Rezensionen
6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Dresden
Brillante Orchesterfarben im Rahmen des Themas "Liebe" wurden im 6. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden ausgebreitet. Die Konzertpause markierte dabei den Wechsel von der Hochromantik in den Impressionismus. Die auskomponierten Empfindungen zwischen erster Annäherung, Liebesfreude und Liebesschmerz waren dabei fast mit den Ohren zu greifen, so plastisch musizierte die Kapelle - lediglich die Tonsprache der Komponisten war deutlich verschieden. Peter Tschaikowskys Dante-Inspiration "Francesca da Rimini" steckt voller Dramatik und findet nur in einem aparten Mittelteil einen Ruhepunkt. Der junge kanadische Dirigent Yannick Nezét-Séguin nahm die Partitur am Sonntagvormittag als sportives Aufwachwerk: wirbelnde Streicherpassagen, jede Menge Blechklang und eine fulminante Apotheose am Schluss kitzelte er mit außerordentlichem Körpereinsatz hervor, konnte sich dabei aber jederzeit auf Aufmerksamkeit und Mitgehen im Orchester verlassen. Das musikalische Geschenk, das Richard Wagner Mathilde Wesendonck mit den fünf Liedern auf ihre Gedichte widmete, ist indes das genaue klangliche Gegenteil der am Ende blutrünstigen Francesca-Geschichte. Intim und zurückgenommen ist die Sprache Wagners hier; selten einmal schwingt sich in den Liedern der große Bogen empor, und doch hat man eine große Empfindung von Geschlossenheit in jedem Lied. Dafür bedarf es eine besondere Stimme, eine Sopranfarbe, die genau auf diese feine, fast silbrig schimmernde Art der Textvertonung passt. Mit der Amerikanerin Christine Brewer lud man sich zwar eine der großen dramatischen Sopranistinnen der Gegenwart ein, aber sie war eben für dieses Werk nicht die richtige Besetzung. Angesichts ihres stimmlichen Volumens und des entsprechend raumfassenden Vibratos hatte man spätestens im dritten Lied, "Im Treibhaus" Befürchtungen um die Zartheit der Atmosphäre. Brewer wusste aber die Stimmungen des Zyklus mit ihren Möglichkeiten zu erfassen und tat alles, um leise Farben und eine schlanke Stimmführung zu erzeugen. Dennoch konnte man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass eine Sopranistin mit einem lyrischeren Timbre und einer weitaus unauffälligeren (eben nicht dauernd in der Zurücknahme befindlichen) Stimmführung einfach für diese Lieder besser geeignet ist. Waren bei Wagner schon im Orchester glänzende Farbnuancen enthalten, so konnte Nezét-Séguin nach der Pause in den großen Farbeimer greifen und mit Werken von Debussy und Ravel nicht nur schwelgen, sondern die Kapelle auch zu einer "tänzerischen" Höchstleistung animieren. Schwierig war dies im Fall der Tanzdichtung "Jeux" von Claude Debussy, denn die Partitur des kurzen Ballettpoems wartet mit ständigen dynamischen Wechseln auf, die selbst den Höhepunkt quasi malerisch "verwischen". Das Stück mag wohl für Debussy vor allem im Sinne der Entwicklung von Harmonik und einer äußerst experimentellen Orchestrierung wichtig gewesen sein, entfaltet aber kaum auf der konzertanten Bühne eine nachhaltige Wirkung. Das gelang (und gelingt auch heute noch) Maurice Ravel mit seiner Ballettmusik "Daphnis & Chloé" mühelos, da er klare rhythmische Fundamente komponierte, die sowohl in der leichtfüßigen Pantomime mit herrlichen Bläsersoli als auch im "Danse générale" den Hörer mitreißen. Yannick Nezét-Séguin fand im Konzert in allen Werken einen sicheren Zugang zwischen entfesseltem Spiel und kontrollierter Betreuung und konnte sich am Ende über begeisterten Applaus freuen.
Gesprächskonzert mit Isabel Mundry eröffnet "KlangNetz Dresden"
Kurz nachdem das auf vier Jahre angelegte "KlangNetz Dresden" in der Musikhochschule von Jörn Peter Hiekel (Leiter des Instituts für Neue Musik an der Hochschule) mit vielen anwesenden Partnern der Dresdner Kultur feierlich eröffnet wurde, gab es auch schon das erste Konzert des Netzwerkes, dessen Gedanke von Vernetzung und Vermittlung sofort deutlich wurde: Staatsoper und Musikhochschule arbeiteten eng zusammen, um Veranstaltungen mit der Komponistin Isabel Mundry zu ermöglichen, derzeit erster "Capell-Compositeur" der Sächsischen Staatskapelle. Vorausgegangen war am Mittwoch in der Hochschule bereits ein Kolloquium mit der Komponistin zum Thema "Weltbezüge in Musik". Der Konzertabend in der Aula des Lehrinstitutes widmete sich der Kammermusik der letzten Jahre und wurde von Studenten des Hauses sowie Gästen bestritten. Der gute Zuspruch seitens des Publikums läßt für das Netzwerk hoffen, allerdings sollte sorgfältig überlegt werden, an wen man die neue Musik vermittelt. Wenn im akademisch geprägten Publikum nur Fachleute und Komponisten anwesend sind, sind diese zwar auch höchst dankbar, doch der Vermittlungsgedanke sollte unbedingt weiter greifen. Das Gesprächskonzert hätte überdies mehr Prägnanz ausgestrahlt, wenn der Focus lediglich auf zwei oder drei Stücken von Isabel Mundry gelegen hätte - die Konzertreihe der "Short Concerts" der Musikhochschule wäre ja in puncto Konzentration und Vermittlung ein Vorbild in dieser Hinsicht gewesen. So aber war bereits in der Pause das Limit der Aufnahmefähigkeit erreicht, denn Mundrys Werke vermitteln sich beileibe nicht leicht, auch wenn die Komponistin versuchte, ihre Ideen für die Stücke im Gespräch mit Hiekel darzustellen. "Musik erklären" erschließt nicht immer die Musik selbst. Wenn von Prozesshaftigkeit und Beschäftigung Wahrnehmung gesprochen wird und die erklingende Musik anschließend über Prozesshaftigkeit und Beschäftigung mit Wahrnehmung kaum hinausgeht, bleiben Fragen offen. Bei den Dufay-Bearbeitungen etwa erschließt sich die Kompositionsabsicht nicht. Wenn man so fasziniert von Dufay ist, warum muss man ihn dann bearbeiten, ihm unbedingt eine abstrakte Schicht Gegenwart unterjubeln? Nichts wäre schöner gewesen als die spannende Kontrapunktik im reinen Original einem Mundry-Werk, etwa den "SpiegelBildern" gegenüberzustellen. Die Bearbeitungen wurden engagiert durch das "El Perro Andaluz"-Ensemble unter Lennart Dohms vorgetragen, nicht überall wurde dieses hohe Interpretationsniveau gehalten. Mit dem Klavierlied "Anagramm" etwa hatte die Sopranistin Lisa Fornhammer arge Umsetzungsprobleme, Präsenz und Prägnanz hätte hier verbessert werden können. Völlig überzeugend und spannend dagegen gelangen die "SpiegelBilder" für Klarinette (Alexandra Hentschel) und Akkordeon (Ruslan Krachkowski) und die "Balancen" für Violine Solo (Alwyn Westbrooke). Außerdem fügte sich ein recht spröde und grau wirkendes Duo für Flöte und Schlagzeug sowie eine frühe, nahezu "wild" komponierte Ensemblekomposition nach einem Bild von Paul Gauguin in das interessante klingende Panorama der Komponistin ein. Dieses gestaltete sich so facettenreich, dass man ohne weiteres auch zwei Abende aus dem umfangreichen Klangmaterial hätte schmieden können. Doch genau für solche Experimente und Darstellungsformen ist das "KlangNetz Dresden" der richtige Ort; es ist außerordentlich zu begrüßen, dass die vielen im Gegenwartsbereich tätigen Dresdner Musik(er)schaffenden sich mit Unterstützung des Bundes nun ein Dach in Dresden gebaut haben, das zunächst einmal erst eine im Netzwerk vereinende, fällige und nicht von ständigen Existenzsorgen bedrohte Kunstausübung ermöglicht.
Bartók und Tschaikowski im Zykluskonzert der Philharmonie
Unter dem Begriff Zykluskonzert werden bei der Dresdner Philharmonie verschiedene Werke thematisch zusammengefasst, in diesem Saison "Hommage an Traditionen". Nicht ganz "zyklisch" verläuft die Verpflichtung von gern gehörten Solisten und so war man am Sonnabend sehr gespannt auf die fällige Wiederbegegnung mit
Barry Douglas. Den irischen Pianisten dürften viele Konzertbesucher der Philharmonie noch in besonderer Erinnerung haben, denn er spielte in einem Saisoneröffnungskonzert unter Leitung des damaligen Chefdirigenten Marek Janowski alle drei Klavierkonzerte von Béla Bartók an einem Abend - und dieses Konzert geriet zu einem Triumph. Im 4. Zykluskonzert der laufenden Saison gab es leider diesen Hattrick nicht noch einmal, aber dennoch brachte Douglas erneut das 2. Klavierkonzert von Bartók mit. Hätte man vermutet, die Konzentration auf ein einzelnes Konzert von Bartók hätte Ruhe und Besonnenheit gefördert, so sah man sich getäuscht und in diesem Falle war das auch gut so. So souverän und brillant Douglas damals alle drei Konzerte mit ihrem je eigenen Charakter spielte, so intensiv widmete er sich nun dem zweiten Konzert, das er wild und mit perkussiver Virtuosität anging. Erstaunlich war, dass Douglas die immer wieder anrollenden Wellen von Notenfluten auf dem Klavier unter eine zwar in Hochspannung befindliche, aber immer kontrollierte Tempovorstellung brachte. Diese interpretatorische Übersicht, die quasi den auskomponierten Tobsuchtsanfall (den mancher Kritiker in den 30er-Jahren in diesem Werk gehört haben dürfte) immer wieder strukturierte und klanglich nuancenreich einfärbte kam auch dem in den Ecksätzen wirbelnden Orchestersatz zu Gute. Der dänische Gastdirigent Michael Schønwandt hatte die Bläser mitten zwischen die Streicher platziert, was zwar kaum Wirkung im Saal entfaltete, aber für die Kommunikation auf der Bühne optimal erschien. Zudem trug Douglas' faszinierender Tastensturm dazu bei, dass die Philharmonie ebenfalls unter die rhythmische Hochspannung geriet, die dieses Konzert verlangt. Solopauker Alexander Peter glänzte im skulptural anmutenden Mittelsatz im Dialog mit Barry Douglas, der am Ende stürmisch gefeiert wurde. Damit war aber das Konzert noch nicht beendet. Michael Schønwandt musizierte mit der Philharmonie die allseits bekannte 6. Sinfonie von Peter Tschaikowski, die "Pathétique". Ich bin nicht sicher, ob es an der direkten Tonsprache der Sinfonie liegt, dass der emotionale Nachvollzug die Musiker zu Höchstleistungen motivierte, ob Schønwandts mitreißendes Dirigat dafür verantwortlich war oder schlicht alle positiven Faktoren zusammenkamen - Orchester und Dirigent schufen im Konzert eine beachtliche Interpretation, die wie aus einem Guss schien. Schønwandt schaffte es, allen Sätzen einen kaum spürbaren, inneren Temposchub zu geben, der die Musik weitertrug ohne sich jemals im Detail zu verlieren oder den Eindruck von Hetze zu erzeugen. Damit wurde die Unausweichlichkeit dieser Sinfonie demonstriert, die schon im ersten Satz ihr Ende vor Augen hat und somit kein Scherzo, keine Lebensfreude mehr kennt, es sei denn in der Erinnerung. Zielgerichtet legte Schønwandt daher den Focus auf den letzten Satz und ließ die letzten Noten nicht lange "ersterben", sondern musikalisierte das Vorbeisein radikaler, indem er kaum das Tempo zurücknahm. Die musikalische Beschäftigung mit Traurigkeit und Tod teilte sich so in vielen Facetten und weit entfernt von jeglichem Pathos unmissverständlich mit.
Erzgebirgische Philharmonie Aue musizierte mit Studenten
Die Absolventenkonzerte der Hochschule für Musik sind eine Bereicherung für das Kulturleben in Dresden, stellen sich doch hier in loser Folge immer wieder junge Talente mit großen klassischen Werken vor. Für die Studenten ist die Zusammenarbeit mit den sächsischen Orchestern indes ein Glücksfall, und das Engagement der Erzgebirgischen Philharmonie Aue ist daher auch sehr zu begrüßen. In der Lukaskirche war am Donnerstagabend ein abwechslungsreiches Programm zu erleben, was daran lag, dass nicht weniger als drei Dirigenten sowie Solisten der Fächer Gesang, Klavier, Cello und Kontrabass beteiligt waren. Für die Dirigenten hielten die Stücke unterschiedliche Aufgaben bereit. Robert Schumanns "Genoveva"-Ouvertüre braucht interpretatorische Belebung, um nicht in der Beiläufigkeit zu verschwinden. Dagegen besteht die Aufgabe des Orchesters in Giovanni Bottesinis "Passioni amorose" lediglich in sparsamer Begleitung der beiden Solisten. Dieses Stück bot durch die hervorragende Interpretation durch Rut Nothelfer (Cello) und Johannes Nalepa (Kontrabass) Anreiz zum Schmunzeln. Die "Liebespassionen" der schwergewichtigen Instrumente sind mit Augenzwinkern zu hören und genau so wurden sie auch gespielt: hingebungsvoll und edel im Klang. Christian Scheel am Dirigentenpult hielt die Philharmonie aus Aue gut zusammen, wenngleich im Orchester vor allem in der Ouvertüre die Darstellung markanter und reaktionsschneller hätte sein können. Manuel Pujol dirigierte dann mit Übersicht und ruhiger, manchmal etwas zu gediegener Lesart sechs Lieder aus "Des Knaben Wunderhorn" von Gustav Mahler. Ab und an traten Stimmen im Orchester zu sehr hervor, was manchmal die Gesangsstimmen in ungünstigen Lagen verdeckte. Die Sänger Felicitas Ziegler, Dorothea Winkel und Matthias Kleinert schlugen sich zwar achtbar durch die Lieder, kaum einmal wirkten diese aber frei und stimmlich souverän beherrscht. Über die Bewältigung hinaus wäre noch viel mehr Charakter in die einzelnen von Mahler auskomponierten Lebens- und Liebessituationen einzubringen. Nach der Pause stand für Dirigent Lennart Dohms eine große sinfonische Aufgabe bereit: das 2. Klavierkonzert B-Dur Opus 83 von Johannes Brahms ist keinesfalls nur ein Begleitstück für das Soloklavier. Dohms formte mit viel Kontakt zu den Musikern eine überzeugende Interpretation und motivierte das Orchester zu ausbalanciertem, flexiblen Spiel. Die kantig-männliche Grundhaltung des Konzertes zeichnete die Solistin Minyoung Roh (Klasse Prof. Winfried Apel) mit beherztem Zugriff und absolut zuverlässiger, makelloser Technik an den Tasten nach. Mit kammermusikalischer Finesse und im Dialog mit dem Solocello des Orchesters geriet besonders der 3. Satz zu einem Genuss, während die Ecksätze von kraftvoller Vehemenz und frischen, aber kontrolliert geführten Tempi gekennzeichnet waren. Die Reihe der Absolventenkonzerte wird natürlich fortgesetzt, ab dem nächsten Jahr sollen diese dann im neuen Konzertsaal der Musikhochschule stattfinden.
Konzerte zum Jahreswechsel bei der Dresdner Philharmonie
Normalerweise befindet man sich am Nachmittag des Neujahrstages auf der Suche nach Rollmops und Kopfschmerztablette - maximal wagt man sich zu einem Spaziergang hinaus an die frische Luft. Von solcherlei Startschwierigkeiten unbeeindruckt zeigten sich allerdings die Konzertbesucher ebenso wie die Musiker der Dresdner Philharmonie. Letztere meisterten den Jahresübergang gleich mit vier Konzerten, da war wohl gerade noch Zeit für das "Prosit Neujahr!" und ansonsten eher eine Mütze voll Schlaf. Klassisch hörte das Jahr auf, und klassisch fing es wieder an - man ist ja mitten in der laufenden Saison. Im Programm huldigte man den Wünschen und Erwartungen der anwesenden älteren Generation: Dreivierteltakt, Operettenseligkeit und Mitklatschen im "Radetzky-Marsch" bestimmte das Konzert, das anstelle von schwerer Sinfonik der leichteren Muse verpflichtet war. Rechte "Heiterkeit und Fröhlichkeit", wie das Programmheft gleich als Überschrift anempfiehlte, wollte im nüchternen Kulturpalast trotz (oder wegen?) dicker grün-weißer Blumenbukette auf der Bühne kaum aufkommen. Zwei einzelne Luftschlangen auf Notenpulten der Musiker wirkten da schon fast wie ein Versehen. Die Dresdner Philharmonie musizierte zunächst einen großen Programmteil mit Arien und Orchesterstücken von Wolfgang Amadeus Mozart. Bereits in der Ouvertüre zur Oper "Così fan tutte" zeigte sich, dass der richtige Dirigent für ein solches Programm eingeladen wurde: Der Görlitzer Generalmusikdirektor Eckehard Stier gastierte wieder einmal in Dresden und demonstrierte eindrucksvoll, dass sich leichte Muse und hochwertige Interpretation nicht ausschließen. Immer wieder leitete Stier zu flexibler Klangbalance an und gab den Mozart-Stücken damit Präzision, aber auch einen leicht schwingenden Ausdruck. Das Programm wurde von dem international renommierten Bariton Eike Wilm Schulte konzipiert, ein rechter "Faden" ließ sich aber nicht feststellen, zumal der Ausfall des Schauspielers Zygmunt Apostol zu beklagen war. Vokal gestalteten Schulte und die Sopranistin Dagmar Schellenberger einen Großteil der Kompositionen des Konzertes, darunter bekannte Schmankerl wie die Figaro-Arie oder "Adieu, mein kleiner Gardeoffizier". Eine gewisse Gediegenheit war aber sowohl in der Programmauswahl als auch in der Interpretation nicht zu leugnen: Schulte kam kaum einmal aus der Rolle des netten, älteren Herrn heraus, während Schellenberger sich vor allem im Operettenteil wohl zu fühlen schien. Die wirklich ansprechenden Stücke waren eher die "Soli" des Orchesters, nämlich Joseph Lanners fein ausgesponnener "Mozartisten-Walzer" oder auch die bekannte "Donner-und-Blitz"-Polka von Johann Strauß. Stier wusste hier genau die Klangraffinessen herauszuarbeiten und konnte sich an diesem ersten Tag des neuen Jahres auf ein konzentriertes, klangrund agierendes Orchesterensemble verlassen. Trotzdem wäre zukünftig den Programmen gerade solch besonderer Tage eine Dramaturgie zu wünschen, die nicht ausschließlich musealen Gewohnheiten huldigt, sondern etwa das Neue, Erwartungsvolle, Offene eines neuen Jahres auch einmal in klingende Substanz umsetzt.
Simeon ten Holts "Canto Ostinato" im Coselpalais
In der Konzertreihe "Musik zwischen den Welten" kam es zu einem ganz besonderen Jahresendkonzert. Der "Ausklang" wurde wörtlich genommen und gestaltete sich über 80 Minuten Dauer in einer großen Schleife des Repetitiven: Simeon ten Holts "Canto Ostinato" ist eine Komposition, die der Minimal Music zuzuordnen ist. Wie viele andere Werke dieser Gattung spielt das Stück mit der Freiheit und der Festlegung, mit Aufführungsdauern, Mustern und der Wiederholung als Phänomen. Minimal Music ist heutzutage schon selbstverständlich geworden, viele Film-Dokumentationen nutzen die Musik von Phil Glass und Steve Reich, insbesondere der kaum geistig genutzte Bereich der "Hintergrundmusik" freut sich über repetitive Muster, die dem Hirn eine vordergründige Entspannung bieten, da leere Repetition keinerlei Botschaften vermittelt. Wohl dem, der sich bei diesen Wiederholungsgewittern also bequem zurücklehnen kann. Im Coselpalais sorgte eine fabelhafte Interpretation zweier Pianisten für den rechten Drive des Werkes, das in den Niederlanden bereits Kult-Charakter besitzt, aber kaum einmal über die Grenzen dringt. Stefan Eder (Dresden) und Johannes Wohlgenannt Zincke (Wien) ließen sich auf die Wegstrecke des ununterbrochenen Musikbandes ein, das übrigens keineswegs eintönig wirkte, die Muster changierten immer wieder leicht und bildeten so den Nährboden von dramatischen Prozessen oder Beruhigung. Dabei durchlaufen Interpreten wie Zuhörer verschiedene Phasen von Konzentration und Hin-Hören vom kompletten Sich-Beruhigen bis hin zum innerlichen Aufwühlen. Insgesamt bleibt ten Holts Stück eine Übung im Weg-Fliegen der Gedanken, denn die geistige Konzentration auf den pianistischen Vollrausch führt zu nichts außer der Erkenntnis, dass man es an den Flügeln mit zwei souveränen Sachwaltern dieser Musik zu tun hat. Die vom Veranstalter hergestellte Konzert-Situation mit Vollbestuhlung und den Flügeln in der Mitte hat Konsequenzen: die Atmosphäre bleibt "klassisch" und außer Augenschließen und Beine ausschütteln passiert in den 80 Minuten im Auditorium nicht viel. Ein vom Klavierklang und der Komposition geprägtes und daher stark begrenztes Frequenzspektrum, das über eine große Zeitspanne pausenlos ins Zuhörerohr gepustet wird, entfaltet dennoch interessante körperliche Wirkungen. Ob man dies "eigenwillige Schönheit" (Programmheft) nennen mag, sei dahingestellt. "Zutiefst bewegend" kam das Werk ebenfalls nicht an, denn eine kompositorische Aussage fehlt den nackten Klavierläufen. Melodie und Harmonik verbleiben im Banalen, sodass ab und an das bewusste Hin-Hören zur Qual wird. Dass Meditation einhergehen soll mit der Entleerung des Geistigen, bleibt insbesondere im musikalischen Bereich eine diskutierenswerte These, die sich gerade anhand dieses faszinierenden Konzertes wieder neu stellte.
"Modus Vivendi" - Orgelforum in Blasewitz
Zeitgenössische Musik zu vermitteln, dieser Aufgabe stellt sich die Sächsische Gesellschaft für Neue Musik seit Jahren. In diesem Jahr gilt das Hauptaugenmerk der neuen Orgelmusik - für das Instrument werden immer wieder Kompositionen zumeist mit sakralem Hintergrund geschrieben, seltener erlebt man heutzutage weltliche Konzertstücke für die Orgel. Im "Modus Vivendi"-Konzert in der Heilig-Geist-Kirche in Dresden-Blasewitz wurden zum 2. Advent Stücke ausgewählt, die sich mit der Betrachtung Gottes beschäftigten. In Jörg Herchets OEuvre ist diese Beschäftigung gleichsam ein roter Faden - seine Marienkantaten und der Orgelzyklus "NAMEN GOTTES" entstehen seit Jahren in vielfältiger Ausprägung einer Glaubenshaltung. Das Konzert wurde von den Stücken 13 und 14 aus dem Zykus umrahmt, während das Eingangsstück eine klares Ineinanderweben und Gegenübertreten verschiedener Klangmodelle zeigte und damit in gut abgestufter Registrierung fast tröstlichen Ausdruck erhielt, bestand Nr. 14 aus deutlich voneinander abgesetzten Passagen, die individuell und kaum aufeinander bezogen wirkten. Man wurde fast an eine Art Adventskalender erinnert, in welchem hinter jeder Tür neue Klänge, neue Inspirationen warten, somit ging hier auf eine unbestimmte Entdeckungsreise. Leider war das gesamte Konzert von einer nicht ausreichend beheizten Kirche betroffen, daher fiel die ungetrübte Konzentration auf die neuen Werke schwer. Außerdem wäre den Konzerten im nächsten Jahrgang eine größere Zuhörerschaft zu wünschen. Die Art der Vermittlung der Werke ist zu überdenken, zwar war der in der Mitte platzierte Vortrag von Lydia Weißgerber sicherlich kompetent, doch das Gespräch mit dem Freiburger Komponisten Peter Förtig waberte lediglich um bekannte, eigentlich nicht bestehende Probleme in der Vermittlung Neuer Musik herum. Neue Musik sollte selbstverständlich sein, dem alten Klagelied des Ignorierens und Nichtverstehens kann man sowohl als Veranstalter als auch als Komponist durchaus widersprechen. Förtigs eigenes Werk "L'Ange de la Nativité" schließlich konnte kaum die vorher gegebene Einführung einlösen, weder hörte man den angekündigten "Engelssturz", noch erschlossen sich polyphone Linien des Werkes. Unvermittelt standen verschiedene traditionelle Techniken und ein undurchsichtiges Material nebeneinander - die Dramaturgie des Stückes überzeugte indes nicht. Als Kontrast spielte Reimund Böhmig-Weißgerber an der Eule-Orgel außerdem eine Partita von Samuel Scheidt, diese sollte den Horizont zur neuen Musik erweitern. Als typisch frühbarocke cantus-firmus-Variation war allerdings dieses "schulmäßige" Stück kaum dazu geeignet, die neuen Werke in anderem Licht erscheinen zu lassen. Gerade die vielfarbigen Stücke von Jörg Herchet hätten eines deutlichen Werkkontrastes bedurft, um das Konzert insgesamt nicht zu trocken wirken zu lassen. Lebendiger und vor allem wärmer darf es demnächst durchaus sein.
Klaviertrio
elole mit drei Uraufführungen in Hellerau
Nicht nur zur Weihnachtszeit erfreut das Dresdner Ensemble "elole" das Publikum mit anspruchsvoller neuer Musik für Klaviertrio. Dennoch hatte das Konzert am Vorabend des 1. Advent im Festspielhaus Hellerau durchaus eine "besinnliche" Atmosphäre. Dass dies mit gleich drei Uraufführungen gelingt, lag an der gelungenen Konzertdramaturgie und der souveränen Interpretation aller präsentierten Werke. Umrundet wurden vier größere Werke von einem Zyklus des Amerikaners Tom Johnson, die wie ein freundliches Pausenzeichen den Geist wieder reinigten und "klar Schiff" für das nächste größere Stück machten. Diese kleinen "Predictables" (Vorhersagbares) spielten in minimalistischer Struktur mit Hörerwartungen und waren dabei doch abwechslungsreich, augenzwinkernd und eben auf den Punkt gebracht, mit keiner Note zuviel.
Letzteres Merkmal trifft auf viele Kompositionen neuerer Art zu, die Dichte mancher Uraufführungen übertrifft oft das, was ein Hörer aufzufassen vermag. Wenn dies aber in konsequent explosivem Spannungsverlauf wie bei Carsten Hennigs "desire III" geschieht, merkt man auf, zumal man sich den Hintergrund des Stückes - "Die belebende Wirkung des Geldes" zunächst kaum in Musik dargestellt vorstellen konnte. Doch die Rotierungsmomente im Stück, sowohl durch Metallscheiben als auch durch die Instrumente plastisch dargestellt, wirkten dynamisch und durchdacht. Krasser Gegenpol dieses Werkes war Juan Maria Solares "EL-ES", das sich kaum einmal über nacktes Material heraushob, verhalten gestikulierte und im Programmhefttext nur mit Anspielungen kokettierte, die entweder gar nichts mit dem Werk zu tun hatten oder eins zu eins und damit langweilig umgesetzt wurden. Dies bleib aber die einzige kompositorische Enttäuschung. Hartmut Dorschner, neben Hennig ein weiterer umtriebiger Dresdner Komponist, steuerte "Tendenzen" bei. Diese Uraufführung beeindruckte durch eine packende Emotionswelt, in welcher selbst verhinderte, verzerrte, geplante und nicht ausgeführte Noten ihren Platz fanden. "Calabi-Yau" von William Pertz schließlich war ein nachgereichter Beitrag zum im letzten Jahr ausgeführten Wettbewerb "Klang-Stadt-Stille". Uta-Maria Lempert (Vl), Matthias Lorens (Vcl) und Stefan Eder (Klavier) widmeten sich auch diesem Werk mit äußerster Konzentration und schufen ein vitales Klanggemälde, das vor allem durch seine unterschiedlichen Bewegungsmuster überzeugte, nur an einigen Punkten wirkte das Stück fast überdreht, dennoch zeigte der Umgang mit dem Klangmaterial eine durchgehende Sinnlichkeit. Während andere Komponisten sich im Programmheft in der "Beschreibung des Essens" verloren, zeigte Pertz fast literarische Qualitäten und steuerte mit der Assoziation eines Handballspiels in einem leeren Schwimmbecken ein absurdes Moment bei, was zwar partout nicht in das Stück passen wollte, aber diesem auf jeden Fall eine weitere, ebenfalls freundliche Ebene hinzufügte.
Sächsische Gesellschaft für Neue Musik gründet ein Orgel-Forum
Nachdem die Sächsische Gesellschaft für Neue Musik in Dresden im Jahr mit zumeist ein bis zwei Konzerten regelmäßig präsent war, scheint sich noch in diesem Jahr einiges mehr zu tun: ein Forum für zeitgenössische Orgelmusik wurde gegründet, zudem gibt es noch drei weitere Konzerte der Gesellschaft vor allem mit Musik von Dresdner Komponisten. Das erste Konzert des Orgel-Forums "Modus Vivendi", das eine Lanze für die oft vernachlässigten modernen Möglichkeiten der Orgelkomposition brechen will, fand am Sonntagabend in der Martin-Luther-Kirche statt. Die Gemeinde ist ohnehin bekannt für vielfältige Musikaktivitäten. Einige Bedenken hatte man womöglich wegen des Zustandes der Jehmlich-Orgel - würde dort zeitgenössische Musik, die sich in diesem Konzert auch noch mit dem Phänomen der Instabilität per se beschäftigte, angemessen erklingen? Doch das Konzert erzeugte keine Ver-Stimmung, im Gegenteil. Lydia Weißgerbers umfangreiches und doch klar gegliedertes Werk "Alleluja-Kommentar" (2006) für Sopran (Dorothea Winkel), Sprechstimme (Lydia Weißgerber) und Orgel (Reimund Böhmig-Weißgerber) wurde gleich zweimal gegeben, dazwischen präsentierten sich Komponistin und Interpreten im lockeren Gespräch. Damit hebt sich diese neue Konzertreihe erfrischend ab von gängiger Konzertpraxis, die dem Zuhörer oftmals wahre "Brocken" hinwirft ohne diese zu ausreichend zu dokumentieren oder dem Publikum einen Zugang zu erleichtern. Der Vers aus Psalm 111 ("Er hat ein Gedächtnis gestiftet seiner Wunder") und das vorangestellte Alleluja wurden auf diese Weise plastisch und wirkten keineswegs mehr "neu", denn die Initiatoren des Konzertes setzten auch noch ein Werk von John Bull (1563-1628) ins Zentrum des Abends. Seine "Fantasia Ut-Re-Mi-Fa-Sol-La" war auf damaligen Instrumenten nahezu unspielbar und muss daher unbedingt zur Avantgarde gerechnet werden - "Moderne" gab es eben zu jeder Zeit und dementsprechend wandte sich Böhmig-Weißgerber in der Anmoderation auch vehement gegen die Unart, die Gegenwart ausschließlich mit publikumsfreundlichen Konservaten früherer Zeiten zu versorgen. Das Konzert, wenngleich noch von bescheidenem Publikumszuspruch, kam sehr gut an und dürfte auch zukünftig für frischen Wind in den Dresdner Kirchen sorgen: die nächsten Konzerte finden jeweils in anderen Gotteshäusern statt, allesamt mit neuen, spannenden Programmen.
9. Abend der Konzertreihe "Spannungen" der Sinfonietta Dresden
Eigentlich gibt es auch heutzutage viele "Mozarts" unter uns. Da der Komponist seine Klavierkonzerte zumeist für sich selbst schrieb, können sich heute manche Pianisten fühlen wie der große Komponist. Allerdings mit dem Unterschied, dass heute kaum ein Pianist seine Konzerte selbst schreibt. Und die Frage nach dem Interpreten Mozart stellt sich ebenfalls. Wie mag dieser wohl selbst seine Werke gespielt haben? Doch die Frage nach Authentizität ist müßig, wenn man bedenkt, wie viele Klangfarben und Möglichkeiten der Deutung ein einzelnes Mozart-Konzert einem heutigen versierten Interpreten bietet. So stellt die Konzertreihe "Spannungen" der Sinfonietta Dresden im Ganzen betrachtet einen wichtigen Beitrag zur Rezeption der Klavierkonzerte dar und angesichts der - leider - nur noch zwei verbleibenden Konzerttermine (denn dann sind alle Klavierkonzerte aufgeführt) sollte man jedem Zuhörer raten, diese Gelegenheiten wahrzunehmen. Dafür spricht auch die Qualität der Darbietung. Milko Kersten und die Sinfonietta boten auch im 9. Konzert ein jederzeit vitales, differenziertes Spiel. Diesmal stand zunächst das Konzert D-Dur KV 175 auf dem Programm. Die japanische Solistin Aki Maekawa, die in Dresden studiert, konnte mit der flexiblen Spielweise der Sinfonietta nicht mithalten. Permanent agierte sie im mittleren Lautstärkebereich, gestaltete die einzelnen Abschnitte mit recht engem Ausdrucksbereich und wirkte insgesamt kraftlos. Perlende Technik allein genügt nicht, um zu Mozart vorzudringen, zudem schien ihre permanent wiegende Haltung am Klavier die Interpretation nicht gerade positiv zu beeinflussen. Dass ein atmendes Spiel und eine feine persönliche Note viel mehr Mozart-Atmosphäre verströmen kann, bewies die Lettin Ilze Jaunzeme mit dem "Krönungskonzert" D-Dur KV 537. Mit großer Ruhe näherte sie sich dem Werk und inspirierte auch das Orchester zu einer konstant guten Leistung. Besonders im 3. Satz demonstrierte sie ihr außerordentliches Tempogefühl und hielt das Allegretto jederzeit in zurückhaltendem, kontrolliertem Zeitmaß, kostete dabei aber die Details intensiv aus. Zeitgenössische Musik gab es wie immer im Zentrum des Konzertes, als Dresdner Beitrag und Uraufführung erklang "Im Überschwang des Raumes" von Karoline Schulz. Die Komponistin entfaltete in dem abwechslungsreichen Stück ein ganzes Klangbilderbuch, in welchem sich die gegeneinander vierteltönig verstimmten Orchestergruppen einen dramatischen Schlagabtausch lieferten, der zuletzt in eine große, bewegte Klangfläche mündete. Dies war ein stark nachwirkender Klangrausch, der aber immer plastisch und nachvollziehbar blieb, da Schulz zwischen ausgeklügelter Polyphonie und dem Hin- und Herwerfen von Einzeltönen immer wieder frech changierte. Eine Enttäuschung war leider das Werk des Kroaten Frano Durovic. Sollte der Komponist repräsentativ für neues Komponieren in diesem Land stehen, so sollte man unbedingt einige Schönberg- und Strawinskypartituren dorthin versenden, denn scheinbar ist man nicht einmal bei diesen hierzulande bereits als Klassikern geltenden Komponisten stilistisch angekommen - das "Dolorosa" für kleines Ensemble schlich akademisch und bedeutungsschwer dahin ohne dass man Freude beim Zuhören bekam. Mit diesen höchst unterschiedlichen Eindrücken bewies die Sinfonietta wieder einmal eine glückliche Hand für die Umsetzung des Konzerttitels: "Spannungen" waren garantiert.