Donnerstag, 3. Juni 2010

Starke Schwestern

Baiba und Lauma Skride begeistern mit Recital im Palais

Eine allein würde ja uns schon für feinsten Musikgenuss genügen. Die junge Geigerin Baiba Skride beschert uns seit einigen Jahren rassige Interpretationen, während ihre Schwester Lauma Skride als feinsinnige Entdeckerin am Klavier gilt. Dementsprechend weckt natürlich ein Konzert der lettischen Schwestern Erwartungen. Natürlich versteht man sich beim familiären Stelldichein fast blind und nimmt jede körperliche Regung des Partners wahr, doch sorgen gerade die unterschiedlichen Temperamente und Erfahrungshorizonte in musizierenden Familien-Ensembles für eine äußerst kreative Spannung. Das Konzert von Baiba und Lauma Skride im Palais im Großen Garten bestätigte diesen Eindruck. Baiba war oft der vorantreibende, energische Part, während Lauma kontrollierter wirkte und vor allem das dynamische Zusammenspiel zur Rundung brachte. Drei Sonaten völlig unterschiedlicher Couleur hatten die beiden Damen ausgewählt: Mit Werken von Schubert, Ravel und Schostakowitsch waren überraschenderweise weder die großen Klassiker der Sonatenkultur vertreten noch stand ein leichtfüßiger Piècen-Abend bevor. Und bereits die recht konventionelle D-Dur-Sonate von Franz Schubert durchwehte eine Art leichter Ernst, der nicht mehr weichen sollte - Baiba und Lauma Skride gaben sich der Musik vollends hin und wollten sich beim Musikfestspielgastspiel keinesfalls mit oberflächlichem Glanz zufrieden geben. So hielt sich Lauma Skride hier am Klavier noch zurück - die Schubert-Sonate bekam so einen ganz luftig-weichen Charakter. Die Violinsonate von Maurice Ravel hingegen Violinsonate ist ein ziemliches Unikat: die rasch wechselnden Farben und Spielarten gingen die Schwestern souverän und mit einigem Risiko an. So bekam man im Blues angesichts knallharter Pizzicati einige Male Angst um Baibas Saiten, sie fand aber am Ende dieses Satzes zu extremer Zartheit zurück, um anschließend in furioser Manier mit ihrer Schwester durch den 3. Satz zu jagen. Dass beide die Sonate bei dieser Leidenschaftlichkeit noch klar strukturierten und immer wieder zu schwebendem Spiel fanden, nötigt höchsten Respekt ab. Nach der Pause stand dann der Beitrag zu "Russlandia" auf dem Programm - die späte Violinsonate von Dmitri Schostakowitsch zählt wohl zu den traurigsten und auch verstörendsten Werken dieses Genres. Baiba und Lauma Skride erreichten einen Grad der Versenkung in dieses Werk, die die Zuhörer nachhaltig erschütterte. Vom dünnhäutigen einstimmigen Einstieg des 1. Satzes über die ziellose Cholerik des Mittelsatzes bis hin zum Schock der separierten, verzweifelten Solo-Ausbrüche beider Musiker im 3. Satz war dies eine große Interpretation, bei der Baiba mit oft scharfer Tongebung und trockenen Pizzicati die Partitur bis auf die Knochen führte. Lauma Skride war in allen drei Sätzen atmend präsent, leiseste melodische Passagen von Baiba Skriede wiesen immer Linie und Ziel auf - so demonstrierten beide die Unaufhaltsamkeit der musikalischen Aussage bis zum verzitterten, sich in Sprachlosigkeit flüchtenden Schluss dieses Meisterwerkes. Nach dieser Sonate hätte man den Konzertabend gerne beenden mögen, doch "Schön Rosmarin" von Fritz Kreisler flatterte als erste Zugabe von der Bühne, als ob vorher nichts gewesen wäre. Sollte darin eine Botschaft versteckt gewesen sein, so die, dass sich das Leben weiterdreht, erst recht im Tanze, wie die zweite Zugabe (Bartók) bewies. Starke Schwestern.

Mittwoch, 2. Juni 2010

A380 in Dresden

Selten so nasse Füße gehabt. Und ohne Grund werde ich auch wohl nicht nochmal einen Marsch von Weixdorf nach Hellerau bei so einem Wetter machen. In der Sonne wären auch die Bilder sicher schöner geworden. Sei es drum, hier ist der Airbus A380 bei seinem kurzen Aufenthalt in Dresden heute:









Brahms in Moskau

Emanuel Ax und das Russische Nationalorchester in der Semperoper

Das zweite Wochenende der "Russlandia"-Musikfestspiele hatte einmal mehr orchestrale Leckerbissen zu bieten, dazu gab es beim zweiten Gastspiel des Russischen Nationalorchesters die (Wieder-)Entdeckung des russischen Komponisten Sergei Tanejew (1856-1915), der sehr zu Unrecht mehr Bekanntheit als Lehrer denn als Komponist erlangte. Im Konzert in der Semperoper stand aber zunächst das 2. Klavierkonzert B-Dur Opus 83 von Johannes Brahms auf dem Programm. Dabei stand natürlich der großartige Solist Emanuel Ax im Vordergrund, aber auch die klangfarbliche Behandlung der Partitur des Russischen Nationalorchesters ist erwähnenswert. In diesem spezifischen Gesamtklang sind kulturelle und historische Besonderheiten natürlich einzubeziehen, und so klingt dieser Brahms eben für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig: die Streicher sind in höheren Lagen oft eng und obertonarm, die Holzbläser formen einen eher abgedunktelten Klang. Das Tutti klingt robust, solistisch kann den Russen ohnehin keiner etwas vormachen - eher fremdartig wirkt eine stark terrassenartige Abstufung der Haupt- und Nebenstimmen. Emanuel Ax, sonst auf der anderen Seite der Erdkugel zu Hause, musizierte gut mit dem Orchester und seinem Gründer und Leiter Michail Pletnjow zusammen. Bezüglich emotionaler Tiefe hatte Ax allerdings einen gewaltigen Vorsprung gegenüber dem recht brav begleitenden Ensemble. Seine Interpretation darf man durchaus als saftig bezeichnen, aber dies im besten Sinne pro Johannes Brahms. Die ersten beiden Sätze strotzten vor Kraft und Männlichkeit, überschritten aber nie die Grenze zum Poltern oder zum demonstrativen Virtuosentum. Dafür ist Ax viel zu sehr interessiert an Entstehen und Vergehen des musikalischen Flusses und das war meisterlich etwa im 3. Satz ausgeführt. Der Pianist ließ sich auch nicht vom kontinuierlich zwischen den Sätzen klatschenden Publikum aus der Ruhe bringen und brachte das Konzert zu einem gebührenden Abschluss. Nach diesem Kraftakt war um so staunenswerter, dass Ax die (schon im langsamen Satz mit wunderbarem Solo brillierende) Cellistin vom ersten Pult zu sich rief und sichtlich gelassen dem Publikum mitteilte: "Wir spielen noch ein bißchen Schumann" - auswendig und mit dem Rücken zur ebenso souverän musizierenden Dame aus dem Orchester erklang ein Satz aus den "Phantasiestücken". Die Koppelung mit Sergei Tanejews Sinfonik erschien sinnfällig, denn hier sind harmonisch und kontrapunktisch enge Verwandtschaften zu beobachten. Unergründlich ist mir, warum dieses Werk es kaum von westlichen Orchestern gespielt wird, an Spannung, Seele und vielen typisch russischen Klangfarben fehlte es nicht. Michail Pletnjow führte mit ernster Miene und effizient-sparsamer Zeichengebung durch die Partitur und konnte sich aufmerksamer Reaktion im Orchester sicher sein. Schön, dass man hier erfahren konnte, dass Brahms in Moskau ganz anders klingt und die russische Seele nicht nur aus Tschaikowski-Melodien schöpft.

Imposanter Klassiker

Camille Saint-Saëns Orgelsinfonie im Frauenkirchen-Kapellkonzert

Wie bekommt man Freunde der Orgelmusik und Freunde der hochromantischen Sinfonik an einen Tisch? Oder anders gefragt: wie läßt sich die Frauenkirche fast bis auf den letzten Platz füllen? Richtig: man spielt die 3. Sinfonie c-Moll Opus 78, die "Orgelsinfonie" von Camille Saint-Saëns, einen imposanten Klassiker, der dennoch aufgrund seines Aufwandes selten erklingt. Wenn Raum, Orgel und Orchester dann noch eine so glückliche Verbindung eingehen, wie im Kapellkonzert am Sonnabend, das im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele stattfand, sind die Zuhörer begeistert. Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin, mehrfach bereits Gast der Sächsischen Staatskapelle, leitete eine überzeugende Aufführung, die trotz der bekannten akustischen Schwierigkeiten für den Orchesterklang das Optimum erreichte. Nézet-Séguin sparte nicht mit Vorwärtsdrang, legte die feurigen letzten beiden Sätze mit straffem Tempo und ordentlich Pomp an, ließ aber in den immer wieder sanft aufsteigenden Streicherthemen Ruhe walten. Es war keine Überraschung, dass sich die Kern-Orgel gleichrangig in den Orchesterklang mischte. Samuel Kummer sorgte für eine jederzeit präsente Farbgebung ohne das Instrument im Tutti verschwinden zu lassen, der warme Soloeinsatz im langsamen Satz geriet andächtig. Mit vollem Werk der Orgel und kraftvollem Einsatz von Schlagzeug und Blechgruppe war somit großer Beifall am Ende garantiert. Vor der Pause stand ein weiterer Klassiker auf dem Programm. Die hoch gelobte Geigerin Arabella Steinbacher sprang für den erkrankten Leonidas Kavakos in Ludwig van Beethovens Violinkonzert als Solistin ein. Während Saint-Saëns allerdings natürlich musizierten Esprit versprühte, entschieden sich Nézet-Séguin und Steinbacher bei Beethoven für die denkbar langsamste Variante der Darbietung. Natürlich gibt es kein abgesichtertes Falsch oder Richtig in der Tempowahl, aber zumindest Beethovens Tempoangaben und die rhythmisch-motivische Anlage geben eine Richtung vor. Doch im 1. Satz hatte bereits die Einleitung tiefromantischen Charakter und ein klar durchgehaltenes Allegro non troppo war dies keinesfalls: Steinbacher retardierte an jedem Phrasenende, insbesondere am Übergang zur Durchführung und bei triolischen Figuren. Nézet-Séguin folgte mit raumschwelgerischem Ausbreiten der Themen, so dass irgendwann auch die Tuttipassagen nicht mehr präzise genug gerieten. Das Larghetto geriet im völligen Adagio-Duktus einige Male fast zum Stillstand. Der Vorteil dieses Musizierens lag natürlich auf der Hand: Steinbacher konnte im Kirchenraum mit großem Klang und absolut sauberer Intonation intensivst gestalten, fremdartig wirkte dann die plötzliche Virtuosität der Kreisler-Kadenzen. Die Brillanz des Werkes blieb dem klar und frisch gespielten 3. Satz vorbehalten. Wieviel Feuer in der Solistin loderte, zeigte die zugegebene "Obsession" von Eugène Ysaÿe. Eine wenig mehr dieser nach vorne gerichteten, spannungsgeladenen Haltung hätte der Beethoven-Interpretation gutgetan.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Extrem leidenschaftlich - Russische Romanzen mit Mischa und Lily Maisky in der Semperoper

Am Morgen des Pfingstmontages begaben sich die Zuhörer des Musikfestspielkonzertes in der Semperoper auf eine Reise in die wohl authentischsten Klangwelten Russlands. Denn ähnlich wie das deutsche Kunstlied mehrere Epochen der Musik geprägt und entwickelt hat, ist die russische Romanze eine eigene Kunstform, die sogar bis in die Gegenwart von Sängern und Komponisten gepflegt wird. Unzählige Romanzen wurden im 19. Jahrhundert gedichtet und vertont, Liebeswonne, -leid und intimster Klagegesang bilden darin eine Einheit und schwingen sich in den Kompositionen von Tschaikowsky und Rachmaninov zu höchster Meisterschaft auf.

Bereits vor vier Jahren hat der große Cellist Mischa Maisky einige dieser Romanzen eingespielt, er widmete sich ihnen auch im ersten Teil seines Konzertes in der Semperoper. Flüssige Übergänge zwischen den einzelnen Stücken schufen quasi ein großes russisches Liebeslied mit vielen Strophen und Facetten, wobei Maisky jedes Lied behandelte, als ginge es um sein persönliches Schicksal, das mit zumeist ersterbenden Schlußtönen seine Besiegelung fand. In atemberaubender Schlichtheit gestaltete Maisky die zarten Anfänge vor den oft gewaltigen Steigerungen in den Mittelteilen der Romanzen, so dass man trotz fehlender Texte die jeweiligen Gefühlswelten direkt von den von Maisky extremst gestalteten Tönen abnehmen konnte, es waren eben "Lieder ohne Worte" par excellence.

Am Klavier begleitete seine Tochter Lily kundig und aufmerksam, aber manchmal zu farblos, das änderte sich auch bei den pianistisch anspruchsvolleren Rachmaninov-Romanzen nur wenig. Mischa Maisky hingegen steigerte sich hier zu intensivster Klangmodellierung und ließ die Elegie, Opus 3/1 vor der Pause zum Höhepunkt werden.

Ein einziges Werk stand danach auf dem Programm: Dmitri Schostakowitschs Cellosonate d-Moll erhielt schon allein eine spannende Qualität durch die Nachbarschaft zu den Romanzen. Maisky wurde denn auch nicht müde, die melodischen Linien mit unbändiger Kraft des Bogens auszusingen. Allerdings legte sich die Dominanz der Interpretation oft so stark über die Partitur, dass - verbunden mit etlichen zum Teil unerklärlichen Freiheiten, die sich die Musiker in Tempogestaltung und Agogik nahmen - die Stimme Schostakowitschs vor allem im ruppigen Scherzo kaum noch zu erkennen war. Hier hätten beide zugunsten von klarer Tongebung und formaler Transparenz ihre Über-Leidenschaft etwas zurückfahren können, die trocken-lakonische Atmosphäre, die vor allem die Ecksätze bestimmt, wollte sich nicht einstellen. Zudem enttäuschte Lily Maisky hier auch mit einem kaum souverän bewältigten Klaviersatz. Das Publikum erklatschte sich noch weitere drei Romanzen, in denen Solisten und Zuhörer gemeinsam schwelgen durften, allerdings setzte ein Defekt der Klimaanlage in der dritten Zugabe einen unrühmlichen Schlußakzent unter ein ansonsten vor Spannung und Leidenschaft berstendes Konzert.

Mahlers Schatztruhen - Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck gastierte in der Semperoper

Das kam genau richtig. Mitten in einem "Russlandia"-Programm gastierte das Pittsburgh Symphony Orchestra bei den Dresdner Musikfestspielen in der Semperoper. Damit gelingt den Festspielen nicht nur der orchestrale Seitenblick "übern Teich", man bekommt in diesem Jahrgang zudem einen tiefen Einblick in die Orchesterkultur diverser Länder. Im Programm gab es ein Paradestück für Sinfonieorchester - aber eben auch einen bekannten Prüfstein: Gustav Mahlers 1. Sinfonie D-Dur. Zudem gesellte sich den Amerikanern der Intendant der Musikfestspiele, Jan Vogler, als Solist zur Seite und musizierte das Schumannsche Cellokonzert.

Schön und fortführungswürdig ist, dass im Programmheft einige persönliche Worte des Solisten zum Interpretationsansatz zu finden waren - auf diese Weise erhellten sich einige musikalische Aspekte, die ansonsten möglicherweise fraglich geblieben wären: denn was Schumann selbst als "durchaus heiteres Stück" anpries, bürstete Vogler ordentlich gegen den Strich. Da musste im ersten Satz auch im Zusammenspiel mit dem Orchester erst ein gemeinsamer Klang gefunden werden und Vogler formte aus dem unaufhörlichen Notenstrom eine große Rede, in der es um Behauptung, vielleicht auch Befreiung ging. So blieb die Cellostimme auch im langsamen Satz groß und erhaben, wirklich intime Elementen fand Vogler eigentlich erst im letzten Satz, in welchem auch von der Komposition her mehr Licht durchschimmert. Diese Interpretation lief sicher konträr zu bekannten romantischen Sichtweisen, als intensiv-temperamentvolle Auseinandersetzung mit den Schumannschen Charakteren erschien sie in summa überraschend legitim.

Manfred Honeck, seit zwei Jahren Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra, konnte bereits in der Begleitung den silbrigen Glanz seines Ensembles hervorlocken und spielte dann in der Mahler-Sinfonie die Stärken des Klangkörpers voll aus. Die Aufführung geriet für Honeck zum Triumph, laut jubelte das Festspielpublikum und erklatschte sich drei Zugaben: neben dem unvermeidlichen ungarischem Tanz und einer echten Wiener "Libelle" fehlte auch nicht der augenzwinkernde Walzergruß an den Hauskomponisten der Semperoper. Mahlers sinfonischer Erstling jedoch ist lediglich im finalen Satz ein phonstarker Garant für Applausstürme - das Stück birgt einige Schatztruhen in sich, die Honeck eine nach der anderen liebevoll öffnete und mit präzisen Impulsen zum Klingen brachte.

Fantastisch sitzende Harmonik im Blech war ebenso zu bewundern wie eine in allen Sätzen fast lasziv ausmodellierte Piano-Melodik in den Streichern. Auf der Stuhlkante sitzen ohnehin alle Musiker; Freude und Hochspannung sind da in den Gesichtern abzulesen, just als würde man das Stück gerade aus der Taufe heben. Satter Zugriff im Scherzo und fahl schimmernde Nachtmusik im langsamen Satz - diese Kontrastpaare kumulierten im letzten Satz an der spannungsgeladenen Nahtstelle aller Motive der Sinfonie. Manfred Honeck krönte die Europa-Tour seines Orchesters mit einem umjubelten Gastspiel in Dresden und ist mit dieser hinreißenden Interpretation ohne Zweifel in der Reihe der ganz großen Mahler-Dirigenten angekommen.

Kurzweilige Moderne - Enno Poppe, Liza Lim und George Crumb im KlangNetz-Konzert

Beim an der Musikhochschule beheimateten KlangNetz Dresden konnte man am Mittwoch vor Pfingsten wieder einmal einem Konzert des Projektensembles lauschen. Der Fokus des Ensembles liegt auf den großen und dennoch wenig bekannten Meisterwerken, die für Kammerensemble im 20. und 21. Jahrhundert geschaffen worden sind - ein mittlerweile unüberschaubares Füllhorn zeitgenössischer Musik, aus dem manchmal einige Perlen auftauchen.

Die Kooperation mit der Philharmonie erfuhr im Projekt ebenso eine Fortsetzung wie der Vermittlungsgedanke, der sich in Einführung oder Interview wiederfindet. Die Wiederholung des Hauptwerkes am Ende des Konzertes führt indes zu einer veränderten Hörwahrnehmung und sollte eigentlich Pflicht für viele ähnliche Darbietungen werden. Doch der Normalfall eines Neue-Musik-Konzertes sieht zweieinhalb Stunden Überfall mit mindestens fünf Uraufführungen vor, kein Wunder, wenn da das Publikum gerne das Weite sucht. Man muss selbiges immer noch suchen, auch in der Hochschule für Musik fanden sich leider viele Reihen leer.

Wer anwesend war, konnte ansprechenden Interpretationen folgen: Enno Poppe dirigierte zweimal sein eigenes Werk "Öl 1" und verwahrte sich nicht gegen entstehende Assoziationsräume. Der Fluss der Töne und ihre Vielgestalt in der Beziehung zur Natur waren hier überzeugende Kompositionsmerkmale, die einen Spannungsbogen bis hin zum verschwindenden Schluss entstehen ließen. Anders die australische Komponistin Liza Lim (*1966), deren Programmheftnotizen von Spiritualität und Farbenschimmern wie auch der Werktitel "Songs found in a Dream" den Hörer völlig in die Irre führten. Was Poppe dort gerade noch im Interview als "expressive Qualität" herausfilterte, kam als höchst abstraktes, skulpturales Kunst-Werk daher - eine Annäherung im ersten hörenden Nachvollzug misslang. In beiden Werken mühten sich die Musiker keinesfalls an den außerordentlich tückischen Partituren ab, es herrschte im Gegenteil eine verstehende Leichtigkeit vor. Dabei wurde im Ensemble gut aufeinander gehört, fast erschien mir das "Öl 1" gar zu sensibel in der Klanggebung der Steigerung, dies verbesserte sich aber in der etwas griffigeren zweiten Aufführung.

In der Mitte stand einsam und allein die frühe Cellosonate des Amerikaners George Crumb. Genausogut hätte man Lachenmanns Schubert-Variationen kommentarlos dorthin setzen können - Frühwerke ohne Kontext entbehren nicht eines gewissen Amusements. So wagte sich diese Cellosonate kaum aus dem Schatten etwa von Bartók oder Britten heraus. Ihre Berechtigung hatte sie aber dennoch: zum einen weiß man nun, wie Crumbs spätere spannungsgeladenen Klangfarbenexperimente ihren Anfang nahmen. Und zum anderen freute man sich über eine vollkommen souveräne, spielerische Interpretation von Matthias Bräutigam.

Dienstag, 18. Mai 2010

Falsche Anbetung

Nun ja, das Lebenswerk von Swjatoslaw Richter ist unbestritten - ein Jahrhundertpianist. Dass aber ausgerechnet eine Saint-Saens/Gershwin-Aufnahme aus dem Jahr 1993 posthum vom britischen Musikjournalisten Norman Lebrecht (Rezension ->>) 5 Stars erhält will mir nicht in den Kopf. Mehr noch, ich beginne zu zweifeln ob Lebrecht überhaupt die CD gehört hat?! Oder ist das hier eine politische Freiheitsdemonstration der besonderen Art, bei der die Interpretation völlig nebensächlich ist? Wer Richters Charakter kennt und sich etwas intensiver auch mit Gershwin auseinandergesetzt hat, muss bereits beim ersten Hören dieser CD zu dem Schluss kommen, dass hier eine äußerst unheilige Eheschließung vollzogen wurde. Gershwin murdered by Richter, anders kann ich den Eiswürfel-Auswurf aus meinen Lautsprechern nicht beschreiben. Und schaue mir lieber noch einmal eine Interpretation an, die sich gewaschen hat und ein Gershwin-Verständnis aufbaut, das mir zigmal lieber ist als das metrisch korrekte Kegeln von Eschenbach und Richter.

† Yvonne Loriod

Zur Erinnerung an Yvonne Loriod, die gestern 86jährig in Paris verstarb. Bei Twitter schrieb ein User: "Heute trauern die Vögel" - wie wahr. Hier der 9. Satz der Turangalila-Sinfonie in einer historischen Aufnahme mit Hans Rosbaud und dem SWR Sinfonieorchester (Ginette Martenot, Ondes)



Nachrufe
* The Guardian
* Le Monde

Montag, 17. Mai 2010

Himmel und Hölle

Sinfonie von Allan Pettersson im 7. Sinfoniekonzert der Mittelsächsischen Philharmonie

Das Außergewöhnliche scheint am Freiberger Theater mittlerweile nicht nur zur lustvollen Pflicht, sondern gar zur Kür zu geraten. Neben dem ganz normalen Betrieb vom Kindertheater über Schauspiel und Repertoireoper entdecken die Theatermacher vergessene Opern (Franco Alfano) oder widmen sich zeitgenössischer Kammerkunst (Benjamin Schweitzer). Die Sinfoniekonzerte der Mittelsächsischen Philharmonie stehen diesem Willen zur Vielfalt in nichts nach.

Just ist ein Konzert mit beiden Klavierkonzerten von Maurice Ravel passé, da widmet sich das Orchester im 7. Sinfoniekonzert einem Komponisten, der sehr zu Unrecht im Schatten der Musik des 20. Jahrhunderts steht: Allan Pettersson (1911-1980) ist selten in den Konzertsälen zu hören, doch immer wieder trifft man begeisterte Zuhörer, die dessen Sinfonik als beispiellos und tief emotional beschreiben. Grund genug für GMD Jan Michael Horstmann, die 7. Sinfonie des Schweden zu präsentieren, ein Werk, mit dem der Komponist 1968 einen internationalen Durchbruch errang - neun weitere vollendete Sinfonien folgten diesem. Innerhalb von Sachsen dürfte die Darbietung der 7. allerdings eine Erstaufführung gewesen sein.

In der gut gefüllten Nikolaikirche in Freiberg kamen die flächig-ostinaten Blöcke der Sinfonie akustisch gut zur Geltung und dem Orchester ist hoher Respekt zu zollen. Die Sinfonie taumelt eine Dreiviertelstunde zwischen Hölle und Himmel und verlangt den Musikern großes Können ab. Immer wieder sucht Pettersson die Extremlagen, breitet vor dem Zuhörer eine zuweilen hoffnungslose Weltsicht mit hemmungslosem Wirbel des Schlagwerks aus, um dann in fast tonalen Abschnitten "den Gesang wiederzufinden, den die Seele einst verloren hat". Schön, dass Horstmann neben einer Einführung auch direkt vor der Aufführung der Sinfonie einen berühmten Brief von Pettersson zitierte, der klarmachte: Weghören gilt hier nicht. Und das Freiberger Publikum hörte staunend und konzentriert diesem sinfonischen Monolog zu; am tröstlichen Ende verharrte es in der Stille, bevor der Philharmonie großer Beifall für diese Entdeckung gezollt wurde.

Die Koppelung mit Jean Sibelius Violinkonzert d-Moll erschien sinnfällig, denn hier strahlt nicht nur ein ähnlich ernsthaft-melancholischer Geist, es gibt auch einige Ähnlichkeiten in der Kompositionsweise von Verläufen und Abbrüchen. Die aus München stammende Geigerin Rebekka Hartmann spielte ihren Solopart mit sinnlicher Tiefe und beherztem Zugriff, immer aber technisch souverän. Ihr charaktervolles Spiel offenbarte einen Zugang zum Stück, der das Ausmusizieren der Linien zuließ und sich melodischen Details sorgfältig widmete. Das erfreute auch die Zuhörer, die Hartmann nicht ohne zwei Zugaben (Kreisler und Bach) entließen. Mit ebensolcher musikalischer Sorgfalt stellte Horstmann die bekannte Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg an den Beginn des Konzertes und zeigte hier exemplarisch die Fähigkeiten seines engagierten, gut ausgehörten und aufmerksamen Ensembles.

Sonntag, 16. Mai 2010

Vorwärts und rückwärts: Tempora mutantur

Haydn, Morawitz und Gushchyan im Konzert von Sinfonietta Dresden

Beim dritten Konzert der neuen Reihe "Spiegelungen" der Sinfonietta Dresden widmeten sich Musiker, Komponisten und Rezitatorin diesmal dem Thema Zeit. Zeit-Kunst als Gestaltungsmittel der Musik ist mal mehr, mal weniger im Vordergrund des Focus der Komponisten. Aber schon der Einsatz einer Generalpause, einer Fermate, eines offensichtlich "zu langen" Tones läßt uns in der Musik aufhorchen und wir beschäftigen uns mit der (komponierten) Zeit. Literatur und Malerei sind indes in der Lage, sich ihr betrachtend und reflektierend zu nähern, wenngleich auch Phänomene wie Erinnerung, Zerfall oder Vorausschau mit der Zeit spielen und sie zum Gegenstand erheben. Joseph Haydn hat wenig Probleme, auf die Zeit aufmerksam zu machen: es genügen einige Stillstände und Pausen, um ein ganzes sinfonisches Gefüge aus der Bahn zu werfen, ob ironisch-absichtsvoll oder ernsthaft-irritierend, bleibt offen. Ekkehard Klemm und die Sinfonietta arbeiteten mit Unterstützung von Helga Werners Rezitation von Christian Morgenstern (der sich übrigens kongenial mit Haydn verbindet) die Besonderheiten der 64. Sinfonie "Tempora mutantur" heraus. In der Klangkultur des Ensembles ist in der Genauigkeit der Phrasierungen und der Grundintonation Potenzial vorhanden, dies betraf diesmal sowohl die klassische wie die neue Musik und dürfte zeitlichen wie besetzungstechnischen Gründen geschuldet sein. Die Platzierung der Sinfonie ziemlich genau in der Mitte des Programms erzeugte eine weitere "Korfsche Uhr", vorwärts und rückwärts weisend. Den Rahmen bildete Neue Musik, und auch die Textauswahl war hier mit Dzevad Karahasan und Ingeborg Bachmann avancierter und sorgte für eine eigene Ebene von Denkanstößen. Überhaupt war die Auswahl derart inspirierend, dass eine genaue Quellenangabe im Programm künftig zum Wiederauffinden und Weiterlesen empfohlen sei. Zu Beginn erklang eine Uraufführung des Dresdner Komponisten Alexander Morawitz. "Arktisches Licht" hebelt auf seine Weise die Zeit aus, denn in nordischen Gefilden scheint sie oft stillzustehen, gigantische Standbilder rufen fast automatisch Klänge hervor. Ob sich diese eigenen Vorstellungen mit den Fantasien von Morawitz decken, war die spannende Frage beim Zuhören. Dies hätte aber auch nur funktioniert, wenn Morawitz eine illustrative sinfonische Dichtung geschrieben hätte. Einige Male, etwa im unisono-Abschnitt oder in besonders flächigen, irisierenden Passagen, näherte er sich diesem Genre gefährlich, aber das Stück bezog seine Stärke durch die ungezwungene Neugier auf subtile Klanglichkeit und natürlich auch durch das recht offenbare "Vergessen" der Zeit. In der Wirkung des Werkes trat eine Problematik durch eine klangliche Unschärfe auf, bei der nicht immer klar war, ob sie absichtsvoll durch den Komponisten geformt war. Ganz anders verlief die Begegnung mit dem Armenier Arman Gushchyan (*1981). Dessen Kammersinfonie "Erlangung" spart nicht mit gewaltig aufgetürmten Klangmassen und fasziniert im ersten Teil durch spannungsgeladene solistische Passagen. Der Komponist exerziert einen Übergang zwischen verschiedenen Stilistiken und landet schließlich - zu Hause, denn gerade die armenische Musik ist stark traditionell bezogen. Diese melodisch-melancholischen Elemente waren dann auch sehr stimmungsvoll eingesetzt, wurden allerdings zum Schluss hin zu sehr in finaler Bombastik vereinnahmt. Ekkehard Klemm und das Ensemble zeigten erneut großen Einsatz für ein dramaturgisch hervorragend ausgearbeitetes Programm. Die Überschneidung mit dem gleichzeitig im selben Haus stattfindenden Konzert von "Lied in Dresden" demonstrierte einen eng gestrickten Terminkalender der Dresdner Musikkultur, der an manchen Stellen besserer und langfristigerer Absprachen bedarf.

Dienstag, 11. Mai 2010

Allan Pettersson erklingt in Freiberg und Döbeln

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Es gilt ein besonderes Konzert anzukündigen, nicht so sehr, weil ich mich seit nunmehr 20 Jahren für den Komponisten und seine Musik engagiere, aber vor allem, weil Konzerte mit Werken von Allan Pettersson (1911-1980) rar sind und somit eine Aufführung einer Sinfonie von Pettersson immer ein Ereignis ist. Das liegt vor allem an der Faktur seiner Sinfonien, einsätziger Riesenblöcke, die Musiker, Dirigenten und Zuhörern äußersten Einsatz abverlangen. Wer sich aber mit offenen Ohren dieser ungewöhnlichen, 150%ig emotionalen Musik hingibt, könnte nicht nur eine neue Hörerfahrung erleben, sondern im Innersten berührt werden. Ich wage sogar zu behaupten, dass Pettersson einem auch die Augen für andere (zeitgenössische) Musik öffnet. In Sachsen gab es 1997 ein Konzert mit Petterssons Kammermusik im damaligen Zentrum für zeitgenössische Musik an der Schevenstraße, eine Sinfonie dürfte in sächsischen Breitengraden bisher nicht erklungen sein. Um so erfreulicher, dass die Mittelsächsische Philharmonie sich nun der 7. Sinfonie (1968) annimmt, einem Hauptwerk Petterssons, mit dem er erstmals breite, internationale Anerkennung fand. Jan Michael Horstmann dirigiert das Orchester am 13. Mai in der Nikolaikirche Freiberg (Beginn 19.30, Einführung 19 Uhr) und am 14. Mai im Theater Döbeln (Beginn 20 Uhr, Einführung 19.30). Außerdem erklingt die Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg und das Violinkonzert von Jean Sibelius (Solistin Rebekka Hartmann).

Mehr über Allan Pettersson bei der Seite der Internationalen Allan Pettersson Gesellschaft
(Foto: Gunnar Källström)

Samstag, 8. Mai 2010

Morgenstund...

...hat Dampf im Mund. Und für die Fotos musste ich nicht einmal das Wohnzimmer verlassen ;)



Dienstag, 4. Mai 2010

Sport

Der liebste Schreiber-Sport (weil man mal so überhaupt nicht auf den Inhalt achten muss...): der Speed-Test

Du schreibst 415 Zeichen pro Minute
Du hast 73 korrekt geschriebene Wörter und
Du hast 2 falsch geschriebene Wörter

Du hast 318 Punkte erreicht, damit befindest du dich auf Platz 3845 von 49494.

Book me now! ;)

Montag, 3. Mai 2010

Subtiler Beobachter seiner Zeit - Ernst Kreneks Chorwerke in einer neuen Aufnahme



"Der Weg, der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden." - Mit diesen Worten von Franz Kafka begrüßt der RIAS-Kammerchor den Hörer flüsternd und behutsam Töne formend den Hörer auf der kürzlich erschienen CD mit Motetten und Chorwerken von Ernst Krenek (1900-1991). Übertragen auf Atem der Spannung erscheint der Kafka-Satz fast wie ein Motto, denn auf dem Seil stolpert und wankt der Chor nicht, er tanzt und zaubert. Das, was sich im Endprodukt so leicht und traumwandlerisch anhört, muss ein gehöriges Stück Arbeit gewesen sein. Krenek auf diesem Niveau zu musizieren, das erreichen bei ohnehin rar gesäten Aufnahmen nur wenige Ensembles. Hans-Christoph Rademanns Engagement für den Komponisten reicht weiter zurück - bereits vor acht Jahren musizierte er die "Kantate auf die Vergänglichkeit des Irdischen" mit dem Dresdner Kammerchor, der sich auch früher schon Chorsätzen des Komponisten annahm.

Großes Unrecht tut man dem Komponisten, wenn man ihn lediglich in der "Schönberg-Nachfolge" wahrnimmt. Krenek war zeitlebens offen für alle Stilrichtungen und Einflüsse, seine Jazz-Oper "Jonny spielt auf" war (zur richtigen Zeit am richtigen Ort komponiert) einer seiner größten Erfolge. Dass sich ausgerechnet seine Zwölftonmusik aber meisterlich komponiert und emotional überbordend darstellt, ist ein wunderbares Ergebnis des Hörelebnisses dieser Rademann-Einspielung. Krenek vertont Kafka (und nennt das Ganze auch noch "Motette"!), wie man ein Buch lesen würde: die Bilder stellen sich ein, das Gehirn arbeitet, erinnert, denkt, bewertet. Nichts anderes macht die Komposition, die analysiert, folgt, in Zweifel zieht, überhöht und Kafka so eine respektvolle, passende Klangwelt zur Seite stellt.

Rademann gelingt mit dem RIAS-Kammerchor eine Akkordwelt von kristallener Klarheit und Schärfe, deren Spannung Weghören unmöglich macht. In der Interpretation dieser unbekannten Chorwerke steckt viel Liebe und Sorgfalt; Rademanns hoher Anspruch führt zu einer Referenzaufnahme. Spannend überdies ist es, dieses a-cappella-Meisterwerk mit den früher entstandenen weiteren Chorwerken zu vergleichen, die z.T. zwölftönig, aber auch in freier Tonalität entstanden sind. Beides beeindruckt, vor allem, wenn die Strenge der Komposition zu ungeahnter Freiheit und von Rademann voll ausgekostetem Lyrismus führt wie etwa zu beobachten in dem Frauenchor-Stück "Et dimitte nobis" aus den "Five Prayers", Opus 97. Expressiv und freier gefügt (aber eben deswegen vermutlich nicht ganz so eindrücklich) sind die drei gemischten a-cappella-Chöre aus dem Jahr 1939. Des Komponisten respektvolle Bewunderung für die Polyphonie der alten Meister zeigt zudem eine Monteverdibearbeitung.

Fernab von allen Stilistiken, kompositorischen Finessen wirkt Ernst Kreneks Musik dort am eindringlichsten, wo der Komponist als subtiler Beobachter seiner Zeit (und die umfasst beinahe ein ganzes Jahrhundert!) zur Kunst gelangt: die "Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen" (mit Philip Mayers, Klavier und Caroline Stein, Sopran) ist immer noch ein unbekanntes Meisterwerk, Zeugnis von Humanität und Trost in ahnend-furchtbarer Zeit. Rademann spürt mit dem RIAS-Kammerchor diesen Klangwelten mit der Entdeckungsneugier, aber auch mit Respekt und Genauigkeit nach und legt uns so das Chorwerk des immer noch unbekannten Krenek ans Herz.

Ernst Krenek - Sechs Motetten nach Worten von Franz Kafka, Chorwerke Opus 22, 72, 87, 97 --- RIAS-Kammerchor, Leitung Hans-Christoph Rademann (harmonia mundi)
-- Rezension für musik-in-dresden.de --

Sin Nombre

Ok, hartgesottene Filmfreaks mögen selbst hier was auszusetzen haben, aber mich hat der Film einfach weggefegt, mitgenommen vom Anfang bis zum Ende. In Mexikos Straßenbanden gibt es Sieger und Verlierer. Bei den Flüchtlingen in die USA ebenfalls. Dazwischen: nichts. Dass diese Sicht auf die Welt (die leider in vielen Ländern und Schicksalen bittere Realität ist) im Film knallhart durchgehalten wird, ist eine der Stärken von Sin Nombre, der gerade in Deutschland angelaufen ist (übrigens die erste Synchronfassung eines spanischsprachigen Filmes, die ich erträglich finde). Cary Fukunaga guckt weiter hin, wenn eigentlich längst der Cut kommen müßte, er läßt uns in die Augen seiner Protagonisten blicken und wir erkennen Wahrheiten, die niemand sagen muss. So ist der flüchtende El Caspar bereits tot, ein Leben mit einer Frau in den USA - undenkbar. Der Film konzentriert sich auf das Schicksal von Caspar und der Flüchtlingsfamilie einige Male hat man das Gefühl eine beiläufig gefilmte Doku anzusehen. Der Zug wird zum Symbol für das Unterwegssein im Leben, aber auch für die Unaufhaltsamkeit. Mal werfen die Kinder Orangen. Aber dann sind es Steine. Springst Du ab, bist du tot. Bleibst du drauf, bist Du es auch.
Nach diesem Film muss man erstmal Luft holen, draußen irgendwo.



P.S. ein Hinweis zu der Doku La Vida Loca gehört hier unbedingt hin (gibt es auch schon auf DVD). Ich glaube, wenn man beide Filme gesehen hat, dürfte man Realität und Drehbuch kaum mehr auseinanderhalten können...

Rezensionen:
* Süddeutsche
* Stern
* FAZ

Samstag, 1. Mai 2010

Öl...NA UND...? We'll manage that.

Herr, lass Hirn regnen, diesmal bitte an die Südostküste der USA.
Eben lief auf mdr info ein Bericht über die Ölpest an der USA-Küste. Einheimische in Louisiana wurden interviewt und ich traute meinen Ohren nicht: "Na, das passiert halt." - "Wir kriegen das hin." - "Wir haben den Hurricane überstanden, dann überstehen wir auch eine Ölpest." - Fein. Liebe Amis, jagt doch gleich noch ein paar weitere Bohrinseln in die Luft, wenns euch eh egal ist. Eurem Präsidenten scheint es ja auch schnurz zu sein: Obama reist binnen 48h an die Katastrophenküste - was für eine Meldung, er WAR noch nicht mal dort und läßt sich noch zwei Tage Zeit... - Anstelle mit Menschen hätte ich lieber ein Interview mit den dort bedrohten Vogelarten gehört. Wäre gespannt, ob die auch sagen (klick) Kriegen wir hin

Sonntag, 25. April 2010

Erste Hilfe

Aus einem Unfallbericht der Westdeutschen Zeitung: "Die Führerscheine der beiden Männer aus dem BMW wurden ins Krankenhaus gebracht."

Donnerstag, 22. April 2010

Fragwürdig II

Da berichtet die altehrwürdige Tagesschau doch heute über die Wiederaufnahme des Flugverkehrs mit der folgenden Zeile im Bericht: "Die Luft ist wieder rein" - in dieser thematischen Umgebung erschreckt der Satz ob seiner Unachtsamkeit und Ignoranz gegenüber der menschengemachten, Jahr für Jahr steigenden Luftverschmutzung durch Flugverkehr. REIN war die Luft noch nie, und wenn sie sich in den letzten sechs Tagen über dem europäischen Kontinent etwas verbessert hat, so können wir allenfalls jetzt behaupten: "Die Luft ist (bzw. "wird ab jetzt") wieder verpestet" - man sollte die Tatsachen in einem seriösen Nachrichtenmagazin nicht allzusehr verdrehen. Das zeigt mir aber in trauriger Weise, wo heutzutage die Prioritäten liegen, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Journalismus.

Freitag, 16. April 2010

Fragwürdig.

Ich frage mich gerade ernsthaft, wie man angesichts solch sexistischer, billiger Werbung an den Litfasssäulen in Dresden noch im Stadtrat über Neubau oder Umzug der Operette diskutieren kann. Das Genre inszeniert sich hier selbst in einer Sabberästhetik, bei der man langsam Angst bekommt, dass sie den Werken nun doch per se innewohnt. In dem Fall erspart uns doch bitte diese Austro-Retro-Shows mit Kriegsverklärung und planmäßigem Gegrabsche im 2. Akt künftig. Musik und Handlung ist es zumeist ohnehin nicht wert (es sei denn, das Orchester besteht aus Nachschlagfetischisten). Und die alten Herren können stattdessen auch mal ein (weniger subventioniertes) gutes Buch lesen.

Man muss sich ganz hingeben - Sol Gabetta im Interview

Am Sonnabend gastiert die argentinische Cellistin und zweifache ECHO-Klassik-Preisträgerin Sol Gabettain der Dresdner Frauenkirche. Sie wird das Cellokonzert des britischen Komponisten Sir Edward Elgar (1857-1934) spielen, das auch auf ihrer jüngsten CD-Veröffentlichung enthalten ist. Alexander Keuk sprach mit der Künstlerin.

Sie haben schon öfter in Dresden gespielt - gefällt es Ihnen in der Stadt?

Ja, ich freue mich immer wieder hier zu sein. Die Stadt hat große Fortschritte gemacht - es ist viel wiederaufgebaut und die Menschen haben Vertrauen in ihre Stadt. Insofern ist es sehr eindrücklich für mich, in der Frauenkirche zu spielen, auch zum wiederholten Male. Außerdem habe ich in Dresden einen sehr guten Bogenbauer gefunden. Ich schaue mich auch gerne in der Stadt um, wenn dafür Zeit ist. Das ist leider diesmal kaum möglich, wir sind auf einer großen Tournee unterwegs...

Es gibt aber noch eine Verbindung nach Dresden, ihre "cantabile"-CD mit Opernmelodien trägt die Handschrift eines Dresdner Arrangeurs...

Ja, das ist Manfred Grafe, wir haben die CD damals in Prag aufgenommen. Er hat viele Stücke, die auf der CD zu hören sind, für mich arrangiert und hat auch gerade wieder Stücke von Prokofieff bearbeitet; er kennt die Musik genau und geht sehr liebevoll damit um.

Das berühmte Cello-Konzert von Edward Elgar, das Sie in Dresden spielen werden, klingt in Ihren Händen intensiv und dennoch sehr unangestrengt - entfaltet sich diese romantische Musik von selbst?

Ich habe das Stück sehr oft gespielt und nun auch die CD aufgenommen. Es ist hier nicht so sehr das Technische oder die Kraft, was Anstrengung bedeutet, sondern die Emotionalität. Man muss diese Welt von Emotionen, die Elgar in der Zeit am Ende des 1. Weltkriegs erlebt hat, nachempfinden und ausdrücken können. Das Stück fängt eigentlich sehr selbstsicher mit den berühmten Akkorden an und genauso selbstsicher endet es, aber dazwischen schwimmt es oft in einer Melancholie und die Musik dreht sich wie in einer Spirale. Es gibt viele abrupte harmonische Schnitte, es scheint fast unlogisch komponiert. Man konnte eben nach dem Krieg nicht einfach die Musik feiern wie Elgar es früher selbst in pompöser Weise getan hat. Diese Art von extremer Emotion an jedem Konzertabend neu aufzubauen, das ist sehr schwierig. Man muss sich komplett hingeben.

Behalten Sie bei dieser stark emotionalen Arbeit auf der Bühne den Kontakt zum Publikum?

Ja natürlich, das spürt man immer. Man kann sich aber auch täuschen lassen, manchmal ist das Publikum sehr weit weg oder man hat mit dem Raum und der Akustik zu tun. Es ist immer eine physische Distanz da und im Idealfall sollte man die Energie trotzdem spüren - es ist wie wenn man ein Bild betrachtet, da gibt es meist auch einen idealen Punkt der Distanz, an dem man alle Nuancen wahrnimmt. Es ist am schönsten, wenn sich diese Energien übertragen und die Leute auch emotional betroffen sind und so etwas mitnehmen von der Musik.

Vom Zeitpunkt der CD-Aufnahme bis heute hat sich das Stück sicher auch noch einmal verändert?

Natürlich, es ist immer so, dass auch die eigene Biographie und Erfahrungen stets mit einfließen. Wenn ich ein Stück ein Jahr nicht gespielt habe und hole es wieder heraus, klingt es dennoch ganz anders und hat eine Entwicklung hinter sich - die Entwicklung meiner Person eben, die dann dem Stück wieder ein ganz neues Profil gibt. Das ist auch eine Herausforderung, zu sehen, welche Stücke mit der Zeit wachsen, und welche nicht. Die Erfahrungen des Lebens reflektieren sich immer in der Musik...

Auf der Elgar-CD haben Sie auch das "Cellobuch" von Peteris Vasks eingespielt, ein modernes, faszinierendes Werk...

Das wollte ich seit langer Zeit schon aufnehmen und habe nach einer passenden Kombination gesucht. Obwohl das Stück aus einer ganz anderen Zeit wie Elgar kommt, ist es in der offenen Emotionalität sehr nah. Es ist Musik unserer Zeit, aber es ist wie bei Elgar Hölle und Himmel beieinander und im Kontrast. Vasks wird auch ein Cellokonzert für mich schreiben. Er schreibt sehr leicht, es sind wenige Töne, aber diese sind immer sehr intensiv, weil dort eine spirituelle Atmosphäre entsteht.

In diesem Stück singen Sie auch zu einer Cello-Melodie. Wann kommt ihre erste komplette CD mit Liedern heraus?

Ehrlich gesagt, habe ich als Kind in Argentinien sehr viel gesungen, im Kinderchor und in der Schule. Mit 10 Jahren kam ich nach Europa und habe dann nicht mehr soviel gesungen. Durch dieses Stück bin ich eigentlich auch wieder zum Singen gekommen. Ich will gar keine professionelle Sängerin werden, aber die Freiheit des Singens, die körperliche Empfindung und der pure Klang einer Stimme ist etwas sehr Schönes und das möchte ich mir für mich selbst erhalten.

In Argentinien gibt es sehr viele gute Chöre, ist die Musikausbildung dort auf einem ähnlichen hohen Level, wie wir es etwa aus Venezuela, von "el sistema" kennen?

Nein, in Argentinien gab es diese Strukturen nicht. Ich selbst habe sehr sehr früh mit der Geige angefangen. Mit viereinhalb kam das erste Cello zu mir, es war damals ein halbes Cello und es war eigentlich viel zu groß für mich, fast wie ein Kontrabass. Ich habe dann aber die Stücke, die ich kannte, einfach ausprobiert und das Cello blieb bei mir, denn das Spielen wurde später immer leichter und einfacher.

Sie spielen nun ein 250 Jahre altes, wertvolles Guadagnini-Cello...

Das ist ein Riesenglück, dass ich dieses Cello spielen darf. Es ist wie eine Verlängerung meiner Stimme. Ich merke sofort, wenn das nicht so ist. Manchmal schreit ein Instrument, auf den hohen Saiten etwa. Ich habe lange gesucht, bis ich ein Instrument fand, dass laut ist, aber eben nicht schreit. Es gibt leider noch überkommene Ansichten von Kammermusik, früher stand der Solist meterweise vor dem Klavier und das Klavier wurde zur Begleitung degradiert. Kammermusik ist ein Miteinander und ich verstehe die Leute nicht, die ein Cello wie eine Trompete hören wollen. Mein Cello hat eine unglaubliche Wärme und es ist auch genügend laut, aber es ist auch im Dvorak-Konzert nicht als Trompete komponiert.

Sie haben in diesem Jahr einen randvollen Kalender mit Tourneen, Festivals und Konzerten, zudem unterrichten Sie in Basel - wo fühlt sich die Argentinierin Sol Gabetta zu Hause?

In der Schweiz. Argentinien ist etwas anderes, ich lebe seit 19 Jahren in Europa und ich bin schon als Kind dort weggegangen. Ich fühle mich zwar verbunden, wenn ich dort bin. Aber dann bin ich zurück in meiner Kindheit und sehe die Landschaft und Häuser immer noch als Kind. Auch die Freundinnen von damals sind ja in meinem Kopf immer noch kleine Kinder, dabei sind sie längst verheiratet. Mein Leben passiert in Europa. Die Schweiz ist ein Mittelpunkt geworden, ich habe nun ein Haus mit meinem Freund, unterrichte in Basel und wir haben ein eigenes Festival in der Region. Es ist wichtig, einen Mittelpunkt zu haben, man kann nicht nur im Hotel leben, sonst verliert man sich selbst. Ich habe einmal einen Kollegen getroffen, der nur im Hotel lebt. Ich war geschockt, wie kann man denn so leben? Ich war an Ostern 10 Tage zu Hause, das war phänomenal - der Frühling geht los, ich habe die Sonne genossen und wieder richtig aufgetankt. Man braucht diese Tage einfach für die eigene Energie.

Vielen Dank für das Gespräch.

---

Konzert 17. April, 20 Uhr Frauenkirche
Sol Gabetta und das Kammerorchester Basel, Leitung Paul McCreesh


CD-Tipp: Sol Gabetta spielt Elgar, Dvorak, Respighi, Vasks
Danish National Symphony Orchestra, Mario Venzago, RCA (Sony Music)

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