Rezensionen

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Visuelle Meta-Partituren

Xavier Le Roy nähert sich Helmut Lachenmann

Der Choreograph Xavier Le Roy hat eine bewegte Biographie. Die dauerhafte Erwähnung des Umstandes, dass er ein Leben in der Molekularbiologie vorzeitig beendet hat, wird ihn nicht stören, denn die frühere wissenschaftliche Arbeit und das dazugehörige Denken hat einen unbestreitbaren Einfluss auf die Äußerungen seiner Künstlerpersönlichkeit. 2005 näherte er sich erstmals der Musik von Helmut Lachenmann, choreographierte und dekonstruierte sie. Nun erklangen beim "TonLagen"-Festival in Hellerau "More Mouvements for Lachenmann". Warum ausgerechnet dieser Komponist, dessen Werke ja ohnehin komplex genug sind? Le Roy ist als "Nicht-Musiker" unbedarft genug, sich der Musik von Lachenmann mit der zumeist effektiven Naivität des wissenschaftlichen Geistes zu nähern. "Pression" für Violoncello Solo läßt Le Roy noch in Ruhe, es erklingt als Konzertstück. Dabei übersieht er, das ausgerechnet dieses Werk haufenweise theatralische Elemente in sich birgt, die aber auch der Cellist Andreas Lindenbaum in seiner recht emotionslosen Darstellung nicht zum Vorschein bringt. Im zweiten Stück des Abends, setzt Le Roy die beiden Gitarristen Gunter Schneider und Barbara Romen in "Salut for Caudwell" hinter eine schwarze Wand, und zwei weitere Gitarristen (Tom Pauwels und Günther Lebbing) vollführen im Vordergrund, der Instrumente beraubt, eine recht anständige Luftgitarrenmeisterschaft. Das Memory-Spiel mit den Sinnen geht weiter: Anstelle der Streichquartett-Originalfassung von "Gran Torso" mixt Le Roy die Caudwell-Gitarren hinein, wirbelt die Partitur durcheinander und nimmt dem Stück am Ende ebenfalls die Instrumente und damit die Musik weg. Luftzeichen malen die Streicher, heftige Armbewegungen oder Kreise, kleine Fingertipps auf den Knien oder ein Wischen auf der Stirn. Von Musik keine Spur mehr, anstelle von Lachenmanns spezieller Semantik erscheint ein neuer Komponist: er heißt Xavier Le Roy. Und doch fügt er nichts hinzu, sondern seziert den Torso bis auf die Knochen. Fraglich ist, was als Ergebnis beim Zuhörer übrigbleibt: Lust am Experiment? Dekonstruktionsspiele? Abstrakte Körperarbeit? Der Weg zum Tanz über den Choreographen führt jedenfalls in die Irre - man möchte Le Roy lieber "Organisator von Bewegungen" titulieren, denn die in äußerster Präsenz agierenden Musiker bewegen sich mit ihrem Körper in ähnlicher Weise, wie sie mit den Instrumenten im Stück Töne und Klänge erzeugen würden. Was bleibt, ist lediglich eine visuelle Zeichensprache, eine Meta-Partitur, die übrigens auf einfachste Weise Strukturen des Werkes offenlegt, denn ein wandernder flüchtiger Klang wird schwieriger wahrgenommen als das entsprechende visuelle "gewischte" Zeichen mit dem Arm. Lachenmann soll sich über die derartige Beschäftigung mit seinen Werken gefreut haben, auch die Musiker berichten über positive Erfahrung mit der Aufgabe, Musik ohne ihr Instrument zu gestalten. Über die Präsenz der Sinnlichkeit der abwesenden Musik ließe sich streiten, denn trotz der "kalten" Präzision der Bewegungserzeugunn saßen in "More Mouvements for Lachenmann" ja Musiker u. a. des Klangforum Wien, die mit den Stücken bestens vertraut sind. Wer meint, das Publikum würde sich selbst die Musik zu den Bewegungen der Instrumentalisten dazukomponieren, liegt falsch. Nicht jede Körperlichkeit erzeugt Musik, es gibt stumme Tänze und Choreographien, die völlig musiklos denkbar sind, obwohl sie eine eigene Struktur, gar Rhythmus und Takt besitzen. Die Steigerung dieses Abends wäre gewesen, die Zuschauer aufzufordern, die Veranstaltung mit geschlossenen Augen aufzunehmen. Von Lachenmann wäre dann keine Hör-Spur mehr vorhanden gewesen. Ob man damit der Musik gerecht wird?

Dienstag, 6. Oktober 2009

In den Armen der Götter

Klangforum Wien inszeniert in Hellerau einen Klangrausch in acht Abteilungen

Man hätte durchaus garstige Gedanken bei der Vorbereitung auf das Konzert am Sonnabend in Hellerau entwickeln können: acht Stunden zeitgenössische Musik unter reichlichem Alkoholeinfluss mit einem 6-Gänge-Menü verbunden, ja sind die Veranstalter der "TonLagen" in Hellerau noch zu retten? Die Vermutung, ich hätte in gut dreizehn Jahren Rezensententätigkeit in den bisher nüchtern genossenen Konzerten alles falsch gemacht und nichts verstanden, erwies sich aber gottlob auch als (weitgehend) unrichtig. Der Titel des Gastspiels von "Klangforum Wien", einem der renommiertesten Neue-Musik-Ensembles Europas löste die gedankliche Verspannnung und führte zurück in die Antike: "Symposion - Ein Rausch in acht Abteilungen". Und wirklich, dieses Konzert hatte nichts zu tun mit der Kultur einiger Konzertbesucher des Sinfoniker-Konzertes am Vorabend, flaschenweise Bier auf die Zuhörertribüne zu schleppen. Kultur bildet sich natürlich nicht ohne Tradition und so könnte man bei der Thematik "Genuss von Musik und edlen Tropfen" sehr weit in der Musikgeschichte zurückgehen. Im Sinne des Symposions ging es im Festspielhaus ganz und gar griechisch zu und dafür reisten sogar interessierte Philologen der Humboldt-Universität Berlin an. Sven Hartberger, Intendant des Klangforum, gab den Symposiarchen und leitete zu Konversation und maßvollem Genuss an. Den Wein- und Musikgöttern Dionysos und Apollon wurde gehuldigt, und wer schon vorher harter Tagarbeit nachgegangen war, konnte sogar Morpheus' Schenkungen empfangen. Zu diesem Zwecke wurde die Konzertbestuhlung aufgehoben und man fühlte sich auf rotem Futon sitzend oder liegend wohl. Nicht außer acht lassen darf man den Ausnahmezustand dieser Veranstaltung, keinesfalls wünscht man sich zeitgenössiche Musik so immer zu hören, wie eine Wiener Zeitung angesichts des Symposions frohlockte. Denn Platons überlieferte Schilderungen der Öffnungen des Geistes mögen für die Redekunst gelten, ob aber die Rezeption von Helmut Lachenmann oder Magnus Lindberg durch österreichische Rieslinge positiv beeinflusst wird - die wissenschaftliche Untersuchung steht noch aus, der Rezensent stellt fest: in Maßen genossen trägt das große Gastmahl dazu bei, sich den halbstündigen Musikabschnitten immer wieder neu mit Vorfreude und offener Neugier zu widmen. Dazu ist der soziale Aspekt nicht zu vernachlässigen: Hartberger leitete zur Bewegung der Zuhörer an und die Tafel wurde bei jedem Gang anders besetzt. Interessante Gespräche entwickelten sich in fast familiären Rahmen (denn alle waren zum selben Zwecke erschienen), die im konventionsgeprägten Pausenfoyer eines Opernhauses undenkbar scheinen. Kaum jemand hätte sich auch die zwölf durchaus nicht nebenbei zu genießenden Kompositionen des Abends ohne Unterbrechung angetan. Hochrangig wie Essen (Schmidt's Restaurant) und Wein waren die Interpretationen, von denen Helmut Lachenmanns "Gran Torso" und Magnus Lindbergs Klarinettenquintett als herausragend zu erwähnen sind. Das Panorama der Musik demonstrierte die Vielfalt der Handschriften zwischen (dem im übrigen viel zu selten aufgeführten) Franco Donatoni und Saed Haddads libanesischem Bolero "Le Contredésir". Kurz nach Mitternacht verzieh man diesem die Skurrilitäten ebenso wie Pironkoffs völlig verkopftem "Fall/Wende", das auch in nüchternem Zustand nicht zu ertragen gewesen wäre. Freude entstand ebenso über eine Aufführung von Strawinskys rarem Septett, über Georges Aperghis' Trommel-Theater "Le Corps à Corps" (leider "nur" in Deutsch) und natürlich stand am Ende ein gebührendes Rausch-Stück: Terry Rileys "In C" bildete das im Ensemble atemberaubend zu einer rhythmisch pulsierende Klangmasse verschmelzende Finale eines denkwürdigen Abends, bei dem allenfalls der Preis zu kritisieren wäre: soviel Geist und Genuss sollte für jedermann möglich und bezahlbar sein, und bei aller Gaumen-Entdeckerfreude hätte es die Hälfte der kostspieligen Tropfen sicherlich auch getan.

Neustart mit Mauricio Kagel

Eröffnungskonzert der "TonLagen" im Festspielhaus Hellerau

Vor einem Jahr starb der Komponist Mauricio Kagel, einer der kreativsten Köpfe des 20. Jahrhunderts, der Töne, Botschaften, Aktionen, Film und Theater zu originären Werken seiner ganz persönlichen Handschrift formte. Unverwechselbar war Kagel in allen seinen Schaffensphasen, auch in seinen letzten Werken, in denen sich das theatralische Aktionsmoment wieder in instrumentale, sorgfältig melodisch und harmonisch ausgestaltete Gesten verwandelt. Erst im April 2009 wurde Mauricio Kagels letztes Werk "In der Matratzengruft" in München uraufgeführt, nun war es auch in Dresden zu erleben. Der Kagel-Abend war noch von Udo Zimmermann, der das Festival der zeitgenössischen Musik in Dresden 22 Jahre äußerst verdienstvoll und erfolgreich leitete, konzipiert worden. Nach Kagels Tod wurde der Abend zur Hommage an den großen Komponisten. Das Festival selbst heißt nun "TonLagen" und Intendant Dieter Jaenicke hat die Veränderungen fest im Blick - er freute sich in seiner Eröffnungsrede auf die zeitgenössische Musik, aber auch auf genresprengende Konzerte im Bereich Elektronik, Theater und performativer Kunst. Wo sich die "TonLagen" da erneuern werden, wird in der Festivalzeit zu überprüfen sein, denn Hellerau hat sich ja schon in den vergangen Jahren zur Wahrnehmung der Gegenwartskunst in all ihren Facetten deutlich positioniert. Dass mit dem Melt!-Klub am 10. Oktober auch etwas "für jugendliches Publikum" dabei sei, sei Jaenicke als Faux-Pas verziehen, denn künstlich gezogene Generationsgrenzen wären sicherlich Gift für die zeitgenössische Profilierung. Weniger als das Würdenträger-Protokoll vermisste man angesichts der hochkarätigen Hommage an einen der spannendsten Komponisten der Gegenwart im Eröffnungskonzert allerdings die Freunde der zeitgenössischen Musik aus Nah und Fern. Im Jahr Eins nach Udo Zimmermann ist offenbar die Umkrempelung sowohl des äußerlichen Erscheinungsbildes als auch der programmatischen Profilierung auch mit einem Neustart in Richtung Publikum und Rezeption verbunden. Jaenicke formulierte die "TonLagen" denn auch als Reise, vermutlich wird es auch in mancher Hinsicht ein Abenteuer. Auf die Reise in Kagels Phantasiewelten begab sich dann das Ensemble MusikFabrik im Konzert. Bei aller Faszination für diese Musik ist der Abdruck ausschließlich von Einführungen des Komponisten im Programmheft recht kritisch zu betrachten, zumal es sich im Fall von Kagel schon fast um eine literarische Kunstform handelt. Unter dem stets genauen, motivierenden Dirigat von Emilio Pomarico ging es zunächst recht lässig und swingend auf den "Stücken der Windrose" in einen eher virtuellen Osten, bevor "In der Matratzengruft" ein gewaltig poetisches Bild des Dichters Heinrich Heine am Ende seines Lebens zeichnete: Kagel über Heine, Heine in Kagel, Kagel an Heine: die Durchdringung von Wort und Ton, Geste und Instrument, Emotion und Form war meisterlich und erbauend. Der Tod selbst bildete den einzigen Schattenfaden dieses fast schon einer "Tondichtung" nahestehenden Zyklus'. Martyn Hill (Tenor) sang den umfangreichen Part facettenreich und mit versierter Technik, aber eine größere Ausdrucksbreite wäre vorstellbar gewesen. Roland Hermann (Bariton) oblag dann die Skizzierung des Weltgeschehens zum Zeitpunkt von Kagels Geburt, die dieser 1988 selbst in Töne und Aktionen umsetzte: da marschiert und raucht der Nationalsozialist, in Rom stürzt eine Decke in der Bibliothek ein und das Adagio ist der Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit gewidmet - Hermann sparte nicht mit offener Theatralik und sorgte dafür, dass Kagels feingründiger Humor auf niveauvolle Weise zu Tage trat. Am Ende: großes Glockengeläut. Kagel lebt in dieser Musik und wird uns auch weiterhin lebendig bleiben.

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Samstag, 3. Oktober 2009

Dresdner Sinfoniker in Hellerau

Eine komplette Rezension des gestrigen Konzertes in Hellerau war hier gar nicht geplant, aber einige Worte müssen geschrieben werden: spektakulär sollte die InternetSchalte nach Venedig sein, um bei der UA eines Werkes von Linda Buckley von dort gleichzeitig ein Kammerensemble zu übertragen. Warum, wozu, wusste niemand genau (Spektakel, na eben) - zumal ein Ticket nach Dresden für die fünf Musiker ein leichtes gewesen wäre. Da die italienischen Musiker nicht im Programmheft vorgestellt wurden, im Zusammenspiel mit dem Dresdner Orchester ohnehin nie zu hören waren und nur eine Standkamera Bilder aus Venedig übertrug, sei hier zumindet nachgetragen, dass das Ex-Novo-Ensemble eines der führenden italienischen Kammerensembles für zeitgenössische Musik ist und mit der Kooperation mit den Sinfonikern seine Feierlichkeiten zum 30jährigen Bestehen des Ensembles einleitet - Schier respektlos war die augenblickliche Kappung der Verbindung und das Hochfahren der Leinwand am Ende des Stückes. Hinzu gesellten sich weitere Fragezeichen angesichts Buckleys flach-flächiger Komposition, der oft ratlos wirkenden Melodik und Harmonik, des Sufi-Meisters vom Bildschirm zu Beginn. Warum...Wozu? Die Fragen gehen nicht weg. Ein glatter Flop - aber zumindest der Rest des Konzertes versöhnte (wenn auch John Adams Gleichung "Schrecken = Lärm" und sein Revolutionsrezept "Musikmaschine contra Umweltverschmutzung" nicht aufgeht) und die Aufführung der 3. Sinfonie von Awet Terterjan hätte als einziger Programmpunkt vollkommen ausgereicht. Wahrhaftiger und bewegender kann Musik nicht sein.

Dienstag, 22. September 2009

Preziosen und Delikatessen

Carl Maria von Weber im 1. Zykluskonzert der Philharmonie

Wenn man es genau nimmt, kann man die Saisoneröffnung der Dresdner Philharmonie im gleich dreifach begehen, denn die insgesamt 27 sinfonischen Programme sind aufgefächert in Philharmonische, Außerordentliche und Zyklus-Konzerte. Vom der thematischen Bindung der Zyklus-Konzerte ist die Philharmonie in den letzten Jahren abgewichen (für die drei Reihen prangen im Saisonheft bereits die nüchternen Buchstaben A, B und C). Die Bezugnahme der gegenwärtigen Zyklus-Konzerte auf Komponisten Dresdner Provenienz ist kaum besonders zu nennen, denn diese musikalische Heimatverbundenheit ließe sich problemlos mit Dutzenden Komponisten jedes Jahr aufs Neue beschreiben. Und doch: ein ganzes Konzert mit rein orchestralen Werken von Carl Maria von Weber zu gestalten, ist zumindest nicht der Regelfall. Für "einen der ihren" kommen die Dresdner allerdings in Scharen und so war der Kulturpalast am Sonnabend auch ordentlich gefüllt. Samt Zugaben bot die Philharmonie mit den Solisten sogar sieben Kompositionen des Meisters auf. Dass dessen 1. Sinfonie C-Dur kaum so oft erklingt wie der "Freischütz", hat verschiedene historisch bedingte Gründe. Vor allem ist die Sinfonie ein nicht unbedingt ausgereiftes frühes Werk: zu verspielt und biedermeierisch kommt die Sinfonie daher, als dass sie über den Rang einer kleinen Delikatesse hinauskäme. Allerdings ist der Philharmonie für diese Wahl schon insofern zu danken, da eben das spannende Spektrum der Sinfonik zu Beginn des 19. Jahrhunderts eben nicht nur aus Beethoven und Schubert besteht. Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos versuchte einen lockeren Klang mit recht behenden Tempi zu erzeugen. Da war manche Schönheit im melodischen Detail zu entdecken, ab und an lugt bereits der Opernkomponist hervor. Im arg schnellen 4. Satz fehlte ein wenig die Genauigkeit im Rhythmischen. Im Wechsel zwischen dem Entdecken der musikalischen Schönheiten der Weberschen Musik und dem Bedauern über doch nicht immer geordnete Bahnen der Interpretation setzte sich ein etwas ambivalenter Konzerteindruck fort. Christoph Berner gestaltete mit dem Orchester das Konzertstück f-Moll, Opus 79, ein reiferes Werk, das nicht umsonst bei Liszt und Schumann auf Gefallen stieß: durchweht von romantischen Geschichten und gebettet auf hohe Virtuosität ist es eine nicht im Vorübergehen zu knackende Nuss, der Berner mit etwas zu geradlinigem Spiel begegnete. Hier fehlte etwas der freie, durchaus "romantisch" zu empfindende Atem durch flexible Tempogestaltung. Technisch agierte Berner hingegen stets souverän agierte und brannte am Ende auch ein pianistisches Feuerwerk samt rassiger Zugabe ab. Im zweiten Teil des Konzertes geriet die von Hector Berlioz instrumentierte und als Konzertpièce oft dargebotene "Aufforderung zum Tanz" (mit feinem Cello-Solo) leider vor der Coda arg inhomogen. Frühbeck de Burgos hatte zu oft das Ganze im Blick und die von ihm durchaus motivierend initiierten flinken Passagen waren an diesem Abend nicht immer von Glück begleitet. Auch das Schlussallegro der Freischütz-Ouvertüre litt darunter, doch jedes Stück hatte seine Kostbarkeiten zu bieten: hier war es der runde Klang der Horngruppe. Wenn sich aber in diesem Stück die Selbstverständlichkeit des Kennens und Könnens zu sehr verbreitet, dräut die Gefahr des Verlustes des Zaubers. Zuvor hatte Solo-Klarinettist Fabian Dirr das Concertino Es-Dur in frei schwingender, parlierender Haltung interpretiert - sehr aufmerksam und kantabel schmückte das Orchester die leise Begleitung aus. Schwungvoll und tänzerisch leicht beendeten die Philharmoniker mit der Oberon-Ouvertüre diesen Weber-Reigen, der nicht immer auf höchsten Weihen schwebte, aber einige Preziosen zu bieten hatte.

Donnerstag, 17. September 2009

Bell Orchestre in Dresden

Nicht gerade voll war das Beatpol am gestrigen Abend, als das "Bell Orchestre" aus Kanada einflog. Um so begeisterter war der Jubel derer, die offenbar nicht nur der Vorankündigung aus der DNN gefolgt waren, sondern die sechs Musiker bereits als Geheimtipp kannten. Zu vollen Stadien wird es diese Band nicht bringen, denn zu exquisit und anspruchsvoll ist der Stil, den sie verfolgen, und den sie in jedem Stück mindestens dreimal auch gleich wieder brechen. Mit Horn, Trompete, Geige und Kontrabass sowie etlichen Nebeninstrumenten vom Dampfradio bis zum Sampler bestückt regnete ein instrumentales Feuerwerk auf die Zuhörer nieder. Aus dem neuen Album As seen through windows erklangen einige Kompositionen - die Begriffswahl, die hinüber in die klassische Musik winkt, ist angebracht, denn die Komplexität ist oft so hoch, dass man sich wundert, dass noch auswendig gespielt wird. Sarah Neufeld (vl), Pietro Amato (h) und Stefan Schneider (dr) scheinen dabei um ihr Leben zu spielen, so betörende Töne entstehen da, so präzise knallen einem die Beats um die Ohren, selbst wenn die Bläser schon wieder die nächste Flug-Fläche im Angriff haben. Vergleiche führen in mindestens zwanzig Sackgassen, bei denen Pärt, Riley, Tortoise, Mogwai und Röyksopp noch die präsentesten Ehrensessel einnehmen...

Ein kleiner, unheimlicher Eindruck, der natürlich niemals ein Konzert ersetzt...:





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Montag, 14. September 2009

Gestaltete Zeit und zeitlose Schönheit

Christian Thielemann zelebriert Anton Bruckner

Das 2. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle sollte GMD Fabio Luisi selbst leiten, krankheitsbedingt musste er jedoch absagen. Der in kurzer Zeit gefundene "Ersatzmann" jedoch dürfte in diesem Fall für das Publikum weitaus interessanter als andere Einspringer gewesen sein, denn zumindest die beiden Vokabeln "Thielemann" und "Dresden" hört man in den letzten Wochen, seitdem bekannt ist, dass sich Fabio Luisi ab 2012 Dresden ab- und Zürich zuwenden wird, immer häufiger. Bescheiden winkte Thielemann bereits im Interview ab: das Gerede gehört zum Beruf. Viel mehr aber noch gehört die musikalische Visitenkarte dazu - von dieser konnten sich die Dresdner letztmalig 2003 und nun erneut überzeugen. Für das 2. Sinfoniekonzert änderte Christian Thielemann das Programm und wählte ein ihm sehr gut liegendes sinfonisches Werk aus (zu hoffen ist, dass die ursprünglich angesetzten Werke - Rebecca Saunders "G and E on A" und Gustav Mahlers 7. Sinfonie bald nachgeholt werden können). Dass Thielemann zu nichts Geringerem als zum sinfonischen Gipfelwerk Anton Bruckners griff, läßt einem zunächst den Atem stocken und dann schon innerlich Vorfreude empfinden. Auch wenn die Ohren diesmal besonders gespitzt sein würden, ist doch das große Mysterium der 8. Sinfonie c-Moll immer wieder ein Ereignis. Die Kapelle ist den Werken Bruckners durch stetige Aufführungen verbunden; wo Wagner und Strauss zu den Hauskomponisten zählen, ist der spezielle Klang einer Bruckner-Sinfonie in besonderer Weise vertraut. Im nicht ganz ausverkauften Semperbau wurde Thielemann sehr freundlich begrüßt - die nächsten fast 80 Minuten durchflutete er das Haus mit einem (die Satzpausen nahm man kaum mehr wahr) musikalischen Spannungsstrom, den nur wenige Dirigenten in dieser Konsequenz zu erzeugen vermögen. Das Grundthema seiner Bruckner-Interpretation war der Umgang mit dem Thema Zeit, die Einfärbung und Wahrnehmung von Zeit, das Pulsieren, Innehalten, im wahrsten Sinne "Zeitgestalten". Immer wieder waren es in allen Sätzen kleine körperliche Gesten, die das Tempo flexibel hielten oder eine Steigerung auf natürlichste Weise wieder in einen melodischen Fluss umbogen. Das war faszinierend und erzeugte bei der Kapelle einen durchweg weichen, hochgradig intensiven, aber dennoch leichten Gesamtklang. Auf dieser Zeit-Basis legte Thielemann die "Geschichte" der 8. Sinfonie aus: der erste Satz noch als Fundament eines Gebäudes, als Exposition des Ganzen angelegt. Weiche Tutti-Passagen waren mehr als Vorahnung formuliert und das hauchzarte Verstummen am Ende erlaubte das Ausklinken aus dieser Welt. Unter Strom gelegt war ebenso der 2. Satz, aber dennoch erlaubte gerade das von Thielemann konsequente zelebrierte Ausmusizieren der Details das Hinhören und der absolute Ruhepunkt der ganzen Sinfonie war in der unwirklichen Harfen-Horn-Welt des Trios erreicht. Das Adagio wartete mit golden-erdenen Grundfarben zu Beginn auf - Thielemann fing hier an zu zaubern und zu malen, die Kapelle folgte in exzellenter Verfassung. Nicht der wolkenaufreißende Höhepunkt selbst faszinierte, aber wie Thielemann den Ausklang des Adagios anlegte und selbst nach dem kräftezehrenden Wogen noch die Geduld für glitzernde Streicherakkorde fand, das ist nur grandios zu nennen. Ebenso zwingend war auch das Finale mit einer deutlich abgesetzten Coda - die selbstverständliche Beruhigung mit immer neuen Themenvarianten ließ zu, dass sich die finale Apotheose in frei schwingender Kraft entfalten konnte. Auch hier ließ sich Thielemann Zeit, ohne betont langsam zu wirken - es war über alle Sätze hinweg die bedingungslose Hingabe an eine großartige Komposition, die offensichtlich wurde. Thielemann öffnete in diesem Werk manche Türen und Fenster und zeigte dem erstaunten Zuhörer die sich dahinter zahllos verbergenden Schönheiten, die nicht mehr verbal beschreibbar sind - von einem "Gewaltwerk" ist diese Deutung der 8. Sinfonie nur denkbar weit entfernt. Vielleicht ist die Entdeckung und wunderbare musikalische Umsetzung dieser Schönheiten die wahre Überraschung dieses großartigen Konzertes.

plus die News von heute:
diepresse
FAZ-Brautschau mit Bruckner

Erhaben, dramatisch und kontemplativ

"Elias" unter Frühbeck de Burgos im 1. Philharmonischen Konzert

Die 139. Spielzeit der Dresdner Philharmonie ist eröffnet. Traditionsgemäß werden für die ersten Konzerte der Saison besonders festliche oder außergewöhnliche Werke ausgesucht. Das erste Konzert der Saison gehörte dem Jubilar Felix Mendelssohn Bartholdy (Isaac Albéniz' Musik, dessen 100. Todestag gewürdigt wird, erklingt übrigens im 1. Außerordentlichen Konzert in zwei Wochen). "Die Ernte ist vergangen, der Sommer ist dahin" - welches Werk könnte besser an einen noch nicht ganz herbstlich anmutenden Sonnabend im September passen als das Oratorium "Elias"? Das Werk markiert den Gipfelpunkt der Oratorienkunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und auch heute kann man sich schwer der Faszination dieser Musik entziehen. Für das Gelingen ist ein aufmerksames Zusammenspiel aller sinfonischen und vokalen Kräfte erforderlich. Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos hat mit dem Werk große Erfahrung, spielte er es doch schon 1968 in London (damals u. a. mit Dame Gwyneth Jones und Dietrich Fischer-Dieskau) auf Schallplatte ein. Frühbeck de Burgos verlieh der Aufführung im Kulturpalast vor allem eine stark nachempfindbare Ernsthaftigkeit. So legte er den ersten Teil vorwiegend dramatisch im Sinne der alttestamentarischen Handlung an, den zweiten eher kontemplativ. Die Himmelsfahrt Elias' gelang mehr betrachtend denn als vorwärtsdrängende Filmmusik und daher wirkten sogar die sehr ruhigen Tempi der Schlusspartie erhaben. Nur an wenigen Stellen ("Alle Lande sind seiner Ehre voll") stockte der Fluss zu sehr. Eine sehr gute Leistung vollbrachte der MDR-Rundfunkchor (Einstudierung Michael Gläser); hier faszinierte vor allem die kundige Gestaltung der Motive, die stets von der natürlich erzählenden Sprache bestimmt war. Ein stets runder und ebenso volltönend wie intimer Gesamtklang war das Pfund des Chores. Frühbeck de Burgos' dramatische Akzentuierung fand allerdings auch eine natürliche, angenehme Grenze, da er Chor und Orchester zwar forderte, sie aber nie zum Äußersten trieb und so einen tragfähigen Klang erzeugte. Krankheitsbedingt musste im Solistenquartett Hanno Müller-Brachmann seine Mitwirkung absagen. Als ein besonderes Glück muss gelten, dass man ausgerechnet in der umfangreichen Hauptpartie hochrangigen Ersatz finden konnte: Der Bariton Roman Trekel sprang ein und begeisterte das Publikum mit einer starken, charaktervollen Darstellung der Elias-Figur, bei der er deutlich differenzierte zwischen der Konversation mit dem Volk, dem Gebet zum Herrn oder den nachbetrachtenden Arien. Unterschiedlich war der Eindruck der anderen Solisten: Annette Markert überzeugte mit einer weichen Führung ihrer großen Altstimme. Ruth Ziesak breitete zwar in der Höhe schöne legato-Bögen aus, ihre Stimme wirkte aber in Rezitativen und mit ungünstiger Vokalfärbung oft spitz. Otokar Klein (Tenor) konnte mit dem guten Niveau der Aufführung nicht mithalten - neben einem deutlichen Sprachproblem trübten hier vor allem stimmtechnische Fehler den Genuss. Erfreuen konnte man sich am Ende des 1. Teils an Hans Wünsche (Knabensopran) aus dem Philharmonischen Kinderchor. Die Philharmoniker begleiteten die Vokalpartien zumeist konzentriert und mit viel Sinn für die Ausgestaltung eigener solistischer Passagen, lediglich am gemeinsamen Artikulieren der Streicher in den Rezitativen ließe sich durchaus noch arbeiten. Der "Elias" ist für die Philharmoniker lediglich der Auftakt zu einer ganzen Woche voller Musik: Am Dienstag geht es zu einer kurzen Konzertreise nach Burgos (Spanien), bevor am nächsten Wochenende das 1. Zykluskonzert mit einem reinen Weber-Programm ins Haus steht.

Montag, 7. September 2009

Eindringlich musizierte Mariengesänge

Marie-Claude Chappuis und "Il Giardino Armonico" in der Frauenkirche

Der Sonnabend in der Frauenkirche ist Klassikkonzerten mit hochkarätigen Gästen vorbehalten. Ein nur flüchtiger Blick in das Programm des jüngsten Konzertes würde nicht unbedingt jeden vom Hocker reißen: geboten wurde Barockmusik italienischer Provenienz mit vielen kleinen Piècen wohl ein Programm für Kenner und Liebhaber. Doch so oft im Leben wird man eines Besseren belehrt, und man findet sich mitten im Konzert atemlos auf der Stuhlkante wieder, staunend und berührt von der Intensität und Ernsthaftigkeit, mit der auf der Bühne musiziert wird. Das Konzert mit dem italienischen Ensemble "Il Giardino Armonico" war wohl einer der wunderbarsten Konzertabende in diesem Kirchenraum. Laut klagen muss man allerdings, dass man dieses Erlebnis mit nicht gerade vielen Zuhörern teilen konnte, denn die Frauenkirche war halbleer. Immerhin nahm ein Ensemble auf der Bühne Platz, dass in diesem Jahr einer der ECHO-Klassik-Preisträger ist (die Verleihung findet am 18. Oktober in der Semperoper statt) und zwar nicht für eine spezielle Einspielung, sondern für die Ensembleleistung. "Il Giardino Armonico" versteht sich vor allem auf die italienische Barockmusik und ist in den fast 25 Jahren seines Bestehens für die stetig steigene Interesse der Zuhörer an Alter Musik gewaltig mitverantwortlich. Denn gleich mit den ersten Klängen aus Antonio Caldaras Sinfonia a-Moll war klar: hier spielt eines der weltbesten Barockensembles. Dazu kam eine Dramaturgie, die weit entfernt war von einem Potpourri bekannter Melodien. Mit Akribie und Sinn für Kontraste und Nachbarschaften hatte das Ensemble verschiedene Passionsmusiken instrumentaler und vokaler Art zusammengestellt. Dirigent Giovanni Antonini vermied Pausen zwischen den Stücken, so dass der Abend aus drei großen Teilen intensivst musizierter Marien-Musiken bestand. Il Giardino Armonico beeindruckte durch ein unendlich scheinendes Repertoire an Ausdrucksnuancen und dynamischen Feinheiten, so dass jeder noch so kurze Instrumentalsatz zu einem packenden Drama geriet. Weit entfernt ist das Ensemble auch von einem harten Tonfall oder überzeichneten Tempi, was für manche vermeintlichen Experten der Alten Musik schon zur Visitenkarte gehört. Vielleicht liegt es doch an der Heimat des Ensembles, dass man überzeugt ist, Vivaldi hier mit besonderem Schmelz, mit Klangtiefe und einem unglaublichen Sinn für Tonlängen und Tongestaltung zu hören. Den vokalen Part dieses Konzertes gestaltete die Schweizer Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis, die sich wie ein ebenbürtiges Instrument in die Schar der Musiker einfügte und insbesondere in Giovanni Battista Ferrandinis Kantate "Il Pianto di Maria" eindrucksvolle Gestaltung ihrer Linien bot. Dazu faszinierte hier die Faktur der Kantate mit einer zweimal musizierten ernsten Cavatine und mit einem fast schon ruppig-bestimmten Rezitativ als Finale. Von der Orgelempore sang Chappuis im ersten Teil raumgreifend und dramatisch Claudio Monteverdis "Pianto della Madonna", eine Fassung des berühmten "Lamento d'Arianna". Die räumliche Distanz kreierte eine besondere Bühnensituation: dieser Maria war zu Hilfe zu eilen unmöglich und mit dieser festen Unausweichlichkeit sang Chappuis die Klage sehr überzeugend. Die Italianità des Dresdner Hofes nicht fehlen: mit Werken von Johann Georg Pisendel und Sylvius Leopold Weiss wurden sehr passende Musiken ausgewählt. Neben Luca Pianca (Laute) brillierte Dirigent Giovanni Antonini ebenfalls solistisch auf dem Chalumeau in Francesco Contis Arie "Sento già mancar la vita". Für den starken Applaus für dieses bewegende Konzert bedankten sich die Musiker mit der Arie "Mein Heiland" aus Telemanns "Brockes-Passion". Und zu hoffen bleibt, dass Il Giardino Armonico nicht nur im Oktober seinen verdienten Preis entgegennimmt, sondern Dresden auch bald wieder musikalisch beehrt.


CD-Tipp:
Das Programm des Konzertes in der Frauenkirche ist bereits im April 2009 auf CD erschienen: Il Pianto di Maria - Bernarda Fink, Il Giardino Armonico, Giovanni Antonini, DECCA

Sonntag, 30. August 2009

Charakterkopf und technisches Wunderwerk

Lang Lang zu Gast im Sonderkonzert der Staatskapelle

Die neue Saison der Sächsischen Staatskapelle Dresden ist eröffnet. Ein Sonderkonzert unter Leitung von Generalmusikdirektor Fabio Luisi markierte am Mittwochabend gleichsam drei Pfeiler der sinfonischen Arbeit der Kapelle: Verpflichtung zu Tradition und Moderne sowie die Begegnung mit hochklassigen Solisten. Das Konzert war außerdem der Auftakt für eine Tournee in die Sommerfestival-Metropolen Europas: Luzern, London, Hamburg und Montreux sind die Stationen. Mit einer Uraufführung stellte sich die neue Capell-Compositrice vor, nach Isabel Mundry und Bernhard Lang die dritte Komponistin, die über den Zeitraum einer Saison moderne Akzente in den Kapellkonzerte setzen wird: Die Britin Rebecca Saunders hat sich auf den einschlägigen Neue-Musik-Festivals mit Werken ins Gespräch gebracht, die eine avancierte Sprache sprechen und oftmals durch eine plastisch formulierte Grundidee oder klangliche Brechungen und Varianten der gewählten Stückthematik überraschen. In Saunders' "Traces" (Spuren) für Orchester war vor allem ein Spiel mit der Wandelbarkeit eines geformten Klanges zu spüren. Die Musik franste regelrecht aus, nachdem sie aus nebulöser Tiefe eine Genese fand. Erst im letzten Drittel des Stückes kam es zu deutlicheren, markanten Äußerungen, die aber in abstrakten Sphären verblieben. "Traces" waren vor allem verrätselte Spuren, die von freundlichem Applaus beantwortet über die Rampe krochen. Ähnlich den ebenso anspruchsvollen "Balancen" von Isabel Mundry von vor zwei Jahren wird dieses Werk hinter dem Kapellrepertoire versteckt kaum in Erinnerung bleiben - eine offensivere Haltung wäre hier vonnöten, wenn ein vehementes Interesse an der Vermittlung Neuer Musik bestünde. Zu dem chinesischen Starpianisten Lang Lang hätte man natürlich kaum etwas auffahren können, das angesichts dessen Bühnenpräsenz nicht in den Hintergrund geraten wäre. Man war gespannt, ob Lang Lang nach der einfühlsamen Interpretation des 1. Klavierkonzertes von Frédéric Chopin im Jahr 2005 in Dresden nun mit dem 2. Klavierkonzert f-Moll erneut begeistern würde. Er tat es, allerdings ist mir unklar, ob die stehenden Ovationen mehr seiner Person und Ausstrahlung oder seinen interpretatorischen Künsten galten. Denn zeitweise überspannte er den Bogen doch arg: das Larghetto war zwar melodisch schön gestaltet, doch Lang Langs stark exerzierte Gestik und Mimik lenkte vom Hörgenuss ab. Oft trat die Musik auf der Stelle, da Lang Lang sich noch in einem von schätzungsweise zwanzig erduldeten kleinen Toden dieses Satzes befand. Besondere Demut vor der Musik ist seine Sache nicht, aber wer einen Pianisten sucht, der Charakterkopf und technisches Wunderwerk zugleich ist, ist mit der Darstellung von Lang Lang gut aufgehoben. Er ist eine Klasse für sich und darf sich mit Recht am Klassik-Gipfel sonnen - die Chopin-Zugabe wie auch der noch sehr seriös vorgetragene erste Satz des Konzertes zeigten überdies einen Lang Lang, der noch zu viel mehr Tiefe und Intensität fähig ist - ohne Seufzen und Schluchzen, dafür aber nah an den Toren zur Musik selbst. - Fabio Luisis Deutung der "Alpensinfonie" von Richard Strauss dürfte den treuen Zuhörern bekannt sein. Niemals jedoch wird man von der Kapelle zweimal das Gleiche hören, zumal gerade dieses plastische Stück hunderte Facetten und Möglichkeiten der klanglichen Ausformung bietet. Die Aufführung dieser Saison sparte nicht mit dem satt entfalteten besonderen Strauss-Klang der Kapelle. Vor allem wirkte diese Aufführung aber recht entspannt, was man von dem sinfonischen Monsterwerk kaum regulär erwarten dürfte. "Wasserfall" und "Vision" kamen etwas scharf daher, und manchmal vermisste ich doch ein wenig das zauberhafte Staunen im Entstehen der Musik, als würde man die Partitur zum ersten Mal sehen - so war nach der Bergwanderung der Ausklang ein wenig lapidar: wenn's dunkel ist, ist's Nacht. Fine.

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