings anfangs auf Tempokontrolle achtendes, fast mäßiges Tempo entpuppte sich später als interessantes interpretatorisches Konzept: Agogik im Ausdruck blieb fast ausschließlich den vielen - durchweg stark vorgetragenen - Soli vorbehalten. Im Tutti setzte Sanderling aber viel mehr auf eine von Rhythmus und Kraft getragene Lesart, die fast holzschnittartig wirkte, damit aber auch den Erscheinungsformen der Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts Rechnung trug. Das war eine Ballettaufführung, die der Komponist sicherlich goutiert hätte - bis auf den etwas rumpeligen Konzertschluss, für den sich Sanderling entschied - zu der Komposition desselben für eben solche Konzertgelegenheiten ließ sich Strawinsky nur widerwillig überreden.
Zur Westerweiterung des Alaunparks (ehemaliger "Russensportplatz") hat die Stadt Dresden heute einen Fragebogen freigeschaltet, bei dem Bürger ihre Wünsche und Einschätzungen zum Areal mitteilen können. Den Fragebogen erreicht man
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