Rezensionen

Montag, 21. April 2008

Plädoyer für die leisen Töne

Peter Rösel und Andrey Boreyko im Kapell-Konzert

Wer am Sonntagvormittag in der Semperoper sinfonischen Pomp suchte, war im 9. Sinfoniekonzert der sächsischen Staatskapelle nicht gut aufgehoben. Zwar sind es gerade die klanglich massiven Werke der Spätromantik, die die Zuhörer gerne begeistern, doch die Dramaturgie dieses Konzertes widmete sich ausschließlich Kompositionen, die mit leisen Tönen spielten. Dass diese Erfahrung genauso packend sein kann wie ein orchestrales Schlachtengemälde, bewies der Gastdirigent Andrey Boreyko, der bei seinem Debut bei der Staatskapelle ein beeindruckend charaktervolles und sorgfältiges Dirigat zeigte. Dies wurde schon im einleitenden Werk deutlich. Modest Mussorgskys Vorspiel zur Oper "Chowanschtschina", orchestriert von Dmitri Schostakowitsch, ist ein sinfonisches Kleinod; die Instrumentierung des Tagesanbruchs mit einer hinreißenden Klarinettenmelodie (Solo: Wolfram Große) formt von Beginn an eine eher schattenreiche Klangwelt, die mit düsteren Glockenklängen bereits die Dramatik der Opernhandlung vorwegnimmt. Boreyko modellierte diesen Einstieg sehr sanft und klangschön. Die gesamte Oper mit all ihren großen Chorszenen wartet allerdings immer noch auf eine Wiederentdeckung. Anschließend galt es ein besonderes Jubiläum zu feiern: 40 Jahre musiziert der Dresdner Pianist Peter Rösel bereits regelmäßig in Konzerten mit der Staatskapelle Dresden, das "Jubiläumskonzert" war indes ein besonderes: Rösel wählte keines der großen Virtuosenkonzerte aus, sondern Mozarts letztes Klavierkonzert B-Dur, KV 595. Der Charakter dieses Werkes ist eher introvertiert und anstelle eines offenherziger Spielfreudigkeit treten hier formale und harmonische Entwicklungen deutlicher in den Vordergrund. Das Orchester ist in dem Konzert in besonderer Weise gefragt, denn es weist eine enge Partnerschaft zwischen Solo- und Orchesterpart auf. Das Duo Boreyko/Rösel war für die Interpretation ein Glücksfall: Rösel musizierte am Klavier aus vollkommener Ruhe heraus und Boreyko fügte in fast bescheidener Weise die klug positionierten und differenziert ausmusizierten Kommentare des Orchesters hinzu - am Ende hatte man das Gefühl, einem äußerst kultivierten Mozart-Spiel zugehört zu haben. In dieser wohlgeordneten Welt entfalteten sich die Themen auf natürlichste Weise, wurden kleinste Begleitfiguren zur Klangrede und vor allem Rösels subtile Anschlagskultur überzeugte durchweg. Diese reife Interpretation benötigte keine dynamischen Extremwerte oder Überraschungsmomente, im Gegenteil: Rösel zeigte eine gelassene Gesamtschau auf das Werk und konnte sich dabei auf das sorgsame Spiel der Kapelle jederzeit verlassen. Eine schöne Geste war es auch, dass kein Virtuosenschmankerl zugegeben wurde, sondern Rösel mit dem Orchester den 3. Satz des Mozart-Konzertes wiederholte - es war eine erneute Reise zu Mozart, wiederum geglückt und beglückend. Nach der Pause stand die 15., die letzte Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch auf dem Programm. Dass dieses Werk auch 36 Jahre nach der Uraufführung noch betroffen macht, spricht für die Größe der Komposition, die in ihrer nackten, direkten Klangsprache so gar nichts mehr mit den früheren Sinfonien zu tun hat. Boreyko schuf eine äußerst spannungsvolle Interpretation und führte die "irrenden" Melodielinien mit sicherer Hand in eine ruhige Gesamtentwicklung, von der sich nur die gewalttätige Schärfe der Eruption im 2. Satz abhob. Dieser Ausbruch wurde aber sorgfältig mit einem höchst emotionalen Cellosolo (als Gast: Peter Bruns) vorbereitet und wirkte daher schockartig. Eine lange Stille entstand im Publikum, nachdem die letzten Schlagwerkimpulse des 4. Satzes auspendelten. Die Kapelle und Boreyko formten hier ein Plädoyer für die leisen und melancholischen Töne eines der wichtigsten und immer noch äußerst spannenden Komponisten des letzten Jahrhunderts.

Freiheit? Schuld?

Premiere "Vorfall in Kwangju" von Eunsun Lee in der Kleinen Szene

Geschichtsdokumentation wollte die junge südkoreanische Komponistin Eunsun Lee mit ihrem Opernerstling, der Kammeroper "Vorfall in Kwangju", wohl nicht betreiben. Ob sie aber geahnt hat, dass ihr Stück angesichts der "Vorfälle" in Tibet eine solche Brisanz und Aktualität haben würde? Ein Stück über Menschenrechte und Vertreibung ist immer aktuell, aber in diesem Jahr ist die mediale Aufmerksamkeit besonders auf den asiatischen Raum gerichtet. Der wirkliche "Vorfall in Kwangju" in Südkorea liegt indes keine dreißig Jahre zurück. Der Premierenbesuch in der Kleinen Szene am Freitagabend auf jeden Fall eine ernste Sache, bei der die Gedanken um die Macht und Ohnmacht des "kleinen Mannes" kreisten. In der Oper war es ein Mann namens Hong-Suk Park, dessen Schicksal stellvertretend für viele Entrechtete nicht nur in Korea um 1980 stand, sondern für jede ähnliche, tagtäglich stattfindende Situation auf der Welt: ein kleines aber glückliches Leben wird gelebt, man kämpft für seine Familie, man zeigt Widerstand gegen eine Obrigkeit, schließlich begeht man - angebliches - Unrecht und am Ende steht die Frage nach Freiheit und Schuld im Raum. Diese neue Produktion der Semperoper geschah wieder in bewährter Kooperation mit der Musikhochschule, der Palucca-Schule und der Hochschule für bildende Künste; sie fand außerdem im Rahmen des Projektes "KlangNetz Dresden" statt. Mit ganzer Kraft wurde hier von Studenten eine keineswegs leicht zu erarbeitende Partitur in professioneller Weise umgesetzt, dies nötigt höchsten Respekt ab. Eunsun Lee, bis zum letzten Jahr Kompositionsstudentin in der Meisterklasse von Prof. Wilfried Krätzschmar, konzentrierte den "Vorfall", die blutige Niederschlagung von Demonstranten gegen die Diktatur 1980, auf ein Familienschicksal und splittete dies nach Motiven des zeitgenössischen Madangtheaters, einer öffentlichen Improvisationstheaterform auf. Diese Inspiration schien aber für Lee eher nur formale Linienziehung zu bedeuten, denn von Improvisation oder Konzentration auf wenige theatralische Mittel konnte in der Oper nicht die Rede sein. Sowohl die Komponistin als auch der Regisseur Hendrik Müller überfrachteten die Geschichte mit einer komplexen Mischung aus Klängen, Gesten, Aktionen, Formen und Bedeutungen. Dies alles war höchst avanciert und durchdacht, bloß emotionale Spannung, die Intensität in der Aufmerksamkeit erzeugt hätte, kam an keiner Stelle des Abends auf. Stattdessen besudelten sich die Protagonisten im Bühnensandkasten, wurde reichlich Bier verschüttet und aus dem Orchester ertönten zumeist abstrakte Strukturen, die zwar viele Einzelideen verarbeiteten, aber nie eine nachhaltige, stark wirkende Handschrift oder dramaturgische Linie formten, die dem Text, den Bildern und dem Tanz eine angemessene (aufrüttelnde!) musikalische Übersetzung gegeben hätte. Das ist angesichts eines so wichtigen aktuellen Stoffes ein trauriges Ergebnis, reiht sich aber nahtlos in die Reihe etlicher gescheiterter Versuche mit politischen Sujets auf der Opernbühne ein. Fünf Protagonisten teilten sich in immer neue Rollen auf, die aber viel weniger Theater zugunsten einer tieferen Aussage vertragen hätten. Julia Beyer (Bühne) schuf eine praktikable Wandlösung für den Raum, ihre widersprüchlichen, fehlerbehafteten Kostüme waren ebenfalls gelungen. Innerhalb der schwer zugänglichen theatralisch-musikalischen Denkfabrik wirkte Alessandra Fabbris Choreografie der Tänzer wie ein wohltuender Fremdkörper. In sechs gekachelten Zellen bewiesen Studentinnen der Palucca-Schule, wie man dem Stoff weder durch Wort, Ton oder Handlung sofort gerecht werden kann, wie Enge und Not über 80 Minuten sicht- und fühlbar wird. Es war erstaunlich, dass man angesichts dieses Elementes auf einfache Weise vorgeführt bekam, wie weit entfernt vom Sujet eigentlich die anderen Ebenen der Oper vor sich hin dümpelten. Großen Applaus gab es für die Sänger und Musiker der Aufführung, allen voran für den hell strahlenden, ruhig geführten Tenor von Alexander Schafft in der Hauptrolle des Hong-Suk Park. Maria Meckel, Franziska Neumann, Georg Finger und Matthias Kleinert überzeugten allesamt mit stimmlicher und theatralischer Vielseitigkeit, Barbara Hoene (Schamanin, Mutter) fügte zu Beginn eine eher mystische Ebene in das Werk ein, die aber keine weiteren Auswirkungen für das Werk hatte. Lennart Dohms leitete ein klug positioniertes und versiertes Kammerensemble und hatte keine Mühe, die avancierte Partitur im kleinen Raum auszubalancieren. Trotz aller Bedenken ist ein Besuch unbedingt empfehlenswert, schon allein um eine künstlerische Auseinandersetzung mit einem Thema zu betrachten, das uns alle angeht, aber auch wegen einer überzeugenden Leistung eines fast durchweg studentischen Ensembles.

Vulkan mit Erdverbindung

Julia Fischer im 7. Zykluskonzert der Philharmonie

Sie ist 24 Jahre alt, Professorin an der Musikhochschule Frankfurt und begeistert ihre Zuhörer mit einem enormen Repertoire und mitreißenden Interpretationen: Die Geigerin Julia Fischer ist unglaublich gut. So gut, dass man angesichts der eigentlich notwendigen Superlative Angst bekommt und sich die Augen, nein, die Ohren reibt - gibt es sie wirklich noch, die Instrumentalvirtuosen, die keine Grenzen der Technik kennen und am Rande der Genialität tanzen? Im Kulturpalast durfte man sich beim 7. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie erneut von Julia Fischers Fertigkeiten überzeugen. Diesmal brachte sie das 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch mit, ein Konzert, in dem neben absoluter Beherrschung des Instrumentes eine enorme Emotionalität gefragt ist. Technische Hürden gibt es für Julia Fischer sowieso nicht, das bewies sie mit ihren furchtlosen Tempi im 2. und 4. Satz, in denen aber keine Nuance unterging. Stark war das Nocturno zu Beginn, in dem sie einen seidigen Klang und eine sehr natürliche Phrasierung ideal zu verbinden wusste. Im Scherzo zeigte sie eine unbändige, vorwärtstreibende Kraft; dieser Tanz auf dem Vulkan hatte aber trotz temperamentvoller Glut stets eine Erdverbindung und wirkte darum um so intensiver. Mit dem Gastdirigenten Yakov Kreizberg am Pult hatte sie einen erfahrenen Partner, der bereits viele CD-Aufnahmen der Geigerin betreute. Er ordnete die rasanten Bläserwirbel der Philharmoniker im Scherzo zum Solopart zu und hielt das Orchester in aufregendem, aber nicht aufgeregtem Spiel. In der Kadenz des Konzertes erzeugte Fischer mit intensivster Klanggebung eine spannungsvolle Stille im Auditorium und steigerte die Kadenz von innigster Empfindung bis hin zu jaulenden Doppelgriffen - damit fasste sie die ganze Emotionswelt des Konzertes in ihrem Solo zusammen. Für diese Darstellung wurde sie vom Dresdner Publikum ausgiebig gefeiert und bedankte sich mit einer unprätentiös gespielten Paganini-Zugabe. In der Pause fragte man sich, ob der Dirigent Yakov Kreizberg dieses Musikerlebnis noch steigern würde - Franz Schuberts "Große" Sinfonie C-Dur stand als sinfonisches Werk auf dem Programm. Doch Kreizbergs Interpretation wurde dem Werk nicht gerecht. Zwar zeigten die Philharmoniker eine souveräne Gesamtleistung, doch die durchweg übertriebene Zeichengebung vom Dirigentenpult verhinderte einen ausbalancierten Klang und beförderte an vielen Stellen lautes, undifferenziertes Spiel. Kreizberg hatte in Gestalt der Sinfonie ein wunderbares Geschenk in den Händen, allein er schüttelte das Paket anstelle es sorgsam auszupacken und die zahlreichen Schönheiten zu entdecken. In den flinken Tempi hätten Themenübergänge und harmonische Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit benötigt, die Verdopplung der Holzbläser stand einer differenzierten Interpretation ebenfalls im Wege. Die gute Schostakowitsch-Darstellung bewies, dass Kreizberg mit modernerem Repertoire zu fesseln vermag, sein Schubert jedoch blieb insgesamt blass.

Montag, 7. April 2008

Entstehen und Vergehen

Yuri Bashmet interpretiert Giya Kancheli

Eigentlich hätte die Dresdner Frauenkirche bis auf den letzten Platz gefüllt sein müssen. Schließlich gastierte einer der weltbesten Musiker beim Frauenkirchenkonzert der Dresdner Philharmonie: der russische Bratscher Yuri Bashmet. Er inspirierte zahlreiche zeitgenössische Komponisten, darunter Edison Denisov, Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina, zu annähernd 50 neuen Konzertwerken und ist als Kammermusikpartner wie als Dirigent außerordentlich geschätzt. Mit dem georgischen Komponisten Giya Kancheli verbindet Bashmet eine lange Zusammenarbeit, aus der u.a. das Violakonzert "Vom Winde beweint" entstand. "Abii ne viderem" ("Ich wandte mich, um nicht zu sehen") aus dem Jahr 1994 stellt die Solobratsche neben ein kleineres Ensemble - Bashmet rückte das Stück in den Mittelpunkt seines Konzertes. Diese Platzierung wäre auch der einzige mögliche Kritikpunkt eines ansonsten äußerst intensiven Konzertes: nach Kanchelis unglaublich bewegender "Tonfindung" an den Rändern der Stille hätte kein Werk mehr folgen dürfen. Mutig war Bashmets Entscheidung, sowohl den Solopart zu spielen als auch das Ensemble zu leiten - das Ergebnis war ein selbstverantwortliches, aufmerksames Zuhören und Reagieren im Orchester mit größtmöglicher Sorgfalt für die so wichtigen Pulsationen, Pausen und Klangflächen dieses Werkes. Gleich ob sich ein dunkler Akkord in den Vordergrund schob oder brutale Attacken des ganzen Ensembles auf Bashmets zumeist introvertierte Äußerungen antworteten, die Aufführung dieses Werkes war ein packendes Ereignis. Mit zur Schau gestellter Virtuosität hat Kanchelis Werk nichts zu tun, ebenso wenig mit avantgardistischen Kopfexperimenten. Hier wird Musik zu sich selbst zurückgeführt, entsteht, braust auf, befragt sich selbst, vergeht. Diese Erkenntnis gewann, wer Bashmets großen und ruhigen Ton bewunderte - erstaunlich war überdies, wie passend sich ausgerechnet diese Musik im Raum der Kirche entfalten konnte. Die akustische Situation war eingangs im 3. Brandenburgischen Konzert von Johann Sebastian Bach schwieriger, Bashmet meisterte aber mit deutlicher Kontrastsetzung und dynamischer Differenzierung die Polyphonie des Werkes. Zudem klang das Werk unter seinen Händen außerordentlich frisch, aber niemals überhastet. Ebenso klug wurde die 44. Sinfonie e-Moll von Joseph Haydn am Ende des Konzertes musiziert, wenngleich man sich von den starken Klängen des Kancheli-Werkes kaum lösen mochte. Den Beinamen "Trauersinfonie" kann man angesichts der Faktur und der Interpretation getrost vergessen, einzig Haydn selbst wünschte sich den langsamen Satz der Sinfonie zu seiner eigenen Trauerfeier. Ausgerechnet dieser steht jedoch in Dur und das ganze Stück vermittelt eigentlich mehr Trost denn Traurigkeit. Die Dresdner Philharmonie spielte hier erneut in kleiner Besetzung hervorragend und folgte Bashmets effizienter Zeichengebung konzentriert. Schade, dass das (touristische) Publikum für die Kancheli-Darbietung nur wenig übrig hatte. Erwünscht wären endlich einmal Dresdner Aufführungen der herausragenden Sinfonien dieses immer noch viel zu wenig gespielten Komponisten.

Dienstag, 1. April 2008

Kammermusik für großes Orchester

8. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle

Im März noch weilte die Sächsische Staatskapelle Dresden in arabischen Gefilden, nun tankt man in der Semperoper auf und bereitet sich auf die nächste Tournee vor, die das Orchester Anfang April in bedeutende Konzertsäle in ganz Europa führen wird. Dem Publikum wurde daher ein geteiltes 8. Sinfoniekonzert mit dem Tourneeprogramm vorgestellt, zudem erklang nach der Uraufführung im Antrittskonzert von GMD Fabio Luisi das Orchesterwerk "Balancen" von Isabel Mundry erneut im Anrechtskonzert. Für die Komponistin, "Capell-Compositrice" der laufenden Saison, bedeutete die Wiederaufführung die Chance zur Revidierung, mehr noch zur Schärfung der musikalischen Gedanken. Es entstand so eine leicht geänderte Fassung, die einige Momente der Musik länger ausbreitete, andere im Klang oder in der Attacke focussierte. Für das Orchester wiederum, das Mundrys Werk auch auf der Tournee vorstellen wird, bedeutete die Wiederaufführung vor allem auch eine weitere wichtige Annäherung an die Partitur - zu oft verschwindet Neue Musik nach der Uraufführung im Notenarchiv, was für den Aufwand und das Spielergebnis nur zu bedauern ist, wenn die Qualität eines Werkes dem Vergessen eigentlich widerspräche. Mundrys Auftragswerk für die Kapelle ist unbedingt ein "Wiederhör-Stück", bei dem verschiedene Schichten und Atmosphären beim unerbittlichen Fluss der Zeit im Einmalhören kaum oder schemenhaft erschlossen werden. Doch genau das Schemenhafte wird in den "Balancen" zum Thema und die Komponistin verschließt sich vielfältigen Deutungen ihrer Musik nicht. Fabio Luisi formte mit dem in drei Gruppen aufgeteilten Orchester eine vor allem kammermusikalische Klanglandschaft, aus der selten einmal ein Tutti, eine Melodie oder ein zu packender Gegenstand hervorschien. Absichtsvoll kostet Mundry hier die Schatten der Musik aus und diese Intention wurde überzeugend interpretiert. Gleichfalls kammermusikalisch ging es weiter. Angesichts der feinen Melodielinien im "Siegfried-Idyll" wundert man sich ja, dass von Richard Wagner kaum "echte" Kammermusik überliefert ist. Und auch die Nachbarschaft zu Isabel Mundry wurde sinnfällig, denn in dem kleinen Orchesterstück gelangt Wagner vor allem im Mittelteil immer wieder zu Abbrüchen und Neuansätzen, Annäherungen und Distanzen. Luisi nahm sich viel Ruhe für dieses Werk und konnte sich auf die intensive Ausgestaltung der Musiker verlassen. Die Schlichtheit der Tonsprache indes wird von Wagner über eine lange Zeitspanne immer wieder neu ausgebreitet, sodass in heutiger Zeit einem wenig mehr als das Attribut "lieblich" für diese Rarität einfällt.
Eine Konzertsaison in der Semperoper ohne ein Orchesterwerk von Richard Strauss wäre nahezu unvorstellbar, und das Dresdner Publikum freute es, dass wieder einmal die Tondichtung "Ein Heldenleben" auf dem Programm stand. Dennoch war es diesmal eine Aufführung mit einem Novum für die meisten Hörer: der verklärende Originalschluss im Dialog zwischen Horn und Geige erklingt nur selten auf den Konzertbühnen. Fabio Luisi ging die Exposition mit herausbrechender Vitalität an, fand in den prosaischen Abschnitten mit Kai Vogler (Violinsolo) eine enorm entspannte Musizierhaltung und führte das Orchester mit zupackender Hand durch die Lebensschlacht des imaginären Helden. Die Kapelle war klanglich optimal disponiert und konnte selbst in der komplexen Durchführung feine dynamische Abstufungen und melodiösen Vollklang entfalten.
Das Tourneeprogramm wird in den Konzerten am Montag und Dienstag mit weiteren Werken von Paul Hindemith und Gustav Mahler ergänzt.

Dienstag, 18. März 2008

Drei Solokonzerte, freundlicher Ausklang

Matinee des Hochschulsinfonieorchesters in der Semperoper

Im Laufe eines Jahres bestreitet des Hochschulsinfonieorchester der Dresdner Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in kleiner und großer Besetzung fast ein halbes Dutzend Konzerte, dazu kommen noch die Orchesteraufgaben in Opernproduktionen der Hochschule. Beachtlich ist immer wieder die Leistung des projektweise neu zusammengestellten Ensembles. Neben gängigem Orchesterrepertoire haben die jungen Musiker auch Begleitaufgaben der Solisten und Uraufführungen zu bewältigen. All dies war auch in der Matinee in der Semperoper am Sonntagvormittag der Fall. Vor Beginn des Konzertes verlieh die Dresdner Stiftung für Kunst und Kultur der Stadtsparkasse Dresden das jährliche Carl-Maria-von-Weber-Stipendium an zwei hervorragende Studierende der Hochschule. Diesmal wurde es der Geigerin Fanny Fräde (Klasse Prof. Ivan Zenaty) und der Sopranistin Anja Zügner (Klasse Prof. Christiane Junghanns) zur Förderung ihrer künstlerischen Entwicklung zuerkannt. Im ersten Stück des Konzertes trat Martin Hecker als Solist in der Uraufführung seines eigenen Klavierkonzertes auf. Es war faszinierend, wie der Kompositionsstudent aus der Klasse von Prof. Jörg Herchet in beiden "Disziplinen" Außergewöhnliches leistete. Das Klavierkonzert konnte mit einer eigenständigen Tonsprache überzeugen, mehr noch: die Konzentration auf einige Grundideen, ein recht kleines, aber farbig behandeltes Orchester und die Kontrastwirkung zwischen den völlig gegensätzlich angelegten beiden Sätzen war sinnfällig. Im 1. Satz herrschte bohrende Wiederholung vor, immer wieder drehte sich das Material um seine eigene Achse, eine "Lösung" gab es nicht. Der folgende langsame Satz spielte dann, erzeugt durch einen vierteltönig verstimmten Disk-Flügel, mit reizvollen Klangkombinationen, schien aber episodischer. Den virtuos-vertrackten Solopart meisterte Hecker ebenso souverän wie das Orchester die neue Partitur mit vielen ungewohnten, extremen Klangverbindungen. Die Matinee hielt zwei weitere Solokonzerte bereit: zunächst das 1. Cellokonzert Es-Dur von Dmitri Schostakowitsch, in welchem der Solist Simon Deffner (Klasse Wolfgang Emanuel Schmidt) eine charaktervolle Interpretation zeigte. In den Ecksätzen bewies Deffner eine gehörige Portion Mut beim Zugriff und in Tempoentscheidungen für manche Passagen. Das ging die meiste Zeit gut, insgesamt wäre eine leichte Temperamentszügelung der Deutlichkeit aber förderlich gewesen. Vor allem im zweiten Satz und der Cadenza gelang Deffner aber ein ruhig strömendes, intensives Spiel. Im Orchester gefiel hier vor allem das Solohorn und die präzise Holzbläsersektion. Nach der Pause beeindruckte dann der chinesische Pianist Bowen Liu (Klasse Prof. Arkadi Zenzipér) mit einer kraftvoll-kontrollierten Darstellung des 1. Klavierkonzertes von Franz Liszt. Er konnte sich sogar im Orchestertutti problemlos behaupten und fand gemeinsam mit Dirigent Ekkehard Klemm frische Tempi, die das Konzert kurzweilig, aber niemals flach erschienen ließen. Homogenes Spiel herrschte auch im Abschlussstück des Konzertes vor: das knackige Finale mit Sergej Prokofjews "Symphonie Classique" ging Klemm munter und nicht gerade mit nobler Zurückhaltung in den Tempi an. Hier konnte er sich aber auf die Fähigkeiten seiner Studenten verlassen, das Orchester formte einen freundlichen, locker musizierten Ausklang.

Montag, 17. März 2008

Atmosphärisch und mitreißend

Herbert Blomstedt gastierte mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester

Vielleicht war es ein bißchen ein Nach-Hause-Kommen, als Herbert
Blomstedt am Freitagabend die Bühne des Kulturpalastes betrat. Vor rund dreißig Jahren musizierte der weltweit renommierte Dirigent als Chef der Sächsischen Staatskapelle auf dieser Bühne. Nun ist Blomstedt 80 und arbeitet nach weiteren Chef-Stationen in San Francisco, Hamburg und am Leipziger Gewandhaus freischaffend und gastiert seither bei den besten Orchestern der Welt. Von Müdigkeit oder Rückzug ins ruhige Rentnerdasein ist bei diesem Dirigenten rein gar nichts zu vermerken, und seine kraftvolle, ehrliche Musizierfreude teilt sich jedem Zuhörer im Konzert sofort mit. 2007 konzertierte er letztmalig mit der Staatskapelle, am Freitag jedoch stellte er das Gustav-Mahler- Jugendorchester im Konzert in Dresden vor, mit dem Blomstedt sich derzeit auf einer großen Oster-Tournee befindet. Das Konzert fand in Dresden als Vorgeschmack auf die Dresdner Musikfestspiele statt und war nicht ganz ausverkauft, wasnicht nur wegen Blomstedts Gastspiel schade war, denn Jugendorchester bringen zumeist besonders packende Interpretationen mit. Schließlich musizierte dort nicht irgendein Jugendorchester, sondern eines der besten in ganz Europa: das Gustav-Mahler-Jugendorchester, 1986 auf Initiative von Claudio Abbado gegründet, vereint die besten
Musikstudenten europäischer Musikhochschulen. Für diese gilt es
bereits als Auszeichnung, nach einem erfolgreichen Vorspiel ein Projekt in diesem Orchester mitspielen zu dürfen. Die meisten von ihnen werden später Stellen in den großen Orchestern der Welt finden. Treffen sie im Projekt des Jugendorchesters auf einen Dirigenten mit so reichhaltiger Erfahrung und so ausgeprägter Ausstrahlung wie Herbert Blomstedt, dürfte das Erlebnis einer Konzerttournee nachhaltig prägend sein. Blomstedt, der kaum programmatische Grenzen in seinen Programmen kennt, hatte für die jungen Musiker Bruckner und Sibelius ausgewählt; im
weiteren Verlauf der Tournee wird noch das Violinkonzert von Alban Berg hinzukommen. Sibelius' inwendig-dramatischen sinfonischen Abschied der 7. Sinfonie C-Dur, Opus 105 musizierte Blomstedt mit überraschender Nüchternheit, die aber absichtsvoll den melodischen Bereich der Sinfonie unterstützte und zum Glänzen brachte; dies war direkt an der ruhig strömenden Einleitung und dem warm musizierten Posaunen-Thema festzumachen. Geht man die rhythmischen Strukturen der Sinfonie ohne pathetische Handbremse an, erscheint dieses Stück gar nicht mehr nordisch-dunkel, etliche Dur-Passagen strahlten vor allem aus
der Holzbläser-Sektion. Wenngleich diese Interpretation vor allem aus verständlichem Lampenfieber der jungen Musiker nicht perfekt sein konnte und wollte, so war sie vor allem intensiv vom ersten bis zum letzten Ton. Auf Blomstedts inspirierendes und oft lobendes Dirigat konnten sich die Musiker ohnehin verlassen. Die musikalische Intensität hielt in der gewaltigen 5. Sinfonie B-Dur von Anton Bruckner an und brach sich nicht so sehr in den von Blomstedt niemals brutal, sondern organisch musizierten Höhepunkten Bahn, als eher in den kleinen Themenvariationen oder in der subtilen Anlage von Steigerungen. So waren es immer wieder die Satzanfänge und Übergänge, die faszinierten. Ein kleiner Seitenwink an die Geigen, eine schattierende Synkope in den Celli - dort waren die Geheimnisse versteckt, die Blomstedt dieser Partitur entlockte. Zudem war es erstaunlich, was das Orchester atmosphärisch leistete. Die Studenten gingen bis zum Äußersten, dies war auch noch am letzten Pult zu beobachten, sodass ein fast rauschhaft zu nennender Streicherklang entstand. Das Engagement der Musiker hielt mit Blomstedts immer wieder impulsiver, herausfordernder Leitung bis zur Schlussapotheose an, die man wohl selten bohrender und triumphaler gehört hat. Und doch kam die gesamte Sinfonie auf so natürlich freischwingende Weise daher, dass man für das plausible, letztlich schlichte Hörerlebnis dankbar war. Blomstedt und das Orchester wurden mit stehenden Ovationen gefeiert, die emotionale Atmosphäre war im ganzen Saal zu spüren. Es war der Dank für das Klanggeschenk eines großen Dirigenten, der auch heute noch in der Stadt einen außerordentlichen Ruf genießt und viele Erinnerungen hervorruft.

Freitag, 14. März 2008

Systemkollaps und kalkuliertes Schwindelgefühl

Portraitkonzert Wilfried Krätzschmar im "Klangnetz Dresden"

Die Dresdner Musiklandschaft wird in den nächsten vier Jahren dank der neuen Einrichtung des "Klangnetz Dresden" deutlich von zeitgenössischer Musik geprägt sein, stärker noch als es bisher ohnehin durch viele engagierte Musiker, Komponisten, Ensembles und Institutionen in der Stadt geschieht. Denn das Förderprojekt der Kulturstiftung des Bundes ermöglicht nun nicht nur sporadische, individuelle Konzerte, sondern setzt auf Netzwerk und Vermittlung. Einen der wichtigsten "Verkehrsknotenpunkte" stellt im Projekt die Hochschule für Musik Dresden dar. Dort fand auch am Mittwoch innerhalb einer neuen Workshopreihe "Komponieren in Sachsen" ein umfangreiches Portrait des Dresdner Komponisten und ehemaligen Rektors der Musikhochschule Wilfried Krätzschmar statt. Nach einer Vortragsveranstaltung am Nachmittag widmete man sich am Abend der vielfarbigen Kammermusik Krätzschmars. Interessant war vor allem die Gegenüberstellung alter und neuer Werke, wobei Krätzschmar im Gesprächsteil des Konzertes nicht nur die Wende als besondere Schnittstelle im OEuvre hervorhob. Auch die Beendigung seines Rektoratsamts war eine Zäsur, die nach 2003 Raum für neue Werke erkennen ließ. Im Ablauf der Stücke im Konzert waren aber diese biografischen Markierungen kaum fühlbar, denn jedes einzelne Werk blieb ein "echter Krätzschmar". Denn schlicht unverwechselbar ist in Krätzschmars Kompositionen die formale Sicherheit, die Sinnlichkeit des Gestischen und die Unverzagtheit, ja der Mut, den Krätzschmar im schmalgradigen Bereich des Halbszenischen aufbringt. So gerät man als Zuhörer ins Wanken, ins Trudeln, und das mit voller Absicht, aber auch mit vollem Genuss. Es entsteht ein akustisches Schwindelgefühl, das Krätzschmar in seinen Partituren fein kalkuliert. Rasch stellte sich dieser Schwindel im Ensemblewerk "... possibilmente alla serenata ..." (1989) schon angesichts des Gedankens ein, dass das Stück nach dem Willen der Musiker auch zwei volle Tage dauern könnte. Müde würde man beim Zuhören wohl dennoch nicht, auch wenn der Posaunist zum x-ten Mal am Rande seiner Luftmöglichkeiten um die Töne ränge. Solch akustischer Seiltanz setzte sich im "TANGO" für Klavier zu vier Händen fort. Hier sind es vor allem rhythmische Wucherungen, die den Eindruck einer argentinischen Bandoneontruppe vor einem riesigen Zerrspiegel entstehen lassen. Der Tango-Tanzboden federte durch, auch wenn die gehämmerten Rhythmen beizeiten den Systemkollaps markierten. Die beiden koreanischen Studenten leisteten hier Außergewöhnliches, ebenso wie Seong Ryeom Lee an der Großen Trommel in der "sérénade noire" - oder hat man vor diesem Konzert gewusst, dass dieses Instrument auch sprechen, singen, klagen, juchzen und töten kann? Am Ende des Konzertes stand das "scenario piccolo" für einen Pianisten und Instrumente aus dem Jahr 1986. Hier wagte sich Krätzschmar doch weit über den Rand des Subtilen hinaus und stellte einem nahezu hyperaktiven Instrumentalensemble eine apathische Theater-Pianistin gegenüber; ein nacktes, offenes Spiel mit Kontrasten anstelle braver Kammermusik. Was folgte, war ein pures Drama instrumentaler, musikalischer und musikantischer Natur. Krätzschmars Werke hinterließen starke Eindrücke, und bei den für ihren ehemaligen Rektor äußerst engagiert agierenden Studenten der Dresdner Musikhochschule (in der bewährten Gesamtleitung von Christian Münch) waren die Kompositionen in besten Händen.

Donnerstag, 6. März 2008

Saftig musizierte Klangmärchen

3. Sinfoniekonzert der Landesbühnen Sachsen

Es gibt unter den klassischen Komponisten Charaktere, die eigentlich auch hervorragende Geschichtenerzähler oder Vorleser gewesen wären. Wenn man sich die Partituren von Ravel und Strawinsky anschaut, offenbart sich deren Leidenschaft im Erfinden von phantastischen Szenen und dem Ausloten von Humor und Tragik sofort. Dem Hörer eines Konzertes teilt sich dies nicht automatisch mit, dazu bedarf es einer Interpretation, die die schillernden Farben dieser Komponisten hervorkitzelt. Im 3. Sinfoniekonzert der Landesbühnen gelang dies in beglückender Weise, und GMD Michele Carulli schaffte es sogar, der Ouvertüre zur Oper "Cenerentola" von Gioacchino Rossini nicht nur selbstverständlich das italienische Feuer zu entlocken, sondern auch den kammermusikalischen, rhythmischen Zauber, der den Meisterwerken Rossinis innewohnt. Lediglich im Beginn der Ouvertüre musste sich das Orchester klanglich etwas zusammenfinden, um dann aber souverän aufzuspielen. Das reine Orchesterkonzert um Märchen und Mythen wurde mit Ravels Suite "Ma Mère l'Oye" (Mutter Gans) fortgesetzt. Hier zeigte sich, dass Carulli, der noch am schmissigen Ende der Rossini-Ouvertüre wahre Flugqualitäten am Pult bewies, mit seinem Orchester auch wunderbar leise Töne und sanfte Klangfarben hervorbringen kann. Kaum etwas konnte die entspannende Atmosphäre dieser ruhig und breit strömenden Melodien schmälern.
Der "Brocken" des Konzertes stand jedoch noch bevor und man darf feststellen, dass die Leistung des Orchesters nach der Konzertpause beeindruckend war. Nicht die allseits bekannte Suite aus dem "Feuervogel" von Igor Strawinsky stand auf dem Programm, sondern die komplette Ballettmusik und diese läßt sich beileibe nicht vom Blatt spielen. So bekamen die Hörer einen saftigen Vorgeschmack auf den zweiteiligen Ballettabend nach Reiner Feistel, der mit diesem Stück und "Le Sacre du Printemps" am 15.3. an den Landesbühnen Premiere hat. Eine tolle Erfahrung der Aufführung des "Feuervogels" im Sinfoniekonzert war die Leichtigkeit, mit der Carulli in der gesamten Ballettmusik den musikalischen Fluss unterstützte und so selbst schwierigste Bläserpassagen sauber und koordiniert ausmusiziert werden konnten. Immer wieder stufte Carulli die Dynamik fein ab; feines, vielfach geteiltes Streicherflirren klang ebenso spannend wie der Höllentanz von Kaschtschej, nach welchem der GMD in satt angelegten Klangfarben auf das große Finale des Balletts zusteuerte. Es gab unzählige Soli der Musiker zu bewundern und besonders beeindruckte, wie aufmerksam und präzise das Orchester eine gute Balance für die einzelnen Klangbilder in dem Ballett erzeugte. Der märchenhafte und doch klanggewaltige Abend wurde begeistert aufgenommen und es ist sicher nicht untertrieben zu bemerken, dass Carulli binnen dreier Amtsjahre als GMD in Radebeul einen Klangkörper geschaffen hat, der beim Zuhören schlicht Freude macht.

Yoga für die Ohren

Ranajit Sengupta (Sarod) gastierte in der Dreikönigskirche

Die Dresdner Konzertreihe "Musik zwischen den Welten" wartet (der Titel sagt es) immer wieder mit besonderen Musikern, Kompositionen und kulturellen Begegnungen aus der ganzen Welt auf. Angesichts des Gastspiels von Ranajit Sengupta am Sonntag in der Dreikönigskirche reicht die Vokabel "besonders" allerdings kaum mehr aus, um das Erlebnis auch nur annähernd in Worte zu fassen. Zuvor sei gesagt, dass die Rezeption klassischer indischer Musik vor allem seit den sechziger Jahren in Europa stark zunahm. Dabei kam und kommt es oft zu Begegnungen der westlichen mit der indischen Kultur, deren bekannteste, wenn auch vielleicht nicht unbedingt historisch wertvollste, die von Yehudi Menuhin mit dem Sitar-Spieler Ravi Shankar war. Aber auch die zeitgenössische (elektronische) Musik des Westens ist stark an indischer Musik interessiert, schon allein wegen der spannenden Mikrotonalität. Auch der Sarod-Spieler Ranajit Sengupta verschließt sich nicht vor solchen Begegnungen, und man kann ihn auch durchaus als einen offenen, fortschrittlichen Spieler ansehen. Zudem genießt er in Indien ein sehr hohes Ansehen, lehrt bereits selbst das Sarod-Spiel und bereichert das Raga-Repertoire durch eigene Kompositionen. Dennoch hatte der Abend in der Dreikönigskirche etwas sehr Ursprüngliches, Reines. Das lag zum einen daran, dass eben auf die multikulturellen musikalischen Begegnungen verzichtet wurde, zum anderen wurde mit Sengupta ein Musiker ausgewählt, der eben auch die großen überlieferten Ragas mit äußerster Kunstfertigkeit spielt. Läßt man sich auf Senguptas Spiel ein, merkt man schon nach wenigen Minuten, wie sich Rhythmus, Dynamik, Virtuosität und damit die Gesamtenergie aus einer großen inneren Ruhe formt. Dazu kommt eine ehrliche Freude beim Spielen, die Sengupta auch sanft mit dem Publikum kommunizierte. Spätestens da waren die Hörkonventionen ausgehebelt, die Vergleiche sinnlos. Man stelle sich lediglich ein deutsches Sinfonieorchester während des Spiels lächelnd vor - es passiert selten genug, möglicherweise haben wir noch viel zu lernen von anderen Kulturen. Im Raga transportiert sich trotz der fremden Skalen der Ausdruck sofort und eigentlich hätte es für die enorm vielseitige, rhythmisch ohne weiteres neben Freejazz und Hardrock bestehener Ornamentik Zwischenapplaus geben müssen, allein dies verbot die angenehme Hör-Versenkung, in die man durch Senguptas Spiel augenblicklich geriet. Im ersten Teil des Konzertes, das Sengupta mit wunderbaren Partnern bestritt (Samir Nandi, Tabla und Norbert Klippstein, Tanpura) gab es einen großen, einstündigen Frühlings-Raga (Raga Basant), der eine positive, vitale Grundstimmung verbreitete. Im zweiten Teil steuerte Sengupta eine eigene Komposition bei, die sich auf Volksmusik aus der Pahari-Gegend (Nord-Ost-Indien) bezog und beschloss schließlich das Konzert mit einem in Indien sehr traditionellen, bekannten Raga Malhar. Diese Demonstration klassischer indischer Musik geriet zu einem Hörabenteuer vor allem im virtuosen Bereich der Melodieausgestaltung. Zwischen Entspannung, Vitalität und ekstatischer Entfesselung konnte Ranajit Sengupta seiner Sarod ein ganzes Orchester an Klangfarben entlocken. Die Kooperation mit dem Yoga-Zentrum Dresden war ebenfalls sinnfällig, waren doch diese Ragas wahres Yoga für die Ohren. Sengupta spielte weit über zwei Stunden und konnte Freunde dieser Musik genauso wie nicht mit dem Raga vertraute Hörer absolut überzeugen.

mehrLicht

Musik Kultur Dresden

Aktuelle Beiträge

Sie haben ihr Ziel erreicht.
Liebe Leserin, lieber Leser dieses Blogs, sie haben...
mehrLicht - 20. Jul, 12:04
Ein Sommer in New York...
Was für eine Überraschung, dieser Film. Der Uni-Professor...
mehrLicht - 19. Jul, 21:53
Sturmlauf zum Schlussakkord
Albrecht Koch beim Orgelsommer in der Kreuzkirche Auch...
mehrLicht - 14. Jul, 18:54
Wenn der "innere Dvořák"...
Manfred Honeck und Christian Tetzlaff im 12. Kapell-Konzert Mit...
mehrLicht - 14. Jul, 18:53
Ohne Tiefgang
Gustav Mahlers 2. Sinfonie im Eröffnungskonzert des...
mehrLicht - 14. Jul, 18:51
Sich in Tönen zu (ent-)äußern
Staatskapelle Dresden spielt Schostakowitschs "Leningrader"...
mehrLicht - 14. Jul, 18:50
Chopins Cellowelten
Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit Sol Gabetta Für...
mehrLicht - 14. Jul, 18:48
Fest der Klangfarben
Saisonabschluss der Dresdner Philharmonie im Albertinum Verklungen...
mehrLicht - 14. Jul, 18:46

Lesen!

Hören!

van anderen

Sämtliche Weihnachtslieder machen
Kreidler - 26. Dez, 04:08
Jet Whistles / The Grand Exhalation
Jet Whistles / The Grand Exhalation (2025) Thunder...
Kreidler - 23. Dez, 04:02
Vom Buzzword zum Kollegen: Der KI-Hype hat den Gipfel erreicht
Künstliche Intelligenz (KI) prägte auch 2025...
gast - 22. Dez, 12:40
Ankündigung – Kreidler @Concertgebouw Brugge
Upcoming- www.concertgebou w.be/en/johannes-… [image. ..
Kreidler - 22. Dez, 04:31
Schwerkräfte im Vergleich
Gravity in the solar system pic.twitter.com/yrEzytrqlH —...
Kreidler - 21. Dez, 04:33
Schildkröte kapiert Skaeboarden
Just a turtle skateboarding: apparently it understood...
Kreidler - 20. Dez, 04:32

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

stuff

PfalzStorch Bornheim Pinguin-Cam Antarktis
Conil de la Frontera
Kram Blogverzeichnis - Blog Verzeichnis bloggerei.de

Status

Online seit 7309 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 24. Jul, 02:01

Credits


Dresden
hörendenkenschreiben
nuits sans nuit
Rezensionen
Weblog
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development