Rezensionen

Freitag, 29. September 2006

Den Jubilaren gehuldigt

1. Kammerabend der Staatskapelle mit Matthias Wollong und Gerald Fauth

Normalerweise halten die Kammerabende der Sächsischen Staatskapelle Dresden ein buntes Programm in gemischten Besetzungen bereit - diesmal bestritt Konzertmeister Matthias Wollong die Saisoneröffnung dieser Reihe alleine und widmete sich drei vielgespielten Komponisten, deren Jubiläen eigentlich in diesem Jahr schon genug strapaziert wurden: Mozart, Schumann und Schostakowitsch. Wollong dürfte aber Gründe für dieses Programm gehabt haben. Zum einen bestätigte ihn ein volles Haus (was für Kammerabende nicht immer garantiert ist), außerdem wählte er von Mozart und Schostakowitsch nicht eben bekannte Werke aus. Da zudem die bekannte a-Moll-Sonate von Schumann in Wollongs sehr lässigen Interpretation eine gratwanderische Selbstverständlichkeit erhielt, konnte man von einem insgesamt spannenden Abend sprechen. Wollong betonte bei Robert Schumann den natürlichen Fluss, nicht die rhythmischen Kanten, das klang unaufgeregt und in dieser beruhigten Haltung schon fast extrem. Die Sonate A-Dur KV 526 von Wolfgang Amadeus Mozart wird nicht häufig gespielt, die Faktur ist sperrig und ungewohnt "modern", wenn man andere Sonaten des gleichen Komponisten damit vergleicht. Wollong beherrschte das Werk bis auf wenige Unsauberkeiten, nahm allerdings im 3. Satz viel Vibrato, sodass das schnurrende Rondo einige Male in dramatischer Aufwühlung eher nach Weber klang. Erfreulich, dass Wollong nach der Pause einige Präludien aus Opus 34 von Dmitri Schostakowitsch in einer Bearbeitung für Violine und Klavier aufführte. Diese Miniaturen stehen selbst in der Originalfassung selten auf den Konzertprogrammen. Wollong traf den Charakter der kleinen Stücke jedes Mal sehr exakt und zeigte hier eine unprätentiöse, angenehme Virtuosität. Wäre hier das Programm beendet gewesen, wäre der Konzertmeister der Kapelle um seine "großen Bögen" gekommen. Da aber die Sonate von César Franck den Schluss bildete, durfte Wollong nun die Geige mit großem Ton singen lassen. Positiv hervorzuheben war im gesamten Konzert Wollongs organische Zusammenarbeit mit dem Pianisten Gerald Fauth, der zunächst unauffällig und sehr sicher begleitete, im zweiten Teil des Konzertes dann eigene, passende Akzente setzte. Der zweite Satz der Franck-Sonate geriet bei beiden in der Geschwindigkeit auf die Überholspur. Was dort noch gutging, war dann im Finale eine Nervensache, die Fauth leider misslang. Doch der Mut zum Äußersten wurde mit reichem Applaus belohnt.

Montag, 18. September 2006

Walhalla kontrolliert abgebrannt

Wagner orchestral in der Dresdner Philharmonie

Zur Eröffnung der Reihe der Zykluskonzerte der Dresdner Philharmonie unter dem Thema "Mythen und Märchen" wurde am vergangenen Wochenende passenderweise ein reiner Wagner-Abend gegeben. Wagners Orchestermusik Wagners Orchestermusik als Gipfel der Romantik und Schwelle zur Moderne sei hoch geschätzt, jedoch kann ich mich nie mit rein sinfonischen Extrakten der Opern anfreunden, da Text, Gesang und Orchester bei diesem Komponisten eine untrennbare Einheit bildet und die Platzierung von Vorspielen und Zwischenspielen natürlich dramaturgischen Sinn hat. So wirkt es in dieser Sichtweise gar absurd, wenn auf das Tristan-Vorspiel gleich der Liebestod folgt. Aber die Liebhaber von Klassik-"Schmankerln" kamen in diesem Konzert durchaus auf ihre Kosten. Aus rein technisch-musikalischer Sicht war dieser Abend gelungen, interpretatorisch jedoch bleiben mir viele Fragen. Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos leitete die Opernausschnitte, die dann als nächste Folge der neuen CD-Edition der Philharmonie bei der Firma Genuin erscheinen werden. Dass die Musiker wohl wegen der CD-Aufnahme um äußerste Präzision bemüht waren, war leider zu oft im Vordergrund der Interpretation und verhinderte so ein wirklich tiefes Eintauchen in die Welten von Sängerwettstreit, Verklärung und Götter-Apokalypse. Organisches Atmen der Musik ging dabei oft verloren, Frühbeck de Burgos leistete sich nur wenige Freiheiten im Auskosten der Themen obwohl Wagner ja gerade im "Ring" und im "Tristan" fortwährenden Druck aufbaut, der aus der Harmonik resultiert: die zurückzulegenden Wege und Übergänge der Musik werden wichtig, die Horizontale von Sehnen und Streben ist das A und O bei diesem Komponisten. Dabei war der erste Teil des Konzertes in vielen Punkten mäßiger als die ohnehin Sog entfaltenden Passagen aus der "Götterdämmerung" nach der Pause. In den "Meistersingern" stand die Musik einige Male, weil innerhalb langsamer Phrasen die Bögen der Musik nicht deutlich genug gezeichnet waren. Wenn man im Meistersinger- Vorspiel zu früh zu laut wird, hat man zwar eine große Masse Klang ausgebreitet, aber das Werk nicht genügend strukturiert. Ein wahrer Schrecken ereilte mich beim folgenden Vorspiel zu "Tristan und Isolde". Ich hoffe nicht, dass das völlige Überfahren dieses Marksteins der Musikgeschichte etwa fehlenden Sekunden auf der CD geschuldet ist. Jeglicher Zauber und angekündigter Mythos ging den ersten Takten dieses genial komponierten Werkes verloren, denn hatte man sich innerlich gerade in die Cellostimme verliebt, war Frühbeck de Burgos auch schon zum dritten Ansatz dieses Themas enteilt. Ähnlich starr und durchgeschlagen wirkte auf mich der "Liebestod", bei dem eine jede Isolde in der Originalfassung kaum zu Atem gekommen wäre. Einen viel runderen und intensiveren Eindruck allerdings hinterließen die Ausschnitte aus der "Götterdämmerung". Jörg Brückner blies ein exzellentes Hornsolo, Rheinfahrt und Tod Siegfrieds waren von Frühbeck de Burgos mit Vorwärtsdrang gestaltet. Bei der Apokalypse hatte ich eher den Eindruck eines "kontrollierten Abbrennens" der Walhalla, was für eine CD-Aufnahme sicher nicht schlecht ist, aber im Live-Konzert wiederum merkwürdig starr wirkt. Wagner orchestral darf, soll und muss auf der emotionalen Ebene jedenfalls noch um einiges intensiver klingen, das Potenzial im Orchester ist vorhanden.

Montag, 11. September 2006

Hoftanz, Feuerzauber und Lustbarkeiten

Wiederaufführung der "Vier Jahreszeiten" von Johann Christoph Schmidt im Großen Garten

Für den an der Dresdner Stadtgeschichte interessierten Bürger halten die hiesigen Museen und historischen Bauten eine Fülle von Material bereit, doch vor Schaukästen und Tafeln stehend muss man die Imagination bemühen. Das höfische Zeitalter in Dresden jedoch unmittelbar nachzuempfinden war bisher in zweifelhafter Weise etwa mit barock verkleideten Touristenführern möglich. Im Rahmen des Stadtjubiläums wurde mit vereinten Kräften nun eine Begebenheit aus dem 18. Jahrhundert plastisch und mit dem Willen zur Authentizität aufgeführt: Anlässlich der Trauung von Maria Josepha und Kurprinz Friedrich August II. im August 1719 fanden in Dresden Festivitäten statt, zu welchen die Aufführung des Divertissements "Les Quatre Saisons" des damaligen Hofkapellmeisters Johann Christoph Schmidt (1664-1728) im Großen Garten zählte. Am Samstagabend fand ebenda die Wiederaufführung statt. Während Barockopern italienischer Prägung heutzutage allerorten präsentiert werden, sind die an französischen Vorbildern orientierten "Opéra-Ballets" eher selten auf den Bühnen zu finden, schon gar nicht in einer solch galant-vornehmen Lesart, wie der des Choreographen Ingolf Collmar. Im ausverkauften Palais geriet die Wiederaufführung zu einer Demonstration höfischer Lebensart weit über die Bühnenhandlung hinaus. Der Raum verschmolz mit dem Werk, theatralische Lustbarkeit in der Pause gehörte ebenso dazu wie ein wahrhaft barockes Bodenfeuerwerk - belegt ist, dass auch 1719 im Großen Garten Feuerzauber entfacht wurde. Selbiger drang auch aus dem Orchestergraben. Unter Leitung von Ludger Rémy spielte das Orchester "Les Amis de Philippe" eine zupackende, aufführungspraktisch äußerst kundige und spannungsgeladene Interpretation einer Musik, die ich kaum einem deutschen Komponisten damaliger Zeit zugetraut hätte - Rameau und Lully lugten hier stark durch die Partitur, damit zeigte diese Aufführung nachdrücklich die Verbindungen zu Versailles. Einfühlen muss sich der Zuhörer auch in die handlungslose, kontinuierliche Huldigung, die in Gesang und Tanz von der Bühne schwebt: die Jahreszeiten und Götter erscheinen in persona und verkünden ausschließlich gute Laune und Feststimmung. Constanze Backes war da als Venus/Flora eine Idealbesetzung und sang mit betörender Natürlichkeit. Ebenso angenehm wirkte Christine Maria Rembeck, während bei den Herren nur Egbert Junghanns vor allem in seiner Rolle als "Winter" glänzte, Reinaldo Dopp, Henning Klocke und Christopher Jung blieben stimmlich blass und konnten den Anforderungen der Partitur nicht durchweg gerecht werden. Souverän meisterte ein kleiner Chor (Einstudierung: Tobias Mäthger) die jeweiligen Schlusssequenzen der Partien. In der Regie von Ingolf Collmar waren besonders die originalgetreu rekonstruierten Tänze spannend, die Mitglieder des Dresdner Hoftanzes e.V. repräsentierten auf der Bühne das sächsische Volk. Nach der rundum gelungenen Aufführung rieb man sich verwundert die Augen und brauchte erst einmal eine Weile, um die 287 Jahre "zurück" in die Gegenwart zu bewältigen.

Dienstag, 5. September 2006

Solopreciosen und Canzonetten

Hammerflügel-Musik erklingt auf Schloss Batzdorf

Bei den Barockfestspielen auf Schloss Batzdorf gab es in diesem Jahr nicht nur Barockoper und Schauspiel sondern auch wieder Nachmittagskonzerte mit Kleinodien aus alter Zeit. Leider waren diese Veranstaltungen am vergangenen Wochenende nicht gut besucht, vor allem Christoph Hammer spielte sein Soloprogramm für Hammerflügel in sehr familiärer Atmosphäre, was der Spannung aber keinen Abbruch tat, denn das Publikum lauschte konzentriert und wusste die Darbietung zu schätzen. Hammer hatte ein sorgsam ausgewähltes Programm "rund um Mozart" ausgewählt, also innerhalb der Blütezeit des Hammerklaviers. Außerdem hatten sämtliche vorgestellten Komponisten ebenso wie Mozart in diesem Jahr ein rundes Jubiläum, bloß: man kennt sie nicht. Grund genug für Hammer, diese Werke in Wort und Ton vorzustellen. Der kleine Streifzug durch die Geschichte des Hammerflügels begann in Italien bei Giovanni Battista Martini (300. Geburtstag), führte über Michael Haydn (200. Todestag), Joseph Martin Kraus (250. Geburtstag), Carl Cannabich (200. Todestag) hin zu Mozart selbst. Absolut überzeugend, mit wenigen Unreinheiten im Spiel, gelang Hammers Darstellung der z.T. verliebt spätbarocken, z.T. in Manier der Wiener Klassik vereinfachten Klaviersätze. Dass man diese Komponisten vernachlässigt, ist schändlich, weist doch bereits die harmonische Faktur von Carl Cannabich Variationen G-Dur über eine beliebte Opernweise nahezu eine "Mannheimer Wolfsschluchtszene" auf. Kraus' schwedischer Tanz antizipiert dagegen schon das Charakterstück des 19. Jahrhunderts. Bei Mozarts Sonate B-Dur, KV 333 vergaß der Zuhörer fast, dass der Pianist keinen modernen Konzertflügel nutzte, so farbig war die Gestaltung Christoph Hammers, überdies war ein Anton-Walter-Instrument, das als Kopie im Konzert gespielt wurde, im Besitze Mozarts, sodass ein authentischer Eindruck entstand. Am Sonntag erweiterte sich das Programm auf das Liedgenre zwischen Telemann und Beethoven. Sebastian Knebel saß diesmal am Hammerflügel, Britta Schwarz gestaltete die zwischen Empfindsamkeit und Ironie schwankenden Liedtexte mit gut geführter Stimme und deutlichem, manchmal zu ausladendem Ausdruck. Ein Zufall, dass am Sonntag erneut die kleine Mozart-Fantasie d-Moll erklang. Doch was Hammer als emotionsgeladenes Materialdepot zeichnete, vermochte Knebel nicht zu erreichen. Das Buchstabieren der Noten war hier, in den f-Moll-Variationen von Haydn wie auch in vielen Liedern des Konzertes ermüdend und ärgerlich, auch ein trauriger Text wie "The Wanderer" von Haydn muss nicht zum Ertrinken in Langsamkeit führen. Nahezu alle Lieder des Konzertprogramms verblieben an der Unterkante der Tempomöglichkeiten, selbst die bekannte "Abendempfindung" von Mozart erlahmte. So war Zusammenhang schwer herzustellen und die ausführliche Gestaltung von Britta Schwarz war zwar in manchen Liedern adäquat (etwa in der "Einsamkeit" von Telemann), aber auf Dauer eben ohne Höhepunkte oder besondere Schattierungen. Damit wurde man dem klassischen Lied, das in besonderer Weise die Entwicklung zwischen spätem Barock und früher Romantik widergibt, nicht gerecht.

Montag, 21. August 2006

Mozart "auf leisen Sohlen" extrem spannend musiziert

Kammerorchester Basel unter Paul McCreesh gastierte in der Frauenkirche

Während die Dresdner Musikergarde saisonal bedingten Urlaub genießt, erlebt man an den Konzertorten der Stadt viele sommerliche Gastspiele renommierter Künstler. Kaum ein Dresdner verirrte sich daher am Sonnabend zum Konzert in die Frauenkirche, diese war fest in Touristenhand, und diese Hände bekam der Musikgenießer auch lautstark zu spüren. Die Unart, nach jedem Satz einer Sinfonie, in Liederabenden der Semperoper sogar nach jedem noch so kurzen Lied, in ein Getöse von Beifall auszubrechen, verhagelt den Musikgenuss und ist für Musiker wie für das in Ruhe genießende Restpublikum höchst ärgerlich. Das Häppchenkulturradio bestimmt die Zielrichtung: nicht das ganze Werk zählt, nicht die Atmosphäre des "Nachhörens" nach einem Satz oder Kontraste und Zusammenhang zu begreifen - läßt der Dirigent die Arme sinken, rast das Publikum. Nicht weil es toll war, sondern weil man sich nicht anders zu helfen weiß. So ist hier von einem hochrangigen Konzert zu berichten, bei welchem die Musiker nur zu bewundern waren, die nach jeder Klatschattacke wieder zurück zur Musik gefunden zu haben. Das Kammerorchester Basel unter der Leitung von Paul McCreesh näherte sich einem Mozart-Programm auf sehr kundige, absolut faszinierende Weise. Paul McCreesh hat spätestens mit seiner kürzlich erschienen Aufnahme der c-Moll-Messe von Mozart bewiesen, dass seine fundamentale Erfahrung mit barocker Musik Aufführungen der Wiener Klassik um spezielle Sichtweisen durchaus bereichert. McCreeshs Tempi waren sehr schnell, aber nie überzogen. Ein stetiger Wechsel zwischen konsequent ausgeführter schwerer und leichter Betonung schafft Spannung. Das prägnante, nicht romantisierende Spiel hatte zudem den Effekt, dass Mozart locker und luftig blieb, erstmals hatte ich in der Frauenkirche das Gefühl, dass Musiker sich die schwierige Akustik souverän zu Nutze machten. Der 2. Satz der Sinfonie C-Dur KV 338 etwa war als fein gesponnene Romanze auf äußerst "leisen Sohlen" inszeniert, McCreesh wagte nicht einmal ein mezzoforte, man wurde zum Hinhören gezwungen, das Konzept ging auf. Der französische Geiger Renaud Capucon hatte keinen weiten Weg zur Kirche, denn er ist derzeit als gefeierter Kammermusiker im Moritzburg Festival aktiv. Was er aus Mozarts Violinkonzert G-Dur KV 216 herausholte, war schlicht beeindruckend. Sein leichter, fließender Ton, die Zwiesprache mit dem Orchester, die Themenformung, all dies bildete große Natürlichkeit aus. Dieses zarte Werk verdient keine schwere Emphase, die vitale Spiellaune von Orchester und Solist formte eine formidable Interpretation. Mozarts "Opus Summum" der sinfonischen Gattung, die "Jupiter"-Sinfonie C-Dur, KV 551, bildete den Abschluss des Konzertes. Die drei Tuttischläge zu Beginn zeichnete Paul McCreesh als Einheit und gab so die Zielrichtung vor: das sehr schnelle, niemals forcierte Tempo führte zu größeren Bögen und machte die Architektur der Sinfonie plastisch. Harmonische Übergänge nahm der Dirigent nicht selbstverliebt verlangsamend, sondern selbstverständlich, fast Klausel-ähnlich. Die Wirkung ist immens. Niemals aber vergaß McCreesh dabei das Atmen und Schwingen der Musik und erreichte so einen organischen Fluss. Solch eine in allen Orchestergruppen nachvollzogene Deutung sollte eigentlich in der Mozart-Rezeption mittlerweile Standard sein, läßt sich aber wohl nur in darauf spezialisierten, hochrangigen Ensembles wie dem Kammerorchester Basel realisieren.

Mittwoch, 9. August 2006

Konzert ohne Grenzen

Junge Deutsch-Polnische Philharmonie Niederschlesien gastiert in der Kreuzkirche

Sechs Jahre gibt es sie schon, die Junge Deutsch-Polnische Philharmonie Niederschlesien, welche Musiker aus Deutschland und Polen vereint und jedes Jahr im Sommer ein Konzertprojekt mit Konzerten diesseits und jenseits der Grenze veranstaltet. Regelmäßig führt dabei der Weg auch nach Dresden, diesmal war es das Abschlusskonzert der einwöchigen Tournee. In der konzertarmen Sommerzeit ist das Konzertpublikum erfreut über solch ein Gastspiel, so war die Kreuzkirche recht gut gefüllt. Die schwierige Akustik der Kirche war ein wenig problematisch für die Musiker, die dynamische Balance war nicht immer gegeben. Das Programm war in diesem Jahr von nicht so hohem Anspruch, wie man es bisher von diesem jungen, temperamentvollen Orchester kennt. Zeitgenössisches war diesmal gar nicht vertreten, ich weigere mich, die belanglose Suite "Colas Breugnon" von Tadeusz Baird als solche anzuerkennen. Die höchstens als Bühnenmusik tauglichen barockartigen Stilversatzstücke machten auf dem Konzertpodium keine gute Figur, obwohl Katarzyna Jablonska (Flöte) ihre wenigen solistischen Parts gut spielte. Der herausragende Erfolg von Wojciech Kilars Werk im letzten Jahr bewies jedoch, dass gerade jugendliche Musiker zu zeitgenössischer Musik einen unverkrampften, lebendigen Zugang haben, insofern hätte man sicher ein anspruchsvolleres Werk wählen können. Auch die anderen Werke des Abends stellten für die Musiker keine wirklichen Herausforderungen dar, denn mann muss konstatieren, dass im Orchester ein hervorragendes Niveau vorherrscht, die Streicher klingen sehr ausgewogen und die Werke waren gut einstudiert. Jan Jakub Bokun am Pult führte zunächst durch die ausgelassene "Festliche Ouvertüre", Opus 96 von Dmitri Schostakowitsch. In Mozarts Sinfonia Concertante Es-Dur KV 297b waren einige Male Temposchwankungen zu hören, Bokun hätte außerdem in diesem Raum prägnanteres Spiel fordern können. Die Solisten Karolina Kownacka (Oboe), Mateusz Maszynski (Klarinette), Urszula Moc (Fagott) und Maciej Baranowski (Horn) begingen mit diesem Werk sozusagen ihren Abschied von dem Orchester und stellten ihre musikalischen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis; da war die Solokadenz des 1. Satzes ebenso eine Freude wie der vital musizierte 3. Satz. Eine Zusammenstellung aus der "L'Arlesienne-Suite" von Georges Bizet bildete den Abschluss des Konzertes, hier überzeugte vor allem das warm timbrierte "Adagietto". Herauszuheben gilt, dass sich hier länderübergreifend in jedem Sommer junge Musiker für mehrere große Konzerte zusammenfinden, diese glückliche Verbindung jenseits aller Grenzen gilt es unbedingt aufrechtzuerhalten.

Unter dem Brennglas

Haydn, Mendelssohn und Mozart mit dem Minguet-Quartett

Vier Instrumente, vier Stimmen. Eigentlich eine überschaubare Sache. Doch es ist höchste Kompositionskunst, ein Streichquartett zu schreiben und was da nur scheinbar so leicht über die Bühnenrampe kommt, ist auch für Interpreten stets eine immense Herausforderung. In der Reihe "Musik an den Höfen des Meißnischen Landadels" gastierte im vollbesetzten Saal von Schloss Proschwitz bei Meißen das Minguet-Quartett (Köln/Düsseldorf). Der Applaus am Ende schien mir fast zu höflich, wusste man denn im Meißner Lande überhaupt, wen man vor sich hatte? Das Minguet-Quartett (Ulrich Isfort und Annette Reisinger, Violine; Irene Schwalb, Viola; Matthias Diener, Cello) hat sich in den letzten Jahren zu einem der führenden Streichquartette in Deutschland gemausert, stil- und programmsicher hat dieses Quartett vor allem eines: eine hohe Spielkultur und einen starken, wiedererkennbaren Charakter. Souverän erarbeitet und dennoch mit dem Mut zum Konzertrisiko waren die Interpretationen: der "Vater" des Streichquartetts, Joseph Haydn, wurde hier nicht wie oft als Einspielstück missbraucht sondern gleich wie unter einem Brennglas durchleuchtet, in feingesponnene Fäden zerlegt und wieder zu großem Zusammenhang gefügt. Schade, dass zeitgenössische Musik bei diesem Konzert nicht gefragt war, denn diese ist eines der Hauptbetätigungsfelder des seit 1997 in dieser Besetzung spielenden Quartetts - derzeit etwa spielen die Musiker alle zwölf Streichquartette von Wolfgang Rihm ein. Und doch war der "zeitgenössische Zugang" selbst in Mendelssohn-Bartholdys 2. Streichquartett a-Moll deutlich zu hören: die Akustik optimal ausnutzend wurde die Dramaturgie stimmig angelegt, die phänomenalen Satzschlüsse etwa und das kommunikative Zuwerfen der musikalischen Bälle waren stets spannungsgeladen. Ganz selten einmal gerieten vorwärtsstürmende Passagen in gefährliches Terrain, doch die nächste bei allen vier Spielern optimal unter Kontrolle gehaltene Passage machte das mehr als wett. So formt sich aus Sätzen und Werken ein großes Klangbild, das dem Hörer weitaus mehr erklärt als eine verbale Partituranalyse dies leisten könnte. Das erste der so genannten "Haydn-Quartette" von Mozart, G-Dur KV 387, stand am Schluss des Programms, die Interpretation jedoch schlug besonders im kernigen Andante cantabile fast einen Bogen zu Beethoven. Wer Mozart als "verspielt" verkennt, sollte dessen Streichquartette hören, und dies am besten mit dem Minguet-Quartett. Mit der "Canzone" von Erwin Schulhoff als Zugabe in den Abend entlassen, war man um mindestens eine Weisheit reicher: auf dem Lande spielt die Musik, und dies hochklassig.

Montag, 31. Juli 2006

Elfmal lebendige Gegenwart

"Ensemble Aleph" im zweiten Konzert des 4. Internationalen Forums für junge Komponisten

Zwei Wochen lang probierte das französische "Ensemble Aleph" in Hellerau mit insgesamt elf Komponisten, deren Stücke nun in zwei Konzerten im Kulturrathaus zum ersten Mal erklangen. Das allein ist schon als große Leistung zu bewerten, denn bei jedem neuen Notenstapel auf dem Pult ist eine neue Welt zu entdecken, sind neue Klänge zu erzeugen, zählen andere Herangehensweisen an die Musik und deren Umsetzung. Elfmal lebendige Gegenwart also, die im Konzertergebnis noch mit einigen weiteren Werken ergänzt wurde. Auch im zweiten Konzert am Sonntag begann das Konzert mit Ensemble und Duowerken jenseits des "4. Internationalen Forums für Junge Komponisten", wieder war es eine Mischung von "klassischen" Werken Neuer Musik (in diesem Fall Erwin Schulhoffs "Duo" für Violine und Cello) und äußerst verschiedenen Werken neuerer Provenienz. Iannis Xenakis' "Charisma" blieb aufgrund der schroffen Klangstruktur ebenso im Gedächtnis wie Klaus Kühnls plastische Wunderhorn-Welt in "Hommage à Schubert" und Helena Tulves fein gesponnenem "In a nakht fun yeridah". Nach der Pause dann die sechs "Newcomer" auf dem Komponistenparkett, von denen einige bereits große "Schulen", Kurse und Wettbewerbe durchlaufen hatten, was (leider?) auch in den Stücken hörbar wurde und nicht eben zu eigenem Charakter beitrug. So war Vassos Nicolaous (Zypern) "Réflexions 2" ein nicht eben faszinierendes Werk konstruktivistischer Natur. Die Eindimensionalität der Ästhetik zeigte sich hier auch oft in den Einführungen der Komponisten, die ständig davon sprachen, welche Ebenen und Elemente, welches Material und welche Metaphorik gleich zu hören sei. Doch Spannung entsteht in der neuen Musik am besten in der nonverbalen Ebene, im Nachspüren der Klänge und Formen durch das Ohr. Für viele Ideen waren die sieben Minuten Werkdauer glatt zu wenig: Abel Paùls (Spanien) "weiße Flecken" in der Partitur hätten gerne mehr Zeit benötigt, Jasna Velickovics (Serbien) Auseinandersetzung mit Tschaikowskys Ballett "Dornröschen" wirkte in der gedrängten Fülle ebenfalls zu komplex, als dass die Spannung wirklich getragen hätte. Sie war aber wiederum die einzige, die sich auf den gefährlichen Boden mit "bekannten Klängen" begab und meisterte diese Aufgabe, ohne platt zu wirken. Stilsicher und konsequent im Formaufbau stellte sich das als Miniatur-Trompetenkonzert konzipierte "Limites II" von Eduardo Moguillansky (Argentinien) dar, bevor ähnlich wie im letzten Konzert ein stark an "Les Noces" von Strawinsky erinnerndes, der provokanten Lautheit geschuldetes Werk "Con Furore" von Filippe Perocco (Italien) das Konzert beschloss. 19 Kompositionen bildeten in den zwei Konzerten ein wundersames Kaleidoskop zeitgenössischer Musik, Sensationen waren nicht zu erwarten, doch die Faszination lag mehr in der einzelnen Linie, möglicherweise in einem einzelnen getupften Klang und in der hervorragenden Interpretation durch das "Ensemble Aleph".

Dienstag, 25. Juli 2006

Monströs, aber unverkrampft

Ensemble Aleph im Konzert des 4. Internationalen Forums für Junge Komponisten

Nach Deutschland hat das renommierte französische "Ensemble Aleph" sein 4. Internationales Forum für junge Komponisten verlegt, in Hellerau erarbeiten seit einer Woche insgesamt elf Komponisten ihre Werke mit den Musikern. Als Prolog für die Eröffnung des Festspielhauses sollte man dieses Forum nicht bewerten, dafür war die Resonanz leider viel zu gering, das erste von zwei Konzerten zog gerade einmal ein Häuflein Interessierter in das Kulturrathaus. So war es eher ein sommerliches Intermezzo zeitgenössischer Musik, die in Hellerau wieder im Herbst ihren großen Auftritt haben wird. Doch das Forum versteht sich vorrangig auch als Workshop, es ist die erste Begegnung zwischen Komponisten und Interpreten und dieser Arbeitsphase schließen sich in den kommenden Monaten Konzerte in ganz Europa und eine CD-/Buchproduktion an, denn das Komponistenforum versteht sich auch als Sprungbrett für junge Schreibtalente. Zu überdenken ist die monströse Konzeption des 155minütigen Konzertes. Offenbar um sich zunächst selbst als Ensemble vorzustellen, spielten die französischen Musiker im ersten Teil Kompositionen von Igor Stravinsky, John Cage, Age Hirv und Jean-Pierre Drouet. Wenn dies wie im Fall von Stravinskys "Suite Italienne" auch interpretatorisch nicht ausreichend ist, fragt man nach dem Sinn solcher Zugaben. Die rhythmische Leichtigkeit fehlte hier ebenso wie ein exaktes Zusammenspiel (5. Satz). Die Pianistin Sylvie Drouin beeindruckte dann mit den "Sonatas and Interludes" von Cage, die Ensemblewerke von Drouet und Hirv gaben schon einmal die Visitenkarte eines munter und unverkrampft aufspielenden Ensembles ab. Im zweiten Teil stellten sich dann sechs Komponisten des Forums vor, die Zeitdauer der Werke war in der Ausschreibung auf sieben Minuten Spieldauer begrenzt, was eine besondere Herausforderung darstellt, denn manch einer generiert in einer solchen Zeitspanne gerade einmal sein Material, während andere die kurze Zeit mit überschäumender Dichte füllen. Beide Extreme waren zu hören, auf der einen Seite die mikroskopischen "Descriptions d'un Espace" des Schweizers André Meier, auf der anderen Seite ein in konsequenter Lautheit durchgehaltener "Song of Anna O." des Argentiniers Juan Manuel Abras. Dazwischen gab es reichlich zu entdecken, alle Komponisten boten interessante Ideen an, eine Bewertung fällt aufgrund der Kürze der Werke schwierig aus: farbig und spannungsvoll gab sich Alexandre Lunsquis "Mutuus", Yann Robins "Phigures II" wirken noch etwas unkontrolliert-impulsiv, wiederum kontrastiert von der Dresdner Komponistin Karoline Schulz, die eine sensible Klangwelt für ihren vertonten Text fand. Das Zirkusstück des Dänen Casper Cordes fiel ein wenig aus dem Rahmen, war aber in seiner plastischen Gestik erfrischend. Hochachtung vor dem "Ensemble Aleph", das sich allen Werken mit großer Selbstverständlichkeit widmete und auch um halb elf noch nicht müde war, seinem Cellisten ein Geburtstagsständchen der zeitgenössischen Art zu widmen.

Zweites Konzert des "Internationalen Forums für Junge Komponisten": 30. Juli, 20 Uhr, Kulturrathaus

Montag, 10. Juli 2006

Musikalisches Mahlwerk in der Mühle

Konzertpremiere mit dem Stahlquartett in der Bienertmühle

Seit dem 7. Juli ist der Bienertmühle (ehemalige Hofmühle) in Dresden-Plauen wieder Leben eingehaucht. Nach der Renovierung und der Neukonzeption des Gebäudes in ein Kulturzentrum, das Museum, Ausstellungs- und Konzertort sowie Gastronomie vereinigt, wurde die Bienertmühle am Freitag feierlich der Öffentlichkeit übergeben, die das Haus auch sogleich in Besitz nahm. Obwohl bereits die Meisterschülerausstellung der Hochschule für Bildende Künste, die in den Räumen der Mühle bis 30. September zu sehen ist, eine Toninstallation präsentiert, fand die konzertmäßige Einweihung einen Tag später statt. Mit der Musik kehrt Leben in die Räume ein, und die Möglichkeiten zur Ausgestaltung sind groß. So fand das Konzert des Stahlquartettes nicht im fünfstöckigen Hauptgebäude statt, sondern im Maschinensaal in einem Flügel des unsanierten Nachbargebäudes. Im Hauptgebäude werden indes die meisten der zukünftigen Konzerte stattfinden; die Akustik und die unterschiedliche Raumgestaltung jeder einzelnen Etage sind nahezu ideal für experimentellen Zugang, für Raum-Musik an der Grenze zwischen den Künsten. Aber auch klassische Kammermusik wird dort einen intimen Rahmen finden, denn die Räume vertragen ein kleines Publikum und bieten Konzentration. Im unsanierten Maschinensaal nebenan harmonierte das brüchige Industriegelände natürlich mit den Stahlinstrumenten hervorragend. Zahlreiche Plauener nutzten die Gelegenheit, "ihre" Mühle einmal wieder zu besuchen und zu begutachten, welch frischer Wind dort nun weht. Die "Zeitmusik", die der Komponist und Saxophonist Bertram Quosdorf gemeinsam mit dem Stahlquartett (vier faszinierend klingende "Stahl-Celli", entwickelt von Jan Heinke) und Robby Langer (Sprecher) vorstellte, ist eigentlich für das Stadtjubiläum entstanden und wird dort auch am 21. August komplett uraufgeführt. So fehlte dieser Voraufführung das Finale und an einigen Stellen wird auch noch zu feilen sein, insofern verbietet sich ein Gesamturteil - die Verbindung von etwas datenlastigen Geschichtstexten auf einem Ritt von der Stadtgründung bis in heutige Zeiten mit der mal schockierend platten, mal zauberhaft stimmungsvollen Musik irgendwo im stilfreien Raum zwischen Jazz und Klassik angesiedelt mag sicher kontrovers diskutierbar sein, als Einstieg in die hoffentlich vielfältige zukünftige Klang-Welt der Bienert-Mühle schien sie mir ideal, zumal kleine unauffällige Loops einem unaufhörlichen Mahlwerk sehr nahe kamen. Am 1. September wird ein Konzert mit Cello und Akkordeon diesen gelungenen Auftakt fortsetzen.

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