Rezensionen

Samstag, 1. Februar 2014

Französische Kostbarkeiten

Nils Mönkemeyer und Andreas Arend in der "Meisterinterpreten"-Reihe

Die Kammermusikreihe "Meisterwerke-Meisterinterpreten" feiert dieses Jahr ihren 60. Geburtstag - Grund genug, mit einem außergewöhnlichen Konzert zu beginnen, das am Sonntag eine große Schar Zuhörer in den Ballsaal im Hotel Königshof in Strehlen lockte, den angestammten Konzertort. Der Reiz des Konzertes lag in der - nur auf den ersten Blick - ungewöhnlichen Besetzung mit Bratsche und Theorbe. Zwar waren die vorgestellten barocken Werke keine Originalkompositionen für die Bratsche, doch Transkriptionen waren damals wie heute Usus, und die Bratsche bietet sowohl die Möglichkeit der virtuosen Flexibilität der Geige als auch die Annäherung an den Klangbereich der Gambe.

Anstelle aber den französisch-italienischen Musikerkrieg des 18. Jahrhunderts auszurufen, stellte Mönkemeyer den Werken von Marais, de Visée, Forqueray und Delalande zwei Solo-Suiten von Johann Sebastian Bach gegenüber. Obwohl auch diese im Ursprung französische Tanzsätze in der Suite vereinigen, tritt die Meisterschaft Bachs in diesem Kontext noch intensiver hervor. Tonarten, Entwicklung, Satzgestalten gehen hier eine nahezu himmlische Verbindung ein - und in der Interpretation von Nils Mönkemeyer war dies ein voller Genuss. Die direkte Akustik der muschelartigen Bühne mag vielleicht einen Interpreten zunächst erschrecken, doch Mönkemeyer wusste genau dies hervorragend zu nutzen, legte Sarabanden-Sätze mit inniger Ruhe an und gestaltete Gigue und Courante im temperamentvollen, niemals überstürzenden Kontrast.

Mit Andreas Arend an der Theorbe hatte Mönkemeyer in den französischen Stücken einen ebenbürtigen Begleiter. Da die beiden Musiker selbst durch das Programm führten, konnte man die Umsetzung der kleinen Charakterstücke, zumeist für das Plaisir rund um die Mahlzeiten am Hofe von Ludwig XIV. bestimmt, plastisch verfolgen. Immer wieder war zu bemerken, dass Mönkemeyer schon für die an sich nicht sehr komplexen Stücke von Marin Marais die volle Klangpalette seines Instrumentes ausnutzte - er traute sich etwa in den das Konzert beschließenden Stücken, die Marais den Winden widmete, auch ein pianissimo, das wirklich den leisesten Lufthauch vermittelte. Die Zuhörer erlebten musikalische Gestaltung auf höchstem Niveau und durften in der Zugabe noch erfahren, dass es in der Barockmusik ab und an herb und deftig zuging - Mönkemeyer und Arend ließen hier die Saiten noch einmal im Tanzrhythmus kräftig vibrieren.

Mittwoch, 22. Januar 2014

Vitalisierende Musikalität

1. Apéro-Konzert der Dresdner Philharmonie mit Thomas Zehetmair

Das Angebot der in der Stadt "reisenden" Dresdner Philharmonie pendelt sich mittlerweile an den verschiedenen Konzertorten gut ein. Die Programme sind darauf abgestimmt, was in den jeweiligen Räumen möglich und passend ist. Gerade das Hygiene-Museum scheint sich da als Schatztruhe zu entpuppen: kleiner besetzte Werke, die kaum einmal im riesigen Kulturpalast gespielt wurden, sind hier gut geeignet - so hat sowohl die Barockmusik als auch die vielfältige Sinfonik jenseits spätromantischer Riesenbesetzungen oder modernere Ensemblemusik eine Chance.

Die Konzertformate sind ebenso bunt wie die Musik: "Dresdner Abende", Matinéen oder "Blaue Stunden" gab es bereits, am Sonnabend feierte die Reihe "Apéro-Konzerte" ihre Premiere. Ob es an Häppchen und Wein oder doch eher am Geiger Thomas Zehetmair, dem berühmten Solisten und Dirigenten des Abends, lag - das Konzert war erstaunlich gut besucht und lockte auch viele jüngere Zuhörer an. Die reichliche Stunde Musik entpuppt sich als vitalisierendes Element, da Zehetmair als Vollblutmusiker die Zuhörer sofort in den Bann zu ziehen vermag.

Zu Beginn war bei Johann Sebastian Bachs Violinkonzert E-Dur schnell die Entscheidung zu fällen, ob man mit Zehetmairs Interpretationskonzept mitgehen wollte: der doch arg brav musizierte erste Satz und die durch alle Sätze vorherrschende romantisierende Grundhaltung waren schlicht eine Geschmacksache. Fraglos war jedoch der Solopart souverän musiziert und Takt für Takt mit Inhalt gefüllt. Auch wenn Bach stilistisch von der Gegenwart der Rezeption aus betrachtet ein wenig antiquiert klang, war diese Haltung doch insofern überzeugend, da sie nicht aus Nachlässigkeit oder Unüberlegtheit entstand, sondern mit interpretatorischem Willen. Letztlich führt die Vielfalt der Möglichkeiten gerade bei der Barockmusik ja auch dazu, sie immer wieder neu entdecken zu können.

Von Bach zu Mendelssohn Bartholdy ist es je nach Perspektive ein großer Schritt oder aber ein nahezu "sanfter" Übergang - war es doch genau dieser Komponist, der im 19. Jahrhundert Johann Sebastian Bach zu einer wahren Renaissance verhalf. Mendelssohns Konzertouvertüre "Das Märchen von der schönen Melusine" verrät davon noch nicht so sehr viel. Thomas Zehetmair setzte hier auf spannendes, impulsgeladenes Musizieren aus romantischem Geist heraus und "erzählte" die Geschichte der Meerjungfrau plastisch.

Die 1. Sinfonie c-Moll jedoch, ein jugendliches Meisterwerk, setzt beethoveneskes Dramaturgiegespür neben die Bewunderung und gleichzeitige Beherrschung barocken Kontrapunktes. Damit ist genug Spannung für vier außergewöhnliche Sätze gegeben, die Zehetmair sowohl knackig-lebendig in den Tutti-Passagen als auch mit gutem Gespür für Transparenz der Bläser im Piano auskostete. Zehetmair und die Philharmoniker wurden mit großem Applaus bedacht - im Juni darf man sich auf einen weiteren Abend mit ihm, Bach und Mendelssohn freuen.

Dienstag, 14. Januar 2014

Spielarten der "Musique Spectrale"

Tristan Murail und andere im KlangNetz-Konzert

Mit einem "Mini-Festival" startete "KlangNetz Dresden" ins neue Jahr - der Verein, der im Veranstalter- und Interpretenverbund Projekte mit zeitgenössischer Musik initiiert, setzte mit "Impulsen der musique spectrale" thematisch ein spannendes, auch sehr anspruchsvolles Klangzeichen. Es ist eigentlich ein Rätsel, warum diese Spielart der Gegenwartsmusik nur selten Eingang in die Konzertsäle findet, baut sie - in Frankreich entstanden - doch auf der Tradition der zeitgenössischen Musik auf und sucht einen Weg jenseits temperierter Systeme zu erforschen. Die Spektralmusik widmet sich vor allem dem harmonischen Spektrum der Töne und bezieht dabei Tonhöhen, Klangbildung, Zeit und Rhythmus selbstverständlich in den Kompositionsprozess ein.

Dass zumeist mathematische, komplexe Vorgänge Ausgangspunkt und Wesen dieser Musik sind, interessiert vielleicht den Fachmann (so ist es bei traditioneller Musik nicht anders), doch man kann sich auch unvorbereitet den Klängen widmen und dabei neue Hörerfahrungen erleben. Dementsprechend war das erste Konzert auch nicht von großen Erklärungen begleitet. In der Städtischen Galerie fanden sich viele Zuhörer ein - die räumliche Umgebung der bildenden Kunst schien geeignet für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Thema. Zu Gast beim Festival war einer der "Gründerväter" der Spektralmusik, der Komponist Tristan Murail - im Programm wurden ihm Werke der nachfolgenden Generation zur Seite gestellt.

Das Dresdner Ensemble "El Perro Andaluz" und "Accroche Note" aus Strasbourg interpretierten - in konzentrierter Spannung sowie selbstverständlich versiert im Umgang der Materie - insgesamt sechs Stücke. Es war auffällig, dass keiner der Werkkommentare im Programmheft sich in wortlastigen Beschreibungen des Kompositionsprozesses erging, sondern fast alle Stücke situative Anlässe hatten, die fast zwingend eine Form oder gar eine ganze Geschichte hervorbrachten. Murails "Les ruines circulaires" zeichnet auf sehr klare Weise dass Ineinanderfließen zweier Persönlichkeiten im Instrumentalduo nach. "Dualité - Miroirs" von Francois Busch blieb in der Wirkung etwas abstrakt im Wechsel zwischen den Ebenen Stimme (Francoise Kubler) - Klarinette (Armand Angster) und Zuspielband, und doch ist der absichtslose Spielcharakter eben auch eine Gestalt dieser Musik.

Am Rande der Hörbarkeit, in leisen und rauen Gegenden war "Dans l'ombre des anges" von Jean-Luc Hervé angesiedelt, bevor im folgenden Stück das genaue Gegenteil zelebriert wurde: "Illud Etiam" von Philippe Manoury wohnte eine irritierend wirkende Ästhetik des instrumentalen Theaters inne, es entstand beinahe eine Art "sinfonische Dichtung" für zwei Spieler und Elektronik zum Thema Inquisition, Feuer und Zauberei. Leider versagte ausgerechnet bei diesem die Dynamik ohnehin ausreizenden Stück die Tontechnik: eine fast gesundheitsgefährdende Übersteuerung verhinderte weiteres konfliktfreies Zuhören. "Paludes", ein Quintett-Stück von Murail schloss sich an, das wieder ins Reich sinnlich-poetischer Klänge zurückführte und gar eine Ahnung von Schönheit und Sanftheit feilbot.

Schließlich wagte man mit John Cages "Fontana-Mix" - einem Stück, das zufällig freie und festgelegte Parameter zu einer Aufführungskonstellation verbindet - eine überraschende Gegenüberstellung: weniger in der Hinsicht auf ästhetischen Widerstreit, sondern eher als Hinweis darauf, mit welch unterschiedlichen Ausgangsbedingungen man Musik hervorbringen kann, die sich im Ergebnis dann vor allem in ihrem kreativen Potenzial doch näher ist, als man erwartet.

Donnerstag, 9. Januar 2014

Musik und "Einstürzende Mauern"

Das KlangNetz Dresden präsentiert seine musikalischen Projekte für 2014

Seit etwas über einem Jahr ist der Verein "KlangNetz Dresden" in der Pflege der zeitgenössischen Musik und der Vernetzung ihrer Interpreten und Interessenten aktiv und hat nun seine Programme für das erste Quartal 2014 herausgegeben. Der Verein hat sich nach Ende eines vierjährigen Förderprojektes der Kulturstiftung des Bundes gegründet und führt nun die Bestellung des kreativen Gartens fort, dessen erste Keime die "Short Concerts" gemeinsam mit der Hochschule oder ein eigens gegründetes Netzwerk-Ensemble aus Philharmonikern und Studenten waren.

Bereits vor der Vereinsgründung im November 2012 liefen die dramaturgischen Fäden an der Hochschule für Musik zusammen, die Aktivitäten des letzten Jahres galten der Etablierung in der Stadt. "Wünschenswert ist die Intensivierung des Dialogs mit unseren Partnern und Veranstaltern", so KlangNetz-Leiter Jörn Peter Hiekel. "Wir hoffen natürlich auf einen Hinzugewinn weiterer Partner und damit die einhergehende Stärkung des Netzwerks, das sich mit Projekten/-Ideen gegenseitig beflügelt." Dafür spricht auch der vollgepackte Terminkalender im Jahr 2014.

Die Mitglieder - Ensembles, Veranstalter und Protagonisten (nicht nur) der zeitgenössischen Musik in Dresden - bringen selbst ihre eigenen Veranstaltungen ein, beteiligen sich aber auch an Kooperationen und kleineren Festivals, so dass eine Thematik oder ein beteiligter Gastkünstler oder -komponist in vielen Facetten "beleuchtet" werden kann - sei es in Konzerten, Workshops mit Studenten oder im Podiumsgespräch. Die Vielfalt der Mitglieder erlaubt auch eine Vielfalt der Musik, keineswegs will sich das Netzwerk auf ästhetische Linien festlegen, lieber stellt es aktuelle Strömungen zur Diskussion, Experimente, Widerspruch und Weiterdenken ist gewollt.

Gleich in dieser Woche startet "KlangNetz Dresden" durch: der französische Komponist Tristan Murail besucht Dresden - die Hochschule, das Institut Fracais und das Stadtmuseum nehmen dies zum Anlass, ein dreitägiges Festival namens "Impulse der Musique Spectrale", zu dessen Gründervätern sich Murail zählt, zu veranstalten. Diesem anspruchsvollen, klanglich faszinierenden Spezialgebiet der zeitgenössischen Musik begegnet man im Konzertalltag selten, daher lohnen sich die Konzerte, die die Musik auch in den Kontext zu anderen Strömungen stellen, die französische Provenienz erkunden und mit dem Vertigo-Ensemble Bern und dem Ensemble Accroche Note aus Strasbourg versierte Interpreten nach Dresden holen, die teilweise gemeinsam mit Studenten der Musikhochschule und dem Dresdner Ensemble "El Perro Andaluz" musizieren werden.

Im Fortgang des Jahres wird eine neue Konzertreihe etabliert, die sich unter dem Titel "Einstürzende Mauern" dem Mauerfall vor 25 Jahren widmet. Damit soll ein Blick zurück auf beide Seiten der Mauer zu Zeiten des Kalten Krieges geworfen und auch die Frage nach den Identitäten und den offenen oder unterschwelligen Verbindungen in der Kunst gestellt werden. Auch wie das Thema heute auf Künstler reflektiert, werden im Jahreslauf insgesamt neun Konzerte mit verschiedenen Ensembles zeigen; das Vokalensemble "AuditivVokal" wird die Reihe mit dem Auftaktkonzert am 27. Februar eröffnen - Partner der gesamten Reihe ist das Hygiene-Museum.

Einen Monat später ist der amtierende Capell-Compositeur der Staatskapelle, Wolfgang Rihm, zu Gast in Dresden, um sein Werk in einem Workshop und einem Gesprächskonzert an der Hochschule vorzustellen. Fortgeführt wird auch die Reihe der "Short Concerts", die in knappem zeitlichen Rahmen den Fokus auf bestimmte Spielarten der zeitgenössischen Musik legt und diese mit traditioneller Musik, Jazz, Improvisation oder anderen Künsten konfrontiert. Die Nachwuchsförderung liegt dem KlangNetz ebenfalls am Herzen, die bisherige Reihe "Neue Musik erleben und gestalten", bei der renommierte Komponisten in Dresdner Schulen mit den Schülern neue Stücke entwarfen und aufführen wird nun unter dem Titel "A-S-S-E-M-B-L-E!" von Lorenz Grau betreut. "Die Durchführung und Unterstützung von Projekten und Veranstaltungen mit pädagogischem Charakter ist eine zentrale Aufgabe des Vereins.", so Hiekel. Das aktuelle Projekt mit drei beteiligten Schulen stellt seine Ergebnisse am 10. Februar im Konzertsaal der Musikhochschule vor.

Die Homepage und die Facebookseite vom KlangNetz Dresden offerieren für 2014 ein breites Angebot an Konzerten - das Neue, Ungewohnte, Unbequeme wird an den vielen Spielstätten selbstverständlich und lädt zum Entdecken und Zuhören, aber auch zur lebendigen Diskussion ein, um zu erfahren, was Künstler und Komponisten heute bewegt.

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Konzerte KlangNetz Dresden
Festival "Impulse der Musique Spectrale"
10. Januar, 19.30 Uhr, Städtische Galerie Wilsdruffer Str. 2 "frame III" mit Ensembles Accroche Note / El Perro Andaluz
11. Januar, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Gesprächskonzert mit Tristan Murail, Ensembles der HfM Dresden und der HK Bern
12. Januar, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Klavierabend Pavlos Antoniadis, Werke von Murail, Andre und Karski (UA)
22. Januar, 17 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule, Short Concert. "Form versus Freiheit" mit Malte Burba, Trompete
10. Februar, 17 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Abschlusskonzert Schulvermittlungsprojekt "A-S-S-E-M-B-L-E!"
27. Februar, 19.30 Uhr, Hygienemuseum - Auftaktkonzert "Einstürzende Mauern" mit AuditivVokal, Werke von Bredemeyer, Stäbler, Haas u. a.
29. März, 19.30 Uhr, Konzertsaal Musikhochschule - Gesprächskonzert mit Capell-Compositeur Wolfgang Rihm, Moderation Jörn Peter Hiekel

Link: www.klangnetz-dresden.de/

Mittwoch, 8. Januar 2014

Märchen, Beschwörungen und "Des Todes Tod"

Lyrisches im 4. Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle

Im weiten Feld der Kammermusik gibt es viele Leuchttürme, Meisterwerke der kleinen Form, die für Komponisten immer eine besondere Herausforderung darstellen: wie sagt man Wesentliches nur mit zwei oder drei Instrumenten? Die Kammermusik ist aber auch oft ein Experimentierfeld für Ideen und stilistische Veränderungen des jeweiligen Komponisten. Manchmal entstehen dadurch besondere Kostbarkeiten. Im Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle bietet sich stets Gelegenheit, diese "Perlen" zu entdecken; am vergangenen Sonntag waren es überwiegend Liedkompositionen, die in der Besetzung variierten und ohne Klavier auskamen.

Vorangestellt war Leoš Janáčeks "Pohádka" (Märchen) für Cello und Klavier, das mit den Einstieg in die kommenden Stimmungen erleichterte, weil es die freie Phantasie und Inspiration lobpries. Jakob Andert (Cello) und Kiai Nara (Klavier) zeichneten daher auch die warmen, pastellenen Töne des Werkes deutlich und beließen das kurz gefasste Stück in seinem überwiegend lyrischen Charakter. Zwei Textvertonungen des Leipziger Komponisten Siegfried Thiele (geb. 1934) folgten; die dazwischen liegende Pause war wohltuend, denn der Kontrast zwischen Heiterem und Ernst konnte nicht größer sein.

Der Zyklus "Incantamenta - Zaubersprüche" für Bariton, Schlagzeug und Pauken widmet sich lateinischen Beschwörungstexten, die bei bestimmten Krankheiten helfen sollen - Andreas Scheibner und das kleine, aber instrumentenreiche Schlagzeugensemble (Thomas Käppler, Christian Langer, Jakob Eschenburg, Jong Yong Na) sorgten hier für eine leichtfüßig-launige, aber niemals banale Atmosphäre, deutlich war auch eine Steigerung des Ausdruckes im 4. und 5. Lied; vor allem der Marimba schenkte Thiele virtuose, "magische" Partien. Zu konstatieren ist, dass diese Variante der Alternativmedizin zwar eine leichter einzunehmende ist, im Publikum aber vor allem im zweiten Teil des Konzertes wirkungslos blieb - mit "Abakadabra" ist auch den Hustern im Parkett nicht beizukommen.

In den Liedern auf Texte von Reiner Kunze, wie das Vorwerk 2006 uraufgeführt, zeigte Thiele eine ganz andere Ausdruckswelt - karg und konstant von Melancholie durchzogen wirkte die Besetzung der Singstimme mit Cello und Klarinette, der Verzicht im Material führte zur Konzentration auf die kaum trostvollen Texte von Kunze. Diesen fast novemberlichen Geist durchwehte auch "Des Todes Tod" - ein dreiteiliger Liedzyklus auf Texte des Expressionisten Eduard Reinacher von Paul Hindemith. Dieser entschied sich bei der Vertonung 1922 für zwei Bratschen und zwei Celli als Begleitung für den Mezzosopran (Anke Vondung mit sehr überzeugender Gestaltung und warmem Ton), allein diese Entscheidung führt zu einem abgedunkelten, dennoch überraschend abwechslungsreichen Timbre. Was an diesem Abend in leichter Heiterkeit der Phantasie begonnen hatte, klang mit tiefernsten Tönen aus - eine Dialektik, der wir uns häufiger im Leben stellen müssen, insofern hatte dieser Kammerabend einen denkwürdig philosophischen, spannende Faden.

Sonntag, 29. Dezember 2013

Deftiges Weihnachtsmenü

Werke von Prokofjew, Rachmaninow und Borodin im Konzert der Dresdner Philharmonie

Im ersten Stück stirbt eine Ziege, im zweiten geht es um "beleidigend klingende Hymnen an Altären" und das dritte Stück stammt von einem nebenbei komponierenden Mediziner. Was hier beschrieben wird? Man mag es kaum glauben: das Weihnachtskonzert der Dresdner Philharmonie im Albertinum. So stand es zumindest auf der Eintrittskarte und auch das Datum stimmte. Im Programmheft vermied man aber tunlichst den Bezug zu den festlichen Tagen herzustellen. Was zu jeder anderen Jahreszeit ein Sinfoniekonzert mit recht spannenden inneren Bezügen gewesen wäre, war dann doch am ersten Weihnachtsfeiertag ein Kraftakt für Musiker und Zuhörer.

Damit sei keinesfalls behauptet, dass allein Hänsel, Gretel, Auguste und der Nussknacker an diesen Tagen seligmachend seien. Der hohe Anspruch des Konzertes hätte zumindest einen Bezugspunkt verdient gehabt, der mehr gewesen wäre als der pure Kontrast und das "auf andere Gedanken kommen". Die Zuhörer wurden mit einem klangdeftigen, russischen Menü zwischen Spätromantik und expressionistischer Moderne konfroniert. Gleich zu Beginn wurden allenthalben vorhandene Reste weihnachtlicher Behaglichkeit mit Teilen aus dem Ballett "Der Narr" von Sergej Prokofjew aus den Ohren gespült. Prokofjew komponierte die Groteske 1921 für Diaghilews Ballett in Paris - die Nachbarschaft der "Skythischen Suite" ist erkennbar, scharfe Dissonanzen und rhythmische Kanten durchziehen das ganze Werk.

Für das Konzert konnte man den in Dresden in diesem Jahr schon mehrfach präsenten russischen Dirigenten Michail Jurowski gewinnen - die Interpretation jedoch blieb hinter den Erwartungen zurück, denn Jurowski fand selten zu einer Metrum und Fluss betonenden Basis, die die Attacken und Einsätze der Orchestergruppen in das Gesamtgefüge eingeordnet hätte. Es blieb bei einem zackig-schroffen Dirigat von Einzelmomenten, bei dem die Philharmonie klanglichen Glanz und triumphale Schlüsse zumeist alleine herstellte.

Die folgenden Lieder von Sergej Rachmaninow dürften für das Konzertpublikum ebenfalls eine Novität gewesen sein. Damit diese wertvollen Piècen Eingang in die Konzertsäle fänden, fertigte Wladimir Jurowski (1915-1972) - der Vater des Dirigenten - eine Instrumentation einiger Lieder für Tenor und Orchester an. Die Anwesenheit von Vladimir Jurowski (ebenfalls Dirigent und Chef des London Philharmonic Orchestra) mit Familie im Publikum machte an dieser Stelle vier Generationen Jurowski komplett - vielleicht war mit diesem Familientreffen der weihnachtliche Bezugspunkt gegeben, wenngleich nicht jeder einen Opa vorweisen kann, der im Konzert auch noch ein Werk des Uropas vorstellt. Der russische Tenor Vsevolod Grivnov zeigte sich versiert im Umgang mit den zum Teil zeitkritischen Liedern, deren leidenschaftlicher Drang eine farbige Instrumentation rechtfertigt - am innigsten gelang hier wohl Rachmaninows Version des Monologes der Sonja "Wir werden ausruhen" aus Tschechows "Onkel Wanja".

Mit Alexander Borodins 2. Sinfonie h-Moll klang das außergewöhnliche Konzert an Weihnachten aus. Hier bemühten die Philharmoniker sich auf professionelle Weise, Jurowskis Klangvorstellungen adäquat umzusetzen - hart wurden die G-Saiten bereits im Eingangsthema traktiert. Weitgehend weidete sich Jurowski an lauten Passagen und ließ viele doch delikate Stellen etwa im 2. Satz merkwürdig unbeachtet. Es ist vorstellbar, dass ein russisches Klangideal nicht zwingend in Grobheit münden muss; eine präzisere Betreuung des engagiert spielenden Orchesters hätte eine viel größere Ausdrucksbreite hervorgerufen.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Zweimal Schönberg - mindestens!

"Dresdner Abend" der Philharmonie im Hygienemuseum

Im Reigen der Konzerte der Dresdner Philharmonie besitzt die Reihe der "Dresdner Abende" im Saal des Hygienemuseums ein besonderes Flair. Schon vom zweckmäßigen, aber akustisch für diese Programme sehr passenden Raum her herrscht an eine konzentrierte Atmosphäre vor, die es ermöglicht, beim Hören tiefer in die Werke einzudringen und sich nicht ablenken zu lassen. Konzertmeister Wolfgang Hentrich und das Dresdner Kammerorchester gestalten hier zum Beispiel Programme, die zurückweisen auf eine bewegte Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit dem Verweis auf Erwin Schulhoffs "Fortschrittskonzerte" war der Dresdner Bezug gegeben, in diesen wurden viele neue Werke ur- oder erstaufgeführt.

Das Konzert wurde von Arnold Schönbergs 1. Kammersinfonie Opus 9 gerahmt. In der kurzen Einführung verwies Hentrich vielleicht ein bißchen zu oft auf die skandalöse Uraufführung 1907, bei der es zu Rangeleien im Publikum kam, so dass ihm schließlich Dirigent Michael Helmrath widersprach: heute sei man doch ganz andere Klänge gewohnt und Schönbergs Qualität als Romantiker sei in eben diesem Stück genauso hörbar. Die Auseinandersetzung mit der Musik, die im Philharmoniekonzert daher von vornherein erwünscht war, kam 1907 als Wirkung zustande. In einer Verlautbarung ist zu lesen, dass "der Besitz der Eintrittskarte nur zu ruhigem Zuhören, nicht aber zu lauten Meinungsäußerungen (Applaus oder Zischen) berechtige". Da lächelt man heute verschmitzt, denkt aber auch über ein Publikum nach, das heutzutage gern das Neue reichlich unkommentiert mit nach Hause nimmt. Dass die Kammersinfonie im Konzert zweimal gespielt wurde, wurde als Experiment angekündigt - es sollte sich für viele Stücke eignen, deren besondere Dichte und Farbigkeit sich nicht immer sofort erschließt. Den Hörvorgang betrachtend, sei die Musik doch eine vergängliche Kunst, so Helmrath. Warum aber sollte man es immer bei diesem spontanen ersten Erlebnis belassen und nicht ein zweites hinzufügen?

Dem Zugang des Chefdirigenten der Brandenburger Symphoniker (der das komplette Konzert auswendig dirigierte!) zu diesem Werk konnte man sich schon bei der ersten "Runde" kaum entziehen: mit den von Helmrath gut abgenommenen straffen Tempi und einem füllig-selbstbewussten Gesamtklang wusste das Kammerorchester sehr zu begeistern und schaffte es, in den Instrumentengruppen transparent zu bleiben - die fünf Streichinstrumente kamen gut zur Geltung, ebenso wurde die motivische Arbeit des Werkes gut in den Vordergrund platziert. Der spätromantische Einfluss ist in diesem Stück (kurz nach "Pelleas und Melisande" entstanden) kaum zu leugnen - Helmrath setzte melodiöses Schwelgen und geschärfte harmonische Vorgänge direkt nebeneinander und belebte damit das Stück außerordentlich.

In der Mitte des Konzertes standen dann zwei Streichorchesterwerke von Othmar Schoeck und Franz Schreker. Beide haben auf ihre Weise die Dur-Moll-Tonalität bis an die Grenzen ausgereizt und dabei ihre eigene charakteristische Tonsprache entwickelt. Die Auswahl der "Sommernacht" von Schoeck und dem "Intermezzo und Scherzo" Opus 8 von Schreker bildete - so angenehm diese Stücke auch im Ohr klingen mögen - im Ergebnis dann doch einen seltsam harmlosen Kontrast zu Schönbergs Schlüsselwerk, das in zweiundzwanzig Minuten Musik nahezu mit einer ganzen Epoche aufräumt.

Das konnte man dann zum Beschluss des Konzerts dann erneut erleben, vielleicht nun noch einen Tic aufregender in der Interpretation, denn die Spannung zum Ende eines Konzertes hin ist noch einmal verschieden. Zu wünschen bleibt, dass solche außergewöhnlichen Abende, die eben auch Beziehungen und Zusammenhänge der Musik erhellen, viel mehr Zuhörer finden - es sei versichert, dass selbst der gute alte Beethoven ganz anders und neu klingt, wenn man sich einmal durch Schönberg "durchgearbeitet" hat.

Mittwoch, 27. November 2013

Vivaldi im Fokus

"Die vier Jahreszeiten", Mozart und Dvořák im Konzert der Europäischen Kammerphilharmonie

Hehre Ziele vernimmt man beim Studium der Website der "Europäischen Kammerphilharmonie Dresden". Das erst 2012 gegründete Ensemble möchte sich einen Namen in der Stadt machen, aber der im Namen einbezogene Anspruch soll sich auch im Orchester widerspiegeln. Projektbezogen kommen so aus mehreren Ländern Europas Musiker zusammen und lassen in Dresden den verbindenden Gedanken der Musik lebendig werden.
Das zeigte sich auch in der Vergangenheit schon an der speziellen Auswahl von Orten und Programmen.

Diesmal fand das Konzert in der Martin-Luther-Kirche in der Neustadt statt und man staunte nicht schlecht, dass ein Großteil des Publikums der jüngeren Generation angehörte. Die Kammerphilharmonie schafft ein Jahr nach der Gründung, woran die großen Orchester schon seit langer Zeit arbeiten: junge "Fans" für die klassische Musik zu finden. Dahinter stecken offenbar Visionen und ein kräftiges Engagement für die Sache - man sollte allerdings schauen, dass dabei die Musik selbst nicht in die zweite Reihe sortiert wird. Dass etwa nur ein Programmzettel ausgegeben wird, in dem man keinerlei Informationen über die gespielten Werke erhält, ist vor allem im Hinblick auf das für die klassische Musik neu gewonnene Publikum schade.

Das Konzert selbst war deutlich von der großen Motivation aller Mitwirkenden getragen, obwohl der Anspruch der Stücke für das Orchester nicht allzu hoch angesiedelt war. Es ist eben auch eine Kunst, aus Antonín Dvořáks bekannter Streicherserenade E-Dur ein kleines Schmuckstück zu machen. Das gelang trotz schwieriger Akustik und recht kleiner Besetzung recht gut - der Leiter der Kammerphilharmonie Pedro Andrade hätte da vermutlich auch mit weniger raumgreifender Gestik gute Ergebnisse erzielt. Vorsichtiger hätte man in den ersten Violinen im forte agieren können, die Kirchenakustik verwandelte die hohen Lagen in scharf klingendes Timbre.

Vor der Pause konnte man eine Aufführung von Antonio Vivaldis Konzertzyklus "Die vier Jahreszeiten" erleben. Zwar ist das Stück - vor allem in seinen im Radio mannigfach gespielten Einzelteilen - jedermann bekannt, live hört man das gesamte Werk jedoch eher selten. Immerhin erreichen die insgesamt zwölf Sätze der vier Konzerte das zeitliche Ausmaß eines Brahms-Konzertes. Der erst 22jährige russische Geiger Yuri Revich konnte vor allem mit dem Angebot der Programmmusik viel anfangen. Mit barocker Aufführungspraxis hatten aber weder er noch das Orchester viel am Hut, was man durchaus akzeptieren mag - das süffige Legato etwa im 3. Satz des "Frühlings" wirkte jedoch sehr unpassend. Die in vielen Sätzen zur Emphase genutzten Brüche in den Tempi mochten weder im Solopart noch im Orchester (Adagio im "Herbst") überzeugen, ebensowenig die stark abgesetzten Satzschlüsse. Revich gefiel allerdings in den schnellen Sätzen mit souverän ausgestellter Technik und konnte sich auf ein konzentriert begleitendes Ensemble verlassen.

Am Beginn des Konzerts stand außerdem Mozarts "Adagio und Fuge" für Streichorchester in c-Moll. Es ist ein spätes Werk nach Wiener Geschmack, aber "gewürzt" durch reichhaltige Chromatik und Vorhalten in den Stimmen - von Andrade und der Kammerphilharmonie wurde dieses kaum bekannte, außergewöhnliche Stück mit gutem Sinn für die Details interpretiert.

Mittwoch, 20. November 2013

Geste des Trostes

Honegger-Sinfonie und Fauré-Requiem im Philharmoniekonzert in der Frauenkirche

Die Sonntage im November vor dem 1. Advent sind "stille Sonntage" - im Kirchenjahr geht es hier um die Themen Tod, Zeit und Ewigkeit. Der vergangene Sonntag behandelte das Gleichnis vom Weltgericht und ist gleichzeitig seit der Weimarer Republik auch als Volkstrauertag bekannt. Nicht immer folgen die Konzertveranstalter diesen Stimmungen des Jahres, aber besonders in den musikalischen Zentren in Sachsen ist es eine gute Tradition, dass man auch im Konzertleben in diesem Monat eine Möglichkeit zur Besinnung und inneren Einkehr erhält.

Die Dresdner Philharmonie, gerade zurückgekehrt von einer großen Reise durch Asien und einer weiteren nach Dänemark, hatte für ihr Konzert in der Frauenkirche besonders dazu geeignete Werke ausgewählt. Trotzdem gelang eine Kontrastwirkung, denn wo Gabriel Fauré in seinem bekannten Requiem den Emotionen freien Lauf läßt, wirken diese in Arthur Honeggers 2. Sinfonie, mit der das Konzert begann, äußerst gezügelt und durch eine strenge Kompositionsweise nahezu ausgeblendet. Honeggers eigene Einführung zum Stück liest sich fast wie eine Entschuldigung: am Ende gibt der Komponist gerade einmal zu, "Gedanken" verarbeitet zu haben.

Doch von diesen Worten sollte man sich beim Hören nicht leiten lassen - die Interpretation der Dresdner Philharmonie unter dem französischen Gastdirigenten Bertrand de Billy konnte durchaus die Schönheiten dieses selten gespielten Werkes hervorbringen - ein insistierendes Sekundmotiv, das sich durch alle Sätze fortspinnt, wirkte ebenso intensiv wie die Steigerungen im Adagio-Satz oder die mit permanenter Bewegung versehenen Stimmüberlagerungen im Finale. Der letzte Schliff im Rhythmischen war innerhalb der Stimmgruppen nicht ganz vorhanden, doch schwungvolles Streicherspiel (mit Christian Höcherls schöner Trompetenunterstützung, die vom Komponisten leider nur als "Textmarker" erdacht wurde) wurde von de Billy begünstigt.

Im Requiem von Gabriel Fauré, hier in der späten Fassung mit vollem Orchester, übernahm der Philharmonische Chor dann die Hauptrolle. Chorleiter Gunter Berger hatte das Ensemble vor allem zu einer weichen Klanggebung - mit Ausnahme der etwas zu gewaltigen "Exaudi" und "Hosanna"-Rufe - und guter Ausformung des Linearen angeleitet, so dass hier unter de Billys Stabführung mit aufmerksamer Orchesterbegleitung eine sehr empfundene, auch von den Tempi her schlüssige Interpretation entstand, die jegliche Überzeichnung vermied. Intensiv gelangen die Ausdruckswelten vor allem im "Agnus Dei" und im "Libera Me". Nachdem der Chorsopran im Sanctus noch etwas vorsichtig anhub, strömten die Töne des letzten Satzes "In Paradisum" in tröstlicher Manier durch den Kirchenraum.

Die Sopranistin Katerina Tretyakova steuerte das "Pie Jesu" mit absolut körperlichen, wunderbarem Timbre von der Orgelempore bei und scheute sich nicht vor einem schönen pianissimo-Abschluss. Demgegenüber fehlte bei Daniel Schmutzhard (Bariton) doch etwas die Natürlichkeit der melodischen Linie, außerdem war die Intonation nicht immer auf den Punkt gebracht. Die eintretende Stille nach den letzten Tönen dieses Meisterwerks der Schlichtheit und der aus Ruhe und Vertrautheit geformten Gestik des Trostes zeigte, dass das Philharmonie-Publikum das sehr ansprechende Programm und seine Ausführung zu schätzen wusste.

Mittwoch, 6. November 2013

Zurücklehnen verboten

Frank Peter Zimmermann und Herbert Blomstedt im Kapellkonzert

Gerade hatte man sich von dem fantastischen Konzert Ende Juni bei der Staatskapelle erholt, in welchem Herbert Blomstedt nicht nur Wagner und Beethoven musizierte, sondern auch ein Werk seines Landsmannes Ingvar Lidholm samt pfiffiger Konzerteinführung unter die Leute gebracht hatte, da trat der schwedisch-amerikanische Dirigent erneut zum Sinfoniekonzert der Staatskapelle an. Die Verbundenheit zwischen Orchester und Dirigent drückt sich in regelmäßiger Zusammenarbeit aus - für viele Besucher schwingen zudem Erinnerungen an Blomstedts Dresdner Chefzeit 1975-85 mit.

Böhmische und finnische Romantik stand diesmal auf dem Programm: zunächst Antonín Dvořáks Violinkonzert a-Moll, das sich erst in den letzten Jahren neben dem allseits bekannten Cellokonzert vom Geheimtipp zum Repertoirestück entwckelt hat. Für den Solopart konnte Frank Peter Zimmermann gewonnen werden - auch er ein häufiger Gast der Staatskapelle. Das Konzert am Sonntagabend versprach ein besonderes Erlebnis zu werden, denn Zimmermann-Interpretationen sind selten zum bequemen Zurücklehnen gedacht.

Dieser Geiger fordert die Zuhörer und das Orchester gleichermaßen stark und begreift jede Aufführung als höchst lebendigen, inspirativen Prozess. Das bekamen Blomstedt und die Kapelle auch gleich im ersten Satz zu spüren: Zimmermann drehte sich immer wieder zu den Streichern und suchte den Dialog. Der permanente Antrieb, den Zimmermann auch zuweilen mit forschem Strich und irrwitzig rasanten Passagen forcierte, rückte Dvořáks Konzert mehr und mehr in einen dramatischen Fokus, bei dem Leichtigkeit und Lyrismus keine Priorität besaßen - eher waren die ruhigen Momente des zweiten Satzes Stationen auf einem zwingend zu beschreitenden Weg. Zimmermann beseelte so das Konzert von der ersten bis zur letzten Note.

Das Orchester hatte etwas Mühe, mit diesem Füllhorn an Impulsivität zurechtzukommen und baute mit einem etwas zurückhaltenden Schönklang eher eine Parallelwelt zu Zimmermanns Intentionen auf. Am Ende war aber diese neue Sicht auf Dvořák so spannend und konsequent vorgetragen, dass es sehr großen Applaus für Zimmermann gab, wofür er sich mit dem Präludium der Bach-Partita E-Dur bedankte.

Die zweite Hälfte des Konzertes gehörte Blomstedt und der 2. Sinfonie von Jean Sibelius. Die Staatskapelle nahm dankbar Blomstedts fließende und luftige Tempi auf; mit wenigen Hinweisen und Gesten versorgte der auswendig dirigierende Maestro das Orchester und konnte so ein freies Spiel befördern, das in allen Sätzen dem von Sibelius wellenartig ausgeformten Spannungsverlauf zugute kam. Die Freude, Helligkeit und Kraft, die sich in den Fanfaren des letzten Satzes schließlich Bahn bricht, teilte Blomstedt auch unmittelbar dem Orchester mit und konnte so einen glanzvollen Abschluss setzen. Es sollte wahrscheinlich und erstrebenswert sein, dass die Dresdner auch nach diesem Auftritt nicht allzu lange auf den nächsten warten müssen - seine stets gelassene und immer willensstarke Ausdruckswelt bleibt eine große Bereicherung für die Kapellkonzerte.

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