MDR-Musiksommer gastierte mit Chor und Orchester in der Frauenkirche
"Sommersinfonik" nennt der MDR Musiksommer seine Konzertreihe, mit dem die Klangkörper des MDR derzeit in verschiedenen Orten des Sendegebietes gastieren, so auch am Sonnabend in der fast ausverkauften Dresdner Frauenkirche. Die sommerliche Stimmung legitimiert wohl ein Programm hart an der Grenze zur Unkultur des Häppchenradios. Man goutiert es trotzdem: schließlich huldigt man wieder einmal den Jubilaren Mendelssohn Bartholdy und Händel, und das auch noch auf einem so hohen Niveau, dass man den Gram über die "Best-Of"-Dramaturgie auch schnell beiseite legt. Das genaue Programmstudium offenbarte zudem eine intelligente Auswahl der Stücke. Dirigent Howard Arman präsentierte mit dem MDR-Rundfunkchor und dem MDR-Sinfonieorchester weniger Händel und Mendelssohn zum Mitpfeifen (folgerichtig fehlte auch Händels "Halleluja" im Programm) als vielmehr den Facettenreichtum oratorischer und motettischer Kompositionskunst beider Komponisten, und gerade in der Verwendung theatralisch-musikalischer Mittel gab es hier viele Verwandtschaften zu entdecken. Mit Mendelssohns "Hora Est" stand ein selten aufgeführtes Werk für 16stimmigen Chor am Beginn, das sich im gut dosierten Klangvolumen des MDR-Chores deutlich bis zum Ende hin steigerte - auf die nachschlagende Orgel hätte allerdings verzichtet werden müssen. Plastisch und opulent geriet anschließend der 114. Psalm von Mendelssohn, wobei Orchester und Chor eine intensive Textausdeutung formten. Arman verstand es immer wieder, aus der Ruhe heraus seine Absichten zu vermitteln und transparenten, tragenden Klang zu erzeugen. Das faszinierte auch in den Chören aus Händels "Israel in Egypt", die trotz der Zerstückelung eine Intensität erhielten, als hätte man sich mehrfach in die laufende Handlung eingeblendet, so etwa in der "entspannten Höchstspannung" des "He spake the word" oder in der rezitativischen Kraft des "He sent a thick darkness". Obwohl das MDR-Orchester hier anständig seine Begleitrolle erfüllte, hätte man sich für die barocke Musik ein Ensemble gewünscht, das Armans gestalterische Absichten hätte besser einlösen können. So waren die Schläge in "He smote the first-born" zwar exakt gesetzt, aber man hörte eben "Händel mit großem, modernem Sinfonieorchester", dies musste in der Kirche oft zu abgedämpft, zu konturenlos klingen. Im zweiten Teil gab es die Kürzestfassung (Ouvertüre-Choral-Schlusschor) von Mendelssohns Oratorium "Paulus" zu hören, wobei sich Arman hier für recht legere, gefällige Tempi entschied und die Enden etwas eckig gerieten. Da zudem die Schlussfuge "Lobe den Herrn, meine Seele" nicht ganz homogen ausfiel, war diese Häppchenkost der schwächste Programmteil. Versöhnt wurde man mit der innigen Hymne "Hör mein Bitten"; Antje Moldenhauer-Schrell (Sopran) gestaltete hier aus dem Chor heraus souverän und warm timbriert die Solopartie, wie auch andere Sänger kleinere Passagen in den Händel-Chören übernahmen. Mit Chören und Orchesterstücken aus Händels "Saul", "Solomon" (in wunderbarer piano-Grundhaltung) und "Judas Maccabaeus" ging es weiter, bevor der kunstvolle Chorus "Worthy is the Lamb" aus dem Messias den Abschluss bildete. Über 10 Jahre leitet Howard Arman nun erfolgreich den MDR-Rundfunkchor - er besitzt ein Ensemble, das durch seine hohe Flexibilität imstande ist, stets den Kern der Musik zu treffen - auch wenn die Komposition nach drei Minuten schon wieder vorüber ist. Das Konzert war also ein Genuss für Kenner und Liebhaber und vielleicht auch ein Anreiz für die Zuhörer, die vorgestellten Werke einmal in Gänze kennenzulernen.
"Mailänder Vesperpsalmen" von Johann Christian Bach erklangen in der Frauenkirche (Rezension vom 9.8.09)
Dass man mitten im Sommer in der Dresdner Frauenkirche einer deutschen Erstaufführung eines klassischen Werkes beiwohnen kann, ist schon ungewöhnlich. Dass das dargebotene Stück gut 250 Jahre alt ist, bedarf ebenfalls einer Erklärung. Die erste Antwort ist simpel und erfreulich: die Frauenkirche "spielt durch", denn die sonnabendlich stattfindenden Konzerte im Kirchraum kennen keine Sommerpause. So kann man einige spannende Gastspiele erleben, am 15. August gastieren etwa die MDR-Klangkörper mit einem Händel-Programm anlässlich des MDR-Musiksommers. Am vergangenen Sonnabend war der Süddeutsche Kammerchor zu Gast. Gemeinsam mit dem ECHO-ausgezeichneten "Concerto Köln" wurden die "Mailänder Vesperpsalmen" von Johann Christian Bach zur Deutschen Erstaufführung gebracht. Man möchte meinen, dass die Musik unserer Vorfahren nunmehr erschlossen und aufführbar sei, doch solche Aufführungen lehren uns, dass in vielen Bibliotheken und Sammlungen der Welt noch musikalische Schätze lagern. Die Vesperpsalmen gelangten (wie auch zahlreiche andere Beispiele norditalienischer Musik dieser Zeit) in einer Abschrift über eine Schule in Bellinzona in die Klosterbibliothek Einsiedeln in der Schweiz. Vier erhaltene Psalmen wurden eigens für die Aufführungsreihe des Süddeutschen Kammerchors ediert und diese bildet nun einen wichtigen Baustein in der Rezeption dieses Komponisten.
Im November werden die Psalmen in der Heimat des Chores, bei den Fränkischen Musiktagen in und um Alzenau, erklingen und sollen dann auch auf CD aufgenommen werden. Somit war die Erstaufführung ein Geschenk für die Dresdner, und was 1760 im Mailänder Dom als Bestandteil der Kirchenvesper erklang, erlebte nun in der Frauenkirche seine konzertante Wiedergeburt. Dabei war interessant festzustellen, dass sich der jüngste Bach-Sohn, der aufgrund seiner Wirkungsstätten auch "Mailänder" oder "Londoner" Bach genannt wird, wohl kaum um die Akustik "seines" Domes scherte, die um einiges schwieriger als die Dresdner Akustik sein dürfte. Bach huldigte vor allem dem Geschmack der Zeit und integrierte den recht weltlichen Opernstil des Belcanto-Landes auf selbstverständliche Weise in seine Psalmen. Für den Zuhörer heute manifestiert sich dies in hochvirtuosen Partien der vier Gesangssolisten. Das Orchester hat kaum tragende Aufgaben, aber jede Menge Ornamentik, der Chor spielt bei Bach allenfalls die Rolle des Bedeutungsverstärkers und rundet die Psalmen nur selten mit einem kurzen Fugato ab. Zwischen dem stark antiphonalen "Domine ad adjuvandum" und dem fast mozartesken "Beatus Vir" bestehen spürbare Entwicklungsschritte des Komponisten. Die vitale und kundige Interpretation der Musiker hob die Besonderheiten der Stücke denn auch gut hervor. Tadellos war die Leistung des Orchesters, lediglich das Continuo hätte gern als stärkeres Fundament auftreten dürfen. Bläser und Streicher boten ein geschlossenes Klangbild, störend wirkte ein oftmals nicht "geatmete" Einsatz der Orgel in den Kadenzen der Sänger. Das Quartett hatte eine sängerische Höchstleistung zu absolvieren: Joanne Lunn (Sopran) gestaltete zwar etwas geradlinig, wusste aber mit ihrem warmen Timbre zu begeistern, Thomas E. Bauer (Bass) wirkte solide, der Tenor Georg Poplutz gestaltete seine Partie so leidenschaftlich aus, dass man sich in seinen Arien besonders aufgehoben fühlte. Elena Biscuola (Alt) konnte sich noch nicht vom Notentext lösen und daher ihre an sich wohltönende Stimme nicht zu einer überzeugenden Interpretation führen. Der mit 18 Stimmen klein besetzte Süddeutsche Kammerchor überzeugte in den knappen Chorsätzen mit homogener Klangentfaltung, hätte aber durchaus extremer artikulieren dürfen. Dirigent Gerhard Jenemann fand stets vitale Tempi für die Psalmen; das finale Fugato des "Confitebor" war aber eine von vielen Nummern, die mehr Ruhe zugunsten einer deutlicher konturierten Aussage vertragen würden. Die immer ähnlich schnell angelegten festlichen Sätze erhalten ihre Kraft vor allem durch ein flexibles Dirigat, das konnte Jenemann nicht immer einlösen. Auch auf der dynamischen Ebene wäre eine größere Palette in der Kirche möglich gewesen, die den Zugang zu den an sich sehr spannenden Stücken noch erleichtert hätte.
Sommers haben die Orchester Urlaub, aber die Tänzer sind weiterhin aktiv und gerade die freie Szene erprobt dann neue Stücke. Gelegenheit zu Workshops, Training und interdisziplinären Begegnungen zwischen Tanz und Bildender Kunst bot Muse 9 vom Tanzplan Dresden, an der Palucca-Schule durchgeführt. Zwei Veranstaltungen waren besonders beeindruckend. Zum einen choreografierten Yossi Berg und Oded Graf "4 Men, Alice Bach and the Deer" (-> Impressionen) bei der Museumsnacht, das zuvor schon in der Kleinen Szene lief. Schlicht überwältigt war ich aber von Idan Cohen, der innerhalb einer Creative Residency bei Muse 9 sein aktuelles Stück "swan lake research", das bereits beim Festival vorgestellt wurde, weiterentwickelte. Drei hervorragene Tänzerinnen (Daniel Gal, Ritar Komisarchik und Reut Levi) zeigten in drei Bruchstücken beim Abschlussabend von Muse 9 intensivst, wie sich durch Cohens Choreografie aus dem Schwanensee ein ganz neues Stück entwickelt, durch das das Original immer wieder hindurchschimmert. Es ist ja selten genug, dass sich jemand an diese Klassiker des Balletts herantraut - wenn es dann noch gelingt, mit zeitgenössischem Tanz diese Stücke nicht zu beschädigen, sondern zu bereichern, dann ist das sehr spannend und überdies selten. Worte können das kaum beschreiben, und leider wird das komplette Stück im August zunächst in Israel uraufgeführt. Hoffentlich findet die Kreation dieses Künstlers ihren Weg auch zurück in hiesige Gefilde.
Um wenigstens einen kleinen optischen Arbeit von Cohens Ideen zu vermitteln hier ein Video eines früheren Werkes: "A year in a fish life":
Junge Deutsch-Polnische Philharmonie Niederschlesien gastiert in Dresden
Zu den bedeutenden Jugendorchestern der Region zählt man die "Junge Deutsch-Polnische Philharmonie Niederschlesien" ohnehin - und seit diesem Jahrgang darf man die jungen Musiker auch als ein Orchester mit Tradition bezeichnen, denn das Ensemble wird 10 Jahre alt. Das in Breslau beheimatete Ensemble, das im Jahreslauf neben seinem (eben traditionellen) Sommerprojekt auch weitere Konzerte zu politischen und kulturellen Anlässen gibt, wird seit seiner Gründung von Agnieszka Ostapowicz (Organisation) und Stanislaw Rybarczik (künstlerische Leitung) betreut. Mit Leben und Tönen füllen es bis zu siebzig junge Musiker von Musikschulen und Musikhochschulen in Polen und Deutschland. In Dresden hat das Orchesterprojekt, das keine Grenzen kennt, seit Jahren Freunde und Unterstützer und so fand das erste deutsche Konzert der Sommertournee 2009 am Dienstagabend in der gastgebenden Martin-Luther-Kirche statt. Der kulturelle Austausch zwischen Polen und Deutschland funktioniert nicht nur unter den Musikern in wunderbarer Weise, sondern manifestiert sich auch in einem niveauvollen, vom Publikum begeistert aufgenommenen Programm: Bachs "Toccata und Fuge" ist zwar ein weltberühmtes Stück, doch die Orchesterfassung von Leopold Stokowski will zunächst geübt sein. Rybarczik demonstrierte mit dem Orchester homogenen Wohlklang und die Kirche hallte einige Male in gewaltiger Phonstärke. Viele Tempi wurden von ihm frei gestaltet, aufmerksam und ambitioniert waren die jungen Musiker da zur Stelle. Überhaupt war bemerkenswert, wie präzise und trotzdem flexibel musiziert wurde und ein toller, intensiver Gesamtklang des Ensembles entstand.
Die Musik von Mieczysław Karłowicz (1876-1909) muss hierzulande noch dringend entdeckt werden. Sein Hauptwerk, sechs großangelegte sinfonische Dichtungen, mag zwar mit Richard Strauss und Gustav Mahler musikalische verwandt sein, jedoch trägt seine Musik melodisch und harmonisch eine eigene Handschrift und ist der polnischen (Lied-)Tradition natürlich stark verbunden. Die Liedthematik stand daher auch im Vordergrund des Konzertes, zunächst acht von Ryszard Bukowski orchestrierte sehr schlichte Klavierlieder, die der Breslauer Solist Jaroslaw Bodakowski (Bariton) ausdrucksstark interpretierte. Das zuvor für die Moderation benutzte Mikrofon der Kanzel, wo Bodakowski während der Aufführung stand, hätte allerdings besser abgeschaltet werden sollen. Karłowicz' dreiteilige sinfonische Dichtung "Uralte Lieder", Opus 10 bildete den Abschluss des Konzertes und war eine wahre Entdeckung. Über zarte Poesie und fast impressionistische Klangmalerei schwang sich das Stück zu einem furiosen Finale auf, das Rybarczik zweimal als Zugabe geben musste. Nach der Übewoche und bereits drei absolvierten Konzerten in Polen zeigte sich das Orchester vollends vertraut mit dieser spannenden Musik und wird damit in diesem Jahr auch auf einer Veranstaltung zum 100. Todestag des Komponisten in Zakopane auftreten. Das Orchester reist nun bereits weiter nach Reichenbach und Pirna und wird hoffentlich auch seinen elften Jahrgang mit einem erfrischenden Sommerkonzert in Dresden feiern. In der Mitte Europas beobachtet man bei der Deutsch-Polnischen Jugendphilharmonie Niederschlesien ein herausragendes Beispiel lebendiger Jugendarbeit, die auf ansprechendste Weise über die Musik Brücken zwischen den Kulturen und Regionen schlägt. Das nötigt höchsten Respekt ab und sollte auch im nächsten Jahr viele Musikfreunde in die Konzerte der Jugendlichen locken.
Sie sind schon Stammgäste in der Dresdner Frauenkirche, und zumeist rücken die Schweizer Musiker zur Sommerzeit an, wenn sich die großen Dresdner Orchester in die wohlverdienten Ferien begeben. Das "kammerorchesterbasel" (dem Marketing des Orchesters sei verziehen, wenn ich deren Wortschöpfung hier nur einmal zitiere) gastierte diesmal mit der herausragenden Klarinettistin Sabine Meyer, setzte aber durchaus auch eigene Akzente in einem Konzert, das leider ferienbedingt einige Lücken im Rund der Frauenkirche aufwies. Zunächst machte das international höchst angesehene und gefragte Kammerorchester, das erst 2008 einen Echo-Klassik erhielt, mit einem Werk von Wilhelm Friedemann Bach bekannt. Dessen "Adagio und Fuge" taugt nicht als lässiges Einspielstück; Dirigent Giovanni Antonini fügte dem Werk daher auch einiges an Herzblut und Intensität im dynamischen Bereich zu. Die Vertrautheit mit dem Konzertraum zeigte das Kammerorchester Basel bereits in diesem kurzen Stück: das Adagio war kernig im Bass, die Flöten artikulierten sauber, die Fuge wurde gut durchhörbar auf den Punkt musiziert, dazu erzeugte Antonini einen silbrigen Orchesterglanz, der für die außergewöhnliche Musik des Bach-Sohnes gut geeignet war. In Carl Maria von Webers erstem Klarinettenkonzert f-Moll wandelte sich der Orchesterklang hin zu mehr Volumen und Sättigung, blieb aber stets transparent. Das kam der Solistin Sabine Meyer sehr entgegen, die dem Weber-Konzert temperamentvoll und gut aufgelegt zu einer völlig natürlichen Vitalität verhalf. Sie fand dabei das richtige Maß zwischen virtuoser Leichtigkeit der schnellen Passagen und sensiblem Spiel mit der Klangentfaltung des Instrumentes im großem Raum. Einziges Manko in diesem wunderbaren Konzerterlebnis war das Tempoverständnis, das zwischen Meyer und Antonini im 1. Satz nicht durchweg harmonierte,
aber eine perfekte Vorstellung wäre ohnehin nicht im Sinne der Musiker gewesen, denn dafür war hier einfach zuviel Leben, zuviel Leidenschaft im Spiel und das war gut so. War schon der Mittelsatz des Weber-Konzertes mit opulentem Hörnerklang nahezu im Wald angesiedelt, so widmete sich das sinfonische Schlussstück, die "Pastorale" von Ludwig an Beethoven, komplett den Klängen der Natur. Allerdings geriet Giovanni Antoninis stellenweise exzentrische Darstellung der Sinfonie, die auch in optischer Hinsicht kein "Hingucker" war, zu einem regelrechten Parforceritt über Beethovens sorgsam auskomponierte Blumenwiese, und da blieb am Ende kein Kraut mehr stehen. Stetig wechselnde Tempi und Metren sah Beethoven im 1. Satz in dieser Härte jedenfalls nicht vor, zudem zeigte Antonini wenig Interesse, sich Fermaten und Pausen zu widmen. Die gesamte Interpretation war zwar äußerst homogen, denn Antonini und das Orchester verstehen sich in diesem Beethoven-Bild prächtig, jedoch trug das Hineindirigieren von kleinen Werten in den 2. Satz ebenso zur Unruhe bei wie Antoninis Tempoübertreibungen in schnellen Tutti-Passagen, die zur Nachlässigkeit in Punktierungen verleiteten. Dies war ein durchweg moderner, man möchte sagen "stylischer" Beethoven, dem aber am Ende doch die Sorgfalt und Ruhe fehlte.
Im letzten Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie standen zwei große Werke der Romantik auf dem Programm, die so hinreichend bekannt und eingespielt sind, dass man einige Erwartung an die Interpretationen stellen durfte. Peter Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur ist nicht ganz so häufig zu hören wie etwa das Brahms-Konzert, aber kaum einer der großen Geiger hat es in seinem Konzertrepertoire nicht berücksichtigt. Lyrischer Ton und souveräde Virtuosität sind hier gleichermaßen gefragt. Die junge Geigerin Baiba Skride hat sich in der Musikwelt schon einen außerordentlichen Ruf erarbeitet. Die in Deutschland ausgebildete Lettin stellte allerdings eine Darstellung des Konzertes vor, die den Zuhörer am Ende ratlos zurückließ. Dabei ist Eigenwilligkeit in einer Interpretation gar nicht zu bemängeln, wenn diese das Hören bereichert und neue Ebenen hinzufügt. Wenn aber die Interpretenphantasie solche Blüten treibt, dass die Partitur, die Takt, Tempo, Phrasierung und vieles mehr vorgibt, kaum mehr Beachtung findet, so befindet man sich an einer gefährlichen Kante des Interpretentums. Skride wollte Tschaikowskys Konzert neu erfinden und schoss dabei über mehrere Grenzen hinaus: Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos war nicht zu beneiden, das Orchester nach jede Solophrase wieder zurück in die geordneten Tempo-Bahnen des Werkes zu führen. Stellenweise hatte man das Gefühl, Solistin und Orchester spielten zwei verschiedene Stücke. Skride buchstabierte bereits das Hauptthema des 1. Satzes und phrasierte zumeist recht geradlinig. Eine Ausnahme war allerdings die Kadenz im 1. Satz, die sie mit schönem Ton gestaltete. Dafür enttäuschte der 2. Satz - von einer "Canzonetta" war dieses Tempo-Trauerspiel, bei dem Skride einige Male die Musik bis zum Stillstand zerdehnte, meilenweit entfernt. Den 3. Satz beherrschten wiederum extreme Welten: entweder jagte Skride vorwärts, um virtuose Passagen möglichst effektvoll (aber leier auch nicht immer perfekt ausgeführt) über die Rampe zu bringen oder sie bremste den Satz zu energisch ab. Jederzeit bot die Philharmonie eine hochaufmerksame und saubere Leistung in der Begleitung. Baiba Skride hatte auch mit einer wenig artikulierten Bach-Zugabe kein Glück an diesem Abend. Nach der Pause machte das 9. Zyklus-Konzert dann jedoch große Freude - und das ausgerechnet in der Musik Gustav Mahlers, die sicher keine leichte Kost ist und im Zusammenspiel gut ausgehört sein will. Doch wie Frühbeck de Burgos auswendig den großen Apparat motivierte und zu immer neuen Höhepunkten mitriss, ohne seine Gesamtkonzeption aus dem Auge zu verlieren, das war bewundernswert. Den ersten Satz mit den Naturlauten gestaltete er maßvoll, wie überhaupt die 1. Sinfonie für Frühbeck de Burgos noch keinerlei Anlass zur Darstellung von Dramatik und Seelenabgründen bietet. Frühbeck de Burgos fand für alle Sätze federnde Tempi, die als Basis für jedes Aufschwingen oder Beruhigen geeignet waren. Das instrumentale Singen und Erzählen ist in dieser Sinfonie gefragt, es ist Musik aus der Natur und in die Natur hinein. Die zahllosen Bilder und Geschichten spielte das Orchester mit sichtbarer Spielfreude und folgte jeder Geste des Chefdirigenten. Viele dynamische Farben waren so im 3. Satz (mit subtilem Kontrabass-Solo zu Beginn) zu beobachten. Das Finale darf triumphal klingen: Frühbeck ordnete dem Satz bis zum Ende einen vorwärtsdrängenden Schwung zu, so kam man gottlob niemals in die Nähe von platter Hymnik. Gleich ob es ein leiser Streicherteppich war oder ein volltönend-homogener Hörnersatz - diese Mahler-Interpretation überzeugte im vom Beginn an demonstrierten Anspruch des spannungsvollen Ausmusizierens - die Philharmonie präsentierte sich in Bestform.
Renaud Capuçon gastiert erstmals im Kapell-Konzert
Im Mendelssohn- und Haydn-Jahr sind Konzerte mit Werken von Robert Schumann derzeit wohl eine Art Nebenschauplatz. In Dresden blieb ihm zu Lebzeiten ja der ganz große Karriereschritt verwehrt, Schumann zog nach Düsseldorf weiter. Wenn sich die Sächsische Staatskapelle und der Gastdirigent Daniel Harding etliche Monate vor dem Beginn des eigentlichen Schumann-Jahres (200. Geburtstag) im 11. Sinfoniekonzert an ein reines Schumann-Programm wagen, kann es fernab von Äußerlichkeiten nur um eines gehen: um die Musik selbst. Denn das Argument, dass Schumanns Musik doch gängiges Repertoire sei, kann schon allein mit der Rezeptionsgeschichte des Violinkonzertes d-Moll entkräftet werden, das nach einigen Proben bald nach Schumanns Tod in den Untiefen von Sammlungen und Bibliotheken verschwand. Schumann interpretieren, Schumann hören und gar verstehen - dies zieht einen nicht gerade geringen Anspruch für Musiker wie für das Publikum nach sich. Das Violinkonzert sträubt sich mit jeder Note: es verneint das Virtuosenethos und entwickelt stattdessen eine fragil erscheinende emotionale Tiefe. Harding arbeitete zu Beginn denn auch die zweiten Violinen kolossal heraus, die dem an sich erdenen Thema einen insistierenden Unruheteppich verpassen. Der französische Geiger Renaud Capuçon gab mit der Interpretation des Schumann-Konzertes sein grandioses Debüt bei der Staatskapelle. Sein Guarneri-Instrument besitzt eine unglaubliche Präsenz und verliert auch in zartesten Passagen nie seinen obertonreichen Glanz. Capuçon tauchte mit Beginn seines Soloparts ab in die Schumann-Welt und wäre vermutlich bis zum Schlussakkord auch nicht ansprechbar gewesen. Sein Spiel war dämonisch-zwingend und in Technik und Intonation unglaublich präzise. Während er den ersten Satz ernst und mit deutlicher Schwere der Töne gestaltete, geriet der lyrische zweite schlicht und voller Anmut, nobel und würdevoll dann das Finale. Harding und Capuçon befreiten mit dieser konsequent vitalen und detailreichen Interpretation von der Patina des düsteren Spätwerkes - Schumann auf solche Eingleisigkeiten zu reduzieren, würde dem Werk ohnehin nicht gerecht, das zeigten auch die anderen beiden Stücke, die in Dresden entstanden: die Ouvertüre zur Oper "Genoveva" ging Harding mit einem secco-Bläserklang an, kurz und knackig war die Artikulation, so dass ein dramatischer Vorwärtsgang möglich wurde, der aber immer von Leichtigkeit getragen war. Die 2. Sinfonie C-Dur musizierte Harding mit starkem Gestaltungswillen, das körperlich intensive Engagement führte im langsamen Satz dann zu etwas zu direktem Spiel. Fulminant hingegen, wie Harding sich im 1. Satz ein echtes Fortissimo bis zur Reprise aufsparte, dennoch permanent dynamische Binnenstrukturen offenlegte und die Schlussakkorde wie präzise abgeschossene Pfeile ins Ziel trafen. Die beiden schnellen Sätze verleiteten zu reichlich virtuosem Glanz, hier waren die vollmundigen Streichersätze waren genau auf dem Puls der Musik gesetzt und Harding scheute sich nicht, das Orchester mit freier Tempoführung und nimmermüdem Einsatz am Ende zu einer Höchstleistung zu motivieren. Ein völlig überzeugendes Schumann-Konzert war dies, und neben dem Genuss des feinen Kapellklangs stand am Ende die Feststellung, dass man Schumanns Werke immer wieder neu betrachten und entdecken kann.
Beifallssturm für Hélène Grimaud in der Semperoper
Sehr lässig und entspannt sah es aus, als Hélène Grimaud am Pfingstmontag die Bühne der Semperoper betrat. Nur die freundlich-bestimmte Miene der weltberühmten Pianistin verriet bei der Begrüßung in der Semperoper die Konzentration. Das Programm ihres Recitals innerhalb der Dresdner Musikfestspiele folgte recht genau der letzten CD-Veröffentlichung, deren Titel unverblümt und ausschließlich auf die Musik weist: "Bach". Im Konzert hatte sie statt des begleiteten Bach-Concertos d-Moll eine Beethoven-Sonate ausgewählt; mit der späten E-Dur-Sonate, Opus 109 behielt sie aber nicht nur die tonartliche Verwandtschaft zu den umgebenden Stücken bei, sondern lancierte so einen schwebend-schimmernden Wiener Klassiker zu Johann Sebastian Bach - viele Bezüge wurden dabei offensichtlich. Der erste Teil ihres Recitals gehörte der Bach'schen Moll-Welt, in dessen Zentrum Grimaud die Bach/Busoni-Chaconne aus der 2. Partita d-Moll platzierte. Die Annäherung an diesen pianistischen Gipfelsturm vollzog sie mit drei Präludien und Fugen aus dem "Wohltemperierten Klavier": granitartig und geradlinig c-Moll sowie elegisch und mit gemäßigtem Tempo cis-Moll aus dem 1. Band, in stürmischem Wogen und emotional durchaus losgelassen dann das d-Moll-Präludium aus dem 2. Band. Nach der Fuge schloss sich nahtlos die Chaconne an. Hier war das Publikum schon vollkommen in den Bann gezogen, denn die Interpretationen der vermeintlich "kleinen" Stücke zu Beginn waren kraftvoll und durchdacht. Jegliche Vergleiche zu vermeintlich referentiellen Interpretationen dieser bekannten Werke schlugen ohnehin fehl, denn was man hörte, war Grimaud mit Bach und diese schlichte Überzeugungskraft der eigenen Aussage teilte sich in jedem Werk unmittelbar und unverwechselbar mit. Bei der Chaconne selbst bohrte Grimaud das Thema wie große Pfeiler in die Tasten, um es aber anschließend zahlreichen Wandlungen zu unterwerfen. Hier wie auch in den Bach-Originalwerken entfaltete sie eine unbändige Kraft, die aber außer an finalen Steigerungen immer durch die Übersicht auf das Gesamtwerk leicht gebändigt war. So war ihr Bach-Zugang immer beides: emotional bis in die Extreme, und doch genau an deren Grenzen respektvoll und stets musikalisch, niemals brutal. Eine tolle Legato-Phrasierung zeigte sie in der Liszt-Bearbeitung von Präludium und Fuge a-Moll BWV 543. Interessant zu beobachten ist auch ihre differenzierte Pedalarbeit, die mir lediglich an wenigen Stellen (in den Präluden cis-Moll und E-Dur) in der Summe etwas zuviel des Guten erschien. Reizvoll war der Kontrast der Beethoven-Sonate nach der Pause, Grimaud näherte sich diesem stark dialektischen Werk mit derselben Farbgebung wie bei den Bach-Werken. Das erschien mir vor allem im Variations-Satz überzeugend, auf dem auch das Gewicht der Interpretation lag, denn Grimaud gestaltete die ersten beiden Sätze als deutliche Vorbereitung zu diesem pianistischen Wunderstück. Freundlich und hell klang das Konzert mit Sergej Rachmaninows Bearbeitung eines Partiten-Satzes von Bach aus - der folgende Beifallssturm war die ehrliche Anerkennung für eine große Künstlerin, die uns an diesem Feiertag in ihre Musikwelt einließ und viele überzeugende und intensiv nachwirkende Momente schenkte, zum Schluss entließ sie die glücklichen Dresdner mit zwei herrlich locker gespielten und farbenreich gestalteten Rachmaninow-Piècen.
Nachbemerkung: es geht nichts über das Live-Erlebnis. Wenn ich heute meine CD-Rezension desselben Programms wieder lese, scheinen Welten dazwischen zu liegen. Und gleichzeitig führt Grimaud den Beweis, dass keine Interpretation Endgültigkeit hat - es wäre ja auch arg langweilig, würde sie die CD-Lesart in allen Konzerten wiederholen. Die CD ist EIN Augenblick großer Musik, das Konzert am Montag war ein anderer. Bei allem Respekt vor grandiosen Studioaufnahmen vieler Künstler - das Live-Erlebnis ziehe ich dennoch vor.
Musik von Kernis, Schoenfield und Crumb in der Musikhochschule
Unter dem Titel "American Daydreamer" präsentierten die Dresdner Musikfestspiele gemeinsam mit der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" ein zweitägiges Portrait des amerikanischen Komponisten Aaron Jay Kernis, das mit einem Triokonzert am Donnerstagabend im Konzertsaal der Hochschule zu Ende ging. Sicher hätte sich der anwesende Komponist ein volleres Haus gewünscht, aber das anwesende Publikum zeigte sich sehr interessiert und konzentriert, obwohl (oder gerade weil?) das Programm, das neben Kernis noch mit Werken von George Crumb und Paul Schoenfield aufwartete, einen bunten, zeitweise sogar abenteuerlichen Strauß Musik der letzten dreißig Jahre bot. Dabei ist die "Neue Welt" nicht automatisch gleichzusetzen mit "neuen Klängen", denn wenn es eine Konstante im Programm gab, dann die Referentialität der Musik. Im musikpolyglotten Amerika ist die Bezugnahme auf alle möglichen Stile, Traditionen und Vorväter selbstverständlich. Allerdings gibt es in der Qualität und im Geschmack deutliche Unterschiede vom Epigonentum bis hin zum raffinierten Weiterdenken bestehender Stile und Traditionen. Bei lediglich zwei vorgestellten Werken von Aaron Jay Kernis lassen sich sicher nicht die allgemeinen Charakteristika seiner Musik erfassen, wohl aber der unmittelbare Eindruck dieser beiden Werke. Kernis' "Music for Trio" bezog sich stark auf die Minimal Music; das Werk zog sich auf wenig ansprechenden Tonsträngen über einen langen Zeitraum hin. Die Komplettflucht in ein paar Takte Tonalität wurde so dann schon wieder zum Ereignis. Camilla Hoitenga (Flöte), Felix Fan (Cello) und Andrew Russo (Klavier) widmeten sich diesem wie allen Werken des Abends mit intensiver Hingabe und zeigten vor allem in der Verschmelzung der Klangfarben eine tolle Leistung. Homogenität in einem anderen Aspekt gab es dann im folgenden Stück: zackiger "Drive" aller Beteiligten ist in Paul Schoenfields "Café Music" gefragt. Hier trat der Dresdner Geiger Florian Mayer (Violine) zum Ensemble hinzu und verlieh der Musik auch gehörigen Schub. Kaum vorstellbar ist allerdings, wie gemäß der im Programmheft zitierten Ursprungsidee des Komponisten - "Ich wollte eine Art hochwertige Dinnermusik schreiben" - angesichts des kompromisslos rockenden Trios noch an gepflegtes Speisen zu denken wäre. Immer wieder blitzte in Schoenfields Musik ein nobler Humor durch, wenn sich Kadenzen verhakten oder eine Synkope im Nichts landete - die explosive Lebendigkeit dieser Musik, die frank und frei zwischen Klassik, Folk und Jazz schwingt, ist frappierend und läßt keinen Hörer kalt. Nach der Pause erklang ein Werk von George Crumb und entfaltete eine Wirkung wie ein wohltuendes Bad in der Natur: In "Vox Balaenae" - "Stimme der Wale" beobachtete man den Komponisten im Dialog mit den Walgesängen, mit dem Meer, letztlich mit allem Leben. Man konnte über die gleichsam komplexen wie simplen Lösungen der Musik nur staunen - Crumb geht äußerst respektvoll mit dem Thema um und findet am Ende sogar Klänge für eine Art inneren Frieden. Die Interpretation von Hoitenga, Fan und Russo war beeindruckend und von großer Spannung getragen. Das Ende des Konzertes gehörte wiederum Aaron Jay Kernis und drei "Superstar-Etudes", Klavier-Hommagen an Theolonius Monk, George Gershwin und Jerry Lee Lewis, von Andrew Russo mit gehörigem Körpereinsatz vorgetragen. Der "Kolorist" Kernis zeigte hier ganz andere, zum Teil recht gewalttätige Klangfarben. Zwischen Original und Hommage lag ein dem Hörer recht unergründlicher Weg, denn die Distanz zu den genialen Musikwelten der drei Porträtierten war doch zu groß.
Improvisieren, das ist die hohe Kunst im Jazz. Auch in der zeitgenössischer Musik wird immer wieder einmal improvisiert. Vom Organisten verlangt man es ohnehin, wenn die Braut beim Auszug aus der Kirche länger braucht. Aber ein Pianist? Der benötigt Improvisation doch nur, wenn er einen Black-Out hat. Falsch. Ginge es nach der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero, so dürfte Improvisation gängiger Bestandteil aller Klavierrecitals werden, allein: wer außer ihr beherrscht dieses Fach auf eine so unnachahmliche Weise und tritt damit auf öffentlich auf? Schließlich geht es nicht darum, einige Themen adhoc in verschiedenen Farbstufen vor sich hin zu klimpern. Gabriela Montero entwirft da binnen Sekunden ganze Rhapsodien, so dass man meinen könnte, auf Liszts Dachboden hätte sich noch eine Kiste mit Manuskripten gefunden. Neben der improvisierten Konzerthälfte bot Montero aber auch im ersten Teil ein "normales" Recital. Das Wort ist aber gleich wieder zu streichen, denn ihre Interpretationen erreichten eine so außergewöhnlich intensive Ebene, dass man sich in einem pianistischen Wunderland wähnte. Die berühmte Violin-Chaconne von Bach in der Bearbeitung von Ferruccio Busoni geriet am Beginn des Konzertes zu einem Exempel: Atmende Phrasierung und Tempoführung, ein vielseitiger Anschlag und eine kluge Einteilung von dynamischen Verläufen waren nur einige Marksteine dieser Takt für Takt überzeugenden Interpretation. Für mich hätte dieses Erlebnis schon ausgereicht, aber natürlich war auch spannend, wie sie sich nach diesem überstandenen Gipfelsturm den Klavierstücken Opus 118 von Johannes Brahms nähern würde. Und erneut stand man einem Wunder gegenüber: Montero vergoldete die Intermezzi und Balladen derart, dass man gemeinsam mit ihr auf behutsame und respektvolle Weise Brahms' Emotionswelten ergründen konnte. Im Intermezzo es-Moll war man spätestens dem Zauber von Monteros intensiver und gleichzeitig bescheiden-sinnlicher Gestaltungskunst erlegen. Ihr traumhaftes Pianissimo und ihr Wille zum Innehalten war Bestandteil der reifen, überlegten Brahms-Interpretation. Dass sie auch den (Tasten-)Löwen in sich hat, bewies sie mit Alberto Ginasteras 1. Klaviersonate, die ein vergnügliches Feuerwerk lateinamerikanischer lauter und leiser Töne war, von Montero mit schier unerschöpflichem Kraftvorrat vorgetragen. Nach der Pause war man sich mit Gabriela Montero einig: keiner wusste, was passieren würde. Die Gesangsbeiträge aus dem Publikum erreichten leider nicht ganz die Qualität der darauf folgenden pianistischen Darbietungen, ein Vergnügen war es allemal, und so durfte man den "Uraufführungen" der Konzertparaphrasen über "Summertime", dem Kanon "C-A-F-F-E-E" (mit leichtem Milhaud-Einschlag), und Bernsteins "America" lauschen. Mein Favorit war allerdings Mozarts "Komm lieber Mai", in welchem Montero ohne mit der Wimper zu zucken von Chopin zum Boogie wechselte - und das gekonnt! Oft schien sie völlig versunken in ihrer Improvisierwelt: ganz eigene, zauberhafte Phrasen wurden da geboren und verwehten wieder - ein einzigartiges Recital war dies, bei der sich Gabriela Monteros Vergnügen an ihrer "Arbeit" nahtlos auf das Publikum übertrug - man freute sich gemeinsam und dankte ihr mit stehenden Ovationen.
Und als kleine Zugabe:
Impro über "M'r losse de Dom in Kölle"