Rezensionen
Internationaler Dirigierkurs mit Prof. Hartmut Haenchen an der Hochschule für Musik
Konzentration und Geduld sind gefragt bei einem Dirigierkurs, wie er jetzt an der Hochschule für Musik "Carl Maria von Weber" unter Leitung von Prof. Hartmut Haenchen stattfand. Den jungen Dirigenten steht die Anspannung im Gesicht geschrieben, als die Schumann-Partitur vor ihnen liegt. Passen im Klavierkonzert A-Moll die Nachschläge der Streicher übereinander? Zieht die Solistin davon oder läßt sie es heute ruhig angehen? Stimmt die Lautstärkebalance im Orchester? Während die Arme von Oksana Lydiv, Dirigierstudentin an der Dresdner Hochschule ein exaktes Metrum zeichnen, ist der Kopf schon mit diesen Fragen beschäftigt, und zwar gleichzeitig, denn DirigentInnen müssen vor allem vorarbeiten, hören, reagieren, gestalten, und das "just in time", denn sonst ist die zu bearbeitende Partiturstelle entschwunden, bevor man sich ihr gewidmet hat. Vier volle Tage arbeiteten sechs ausgewählte Studenten aus Mannheim, Berlin, Karlsruhe und Dresden (die Internationalität ergab sich durch einen spanischen Teilnehmer und eine Studentin aus der Ukraine) mit Prof. Hartmut Haenchen an Werken von Schumann, Mozart, Brahms und Bernd Alois Zimmermann. Zur Verfügung stand das Hochschulsinfonieorchester, was eine besondere Herausforderung darstellt, denn hier war auf beiden Seiten des Pultes genügend Arbeitspotenzial gegeben - die jungen Orchestermusiker hatten sich bisweilen innerhalb eines Werkes auf drei verschiedene Dirigenten einzustellen. Flexibilität war da gefragt, denn die zu betreuenden Werke, darunter die 3. Sinfonie von Brahms und die beiden letzten Mozart-Sinfonien lassen sich nicht "mal eben" herunterspielen. "Der Weg ist das Ziel" lautete denn auch das positive Fazit von Ekkehard Klemm, dem Leiter des Hochschulsinfonieorchesters, beim Abschlusskonzert im Hygienemuseum. Hartmut Haenchen betonte die Intensität des Kurses, der sich über die Proben hinaus in Gesprächen über aufführungspraktische Fragen und den Dirigentenberuf fortsetzte. Moritz Gnann, Felix Wolters und Thomas Schachschal stellten im Konzert Sätze aus den Mozart-Sinfonien vor, Henrike Enger (Klavier) und Oksana Lyniv widmeten sich dem Schumann-Konzert, bevor zwei Sätze aus der 3. Sinfonie von Johannes Brahms (Leitung Lennart Dohms-Winkel und Eduardo Portal Martin) das Konzert beendeten. Noch einmal sei gesagt, dass solch ein Praxis-Kurs einen unverzichtbaren Baustein auf dem (lebens)langen Weg des Lernens eines Dirigenten darstellt. Die Möglichkeiten in Dresden mit den verschiedenen Orchestern der Umgebung zu arbeiten seien beispielhaft in Deutschland, betonte Klemm, und daher ist diesem Kurs eine unbedingte Fortsetzung zu wünschen.
Dresdner Kammerchor gastierte zur Finissage der Sachsen-Ausstellung
Anlässlich der umfangreichen Ausstellung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden im Schloss Versailles "Splendeurs de la cour de Saxe. Dresde à Versailles" zeigte sich der Dresdner Kammerchor bei seinem Gastspiel in Frankreich einmal mehr als Kulturbotschafter des Landes Sachsen. In der Schloßkapelle in Versailles gab der Chor unter Leitung von Hans-Christoph Rademann zwei komplett ausverkaufte Konzerte mit Motetten von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach. Die am Wochenende beendete, drei Monate währende Ausstellung, die sich mit rund 140000 Besuchern als Besuchermagnet erwies, zeigte mit ihren Exponaten die zahlreichen Verbindungslinien des sächsischen Hofes nach Frankreich. Die Einladung des Dresdner Kammerchores zu den letzten Öffnungstagen der Ausstellung, an denen im Schloss Versailles zudem ein wissenschaftliches Kolloquium "Dresden und das Hofleben in Europa" unter Schirmherrschaft von Prinz Alexander von Sachsen stattfand, war sinnfällig in Bezug auf die hohe Kompositionskunst im barocken Sachsen, welche sich im Konzert im prachtvollen Bau der "Chapelle Royale" des Sonnenkönigs gleichsam als weiteres, klingendes Exponat der Ausstellung entfaltete. Ohne Zugaben wurde der gefeierte Chor nicht entlassen, Rademann und der Dresdner Kammerchor gaben mit Felix Mendelssohn-Bartholdy auch einen Ausblick auf die sächsische Vokalkunst im 19. Jahrhundert. Mit den beiden Konzerten zur Finissage, bei welchen auch zahlreiche Dresdner Besucher und Teilnehmer des Kolloquiums anwesend waren, zeigte der Dresdner Kammerchor in überzeugendem Niveau den kulturellen Austausch "von Hof zu Hof" und kehrte am Sonnabend nach Dresden zurück.
Robert Schumanns Opus 41 in Strehlen
Im Werk von Robert Schumann ist auffällig, dass der Komponist in bestimmten Lebenszeiten hauptsächlich für ein Genre schrieb, so sind ausgesprochen schöpferische Liedjahre, Phasen sinfonischer Kompositionen und um die Jahre 1840-1843 umfangreiche Beschäftigung mit der Kammermusik zu beobachten. Nach Fragmenten aus dem Jahr 1839 schrieb Schumann 1842 gleich drei Streichquartette, diese entstanden innerhalb von nur fünf Wochen. Der Komponist sprach selbst bescheiden von einem "Versuch"; seine eigene Beschreibung eines "dreifachen Quartetts" in zwölf Sätzen wird untermauert durch erste Ideen, die Quartette zwei und drei ineinander übergehen zu lassen. Im zweiten findet sich zudem eine Reminiszenz an das erste Quartett, die später gestrichen wurde. Dies ist aber erst der Anfang einer höchst komplizierten Quellenlage, denn Schumann wandte sich sogleich an seine Freunde des Gewandhaus-Quartettes und nahm in den Proben zahlreiche Umarbeitungen vor. Ungewöhnlich und dennoch historisch völlig einleuchtend ist daher eine Aufführung aller drei Quartette in einem Konzert. Das Konzert der Reihe "Meisterwerke-Meisterinterpreten" im Hotel Königshof im Strehlen am Sonntag zeigte so den "Wurf" des Komponisten und beleuchtete auch den Fortgang vom ersten zum dritten Quartett, in diesen Schritten formte Schumann eine Befreiung von den klassischen Vorbildern hin zu zutiefst empfundener Romantik mit typisch eigener Prägung. In der Interpretation des Robert-Schumann-Quartetts aus Chemnitz wurden diese Hintergründe sofort plastisch, denn in der Gestaltung der Tempi, der Anlage der Sätze hielten die Musiker Maß und kamen so der ungeheuren Ausdrucksvielfalt Schumanns auf die Spur. Doch zwischen dem ersten und den beiden folgenden Quartetten lag ein deutlicher Qualitätsunterschied, der wohl auch darin begründet liegt, dass man eine Weile braucht, um in die Welt Schumanns einzutauchen. Im a-Moll-Quartett waren noch sehr viele Defizite im Spiel der vier Musiker zu hören, kontrapunktische Verläufe passten rhythmisch nicht übereinander, der dritte Satz war intonationsmäßig eine Zitterpartie. Die Herausforderung der Stücke ist immens, es gibt synkopierte Passagen über viele Takte, die einer genauen Absprache bedürfen, um das Metrum zu halten, dort wäre durch eine pointiertere, weniger das Legato betonende Spielweise noch mehr Transparenz herauszuholen gewesen. Nach der Pause führte die Entscheidung, die Quartette zwei und drei am Stück zu spielen, zu sehr viel intensiverem und präziserem Spiel der Musiker. Der Variationssatz des F-Dur-Quartetts gelang farbig, das Scherzo frisch mit klarer Formung des in großen Wellen verlaufenden Themas. Höhepunkte des Konzertes waren für mich die Mittelsätze des dritten Quartetts A-Dur, wo das Robert-Schumann-Quartett beherzt zupackte und so mit Mut zum Risiko in emotionale Tiefe vordrang. Was Schumann selbst als Versuch bezeichnete, geriet in dieser Aufführung zu einem spannenden, letztlich sehr gelungenen Experiment.
Daniel Hope begeistert mit Schostakowitschs 1. Violinkonzert im philharmonischen Zykluskonzert
Die Konzerterlebnisse, bei deren Nachwehen einem nicht nur die Superlative ausgehen sondern überdies ungeeignet zur Erfassung des Geschehenen erscheinen, sind äußerst selten, aber es gibt sie noch. So war meine erste Konzertbegegnung mit dem Geiger
Daniel Hope nicht mehr und nicht weniger als intensivst durchlebte Musik. Es ist ein Konzertereignis ersten Ranges, wenn Solist, Dirigent, Orchester und die Partitur eine Einheit bilden, in der die Musik selbst das Sagen hat; gerade im Falle des Solokonzertes gibt es viele Faktoren, die diese Einheit oftmals verhindern, doch hier gab es vom ersten bis zum letzten Takt eine Darstellung auf höchstem Niveau, bei der man im Auditorium im Kulturpalast die sprichwörtliche Nadel hätte fallen hören können. Der Brite Hope, der sich vor allem für zeitgenössische Komponisten einsetzt, hat sich eingehend mit dem 1. Violinkonzert von Schostakowitsch beschäftigt, dies zeigt nachdrücklich seine jüngst bei Warner erschienene Aufnahme, doch was ist eine CD gegen Hopes Darstellung im Konzert? Gleich der von dunkelgrauen Orchesterfarben getragene erste Satz war von Hope einer Beschwörung gleich formuliert, jeder Ton saß auf dem Instrument wie eingemeißelt. Tempo, Phrasierung, Bogenstrich, das alles besaß starken Charakter und wurde aus Überlegung heraus formuliert. Später stellte sich heraus, dass die Klangrede des 1. Satzes Einleitung zu einem über alle vier Sätze tragenden Konzept war: seien es die mit bohrender, innerlicher Wut und voller Bogenkraft vorgetragenen Oktaven innerhalb des Themas in der Passacaglia, sei es die zwischen Resignation und Zornessturm aufgewühlte Solokadenz oder der mit vollem Ernst durchgehaltene Sarkasmus des 2. Satzes: ein sich mit den Zeitläuften bewusst auseinandersetzender Künstler zeichnete ein Bildnis von Dmitri Schostakowitsch zwischen Kriegsende und erneuter Verteufelung durch die sowjetische Kulturpolitik. Diese starke Interpretation machte vor allem deutlich, in welche Tiefen einer Partitur man mit letztem Willen und kluger Disposition vorstoßen kann. Hope konnte sich dabei nicht nur auf eine souverän begleitende Dresdner Philharmonie verlassen, unter Leitung des sehr kurzfristig eingesprungenen, in Luzern beheimateten Amerikaners
John Axelrod gelang ein ebenbürtiges Orchesterklangbild, bei welchem scharfe Attacken des Hornquartetts und wirbelnde Holzbläser im 2. Satz die Zwiesprache mit dem Solisten unterstützten. Hope bedankte sich für den (angesichts der stupenden Leistung recht braven) Applaus mit einer Hommage an Yehudi Menuhin, eine schöne Geste an die Dresdner Philharmonie, der Menuhin besonders verbunden war. Entspannung wäre vonnöten gewesen nach der Pause, doch es folgte ein weiterer dramatischer Höhepunkt: John Axelrod befreite Tschaikowskys 4. Sinfonie f-moll von allem ihr innewohnenden Pomp, setzte auf klare Signale und angenehm transparente Tempogestaltung. Im 3. Satz ließ Axelrod die Streicher sanft ihr Pizzicato schnurren bevor ein in allen Orchestergruppen stürmisches, dennoch kontrolliertes Finale eine sehr plausible Interpretation abrundete.
Tschechische Musik gestern und heute in den "Short Concerts"
Erst im Dezember startete die Musikhochschule Dresden die Reihe der "Short Concerts", die einmal monatlich an einem Mittwoch stattfinden und Altes mit Neuem kombinieren. Bereits beim dritten Konzert durfte man erfreut feststellen, dass die Reihe längst kein Geheimtipp mehr ist: die Reihen in der Aula der Musikhochschule waren voll besetzt. Das Experiment des "kurzen Konzertes" hat vor allem zur Folge, dass man etablierte Konzertformen überdenkt. Dabei entsteht allein aus der zeitlichen Verkürzung nicht etwa ein Defizit, sondern eine Intensivierung der Konzentration beim Hörer. Gerade neue Musik erschließt sich einem Publikum schwierig, wenn man sie mit gleich einem halben Dutzend Uraufführungen in endlos scheinenden Konzerten überfällt. Gepaart mit einem klassischen Werk werden zudem Bezüge deutlich, man stellt Fragen oder erhält automatisch Antworten. Im dritten Konzert waren tschechische Interpreten und Komponisten vertreten, Professor Ivan Zenaty und seine Begleiterin Katarina Zenata stellten Werke von Jiri Gemrot (geboren 1957) und Antonin Dvorak vor. Die den beiden Musikern gewidmete "Romanze", die erst vor Jahresfrist entstanden ist, stellte sich als zerklüftetes Tongebirge dar - bitonale und ostinate Passagen, ausdrücklich "suchende" Teile wechselten ab mit melancholischem Gesang, dem Zenaty auf der Guarneri-Violine starken Ausdruck verlieh. Katarina Zenata blieb am Klavier eine Weile sehr zurückhaltend, mit dem Fortschreiten des Werkes gelangen den beiden Musikern aber auch mehr und mehr dramatische Akzentuierungen. Rektor Stefan Gies wies in seiner Moderation auf die schwierig zu bestimmenden Lage der tschechischen Musik damals wie heute hin, so bildete sich eine Brücke zu Dvoraks Musik, die ohne die damalige Förderung im tschechischen Ausland heute längst nicht so bekannt wäre. Und auch in dessen Violinsonate F-Dur Opus 57 war ein Wechselspiel zwischen ausgelassenem Musikantentum und verinnerlichtem Nachsinnen sofort spürbar, dafür sorgte die ausgefeilte Interpretation der Musiker, lediglich der zweite Satz war doch sehr stark im Tempo zurückgehalten, dies passte aber wiederum zum ausgelassen böhmischen Ausklang der Sonate, in der beide Musiker mit Mut zum Risiko und höchst vital spielten. Dem nächsten Konzert am 5. April ist ein ebenso hohes Niveau und eine große Zuhörerschar zu wünschen.
Philharmonisches Klarinettentrio Dresden in der Strehlener Kammermusik
Erst zum zweiten Mal trat am Samstag das "Philharmonische Klarinettentrio Dresden" mit einem Konzertprogramm an die Öffentlichkeit, man mochte es angesichts der Qualität der Interpretationen kaum glauben. Doch alle drei Musiker sind ja gestandene Philharmoniker und immer wieder in verschiedenen Kammermusikformationen des Orchesters vertreten. Stilsicher, homogen und intonationsrein sind die besonderen Prädikate dieses Trios. Zwar ist die Besetzung dreier Klarinetten seltener in Konzerten vertreten, doch immer wieder schrieben Komponisten Originalwerke für Klarinettenensemble, es existieren sogar symphonische Ensembles mit bis zu neun Klarinetten, in der alle Instrumente der Familie vertreten sind. In der Strehlener Kammermusik beschränkte man sich im Trio auf die Bassklarinette als Fundament und widmete sich hauptsächlich der Literatur um Wolfgang Amadeus Mozart, dessen Vorliebe für die Klarinette bekannt ist. Schade, dass es im Konzert nicht zur Begegnung mit den damals aufkommenden Bassetthörnern kam, für die Mozart seine Bläserwerke ursprünglich schrieb. Die abwechslungsreiche und farbige Interpretation des Divertimentos B-Dur KV Anh. 229 von Hans-Detlef Löchner, Henry Philipp und Klaus Jopp ließ auf den "modernen" Instrumenten jedoch keine Wünsche offen. In solch virtuosen Konzerten sollten zeitgenössische Werke selbstverständlich integriert sein, so auch hier. Ein Glücksgriff war dabei der Griff zu einer Komposition von Rainer Lischka, denn der Dresdner Komponist versteht es nicht nur, die Instrumente virtuos und zeitgemäß zu behandeln, in seinen Werken findet man zudem eine gehörige Portion Witz und vor allem rhythmische Finesse. Lischka durfte sich über eine gelungene Ausführung seines "Trio con brio" freuen. Im zweiten Teil des Konzertes wurde durch ein Werk des Briten James Waterson demonstriert, wie Virtuosen für ihr eigenes Instrument komponierten. Das ist im Falle von Multitalenten wie Liszt oder Joachim im 19. Jahrhundert ein Glücksfall, doch oft wurden recht oberflächliche Werke zum eigenen Gebrauch verfasst, bei denen man innerlich Kadenzen abzählt und bestenfalls das Adjektiv "nett" über die Lippen bekommt. Watersons Trio gehört dazu und doch entschädigte das Philharmonische Klarinettentrio mit engagiertem Spiel und kostete den Melodiefluß des 2. Satzes aus. Mit Beethovens Variationen über Mozarts "Reich mir die Hand, mein Leben" aus "Don Giovanni" und zwei weiteren Mozart-Piecen klang dieser hochwertige Abend aus.
Ensemble Six und Carus Ensemble Dresden im Alten Schlachthof
Am Sonnabend erwischte ich mich im Supermarkt zwischen Obsttheke und Konserven mit einem Lied auf den Lippen - Zeichen dafür, dass das Konzert am Vorabend seine Spuren hinterlassen hatte. Mit der "schönen Isabella aus Kastilien", die zwecks Rückkehr zum Geliebten ihre Utensilien packen soll, ließ sich der Wochenendeinkauf angenehm bewältigen. Verantwortlich für den Wochenendohrwurm zeichnete das "Ensemble Six", das als Gast neben dem Carus-Ensemble Dresden den zweiten Abend der Reihe "Philharmoniker anders" im Schlachthof bestritt. Zwischen Comedian Harmonists und Schulhoff sollte sich ein musikalisches Wechselspiel ergeben. Hier lag aber eine wesentliche Problematik der Dramaturgie. Das Wechselspiel ergab sich zwar, aber es entstand lediglich ein merkwürdiges Nebeneinander zweier musikalischer Welten, die sich allenfalls im Tanzrhythmus der 20er einige Male trafen. Es ist kein leichtes Unterfangen Dada, Schulhoff und Comedian Harmonists in einen Konzertabend zu gießen, es blieben auf allen Ebenen Defizite, denn: für einen Dada-Abend war die Darbietung viel zu zahm; allein der Werkkatalog von Schulhoff bietet noch viel mehr Möglichkeiten, ein zumindest historisch korrekteres Bild von Dada oder eben der 20er Jahre am Beispiel dieses Komponisten zu zeichnen. Weder die hart an der Grenze zum Fiktiven geschriebenen Klavierstücke noch die "Sonata Erotica" fanden ihren Platz im Programm. Das über den Abend zerstückelte "Divertissement" für Oboe, Klarinette und Fagott wurde zwar vom Carus-Ensemble musikalisch einwandfrei und vital dargeboten, hätte aber in seiner Bravheit auch in einen "normalen" Kammermusikabend gepasst. Frecher war da schon die "Bassnachtigall", überzeugend von Thomas Eberhardt am Kontrafagott musiziert. Karsten Lehl vom Ensemble Six führte durch den Abend, im gesprochenen Epilog der "Bassnachtigall" wurde aber das Dilemma deutlich: der Dada-Abend geriet zur reinen Dokumentation, Schulhoffs Biografie wurde fast schulmeisterlich abgespult, Jazz und Frauen mussten als Themenüberleitung zu den Comedian-Harmonists-Songs herhalten. Diese allerdings wurden meisterlich dargeboten, das Ensemble Six verfügt nicht nur über reine Intonation und klare Tonansprache, sondern auch (nicht verwunderlich nach dreizehn Jahren Ensemblearbeit) über ein charakteristisches, vor allem von den leisen Tönen geprägtes Klangbild. So purzelten die Songs nicht heraus, sondern entwickelten sich sensibel über den Text und den Rhythmus. Michael Reuter am Klavier hatte mit enorm subtiler, sanft unterstützender Begleitung großen Anteil an diesem Erfolg. Und doch: selbst der Arp-Zyklus "Die Wolkenpumpe" war zwar ein interessantes Beispiel für Dada-Vertonungen der 20er-Jahre, doch so handzahm wird es in Berlin und Prag damals wohl kaum zugegangen sein. Heutzutage amüsiert man sich im Publikum aus der Distanz der Zeit über die Werke der damaligen Provokateure und nippt zufrieden am Rotwein. Irgendwie schade.
Georges Pretre im 8. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
In der Politik wird ja derzeit viel über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit gestritten. In der Kunst gibt es zwar auch Tarife, Rechte und Gesetze, doch was spielt das Alter schon für eine Rolle, wenn man musikalisch noch so viel zu sagen hat? Der französische Dirigent Georges Pretre (81) ist jedenfalls weder ein gemütlicher Pensionär noch merkt man ihm nach über sechzig Jahren Tätigkeit am Dirigentenpult irgendeine Belastung an - im Gegenteil, der Mann ist ein Genießer seiner Tätigkeit, wie sich das für einen Franzosen gehört; und diesen Genuss bekamen die Dresdner im 8. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle zu hören und zu sehen. Zunächst war die erste Konzerthälfte Werken von (man möchte fast ausrufen: "Wie könnte es anders sein") Richard Strauss gewidmet. Pretre musizierte zu Beginn die Tondichtung "Don Juan"; man möchte meinen, dies ist eines der Stücke, was die Kapelle sozusagen im Schlaf spielen kann. Doch Pretre hatte durchaus eigene Vorstellungen vor allem von der Themenphrasierung und Klangentfaltung. Die Kapelle folgte ihm konzentriert und spielfreudig. Kleine verzeihliche Ungenauigkeiten in den ersten Takten und in der Steigerung zum Schlussabschnitt wurden durch ein intensives Klangerlebnis wettgemacht. Sehr vital und im besten Sinne musikantisch gelang dann das späte "Duett-Concertino" von Strauss mit den Kapellmusikern Wolfram Große (Klarinette) und Joachim Hans (Fagott) als überzeugenden Solisten. Trotz der tadellosen, klugen Ausarbeitung der beiden Solopartien durch Große und Hans hätte ich mir dann doch ein interessanteres Stück für die Solisten gewünscht, die geschwätzige Heiterkeit dieses Gelegenheitswerkes geht einem bei noch so guter Interpretation nicht aus dem Sinn. Welches Werk bringt ein französischer Dirigent aus seinem Land mit, wenn er zum Abschluss des Konzertes Orchester und Publikum gleichermaßen begeistern will? Natürlich Berlioz' "Symphonie Fantastique", ein Werk, das Pretres Modellierarbeit vom Pult aus sehr entgegegen kam. Die Absichten von Berlioz und Pretre befruchtete sich gegenseitig, denn das Stück läd wie kaum ein anderes dazu ein, viele Farben und Klangvarianten auszuprobieren und daraus eine plastische Interpretation zu formen. Dies gelang Pretre mit der Staatskapelle vortrefflich, vor allem die "Szene auf dem Lande" gestaltete er im Tempo sehr flexibel der musikalischen Linie nach. Im ersten Satz und auch im "Ball" wählte Pretre mittlere Tempi, die gleichermaßen Kontrolle und Freiheit zuließen: so wird Musizieren selbstverständlich, entwickeln sich Melodien und Modulationen natürlich aus dem Fluß der Zeit. Was sich im 4. Satz andeutete wurde im abschließenden "Hexensabbat" Gewißheit: Georges Pretre verordnete schärfste Attacken und ein entfesseltes Vorwärtsstürmen hin zum Schlußakkord, dem stehende Ovationen des Publikums für die glutvolle Interpretation folgten.
Französische Violinkammermusik bei den "Meisterinterpreten"
Einen tiefen Einblick in die französische Musik zwischen Romantik und früher Moderne gab das mit "virtuos" betitelte Konzert der Reihe "Meisterwerke - Meisterinterpreten" am vergangenen Sonntag im Ballsaal des Hotel Königshof in Strehlen. War das 19. Jahrhundert in Frankreich noch stark von der Oper und später dem Chanson geprägt, so setzte vor allem Camille Saint-Saens mit seinem reichhaltigen OEuvre Akzente innerhalb der Klavier- und Kammermusik, er war überdies Lehrer und Vaterfigur für viele Komponisten und vermittelte einen Musikstil, der Tradition und Moderne vereinigte. Im Konzert wurde die Brücke von Saint-Saens hin zu zwei wichtigen Erneuerern der französischen Musik geschlagen: Gabriel Fauré (Schüler von Saint-Saens) und Maurice Ravel. Da zudem das Genre der Violinkammermusik auf dem Programm stand, gelang eine interessante Darstellung der Musik etwa zwischen 1875 und 1924, deren Farbskala von romantischen Melodiebögen bis hin zur hochvirtuosen Geigenbehandlung in "Tzigane" reichte. Die Kammermusik von Saint-Saens ist bis zum heutigen Tag selten in Konzerten vertreten; ich meine sogar, zum ersten Mal einer Aufführung der Saint-Saens-Sonate d-Moll, Opus 75 beigewohnt zu haben. Matthias Wollong, Konzertmeister der Sächsischen Staatskapelle, spielte die Sonate mit Sinn für die divergierenden Ausdruckswelten der vier Sätze, seine Stärke lag hier wie in den anderen Stücken des Konzertes im Ausbreiten großer Melodiebögen und in technischer Souveränität, gerade der letzte Satz der Saint-Saens-Sonate geriet vital, aber nie vordergründig virtuos, Wollong besitzt überdies die Ruhe, sich auch augenscheinlich begleitenden Abschnitten mit Übersicht und transparentem Ausdruck zu widmen. Würde man mich nach "virtuoser Geigenmusik" fragen, wäre ich nie auf Gabriel Faurés Sonate A-Dur gekommen, insofern hinkte der Titel des Konzertes etwas. Faurés Meisterwerk (interessanterweise zehn Jahre früher als das "Lehrerwerk" entstanden) entfaltet eine formvollendete, aussdrucksstarke Seelenlandschaft, die Wollong besonders im Andante gut darstellte. An dieser Stelle ist allerdings zu bemerken, dass der Pianist Frank-Immo Zichner kein gleichwertiger Partner war. Wertvoll wäre ein Helfer zum Blättern der Noten gewesen, auf Dauer wirkten die Lücken in der linken Hand störend. Überdies kam Zichner mit den Werken kaum zurecht, verhaspelte sich im Klaviersatz Faurés immer wieder und ließ eine Interpretation vermissen, die Wollong nicht nur unterstützen sollte, sondern auch dem Werk angemessen schien. Exemplarisch seien hier die letzten Takte der Fauré-Sonate genannt, die anstelle einer stringenten Steigerung beider Musiker eckig und bei Zichner sogar überspannt wirkte. Zum Abschluss gab es die nicht ganz versöhnende Rhapsodie "Tzigane" von Maurice Ravel, bei der mir schlicht die Akkuratesse von Tempo und Artikulation fehlte, aus der heraus sich das für dieses Stück unbedingt notwendige ungezügelte Temperament erst entwickeln kann.
Jugend-Jazzorchester Sachsen konzertierte im Kleinen Haus
Gehörig "auf die Ohren" gab es am Sonntag im Kleinen Haus - gut zwei Dutzend junge Jazzmusiker versammelten sich zum Konzert des Jugendjazzorchesters Sachsen, das unter dem Dach des Sächsischen Musikrates jährlich zwei Projekte veranstaltet: nach einer Woche der Begegnung und intensiver Proben schließen sich Konzerte und Reisen oder ein Auftritt auf einem Festival an. Das besondere Profil dieser Projekte erhält das Jugendjazzorchester durch Gastleiter und -musiker, die mit den Instrumentalisten die Programme erarbeiten. Dieses Mal war es Prof. Marko Lackner, von Haus aus Saxophonist und Arrangeur, der in Dresden an der Musikhochschule lehrt und dort auch die Big Band leitet. Lackner, der selbst bereits Preise für seine Kompositionen erhielt und mit vielen namhaften Jazzorchestern in Deutschland zusammenarbeitet, stellte im Kleinen Haus eigene Arrangements und einige Stücke aus der Swing/Latin-Tradition vor. Im Unterschied zu "alten Hasen" und lange eingespielten Ensembles war von den ersten Tönen an klar, dass Temperament und jugendliche Frische diese Big Band bestimmte. Das Niveau der Stücke war durchweg sehr hoch, Lackner differenzierte den Klang und konnte mit den zwei Dutzend motivierten Musikern zwischen heimeligem Sax-Teppich und forcierten Blechattacken viele Nuancen zeigen. Erstaunlich war, wie sich ein Projektorchester in so kurzer Zeit zu einem schlagkräftigen Ensemble formt, das in puncto Homogenität und Drive kaum Wünsche offenließ. Im ersten Teil des Konzert wollte dennoch eine gewisse Atmosphäre der Konzentration nicht weichen, das ist allzu verständlich, da die Musiker sicher dem Auftritt entgegenfieberten und alle ihr Bestes gaben. Schließlich stellt auch das gemeinsame Musizieren in der Big Band andere Anforderungen als die (nicht weniger wichtige) "private" Frickelei im Probenkeller. Lackners eigene Kompositionen boten interessante Querschläge in Welten jenseits des Jazz: Richard Strauss Tondichtung "Don Quixote" war da einmal die Inspiration, dann deutsche Volkslieder (deren Verjazzung eine merkwürdige Metawelt vor allem aus harmonischer Sicht erzeugt), schließlich sogar - Kirschmarmelade, die Eingang in einen melodischen Salsa-Satz fand. Zahlreiche Soli der Ensemblemitglieder zeigten das gute Potenzial und vor allem die Spielfreude der jungen Musiker, Lackner selbst steuerte zwei Improvisationen auf dem Sopransaxophon bei. Große Big-Band-Musik (u.a. von Florence, Holman und Porter) mit einer deutlichen (Phon-)Steigerung zum Finale sorgte für ein begeistertes Publikum. Im Mai wird das Projekt mit einem Big-Band-Treffen in Halle/Saale und einer Konzertreise nach Lettland seinen Abschluss finden.