Rezensionen

Montag, 20. Februar 2006

Konzert für Demokratie

Wenn bei einem klassischen Konzert vor dem Veranstaltungshaus polizeilicher Schutz gewährt wird, stimmt einen dies schon nachdenklich. Was ist das für eine Gesellschaft, in der solche Maßnahmen notwendig geworden sind? In den Februartagen gedenkt Dresden der Bombenangriffe 1945. Ein wichtiges Datum für die Menschen dieser Stadt, leider aber auch eines, das in Aufmärschen von den Rechten missbraucht wird. Wogegen Dresdner in Gegendemonstrationen und verschiedenen Veranstaltungen protestieren.

So war auch das "Konzert für Demokratie" in der Dreikönigskirche gemeint, initiiert vom Verein Bürger.Courage e.V., einem Zusammenschluss Dresdner Bürger, der in der Vergangenheit schon mit nachhaltigen Aktionen zum Thema Demokratie und Toleranz aufgetreten ist. Der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge führte mit Gedanken und Texten durch den Abend - überzeugen brauche man in der vollen Kirche niemanden, so Junge, aber der Gedanke des Versammelns zähle. Das Konzert war geprägt von einer nachdenklichen Atmosphäre, die Zeit gab zum Reflektieren über die Gesellschaft, über Prozesse des Erinnerns und Aufbegehrens, letztlich auch über die Position, die jeder für sich einnehmen will, denn: "die Wahrheitssuche findet in der Grauzone zwischen den Eindeutigkeiten statt" - spontane Lösungen sind gefährlich, sofern sie nicht Herz und Verstand als Vertrauenspartner bemühen.

Neben Texten von Johannes Bobrowski und Erich Kästner gab es reichlich Musik verschiedener Dresdner Musiker, zunächst Orgelmusik von Léon Boellmann, dessen Toccata aus der "Suite gothique" bereits Selbstbewusstsein im Ausdruck vermittelte. Anschließend lud das Finale aus Richard Wagners "Götterdämmerung", von Hansjörg Albrecht in einer farbig registrierten Orgelbearbeitung vorgestellt, zu einer Auseinandersetzung über menschliche Leidenschaften ein. Tom Götze (Kontrabass), Christian Patzer (Saxophon) und Friedemann Seidlitz (Bassklarinette) steuerten ruhig fließende Improvisationen solistisch und im Trio bei, bevor ein Orchester aus Musikern der Sächsischen Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie unter Leitung von Lars Zobel Musik von Paul Hindemith (Solist in der "Trauermusik für Bratsche und Streichorchester" war Hanno Felthaus), Samuel Barber und Felix Mendelssohn Bartholdy spielte.

Das Programm prägte ein durchweg ernster Zug, der erst am Ende durch die Jugendsinfonie von Mendelssohn etwas aufgelockert wurde - doch ist allein die Tatsache solch bürgerschaftlichen Engagements Zeichen genug für Zuversicht. Stilles Kopfschütteln im Kämmerlein genügt nicht, denn, so Junge, "eine Demokratie ist nur so gut wie die in ihr lebenden Demokraten". Insofern ist auch diesem Projekt von Bürger.Courage eine lebendige, aktive Fortsetzung zu wünschen; dem Gedanken einer Kultur, die sich mit den Zeitläuften lebendig und kontrovers auseinandersetzt, kam dieses Konzert erfreulich nahe.

Montag, 16. Januar 2006

Sternstunde der Spätromantik

Daniele Gatti im 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Um Visionen von Leben und Tod ging es am Sonntagvormittag im 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle. Der Hintergrund der beiden Werke und seine Komponistenpersönlichkeiten können verschiedener nicht sein, sie einen sich jedoch in der jeweils voll ausgelebten romantischen Grundhaltung - Strauss' Tondichtung "Tod und Verklärung" brilliert mit wunderbaren Orchesterfarben und zeigt den Komponisten auf der Höhe seiner Zeit, Mahlers 4. Sinfonie G-Dur bezieht per Wunderhorn-Lied deutliche Distanz zur wirklichen Schwere des Themas und läßt den Tod erst wieder in den rein instrumentalen Sinfonien in seinen Partituren erscheinen. Hier das verstörend kindliche Beben vor dem Unaussprechlichen, dort der selbstbewusste Jüngling, die Todesstunde als Kolossalgemälde ausmalend. Aus dieser reizvollen Programmkombination formte der Gastdirigenten Daniele Gatti, der mit der Kapelle und auch mit diesem Programm in der nächsten Woche auf Europa-Tournee gehen wird, ein großes Konzerterlebnis. Das Besondere der Interpretation ging von Gattis innerer Haltung zur Musik selbst aus. Dieser Dirigent versteht es, aus absoluter Ruhe heraus eine Organik des jeweiligen Werkes zu formen. Körper, Zeichen, Mimik bilden eine Einheit und lassen so Bögen und Kraftfelder entstehen, die in dieser Form nahezu ideal für eine ruhig fließende, adäquate Musizierweise der beiden Werke schienen und nirgends überzogen oder hemmend wirken. Gatti nahm sich Zeit für den Beginn der sinfonischen Dichtung, ließ immer wieder Melodielinien zart ausspielen und schaffte einen über viele Takte reichenden Bogen zum Schlusshöhepunkt, und auch dieser war sensibel und klug geführt. Ohne Übertreibung dürfte diese Aufführung eine in allen Punkten völlig überzeugende Interpretation des Werkes genannt werden. Ähnlich transparent gelang die Mahler-Sinfonie, Gatti arbeitete deutlich die vielen Abbrüche und Störungen der ersten beiden Sätze heraus, Matthias Wollongs frecher Solopart im 2. Satz gefiel ebenso wie zahlreiche auf den Punkt gebrachte Bläsersoli oder die sorgsam angelegte Dramatik des 3. Satzes. Einzig im E-Dur-Höhepunkt gab es eine kurze, verzeihliche Schleuderpartie. Geradezu zauberhaft waren Gattis Darstellung einiger Übergänge, die in ein ausgekostetes Glissando oder ins flüchtige Verschwinden des Klanges mündeten. Ruth Ziesak (Sopran) komplettierte diese schöne Aufführung mit einem souverän dargebotenen und stets im schlichten Liedcharakter verbleibenden Wunderhorn-Finale. Damit reihte sich der letzte Satz organisch in die ersten drei sinfonischen Visionen ein, der sanfte Ausklang provozierte zunächst zu einem Moment der Stille, erst dann zu kräftigem Applaus.

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