Rezensionen

Dienstag, 27. Juni 2006

Die "kleine Form" ganz groß

Streicherkammermusik bei der Sächsischen Staatskapelle

Wieder einmal erwies sich der Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle als Fundgrube für viel zu selten gespielte und doch sehr hörenswerte Kammermusik. Der erste Teil des Abends in der Semperoper war einem der wichtigsten Barockkomponisten gewidmet, nein, diesmal ist nicht die Rede von Bach, sondern von Heinrich Ignaz Franz Biber, ohne den vor allem im Bereich der Instrumentalmusik viele nachfolgende Entwicklungen kaum denkbar sind. Überdies macht das Hören dieser affektgeladenen Musik großen Spaß, wenn sich wie am Montagabend kundige Instrumentalisten zusammenfinden. So gerieten gleich die vier Sonaten aus der Sammlung "Fidicinium sacro-profanum" zu einem Höhepunkt des Konzertes. Als Gäste wirkten zwei Berliner "Experten" für Alte Musik mit: Bernhard Forck und Sabine Fehlandt (Barockvioline bzw. -viola) fügten sich in das kleine Kapellensemble mühelos ein. Es war vor allem die Klangdichte und rhythmische Brillanz der Sonaten, die begeisterte. Biber schüttet ein Füllhorn an musikalischen Einfällen aus, die Musik präsentiert sich wie ein lebendiges Lehrbuch von Kontrapunkt, intelligenter Behandlung von scheinbaren Nebenstimmen, rhythmischer Finesse und überraschender Dramaturgie. Dies setzte sich auch in der finalen Partita aus "Harmonia artificioso-ariosa" fort, Ulrike Scobel und Sabine Fehlandt gaben der Viola d'amore in diesem Werk einen virtuosen und fülligen Klangcharakter, in der rasanten Gigue stockte einem der Atem ob soviel Temperament. Innerlich umschalten hieß es nach der Pause, wenngleich es bei Streicherkammermusik blieb. Doch die Besetzung zwei Violinen und Viola ist recht selten in Klassik und Romantik zu finden; Sae Shimabara, Olaf-Torsten Spies und Michael Horwath nahmen sich zweier Werke dieser Gattung an. Beethovens Trio C-Dur, Opus 87 wirkt mozartesk und nicht besonders ideenreich. Kaum einmal rafft sich das Werk zu emotionaler Spannung auf. Anders liegt die Sache bei Antonin Dvoraks Terzetto C-Dur, Opus 74, dem Komponisten gelingt in dieser kleinen Form eine ideenreiche Formanlage nebst böhmischem Furiant und überschwänglichem Finale. Der "kleinen Form" huldigte dieses Konzert, aber auch die Interpretationen der beiden Terzette waren so hochkarätig und souverän, dass der Abend als durchweg gelungen zu bezeichnen ist.

Montag, 26. Juni 2006

Mozart misslang, Mendelssohn überzeugte

"Trio Opus 8" eröffnet Pianoforte-Fest Meissen

Recht unspektakulär wurde die Eröffnung des Pianoforte-Festes in Meissen begangen, es gab keine großen Worte, leider blieben auch etliche Sitze beim ersten Konzert leer. Die Veranstalter boten als Entrée des sommerlichen Festivals, das dieses Jahr zum achten Mal stattfindet, einen Kammermusikabend im Theater Meißen mit renommierten Gästen an.
Das "Trio Opus 8" kann auf eine zwanzigjährige Erfolgsgeschichte mit zahlreichen Konzerten im In- und Ausland und CD-Produktionen verweisen.
Entsprechend der Blüte der Gattung Klaviertrio widmet sich das Ensemble in der Hauptsache Kompositionen der Romantik, diese standen auch auf dem Programm des Meissener Konzertes. Zunächst aber stellten Eckhard Fischer (Violine), Mario de Secondi (Cello) und Michael Hauber (Klavier) das Trio B-Dur, KV 502 von Wolfgang Amadeus Mozart vor. Was in dieser Interpretation zu hören war, jagte mir allerdings einen Schrecken ein. Fischers Intonation war dermaßen neben der Spur, dass das Zuhören keine Freude war. Schnelle Figuren mißlangen ihm ebenso wie Duopassagen mit dem Cello. Zudem war die Dominanz des Klaviers erschlagend, Mario de Secondis Instrument war in Mozarts oft filigranem Satz nicht herauszufiltern, hier hätte ein geschlossener Klavierdeckel Abhilfe geschaffen. Auch bei Joachim Raffs Trio a-Moll, Opus 155 änderte sich an Fischers Intonation noch nicht viel, es waren immer wieder kleine Ungenauigkeiten zu spüren; man spürte aber, dass die romantische Faktur den Musikern deutlich besser lag. Die souveräne Kenntnis dieses Werkes verhalf zu einer akzeptablen Interpretation. Raff wird oft zu Unrecht in die "zweite Reihe" der Komponisten sortiert, doch diese Komposition konnte sich ohne weiteres mit Werken von Brahms oder Liszt messen lassen und das "Trio Opus 8" entwickelte leidenschaftliches Temperament. Am besten aufgelegt wirkte das Ensemble in Mendelssohn-Bartholdys c-Moll-Trio, Opus 66. Hier war die dynamische Balance optimal, immer wieder war zu spüren, wie Michael Hauber am Klavier motivierend und mit Sinn für feine Abstufungen gestaltete, auch Mario de Secondis kantable Linien gelangen wunderbar. Vielleicht brauchte es auch Gewöhnung an die herbe Akustik des Theaters, das Konzert jedenfalls steigerte sich deutlich zum Finale hin und das anspruchsvolle Mendelssohn-Trio gelang mit ungetrübter Spielfreude.

Dienstag, 20. Juni 2006

Hochrangiges Gastspiel

The King's Consort huldigt der heiligen Cäcilia

Was eint Jäger, Apotheker und die Feuerwehr? Sie alle (und noch viele Berufsgruppen mehr) haben einen Schutzpatron, der jeweils für passendes Wetter sorgt, Unfälle vermeidet oder für Festivitäten herhält. Für die Musiker ist dies die heilige Cäcilia, eine Märtyrerin aus dem 3. Jahrhundert, die in Abbildungen stets vor Musikinstrumenten posiert. Aus dieser Tradition heraus entstanden im barocken Zeitalter die Cäcilienfeste und festliche Kompositionen huldigten der Patronin an ihrem Namenstag, dem 22. November. Heutzutage begegnet man diesen Kompositionen eher auf Musikfestspielen barocker Art, so gastierte am Sonnabend in der Frauenkirche das englische "King's Consort" in der Frauenkirche in Zusammenarbeit mit den Händel-Festspielen Halle. Im ersten Teil gelang eine packende Begegnung zwischen barocker Musik und der Neuzeit: Henry Purcells erster Cäcilienode wurde Benjamin Brittens "A hymn to St. Cecilia" gegenübergestellt. Purcells locker gefügtes und gefälliges Werk erklang in souveräner Interpretation durch das englische Ensemble; Brittens a-cappella-Werk nach W. H. Audens Dichtung war dagegen eine echte Entdeckung, der Chor des King's Consort unter Leitung von Robert King gestaltete die anspruchsvolle Komposition transparent und mit dynamischer Ausgewogenheit, dieser Interpretation konnte auch ein zweimal klingelndes Mobiltelefon nichts anhaben. Ärgerlich ist dies trotzdem, selbst Hinweise im Programm hinderten auch die Hobbyfotografen fortwährend und sogar mit Blitz nicht an ihrer Tätigkeit. In Georg Friedrich Händels Kantate "The Choice of Hercules" konnten die Musiker erneut volle barocke Klangpracht entfalten, mit betörenden Stimmen suchten Carolyn Sampson (Wollust, Sopran) und Hilary Summers (Tugend, Mezzosopran) den wankenden Hercules (Daniel Taylor, Countertenor) von ihren Vorzügen zu überzeugen. Diese solistischen Leistungen waren durchweg eine wahre Freude, ich würde sogar von einer Idealbesetzung für dieses Werk sprechen. Robert King gilt ohnehin als erfahrener Sachwalter für barocke Musik vor allem der englischen Provenienz. Bereits in Purcells Werk deutete sich an, dass King über ein hervorragendes Ensemble verfügt; böte sich wirklich Kritik an, dann lediglich bei etwas zu hastigen Tempoübergängen. Eindrucksvoll war vor allem, wie King mit dem Orchester Dynamik ausformte und so etwa die Schlussfuge der Händel-Kantate plastisch interpretierte. Weiche Zeichnung und kantable Tempi bestimmen seine Lesart, in der schwierigen Akustik der Frauenkirche hätte ich mir daher im Continuo manchmal beherzteren Zugriff gewünscht. Insgesamt war es ein hochrangiges, thematisch gelungenes Konzert zur Ehre der Patronin der Musik.

Freitag, 16. Juni 2006

Spielerisch zu Morton Feldman

Neues Projekt des Dresdner Klaviertrios "elole"

80 Jahre wäre der Komponist Morton Feldman (1926-87) in diesem Jahr geworden. 80 Minuten dauert sein 1980 entstandenes Klaviertrio. Diese Einleitung wurde absichtlich gewählt, sie stellt Bezüge her und nutzt doch nur eine Zahl. Ähnlich verhält es sich mit den Kompositionen von Feldman. Minimale Klangstrukturen, oft nur einzelne Töne oder eine kurze Klangfläche werden zu großen Bögen zerdehnt, vieles in seiner Musik spielt sich am Rande der Stille ab, dennoch ist die Musik komplex ausnotiert und verlangt eine große Spannung der Interpreten. Ein Feldman-Konzert ist daher auch für den Zuhörer etwas Besonderes und findet in unseren Breiten selten genug statt. Das aktuelle Projekt des Dresdner Klaviertrios "elole" (Uta-Maria Lempert, Violine; Matthias Lorenz, Cello; Stefan Eder, Klavier) rückt Feldmans Klaviertrio in den Mittelpunkt des Geschehens. Wie nähert man sich einer Musik, die mit traditionellem Zeit- und Hörverständnis nicht greifbar ist? Matthias Lorenz drückt es so aus: "Diese Musik läßt den Hörer zu großen Teilen in Ruhe". Auf diese Weise entsteht eine besondere, offene Höratmosphäre, in der sich die Umgebung, der Raum, die innere Gedankenwelt entfalten kann. Für das Projekt "Feldman Plus" entschied sich Lorenz für die Hochschule für bildende Künste, der Kontakt zu Malern (Pollock, de Kooning) bildet in Feldmans Biografie ebenfalls eine Konstante. Eine Ausstellung von Thomas Helbig und Rao Fu wird dort nicht nur Rahmen, sondern Bestandteil der Aufführung sein. Dass neue Musik auch in der Vermittlung nicht dozierend daherkommen muss, zeigt Lorenz mit einer Vorveranstaltung: eine Stunde vor dem Konzert können Zuhörer an Computern die Klangwelt von Feldman spielerisch erkunden. Wie funktioniert "Erinnern" in musikalischer Hinsicht? Wie setzt man kleine Klangbausteine zu einem Ganzen zusammen? Auf diese Fragen finden zwei Programme, die die Zuhörer interaktiv bedienen können, verblüffende Antworten. Dem abendfüllenden Feldman-Werk wird außerdem ein kürzeres Stück von Klaus Lang zur Seite gestellt, das die Feldmans Ideen wie in einem Zeitprisma beleuchten wird.

16. Juni 2006, Hochschule für bildende Künste, elole Klaviertrio
19.00 Mit Feldman spielen
20.00 Konzert
Klaus Lang: Die Fenster des Universums
Morton Feldman: Klaviertrio

nähere Informationen bei elole.de

Dienstag, 13. Juni 2006

Vier Stunden Vehemenz und Inspiration

"Die Walküre" mit Fabio Luisi in der Semperoper

Drei Mal geht in diesem Jahr der komplette "Ring des Nibelungen" von Richard Wagner unter Leitung des designierten Generalmusikdirektors Fabio Luisi über die Bühne der Semperoper. Der erste "Ring" eines Dirigenten ist natürlich immer etwas Besonderes. Das ohnehin breite Repertoire von Luisi innerhalb der Spätromantik ließ auf eine spannende Deutung hoffen. Der zweite Abend des Zyklus geriet unter seiner Leitung zu einem Wagner-Fest, denn Luisi schaffte das Unmögliche: er betreute Sänger und Orchester mit nie versiegender Inspiration über vier Stunden und konnte selbst im 3. Akt Längen der Komposition mit immer wieder ausgestalteten Details in der musikalischen Linie wettmachen. Faszinierend war zu beobachten, wie Luisis charismatische Darstellung sich auf Graben und Bühne übertrug. Schon im Vorspiel zum ersten Akt war die Marschrichtung klar: Luisi hält sich nicht mit Emphase oder Klangverliebtheit auf, sondern betont vor allem die der Musik innewohnende Dramatik. Interessant war, dass nicht der mühelos dynamisch auftrumpfende Walkürenritt Dreh- und Angelpunkt des Werkes war, sondern Luisi gerade stillen Nahtstellen Vehemenz verlieh. Die Steigerungen des Werkes baut der Dirigent mit unbändiger Kraft auf - es war ein Wagner-Klang, den ich in solcher Konsequenz bei bisherigen Vorstellungen des Rings noch nicht gehört habe. Große Aufmerksamkeit widmete Luisi den motivischen Emotionen von Weltzweifel, Überwindung, Liebe und Strafe, dies fand im Spiel der Kapelle deutliche Strukturierung. Verständlich, dass bei einer solchen Pultleistung auch die Sänger dieser "Walküre" über sich hinaus wuchsen, allen voran Evelyn Herlitzius (Brünnhilde) und Michaela Schuster (Sieglinde). Wie leicht und strahlend Wagners mörderische Partien klingen können, war hier eine reine Freude. Auch Stig Andersen (Siegmund), Mihoko Fujimura (Fricka) und Hans-Peter König (Hunding) überzeugten durchweg, wogegen ich mit Jukka Rasilainens Wotan arge Probleme hatte, seine rezitativischen Passagen sind stets zerhackt und kurzatmig, dagegen singt er wunderbar, wenn es um den großen Bogen geht. Für Fabio Luisi war dieser zweite Abend bereits die "halbe Miete" des "Rings", man darf jetzt schon resümieren, dass man sich in Dresden auf viele temperamentvolle und klangstarke Opernabende unter seiner Leitung freuen darf.

Montag, 12. Juni 2006

Dresden versus Rom

Weber und Respighi im 9. Zykluskonzert der Philharmonie

Das letzte Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie fand im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele statt und wurde vom Chefdirigenten Rafael Frühbeck de Burgos geleitet. Der Dresdner Schwerpunkt der Thematik fand mit Carl Maria von Webers Musik einen vortrefflichen Abschluss, das Publikum lernte zwei weniger bekannte Werke des Komponisten kennen. Aus der zu Unrecht vergessenen Oberon-Musik erklang die Ouvertüre. In dem kurzen Stück waren reichlich farbige Klangbilder verborgen, die die Philharmoniker mit Sinn für Akkuratesse formten. Frühbeck de Burgos setzte dabei auf ein natürliches, fließendes Klangbild. Die beiden Klarinettenkonzerte von Weber sind heute kaum bekannt, dabei gelten sie als frühes Meisterbeispiel für Virtuosenmusik im 19. Jahrhundert und sind bis heute nicht nur Prüfsteine für junge Musiker, sondern überdies voller Brillanz und melodischem Reichtum. Sharon Kam demonstrierte den Rang des 2. Konzertes in absolut begeisternder Weise. Die israelische Klarinettistin fand zu einem Spiel, in welchem jede Melodie zu betörendem Gesang geriet, vor allem der 2. Satz erzählte Geschichten über Einsamkeit und Melancholie. Man konnte sich in der warmen Klangfarbe, die Kam ihrem Instrument verlieh, regelrecht verlieren, atemberaubende Koloraturen in den Ecksätzen gelangen leicht und wunderbar ausgestaltet. George Gershwins "Summertime" als Zugabe veranlasste die Philharmoniker bargerechtem Backgroundspiel, bei welchem Sharon Kam die dynamischen Möglichkeiten am Rande des Verstummens der Klarinette optimal ausnutzte. Nach der Pause ging es nach Italien. Ottorino Respighis "römischer Trilogie" widerfährt ein ähnliches Schicksal wie Ravels "Bolero": vom Komponisten nach der Niederschrift abgelehnt wurden es Repertoirestücke mit unzähligen Konzerten und Aufnahmen bis zur heutigen Zeit. Respighis Werke verlangen große Sorgfalt, die farbige Instrumentation ist nicht "nebenher" zu erzeugen. So fehlte bei Frühbecks recht flotten Tempi in den "Fontane di Roma" der Zauber der Melodik zu Beginn. Mehr Freiheit im Tempo und vor allem eine völlige Zurücknahme von herausstechenden Stimmen wäre hier wünschenswert gewesen, der Mut zu extrem leisen Musizieren würde in diesem Werk mit sehr feinen, schwebenden Klangerlebnissen belohnt, darauf wartete ich vergeblich. Zu Recht pompös kamen die "Pinien von Rom" daher, der finale Marsch mit aller Dezibelkraft stellte für die Philharmoniker kein Problem dar, doch zu Beginn des Werkes ("Pini di Villa Borghese") konnte man einzelne Musiker fast zählen hören, das wirbelnde Bild war noch nicht fertig zusammengesetzt und hatte sich nicht freigespielt. Frühbeck de Burgos überfuhr das Lento zu Beginn der "Katakomben" im Tempo, die tolle Stimmung mit dunklen Streicherfarben war daher schon vorbei, als sie kaum angefangen hatte. Trotz fantastischer Orchesterfarben und einem sehr schönen Klarinettensolo im 3. Satz blieben hier manche Wünsche offen.

Dienstag, 30. Mai 2006

Ernste Emotionen

Alban Berg und Dmitri Schostakowitsch im Kapell-Konzert

Ein Programm zum reinen Vergnügen stellte das 11. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle gewiss nicht dar, ernst und emotional direkt ansprechend teilen sich die beiden vorgestellten Kompositionen mit. Eingangs erklang Alban Bergs hoch empfindsame Trauermusik, das Violinkonzert "Dem Andenken eines Engels", eine Bekenntnismusik und gleichzeitig sein letztes vollendetes Werk. Frank Peter Zimmermann, der jüngst bereits erfolgreich mit Mozart bei der Kapelle gastierte, gelang eine beeindruckende Interpretation. Klar und sensibel näherte er sich den feinen Klangbändern, dabei kommunizierte er intensiv mit den Instrumenten im Orchester, die seine Äußerungen aufnahmen oder einen Gegenpol formulierten. Das abschließende Adagio war ein großer Abgesang, an Zimmermanns makellosem Spiel war vor allem die weiche, sprechende Klangformung der Töne bewundernswert. Tiefes Verständnis des Werkes und eine kontrollierte und doch immer atmende Darstellung führten zu dieser komplett überzeugenden Leistung. Der finnische Gastdirigent Jukka-Pekka Saraste begleitete mit der Kapelle aufmerksam und arbeitete viele Details sorgsam heraus, so dass das ganze Werk, so schwierig es für manchen Hörer zu erfassen sein mag, eine große Einheit bildete. Im OEuvre der Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch nimmt die 4. Sinfonie c-Moll, Opus 43 eine Sonderstellung ein. Nach den beiden avantgardistischen und wesentlich kürzeren Vorgängerwerken sprengt Schostakowitsch in Länge, Besetzung und emotionalem Gehalt die Grenzen - die "Vierte" ist ein episches Wunderwerk, das im Ausdruck zwischen sensibel auskomponierten Soli, ostinaten Flächen und brutalsten Tutti-Ausbrüchen pendelt. Saraste nahm die Tempi sehr genau und formte eine kontrastreiche und konsequente Interpretation, die ruhiges Ausspielen der solistischen Passagen ebenso einschloss wie bohrendes Insistieren vor den Steigerungen. Beeindruckend war das eingeschobene Presto des 1. Satzes und vor allem der weich genommene Höhepunkt des letzten Satzes. Im 2. Satz nahm die Kapelle Sarastes "con moto" nicht wirklich ab, so dass es einige Temposchwankungen gab, diese waren auch in der Allegro-Thema des Schlusssatzes zu beobachten. Diese Sinfonie ist ausladend und schwer, doch vor allem in den Bläsern vermochte ich steigerungsfähige Passagen zu erkennen; eine intensivere Kontrolle von Saraste hätte an mancher Stelle (Flötenduo und Posaunensolo im 4. Satz) sicher geholfen.

Montag, 29. Mai 2006

Chopin auf chinesisch: Bravo!

Yundi Li begeistert in der Semperoper
Die Zukunft gehört China. Diese These hört man aus der Wirtschaft immer wieder, doch in letzter Zeit staunt man ebenso über musikalische Talente aus dem Reich der Mitte. Im Jahr 2000 gewann der Pianist Yundi Li den renommierten polnischen Chopin-Wettbewerb und startet einen Triumphzug rund um die Welt. Längst zählt er zur ersten Garde der Konzertpianisten, vor allem mit Interpretationen der Klaviermusik von Frédéric Chopin. Li begeisterte in der nahezu ausverkauften Semperoper am Samstagabend vor allem mit seinem von Natürlichkeit geprägten Spiel, was er gleich zu Beginn in der Sonate C-Dur KV330 von Mozart demonstrierte. Mit diesem Komponisten wird er noch wachsen, denn die graziöse Verspieltheit ist zwar eine Facette dieser Sonate, in der dynamischen Bandbreite und der Akzentuierung von harmonischen Ausflügen Mozarts kann Li sicher noch mehr gestalten. In der Romantik liegt Li's große Stärke, Robert Schumanns "Carnaval" begann er so ungestüm, dass Schumanns geniale Formung dieses pianistischen Bilderbogens gleich zu Beginn offenlag. Diese Stringenz der Darstellung, für die Li keinerlei Allüren benötigt, überzeugte bis zum letzten Ton, ein Schumannsches Presto nimmt er beim Wort und findet trotz rascher Temperamentwechsel auch zu stillen, fein ausgestalteten Momenten. Anders liegt der Fall bei Franz Liszt, dessen H-Moll-Sonate Yundi Li wie eine scharfkantige, monströse Skulptur modellierte. Zwischen den hemmungslos vorgetragenen Oktavkaskaden und den fortissimo-Abgründen der Themen fand Li vor allem zum ermattenden Schluss hin eine eindringliche Klangformung. Dann endlich Chopin - das "Andante spianato und Grande Polonaise brillante" kann man sich vollendeter nicht vorstellen. Li findet bei diesem Komponisten genau die Nuance zwischen virtuoser Brillanz und kantabler Gestalt und hinterließ ein jubelndes Auditorium. Von diesem Pianisten wird man hoffentlich noch viele derart packende Konzerte hören.

Info: Bei der "Deutsche Grammophon" ist u.a. ein Album mit Werken von Scarlatti, Mozart und Schumann erschienen.

Frühlingsopfer und Sommerfest

Japan Philharmonic Orchestra mit Akutagawa, Mendelssohn und Strawinsky

Dass die europäisch geprägte Orchesterkultur auch in Japan mittlerweile eine Tradition hat, läßt sich am Jubiläum des Japan Philharmonic Orchestra ablesen: 50 Jahre besteht das Ensemble in diesem Jahr und ist in seiner Heimat einer der renommiertesten Klangkörper mit einem umfangreichen Konzertangebot. Zu den Musikfestspielen konnte man diesem Orchester bereits beim Eröffnungskonzert lauschen - im Kulturpalast stellten die rund einhundert Musiker ihr Tourneeprogramm vor, das sie am Wochenende auch beim Prager Frühling vorstellten. Der Komponist Yasushi Akutagawa (1925-1989) dürfte hierzulande nahezu unbekannt sein. Das "Triptychon für Streicher" aus dem Jahr 1953 ist repräsentativ für einen japanischen Kompositionsstil, der vor allem von melodischer Entwicklung und prägnanten Rhythmen geprägt ist. Die hohe Spielkultur des Orchesters zeigte sich hier bereits deutlich, der langjährige Chefdirigent des Orchesters Ken-Ichiro Kobayashi formulierte seine Absichten sehr temperamentvoll. Die zwanzigjährige Mayu Kishima gestaltete dann den Solopart in Felix Mendelssohn-Bartholdys Violinkonzert. Die in Deutschland studierende Japanerin zeigte einen großen Ton auf der Geige, konnte aber mit ihrer Kraft nicht immer haushalten, so geriet der 1. Satz zu einem Stierkampf, bei dem der Sinn für Details auf der Strecke blieb. Kobayashi fuhr zudem den Orchesterpart auf einen lediglich im Hintergrund wabernden Teppich zurück, das raubte dem bekannten Stück jeglichen Reiz. Im langsamen Satz störte Kishimas unflexibles, hartes Vibrato, der 3. Satz versöhnte jedoch mit Spielfreude und vor allem technischer Präzision. Diese Präzision, gepaart mit Homogenität in den Instrumentengruppen und einem regelrechten Solotanz von Kobayashi am Dirigentenpult führte dann zu einem exorbitant wuchtigen "Sacre" von Igor Strawinsky. Mit einer äußerst exakten Akzentuierung kam Kobayashi dem heidnischen Duktus dieser Musik erschreckend nahe, diese Lesart des "Frühlingsopfers" hätte wohl auch dem Komponisten Freude bereitet. Mit unmissverständlichem Vorwärtsdrang in den Steigerungen führte diese Interpretation zu berechtigt großem Jubel, der noch eine Steigerung erfuhr, als die Japaner als Zugabe ein "japanisches Sommerfest" mit wildem Trommelfeuer zelebrierten. Musik aus einem sehr fernen Land, ganz plastisch und faszinierend.

Montag, 15. Mai 2006

Über und unter Wasser

Schumann, Strauss und Mussorgski im 10. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden

Ein buntes Programm romantischer Orchestermusik wartete auf den Besucher des 10. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle am Sonntagvormittag. Als ewiger Repertoireknüller erfreuen die "Bilder einer Ausstellung" von Modest Mussorgski in der Orchesterfassung von Maurice Ravel Publikum und Musiker gleichermaßen. Seltener auf den Konzertprogrammen zu finden ist hingegen das Oboenkonzert von Richard Strauss. Ähnlich den Konzerten von Martinu oder Vaughan Williams ist es sehr transparent und kammermusikalisch komponiert, das Soloinstrument wird in breiten Melodiebögen verwendet. Strauss' Spätwerk ist für den Hörer trotz seiner kantablen Seligkeit nicht einfach zu erschließen, es bedarf guter Interpretation, um die erweiterte Harmonik und die oft am Rande der Leichtfüßigkeit dahinplätschernden Themen plastisch auszugestalten. Da kann man sich bei der Staatskapelle auf souveränes Handwerk verlassen, der französische Gastdirigent Emmanuel Krivine brauchte kaum eingreifen, zudem war Bernd Schober, Solooboist der Kapelle, als Solist ein kundiger und klangintensiver Sachwalter der Strauss-Partitur. Mit Übersicht und Ruhe gestaltete er die Bögen aus, Tonansätze gelangen selbstverständlich, auch die Höhe des Instrumentes klang warm und wurde in die Linie eingebunden. Da drängten sich die Parallelen zum Hobby Schobers nahezu auf, denn der Oboist tauscht gerne einmal das Instrument mit der Taucherausrüstung und gleitet souverän durch Meerestiefen. Im Restaurant der Semperoper kann man nun eine Ausstellung mit faszinierenden Unterwasserfotos von Bernd Schober bewundern. Sinn für Farben und Details zeigt er bei beiden Aktivitäten, für welche ihm vor allem eines zu wünschen ist: Immer genug Luft. Emmanuel Krivine, der die Staatskapelle in dieser Woche auch bei zwei Gastkonzerten in Ljubljana und Ferrara leiten wird, ließ dem Oboenkonzert die "Manfred"-Ouvertüre von Robert Schumann vorausgehen und gab bei seinem Debut bei der Kapelle mit diesem Werk seine Visitenkarte ab: ein durchweg warmer, in der Dynamik zwischen Streichern und Bläsern gut ausbalancierter Klang und genaue Darstellung der Emotionen waren hier zu beobachten, wenngleich Krivines etwas gezackter Dirigierstil gewöhnungsbedürftig erscheinen mag. In Mussorgskis bestens bekanntem Werk setzte Krivine auf Natürlichkeit, das eingangs erklingende Trompetensolo der Promenade (Mathias Schmutzler) unterstrich diese Interpretationshaltung, die von Bild zu Bild ungetrübten Genuss zuließ, lediglich die Katakomben wirkten mir ein wenig zu gemeißelt; im Holzbläsersatz gab es ganz selten einmal eine Unstimmigkeit in schnellen Passagen. Im finalen "Tor von Kiew" wurde dann die gesamte Klangpracht des Orchester ausgefahren, ein begeisterter Applaus des Auditoriums war die zwingende Folge.

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