Rezensionen
Thomas Zehetmaier und das
Kammerorchester Basel in der Frauenkirche
Vor zwei Jahren gastierte das Kammerorchester Basel bereits in der Frauenkirche, unter Leitung von Paul McCreesh brachte es damals ein Mozart-Programm zu Gehör. Beim erneuten Gastspiel am Sonnabend trat das international renommierte Ensemble in großer Besetzung an, und offenbar hatten die beim letzten Gastspiel besetzten Musiker nicht nur bei ihren Kollegen von der Frauenkirche geschwärmt sondern diese auch über die akustischen Verhältnisse in Kenntnis gesetzt, anders ließe sich die unbekümmerte und staunenswerte Spielfreude des nunmehr in spätromantischer Orchesterstärke angetreten Ensembles nicht erklären. Für den erkrankten Paul McCreesh stand Thomas Zehetmaier am Pult, den viele sicherlich zum ersten Mal als Dirigenten erlebt haben dürften. Obwohl der Allround-Musiker schon seit sechs Jahren Chefdirigent der britischen Northern Sinfonia ist, ist er dem Publikum weltweit vor allem als Geiger der Spitzenklasse bekannt. In der Frauenkirche stellte er zunächst eine Rarität vor, die Ouvertüre "Ein feste Burg ist unser Gott" von Joachim Raff, eines Komponisten, der zumeist im Schatten von Liszt und Brahms stand und wirkte. Der Einsatz für dieses Stück war bemerkenswert und die Interpretation höchst aufmerksam. Allerdings wird diese protestantische Ouvertüre auch heutzutage nicht viel mehr Freunde finden als vor 142 Jahren, dem widerspricht schon die kaum aufregende Themenverarbeitung: der allseits bekannte cantus firmus verschwindet eine Viertelstunde im kontrapunktischen Niemandsland, um dann kurz vor Schluss im bekanntem Gewande wiederaufzutauchen: Coda fortissimo, Applaus. Zur Demonstration der hohen Spielkultur des Kammerorchesters Basel taugte die Ouvertüre allemal. Ganz anders ergeht es der Rezeption der "Rokoko-Variationen" von Peter Tschaikowsky. Da der russische Komponist sich nicht zu einem "echten" Cellokonzert hat hinreißen lassen, ist das liebliche Gelegenheitswerk ins Repertoire nahezu aller großen Cellisten eingegangen. Dass eine intelligente Interpretation dieses Werkes die Partitur aber von der ersten bis zur letzten Note spannend machen kann, bewies der holländische Cellist Pieter Wispelwey. Den Begriff Rokoko verstand dieser vor allem als zwingende (nicht gezwungene) Verspieltheit, die derbe und sogar surreal wirkende Töne mit einschloss - in Wispelweys fantastischer Phrasierung glaubte man einem Märchenerzähler zuzuhören und wurde in ferne Welten getragen. Nicht immer gelang dem Kammerorchester eine ebenso zauberhafte Begleitung, auffällig war, dass das Orchester an einigen Stellen schneller auf den Solisten reagierte als Zehetmaier selbst. Diese Unsauberkeit im metrischen Bereich setzte sich im Schlusswerk leider fort. Sicherlich wollte Zehetmaier mit flexiblen Tempi in Johannes Brahms' 1. Sinfonie eine interessante Deutung formen, ihm entglitt aber zu oft die rhythmische Struktur des Werkes, die polyphonen Stimmen passten nicht übereinander. Zudem litt das Werk entweder unter Verlangsamung (im doch sehr stückhaft musizierten 2. Satz) oder unter plötzlichen "Rasanti", die in keiner Weise durch die Partitur gerechtfertigt waren. So verlor die gar nicht sostenuto genommene Einleitung der Sinfonie ihre insistierende Haltung, das Allegro-Thema des 4. Satzes trieb gefährlich voran. Wurde die Musik leise, verlor Zehetmaier an Tempo, baute sich ein Tutti auf, schlingerte sie aus dem Ruder. Sicherlich darf man solch eine Interpretation als eigenwillig betrachten, famos ist dabei aber die konzentrierte Folgsamkeit des Ensembles zu nennen, das zudem mit wunderschönen Horn- und Flötensoli in der Sinfonie glänzte und immer wieder zu differenziertem, klangintensivem Spiel fand.
MDR-Sinfonieorchester gastiert mit "Amerika!" auf Schloss Wackerbarth
Es bedurfte einiger Stoßgebete, die Publikum, Veranstalter und Interpreten wohl vereint losgeschickt hatten, damit rechtzeitig zum Sonntag der Dauerregen an der Elbe ein Ende nahm und der MDR-Musiksommer im Weingut Schloss Wackerbarth einziehen konnte. Der Wettergott hatte ein Einsehen und so traf man beim nachmittäglichen Wandeln an den Radebeuler Weinstöcken auf gutgelaunte Konzertbesucher, die die Atmosphäre des Sommer-Open-Airs sichtlich genossen. Man hätte es bei lauschigen Melodien zu einem Glas Wein oder Sekt bewenden lassen können, doch der MDR bot auf der Schloss-Bühne nicht nur sein komplettes Sinfonieorchester dar, sondern auch hochkarätige Solisten. Unter dem Titel "Amerika!" wurde zudem ein abwechslungsreiches Programm geboten, dass sich nicht mit gängigem Broadway-Sound begnügte, sondern den Zuhörer auf eine anspruchsvolle klassisch-moderne Reise von New York bis nach Buenos Aires mitnahm. Leonard Bernsteins "Candide"-Ouvertüre ist als Eingangsstück durchaus beliebt, seltener werden weitere Stücke aus der Oper gespielt, die hier in Charlie Harmons Arrangement zu Gehör kamen. Für das Konzert des Musiksommers konnte der Este Kristjan Järvi als Dirigent gewonnen werden. Dessen breite musikalische Interessen und sein bereits im ersten Stück auf das Orchester überspringende Charisma ließen ihn als ideale Wahl erscheinen. Im Orchester herrschte nicht nur besonnenbrilltes Vergnügen anlässlich der funkensprühenden Bernstein-Partitur vor, sondern es war durchaus der Anspruch spürbar, den Konzertbesuchern besondere musikalische Erlebnisse zu bieten. Das Klangergebnis war durchweg überzeugend - das Orchester erreichte unter immer schwierigen Open-Air-Bedingungen eine homogene und differenzierte Klangkultur. Das kam natürlich den Solisten der beiden Konzertwerke zugute, die sich stets auf die "Hintermannschaft" verlassen konnten. Der amerikanische Saxophonist und Komponist Daniel Schnyder stellte als Solist des eigenen Werkes gemeinsam mit Damien Bassman (Percussion) sein "Songbook" für Saxophon und Orchester vor und begeisterte das Publikum nicht nur mit einem Werk, das klug zwischen den Stilen changierte und dabei immer melodiös und abwechslungsreich klang, sondern auch mit einer nur faszinierend zu nennenden Interpretation, bei der man über den strömenden Saxophonklang und große Virtuosität staunen konnte. Wandelt schon Bernstein abseits der klassischen Pfade, so waren spätestens hier alle stilistischen Grenzen aufgehoben und man hatte das Gefühl, einem originären Kunstwerk zu lauschen, das vor allem von der Intensität von Schnyders Spiel lebte. Nach der Pause gab es aber nahtlos weitere Höhepunkte: Carel Kraayenhof gilt als einer der weltweit besten Bandoneon-Spieler - ihn auf Schloss Wackerbarth mit Ástor Piazzollas nachträglich "Aconcagua" betiteltem Concierto und in der Zugabe mit "Adiós Nonino" zu erleben, war ein vollkommener Genuss. Bei all diesen "Grenzüberschreitungen" sollte auch bemerkt werden, dass da keinesfalls leicht zu spielende Partituren auf den Notenpulten des Orchesters lagen. Kristjan Järvi war jedoch mit knapper und präziser Zeichengebung ein kluger Sachwalter der mitreißenden Stücke. So gelang die abschließende Ballett-Suite "Estancia" des Argentiniers Alberto Ginastera durchaus mit rauschendem Tutti-Klang, aber eben auch in den Mittelsätzen kultiviert und mit stets transparentem Bläsersatz. Dass der "Malambo" zweimal gegeben werden musste, war der Beweis für ein rundum stimmiges Sommer-Konzert.
"Academy of St. Martin in the Fields" gastiert zum MDR-Musiksommer
Nicht allzuoft macht der MDR Musiksommer in diesem Jahr auf seiner musikalischen Reise durch die drei vom Sender zu versorgenden Bundesländer in Dresden Station. Ein Gastspiel der "Academy of St. Martin in the Fields", ein vor allem durch seine über 500 Schallplatten- und CD-Aufnahmen weltweit bekanntes Kammerorchester, sorgte am Sonnabend für eine voll besetzte Frauenkirche. Das 1958 gegründete Londoner Orchester begründet seinen Ruf mit Aufführungen von Musik aus Barock und Wiener Klassik. Weniger als auf einzelne exzellente Interpretationen ist die Bekanntheit wohl auf die exzessive Tonträgerverbreitung zurückzuführen. Nachdem es im letzten Jahrzehnt stiller um die Academy wurde, scheint es jetzt neue Impulse zu geben: Projekte mit dem Pianisten Murray Perahia, der Sopranistin Kate Royal oder Paul McCartneys "Ecce cor meum" zeugen von einer moderneren Profilierung der Academy. Ob diese auch im Konzerterlebnis Spuren hinterlässt, davon würde man sich beim Gastspiel überzeugen können - wenngleich der Konzertuntertitel "Sommerklassik" einen gewisse musikalische und interpretatorische Ansprüche stellenden Zuhörer schon im Voraus zu Stirnrunzeln verleitete. Leoš Janáčeks Suite für Streichorchester, ein recht harmlos-gefälliges Frühwerk des Komponisten ordnete sich unter dem Begriff auch problemlos ein; das Ensemble spielte makellos und dynamisch gut abgestuft. Einen anderen Grund als eben "Sommerklassik" darzubieten, gab es für dieses Werk kaum: Janáček selbst lehnte es später ab und einige Sätze haben gerade noch den Charakter einer netten Orchestrierungsübung. Die Academy gastierte übrigens dirigentenlos, zwar war der Geiger Kenneth Sillito als Leiter angegeben, der saß aber am Konzertmeisterpult und hatte offenbar anderes zu tun als das Orchester zusammenzuhalten, was sich spätestens bei Béla Bartóks "Divertimento" als fatal erwies. Robert Planels 1966 entstandenes Trompetenkonzert erwies sich vor der Pause als unerträglicher Stilkopienmix in Richtung einer seichten Unterhaltungsmusik, die eine Aufführung des Werkes kaum noch rechtfertigt - wäre da nicht der sich vom Orchestersatz abkoppelnde, empfundene Solopart, der im Konzert zudem von einem Weltklasse-Solisten übernommen wurde. Håkan Hardenberger schien äußerst dankbar für die trompetenfreundliche Akustik der Kirche zu sein und entwickelte auf seinem Instrument einen unglaublich singenden, vollends durchgestalteten Klang, allein die Dur-Heiterkeit und schlecht kopierte Gershwin-Harmonik des Streicherparts im Hintergrund störte massiv. Hier waren auch schon erste Uneinigkeiten im Rund der Streicher zu bemerken. Im 3. Satz war Hardenberger trotz schöner Klangfärbung einige Male ein etwas starr wirkendes Spiel anzumerken. Die konsequente Bemühung um die absolute Reinheit und Gestaltung des Tones war staunenswert, sie dürfte aber nicht ausschließlich an erster Stelle stehen, sonst ginge einer Interpretation Lebendigkeit verloren. Nach der Pause erklang Felix Mendelssohn-Bartholdys vor Ideen und Vitalität sprühendem frühes d-Moll-Violinkonzert, und man erwartete einen ähnlich zauberhaften Höhenflug wie im vorangegangenen Trompetenkonzert. Konzertmeister Kenneth Sillito nahm nun den Platz des Solisten ein, ließ das Orchester damit vollends führerlos zurück und entsetzte durch eine nur blamabel zu nennende Darstellung des Konzertes, bei der katastrophale Intonation und eine mangelhafte, nervös-flüchtige Bogenführung den Zuhörer ratlos und zugleich angstvoll vor der jeweils nächsten Solophrase zurückließen. Das Ensemble spielte dabei kaum irritiert mit, wirkte aber eben auch wenig motiviert. Zurück im Orchester wirkte das Orchester mit Sillito im abschließenden Bartók-Werk kaum überzeugender, da in den zahlreichen Soli-Passagen die Intonation nicht besser wurde. Bei aller Respektsbezeugung vor der Entscheidung, Werke im Vertrauen auf Musikerohr und Kenntnis der Stücke ohne Dirigent aufzuführen: wenn es nicht funktioniert, sollte man es lassen, zumal ein Dirigent weitaus mehr beitragen kann und soll als die simple Organisation der Stücke. Die romantisierend und ohne Schärfe musizierten Ecksätze im Divertimento schienen ohne Kenntnis des Werkhintergrundes als "Sommerklassik" missinterpretiert, allenfalls der zweite Satz gefiel mit recht ordentlicher Klangintensität. Ein freundlicher Gruß von Leoš Janáček und das herausragende Spiel des Solisten Håkan Hardenberger verbleiben als positive Eindrücke dieses Konzertes, was angesichts der Historie der "Academy" schlicht enttäuschend ist.
Sommer-Open-Air der Dresdner Philharmonie am Elbufer
Mit Pauken und Trompeten verabschiedete sich die Dresdner Philharmonie am Sonntag bei den Filmnächten am Dresdner Elbufer in die wohlverdiente Sommerpause. Nicht ohne den Dresdnern noch ein mit klassischen Schmankerln gefülltes Konzert in voller Orchesterbesetzung zu schenken. Nunja, ganz geschenkt war es nicht und vielleicht trug der nicht ganz billige Eintrittspreis auch eine Mitschuld, dass es im Filmnächte-Areal viele leere Reihen gab. Manch treuer Abonnent wird wohl schlicht bereits im ebenfalls verdienten Urlaub gewesen sein. Im Vergleich zu anderen Sommer-Open-Airs muss sich diese Veranstaltung noch ein bißchen mausern: die Einladung zum Picknicken musste angesichts von Plastikstühlen auf Asphalt verpuffen, vereinzelt ließ man es sich im Rund aber dann doch mit Sekt und Schnittchen gutgehen. Für die Musiker war das Open-Air eine besondere Herausforderung. Auf der Bühne hören die Musiker aus akustischen Gründen von den Mitspielern so gut wie nichts und müssen bei ihrem Spiel auf die Tonanlage vertrauen, die es richten wird und den nachhalllosen Klang namens "Orchester" erst zusammenbaut. Das gelang gut, wenngleich die dynamische Bandbreite keinen Vergleich zu dem Konzert am Vortag zuließ, bei dem die "Söhne Mannheims" auch noch am Rosengarten zu hören waren. Dabei hatte das von Deutschlandradio-Kultur- Moderator Holger Hettinger verbal betreute sommerliche Programm reichlich fortissimo und Schmiss zu bieten und man staunte, wie präzise die Philharmoniker auf der mehr und mehr von einem Insektenorchester bevölkerten Bühne agierten. Immer wieder gerne äußere ich die Kritik, dass konzeptlose Lichtregie angesichts anspruchsvoller Musik bei solchen Konzerten durchaus eingespart werden kann, wenn sich das kreative Ergebnis auf "blaue Lampe" und "gelbe Lampe" reduziert. Doch die Gesetze eines Open-Airs erfordern auch Trockeneis und wabernde Geometrie am Bühnenhintergrund, dazu die obligate Jackett-Entfernung des Dirigenten im zweiten Teil. Dass derlei Aufbrechen der Kleiderordnung nur wenige Konsequenzen im musikalischen Bereich nach sich zog war etwas schade - der Gastdirigent Dmitri Jurowski glänzte nicht gerade durch eine temperamentvolle Interpretation der auf dem Pult liegenden Partituren. Die Maskerade-Suite von Chatschaturjan und die Cinderella-Suite von Prokofieff dirigierte er reichlich emotionslos durch, etwas knackiger kam die Suite aus der Filmmusik zu "Die Hornisse" (Nomen est omen - doch hoffentlich waren es nur harmlose Fliegenschwärme im Scheinwerferdunst der Bühne) von Dmitri Schostakowitsch daher. Regelrechte "Sicherheitsfassungen" amerikanischer Orchesterschlager gab es nach der Pause - die "Candide"-Ouvertüre verträgt ebenso etliche Striche mehr auf dem Metronom wie Gershwins bekannte Ouvertüre zu "Girl Crazy". Die erste Tanzepisode aus Bernsteins "On the town" war angesichts von Jurowskis steifem, kaum differenzierenden Dirigat kaum mehr wiederzuerkennen, Tänzeleien auf dem Podium lenkten da nur von der schwachen Leistung des Dirigenten ab. Zu bestaunen war allerdings, wie die Philharmoniker sich auch ohne viel Zuwendung von vorne durch die Partituren arbeiteten und von russischer Bläserschwere bis zu schwereleichtem Bernstein-Jazz jede Stilistik professionell und klangstark in Angriff nahmen. Besonders in ruhigen Sätzen der Suiten brillierten die Musiker, die beiden Violin- und Cellosoli waren empfunden interpretiert. Die amerikanische Sopranistin Leah Partridge interpretierte lediglich zwei kurze, aber wohlbekannte Broadway-Songs. Ihr "Summertime" und vor allem das auch rhythmisch unsichere "Glitter and be gay" mit einer unruhig geführten, in Mittellagen selten einmal weich timbrierten Stimme konnte jedoch nicht überzeugen. Am Ende gab es großen Applaus für die sommerabendliche Sinfonik, mit zwei Zugaben entließen die Philharmoniker die Zuhörer in die Nacht. Ärgerlich und zudem für die Besucher gefährliche Ausmaße annehmend ist die Tatsache, dass die Stadt und die Filmnächte- Veranstalter weiterhin nichts unternehmen, um Autos vom Elberadweg zu verbannen. Sowohl Orchestermusiker als auch Publikum parkten in großer Zahl unter der Carolabrücke und es kam auf dem unbeleuchteten Weg zur Ausfahrt an der Albertbrücke zu einigen gefährlichen Situationen, da sich kaum ein Fahrzeug um angepasste Geschwindigkeit scherte und unter der Brücke auch noch ein LKW im Fußgängerverkehr rangierte. Rings um die Ministerien sind abends hunderte kostenfreie Parkplätze vorhanden, ist es so schwer, sich einmal 100m zu Fuß zu seinem Auto zu bewegen?
Il Fondamento unter Paul Dombrecht gastierten in der Frauenkirche
Ausschließlich Werke des Barock-Komponisten Jan Dismas Zelenka standen auf dem Programm des Frauenkirchen-Konzertes vom Sonnabend. Man mag es auf die hohen Preise oder das gute Wetter schieben: das Gastspiel eines der renommiertesten Alte-Musik-Ensembles Europas, Il Fondamento aus Brüssel, war äußerst schlecht besucht. Das war insofern schade, da die Spezialisten aus Belgien ein spannendes Programm mitgebracht hatten, das keineswegs in barocker Opulenz langatmig wurde. Dafür sorgen allein schon die heute immer noch zu entdeckenden Kompositionen von Jan Dismas Zelenka. Der Kontrabassist der Dresdner Hofkapelle gelangte zwischen den Kapellmeistern Johann David Heinichen und Johann Adolf Hasse eher als emsiger Notenarbeiter denn als berühmter Compositeur zu Ruhm. Sehr zu Unrecht, wie man heute weiß, und wie das Konzert in gleich dreifacher Weise bewies. Denn Zelenka entwickelte neue Formen der katholischen Kirchenmusik; was damals sicherlich modernistisch anmutete, fasziniert heute aufgrund seiner klaren formalen Sprache: Was liegt näher, als einen Miserere-Text als große Litanei über den immer gleichen Bass-Vers "Miserere mei Deus" anzulegen? Oder ein "De Profundis" ("Aus der Tiefe") mit drei Solo-Bässen beginnen zu lassen? Oder den Solobass quasi als Moderator durch die Requiem-Sequenz zu führen? Kurzweiliger und faszinierender kann Barockmusik kaum sein, noch dazu staunt man über rasant kurze Accompagnati und Chorsätze, die die textliche Aussage in der notwendigen Schärfe auf den Punkt bringen. Eine solche Musik braucht indes Kenner für die Ausschöpfung der zahlreichen Besonderheiten der Partituren. Kundig und gut vorbereitet spielte das Orchester "Il Fondamento" aus Brüssel unter der Leitung von Paul Dombrecht, der dem Klang zu idealer Verschmelzung verhalf, lediglich die Posaunen waren im Requiem nur schwach zu bemerken. Die Aufführung der drei geistlichen Werke war nicht immer perfekt (das wäre für die temperamentvolle Musik auch ein eher schlechtes Zeichen), aber sie war von einer respektvollen Grundhaltung gekennzeichnet, die den weichen Schönklang der alten Instrumente hervorrief. Nicht ganz zufrieden konnte man mit dem flämischen Rundfunkchor sein, der in 17köpfiger Besetzungsstärke angetreten war, was dann für manche durch Zelenkas atemberaubende Harmonik ausgelöste Dramatik dann doch manchmal zu dünn, in den Bässen auch zu hart klang. Die Textflut des Miserere wurde von Dombrecht nicht immer differenziert genug bearbeitet, in allen drei Werken fehlte öfters eine genaue dynamische Zuordnung vor allem in Entwicklungen. Die plötzlichen a-cappella-Passagen im Requiem gelangen hingegen großartig. Ein internationales Solistenquartett bereicherte die Aufführung - vor allem die Sopranistin Miriam Allen und der Bass André Morsch konnten mit einer sehr ansprechenden, sauberen Interpretation ihrer Solopartien überzeugen. Der Altus Clint van der Linde bot ebenso eine solide Leistung, Robert Getchells blasse Tenorstimme konnte mit der Qualität dieser Aufführung allerdings nicht mithalten. Insgesamt war dies ein vielfältig interessantes Konzert, bei der in der schwierigen Frauenkirchen-Akustik viel Engagement für Zelenkas spannende Musik gezeigt wurde.
Christoph Eschenbach und der Rundfunkchor Berlin zu Gast bei der Philharmonie
Die Konzertsaison der Dresdner Philharmonie ist bald beendet, vor der verdienten Sommerpause wird noch ein Konzert mit Filmmusik anstehen. Der "Artist in Residence" Christoph Eschenbach beehrte die Philharmoniker am vergangenen Sonnabend noch einmal. Für das Sonderkonzert in der Frauenkirche hatte der Dirigent adäquate geistliche Werke ausgewählt und dabei den reizvollen Kontrast zwischen Barock und Romantik sowie protestantisch und katholisch geprägten Kompositionen gesucht. Doch der ökumenische Gedanke liegt wohl in der gespielten Note selbst, die, erklingt sie einmal, kaum mehr Postulat einer Kirche, sondern Ausdruck von lebendigem Glauben ist. Die akustische Crux in der Frauenkirche spielte allerdings auch in diesem Konzert eine Rolle. Trotz großer spielerischer Anstrengung war im eingangs erklingenden Magnificat D-Dur von Johann Sebastian Bach das Klangvolumen der Streicher oft zu dick - die "Wolke" über dem Altarraum entsteht schneller als es einem lieb ist. Eine kleinere Streicherbesetzung hätte mehr Differenzierung gebracht und wäre keineswegs zu schwach gewesen anlässlich des 60köpfigen Chores, der flexibel genug war, um zu feinstem Piano zu verschmelzen. Christoph Eschenbach kam es im Magnificat auf eine flüssige, schnörkellose Darstellung der kompakten Aussage des Werkes an. In Sachsen ist man eher Aufführungen in der Adventszeit gewohnt, aber Bach selbst sah ja eine "weihnachtsbereinigte" Fassung dieser Lobpreiskantate vor. Schon hier fiel der Rundfunkchor Berlin mit überzeugender Ton- und Textgestaltung sehr angenehm auf. Ein Solistenquintett mit Rinat Shaham, Annette Jahns, Tim Severloh, Pavol Breslik und Hanno Müller-Brachmann hatte die kleinen aber feinen Aufgaben der Arien zu übernehmen, jedoch konnten nur die Damen mit ansprechender Interpretation überzeugen. Bresliks recht dünne Tenorstimme, Müller-Brachmanns seltsam zerhackter Legato-Gesang und der nicht immer sensibel geführte Altus von Tim Severloh gefielen weniger. Das wäre bei einem großen Oratorium mit vielen Arien zu verschmerzen gewesen, nicht aber bei diesem kurzen und beliebten Werk.
Das Orchester nahm Eschenbachs Hinweise im Magnificat gut auf und zeigte in den Instrumentalsoli der Arien und im Continuo makellos schönes Spiel. Im weiteren Konzertablauf wandelte sich der Charakter des philharmonischen Konzertes in ein erstklassiges Chorkonzert, was schlicht daran lag, dass in der 2. Messe e-Moll von Anton Bruckner die Bläser eine eher hintergründige, wenngleich wichtige Ebene einnehmen. Die Philharmoniker übernahmen diesen Part souverän und fügten sich in die Dynamik des Chores gut ein. Der schwedische Chordirgent Stefan Parkman hatte den Rundfunkchor Berlin optimal auf das Konzert vorbereitet. In den beiden in der Mitte des Konzerts platzierten Motetten "Ave Maria" von Bruckner und "Ave verum" von Mozart entfaltete sich der Klang ruhig und intensivst im Kirchenraum. Eschenbachs Zugang zur Bruckner-Messe war gleichsam von zupackender Kraft wie von sanfter Gelassenheit gekennzeichnet. Die meisten Tempi - bis auf das natürlich fließende und so auch schlüssig musizierte "Sanctus" - waren eher langsam angesetzt, doch Eschenbach definierte mit dem Chor den harmonischen Verlauf sehr genau, so dass Steigerungen zielgerichtet in starke Eruptionen mündeten, bei welchen man über die selbst im fortissimo weich strömende Klanggewalt des Chores staunte. Im von Eschenbach gut ausgeformten Dur-Moll-Wechsel des "Agnus Dei" fand die Messe einen demütigen Ausklang. Stetige Sauberkeit und eine gute Klangabstimmung der einzelnen Stimmgruppen setzte sich auch nach den Kraftanstrengungen der vorherigen Sätze hier wie selbstverständlich fort. Begeisterter Applaus war die Folge dieses außergewöhnlichen, emotional berührenden Konzertes.
Mozart, Weber und Schubert eng beieinander
Sommerkonzert des Kammerorchesters Heidenau
Das Land Sachsen weist im Bereich sogenannter Liebhaberorchester eine erfreulich hohe Dichte auf: wenn der Sachse nicht gerade singt, spielt er (mindestens) ein Instrument, und dies gerne mit anderen gemeinsam. Der Anspruch der Ensembles ist oft hoch - ist die Möglichkeit vorhanden, holt man sich "Profis" ins Orchester oder ans Dirigentenpult. Die Konzertergebnisse lassen oft staunen, mit welch großem Engagement die Musiker kundig zu Werke gehen. So auch im Sommerkonzert des traditionsreichen Kammerorchesters Heidenau, das im Kulturrathaus Dresden stattfand. Auf dem Programm standen Werke von Mozart, Schubert und Weber. Die stilistischen Berührungspunkte dieser Komponisten sind vielfältig und kamen bei der Auswahl der Werke gut zur Geltung. Das Kammerorchester Heidenau wurde für dieses Konzert vom Ensemble "Saitenlos" in den Bläsern und vom Collegium Instrumentale Pirna in den Streichern verstärkt, auf diese Weise konnte Dirigent Matthias Herbig mit einem kompletten Sinfonieorchester arbeiten und sich so für größerere Literatur entscheiden, als sie das Orchester normalerweise spielt. Schwungvoll ging es gleich zu Beginn mit der "Haffner"-Sinfonie von Wolfgang Amadeus Mozart los. Hier konnte man sogleich über die Konzentration, aber auch die Fähigkeiten der Musiker aus immerhin drei Ensembles staunen, die ein Orchester bildeten, das keinerlei Individualisten heraushören ließ - Herbig setzte sowohl auf akkurates ausgehörtes Spiel als auch auf lockeres Musizieren. Diese gleich bei Mozart erreichte Balance ließ eine reife Interpretation entstehen. Ebenso aufmerksam agierten die Musiker in Carl Maria von Webers Fagottkonzert, in welchem das Orchester nur selten im Vordergrund steht, es ist ein typisches Virtuosenkonzert. Spielwitz und Melodiensegen sorgen dennoch für ein abwechslungsreiches Hörerlebnis; in der nicht eben zahlreichen Konzertliteratur für das Fagott ist dieses Konzert wohl eines der farbigsten Beispiele. Die Dresdner Solistin Annette Falk sorgte mit einer absolut brillanten Interpretation für einen Hörgenuss: die warme, nuanciert ausgeformte Tiefe ihres Instrumentes changierte mit achtsam behandelten Tönen der oberen Lagen. Die makellosen Läufe über die ganze Bandbreite des Instrumentes und vor allem die Fähigkeit der Solistin, nur scheinbar "harmlose" Modulationen oder Liegetöne spannend zu gestalten, überzeugten hier vollkommen. Dazu legte Falk in den Ecksätzen ein ordentliches Tempo vor, das aber mit rhythmischer Exaktheit unterlegt wurde und so durchweg überzeugte. Abschließend erklang die 5. Sinfonie von Franz Schubert, ein komplett in Tönen ausgedrücktes Winken hinüber zum großen Vorbild Mozart. Hier ließ an manchen Stellen ein wenig die Kraft der Differenzierung nach, doch im Vordergrund stand die von Herbig und dem Orchester sorgfältig vorbereitete Interpretation, das wurde immer wieder in der homogenen Phrasierung und in gut angelegten Formabschnitten deutlich. Das Sommerkonzert des Kammerorchesters Heidenau fand begeisterten Applaus und wird am 24. Juli um 19 Uhr in der Marienkirche Pirna wiederholt.
12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle
Für Fabio Luisi geht dieser Tage die erste Saison als Generalmusikdirektor zu Ende. Mit der Sächsischen Staatskapelle zeigte er in den sechs von ihm dirigierten Konzerten seine klare musikalische Visitenkarte: Frische Kraft wird in der Tradition gesucht, und ein wesentlicher Focus zeigt nicht nur durch die Einrichtung des "Capell-Compositeurs" in die Gegenwart. Die richtige Balance beider Schwerpunkte kann langfristig zur gegenseitigen Befruchtung führen und verhilft Orchester wie Publikum zu neuen, wertvollen Impulsen. Nicht zuletzt aufgrund aktueller CD-Produktionen standen in dieser Saison Orchesterwerke von Richard Strauss im Mittelpunkt von Luisis Konzerten, ob dies immer der Wirkung der Stücke der Capell-Compositrice Isabel Mundry zugute kam, mag man in Frage stellen. Im 12. Sinfoniekonzert war aufgrund der Thematik der Kompositionen und natürlich auch der Herkunft des Dirigenten ein südländisches Dach über die Musik gespannt: eine "deutsche Italianità" mit doppeltem Quergruß nach Spanien. Strauss' Tondichtung "Don Juan" ist längst zum Bravourstück guter Orchester geworden, in Dresden atmet sie nahezu den Hauch einer Erkennungshymne, denn auf wundersame Weise stellt sich hier der selbst im forte stets samtige Kapellklang regelmäßig wie von selbst ein. So konnte sich Luisi mit wenigen Gesten auf Tempovorschub und Ausbalancierung begnügen. Die Homogenität des Orchesters war so ausgezeichnet, dass harmonische Entwicklungen auch in rasanten Passagen immer plastisch hervortraten. Isabel Mundry steuerte ein "Nocturno" bei, das in ungewöhnlicher Aufstellung des Orchesters reizvolle Klangnuancen innerhalb wahrlich "nächtlicher" Thematik bot. Immer wieder beißt sich da das große Hauptensemble in beharrlichen Klangflächen fest, während später ein kleines Soloensemble in zarter Zerbrechlichkeit seine Stimme erhebt - die Finsternis vertreibt es indes nicht. Wenngleich in avancierter Sprache komponiert, war in diesem Fall die Nähe zu Strauss frappierend, denn dessen Vorliebe zur solistischen Äußerung und der Auffächerung des Streicherklangs in den Tondichtungen war zumindest eine klare klangliche Parallele. Mit der auf den Punkt gebrachten Dramaturgie des "Don Juan" ist die ein Jahr zuvor entstandene und heutzutage selten zu hörende Orchesterfantasie "Aus Italien" von Richard Strauss nicht zu vergleichen. Dennoch bietet das Stück bereits eine reiche Palette an vor allem pastellenen Orchesterfarben an, die Strauss hier eher mit ruhig-gelassenem Zeitempfinden ausprobierte und Luisi ebenfalls mit Sinn für einen weichen Musikfluss nachempfand. Brahms und Berlioz grüßen im 2. und 4. Satz mehrfach aus der Partitur und ein wenig Humor sollte nach Strauss eigenen Worten der Zuhörer schon mitbringen, um die italienischen Eindrücke recht zu verarbeiten. Den Spass empfand man auch beim Zuhören, denn angesichts der transparenten Musizierweise Luisis waren die zahlreichen fast impressionistischen Bilder (etwa im 3. Satz) gut "ausgemalt"; zudem war im ganzen Orchester eine spannungsvolle Piano-Kultur zu beobachten, die dem Werk unbedingt entgegen kommt. Die in urdeutsche Kontrapunktik getauchte neapolitanische Volksweise des 4. Satzes verkommt bei Luisi dann gottlob nicht zur Touristensatire, sondern wirkt differenziert und ernstgenommen. So macht Strauss Spaß.
Akademieprojekt "Mobile" wurde in Hellerau uraufgeführt
Normalerweise, so besagt ein Spruch, geht man zum Lachen in den Keller. In Hellerau stieg man jedoch am vergangenen Freitag die Stufen hinab, um ein Experiment zeitgenössischer Musik mitzuerleben, bei dem nicht nur das sinnliche, befreiende Lachen am Ende ein wenig gefehlt hat. Aber der Reihe nach: In der letztjährigen Hellerauer Sommerakademie des Europäischen Zentrums der Künste wurde bereits das sogenannte "Akademieprojekt" angestoßen, das mangels Bespielbarkeit des Festspielhauses in den Hellerauer Werkstätten Premiere hatte. "Junge Künstler und Wissenschaftler sind hier eingeladen, unter der Leitung eines renommierten Künstlers an einem freien, kreativen Entwicklungsprozess aktiv teilzunehmen", so beschreibt sich das Projekt selbst. Ein Satz, der alles sein kann und nichts. Die Begriffe "Freiheit" und "Kreativität" entleeren sich recht schnell, wenn man ihnen nicht Sinn und Richtung verleiht. Insofern war unter dieser Einführung kaum etwas vorstellbar, sie blieb aber auch die einzige, wenn man von wenigen Worten zu "Mobile" (so der Name des Akademieprojektes) in einem Flyer absieht. Ähnlich wie die rund zwanzig Stipendiaten unter der künstlerischen Leitung des Komponisten Manos Tsangaris im Bühnenraum des Kellers agierten, so könnte man hier auch Begriffe in den Raum werfen, die allesamt an dem Abend Verwendung fanden, sich aber nicht zu einem rezipierbaren Ganzen formten: Improvisation, Kontakt, Kontrast, Experiment, Balance, Chaos. Woran dieses Missverhältnis zwischen Absicht und Wirkung der Aufführung lag, ist kaum erklärbar, möglicherweise waren die Rahmenbedingungen des Projektes - ein komponiertes Werk war ja nicht Ziel der Bemühungen - zu locker gesteckt. Immer wieder geschahen im "Mobile" Klang- und Bewegungsballungen, die zwar Masse und Aktion bedeuteten, aber über die reichlich abstrakte Mobile-Idee kaum einmal hinausgingen. Vor allem der Umgang mit musikalischem Material war zu frei, als dass ein Zuhörer wirklich an die Hand genommen werden konnte oder sich emotional tiefgehende Eindrücke einstellten. Nach zwanzig Minuten Laufen, Kratzen, Quietschen und Textplappern nebst einer schon nur noch peinlich zu nennenden Einbeziehung von Videoelementen, die dazu bestimmt waren, dass man sie kaum sah, stellte sich nicht nur Müdigkeit ein, sondern auch die Sinnfrage. Ja, alles ein Spiel - aber zur Selbstgefälligkeit der Interpreten dürfte wohl kaum ein Akademieprojekt mit drei Aufführungen zustande kommen. Auch der Lerneffekt für die Stipendiaten während der Entstehung ist unbedingt ernstzunehmen, aber eine Aufführung (zumal innerhalb des "KlangNetz Dresden" positioniert) sollte die Vermittlung und Kommunikation mit dem Publikum einbeziehen, hier waren deutliche Defizite zu bemerken. So saßen die Zuhörer im vorangestellten "Nachtstück mit Fenster" von Tsangaris so ungünstig positioniert, dass man von vielen Aktionen nur einen geschleuderten Arm, einen Gesichtsausschnitt oder fortwährendes Lichtspiel zu sehen bekam. Die Behandlung von Raum, optischen und akustischen Wirkungen sowie die Rolle des Publikums ist jedoch im zeitgenössischen Musiktheater immanent, so dass man hier unbefriedigt blieb. Deutlicher Vorteil dieses Prologs war jedoch die viel stringentere Form, die Klangsituationen und -konstellationen deutlich voneinander abhob, während das "Mobile" in seiner unpräzisen Bilder- und Klangflut zum Scheitern verurteilt war. Das Akademieprojekt warf auf diese Weise viele Fragen auf, vermutlich auch gewollt, aber dann sollte man zukünftig den offenen und eben stark akademischen Charakter des Aufführungsergebnisses viel besser im Voraus kommunizieren.
Neue Musik in der
Hofmühle
Der zeitgenössischen Musik wird oft entgegengehalten, sie sei zu kompliziert und die schwer zugänglichen Werke würden die Zuhörer nicht mehr erreichen. Abgesehen von dem Argument, dass dies zu allen Zeiten so war, gibt es erfreulich viele Initiativen, die einem mit neuer Musik unerfahrenem Publikum sozusagen unter die Arme respektive die Ohren greifen. Kluge Programmdramaturgien, Einführungen oder Kontrastwirkungen der Stücke sind dazu zu zählen. Eine besondere Art, sich neuen Klängen zu nähern, hat sich der Dresdner Komponist Carsten Hennig einfallen lassen. Dabei war seine Idee denkbar einfach (und auch nicht neu), denn die Zuhörer seiner in der Maschinenhalle der Hofmühle in Dresden-Plauen vorgestellen Komposition hatten nur eine Anweisung zu befolgen, die sich im Nachhinein nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung erwies: sie hatten die Augen verbunden. Das Konzert zur Sommersonnenwende erstreckte sich in mehreren Runden über den Nachmittag und hätte noch ein wenig mehr Publikum verdient - wer dort war, war begeistert und fasziniert von dem, was sich unsichtbar in der 360-Grad-Tiefe um ihn herum abspielte. Das Klaviertrio elole, Karoline Schulz (Flöte), Georg Wettin (Klarinette) und Carsten Hennig (Percussion) gestalteten zu einem vorproduzierten Zuspielband (als fest komponierte Rahmenstruktur) ein spannendes Klangereignis, das keinesfalls beliebig war und mit den Ohren gut zu verfolgen war. Mal konnte man sich auf sinkende Tonhöhen konzentrieren, mal auf pochende oder plätschernde Klangfarben, mal auf ein sich näherndes Instrument. Die Kürze des Werkes war ebenso sympathisch für diese neue Art, Musik zu entdecken. Nach zwanzig Minuten hatte man eine kleine Landschaft hörend erforscht und war dankbar für die Abschaltung des Sehens, das in diesem Fall die Wahrnehmung durch sichtbar umherlaufende und agierende Musiker nur gestört hätte. Eine solche Maßnahme ist etwa im Klangtheater von Mauricio Kagel undenkbar, hier funktioniert sie wunderbar, weil sie schon die Voraussetzung für die Klangereignisse bildet. Die Idee ging also auf, und sie ist durchaus zum Weiterdenken geeignet, denn mit der Focussierung auf das Gehör könnte auch weitaus komplexere Musik verständlich werden. So ist völlig unverständlich, warum man dieses Konzept bei Konzerten mit elektronischer Musik nicht längst anwendet, denn nichts scheint absurder als eine Konzertlänge lang auf vier Lautsprecherboxen zu starren. Und wir Zuhörer würden vielleicht doch einmal neu erlernen, wie wertvoll unser akustischer Sinn ist und wie eindrucksvoll wir ihn benutzen können.