Freitag, 23. Juli 2010

Oper in 140 Zeichen - Operaplot Contest

"Greek musician goes to hell and back. Wife only makes it halfway." [Orfeo e Euridice]

Auch das gibt es. Twitter verbunden mit hehrer Kunst sorgt für herrliche Unterhaltung. Ich wusste gar nichts von dem Contest, der im April 2010 bei theomniscientmussel.com stattfand. In der Printausführung gibt es ja einige amüsante Opernführer, aber diese 140-Zeichen-Versionen sind der Hammer. Zumal man einiges an Talent aufbringen muss, um die Handlungen in der Kürze des Tweets unterbringen zu können und gleichzeitig auch noch ein verbal knackiges Statement zur Oper abzugeben.
Hier die Links zu den Gewinnern des Wettbewerbes und zu allen Einträgen von A-Z. Vorsicht, Kaputtlachgefahr...

noch einer, weils so schön ist:
"They made me tsar but those bells will drive me mad. Dmitri, is that you? Sorry about the murder. More bells. I’m dying." [Boris Godunov]

Gehts noch, Herr Lohmeyer?

Soviel Menschenverachtung, Pauschalisierung, Klassendenken und Miss-Achtung anderer Menschen mit anderen Schicksalen auf einen Haufen habe ich lange nicht mehr gelesen:
Schilda im Hecht - ein Auszug daraus erschien heute in der DNN auf der Dresden-Seite, kommentar- und kritiklos, ohne Gegenargumentation, auch ohne Angabe der Quelle, wonach die Stadt im Hecht Obdachlosenunterkünfte einrichten will. Ein bedenklich stimmender Populismus ist das.

Mittwoch, 21. Juli 2010

Enorme Qualitäten

Windsbacher Knabenchor gastierte in der Frauenkirche

Die Sonnabendkonzerte in der Dresdner Frauenkirche werden auch während der Ferienzeit im Sommer fortgesetzt. Viele Besucher weilen in der Stadt, die sich die hochkarätigen Klassikkonzerte in der Kirche nicht entgehen lassen. Mit einem geistlichen, von schlichter Eleganz geprägten Programm gastierte nun der Windsbacher Knabenchor in der Frauenkirche. In der Schar der traditionsreichen Knabenchöre und Kurrenden gehören die Windsbacher zu den jüngeren Ensembles. Gleichwohl haben sie sich in ihrer bald 65jährigen Geschichte eine hohe Reputation erarbeitet und sind eines der musikalisch anspruchsvollsten Ensembles dieser Zunft.

Die Dresdner Frauenkirche ist für die Windsbacher ein gerne angesteuertes Gastspielziel und nach einigen absolvierten Konzerten ist das Ensemble überaus sicher in der Findung eines idealen Chorklanges für diesen Raum. Davon konnten sich die Zuhörer überzeugen und staunten mit Recht über eine außergewöhnliche Gesamtleistung, der eine intensive Vorarbeit vom Leiter Karl-Friedrich Beringer vorausgegangen sein muss. Im Chor weiß jeder Sänger um seine spezielle Aufgabe, sowohl seine individuelle Stimmkraft einzusetzen, als auch im Miteinander einen homogenen Chorklang zu formen.

Das Ergebnis ist beeindruckend und offenbarte sich schon im eingangs musizierten Gloria D-Dur von Antonio Vivaldi, einem dankbaren und immer wieder gerne musizierten Werk des Barock-Repertoires. Die Interpretation wurde von klug gesetzte Deklamation, klarer Phrasierung und dynamischer Arbeit bestimmt. Der leicht im Tempo überfahrene Beginn und die weniger im Focus stehende federnde Rhythmik (etwa des "Quoniam") schmälerte den guten Gesamteindruck etwas. Im "Domine Deus" von Ingeborg Danz (Alt) litt die Intonation im Continuo, das Oboensolo der Sopranarie (Jutta Böhnert - Sopran) war zu sehr romantisch aufgefasst. Überhaupt war das begleitende Münchner Kammerorchester nicht auf der Höhe seines Könnens, oft herrschte Unordnung in den Streichern und man schwankte zwischen falscher Zurückhaltung im Bassregister und barockem Individualismus auf modernem Instrumentarium. In der folgenden Bachkantate "Wer weiß, wie nahe mir mein Ende", BWV 27 hätte die verstolperte Altarie zwingend dirigiert werden müssen. Beeindruckend war hier die chorische Ausgestaltung der Ecksätze, der Windsbacher Knabenchor zeigte hier wieder eine große Palette des Ausdrucks. Markus Schäfer (Tenor) und Thomas Laske (Bass) fügten souveräne Soli hinzu, die Damen hingegen konnten nicht immer überzeugen: Danz wirkte nicht rund genug, Böhnert gab zu wenig Intensität in ihre Sopranstimme.

Nach einem etwas zu flüchtig-schnellen Beginn fand Beringer zum Abschluss des Konzertes in der G-Dur-Messe von Franz Schubert bald einen ruhig-gestaltenden Fluss, der zu den nur beeindruckend zu nennenden Interpretationen von Gloria und Credo führte. Das Crucifixus geriet zum zwingenden Höhepunkt des ganzen Werkes, tröstlich war der Beschluss im Agnus Dei, bei welchem im Orchester immer noch dieses geheimnisvoll-überzeugende Element fehlte, das doch die Windsbacher im ganzen Konzert so selbstverständlich zelebriert hatten: schärfenloser, tragend-homogener Klang, niemals von Kraftverbrauch oder Einzelstimmen dominiert. Dieser Knabenchor hat derzeit enorme musikalische Qualitäten und läßt Werke, die geradezu zur Detailgestaltung und zum Affekt auffordern, zum auch durch das am Ende wild fotografierende Publikum nicht trübbaren Genuss gelingen. Denn der musikalische Eindruck im Gedächtnis ist weitaus wertvoller als jede emotionslose Urlaubs-Diashow.

Dienstag, 20. Juli 2010

Echo Klassik - manche Überraschung, manches Kopfschütteln

Heute wurden die Preisträger des ECHO Klassik 2010 bekanntgegeben. Wir lassen uns noch einmal auf der Zunge zergehen: dies ist der Jahrespreis, der von der Deutschen Phono-Akademie e. V. vergeben wird, einer Interessengemeinschaft der (kommerziellen) Phonowirtschaft. Das wird schnell vergessen, wenn man die Preisträger-CDs unhinterfragt als "beste" Aufnahmen des Jahres ihrer Kategorie hinnimmt. Hier auf dem Blog kommtiere ich die Entscheidungen, freue mich natürlich über Antworten oder Diskussion.

* Joyce DiDonato und Jonas Kaufmann sind Sänger dieses Jahres. Qual der Wahl vermutlich - auf dem Gebiet der alten Musik ist DiDonatos Stimme zumindest gewöhnungsbedürftig.
* Martin Schmeding, Siegbert Rampe, Tabea Zimmermann (endlich!), Albrecht Mayer als Instrumentalisten des Jahres. Für die Orgel hätte ich allerdings doch Hansjörg Albrecht den Vortritt gelassen. Was in der Instrumentalkategorie erneut Lang Lang zu suchen hat, und auch noch mit der gähnend langweiligen Trio-Einspielung, will mir nicht in den Kopf.
* Paavo Järvi ist Dirigent des Jahres. Ich ziehe, was Beethoven angeht, derzeit Herreweghe und vor allem Dausgaard vor. Järvi arbeitet glatt, sauber, ordentlich und ist daher für mich nicht preiswürdig. Schon spannender finde ich den zweiten Echo, den "seine" Bremer für Janine Jansens exorbitante Britten-Interpretation erhalten. Das Beethovenkonzert auf derselben Aufnahme ist aber kaum erwähnenswert.
* "Orchester des Jahres - Neue Musik" für Jansons, das BR-Orchester und Bruckner - da kann man sich nur über die Kategorie wundern. Neue Musik im üblichen Sinne wird ja von der Phonoakademie brav ignoriert. Verkauft sich ja auch nicht und steht dem Kulturauftrag, Garrett & Kennedy unter die Massen zu hebeln, gehörig im Wege.
* Für wirklich hohe Kultur darf sich Cecilia Bartoli den 9. Echo in die Vitrine stellen. Eine schöne sportive Aufnahme für Liebhaber.
* In der Vokalmusik wird mal wieder eine MDG-Aufnahme geehrt, Poulenc-Werke mit dem Norddeutschen Figuralchor. Dies ist eine Aufnahme, die völlig an mir vorbeiging. Wird bald gehört.
* Da wird eine große Leistung anerkannt: Wolfgang Katschners unermüdliches Bemühen, Alte Musik in spannenden Programmen schmackhaft und lebendig zu machen: völlig verdient dieser Echo für die Glass-Merula-Platte, die man als Anerkennung für die Gesamtarbeit des Ensembles verstehen darf.
* Nachwuchskünstler, kurz notiert: Christiane Karg werde ich mir noch anhören, Scheps und Ott schwimmen wohl auf der Chopin-Welle (Edna Stern vermisse ich schmerzlich), Yannick Nézet-Séguin erhält einen Echo für eine recht gediegene Ravel-Platte und das Streichquartett Meta 4 muss ich wohl schmählich überhört haben. Nachholbefehl!
* Der doppelte Echo für Marek Janowski (Henzes 9. Sinfonie und die Steinbacher-Aufnahme) freut mich besonders, da ich ihn für einen der besten Dirigenten unserer Zeit halte. Steinbacher überdies ist eine fulminante Geigerin. Tolle Wahl also.

Jetzt muss ich mich kürzer fassen:
* Sorry, ich liebe meinen Berlioz (Purist, ich) immer noch mit Davis. Da kommt Immerseel nicht ran, auch wenn die Aufnahme mit viel Herzblut und Wissenschaft gemacht worden ist.
* Mozart mit Zacharias ist eine ziemliche Geschmacksache (aber - bingo - wieder MDG), da überhaupt jemanden aus der Schar der "Großen" zu fischen, halte ich für eine Gratwanderung. Wo sind eigentlich Schuch, Thibaudet, Helmchen !? Immerhin, Kissin mit Prokofjew 2 & 3 ist auch geehrt.
* DA, doch noch ein Dresdner Preis: Mönkemeyer und die Kapellsolisten erhalten einen Echo für Weichet nur, betrübte Schatten. Das Original ist besser. Mit Bearbeitungen, Recomposed und Klavierkonzerten fürs Cello wird man uns wohl die nächsten Jahrzehnte jagen, bis alle Partituren durch den (Sony-)Wolf gedreht worden sind. Dann doch lieber Duport im Original, aber huch, schon wieder MDG - bißchen inflationär, diese Schulterklopferei...?!
* 2010 war offenbar kein Jahr der fantastischen Opernaufnahmen, weder der Festspiele noch der Häuser, vielleicht deshalb "nur" Gluck, Goldmark und Hartmann. Doch, für letzteren großen Dank. Denn Hartmann gehört auch ins sinfonische Repertoire zurückerobert. Und ein zweiter Echo geht ebenfalls an eine Hartmann-Einspielung, die sich den Streichquartetten widmet.
* Zückerchen gefällig? Vivica Genaux bekommt ebenso einen Echo wie der "böse" Bryn. Schöne Platten!
* Was Golijov (wieder einmal) beim Echo zu suchen hat, wird Geheimnis der Universal-Pusher bleiben. Die CDs liegen wie Blei im Laden und jeder verzieht ob des katarrhartigen Eklektizismus das Gesicht beim Hören. Der unverständlichste Echo.
* Der Knabenchor und der Mädchenchor Hannover bekommt einen Echo für die "Glaubenslieder". Die Platte ist bei Rondeau erschienen und versammelt neue Kirchenkantaten. Ist das die Lanze für die Neue Musik light von der Kirchenempore? Dann bitte doch nicht. Aber vielleicht ist ja auch ein Schmankerl dabei.
* Wer amarcord liebt, findet sie natürlich auch bei diesem Echo wieder: mit der Rastlosen Liebe wird dann auch endlich die fällig Schumann-Platte geehrt. Wetten dürfen schon abgeschlossen werden, wieviele Mahler-Aufnahmen sich beim Echo 2011 finden werden... - Achja, Harnoncourt bekommt auch einen Echo für die Jahreszeiten von Haydn. Ganz versteckt werden damit auch Werner Güra und Christian Gerhaher geehrt, zwei herausragende Sängerpersönlichkeiten.
* in der Kammermusik findet sich das Casal Quartett, das Wiener Klaviertrio, das Ma'alot Quintett (mit Rossini), das Belcea Quartett und Isabelle Faust mit ihrer fantastischen Beethoven-Aufnahme. Hier ist auch ein bißchen 21. Jahrhundert versteckt: das Minguet-Quartett erhält einen Echo für die Einspielung der Streichquartette von Peter Ruzicka.
* Weitere Echos gehen an Murray Perahia, Hardy Rittner (Schönberg!), Mihaela Ursuleasa, Angelika Kirchschlager, Leif Ove Andsnes, posthum an Sir Charles Mackerras für seine letzte Martinu-Einspielung.
* Schließlich noch DVD: Die Valencia-Inszenierung des Rings unter Mehta wird geehrt, ebenso Grimauds "Russian Night".
* Naja, und der Bestseller ist eben der Bestseller. Wird aber nicht weiter verlinkt.

Alle Preise zum Nachlesen auf der Echo-Klassik-Seite. Die Verleihung im Oktober moderiert übrigens Klassikexperte...Thomas Gottschalk. Na denn.
kleines p.s.: interessant vielleicht diesmal, wer den Echo trotz großem Blätterrauschen im Voraus nicht bekommen hat, dazu gehören Anne-Sophie Mutter und Anna Netrebko. Wär ja auch langweilig, oder?

Freitag, 16. Juli 2010

Die Eleganz der Madame Michel

Wer ihn bis jetzt noch nicht gesehen hat: unbedingt ansehen. Allerdings ist dieser Film etwas für die Freunde des etwas ruhigeren Erzählkinos und in den ersten Minuten muss man auch noch ein Harry-Potter-Figürchen in seinem Klischee-Hirn erschlagen. Wenn dieses aber dann still geworden ist - und das schafft die 13jährige Garance le Guillermic binnen Minuten, entwickelt sich eine schöne Milieuzeichnung zwischen der reichen, unaufmerksamen Familie des schlauen Kindes und den Mitbewohnern des Hauses. Die Concierge Renée kennen wir alle, jeder hat die belesene, bescheidene aber ein wenig verwahrloste Hausdame irgendwo schon einmal gesehen, auch wenn sie unscheinbar ist und ihr Wissen selten mit mehr Leuten als mit ihrer Katze teilt. Da bedarf es dann schon eines verwitweten (und natürlich überhöflich-gesitteten) Japaners, um sie aus der Reserve zu locken. Am Scheidepunkt der Kulturen zwischen Tolstoi, Chabrol und Samurai kippt der Film etwas aus der fast zu perfekten Melodramatik heraus, um sich dann aber am Ende den großen Themen des Lebens zuzuwenden. Und das natürlich in bester französischer cineastischer Manier. Dieser Film tat gut.



* Interview mit der Regisseurin Mona Achache
* Rezension bei critic.de
* Süddeutsche - Filmrezension

Donnerstag, 15. Juli 2010

Sir Charles Mackerras †

Einer der ganz großen Dirigenten, Spezialist für Mozart und Janacek ist gegangen: Nachruf im Sydney Morning Herald

Dienstag, 13. Juli 2010

Best of WM 2010

Nein, die fußballerischen Highlights habe ich hier nicht parat. Wohl aber einige verbale: Rèthy, Netzer, Simon & Co. haben für viel Unterhaltung gesorgt. Eine ganz liebe Freundin von mir hat die besten Bonmots auf abertausenden gelber Klebezettel festgehalten. Eine kleine Auswahl darf ich hier für die Web-Ewigkeit festhalten (DANKE!) und wir genießen noch einmal die Spiele anhand der wunderbaren Kommentare:

Das war der allererste: „Ein Stürmer würde helfen. Aber sie haben keinen.“ (Vorrunde Japan- Kamerun).
* „Keiner will den Ball haben!“ Günther Netzer zum gleichen Spiel.
* „Da ist brachiale Physis da und wenig Technik.“ (Vorrunde Neuseeland- Slowakei)
* „Dasch ischt wirklisch brutall: wenn man Luft holt, um den Namen zusagen, hat schon jemand anders den Ball.“ (Vorrunde Spanien- Schweiz)
* „Und so geht’s rund in der Mitte.“ (Vorrunde Argentinien – Südkorea)
* „Sie sind halt technisch limitiert.“ (Vorrunde Nigeria – Griechenland)
* „Da hat er den Ball vergessen bei dem Solo.“ (Vorrunde Kamerun- Dänemark)
* „Lassen sich die Nordkoreaner etwa zum Mitspielen verleiten?“ (Vorrunde Portugal– Nordkorea)
* „Es sollten nicht die Schiedsrichter pfeifen, die sonst am Strand pfeifen.“ (Ottmar Hitzfeld nach dem Vorrundenspiel Schweiz- Chile)
* „Letzter Akt in diesem Trauerspiel.“ (Vorrunde Frankreich- Südafrika)
* „Mexikos Methusalem von Anfang an dabei.“ (Vorrunde Mexiko- Uruguay)
* „Alleine. Abseits. Deshalb alleine.“ (Vorrunde Argentinien- Griechenland)
* „Der gibt eher so eine hängende Spitze ab (Ashley Cole).“ (Vorrunde England- Slowenien)
* „Die räumen den Weltmeister aus dem Weg!!!!“ (Vorrunde Slowakei- Italien)
* „Holland weiterhin 0:0 gegen Kamerun – das interessiert ja sowieso nicht wirklich.“ (daselbst)
* „Wir müssen jetzt einfach jedes Spiel gewinnen.“ (Özil nach Vorrunde Deutschland- Ghana)
* „Sie sind ja nicht gerade bekannt für ihr Kombinationsspiel.“ (Vorrunde Neuseeland- Paraguay)
* „Die glauben an den Ball, daß der da alleine hingeht. Ich kenn’ das aus Südamerika: die glauben, es ist immer alles gut.“ (Netzer nach dem Vorrundenspiel Brasilien- Portugal)
* „Erst ein Luftloch. Dann ein Tor.“ (Vorrunde Chile- Spanien)
* „Die Schweiz ist hoch überlegen. Aber das Tore schiessen haben sie noch nicht erfunden.“ (Vorrunde Schweiz- Honduras)
* „Wenn man nicht mehr als die Brechstange dabei hat, kann man nicht mit dem feinen Geschirr spielen.“ (Achtelfinale USA- Ghana)
* „Die meisten haben den Ball im Tor gesehen. Nur die Unparteiischen nicht.“ (jetzt darf geraten werden)
* „Die besten Freistöße tritt immer noch der Trainer.“ (Achtelfinale Argentinien- Mexiko)
* „Van Persie trabt dem Ball nur hinterher. Dafür hat er seine Leute.“ (Achtelfinale Niederlande- Slowakei)
* „Das Problem der Chilenen ist, sich dem Tor zu nähern.“ (Achtelfinale Brasilien- Chile)
* „Fürchterlich. Einfach fürchterlich.“ (Netzer zum Achtelfinale Japan- Paraguay)
* „Portugal sucht seit dem Tor den Faden, den sie verloren haben.“ (Achtelfinale Spanien- Portugal)
* „Die Holländer haben es geschafft, andere Brasilianer zu machen.“ (Netzer zum Achtelfinale Niederlande- Brasilien)
* „Uruguay hat 3,3 Millionen Einwohner. Das ist, als würde Berlin antreten und ins Viertelfinale kommen.“ (Viertelfinale Uruguay- Ghana)
* „Dafür ist der Bergriff naßmachen erfunden worden.“ (Viertelfinale Argentinien- Deutschland)
* „Einen Schönheitswettbewerb in Sachen Fußball gewinnen die beide nicht.“ (Halbfinale Niederlande- Uruguay)
* „Es fehlt im Moment einfach die Chance, an den Ball zu kommen.“ (Halbfinale Spanien- Deutschland)
* „Mit einer schnellen, geradlinigen Raumüberbrückung.“ (Spiel um Platz drei. Uruguay- Deutschland)
* „Die Niederlande lassen Spanien nicht zum Spiel kommen, kommen aber dadurch selbst nicht ins Spiel.“ (Finale. Niederlande- Spanien)

und eine Zugabe noch:
"Der Platini sieht richtig guten Fussball hier... ... seit die Franzosen weg sind." (Deutschland-Argentinien)

Kaltes klares Wasser sieht anders aus.

Da wollte sich der Hund heute eigentlich erfrischen - sie musste leider verzichten, denn die Prießnitz sah so aus:





Ist die milchige Verfärbung normal bzw. unbedenklich? Oder ein Grund, das zu melden (wo eigentlich?) ?

Montag, 12. Juli 2010

Hui und Pfui.

Eine OB in Strapsen, ja, das verbitten sie sich, aber sexistische Werbung made by Stadt Dresden ist derzeit überall zu bewundern:


Dass der Werbeagentur zur Frauenfussball-WM nichts anderes als ein draller Fussball-Bikini einfällt, ist traurig. Die generelle Farbgebung und Symbolgestaltung (bei einigen weiß ich immer noch nicht, was gemeint ist - sollen die Trauben für die Sauferei auf dem Stadtfest oder für Radebeul werben!?) wären noch ein weiteres Thema, ich finde das Plakat äußerst misslungen. Das setzt aber nur eine Tradition fort, und Tradition wird ja in Dresden ernstgenommen...

Nachtrag: Die Stadt Dresden ruft sogar in einem umfassenden und informativen Artikel zur Sensibilisierung gegen sexistische und diskriminierende Werbung auf (siehe hier) - vermutlich hat sie nicht damit gerechnet, dass nun ihre Eigenwerbung betroffen ist...

Nachtrag2, 16.7.: Eine Nachfrage bei der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Dresden wurde zur Abteilung Öffentlichkeitsarbeit weitergeleitet. Die Antwort sei hier wiedergegeben: "das von Ihnen angesprochene Plakat wurde bei einem Studentenwettbewerb der TU Dresden ausgewählt. Der von Stroeer und der Dresden Maketing Gesellschaft ausgelobte Preis war eine Veröffentlichung des Siegerentwurfes auf Großflächenplakaten in Dresden. Bei der künstlerischen Bewertung sollte dieses berücksichtigt werden." - Bei der DMG wird man auch auf der Seite fündig. Auf dem Plakat selbst gibt es allerdings keinen derartigen Hinweis. --- Die Bewertung fällt nach diesen Recherchen allerdings kaum besser aus, im Gegenteil: welche Jury hat denn dort (mehr oder weniger blind für solche offenkundige Diskriminierung) entschieden? Es ist ja noch fataler, wenn der Marketing-Nachwuchs in solchen fragwürdigen Bemühungen auch noch von den Profis bestätigt wird.

Samstag, 10. Juli 2010

nochmal Mahler

Büning versus Otten - so schön kann Feuilleton sein.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Guten Morgen!

Dienstag, 6. Juli 2010

Fast auf dem Gipfel

Schumann und Bruckner im 9. Zykluskonzert der Philharmonie

Zum letzten Mal in dieser Saison fanden sich am vergangenen Sonnabend die Philharmoniker und ihr Publikum zum Zykluskonzert im Kulturpalast ein. Die große Hitze und der Viertelfinalsieg der Deutschen Nationalmannschaft bildeten den Rahmen für das Konzert, ob diese Ereignisse die musizierten Töne oder das Zuhören derselben beeinflussten, wäre spekulativ. Sicherlich musste mancher im Publikum sich zumindest einmal die Ohren beim Betreten des Kulturpalastes reiben, denn der Lärmpegel auf dem Altmarkt war im Vergleich zum folgenden Schumann-Violinkonzert ungleich höher und zudem reichlich unkoordiniert. Es hieß, sich zunächst auf ein Werk einzulassen, das heutzutage so gar nicht durch die Konzertsäle rauschen will, zumal es ohnehin eine schwierige Rezeptionsgeschichte hat: 1937 wurde das späte Violinkonzert erst uraufgeführt. Im Gegensatz etwa zum Klavierkonzert haben Florestan und Eusebius ihren leidenschaftlichen Überschwang weitgehend eingestellt, gedankliche Schwere überwiegt und der Solopart ist gespickt von kompositorischen Finessen, bei denen aber kaum die Ergötzung eines Publikums im Vordergrund gestanden haben dürfte. Thomas Zehetmaier war der gefeierte Solist einer Interpretation, die reif, souverän und eigentümlich zugleich war. Zehetmaier befreite das Werk nicht nur von der melancholischen Schwere, sondern gab ihm durch seinen beherzten Zugriff eine virtuose Leichtigkeit zurück. Intensive Klanggestaltung gesellte sich hinzu, so dass man am Ende den Eindruck einer höchst respektvollen Annäherung an das Werk erhielt. Unter der Leitung von Marc Albrecht, der oft und gerne in Dresden dirigiert, konnten die Philharmoniker nicht immer an die solistische Leistung anknüpfen, zu abdedeckt war der Klang des in der Mitte der Bühne eng platzierten Orchesters. Überraschung dann bei der Zugabe: Zehetmair entschied sich für einen Ausschnitt aus der Solosonate von Bernd Alois Zimmermann und legte trotz der Kürze des Stückes höchst spannende emotionale Schichten des Werkes frei. Nach der Pause wartete ein sinfonisches Großereignis auf Publikum und Musiker: die 7. Sinfonie E-Dur von Anton Bruckner ist nicht so gefällig wie etwa die 4. Sinfonie, sie erreicht auch nicht die gewaltigen Ausmaße der folgenden 8. Sinfonie. Marc Albrecht arbeitete viele Charakteristika der Siebten überzeugend heraus, hätte aber durchaus noch mehr auf Kontraste und rhythmische Energie setzen können. Fast alle Sätze hatten einen flüssigen, flexiblen Ansatz, was der Farbigkeit des Adagios sehr zupass kam, dem Finale aber einen eher dramatischen Stempel aufdrückte. Nicht ganz auf dem Bruckner-Gipfel angelangt waren die Philharmoniker. Immer wieder gab es wunderbar ausmusizierte Themengestaltung etwa in tiefen Streichern, auch mancher Holzbläsersatz im Adagio klang warm und empfunden. Doch unter Albrechts kontinuierlich arbeitenden, zeigenden und zeichnenden Armen wurde das Orchester oft zu laut und im 3. und 4. Satz auch zu unpräzise. Die Blech-Apotheosen des Finales überschritten die Grenzen, in denen noch genug Obertöne für einen runden Gesamtklang entstehen können. Insgesamt aber war es eine ordentliche, mit vielen schönen Details versehene Interpretation. Nach einem Konzert in der Frauenkirche (10. Juli) mit Wayne Marshall und dem musikalischen Picknick auf Schloss Albrechtsberg (11. Juli) werden die Philharmoniker dann in ihren wohlverdienten Urlaub gehen.

Montag, 5. Juli 2010

Der überflüssigste Film der Welt.

Ich habe ihn noch nicht gesehen, ich habe nichts darüber gelesen und ich bin trotzdem überzeugt: die Welt braucht diesen Film nicht. Denn wie anders sollte man sich Mahler nähern als über seine Musik? Um wieviel schöner müssen Bilder (und -innere- Filme) sein, die NUR und ausschließlich durch die Musik entstehen, da braucht es nicht mal mehr Mahlers eigener blumiger Anmerkungen zwischen den Noten. Daneben graut mir besonders vor dem Ansatz, Mahler schon per Filmtitel in die Nähe von Freud zu rücken und damit seinen musikalischen Kosmos deuten zu wollen. Einzelmomente aus einem großen Leben werden unters Brennglas genommen (scheint grade Mode zu sein, siehe Coco Chanel & Igor Strawinsky), dabei werden fragwürdige Bezüge und filmisch passende Fiktionshandlungen erstellt und im Hintergrund dudeln sinnfrei illustrierend die Partituren der Komponisten. Muss ich mir das antun? Belehrt mich jemand eines Besseren? Vielleicht ist mir der Mahler-Schatz aber auch schlicht zu wertvoll, als dass ich ihn auf einer Leinwand entzaubert vorfinden mag.

Trailer:

Kinostart: 7. Juli
Filmseite: *klick*

Mittwoch, 16. Juni 2010

Allan Pettersson in Köln

...und ich bin erstmal weg hier, denn das Konzert in Köln will besucht werden. Christian Lindberg dirigiert die 7. Sinfonie von Pettersson, außerdem spielt er sein eigenes Posaunenkonzert "Helikon Wasp" und startet mit einer Schubert-Ouvertüre.
20.6. 11 Uhr, 21.6. + 22.6. jeweils 20 Uhr, Kölner Philharmonie
mehr auf der Website vom Gürzenich-Orchester Köln

Ein doppelter Schubert

Philharmonisches Zyklus-Konzert unter Markus Poschner

In einer bestimmten Hinsicht war das 8. Zyklus-Konzert der Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende Labsal für die von zahlreichen Jubilarehrungen doch ein wenig strapazierten Ohren: Einmal kein Chopin, Mahler oder Schumann, stattdessen gleich zwei Sinfonien eines gewissen Franz Schubert. Nicht, dass der große Schubert zu wenig erklingen würde, aber die Koppelung der frühen 3. Sinfonie D-Dur mit der berühmten "Unvollendeten", beileibe nicht seinem letzten Werk, war doch ein gewichtiges Ausrufezeichen. Der ab der nächsten Spielzeit als erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie tätige Markus Poschner zeigte hier schon einmal vorab, mit welcher Qualität man bei seinen Interpretationen zu rechnen hat, und das ging in den ersten Takten der 3. Sinfonie los, einem Stück, dem man eigentlich keinerlei Überraschungen zutraut. Doch wie Poschner hier den Klang der Philharmoniker auffing, modellierte und wieder an die nächst folgenden Instrumente abgab, das war höchst eindrucksvoll. Das ständige Geben und Nehmen inspirierte das Orchester zu einem fülligen, natürlichen Gesamtklang, bei dem alle einander derart aufmerksam zuhörten, dass die Sinfonie vor dem Ohr wie neu entstand. So konnte sich federnd-leichtes Musizieren entwickeln, wirkten die flüssigen Mittelsätze elegant, das italienischem Vorbild nachempfundene Finale klar und spritzig. Solchermaßen gut aufgelegt erwarteten die Zuhörer das Violinkonzert "Tala Gaisma" (Fernes Licht) des lettischen Komponisten Peteris Vasks (*1946). Spannendes und bislang Unentdecktes der Konzertliteratur des 20. Jahrhunderts ist bei Konzertmeister Wolfgang Hentrich in besten Händen, das wissen wir nicht erst seit den Interpretationen der Werke von Bernstein und Hindemith, die in guter Erinnerung sind. "Fernes Licht" ist zwar sehr virtuos und ausgesprochen dankbar für die Geige komponiert, allerdings dürfte das 1996 durch Gidon Kremer uraufgeführte Werk kaum als zeitgenössische Musik durchgehen. Munter bedient sich Vasks aus dem Fundus der Kompositionstechniken aller möglichen Epochen, doch Aleatorik, Walzerschübe und bittertraurige (warum bloß?) diatonische Melodien fügen sich auch über die Brücke von drei halsbrecherischen Kadenzen kaum ineinander. Was als "gut verständliches" Werk im Programmheft benannt wird, kommt an zu vielen Ecken eben als beliebig und sattsam bekannt daher. So konnte man nur die vollkommene Hingabe von Hentrich bewundern, der gemeinsam mit Poschner und dem Orchester die luziden Klänge zu einem runden Ganzen formte und den Fokus auf die Klangfarbe legte, dem Kern des Geschehens. Wer anschließend meinte, ein just angepfiffenes, höchst wichtiges Fussballspiel am Sonntagabend hätte alsdann die Musiker zu eiligem Beenden des Konzertes verleitet, war auf dem Holzweg. Markus Poschner gelang eine intensive, flüssige und niemals melancholisch-überzogene Darstellung der 7. Sinfonie von Schubert. Damit wurde Gewichtiges gesagt und einmal mehr zeigte die Philharmonie ihre Klasse im detailschönen und homogen aufeinander abgestimmten Musizieren.

Wiederentdeckung eines Meisterwerkes

Paul Ben-Haims Oratorium "Joram" erklang erstmals in Dresden

Dass die Stiftung Frauenkirche in diesem Jahr eine Veranstaltungsreihe mit Neuer Musik ins Leben gerufen hat, überrascht nicht und erfreut dazu. Nicht nur ist die Frauenkirche über die Jahrhunderte immer wieder Uraufführungsort geistlicher Werke gewesen, auch seit der Weihe 2005 erklangen vielfach eigens für Aufführungen in der Kirche geschaffene Werke. Das erste Konzert der Reihe am vergangenen Sonnabend irritierte jedoch in diesem Rahmen, denn das aufgeführte Werk wurde bereits vor 77 Jahren vollendet, in seiner Originalfassung wurde es erst 2008 in München uraufgeführt. Auch zur Zeit seiner Fertigstellung 1933 wäre Paul Ben-Haims opus magnum, das Oratorium "Joram" keinesfalls als neue Musik zu bezeichnen gewesen, allerdings gibt es viele Ebenen in dem Werk, die eine starke eigene musikalische Handschrift tragen. Selten entpuppt sich ja eine vergessene Komposition noch als Meisterwerk, doch in diesem Fall ist es unerklärlich, dass der als Paul Frankenburger in München 1897 geborene Komponist zu Lebzeiten nur eine Aufführung einer gekürzten Fassung seines "Joram" erleben durfte, denn das Stück ist eines der faszinierendsten Oratorien der Neuzeit, es ähnelt in seiner Wirkung dem wenig später entstandenen "Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt, ist aber ungleich moderner in der Tonsprache. An der Nahtstelle der Fertigstellung des Werkes musste Frankenburger nach Palästina emigrieren und fand fortan keine Aufführungsmöglichkeiten für das großbesetzte Werk, auch das übrige OEuvre dieses spannenden Komponisten harrt immer noch der Wiederentdeckung. Musikwissenschaftlern und vor allem den Münchner Protagonisten der Aufführung in der Frauenkirche ist die Edierung der Erstfassung des "Joram" zu danken. Schade, dass sich kaum 300 Zuhörer für diese moderne Hiob-Adaption (Text: Rudolf Borchardt) interessierten, doch diese dankten den Interpreten ergriffen für eine großartige Aufführung. Ben-Haim-Biograf Jehoash Hirshberg von der Jerusalemer Universität gab zuvor eine plastische Einführung in das Werk, das formal an die Passionen von Bach, aber auch an den Elias von Mendelssohn anknüpft. Musikalisch geht Ben-Haim eigene Wege und überrascht den Zuhörer mit einer unglaublichen Farbigkeit des Orchestersatzes, ganz eigener Ausdeutung spätromantisch-freitonaler Harmonik und massiv ausufernder Dramatik, die aber niemals platt wirkt, sondern von großer rhythmischer und melodischer Energie getragen wird - oft kontrastieren feinste Passagen in Solo-Instrumenten als Beruhigung der Massen. Problematisch ist die zu bewegende Textmasse in lutherischem Duktus: man hätte es schwer, den zahlreichen Erklärungen und Beschreibungen zu folgen, wäre da nicht die exakte Deklamation des Münchner Motettenchores und eines hervorragenden Solistenquartettes (Carolina Ullrich, Carsten Süß, Bernd Valentin und Miklós Sebestyén mit einheitlich starker Darstellung) gewesen. Der Chor hat enorme Aufgaben zu bewältigen, wurde von seinem Leiter Hayko Siemens aber optimal betreut. Neben dem Mut zum piano überzeugte die harmonische Sicherheit und der Krafteinsatz bei Steigerungen in den drei Schlußchören - letztlich waren bei einigen von Ben-Haim raffiniert gesetzten a-cappella-Passagen Grenzen festzustellen. Die Münchner Symphoniker schließlich klangen unter Siemens kundigem Dirigat transparent und glänzten mit vielen empfundenen Soli (Flöte, Kontrabass). Die Dramaturgie spannte sich weit bis zu den Anklagen des Joram und den Engelserscheinungen des 3. Teils, nach mehr als zwei Stunden musikalischer Reise durch die Themen von Schuld und Leid, Glaube und Individuum gelingt ein tröstlicher, menschlicher Ausklang, gemäß der Weisheit des von Ben-Haim als Mittelpunkt des Werkes vertonten Chorspruchs: "Handle! Lebe! Und es ist Passion."

Mittwoch, 9. Juni 2010

Massiv und langsam

"Die Schöpfung" im 8. Philharmonischen Konzert

Im Gegensatz zu den ernsten Ereignissen des Kirchenjahres, die in der Musik von vielerlei Passionen und Kantaten begleitet werden, bildet die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte reichlich Anlass zur Ergötzung eines Publikums, erst recht wenn Biblisches und Profanes eine so unterhaltsame Ehe eingehen wie in Joseph Haydns Schöpfungs-Oratorium. Doch der blumige Text von Gottfried van Swieten und Haydns farbige Partitur funktionieren heutzutage nicht von selbst, hier ist reichlich Interpretenlust gefragt, um eine spannende Aufführung zu formen. Im 8. Philharmonischen Konzert am Sonntagabend im Kulturpalast blieb diese Spiellust fast komplett den Solisten vorbehalten, denn erschreckend inspirationslos war die Führung, die Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos seinem Orchester und den Philharmonischen Chören (großer Chor und Jugendchor) angedieh. Die Entscheidung für 120 Choristen und 50 Streicher hätte einiges an Arbeit hervorrufen müssen, um den Klang zu entschlacken. Das genaue Gegenteil war der Fall: dick und breit wälzte sich das Oratorium über mehr als zwei Stunden dahin - solche Aufführungspraxis wähnt man eigentlich als längst vergangen. Bereits die "Vorstellung des Chaos", ein Geniestreich Haydnscher Kompositionskunst, versank in der Mittelmäßigkeit: der erste Einsatz war zu weich und zu kurz, um Aufmerksamkeit zu erreigen. Danach war vieles zerdehnt und diffus, erst der sichere erste Choreinsatz versöhnte. Die Ausdehnung der Tempi hätte im weiteren Verlauf nur Sinn gemacht, wenn sich Frühbeck de Burgos interpretatorisch dem Orchester intensiv gewidmet hätte, doch er reduzierte den Klangkörper auf ein reines Begleitinstrument, das dann aufgrund von Orientierungslosigkeit in den Details auch nicht mehr homogen klang. Weder in den (von Haydn sensationell komponierten) Rezitativen mit eigentlich überaus bildhafter Vorstellung von Natur, Tieren und Menschen noch in den durchweg zu langsam musizierten Arien und Chören stellte sich Freude ein, obwohl alle Musiker aufrichtig bei der Sache waren. Frappierendes Beispiel der Ignoranz der Haydnschen Ereignisse war das Orchestervorspiel zu "Nun scheint in vollem Glanze der Himmel", das abgedeckt und dumpf genau das Gegenteil vom gesungenen Text ergab. Matthias Geißler und Jürgen Becker hatten die Philharmonischen Chöre auf dieses Konzert sicher vorbereitet, doch in den langsamen Tempi war kaum Schlankheit und zielgerichtete Federung der Musik erreichbar. Dennoch überzeugte die gute Textdeklamation und trotz Massierung der Kräfte waches und schnelles Reagieren. An der Bühnenrampe zeigte ein wackeres Solistentrio, wie fantastisch Haydn mit Engagement klingen kann: Florian Boesch (Bass) überzeugte mit intensiver, keinesfalls übertriebener Gestaltung und einer sehr wandlungsfähigen Stimme. Markus Schäfer (Tenor) hätte bei der völligen Beherrschung der Partie ruhig mehr fließendes Legato zeigen können. Die junge Amerikanerin Robin Johannsen (Sopran) war ebenso eine Bereicherung dieser Aufführung - mit ihrer stilsicheren und schlanken Stimmführung gab sie dem Oratorium die nötige Fröhlichkeit und Frische zurück.

Gelungene Verbindung

Theatre of Voices mit Werken von Arvo Pärt und Alter Musik in der Frauenkirche

Es war vielleicht eines der außergewöhnlichsten Konzerte der Musikfestspiele. Kompositionen von Arvo Pärt gepaart mit Meistern der frühen Vokalpolyphonie, das musste unter die Haut gehen. Erst recht, wenn dasfür so kundige Protagonisten wie das Vokalensemble "Theatre of Voices" unter Leitung von Paul Hillier angekündigt waren. In Quartettbesetzung präsentierte sich das englische Ensemble, dass sich seit Jahren der zeitgenössischen und parallel der alten Musik widmet, woraus besondere Spannungen und Qualitäten entstehen.

Die Nabelschau der Töne in diesem Konzert fiel sehr meditativ aus und endlich war ein akustisches Labsal in der Frauenkirche zu vernehmen: vier Singstimmen und vier Streichinstrumente genügen völlig, um den Raum in eine spirituelle Atmosphäre zu tauchen - Augen schließen war angebracht, denn ansonsten würden Architektur und Komposition weidlich aneinandergeraten. Bei "Theatre of Voices" ist die angenehm-respektvolle Grundhaltung zur Musik immer spürbar, so gerieten zu Beginn Perotins Verse "O mira novitas" zu einer freundlichen Aufforderung, in die geheimnisvollen sakralen Welten einzusteigen.

Im Ensemble machte sich im Laufe des Konzertes eine leichte akustische Dominanz des Soprans (Else Torp) bemerkbar, doch fiel das kaum ins Gewicht, da auch die anderen Sänger (William Purefoy, Chris Watson und Paul Hillier) mit geraden, gut geführten Stimmen gestalteten. Die Ausgewogenheit in der Ausgestaltung der oft blockhaften Abschnitte schien bei der Erarbeitung der Werke im Vordergrund zu stehen - das ist für manche Pärt-Kompositionen wie die "Missa Syllabica" förderlich, um eine extreme Selbstverständlichkeit zu erzeugen und die Spannung zwischen Musik und Text auszugleichen.

Andererseits, das war im abschließenden "Stabat Mater" dann doch spürbar, führt die Entscheidung zur stetigen Weichheit des Klanges zu etwas flacherer Emotion: wo Pärt Dissonanzen, Akzente, plötzliche Homophonie zur Interpretation anbietet, hätte ich mir stärkere, impulsivere Ausdeutung gewünscht. So war das lebendigste, verschlungenste Werk ausgerechnet ein "Veni creator spiritus" von Guillaume de Machaut, vollendeter Beweis, wie Jahrhunderte vor Bach kunstvoll gesetzte Mehrstimmigkeit zum Ausdruck tiefen Glaubens geschaffen wurde. Eine ähnliche Beweglichkeit der Stimmen weist Pärts "Wallfahrtslied" auf - ein Weg muss gegangen werden, ein Ziel ist vor Augen: die Pilgerfahrt bleibt hier den Streichern vorbehalten, während Tenor und Bass eine gerade Text-Linie zeichnen.

Das estnische NYYD-Quartett war unglaublich gut in seinem Einfühlungsvermögen für die Sänger und in der eigenen Gestaltung der Töne der Pärt-Werke, bei denen die Streicher zum Teil weitere Gesangsstimmen übernahmen. Etwas betrüblich war, dass das Publikum die Stille nach den einzelnen Stücken nicht immer genießen mochte - am Ende breitete sich freudiger Dank für die hochklassige Darbietung aus.

Sonntag, 6. Juni 2010

"Kids on Stage" - Von HipHop bis Klassik

Zehn Tage wirbeln Jugendliche über die Bühne im Festspielhaus Hellerau



20 Stühle stehen auf der Bühne, darauf sitzen 20 Jugendliche und starren ins Publikum. Ein Stilleben, eine homogene Gruppe, möchte man meinen. Doch weit gefehlt: als nach und nach unter Beeinflussung der Band die Stühle verschwinden, offenbaren sich Individuen und Charaktere, wird die Gruppe zum Mob, wird der Einzelne zum Kämpfer. Nur augenscheinlich ist die bekannte "Reise nach Jerusalem" ein Kinderspiel, in der Betrachtung der Gruppe des Romain-Rolland-Gymnasiums (Regie/Betreuung Annette Jahns und Annette Hannemann) wird ein abwechslungsreiches Musiktheater daraus. Die Aufführung am 15. Juni ist Teil des Festivals "Kids on Stage" beim Europäischen Zentrum der Künste. Vom 10. bis 22. Juni wirbeln Schüler und Kinder über die Bühnen des Festspielhauses Hellerau. Ganz im Sinne des genreübergreifenden Profils der Veranstalter wird aber nicht nur Kindertheater gezeigt, die Grenzen zwischen Musik, Theater, Rhythmik und Show sind bei den Jugendlichen bewusst fließend. Eröffnet wird das Festival von "Geometronomics", einer rasanten Capoeira-HipHop-Show des brasilianischen Company Discípulos Do Rítmo, gemeinsam mit dem deutschen Choreografen und HipHopper Storm. Niels "Storm" Robitzky wird dann am 11. und 12.6. einen Open-HipHop-Workshop für alle von 8-18 geben, damit auch der Nachwuchs lernt, wie man sich zur angesagten Musik bewegen kann. Das bei den Landesbühnen Sachsen bereits gefeierte Tanzstück "Peter Pan" des Heinrich-Schütz-Konservatoriums wird an diesen beiden Tagen als Abendveranstaltung zu sehen sein. Der Sonntag steht im Zeichen jugendlicher Komponisten: im Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden begrüßt man als Gäste die neu gegründete Klasse "Malý Dvorák" aus Prag und die Tonsetzer widmen sich unter dem Titel "Von fremden Ländern und Menschen" augenzwinkernd und ganz ernst dem 200. Geburtstag Robert Schumanns. Ein Gemeinschaftsprojekt aus Polen und Deutschland wird gleich im Anschluss präsentiert: beim "Meetingpoint Music Messiaen" in Görlitz haben Kinder ein ganzes Theaterstück rund um die eifrigsten Komponisten der Natur gebaut - Vögel, von denen Olivier Messiaen einst die Melodien sammelte und in seine Kompositionen aufnahm. Die Mitte der Woche wird von vier Projekten aus sächsischen Schulen bestimmt; in der Nachfolge von "Musik erfinden in der Schule" werden nunmehr ganze Klassen und Bands "on stage" geschickt und man darf gespannt sein, wie etwa Komponisten wie Erwin Stache oder Hartmut Dorschner gemeinsam mit den Schülern Theaterstücke und Musiken erfunden haben - nicht etwa die Klassiker sind hier gefragt, sondern Themen, die die Jugendlichen ausgewählt haben. Eine Schule hat mit Gedichten und Farben gearbeitet, eine andere befasst sich mit den musikalischen Qualitäten einer Sport-Maschinerie. Doch damit nicht genug, auch die erfolgreichsten Beiträge des Performance-Wettbewerbes "unart" des Dresdner Staatsschauspiels sind noch einmal zu sehen (17.6., 19 Uhr). Gemäß dem wissenschaftlichen Anspruch des EZKH wird bei einem Symposium über Jugendtheater und Kunst diskutiert. Und schließlich wird am 18.6. noch ein Rhythmikprojekt (Konzeption Christine Straumer) mit klingenden und tanzenden Bildern gezeigt und das Chemnitzer Kinderensemble (Leitung Andreas Winkler) präsentiert neue Musik von Kindern, aber auch Terry Rileys faszinierendes Stück "In C" - Mit dem Jugendtanzprojekt der Staatsoperette Dresden "Pardon!" samt kritischer Podiumsdiskussion zum Thema Jugend und Alkohol im Anschluss an die Veranstaltung am 19. Juni findet das Festival dann sein Finale. Eine Festivalparty mit DJs darf natürlich auch nicht fehlen. Bei dieser Vielfalt sollte nicht nur für die Jugendlichen Interesse geweckt sein und mit dem Mut zum Experiment ist man in Hellerau ohnehin am richtigen Ort. Welcher Stuhl am Ende der "Reise nach Jerusalem" also übrigbleibt, erfährt nur, wer "Kids on Stage" einen Besuch abstattet.

"Kids on Stage" - Programm:
Do, 10.6. 20 Uhr Storm & Discípulos do Rítmo "Geometronomics"
Fr/Sa 11. und 12.6. OPEN HipHop Workshop
Fr/Sa 11./12.6. jeweils 18 Uhr HSKD-Ensemble "Peter Pan - Ein Tanzstück"
So, 13.6. 11 Uhr "Von fremden Ländern und Menschen", Komponistenklasse Dresden
So, 13.6. 14 Uhr "Alle Vögel fliegen hoch in die Luft" - Meetingpoint Messiaen
Di, 15.6. 19 Uhr Projekte des Romain-Rolland-Gymnasiums und der Kreuzschule Dresden
Mi, 16.6. 19 Uhr Projekte der Kurfürst-Moritz-Schule Boxdorf und des Glückauf-Gymnasiums Dippoldiswalde/Altenberg
Do, 17.6. 19 Uhr Best Of "Unart" - Performancewettbewerb
Fr/Sa 18./19.6. Symposium "War das jetzt schon Kunst?"
Fr 18.6. 15 Uhr Rhythmikprojekt "Bildermobile", anschl. Konzert des Chemnitzer Kinderensembles, abends Festivalparty
Sa/So 19./20.6. jeweils 20 Uhr Jugendtanzprojekt "Pardon!"

https://www.hellerau.org
Foto: PR / Hellerau

Disparater Eindruck

"Global Ear" wirft ein Licht auf Musik der Gegenwart in Russland

Die russische Musik steht bei den Dresdner Musikfestspielen in diesem Jahr im Vordergrund. Damit auch für jeden etwas dabei ist, schöpft man aus allen Genres und aus mehreren Jahrhunderten Musikgeschichte. Ziemlich am Rande des Festivals steht dabei die zeitgenössische Musik. Dass die meisten Musikfestspielkonzerte sich modern wähnen, wenn ein Werk von Schostakowitsch oder Strawinsky eingewebt ist, erscheint ebenso seltsam, wie das fast zufällige Auftauchen zweier winziger Theatermusiken für Akkordeon von Alfred Schnittke im "Global Ear"-Konzert am Mittwochabend. Hätte einem der wichtigsten zeitgenössischen russischen Komponisten nicht mehr Aufmerksamkeit bei einem "Russlandia"-Festival gebührt? Andere musikalische Entwicklungen, etwa der russische Futurismus oder das Komponieren neben und nach Schostakowitsch fanden im Festival leider ebensowenig Beachtung. Am Abend des Konzertes im Societaetstheater fand auch noch parallel die Erstaufführung des Mansurian-Cellokonzertes statt, wahrlich keine glückliche Terminierung zweier Neue-Musik-Ereignisse. Dennoch: das Global Ear-Konzert, veranstaltet in Verbindung mit dem KlangNetz Dresden, lockte Publikum an und zumindest drei russische Komponisten der Gegenwart lernte man im Konzert mit dem Hochschul-Ensemble "El Perro Andaluz" unter Leitung von Lennart Dohms näher kennen: Olga Rayeva und Sergej Newski leben allerdings schon in Berlin - ihre musikalische Sprache ist nicht von einer geografischen Grenze oder Kultur beengt. Rayevas "Autumn street's relief" bleibt verstörend, da sie dem Zuhörer einen (Zitat Programmheft) "kontrollierten epileptischen Anfall" als Komposition zumutet und darüberhinaus weder durch ihre Musik noch durch einführende Worte einen Zugang ermöglichen will. Das kaum durchdringbare Dickicht der komplexen Partitur bot selbst einem erfahrenen Hörer kein Angebot zum Nachvollzug. Anders Newski in "Blindenalphabet" - das kleine Ensemble schnurrte in einer Meta-Sprache, die sensibel wie mit dünnem Bleistift gezeichnet war. Hier verbarg sich ein Stück hinter der Musik, das es hörend zu ertasten galt: spannend! Vladimir Tarnopolski schließlich ist einer der bekanntesten Vertreter aktueller Musik aus Russland. Sein Ensemblewerk "Eindruck-Ausdruck", das von energetischen Blöcken und Schnitten lebt, wurde insgesamt gut gespielt, wenngleich man sich von den Impulsen und der Balance her eine noch homogenere Fassung vorstellen kann. Mit Musik auf dem Akkordeon, gespielt vom Duo Ruslan und Elena Krachkovski, wurde versucht, eine Verbindung zur Folklore zu schaffen, letztlich standen aber beide Ebenen isoliert. Wie sich dann die überlange, kaum mehr als eine Material-Studie zu begreifende Komposition "Influenzas" des Chinesen Bowen Liu in dieses Programm geschlichen hatte, bleibt unerklärlich. Zerschnittenes, Unfertiges und Disparates stand in diesem Konzert nebeneinander und betonte einen Werkstattcharakter, der ins Offene wies.

Gounod-Premiere live auf dem Theaterplatz

Aktuelle Bilder von der Premiere "Faust / Margarete" von Charles Gounod - erstmals wurde eine Opernpremiere live und kostenlos auf den Theaterplatz übertragen. An einem herrlichen Sommerabend genossen über 5000 Menschen die Darbietung von der Leinwand. Am Ende nahmen die Mitwirkenden nicht nur auf der Bühne, sondern auch draußen auf dem Platz den Jubel des Publikums entgegen.


Intendant Georg Uecker im Gespräch mit Tina Mendelsohn




Publikum völlig im Bann der Oper - drinnen wie draußen.




Faust: "Er liebt dich! Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!"



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