Letztes Wochenende war es mal wieder soweit: Die nächste Endhaltestellenwanderung stand an, diesmal nach Laubegast. Allerdings war das Zeitfenster diesmal auch knapp bemessen, zudem dräute das Dunkel schon bei der Fahrt mit der Linie 4 draußen vor der Scheibe. Daher gibt es auch diesmal nur eine Kurzfassung, wie auch der Spaziergang das Highlight
Laubegast in einer Kurzrunde zusammenfasste:
Versteckt im Park: Endhaltestelle Laubegast
Die Endhaltestelle selbst liegt schon fast am östlichen Ende des Viertels. Lange vor der ersten Straßenbahn, nämlich im Jahr 1408, wurde in "Lubegast" schon Fischfang nachgewiesen, sagt uns die Chronik auf
laubegast-online.de - offenbar haben die Fische gut angebissen, so dass sich nach und nach ein Dorf um Fischer und Fähre ansiedelte. Wir spazieren vom Kronstädter Platz direkt zur Elbe, um noch etwas Tageslicht zu erhaschen und fühlen uns trotz grauer Abendstimmung im Reigen von etlichen Gänsen, Enten und Schwänen binnen Minuten in der Natur angekommen.
Elbblick in Grau
Flussabwärts spazieren wir samt Hund bis zur großen Wiese, die Laubegast und Tolkewitz trennt, dort verkehrt auch die Fähre nach Wachwitz. Für einen historischen Dorfspaziergang, der angesichts allerhand alter Gehöfte und klassizistischer Bauten in Elbnähe angebracht wäre, fehlt uns leider ein wenig die Zeit. Dennoch bekommt man viel vom Flair dieses alten Handwerkerdorfes mit - Geschäftigkeit ist hier eigentlich selten zu spüren. Wer mehr über die spannende Geschichte des Stadtteils und seiner Bewohner in den Villen und Herrenhäusern erfahren will ist übrigens bei der Seite
"Dresdner Stadtteile" gut aufgehoben.
Wir beschließen zum Abschluss noch eine Tasse Kaffee zu uns zu nehmen und landen in einem Café namens "Zum Elbtal", das hinter einer großen Fassade einen wahrlich winzigen Gastraum verbirgt. Doch werden wir als "Laufkundschaft" von den Stammgästen jenseits des Rentenalters angeglotzt als kämen wir vom Mars. Schweigen herrscht ob des Eintretens der offenbar einzigen "Nichtlaubegastersechzehnuhrdreißigbierkonsumierer", nur MDR 1 säuselt hinter der Theke Lieder, die die Stammkundschaft ohnehin nicht mehr wahrnimmt. Wir stürzen den Bliemchenkaffee hinunter und verlassen das Etablissement mit der Hoffnung, uns nächstes Mal in Laubegast intensiver um Einkehrmöglichkeiten zu kümmern... An der Leubener Str. wartet auch schon die
"Vorortbahn" auf uns, allerdings fahren wir nicht nach Niedersedlitz, sondern heim in die "große Stadt".
Spätestens zum
Inselfest, das immer einen Besuch wert ist, sind wir wieder da - dieses Jahr findet es vom 10.-12. August statt.
Dresden mehrLicht - 21. Jan, 22:02
Messiaen, Prokofjew und Strawinsky im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Drei Klassiker des 20. Jahrhundets - so wurde das 5. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle angekündigt und umschrieben. Das mag für Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" auf jeden Fall zutreffen, doch im ersten Konzertteil ist die Titulierung allenfalls auf die Komponisten anzuwenden, nicht auf die Werke. Denn Olivier Messiaens sinfonische Meditation "Les Offrandes Oubliées" ("Die vergessenen Opfergaben") taucht dafür doch zu wenig in den Konzertprogrammen auf. Eine wirklich dramaturgische Motivation fehlte denn auch in diesem Konzert; dem Frühwerk des Franzosen kann man eigentlich nur gerecht werden, wenn man weitere Messiaen-Werke dazugesellt oder die religiöse Thematik im Rest des Konzertes intensiver beleuchtet.
So stand Messiaen diesmal in der unrühmlichen "Ouvertürenecke" des Sinfoniekonzertes und da gehört er wahrlich nicht hin, daran konnte Gastdirigent Yannick Nézet-Séguin, designierter Chefdirigent des Philadelphia Orchestra wenig ändern. Die Interpretation hätte zudem in den Eckteilen noch mehr Ruhe und Innigkeit vertragen, die Strahlkraft der Klangideen des Komponisten war im Ergebnis nicht beim Optimum angelangt.
Völlig unbeeindruckt von den Neuerungen junger Kollegen zeigte sich Sergej Prokofjew ein Jahr vor seiner Rückkehr in die Sowjetunion mit seinem 2. Violinkonzert derart traditionsbewusst, dass man sogar heute noch mit leichtem Schrecken vor manchen Banalitäten dieses Werkes steht. Doch das Geheimnis dieses Konzertes liegt im opulenten Solopart, dessen Vergoldung nur exzellenten Virtuosen zusteht. Dafür war im 5. Sinfoniekonzert die Holländerin Janine Jansen zuständig, längst den "jungen Talenten" entwachsen und weltweit für ihr charaktervolles, reifes und vielseitiges Spiel gelobt. Und sie legte Blattgold auf dieses Konzert, das ja schon mit einer kleinen Horrorsituation beginnt: Alleine anfangen, und dann auch noch mit dieser harmlosen Melodie! Jansen bewährte sich im Märchenerzählen, im Drama, im verinnerlichten Selbstgesang und im 3. Satz im von ihr rhythmisch an die Zügel genommenen hispanisierten Holzschuhtanz. Wunderbar legte sie einen Spannungsbogen über das ganze Werk, der sich auch auf das Orchester übertrug, das nur im ersten Satz etwas Probleme hatte, den richtigen Ton für dieses Werk zu finden - später gab es hier samtige Streicher und rassige Bläsereinwürfe zu bewundern.
Zum Finale gab es das - etwas verfrühte - Frühlingsopfer "Le Sacre du Printemps" von Igor Strawinsky zu Gehör, das in knapp 100 Jahren vom Skandalstück zum Publikumsliebling mutiert ist. Leider gab sich Yannick Nézet-Séguin hier zu sehr der Showtime hin, als dass wirklich eine spannungsgeladene Interpretation heraussprang. Wenn man dieses Stück nicht metrisch erdet (was übrigens auch jeder Tänzer tun würde, will er Ausdruck erzeugen), entstehen gefährlich unpräzise Passagen. Das war das Manko des kompletten ersten Teils, der schon in der (von den Bläsersolisten der Kapelle dennoch hervorragend ausmusizierten!) Einleitung schlicht zu schnell gedacht war und später oft sinnfrei nach vorne stürzte. Dadurch erhielt das Stück nicht die nötige Intensität und Wucht, die möglich gewesen wäre. Auch der zweite Teil wog das nicht mehr auf, dem in seinen langsamen Teilen eine zielgerichtete Grundspannung fehlte. Hier wäre Nézet-Séguin künftig ein wenig mehr gelassene Coolness zu wünschen - das Werk beherrscht er zweifelsfrei.
"Briefmarkenopern" an der Musikhochschule Dresden
Bereits zum zweiten Mal präsentierte die Kompositionsklasse von Prof. Manos Tsangaris an der Musikhochschule Dresden "Briefmarkenopern". Auch wer nicht dabei gewesen ist, wird anhand des Begriffes entschlüsseln, was sich auf der Bühne des Konzertsaales abgespielt haben könnte: Briefmarken zwingen zum genauen Hinsehen, zur Wahrnehmung der Kunst in der Miniatur.
Nun mag zwar die Oper als abendfüllendes, alle darstellenden Künste in Beschlag nehmendes Genre dem widersprechen, doch auf dem Gebiet des zeitgenössischen Musiktheaters ist hier manches möglich: schon das kleine Programmheft spricht von "Akteuren" und "Passanten" spricht, wenige Akteure und Musiker schweißen klare Situationen zusammen, die mit der Stimme, der Taschenlampe oder eben dem sprichwörtlichen Holzhammer erzeugt werden. Manos Tsangaris wunderte sich in der Begrüßung über den regen Publikumszuspruch zur Kaffeestundenzeit am Sonnabendnachmittag - nach dem Konzert darf man feststellen, dass die 50 Minuten Briefmarkenopern mindestens zwei Kännchen aufwiegen - frisch und wach fühlt man sich nach diesen kurzweiligen Szenen. Es sind Musikwerke, die offensiv das Skizzenhafte ausstellen, im Experiment oder im Offenen feststecken, sich dabei im Einzelfall sogar zum geglückten musikalischen Ausrufezeichen wandeln.
Völlig ohne Belang war dabei, ob die Stücke alleine für sich im Kämmerlein entstanden sind oder Bezüge zueinander aufwiesen, allein die entschiedene Anordnung schuf Kontraste, Dramatik oder Beruhigung. Inwendige Kunstbetrachtung ("ART-IST in everyday life...") von Lorenz Grau stand hineingenommener Außenwelt ("Straßenmusik" von Martin Baumgärtel) ebenso unvereinbar gegenüber wie wirkliche Mini-Oper ("The Cask of Amontialldo" nach Edgar Allan Poe von Michael Hiemke) und falsche Idylle ("Da Tebel is gewest") von Nicolas Kuhn.
Dazwischen gab es Licht-Spiele in den Bullaugen des Konzertsaales, einen von Klavier-Clustern regelrecht geohrfeigten Monolog von Eleftherios Veniadis und - plötzlich - ein Kammermusikwerk, das sich schüchtern wie aus dem Ei pellt und Hinhören verlangt: Neele Hülckers "Kleine Dinge", gespielt von Susanne Stock am Akkordeon. war der feine konzertante, vielleicht auch augenzwinkernd reflektierende Seitenblick in die Nebenwelt des Konzertsaales, der hier so wunderbar aufgelöst und neuerfunden schien - Fortsetzung erwünscht!
dreiteilig:
1) ich fahre bei einem Radrennen mit, allerdings auf einer Art Autobahn mit ziemlich viel Verkehr. Am Ende der ausgebauten Straße hält mich die Polizei an und zeigt mir ein Video meiner Fahrt. Ich sei 155km/h gefahren. Ich entgegne, das sei physisch nicht möglich.
2) Ein Freund von mir erschießt amokartig meinen kompletten Freundeskreis. Ich sitze mit ihm auf einem flachen Hausdach, tröste, verabschiede mich.
3) Ich warte auf die Bahn (Linie 8), die nicht kommt. Schnee. Kälte. Andere Linien kommen vorbei, meine nicht. Eine Haltestelle zurück befindet sich das Bahndepot, dort laufe ich hin, in einer Pförtnerloge schläft jemand, ansonsten ist die Halle leer. Ich rufe, niemand antwortet.
Junges Sinfonieorchester und Hochschulorchester musizieren Mozart und Mahler unter Vladimir Jurowski
Das neue Jahr ist noch jung, die Studenten der Musikhochschule haben sich nach der Weihnachtszeit gerade wieder an den Hochschulalltag gewöhnt, da stand auch schon ein besonders ambitioniertes Projekt auf dem Programm: ein Konzert mit Werken von Gustav Mahler und Wolfgang Amadeus Mozart galt es vorzubereiten. Gleichzeitig war es das Jahreskonzert des Jungen Sinfonieorchesters des Landesgymnasiums für Musik. Der Rektor der Musikhochschule, Ekkehard Klemm, teilte erfreut dem Publikum im ausverkauften Konzertsaal der Hochschule mit, dass für dieses Projekt mit Vladimir Jurowski ein wahrer Pultstar gewonnen werden konnte.
Jurowski ist nicht nur Principal Conductor beim London Philharmonic Orchestra und ständiger Gast der Sächsischen Staatskapelle Dresden, er ist auch Alumnus der Dresdner Hochschule und hat daher das Projekt gerne übernommen. Dabei war das Konzert allerdings weit entfernt von einer Star-Show, im Gegenteil: die Musik stand im Vordergrund und damit auch das gemeinsame Erarbeiten der Partituren hin zu einem sehr professionellen, überzeugenden klanglichen Ergebnis.
Das begann mit dem Orchester des Landesgymnasiums und dem Klavierkonzert C-Dur KV 467 von Wolfgang Amadeus Mozart. Der erst 18jährige Pianist Ngoc Doc Vu (Klasse Prof. Zenzipér) bot eine differenzierte, sichere Gestaltung und formte treffend die Charakteristik der drei Sätze. Noch dazu entschied er sich die umfangreichen Kadenzen von Alfred Schnittke zu verwenden, die dem Stück eine starke Intensivierung verliehen. Dirigent Vladimir Jurowski konnte sich auf fabelhaft agierende junge Musiker verlassen, trennte räumlich Bläser und Streicher und hatte keinerlei Mühe, Schwung und Deutlichkeit in den Ecksätzen und innige Verklärung im zweiten Satz zu erzeugen.
Nach der Pause war die terminlich leicht verspätete Ehrung des Jubilars Gustav Mahler mit einer spannenden Dramaturgie versehen: zunächst musizierte das Hochschulorchester die beiden Wunderhornlieder "Das irdische Leben" und "Das himmlische Leben" - beide Lieder sollten nach Mahlers Plänen in die 4. Sinfonie aufgenommen werden, doch dann entschied sich der Komponist nur für das Vokalfinale mit dem "himmlischen Leben". Die Sopranistinnen Rebekka Gruber und Elisabeth Auerbach gestalteten die beiden keinesfalls leichten Wunderhornlieder mit passender Klanggebung und guter Ausformung von Text und Charakter.
Das lyrische Moment dieser Lieder übertrug Vladimir Jurowski dann nahtlos in die Interpretation der 4. Sinfonie, in der das Hochschulsinfonieorchester ausnahmslos in allen Gruppen derartig farbig und flexibel agierte, als ob Mahler das täglich Brot wäre. Jurowski verstand es, den Musikern auch kleinste agogische Hinweise zu geben und gleichzeitig Spannung und Entwicklung zu halten - die jungen Musiker dankten diesem Engagement mit hoher Konzentration auf der Stuhlkante. Die Sopranistin Jihye Son führte im Solo des 4. Satzes die Sinfonie dann zu einem geschmeidig-wärmenden Abschluss. Es war eine erfolgreiche Kooperation, die die starken Potenziale der beiden Institute demonstrierte, aber hier vor allem ein einzigartiges Musikerlebnis schuf.
Landesbühnen Sachsen mit der Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven
Die 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven wird für den Jahreswechsel von vielen Orchestern gern auf das Programm gesetzt, dabei ist es nicht nur der offene Jubel des bekannten Finalsatzes, der "Ode an die Freude", die zu den Aufbruchsgedanken eines neuen Jahres perfekt passt. Denn die Sinfonie, das wird gerne unterschlagen, besteht aus vier genial zusammengefügten Sätzen und bietet zahlreiche auskomponierte Haltungen und Gedanken feil, die letztlich alle auf eine komplexe Auseinandersetzung mit dem Menschen und der Natur zielen, somit philosophische Dimension offenbaren.
Insofern wäre das Werk auch gut geeignet, auch Politikern einen Moment der Besinnung angedeihen zu lassen: was kann Kultur bewirken? wie werde ich berührt? warum spendet das Publikum in der vollbesetzten Auferstehungskirche in Dresden-Plauen so großen, ehrlichen Applaus? Leider hat dieses musikalische Ausrufezeichen wohl niemanden der Verantwortlichen erreicht, die die Kürzungen des Orchesters der Landesbühnen unlängst durchgesetzt haben.
So fällt das Grußwort des Orchesters zum Jahresausklang sorgenvoll aus, dass die Musiker anschließend in der Sinfonie "um ihr Leben spielten", kann man als fast schon zynische Wahrheit beschreiben: die Aufführung der 9. Sinfonie von Beethoven war gleichsam ein historisches Ereignis, das keiner gewollt hat, denn in dieser Formation wird das Landesbühnenorchester wohl zum nächsten Jahreswechsel nicht mehr antreten. Mit diesem Beigeschmack versehen ist es um so bemerkenswerter, wie die Aufführung diesmal eine Intensivierung erfuhr, die mit dem Gefühl des "jetzt erst recht" nicht nur zu Beethovens Innerstem vordrang, sondern auch von mitreißender Ernsthaftigkeit geprägt war.
GMD Michele Carulli wählte für den Eingangssatz ein bedächtiges Tempo, das Raum für die Klangentfaltung ließ - der Orgelpunkt am Ende der Durchführung fiel dadurch um so bohrender, gar wütender aus. Anstelle von Wildheit und Chaos im Scherzo herrschte eine gespannte Ordnung, die den folgenden langsamen Satz noch intensiver geraten ließ. Carulli ließ im Finale dann alle musikalischen Kräfte frei, gestaltete aber sorgsam die gut deklamierenden Chöre (Singakademie Dresden und Chor der Landesbühnen) und das etwas auftrumpfend agierende Soloquartett (Anna Erxleben, Hannah Schlott, Guido Hackhausen, Iikka Leppänen).
Musste es erst zu der kulturpolitischen Unbill kommen, dass wir uns plötzlich wieder dem Sinn der Neunten zuwenden? Ein verrückter Gedanke, der uns aber näher an die Bedeutung des Werkes führt. Dieter Hildebrandt wird im Programmheft zitiert: "Nur wenn wir uns klarmachen, dass wir einem Hymnus auf die Vergeblichkeit beiwohnen, dämmert uns eine Ahnung von Widerstand und Widerständigkeit, bis in die letzte Note der Neunten." - Ode an die Freude, ungelöst.
Nachbemerkung: Dass ich ausgerechnet auf dem Weg zu diesem Konzert in einem Park in der Innenstadt von einer dort versammelten Meute "Sieg Heil"-Rufe vernahm, erfüllte mich mit Entsetzen - und rüclt den Kürzungsakt des Sächsischen Kultusministeriums in nahezu kriminelle Regionen. Wer Kultur kürzt, macht sich strafbar, und zwar geistig strafbar.
Georges Prêtre mit Schubert und Mahler im 6. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Vor fast genau zehn Jahren begann er eine intensive Zusammenarbeit mit der Sächsischen Staatskapelle, und das ist in seinem Alter und mit der Erfahrung, bei der man sich die Lieblingsorchester der Welt nahezu aussuchen kann, nicht selbstverständlich. Doch den 87jährigen Georges Prêtre, den französischen Grandseigneur der Dirigentenzunft zieht es immer wieder nach Dresden: Freundschaften wollen gepflegt werden, und wenn man einen Blick in seine funkelnden Augen während der Aufführung erhascht, so weiß man, dass diesem großen Mann nichts lieber ist als Musik, Musik, Musik.
Das 6. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle am vierten Advent war daher auch nahezu ausverkauft und mit Schuberts "Unvollendeter" und Mahlers 1. Sinfonie standen zwei große sinfonische Werke auf dem Programm, die nicht nur durch die Tonartenbeziehung eine interessante Dramaturgie aufwiesen. Prêtre ging durchaus ähnlich an beide Werke heran, indem er immer wieder in Ruhe nach einem spezifischen Klangfluss forschte, der zum einen punktgenau ins Detail verwies, zum anderen nie den Zusammenhang der Architektur des Werkes außer acht ließ. Mit dieser Konsequenz versehen, geriet das Konzert zu einem Festmahl, bei dem die Zeit rasant verflog, weil sie mit dem Äußersten angefüllt war.
Dazu übertrug sich Prêtres spannungsgeladenes Musizieren bis in die hintersten Reihen im Parkett, so dass man bei von Prêtre sensibel angelegten feinen Harmoniewechseln in der Schubert-Sinfonie atemlose Stille im Opernrund verspürte. Die Detailgenauigkeit führte aber niemals zum Bruch - Schuberts zweisätziges Meisterstück wurde wie ein liebevoll enthülltes Geschenk bedacht: Prêtre ist ein Meister im Maßhalten und so zauberte er vor allem einen runden, satten Klang aus dem Orchester, der Schubert keine Weltverzweiflung auferlegte, sondern vor allem Sensibilität und Lebensatem - sauber ist ein "Moderato" da vom "con moto" getrennt.
Dafür allein hätte man Prêtre schon feiern mögen, doch der sinfonische Erstling von Gustav Mahler wartete noch nach der Pause.
Auswendig und mit ökonomischer, dennoch scharfer Zeichengebung führte Georges Prêtre die Sinfonie zu einer differenzierten Interpretation. Das begann gleich bei der feinen Contenance, mit dem er die Naturlaute des 1. Satzes mit der persönlichen Reflektion des Komponisten verband und selbst im Höhepunkt noch Linien betreute und Abrundung gestaltete. Die Aufbruchsgedanken waren über den von Prêtre saftig musizierten 2. Satz bis in die letzten Noten des 4. Satzes gespannt. Sanft führte Prêtre die Musiker zu atemberaubenden Bläsersoli und gab im Dirigat oft nach um den Klang zu intensivieren, der Marsch des 3. Satzes erhielt dadurch eine Stringenz, die nie Grenzen überschritt, damit tiefen Ernst entwickelte.
Außergewöhnlich langsam geriet der 4. Satz, doch mit der Ruhe und Überlegenheit, die Prêtre ausstrahlte, entwickelte der Satz schon zu Beginn eine enorme Kraft. Doch Säbelrasseln ist Prêtres Sache nicht, stattdessen strömte das Finale mit allen seinen Rückblicken und Innenschauen markant und organisch auf seinen hymnischen Jubel zu. Den Blumenstrauß gab es als besondere Ehrerbietung gleich von Christian Thielemann höchstselbst; mit stehenden Ovationen dankte das Publikum Georges Prêtre und der Kapelle für ein außergewöhnliche Musikerlebnis.
Da hat mir die
Imke doch kurz vor Weihnachten noch ein nettes Ei ins Blognest gelegt - einen "Musik-Blogger-Award" habe ich erhalten. Vielen Dank dafür!
Nun ist die Award-Manie auf Blogs ja eigentlich Kinderkram, aber die subjektive Auswahl und Verlinkung soll ja zum Kennenlernen und Vernetzen von Musik(er)-Blogs führen, wobei uns wohl am meisten die aus der klassischen Szene interessieren. Besser also so als über irgendeine Votinggeschichte. Wohin das führen kann, hat uns das Thalia-Theater Hamburg gerader
wunderbar vorgemacht und die Pusherei bei der ING-DiBa um 1000 Euro fürs Vereinssäckel fand ich irgendwann auch nur noch skurril. Also pappe ich mir stolz meinen Award-Button in diesen Artikel...
...und berichte mal kurz über weitere Seiten, die einen solchen Award verdienen würden oder schlicht lesenswert sind:
1) als allererstes wird der Pokal zurück in den Ruhrpott geschleudert, denn die Dame, die das Ding vergeben hat, ist selbst aktive Musikerin und wohl die eifrigste Bloggerin die ich kenne -
immer einen Besuch wert
2) Dann bekommt das
"Bad Blog of Musick" der nmz natürlich eine Empfehlung (und zwar schon die zweite, denn auch die
Flutepage nominiert das Blog)- so streitbar, kompetent und informativ und kommt wohl kaum ein Blog daher, was sich mit aktueller Musik beschäftigt - und es ist mittlerweile auch einer der konstantesten Internetauftritte in diesem sensiblen Bereich, wo bisher zumindest Foren und Blogs nach der Startphase mit 2,5 bis 3 Teilnehmern und 1,5 Beiträgen mangels Interesse auf "404 - Seite nicht vorhanden" geschaltet wurden.
3)
thg - Vom Leben gelernt hat den Award natürlich ebenfalls verdient - auch wenn ihr Blog, wie meines auch manchmal, oft über die Musik hinaus ins Leben schießt. Da das bei Musikern ohnehin untrennbar verbunden ist, hier also die Leseempfehlung rauf nach Coschütz ;)
4)
Alex Ross darf hier natürlich ebensowenig fehlen wie
5)
Norman Lebrecht und...
6)
Johannes Kreidler, der aus seiner Werkstatt berichtet, aber auch seitwärts Kunst betrachtet.
7) nicht ganz Blog, weil (noch) ohne Interaktion, aber immer aktuell mit einem gehörigen Fundus an bisherigen Dresdner Rezensionen, Features, Interviews aus den Federn der Musikjournalisten der Stadt:
Musik in Dresden
8) unbedingt hierhin gehört auch die
Platte 11 - ein Blog, das sich sehr umfangreich und in den Themen sehr kompetent nicht nur Vinyl und CDs widmet, sondern auch Features über Komponisten, Werke und weiteres aus der Kultur hat. Immer inspirierend zu lesen und meist auch mit Hörempfehlungen versehen.
Wer noch Tipps für Musikblogs hat, schreibe mir bitte, ansonsten hoffe ich, dass sich durch diese hübsche Aktion die Leser und Besucher auch fleißig vernetzen. Danke also an die "Flimbe" dafür.
Weblog mehrLicht - 19. Dez, 01:02
Zweiter Teil des Weihnachtsoratoriums mit Christian Thielemann
Am Donnerstagabend konnten die Zuhörer in der Frauenkirche den zweiten Teil des Weihnachtsoratoriums mit der Staatskapelle Dresden unter Leitung von Christian Thielemann erleben. Die Kantaten 4-6 sind thematisch dem eigentlichen Weihnachtsfest nicht mehr ganz zugehörig, und doch sind Themen wie die Namensgebung, die Geschichte der Weisen und die Glaubensstärkung zugehörig vor allem im Sinne der persönlichen Reflektion, die in den Gottesdiensten der ersten Aufführungsserie in Leipzig eben durch Bachs Musik und Deutung in besonderer Weise gelang und sich bis heute fortsetzt.
Christian Thielemann suchte diese Botschaften in seiner Interpretation durch eine überwiegend forsche Herangehensweise darzustellen - das Klangbild war dem der ersten drei Kantaten ebenbürtig. Die Wirkung der einzelnen Sätze schien nun im Fortgang des musikalischen Ablaufs kompakter, da Thielemann klar definierte, oft sehr schnelle und wenig verrückbare Tempi wählte. Der Kammerchor der Frauenkirche gestaltete vor allem den ersten Chor "Fallt mit Danken" mit guter Zielsetzung, die beiden Eingangschöre der anderen Kantaten ließen im stetig schnellen Grundcharakter Flexibilität vermissen, dafür waren die Choräle sauber mit guter Textbetonung musiziert und von Thielemann auch als Kommentar oder Verinnerlichung abgesetzt.
In den Arien war deutlichere Emphase der musikalischen Ausgestaltung zu bemerken. Daniel Behle, der weiterhin als Evangelist überzeugte, hielt sich zu Beginn stimmlich auffallend zurück, um dann in der letzten Tenorarie "Nun mögt ihr stolzen Feinde schrecken" Überzeugung und Zuversicht auszustrahlen. Ein Glanzstück von Leichtigkeit waren auch die beiden Sopranarien von Sibylla Rubens, Christa Mayer war ihr im Terzett und den Rezitativen ebenbürtig. Hanno Müller-Brachmann übernahm in dieser Aufführung die Bass-Partie und deutete sie mit starker, manchmal zu theatralischer Gestaltung, das führte in "Erleucht auch meine finstre Sinnen" zu Unstimmigkeiten mit den Instrumentenpartien. Die Staatskapelle folgte Thielemanns Zeichengebung aufmerksam, das kraftvoll zupackendes Continuo ist ebenso positiv zu vermerken wie die erfreulich klangsinnigen Instrumental-Soli der Arien.
Dass Thielemann eine Finalwirkung konstruierte, indem er das letzte Rezitativ und den Schlusschoral im für die Trompeten gerade noch machbaren festlichen Duktus übereilte, mag Geschmacksache bleiben, wie überhaupt das Weihnachtsoratorium als Ganzes in diesem Aufführungszyklus zu Widerspruch und Diskussion aufrufen mag. Thielemanns Weihnachtsoratorium schreibt nicht die Bach-Rezeption neu, sondern ist als persönliche, sicher heutzutage ungewöhnliche Darstellung mit der aus einem "romantischen Ohr" interpretierten Musik im Fokus der Aufführung zu werten.
Bachs Weihnachtsoratorium unter Christian Thielemann
"Thielemanns Weihnachtsoratorium", so frohlockte die Sächsische Staatskapelle vollmundig in der Ankündigung der Aufführung. Zum ersten Mal überhaupt widmete sich der designierte Chefdirigent der Kapelle einem Oratorienwerk von Johann Sebastian Bach. Der Slogan rückte den Interpreten in den Vordergrund, die Vermarktung für Radio und Heimkino stand bereit - das schürte Erwartungen. Am Donnerstagabend konnte sich das Publikum in der ausverkauften Frauenkirche von der Lesart Thielemanns der ersten drei Kantaten ein Bild machen. Von einer historisch informierten Aufführung ist nicht zu berichten - hier und da waren Elemente in die Interpretation eingeflossen, doch gerade die Kompetenz der Kapellmusiker in der Pflege des barocken Kulturgutes führte in Verbindung mit der Kompromisslösung modernen Instrumentariums und einer in den Phrasierungen nur punktuell zu beobachtenden Einigkeit zu unlösbaren Widersprüchen im Hörergebnis.
Thielemann suchte in den Kantaten Zusammenhang durch attacca-Übergänge zu schaffen, ihm geriet aber vor allem zur dritten Kantate hin der Mut zur Detailarbeit innerhalb der Sätze aus den Augen. Läßt man die Kapellmusiker mit minimalistischem Dirigat allein musizieren, so überträgt sich der Charakter des "Irgendwie" auch bis auf die Emporen. Gerade der Streicherklang ließ sich zwischen romantisierend-wulstigem Klang wie in der wenig prägnant strukturierten Hirtensinfonia oder in der Arie "Schlafe, mein Liebster" und ansatzweise realisierter Affektausgestaltung ("Lasset uns nun gehen") nicht auf einen Nenner bringen. Thielemanns Weihnachtsoratorium hat dafür reichlich dynamische Kontraste zu bieten, der Eingangschor war von Pauken und Trompeten stark dominiert.
Dieses oft von ihm terrassenartig eingesetzte Stilmittel reichte vor allem für den Chor kaum aus: der Kammerchor der Frauenkirche musizierte brav nach Dirigat mal laut, mal leise, wirkte aber in den Kantaten zwei und drei zu forciert und ohne erkennbare Linienführung, die zu Beginn besser ausgeprägt war. Auch in den Chorälen war keine Konzeption zu erkennen: mal wurde Bedeutung hineingeholt, mal flächig durchmusiziert, ohne dass sich ein Bezug zum Fortgang des Werkes herstellte. So war im Hörergebnis nicht nachvollziehbar, dass die Textausdeutung, und damit die Erzählung der Weihnachtsgeschichte in der Anordnung Bachs im Vordergrund von Thielemanns Sichtweise stand.
Es reihten sich mehr oder weniger überzeugende musikalische Einzelerlebnisse aneinander. Die Solistenbesetzung konnte den unklaren Gesamteindruck nicht verbessern. Auch hier gab es eine Diskrepanz in der jeweiligen Erfahrung und der individuellen Umsetzung der Bachschen Musik. Daniel Behle (Tenor) fand da als Evangelist genau das richtige Maß zwischen Einfühlung und Distanz der Erzählrolle, kundig vom stets hellwachen Continuo um Johannes Wulff-Woesten begleitet. Christa Mayer (Alt) agierte zumeist geschickt, um ihre große Opernstimme für diese Musik einzurichten. Ihre Arie "Schließe, mein Herze" fiel vor allem wegen Kai Vogler (Violine), dessen sämig vorgetragenes Solo im Stile einer "Pièce" des 19. Jahrhunderts nicht nur gegenüber Mayers Gesang zu dominant war, sondern auch stilistisch ausbrach. Florian Boesch (Bass) wiederum hätte von Behle einiges an Geschmeidigkeit übernehmen können, konnte sich aber durch übertriebene Gestaltung und herausgestemmte Spitzentöne keine Meriten erwerben.
Es blieb an Sibylla Rubens (Sopran), den Geist der Weihnacht auch durch eine musikalische Umsetzung hervorzuzaubern - wie sie den wenigen Noten des Engels und der weltbejahenden Energie des Duetts "Herr, dein Mitleid" natürlichen, ganz aus Bach heraus verstehenden Charakter gab, das war ein plötzlich aufleuchtender Stern dieses Weihnachtsoratoriums. Bachs Musik braucht starke, kompetente und vor Begeisterung brennende Interpreten - dass das vielfach unterschätzte und komplexe Oratorium einzig durch die von Thielemann im Vorfeld als Hauptattraktion benannte Unschuld und Naivität eine auch emotional nachvollziehbare musikalische Spannung und Dramaturgie erhielt, war nach der Aufführung in der Frauenkirche zu verneinen.
Konzert des KlangNetz-Projektensembles in der Musikhochschule
Seit vier Jahren hat das an der Musikhochschule beheimatete "KlangNetz Dresden" mit verschiedenen Partnern in der ganzen Stadt für neue Klänge gesorgt. Ein wichtiger Spross dieser Aktivitäten ist das "KlangNetz Projektensemble", dessen erstes Konzert im Mai 2008 im Kleinen Haus von Hans Zender geleitet wurde. Am Donnerstagabend fand ein Konzert des Ensembles im Konzertsaal der Musikhochschule statt, wobei die hinter den Darbietungen stehenden Grundideen der Vernetzung auch hier umgesetzt wurden: mit dem Österreicher Beat Furrer war eine wichtige Stimme der Musik der Gegenwart ausgewählt worden, der komponierend und interpretierend tätig ist - sein von ihm gegründetes Ensemble "Klangforum Wien" hat sich einen international hervorragenden Ruf erarbeitet.
Furrer leitete am Tag der Aufführung Workshops in der Hochschule und stellte im Konzertsaal je zwei Werke aus eigener und fremder Feder vor. Im Kammerensemble herrscht ein ungezwungenes Miteinander aus Studenten und Musikern der Dresdner Philharmonie. Kaum ist auszumachen, wer hier den besseren "Riecher" für die modernen Klänge hat, eher freut man sich, dass sich hier auch immer wieder eine offene, die Werke positiv befördernde und professionelle Gemeinschaft gebildet hat. Allen Stücken war zu eigen, dass sie trotz einer nicht immer leicht verständlichen kompositorischen Struktur den Weg zum ungeübten Ohr über die Arbeit mit der Klangfarbe finden.
Furrers "Xenos" aus der Umgebung des Musiktheaters "Wüstenbuch" ist vom Eindruck der Imam-Gesänge in Istanbul geprägt, ohne dieses Wissen muss man aber genau hinhören, um diese vokalen Ursprünge und deren instrumentale Umsetzung auszumachen. Vor allem aber wirkt hier ein sehr emotionaler, direkter Umgang mit den Farben des Instrumentalensembles, am Schluss zaghaft in Melodiefragmente mündend. Dankbar und bewegt war man auch von der Aufführung von "Bouchara" des Franko-Kanadiers Claude Vivier, dessen Werke sehr selten gespielt werden. Verrückt scheint, dass bei aller Flut von neuer Musik allenorten ausgerechnet diese Musik sofort eine tiefere Ebene öffnet, die Weghören unmöglich macht. Dafür sorgte auch der unablässige vokale Strom, den die Sopranistin Maria Perlt klangsinnig mit den Instrumenten erzeugte. Beat Furrer steuerte im Dirigat hier ebenfalls emotionale Impulse bei, die eine eindrucksvolle Interpretation formten.
Anton Weberns "6 Orchesterstücke" erklangen nach der Pause in einer Kammermusikfassung, deren Qualität eigenständig sein mag, aber interessanterweise gerade wegen der doch ganz anderen Wirkung etwa beim Austausch von Harfe und Klavier die Frage nach Original und Bearbeitung stellt. Zum Abschluss stellte Beat Furrer sein "Konzert für Klavier und Ensemble" vor, das der Solist Sang-Min Han ohne äußerliche Zeichen von Anstrengung souverän und rhythmisch prägnant bewältigte. Griffig und von Hochspannung getragen war dies eine Tour de Force, die von zahlreiche Spiegelungen durch ein zweites Klavier und dem auskomponierten Resonanzkörper in den Instrumenten bestimmt wurde. Der spannende Konzertabend fand reichlich Zustimmung beim Publikum und Initiator Jörn Peter Hiekel konnte mitteilen, dass die Ensemblearbeit auch nach dem Ende des Projektes des Netzwerk Neue Musik fortgesetzt wird - der Fortbestand des "KlangNetz Dresden" ist ein Bekenntnis für die Lebendigkeit aktueller Musik in der Stadt, die hoffentlich weiterhin auf so hohem Niveau fortgeführt wird.
Kammerchor der Singakademie Dresden mit Eccard, Hammerschmidt, Bach und Füting
Seit 2004 ist der "Adventsstern" der Singakademie Dresden ein fester Programmpunkt der musikalischen Aktivitäten der Vorweihnachtszeit. Dass neben der Besinnlichkeit und Vorbereitung auf das Weihnachtsfest in diesem Konzert tiefergehende Beleuchtung adventlicher Gedanken musikalischer Art zu erleben sind, darf sich gerne noch mehr herumsprechen. Als solches dient nämlich der "Adventsstern" als hervorragende Alternative zur inszenierten Besinnungslosigkeit dieser hektischen Zeit. Die Dramaturgie der Programme, für die Leiter Ekkehard Klemm verantwortlich zeichnet, bietet dabei manche Überraschung feil.
Doch nur kurz währet das Stutzen, als man im Programmheft neben dem Komponistennamen Johann Sebastian Bach nicht das Weihnachtsoratorium als Aufführungsgegenstand erblickt, sondern den ersten Teil der h-Moll-Messe. Klemm versteht die h-Moll-Messe im Sinne von Neuerung und Aufbruch und zieht damit eine sinnvolle Parallele zur Weihnachtszeit - eine weitere besteht in den weihnachtsaffinen Teilen des Ordinarium Missae, die selbstverständlich Geburt und Anbetung Jesu (Gloria, Benedictus) nicht auslassen. Die Singakademie wird sich dem Meisterwerk in drei Teilen bis 2013 im jeweiligen "Adventsstern" zuwenden und stellt Bach jeweils eine "Re-Aktion" eines zeitgenössischen Komponisten zur Seite. Am Sonntag war dies der in Amerika und Deutschland wirkende Komponist Reiko Füting, dem mit "höhen-stufen" eine reizvolle kontemplative Betrachtung von Sprache und Zeit gelang.
Spannend war zu beobachten, wie sich die Verzahnung von Harmonik und Zeitfluss in Fütings Werk zu Bach verhielt. Beide Komponisten arbeiten in klar wahrzunehmender strenger Strukturierung, und es wird jeweils eine Gesamtidee deutlich, die die Thematik beleuchtet, aber nicht einengt. Die Idee von himmlischen und irdischen Stimmen wird hier kompositorisch sehr plastisch ausgeformt und stellen somit auch einen Bezug zur Messe im theologischen Sinne her. Der Kammerchor der Singakademie hatte mitsamt fünf Solisten (Jana Reiner, Christiane Büttig, Elisabeth Holmer, Oliver Kaden und Egbert Junghanns) vielfältige Aufgaben zwischen Geräusch, Tonfläche und Deklamation zu bewältigen, Uta-Maria Lempert steuerte ein das Werk reflektierendes Violinsolo von der Empore bei.
Endend mit der Chorsatz "Cum Sancto Spiritu", wirkten Kyrie und Gloria der Messe in dieser Teilaufführung geschlossen und wurden ja auch von Bach zur - nicht erfolgreichen - Bewerbung um einen Hoftitel in Dresden eingereicht. Für den runden Gesamteindruck der Aufführung sorgte Klemms Auswahl flüssiger Tempi, die klare Themengestaltung zuließen - so rückte jeweils der ganze Satz in den Hörvordergrund, weniger die Details. Bereits die beiden Kyrie-Sätze waren zielgerichtet ausmusiziert, das Gloria hätte noch etwas mehr rhythmische Emphase zeigen dürfen. Der Kammerchor zeigte, dass er die anspruchsvollen Chorpartien engagiert bewältigen kann, einige Reserven waren in den Mittelstimmen zu bemerken. Empfunden und stilgerecht waren die Arien von den Solisten gestaltet, in der Begleitung der Sinfonietta Dresden fielen allerdings einige Ungenauigkeiten in der Phrasierung und ein durchweg zu präsentes Continuo auf. Der Kammerchor der Singakademie hatte zu Beginn noch einen weiteren Programmteil mit Continuo-Begleitung und a-cappella ausgestaltet und damit erfolgreich eine höchst ansprechende Gesamtleistung bewältigt: Motetten von Johann Eccard und Andreas Hammerschmidt zeigte der Chor mit überzeugender Textdeklamation ud folgte Klemms Zeichengebung stets aufmerksam, so dass die Motetten Schwung und Klarheit erhielten. Damit löste der Chor gleich zu Beginn die adventliche Stimmung aus, die im folgenden die Betrachtung der Gegenwart, der Musik und Kulturen erst ermöglichte.
Jörg Herchets Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias in der Musikhochschule
Zu einem Gesprächskonzert mit dem Komponisten Jörg Herchet lud die Dresdner Musikhochschule, wo Herchet viele Jahre als Professor für Analyse und Komposition wirkte, am Donnerstagabend ein. Nur ein einziges Werk stand auf dem Programm: die "komposition für violine, violoncello, klavier und publikum", gleichzeitig betitelt als Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias von Jörg Herchet. Bereits im März wurde die Kantate im Leonhardi-Museum uraufgeführt, doch konnten sich die Interpreten und der Komponist glücklich schätzen, das Werk im Laufe des Jahres in mehreren sehr unterschiedlichen Räumen erklingen zu lassen, denn die Kantate bezieht nicht nur die Raumwirkung ein, sondern hebt auch die Distanzen auf, indem das Publikum an zwei Stellen zur Mitwirkung eingeladen wird.
Herchet begann seinen Zyklus mit Kantaten zum Kirchenjahr 1978; seitdem sind viele höchst unterschiedliche, in ihrer genuinen Kreativität immer wieder neu faszinierende Werke entstanden, die die jeweiligen Themen des Glaubens beleuchten, aber auch in Reflektion zum Menschen der Gegenwart setzen und dafür eine spezifische literarische und musikalische Ausdruckswelt erschaffen. In der Kantate zum 3. Sonntag nach Epiphanias, dem Dreikönigstag, ist schon die Besetzung ungewöhnlich: die Kantate kommt ohne Chor, Solisten, Orchester aus, stattdessen ist ein Klaviertrio Protagonist der Musik. Die drei Musiker sind auch gemeinsam mit dem Publikum Träger des Textes (Jörg Milbradt), dessen Auskomposition im Stil einer "Lesung" verbleibt und daher nah an den von der Kirche her gewohnten Rezitationen und einfachen Gesänge verbleibt.
Überraschend sinnfällig war die Einbeziehung des Publikums als Laut-Träger: die für jedermann sofort umsetzbaren Anweisungen der Lesung sorgten für eine mal individuelle, mal chorisch organisierte Klangebene. Das aufführende Dresdner elole-Klaviertrio und der Komponist gaben wertvolle Einblicke in die Partitur und konnten somit den Zuhörern vor der Aufführung eine Vertrautheit vermitteln, die nicht belehrend oder akademisch geriet. Dafür sorgt auch Herchets in diesem Werk überraschend bildhafte Musiksprache, die aber niemals totale Identifikation oder Eindeutigkeit fordert, doch lädt sie an vielen Stellen nicht nur zum Genuss (wie die "Lieblingsstellen" der Musiker bewiesen), sondern auch zur tiefergehenden Beschäftigung mit dem Thema ein - Herchets Einbeziehung des Zen-Buddhismus baut gottlob nicht auf Orientalismen, sondern führt behutsam etwa an die Wahrnehmung und Auflösung von erlebter Zeit heran.
Die Aufführung selbst geriet zu einem starken Erlebnis für alle: der nahezu ökumenische Gedanke der Kantate hin zu einer offenen Frage zum Bezug zwischen Wort, Glaube und Wunder manifestierte sich in Text wie Musik so zwingend, dass man nachgeradezu froh war, keine klassische oratorische Umsetzung vor sich zu haben. Immer wieder fanden sich in dem klar strukturierten Werk deutlich gezeichnete instrumentale Bilder, die durch die starke Umsetzung von elole wie eine Art geistige Wanderung durch eine Klanggalerie wirkten. In der passenden Form des Gesprächskonzertes wurde auch die immense Bedeutung des Kantatenzyklus von Herchet offenbar - nach Johann Sebastian Bach dürfte er der erste Komponist sein, der in der Neuzeit auf eine ähnlich intensive, zeitgenössische Art und Weise, zum Kirchenjahr Fragen stellt, Haltungen formuliert oder reflektiert und damit die Auseinandersetzung mit dem Glauben heute fördert - ein humanistischer Ansatz letztlich, für den man in der Verbindung mit der Musik nur dankbar ist.
Regelmäßig, nämlich monatlich erscheint bei
world-wide-brandenburg.de ein Wikio-Ranking der sächsischen Blogs. Ich bin eigentlich wenig interessiert an Nutzerzahlen und Traffic, aber es ist doch erfreulich, dass mein Blog zumindest nach dieser
Auswertung (Link) einigermaßen lesenswert erscheint. Zudem findet man über die Liste jede Menge nette Schreib-Kollegen und somit Lesestoff, Anregungen, Kontakte... Also danke nach Brandenburg für die Erstellung der Liste und an meine Leser für das Interesse! Weiterhin versuche ich hier nicht nur meine Artikel und Rezensionen aus der Dresdner Kulturwelt zu bloggen, sondern natürlich auch manches, was mir am Herzen liegt, worauf ich im Netz stoße oder was einfach - oft musikalisch/künstlerisch - spannend ist.
Bleibt mir also gewogen, und diskutiert gerne mit.
Weblog mehrLicht - 7. Dez, 22:56
Wie
jedes Jahr gibt es hier auf dem Blog wieder Adventskalender-Links, traditionell widme ich mich wieder verstärkt den Flug- und Reisekalendern, obwohl ich trotz der braven Werbung noch nie was gewonnen habe. Aber da es Spaß macht und der eine oder andere Kalender auch schön gemacht ist, hier die Links:
* Germanwings hat wieder einen schönen
Flash-Kalender
* AirBerlin hat seinen Adventskalender diesmal
über facebook laufen. Diesmal finde ich ihn reichlich unglücklich - es gibt ausgewählte Flüge an Folgetagen der Verlosung zu gewinnen. Was soll ich als Dresdner aber mit einem Einzelflug von Berlin nach Salzburg am 3.12.?? Vielleicht gibt es ja Leute, die Spaß dran haben...
*
TuiFly verlost ebenfalls über facebook, allerdings nur wöchentlich, dafür sind die Gewinne ziemlich hochwertig und es gibt Spielspaß
(Direktlink)
* LTur hat auch einen
Adventskalender. Selbes System wie Germanwings, nur die Firma ist eine andere. Somit auch die Gewinne... ;)
* Das
Fliegermagazin hat auch einen Kalender mit Gewinnen
* Wer nicht fliegen will nimmt die Fähre: Finnlines hat auch einen schönen
Adventskalender
* beim
Artill-Blog gibt es wieder eine Adventssause mit Grafik, Postern und Überraschungen
* der Sender detektor.fm aus Leipzig bietet mit seinem
"akustischen Adventskalender" 24 tolle Stimmen und Bands zum Entdecken
* in der Milka Weihnachtswelt ist auch ein
Kalender versteckt
* vorwiegend Literarisches gibt es in der Linkliste bei
bibliothekarisch.de
* noch mehr für Leseratten? Bitteschön, die Linkliste der
Büchereulen
Wer nun noch nicht genug hat, schaut mal bei
Glitzerfrosch oder im
Sparblog. Da gibt es Kalender bis zum Abwinken...
Weblog mehrLicht - 1. Dez, 21:42
Im letzten Jahr veranstaltete das Ensemble Courage noch ein "Advents-Adventure" im Festspielhaus Hellerau. Dieses Jahr platziert man sich mitten in der Neustadt, um vor dem zweiten Adventssonntag einmal ein Programm unter dem Titel "Wahlheimat Sachsen" darzubieten. Unter Leitung von Titus Engel führt das Ensemble vor allem verschiedene Werke von Benjamin Schweitzer auf, am Samstag, 3.12. um 19 Uhr wird im zweiten Konzert auch ein Werk von mir erklingen, das 2000 entstandene Ensemblestück "Da fragte ich mich / was für eine Kälte / muss über die Leute gekommen sein." -- Herzliche Einladung!
Infos:
https://ensemble-courage.de/de/vorschau.htm
Kulturrathaus Dresden, Königstr. 15 (Neustadt)
2.12. 19 Uhr, Konzert I mit Werken von Andreas Tziartas, Dmitri Terzakis und Benjamin Schweitzer
3.12. 17.30 Round-Table mit den Komponisten
3.12. 19 Uhr, Konzert II mit Werken von Arman Gushchyan, John Eckhardt, Benjamin Schweitzer und Alexander Keuk
Ensemble Courage, Leitung Titus Engel
Weblog mehrLicht - 1. Dez, 21:37
Die sechste Wanderung hatte ihren Startpunkt in Coschütz, an der Endhaltestelle der Linie 3. Das ist nun ein Stadtviertel, in dem ich so gut wie nie zu tun habe, um so spannender die Entdeckung..? Hinter der TU kraucht die 3 die Südhänge hinauf, die neue Schleife hinter dem vormaligen Endpunkt Plauen parallel zum Westendring hat schon etwas von einer Bergbahn. Doch bis zum Endpunkt geht es noch etwas höher hinauf:
Coschütz liegt idyllisch auf einer Hangplatte, die nach Osten hin vom Kaitzgrund und nach Westen vom Plauenschen Grund steil abgegrenzt wird. Allerdings lassen wir den idyllischen
Fichtepark mit seinem Turm auf dem Weg liegen, denn wir wollen ja ganz oben starten.
Hier geht es los: Die Wendeschleife in Coschütz
Im Süden winkt der
Windberg als höchste Erhebung, das ist dann schon hinter der Stadtgrenze zu Freital. Diese überschreiten wir heute auch zweimal, denn wir beschließen nicht durchs "Dorf" zum
Hohen Stein und dann hinunter nach Plauen zu laufen (das ist allerdings auch eine wegen Natur und Aussicht lohnenswerte Wanderung), denn da waren wir schon einmal. Wir wollen ja Neues entdecken und wenden uns daher am Achtbeeteweg ostwärts. Am 1. Advent, sonnendurchflutet, liegt das Viertel ruhig da, einige Weihnachtsdekorationen in den Vorgärten nimmt man aufgrund des frühlingshaften Wetters. Am Ende der Straße lugt hinter Bäumen ein massiver DDR-Bürobau hervor, der Klotz gehört zur Feldschlößchen-Brauerei, wo aber heute ebenfalls Ruhe herrscht.
An der Feldschlößchen-Brauerei
Südwärts laufen wir die Cunnersdorfer Str. entlang. Mein uralter Stadtplan versagt an der Stuttgarter Str. den Dienst, die Industriegebiete und deren Erschließung sind wohl im Zuge des A17-Baus entstanden, die Autobahn selbst verläuft unter unseren Füßen im Coschützer Tunnel. Vor uns liegt eine Halde, die zum
"Ökologischen Großprojekt Coschütz-Gittersee" gehört. Beide Viertel waren nämlich Bergbaustandorte, deren Rückstände in den letzten zwanzig Jahren aufgearbeitet wurden. Die Halde, die den Kaitzgrund in zwei Teile zertrennt, ist noch nicht ganz fertig, sie soll (ähnlich wie die am Heller) der Naherholung dienen. So treffen wir auch heute schon auf viele Spaziergänger, am kleinen Teich unterhalb der Halde spielen sogar zwei ältere Damen Karten.
Von der Halde hat man eine tolle Aussicht bis nach Wachwitz und in die Sächsische Schweiz
Wir beschließen, den Kaitzgrund noch etwas nach Süden hinaufzuwandern und können uns anhand eines quer durch den Wald verlegten Industrierohres vorstellen, was für eine Brühe der Bach zu DDR-Zeiten gewesen sein muss - davon ist gottlob nichts mehr zu sehen. Am Ende des Waldes steigt eine Straße mit einem kleinen Wohngebiet neuerer Provenienz hinauf. Oben an der Straßenkreuzung liegen Schienen, ein Prellbock verkündet allerdings das Ende der Strecke: wir stehen an der
Windbergbahn, die zwischen Gittersee (
hier mehr über Bergbau und Stadtviertel) und Freital kurvig den Berg hinunter verläuft und die eine wichtige Rohle im Kohlebergbau der Region spielte, denn hier, wo wir stehen, verlief die Trasse bis hinauf nach Bannewitz und hatte Anschluss an verschiedene Kohlenmeiler.
Ende im Gelände: Prellbock der Windbergbahn kurz vor Burgk
Am Bahnhof Gittersee, den man von dieser Stelle aus sehen kann, gibt es sogar ein Eisenbahnmuseum und ein Verein kümmert sich um die Bahn, die bald wieder erschlossen sein soll. Oben an der Kreuzung - wir befinden uns hier bereits auf der Freitaler Gemarkung im Stadtteil Burgk - duftet es nach Mittagessen, sollten wir etwa wieder ganz zufällig einen heimeligen Gasthof gefunden haben? So ist es: Die "
Hopfenblüte" liegt verkehrsgünstig an der Kreuzung und lädt zum adventlichen Schmaus ein.
der Gasthof Hopfenblüte, wo schon für die durstigen Kehlen der Bergmänner Gezapftes bereit stand
Anstelle danach die wenig beschauliche Karlsruher Straße hinunter zu laufen, wählen wir noch einen Rundgang durch die am Westhang liegenden Wohngebiete. Es ist schon fast ein Kunstwerk, wie hier kleine Häuser und Gärten in Terrassen angelegt wurden, allerdings dürfte es dramatisch enden, wenn man in seinem Carport neben dem Häuschen mal die Pedale verwechselt... Auf und ab gelangen wir wieder auf Dresdner Gebiet und über die Freitaler Str., die als Einbahnstraße von einigen Autofahrern trotz 30-Schildern offenbar mit einer Carrera-Bahn verwechselt wird nach Coschütz zurück, mitten in den alten Dorfkern, wo noch einige Gutshöfe stehen. Über die Windbergstraße kommen wir zurück zur Straßenbahnhaltestelle und entdecken noch ein Kleinod: da gibt es doch wirklich an der im satten Gelb angestrichenen "Alten Post" ein nicht ganz so altes, aber dennoch antikes Telefonhäuschen - denn diese Zellen sind ja fast überall schon verschwunden.
Falsch verbunden?
So haben wir in Coschütz-Gittersee-Burgk heute vieles gesehen und wieder gelernt, dass Dresden nicht nur aus Frauenkirche und Semperoper besteht. Bald wenden wir uns der längsten Straßenbahnlinie zu, der Linie 4, die uns nach Laubegast und Weinböhla führt.
Dresden mehrLicht - 28. Nov, 11:09
Yuja Wang brilliert mit Prokofjew im 3. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Eine Absage einer großen Künstlerin ist traurig, aber zu respektieren. Im Rund der Semperoper kreisten vor dem 3. Sinfoniekonzert die Gespräche denn auch um die Bedauerung, dass man die Pianistin Martha Argerich zu ihrem zweiten Auftritt in der Semperoper nach 2009 nicht begrüßen konnte. Doch war das Publikum dennoch gespannt, denn die Staatskapelle hatte sich um würdigen Ersatz bemüht: die junge Chinesin Yuja Wang erklärte sich zum Einspringen und damit ihrem Dresden-Debüt bereit. Jüngst verlieh man der in den USA ausgebildete Künstlerin den ECHO-Klassik-Preis als beste Nachwuchskünstlerin. Mit dem Solistenwechsel war ein Programmwechsel unvermeidlich, doch die Entscheidung für das populäre 3. Klavierkonzertes C-Dur Opus 26 von Sergej Prokofjew gab dem Programm, das auch Werke von Debussy und Respighi vorsah (die ebenfalls gestrichene "Euryanthe"-Ouvertüre hätte trotz ihrer unbestreitbaren Qualität da wahrlich nur als Fremdkörper gewirkt), einen einheitlichen Anstrich unter dem Sujet von Tradition und Fortschritt im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Für diese Werke stand mit Charles Dutoit ein ausgewiesener Spezialist als Gast am Pult der Sächsischen Staatskapelle. Schnell fanden Wang und Dutoit im Klavierkonzert zueinander, und ebenso rasch wurde man als Zuhörer aufmerksam auf ein großes Talent: die Chinesin überzeugte in allen drei Sätzen mit einer überlegten, kontrollierten Tempo-Gestaltung, legte Prokofjew zwar mit rhythmischer Emphase an, aber eben nicht mit unangebrachten Übertreibungen, die gerade in diesem Konzert hinter fast jedem motorischen Anrollen in den Ecksätzen als Gefahr lauern. Das Ergebnis dieses reifen, manchmal fast distanzierten Zugangs war eine natürliche, satte Kraft, die Wang ausbreiten konnte. Sie nahm sich Zeit für die Beruhigung im Mittelsatz, fand gemeinsam mit Dutoit viele Nuancen in den leisen Registern und legte das Finale mit ordentlichem Zugriff als Parforceritt hin bis zur letzten Note an. Offener Wunsch: die letzte Scheu darf sie noch ablegen - nach dieser überzeugenden Darbietung hofft man auf eine baldige Wiederkehr von Yuja Wang.
Im zweiten Teil des Konzertes standen dann zwei orchestrale Glanzstücke auf dem Programm. Zunächst ging es aufs Meer hinaus: Claude Debussys 1905 vollendete Orchesterskizzen "La Mer" gelten als Meisterwerk instrumentalen Farbenspiels - im Konzertsaal ist das Stück längst ein Klassiker der Moderne. Dutoits Interpretation ging auf viele Details ein, formte sorgfältig die Binnendynamik in den Orchestergruppen aus und hatte mit ausgestelltem Lärmen wenig am Hut. Viel spannender war denn auch, was er aus der Cellogruppe oder den vielen Bläsereinwürfen herausholte; die gemeinsame Formung des Höhepunktes am Schluss war dann eine Selbstverständlichkeit.
Damit waren die Musiker schon optimal für das Finale des Konzertes vorbereitet. Auch die "Pinien von Rom" von Ottorino Respighi erfreuen sich - nicht nur dank der vom Band eingespielten Nachtigall und einem zusätzlichen Bläserchor auf dem Balkon - einer großen Beliebtheit. Jedoch erfordern beide Stücke eine gute Gestaltung von Dynamik und Entwicklung. Dutoit hatte keinerlei Probleme mit dem lustvoll aufspielenden Orchester, das bei den "Pini del Gianicolo" silbrig glänzte und am Ende den Marsch der "Pini della Via Appia" wuchtig zur Apotheose steigerte.
Meisterkonzert auf Schloss Albrechtsberg
Außergewöhnlich war das Meisterkonzert auf Schloss Albrechtsberg am vergangenen Freitag schon durch seine Instrumentenwahl: Gambe und Cembalo standen auf der Bühne bereit, und damit stand zumindest für das durch die Romantik geübte Kammermusikohr ein Ausflug in die frühen Zeiten des Virtuosenspiels an. Keinesfalls jedoch darf man diese feinsinnige Musik der Barockzeit an Schwierigkeitsgrad, Anspruch oder gar Emotion unterschätzen. Nachdem die Gambe und die damit verbundene Literatur im 19. Jahrhundert nahezu ausgestorben war, wurde das Instrument im Zuge der Renaissance der Alten Musik für den Konzertgebrauch wiederentdeckt.
Mittlerweile ist die Musik der frühen Barockzeit selbstverständlicher, wichtiger Lehrinhalt an den Hochschulen. So freute sich das Publikum auf zwei hochrangige Solisten, die - ganz wie damals unter den Virtuosen üblich - ihre Kunst auch lehrend weitergeben. Jakob David Rattinger (Gambe) und Christine Schornsheim (Cembalo) darf man Meister ihres Fachs nennen, davon waren die Zuhörer im Meisterkonzert schon nach den ersten Stücken überzeugt. Intelligent waren die Werke ausgewählt worden, denn man beschränkte sich nicht auf den - ohnehin noch zu wenig bekannten - französischen Komponisten und Gambenspieler Marin Marais (1656-1728), sondern gesellte ihm Johann Sebastian Bach zur Seite. Hier ist die Stückauswahl allerdings beschränkt, denn Bach schrieb in Köthen lediglich eine kleinere Folge von Gambensonaten. Das Instrument hatte da seine Blütezeit schon überschritten und war um 1720 noch zum "Dilettieren" im Hausgebrauch.
Schornsheim und Rattinger nutzten die Hereinnahme Bach eher, um französische und deutsche Stilformen voneinander abzugrenzen und damit reizvolle Kontraste herzustellen: fast hatte man den Eindruck, die beiden Meister säßen sich im Gespräch, oder besser Diskurs gegenüber. Musikalisch war die Darbietung erfüllend - gleich die Suite in a-Moll aus dem 3. Buch der "Pièces de Viole" von Marais war eine wunderbare Demonstration der hohen Kunst auf diesem Instrument. Wie affektgeladen das Spiel auf den sechs Seiten geraten kann, zeigte das temperamentvolle "Rondeau Le Troilleur" und vor allem das "Tombeau pour Mr. Sainte-Colombe", ein musikalisches Grabmal, das Marais seinem verehrten Lehrer setzte und in dem man Trauer und Weinen plastisch wahrnahm. Dafür sorgte Rattingers überlegtes und in jedem Ton stark gestaltendes Spiel. Frühe Bach-Werke wie die Toccata c-Moll für Cembalo bewiesen gleiche Meisterschaft im Kontrapunkt wie in der Ornamentik. Der Wettstreit ging sogar soweit, dass man versucht war, in den beiden Präludien und Fugen A-Dur und a-Moll, die Schornsheim mit tollem Sinn für den musikalischen Fluss musizierte, Marais'sche Wurzeln zu finden.
Vor allem aber zur Einkehr und Beruhigung taugten auch viele langsame Sätze des Programms. In der Pause nahm sich Rattinger sogar die Muße, den interessierten Zuhörern eine Demonstration der Viola da Gamba zu geben. Damit gab es im Meisterkonzert nicht nur "Künstler zum Anfassen", sondern insgesamt eine spannende Innenschau der Gamben-Hochzeit im Barock.
Sinfoniekonzert im Rahmen der Tschechisch-Deutschen Kulturtagein der Musikhochschule
Dank der gemeinsamen historischen Wurzeln und der Initiative kultureller Initiativen und Stiftungen ist Tschechien und insbesondere Böhmen näher an Sachsen herangerückt - der aktuell lebendige Austausch von Kunst, Musik, Kultur verweist immer auf gemeinsame Wurzeln, aber auch auf spannende Gegenwart: auch im Bewusstsein auf die Unterschiede zwischen beiden Ländern kann sich Gemeinsames entwickeln.
So stand das Sinfoniekonzert in der Hochschule für Musik im Rahmen der 13. Tschechisch-Deutschen Kulturtage eben für diesen Austausch: Die Brücke/Most-Stiftung feierte damit das 10jährige Jubiläum ihres Stipendiatenprogramms, das tschechische und slowakische Studentinnen und Studenten an der Musikhochschule Dresden unterstützt. Drei Absolventinnen dieses Programms stellten sich im Konzert vor, die Nordböhmische Philharmonie Teplice musizierte unter der Leitung des Dresdner Hochschulrektors Ekkehard Klemm höchstselbst. Das ansprechende klassische Programm sorgte für einen vollen Konzertsaal und die entsprechend festliche Atmosphäre.
Fast schon eine Selbstverständlichkeit war es, dass die ersten beiden Werke aus der Feder von Antonín Dvořák stammten. Für die Auftritte der beiden Streichersolistinnen wurden allerdings nicht die beiden Konzerte ausgewählt, die auch den Rahmen des Konzertes gesprengt hätten. Eva Jamníková (Klasse Prof. Ivan Zenatý) spielte mit schönem Ton die ebenso virtuose wie musikantische "Mazurek", Opus 49 für Violine und Orchester. Natália Skvorcovová (Klasse Prof. Emil Rovner) schloss sich mit der warm empfundenen "Waldesruh" aus Opus 68 an. Die Kürze der Stücke konnte indes nur ein Schlaglicht auf das Können der beiden Solistinnen werfen - diese Aufgabe lösten sie allerdings mit Bravour und kaum sicht- oder hörbarem Lampenfieber. Ekkehard Klemm begleitete mit der Philharmonie Teplice kundig und mit guter Ausbalancierung der Dynamik, um den Solostimmen Raum zu geben. Der Pianistin Hana Vlasáková (Klasse Prof. Arkadi Zenzipér) war dann ein ganzes Konzert vergönnt, das überdies zu den sehr populären Vertretern des Genres gehört: das Klavierkonzert G-Dur von Maurice Ravel. Dass die junge Pianistin das temperamentvolle Konzert technisch mit souveräner Lockerheit bewältigte, beeindruckte. Nicht immer einverstanden konnte man indes mit ihren Temporückungen im 1. Satz sein; ein recht lapidarer Zugang zum Adagio überraschte zudem, war aber durchaus charaktervoll durchgehalten. Grundsätzlich gab es noch einiges Potenzial - auch im Orchester - für eine Leichtigkeit des Zuganges, die im Ergebnis eine schärfere Zeichnung des Werkes ermöglicht hätte.
Die 8. Sinfonie von Ludwig van Beethoven im Programm bildete nicht bloß das sinfonische Abschlusswerk, denn die Skizzen zum Werk doch 1812 bei einem Kuraufenthalt Beethovens in Teplitz entstanden. So schloss sich ein Kreis der fruchtbaren musikalischen Verbindungen, und die schwungvolle, auf viele Details eingehende Interpretation des aufmerksam den Intentionen von Ekkehard Klemm folgenden Orchesters tat ein übriges für dieses gelungene Konzert.
"Erste Anhörung" der Dresdner Philharmonie in der Musikhochschule
Wenn man sich der "Ersten Anhörung", die die Dresdner Musikhochschule in Zusammenarbeit mit der Dresdner Philharmonie einmal pro Saison veranstaltet, widmet, muss zunächst die einschränkende Bemerkung fallen, dass es sich nicht um ein Konzert im üblichen Sinne handelt. Moderator Wilfried Krätzschmar wies in seinen einleitenden Worten auch darauf hin, dass hier jungen Kompositionsstudenten die Möglichkeit gegeben wird, mit einem professionellen Orchester Stücke zu erarbeiten - eine Idee, die in Dresden übrigens schon eine lange Tradition hat: kurz nach der Wende war es noch das Sinfonieorchester Pirna, in dessen Probestätte Carolabad die Dresdner Studenten einmal im Jahr pilgerten, um ihre neuesten Töne auszuprobieren.
Heute verfügt die Hochschule selbst über einen hervorragenden Konzertsaal und so war die Philharmonie nun zu Gast, um drei neue Stücke in einem Probenworkshop am Montag kennenzulernen und am Abend dem Publikum zu präsentieren. Abwechslung garantierten diesmal die sehr unterschiedlichen Handschriften der Komponisten. Christian Rheber (*1980) stellte zwei Sätze unter dem Titel "Spiegel Stücke" vor, die starken Bezug zur Tradition aufwiesen, der nicht von der Hand zu weisen ist: Rheber arbeitet auch in der Film- und Popmusik. Allerdings schienen die beiden Sätze in ihrer völlig unterschiedlichen Stilistik kaum unter einen Hut zu passen, zudem waren die Sprecherparts im 2. Satz teilweise vom Orchester zugedeckt.
Eine ähnliche Problematik wies Arman Gushchyans (*1981) "Peri-Ge" auf, hier sprachen die Musiker Textfragmente, deren Herkunft weder das Programmheft verriet noch waren diese deutlich zu vernehmen. Dabei hatte gerade dieses Stück in seiner wuchernden Natur-Nähe einiges an Reiz zu bieten: Gushchyan schrieb einen sehr detailreichen Orchestersatz, in dem sogar die Besetzung und Verteilung der Instrumente neu definiert wurde. In vorsichtig voranschreitender Klanglichkeit bewahrte Gushchyan donnernde Höhepunkte bis zum letzten Drittel auf und hatte so auch eine wirkungsvolle formale Struktur für das Stück gefunden.
Tobias Schick (*1985) benannte sein Orchesterstück "o.T." (ohne Titel) und führt den Zuhörer damit natürlich gleich auf den Boden der Spekulation: solcher Absicht muss ein Programm innewohnen! Doch auch ohne Beschreibung konnte der Hörer staunen, wie kurze und längere Klangflächen ineinander verwoben und verschoben waren, bevor ein Höhepunkt einen Registerwechsel in tiefste Regionen erforderlich machte und das Stück plötzlich ein Ende fand. Das "Weiterdenken" wird bei allen drei Werken sicher einsetzen und sich in einer Fortsetzung oder einem neuen Werk niederschlagen. Die Dresdner Philharmonie spielte die Novitäten mit dem großem Anspruch der Konzertreife, die allerdings hier auch nicht verlangt war - es klang dennoch sehr ansprechend.
Dem Dirigenten Lennart Dohms, Absolvent der Dresdner Musikhochschule, wurde anschließend der Kunstpreis der Hanna Johannes Arras Stiftung verliehen, eine Auszeichnung bürgerschaftlichen Engagements, die seit 11 Jahren vor allem junge Künstler ehrt, die sich im Kulturleben Dresdens verdient machen.
Am Buß- und Bettag fanden wir wieder Muße zu einem Endhaltestellenspaziergang. Es ging nach Kleinzschachwitz, zum Endpunkt der Linie 2, die aus dem Stadtgebiet heraus durch Gruna, Seidnitz und Leuben den Stadtteil erreicht. Kurz vor der Fährstelle ist Schluss, idyllisch liegt die Wendeschleife in einem kleinen Park.
Eine Runde um die Kiefern: die Wendeschleife
Kleinzschachwitz ist ein eher "feinerer" Vorort und wird geprägt von vielen Villen und Einfamilienhäusern. Zwischen Leuben, Niedersedlitz und Zschieren gelegen geht es hier ruhig zu, besondere Höhepunkte bietet der Stadtteil eigentlich nicht, sieht man von dem kleinen Zentrum mit dem kulturellen Zentrum
"Putjatinhaus" ab. Ein architektonisches Highlight ist auch die
Therese-Malten-Villa, auch eine Straße wurde hier nach der in Dresden wirkenden
Opernsängerin benannt. Wir wenden uns allerdings nach Südosten und durchstreifen das Viertel ein wenig in Richtung der Wostra-Bäder. Allerdings ist Kleinzschachwitz offenbar wenig an unserem Besuch interessiert - es ist an diesem Feiertagsmittag so ruhig, dass man seelenruhig sogar auf der Straße spazieren kann, kaum einmal begegnen wir einem Auto, selbst die Wilhelm-Weitling-Straße liegt begraben unter Herbstlaub im Schlummer.
In Kleinzschachwitz kann man schon einmal besichtigen, was 2016 ein ordentlicher Weihnachtsbaum werden will.
Das schöne
FKK-Bad Wostra mit dem Badesee ist ebenso wie das andere Freibad schon geschlossen - im Sommer lohnt allerdings ein Besuch. Um die Bäder herum gelangen wir zum Elberadweg, dem wir nun flussabwärts folgen, an der Pillnitzer Elbinsel entlang, die übrigens schon seit 1924 unter Naturschutz steht.
Sind wir noch in der Stadt?
Hohe Pappeln und einige Enten grüßen vom Ufer her. Bald erreichen wir die Fährstelle nach Pillnitz und werden natürlich wie immer vom Hunger gepeinigt. Gut, dass das 1860 erbaute, stattliche Fährhaus an der Anlegestelle eine
Wirtschaft beherbergt, in der wir einkehren können. Gediegen und ruhig klingt diese Feiertagswanderung bei schmackhaftem Essen aus, nicht ohne dass wir mit dem Kellner noch einen Schwatz von Hundebesitzer zu Hundebesitzer führen.
Mit den Enten auf den Bus warten
Von einer der idyllischsten Bus-Endhaltestellen, die somit hier auch gewürdigt wurde, treten wir mit der Linie 88 den Rückweg über Niedersedlitz an und stehen 37 Minuten später am Bahnhof Neustadt.In Thomas Rosenlöchers "Garten bei Kleinzschachwitz", den man bestimmt aufs ganze Viertel übertragen mag, ließen wir es uns also gutgehen.
Dresden mehrLicht - 17. Nov, 20:56
Am Donnerstag haben wir endlich den nächsten Teil unserer Wanderungen geschafft. Heute war der westliche Endpunkt der Linie 2 dran, nämlich Gorbitz. Gorbitz ist eines der beiden großen Plattenbaugebiete im Dresdner Stadtgebiet und wird von den Linien 2, 6 und 7 direkt angefahren. Die 2 macht dabei vorher einen Schlenker durch Cotta und erreicht das Viertel von Westen her. Der Endpunkt liegt am großen Straßenbahnhof in Gorbitz, nur die Linie 7 fährt seit Dezember 2008 an den südlichen Stadtrand nach Pennrich weiter.
An der Endhaltestelle
Unsere Spazierroute führt uns allerdings nicht mitten durchs Wohngebiet, sondern eher am südlichen Rand entlang, wir laufen die Forsythienstraße hindurch und sehen links die letzten, teilweise aufregend auch von außen sanierten Plattenbauten, während rechts noch der Straße noch ein älteres Wohnviertel am Hang liegt, ebenfalls noch zu Gorbitz gehörig. Wir kommen am Obergorbitzer Friedhof vorbei und an der "Lebenshilfe" und erreichen die Kesselsdorfer Str., die wir überqueren, um in den "alten" Teil von Gorbitz zu kommen. Hier wird Gorbitz fast dörflich, allerdings steht an der "Pforte" zu diesen Nebenstraßen eine unansehnliche Ruine.
Wir lassen das Wohngebiet links liegen und folgen der Straße, die in einer Sackgasse an Wiesen, Feldern und einem Wasserschutzbereich endet. Die Freude über die Landschaft währt - an diesem ohnehin sehr grau-nebligen Tag - nicht lang, denn die A17 quert bald den Hang, an der Pesterwitzer Str. queren wir sie und gelangen an den Rand der zu Freital gehörenden
Gemeinde Pesterwitz, die eigentlich einen eigenen Besuch wert wäre, aber das schaffen wir heute nicht.
Luft holen zwischen großen Straßen...
Wir folgen nun der Autobahn durch ein wildwucherndes Gebiet nach Osten. Dort stoßen wir auf die Saalhausener Straße, die uns zurück nach Dresden und in das Viertel von Naußlitz führt. An der Straße Beerenhut findet man noch viele kleine, alte und verwinkelte Häuser vor. Ein Stück weiter den Hang hinab erreichen wir unsere Verpflegungsstation, das
Café Grießbach an der Neunimptscher Straße, laut Eigenwerbung der "Balkon Dresdens", und das stimmt auch denn das Café hat eine hübsche Terrasse mit Blick über die Stadt, allerdings heben wir uns diese für einen Sommerbesuch auf, denn bei dem Hochnebel waren nicht einmal die Türme der Innenstadt zu erkennen. Dafür sind wir - o Freude - genau zum
Seniorentanztee am Donnerstagnachmittag eingetrudelt. Während wir uns also mit wirklich köstlicher, gutbürgerlicher Küche stärkten, trudelten die älteren Semester zu Schwatz und Tanz ein.
Schmecken lassen! In Naußlitz wird man satt!
Da die Musik nicht so ganz unser Fall war, verzichteten wir aufs Dessert (das hätten wir nach der Portion ohnehin nicht geschafft) und traten den Heimweg hangabwärts an. Durch ein paar Kleingärten hindurch und die Saalhausener Straße hinunter erreichten wir die Haltestelle Malterstr. und tauchten mit der 6 wieder in die Stadt ein. Diese Linie endet übrigens am Südrand von Gorbitz, wir werden also wiederkehren!
Die südöstliche "Ecke" von Gorbitz im Novembernebel...
Dresden mehrLicht - 11. Nov, 22:35
3. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie mit Weill, Korngold und Bartók
Na endlich! - Der Ausruf lag einem auf den Lippen, als man im Saisonprogramm der Dresdner Philharmonie auf den Namen
Carolin Widmann stieß. Sie gehört zu den wohl charismatischsten Geigerinnen der jüngeren Generation in Deutschland und brilliert nicht nur mit ihrem technischen Können, sondern auch mit einer alles Neue in der Violinliteratur aufsaugenden Neugier, die sich kurz darauf in atemberaubenden Interpretationen niederschlägt. Ihre große Offenheit und nunmehr jahrelange Erfahrung mit zeitgenössischer Musik erweitert auch die Perspektive für die Klassiker.
Für ihr Dresden-Debut wählte sie das spätromantische Violinkonzert D-Dur von Erich Wolfgang Korngold aus. Das süffige Stück ist normalerweise prädestiniert dazu, das Publikum zwischen aus der eigenen Schublade geklauten Filmmusik, mindestens acht Dutzend unaufgelösten Vorhalten in den Hauptthemen und rasantem Sport auf vier Saiten hart an die Grenze des Ertragbaren zu führen. Doch Carolin Widmanns Interpretation geriet zur Lehrstunde und berührte den Hörer durch eine unbändige Kraftentfaltung, deren Tiefe erreicht wurde durch die mit jedem Ton ausgedrückte Überzeugung, die dahinterstand. Vergeblich suchte man im 3. Satz Winnetou samt Pferd auf sonnendurchflutetem Hang erscheinen, dafür gibt es genügend Geiger auf dieser Welt, die für das Anwerfen solch imaginärer Kitschmaschinerien zuständig sind. Widmanns Augenmerk galt vor allem der hochentwickelten technischen Seite des Werkes, das ja für Jascha Heifetz geschrieben wurde. Neben ordentlich Feuer in den Ecksätzen war ihre Deutung des 2. Satzes als permanente, von großem Ton durchdrungene Beruhigung eine Glanzleistung. Die Dresdner Philharmonie hatte einige Schwierigkeiten, den rasanten Tempi der Solistin zu folgen, das gelang selbst mit konzentrierter Hilfe des - auch hier ein Debut bei der Philharmonie - amerikanischen Gastdirigenten
James Gaffigan nicht immer reibungslos. Trotzdem war man sehr erfreut über einen vor allem durchlässigen, manchmal indes aufgrund der durchgehaltenen Konzentration zu spannungsarmen Orchesterklang.
Dabei hatte man sich ja locker eingespielt: Kurt Weills Suite aus der "Dreigroschenoper" war ein schöner Ausflug in einen heutzutage kaum mehr auf der Orchesterbühne gepflegten Musikstil. Und zweifelsohne kann das Ergebnis nur sein: Philharmoniker spielen Weill, dies gelingt mit ganzem Können und Anspruch, aber eben auch in diesem Arrangement von Max Schönherr mit einer gewissen Trockenheit, die Weills Komposition eben genau mittig zwischen Broadway und Konzertsaal verortet.
Hatte das Zykluskonzert mit Liebe und Verbrechen (Weill) sowie Leidenschaft und Tod (Carolin Widmann hatte Korngolds hingebungsvollen Melodielinien eine packende Ysaye-Zugabe inklusive "Dies Irae" folgen lassen) schon den thematischen Faden treffend aufgenommen, war nach der Pause die Geschichte des "Wunderbaren Mandarins" als Märchen von der Erlösung durch Liebe fast folgerichtig. Wenngleich Béla Bartóks Musik denkbar weit entfernt von Korngold und Weill ist, stellt sie doch gerade in diesem Kontext ein wichtiges Dokument der Musiklandschaft des ersten Drittel des 20. Jahrhunderts dar. Zur Zeit der Uraufführung 1926 Skandale im Publikum erzeugend, hat sich der "Mandarin" schon lange zum Bravourstück großer Orchester gemausert und ist in seiner bestechenden Farbigkeit der Instrumentation unwiderstehlich.
James Gaffigan setzte auf eine pointierte Klarheit der Interpretation. Das tat dem Stück sehr gut, denn so erhielt es eine rhythmische Struktur; die Harmonik wurde offengelegt und Zielpunkte deutlich definiert. Da die Tanzpantomime gleichzeitig auch ein ineinander verschränktes Klarinetten- und Posaunenkonzert darstellt, gebührte den beiden fabelhaft aufspielenden Instrumentengruppen großer Sonderapplaus. Mit der stets spannend gehaltenen Ausführung der reich ornamentierten Partitur gelang den Philharmonikern hier eine bestechend gute Interpretation eines sehr anspruchsvollen Werkes.
Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle mit Schostakowitsch, Janáček und Dvořák
Werke dreier großer Komponisten standen auf dem Programm des 3. Kammerabends der Sächsischen Staatskapelle, dennoch blieb der Kammermusik-Vereins des Orchesters seinem Credo treu, vor allem unentdeckte Perlen der Musikliteratur zu heben. Unverhoffter Glanz kann ebenso durch eine besondere Interpretation eines bekannten Werkes entstehen und so freute man sich vor allem auf das "Dumky"-Trio von Antonín Dvořák im zweiten Teil des Konzertes. Zuvor machten die Zuhörer Bekanntschaft mit dem frühen Klaviertrio Opus 8 von Dmitri Schostakowitsch. Allen Konzertmeistern der Staatskapelle ist die Vorliebe zum solistischen wie zum Kammermusikspiel sehr zu eigen, so musizierte Geiger Matthias Wollong diesmal mit seinen Leipziger Kollegen Matthias Moosdorf (Cello) und Gerald Fauth (Klavier) - bekannt als "Trio Ex Aequo".
Das Frühwerk des 17jährigen Schostakowitsch gingen die drei mit dem Mut zum Widersprüchlichen an, denn die Komposition kippt beständig zwischen rührig verfolgter romantischer Tradition und einer besonders von Fauth herausmodellierten abstrakten Sachlichkeit. An einigen Übergängen stockte der musikalische Fluss jedoch etwas und die wenigen herausbrechenden Höhepunkte hätten mehr Kontrolle verdient.
Während Schostakowitsch seine musikalische Sprache im Trio gerade zur frühen Reifung formt, blickt Leoš Janáčeks Bläsersextett "Mládi" (Jugend) in der Handschrift des 70jährigen Meisters zurück - in diesem Fall sind es versöhnliche Gedanken, die Janáček formuliert, und dankbar ist man für die natürliche Einbindung der vom Komponisten immer geliebten Volksmusik seines Landes. Andreas Kißling, Albrecht Krauß, Jan Seifert, Robert Langbein, Hannes Schirlitz und Christian Dollfuß interpretierten packend und mit einer rhythmischen Verve, die staunenswert war. Das kleine Ensemble schuf eine charakteristische Klangwelt, in der die zahlreichen Verästelungen und virtuosen Einwürfe perfekt eingebettet waren.
Das abschließende, wiederum vom "Ex Aequo"-Trio dargebotene "Dumky"-Trio von Antonín Dvořák zeigt ebenfalls die reife Komponistenhandschrift, doch dem positiven Glanz der beiden letzten Sinfonien Dvořáks steht hier eine durchgehende Melancholie gegenüber, die erst vom letzten Satz zögernd aufgelöst wird. Diese Wellen und Kontraste arbeiteten Wollong, Moosdorf und Fauth mit klanglicher Flexibilität sehr überzeugend heraus. Sie ließen sich auf jedes noch so kleine Motiv oder eine Begleitfigur immer wieder neu ein und schufen so eine spannungsgeladene Interpretation, die die inneren Geschichten des Werkes erlebbar machte.
1. Violinkonzert erklang im Gewandhaus
Das letzte Oktoberwochenende widmete das Leipziger Streichquartett in gleich mehreren Aufführungen an wechselnden Orten in Leipzig bedeutenden Kammermusikwerken. Am Sonntag beendete das Ensemble seinen Zyklus im Mendelssohn-Saal des Gewandhauses. Unter dem Titel “Tiefe Einsichten” gab es zum Abschluss zwei außergewöhnliche Kompositionen von Allan Pettersson und Anton Bruckner.
Handelt es sich bei dem großen Sinfoniker des 19. Jahrhunderts um – von einem frühen Streichquartett abgesehen – dessen einziges Kammermusikwerk, so ist der andere als großer Sinfoniker des 20. Jahrhunderts immer noch nicht recht in der Aufmerksamkeit angekommen. Dass seine – ebenfalls nicht sehr umfangreiche, doch wichtige – Kammermusik einen wertvollen Einstieg zum OEuvre des Schweden, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr fast unbemerkt von der Öffentlichkeit begangen wurde. Um so wertvoller scheint die Würdigung durch das Leipziger Streichquartett, das in diesem Jahr bereits eine Aufnahme mit Kammermusikwerken Petterssons beim Label Dabringhaus & Grimm vorlegte. Darauf ist auch das Konzert für Violine und Streichquartett (1. Violinkonzert) aus dem Jahr 1949 vertreten, dessen verspätetes “Record Release” man nun in Leipzig erleben konnte.
Fast hatte man den Eindruck, es mit der Handschrift eines “jungen Wilden” zu tun; zwar stellt das Violinkonzert Petterssons Debut als Komponist in der Konzertöffentlichkeit dar, aber der zum Zeitpunkt der Uraufführung 40jährige Komponist hatte schon ein erstes “Leben” als Bratscher im Stockholmer Orchester hinter sich, bevor er zu dieser Zeit beschloss, fortan nur noch zu komponieren. Was aber ist dies für ein ungestümes, dramatisches und den Zuhörer mit jeder Note packendes Werk. Die Tonsprache ist schroff, in – Pettersson-Hörern von der später entstandenen Sinfonik her vertrauten – vielen Wellen rollen immer neue Höhepunkte heran, die versiegen, abbrechen, neue Wellen erzeugen. Die chinesische Solistin Yamei Yu tritt nur zu wenigen Kadenzen hervor, alle fünf Musiker haben oft gleichberechtigte, hochvirtuose Parts zu bewältigen. Selten beruhigt sich das Werk, um dann, noch im Adrenalin des vorausgegangenen Höllenrittes, zauberhafte, plötzlich tonal gefärbte melodische Abschnitte hervorzubringen. Dem Leipziger Streichquartett gelang eine überlegte und zupackende Interpretation; das Ensemble schaffte es sogar, den ersten Satz auf eine fast leichtfüßige rhythmische Basis zu stellen und so Kontraste zum Folgenden aufzubauen. Großer Applaus für diese musikalische Entdeckung war die Folge, und vielleicht für manchen im Publikum der Anlass, sich mit dem interessanten Werk des Komponisten näher zu beschäftigen.
Die Partnerschaft mit Anton Bruckner im selben Konzert gerät ungewöhnlich, wenngleich man Parallelen gerade in der Großbögigkeit der Anlage versucht ist zu ziehen, die sich aber erst später in Petterssons sinfonischem Werk offenbaren. So wirkte Bruckners “kleine” Sinfonie für fünf Streicher vor allem in den ersten beiden Sätzen seltsam unbekümmert und das Quintett (mit Barbara Buntrock als Gast an der zweiten Bratsche) brauchte eine Weile, um sich in diese neue Klangwelt einzufinden. Sehr stark war dann das Adagio als Zentrum des Werkes ausgestaltet und genaues Zuhören führte zu einer überzeugenden, in der zelebrierten Langsamkeit niemals den Fluss verleugnenden Interpretation. Mit einer Fuge von Bach als Zugabe verabschiedete sich das Leipziger Streichquartett von diesem intensiven, Horizonte öffnenden Kammermusikwochende.
Am Sonntag nun ging es endlich nach
Prohlis. Nach 17 Jahren in Dresden musste ich feststellen, dass ich nur ein einziges Mal wissentlich in diesem Viertel zu tun hatte, als ich den Exilort des Kreuzgymnasiums besucht habe. Vermutlich ist Dresden aber einfach auch groß genug, dass man als "West"-Viertelbewohner schlicht wenig im "Osten" zu tun hat, wenn man nicht gerade Verwandtschaft dort hat oder einen Beruf mit lokaler Mobilität sein eigen nennt. Mobil ist man aber mit der DVB in einer guten halben Stunde aus dem Zentrum vor Ort - die Endhaltestelle Prohlis deckt gleich dreifach unsere Wanderkapitel ab: die 1, 9 und die 13 enden hier.
Möglicherweise widme ich dem Viertel selbst noch ein eigenes Kapitel, wenn mir mitgeteilt wird, was es dort alles zu entdecken gäbe. Wir aber waren am Sonntag natürlich auf Wanderung und Natur eingestellt, und deswegen haben wir uns von der Haltestelle aus gleich südwärts gewandt. Die B172 kreuzend, lassen wir schnell den Kaufpark Nickern an der Seite liegen und tauchen in ein kleines Wohnviertel ein, das idyllisch von Gartensparten begrenzt wird.
Wir sind in
Nickern und stellen fest, dass auch hier, wie auch in Leutewitz am Hang zu beobachten, viele neue Ecken mit Einfamilienhäusern entstanden sind. Trotzdem gibt es noch einen alten Dorfkern, den man erlaufen kann und man bestaunt alte Bäume und manch altes Gehöft, das liebevoll restauriert wurde. Der
Geberbach windet sich mitten durchs Viertel, und bachaufwärts treffen wir auf das
Schloss Nickern, dass fast schon romantisch an diesem Sonntagmittag einen Herbstlaubschlaf schläft.
Wir folgen dem Bachlauf weiter südwärts über Streuobstwiesen und gelangen nach
Kauscha. Hier gibt es einen
Jugendbauernhof und im Dorf eine imposant auf einer Anhöhe stehende zu Ehren von König Albert 1898 gepflanzte Stieleiche, die wir bewundern.
Weiter den Bach entlang stoßen wir auf zwei Stauseen, die kaum gefüllt sind und als Rückhaltebecken dienen. Die Brücke der A17 über diesen Taleinschnitt finden wir sehr praktisch, da wir genau bei der Passage dieser Brücke Schutz vor dem einsetzenden Regen finden. Der obere See scheint in einem schlechten Zustand zu sein, das Gemäuer bröckelt, von alten Schildern, die den Ort oder möglicherweise die Gefahr beschrieben haben, stehen nur noch die Sockel.
Der Weg, der mit einem grünen Zeichen sogar als Wanderweg ausgewiesen ist, zeigt weiter südwärts, und so erreichen wir nach einer Pferdekoppel und einem Hundesportplatz
Goppeln. Der Weg hinauf zur
Babisnauer Pappel wäre die Krönung, aber wir sind hungrig und suchen daher nach einem Ort zur Stärkung.
Der Gasthof in Goppeln sieht trotz großformatiger Beschilderung leider verwaist aus, doch finden wir ein Altenheim und Kloster, dass von den
Nazareth-Schwestern (ein 1923 von
Mutter Maria Augustina gegründeter Orden mit dem Mutterhaus in Goppeln) unterhalten wird: Sonntags 14 Uhr Klostercafé! Unser Ziel ist erreicht und so mischen wir uns in das muntere Publikum, das mit der 75 aus Leubnitz zum Kaffeeklatsch hier rausgefahren ist - der Altersunterschied wird marginal, denn wir verköstigen ebenfalls Käffchen und Kuchen und schwatzen - die selbstgemachten Waffeln nehmen wir uns für den nächsten Besuch vor. Praktischerweise kommt aller halbe Stunde eine 75 den Berg aus Leubnitz hochgekrochen und wendet an der wohl urigsten Endhaltestelle mit steinernem Wartehäuschen und einem weiteren Häusel für das dringende Bedürfnis des Busfahrers. Nachdem die 75 noch eine Ehrenrunde durch Leubnitz dreht, gelangen wir rasch wieder in die Innenstadt und haben auch heute wieder Dresden neu kennengelernt.

Blick von Goppeln Richtung Osten, im Tal der Gebergrund
Weitere Informationen bei
Lockwitz-Intern.de
Dresden mehrLicht - 31. Okt, 01:12
Benjamin Brittens "War Requiem" in der Frauenkirche
Ein sonniger Herbsttag neigte sich, als die Besucher am Sonnabend der Frauenkirche zuströmten - Benjamin Brittens monumentales "War Requiem" stand auf dem Programm, veranstaltet von der Stiftung Frauenkirche und musiziert von der Dresdner Philharmonie. Ein wenig sucht man da schon nach dem Anlass einer solchen Aufführung - rechtfertigt ein "normales" Samstagabend-Konzert den Aufwand dieses Werkes, das mehrfach bereits zum Gedenktag am 13. Februar aufgeführt wurde? Diese Frage ist im Falle Britten zu bejahen - denn dieses Stück gehört als musikalisches Versöhnungszeichen ohnehin in die beiden Städte, das Nagelkreuz am Altar der Frauenkirche zeugt von der Verbindung, die im Gedenken, aber auch in Kunst und Kultur lebendig erscheint.
Die Frauenkirche darf gerne zukünftig einigen Mehraufwand betreiben, um dieses 1965, drei Jahre nach der Uraufführung in Coventry erstmals in Dresden erklungene, so wichtige Oratorium dem Dresdner Publikum nahezubringen. Dazu gehört eine gemäßigte Preisgestaltung ebenso wie Werkeinführungen und der Mut, auch einmal von der touristischen Vermarktung abzusehen, die doch allzusehr von der Absicht einer nachwirkenden Aufführung mit Aussage ablenkt.
Musikalisch befand man sich bei der Aufführung am Sonnabend auf allerhöchstem Niveau. Es war die zweite Aufführung des Oratoriums in der Frauenkirche überhaupt; die erste fand dort 2008 ebenfalls mit der Dresdner Philharmonie statt. Die Hamburgische Generalmusikdirektorin und Intendantin Simone Young, profunde Kennerin von Brittens Werk, verstand es exzellent, zwischen exakter, zugreifender Impulsivität und flüssiger Liniengestaltung (etwa im Agnus Dei) zu vermitteln. So erhielt das War Requiem eine Kontrastbreite, die im feinfühlig musizierenden Orchester zwischen innigstem Solo und herausbrechender Masse alle musikalischen Schattierungen zu zeigen vermochte.
Ein von Emotionen freier Nachvollzug des Werkes ist ohnehin schon unmöglich, läßt man sich nur einmal in die von Young gut gezeichneten a-cappella-Schlüsse der Sätze fallen. Mit enormer Weichheit und tragendem Ton wurden diese vom Philharmonischen Chor Brünn geformt, der für das Werk optimal vorbereitet war. Ausgezeichnete Deklamation, gute Intonation und jederzeit in großen Bögen und Linien fließende Stimmen waren die Kennzeichen dieses Spitzenchores. Dem stand der Philharmonische Kinderchor kaum nach, war aber - räumliche Grenzen waren erreicht - auf der seitlichen Chorempore akustisch nur diffus wahrnehmbar. Überragend gestalteten Andrew Staples (Tenor) und William Shimell (Bariton) die exorbitanten Solopartien aus den in den lateinischen Messetext eingefügten Gedichten von Wilfred Owen, die oft zu knapp intonierende Sopranistin Miriam Gordon-Stewart konnte mit dieser Qualität nicht mithalten. Am Ende schien selbst das Orchester ergriffen von der soeben gestalteten, unglaublichen Musik; fast zu kurz erschien die Stille im Rund der Kirche nach dem letzten - versöhnlichen - Chorakkord.
Karl Amadeus Hartmanns "Simplicius Simplicissimus" in Semper2
"Wir sind ja nun mehr ganz verheeret" - ein Zitat aus Andreas Gryphius ergreifendem Gedicht "Tränen des Vaterlandes" (1636), das mitten in Karl Amadeus Hartmanns Oper "Simplicius Simplicissimus" erscheint und die ganze Befindlichkeit des gebeutelten Volkes im Dreißigjährigen Krieg spiegelt, legt sich von diesem Mittelpunkt aus wie ein Schleier über die ganze Oper: Auch Hartmann (1905-1963) befand sich zum Zeitpunkt der Komposition des Werkes zwischen den Verheerungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Reflektion und ahnungsvolle Vision gehen hier eine bedrückende Gemeinschaft ein und am Ende der Oper ist klar, dass auch die in vielen Weltgegenden gewaltreiche Gegenwart kaum Anlass zum Zurücklehnen bietet.
Insofern bot die Premiere von Karl Amadeus Hartmanns bewegendem Werk an der Dresdner Semperoper nicht nur einen zeitlos wichtigen Kommentar zum Zeitgeschehen, sondern in knappestmöglicher, konzentrierter Form reichlich Anlass zum Nachdenken. Dass dies ermöglicht wurde, garantierte die stimmige Einheit von Regie (Manfred Weiß), Bühne (Timo Dentler) und Kostümen (Okarina Peter). Für die frühe Kammerorchesterfassung mit 15 Instrumenten schien der intime Raum von Semper2 prädestiniert. Statt in einer Probebühne wähnte man sich durch die Quader-Bühnengestaltung um das Publikum herum in einem derart abgeschlossenen Raum, dass die Übertragung von Szene und Musik auf den Zuhörer in einer selten so direkt zu erlebenden Weise geschah. Konventionelles Frontaltheater wäre bei dieser Thematik ohnehin unangebracht: an jeder Stelle des Werkes, das "seine formale Konsistenz aus der Erregung nicht verleugnen kann" (Hartmann) sind wir unmittelbar angesprochen.
Regisseur Weiß versuchte (von einigen Schneeflocken abgesehen) daher auch gar nicht, die Kraft des Wortes, die ohnehin auch in zeitgenössischen Texten überwiegt, durch Theaterdonner oder Chiffrierung zu mildern. Auf einfachen Hockern folgt das Publikum-Volk der Geschichte des Bauernjungen Simplici, der in den Kriegswirren seine Authentizität behält, die ihm am Ende sogar das Leben rettet und kurzzeitig vermag, anderen die Augen zu öffnen. Wie stark wirkt in dieser minimalistischen Umgebung die 2. Szene in der Natur, wie selbstverständlich und unverrückbar steht der schon von Hartmann mitkonzipierte Lebensbaum als Gleichnis und einziges Bühnenutensil im Raum.
Auch den Protagonisten des Werkes ist anzumerken, dass sowohl die Intensität des Momentes als auch der dramatische Zug hin zur dritten Szene nachvollzogen wird. Die Australierin Valda Wilson in der Hauptrolle bleibt natürlich, sowohl stimmlich als auch darstellerisch; damit folgt man ihr bereitwillig durch Freude und Leid der Handlung. Timothy Oliver als Einsiedel überzeugt ebenfalls mit souveräner Gestaltung, genauso Matthias Henneberg als Hauptmann. In weiteren Rollen fügen sich Allen Boxer und Tom Martinsen, sowie Lina Lindheimer (Tanz) und ein kleines Ensemble des Staatsopernchors in dieses Sinnspiel von Leben und Tod, von Arm und Reich, Frieden und Gewalt. Der Hartmann-erfahrene Dirigent Erik Nielsen leitet straff und gleichzeitig flexibel durch die schillernde Partitur, die zwischen barockem Choral, Strophenlied und derbem Gassenhauer alles auffährt, was in den Zwischenkriegsjahren des vergangenen Jahrhunderts en vogue war - niemals aber verliert Hartmann den ihm eigenen, oft zweifelnden, abwartenden Ton, den Nielsen mit dem Ensemble vor allem in vielen Instrumentalsoli überzeugend herausmodelliert.
Potenzial besteht dennoch, die letzte Konsequenz einer zwingenden Übereinstimmung aller Musiker und Darsteller könnte diese Inszenierung zu einem geheimen Höhepunkt der Saison machen. Dank einer Vielzahl von Ansetzungen sollte jedem Interessierten der Besuch einer Aufführung anempfohlen sein - die fehlenden Kronleuchter vergisst man gleich in den ersten Takten, in denen man - Theater sei Dank - mitten in die Handlung geschleudert wird.
weitere Termine: 24., 25., 27, 30. Oktober & 1., 3., 8., 10., 11. November
Heute gab es schon die nächste Wanderung - zukünftig auch bebildert und immer mit Links zu interessanten Wegpunkten, Verschnaufstätten oder Bemerkenswertem am Straßenrand. Die Wanderungen werden hier in loser Folge erscheinen, aber wir versuchen natürlich, die 19 Endpunkte straff nacheinander in Angriff zu nehmen. Über den Menüpunkt "Dresden" links sind alle Berichte schnell aufrufbar.
In Ermangelung eines großen Zeitfensters, das uns heute eigentlich zum anderen Endpunkt der Linie 1, nach Prohlis, hätte führen müssen, entschieden wir uns für die Linie 3 zum Wilden Mann - Künftig versuchen wir allerdings die Abfolge der Linien einzuhalten, der nächste Bericht kommt also wirklich aus Prohlis.
Man sollte auch keinesfalls denken, ich käme aus der touristischen Branche - es war einfach eine Idee, die Stadt besser kennenzulernen und die Hunderunde vom berühmten "um-den-Block-Gang" zu erweitern, schließlich ist die DVB ja fix und befördert einen schnell an die Ränder der Stadt. Die Touren selbst entstehen meist spontan - wir lassen uns überraschen, wen oder was wir vorfinden.
Wilder Mann also, eingebettet in die Viertel Trachau und Trachenberge, der Name entstammt wohl dem Volksgebrauch und dem Namen eines Ausflugslokals, das aber nicht mehr existiert. Wir verlassen den gelben Zug an der Schleife und wenden uns bergwärts. Geräusche und Abgase verfolgen uns zunächst bis hinter die Autobahn. Dahinter beginnt die sogenannte "Junge Heide", ein Fortsatz der Dresdner Heide, heute vom gerodeten Heller und der Autobahn getrennt, aber immer noch ein imposantes Waldgebiet, das im Norden nach Boxdorf und westlich bis nach Radebeul reicht. Bis zum
Heidefriedhof wandern wir nicht, sondern halten uns parallel zur Autobahn, womit sich nicht unbedingt romantische Waldesstille einstellt.
Funktionaler Bau in Trachau: die Sparkasse
Eine Unterführung führt uns zurück nach Trachau in das Gebiet um die Schützenhofstraße, hier ist das Wohnviertel der
Großsiedlung Trachau architektonisch besonders interessant und viele Grundstücke am Hang weisen sehr individuelle Gärten und Häuser auf.
Eine namenlose Treppe führt hinauf in Richtung Galileistraße, etwas oberhalb an der Neuländer Straße residiert das Landeskriminalamt. Von oben hat man einen guten Blick über die Westseite der Stadt bis hinüber nach Gorbitz, 600 tief ziehende Kraniche waren bei diesem Termin nicht geplant, verschönern uns aber mit ihren Rufen den Spaziergang. Die Runde muss dann leider wieder beendet werden, allerdings nicht ohne Einkehr. Diese findet noch am Bergzipfel in der passenderweise
"Bergziege" benannten Eisdiele statt, in der man kurz einmal Ruhe und dampfenden Kaffee samt "Gedeck" (sogar der Hund bekommt ein Leckerli!) findet, bevor wir noch einem etwas orientierungslosen älteren Herrn wieder zurück in die Stadt verhelfen und mit der 3 daselbst wieder eintauchen.
Dresden mehrLicht - 25. Okt, 20:04
20 Jahre "Sächsische Gesellschaft für Neue Musik"
Die ersten Jahre nach der Wende bedeuteten für viele Menschen intensive Phasen der Neuorientierung. Neben der Suche und Behauptung der Identität stand im kulturellen Bereich im Vordergrund, sich nicht nur in der neuen Gesellschaft wiederzufinden, sondern auch gestaltender Teil dieses Neuen zu sein. So wuchsen und verblühten verschiedene Pflanzen des Aufbruchs, doch manche hatten Bestand und nach wechselvoller Geschichte gilt es heute Jubiläum zu feiern.
Im März 1991 gründeten Dresdner Komponisten, Musiker, Musikwissenschaftler und Dramaturgen die "Sächsische Gesellschaft für Neue Musik". Nicht nur das Wissen um ähnliche, bereits bestehende Einrichtungen im Westen stand im Focus, sondern vor allem der Willen zur Pflege und Aufführung der in Sachsen entstehenden zeitgenössischen Musik. Impulsgebend waren sicherlich damals die noch jungen "Tage der zeitgenössischen Musik", anstelle eines Festivals sollte die Gesellschaft aber vor allem gemeinsame Interessen, kreative Ideen und künstlerisch wirkende Persönlichkeiten bündeln. Als eingetragener Verein konnte die SGNM sich fortan im Dresdner Kulturleben verorten.
Ihre Aktivitäten sind dabei so vielgestaltig wie die neue Musik selbst; die Unabhängigkeit der kleinen Gesellschaft in der Kulturszene wurde bewahrt, wenngleich Kooperationspartner wie die Hochschule für Musik oder das Europäische Zentrum der Künste in den heutigen Zeiten nicht nur unabdingbar, sondern auch sehr nützlich erscheinen. So gab es je nach Veranstalter und Konzertkonzept wechselnde Aufführungsorte, auch die Gesellschaft selbst erneuerte sich in den zwanzig Jahren mehrfach. Natürlich ist der Landesname im Titel der Gesellschaft Programm, denn im Freistaat arbeiten schließlich unzählige Komponisten an der künstlerischen Gestaltung unserer Gegenwart, an tönendem Material herrscht also kein Mangel. In der letzten Dekade ist eine Kontinuität zu beobachten: seit 2004 leitet der Komponist Prof. Günter Schwarze die Geschicke; ab 2007 wurde die Konzertreihe "modus vivendi" entwickelt, in der die Orgel im Blickpunkt neuer Werke steht.
Daneben bildet Kammermusik in gemischten Besetzungen einen Schwerpunkt, jüngst wurde auch ein eigenes Ensemble gegründet. Trotzdem gab und gibt es auch immer wieder Einladungen versierter Instrumentalisten der zeitgenössischen Musik zu Porträt-Konzerten. Das 20jährige Jubiläum der Gesellschaft wird mit einem Orgelkonzert im Rahmen des Tonlagen-Festivals gefeiert. In der Martin-Luther-Kirche, deren frisch restaurierte Jehmlich-Orgel dann exemplarisch für Zeitgenössisches eingeweiht wird, musizieren am 10. Oktober Lydia Weißgerber und Reimund Böhmig (Orgel). Fünf Uraufführungen stehen auf dem Programm, darunter zwei neue Stücke aus dem großen Orgelzyklus "Namen Gottes" von Jörg Herchet, einem der Gründungsmitglieder der SGNM.
(8.10.11)
Jubiläumskonzert des elole-Klaviertrios beim "Tonlagen"-Festival Hellerau
Die Zeitbestimmung bei Jubiläen ist selten aussagekräftig: was bedeuten überhaupt zehn Jahre? Angesichts der atemberaubenden musikalischen Präsenz des Dresdner elole-Klaviertrios, das in diesem Jahr genau diese Zeitmarke erreicht, überlegt man erstaunt - gab es elole nicht schon immer? Diese zeitlose Eleganz der Interpretation, der Respekt vor den Komponisten, der Musik, der überaus sympathische handwerkliche Aspekt, der sich auch noch in der dem Konzert anschließenden Feier offenbart, wenn die musikalische Arbeit als das eigentliche Fest postuliert wird? -
Man gratuliert einem Klaviertrio, dass es geschafft hat, in zehn Jahren nicht nur eine Perlenkette von Uraufführungen aneinanderzureihen, sondern das Genre selbst kraftvoll im 21. Jahrhundert ankommen zu lassen. Bewundernswert, dass der Weg des immer Neuen konsequent beschritten wurde; zu hoffen ist, dass das freie Ensemble zukünftig seine Qualität und Strahlkraft weiterhin innerhalb der Stadt als auch - und das ist längst überfällig - international entfalten kann. Das Jubiläumskonzert fand - mit Selbstverständlichkeit und Freude vom Veranstalter getragen - am Mitwoch während des Tonlagen-Festivals im Festspielhaus Hellerau statt.
Im Nancy-Spero-Saal gelang eine reizvolle musikalische Gegenüberstellung, die an die Anfänge des Trios zurückführte, denn zwei Werken aus dem ersten Konzert 2001 wurden zwei Uraufführungen derselben Komponisten zur Seite gestellt. Das Alte erklingt neu, das Neue wirkt plötzlich bekannt - so verblüffend einfach kann eine Konzertdramaturgie sein und so spannend gerät sie, wenn man um den Ernst und den gleichzeitigen Genuss in der Erarbeitung weiß, den Uta-Maria Lempert (Violine), Matthias Lorenz (Cello) und Stefan Eder (Klavier) den Werken angedeihen lassen. Ein gewisses Lustprinzip war bei der Auswahl der Stücke natürlich spürbar: mit allen drei Komponisten verbindet das Trio eine langjährige Beziehung und es teilt sich unmittelbar der Wille mit, die Besonderheiten der Stücke in klingende Botschaft umzusetzen.
Friedemann Schmidt-Mechau ("Sieben kleine Sätze" / "Nähe und Krümmung") etwa komponiert in klar abgestecktem Rahmen, um aber genau dessen Ränder zu erkunden, das Werk sogar kurz zu verlassen, um das Bewusstsein zu schärfen. Irritiert folgt der faszinierte Zuhörer dieser Trio-Achterbahn, die am Ende sogar noch einen fein ironischen Zug trägt. Michael Maierhofs ("Sugar 1" / "Exit E") Focus liegt im Gegensatz dazu völlig auf einer sprachbildenden Klangerzeugung, die jeglichen Bezug, jeglichen Verweis auf Bestehendes ausschaltet. Wiederum angenehm irritiert, dankt man für den Einstieg in eine Musikhöhle, in der es rattert und knarzt, und in der eine möglicherweise unerträgliche Gegenwart plötzlich in Geräuschen wieder einen Rückzugsort findet und Anstrengung eine überraschende Leichtigkeit erfährt.
Charlotte Seithers "Equal ways of difference" war hingegen ein vor allem formal sehr ansprechendes Stück, in dem ein zunächst ziellos wirkendes Materialkarussell nach und nach immer mehr Linearität und Beruhigung erfuhr. Diese ganzen Hörerfahrungen gründen einzig auf einer nur famos zu nennenden Interpretation. Einhelliger Jubel des Publikums war der Dank nicht nur für dieses Konzert, sondern für sehr viel Musik in zehn Jahren, denen hoffentlich weiterhin solch intensive, erhellende Jahre folgen werden.
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(6.10.11)
"Les Fleurs du Mal" von Klaus Schedl bei den Tonlagen Hellerau
Nach der festlichen Eröffnung des "Tonlagen"-Festivals im Festspielhaus Hellerau war der zweite Konzertabend augenscheinlich einem "leisen" Genre gewidmet - ein Liedzyklus war angekündigt. Doch weder huldigte man dem klassischen Genre des Klavierliedes noch war mit Charles Baudelaires "Les Fleurs du Mal" (1857-1868) eine sinnlich-romantische Vorlage gegeben. Wer den etwas lobhudelnden Programmtext im Voraus gelesen hatte, war auf "beherzte Musiker" und "fragile Apokalypsen" vorbereitet. Der in München lebende Komponist Klaus Schedl (geb. 1966) hat insgesamt sieben Gedichte Baudelaires vertont und diese Musik in die Hände des von ihm 1993 gegründeten Münchner Ensembles "piano possibile" gegeben.
Damit standen ihm kundige Instrumentalisten zur Verfügung, die weder Komplexität noch Innovation scheuen und in den sieben Liedern eine Interpretation formten, die für die Zuhörer vor allem nach einem Berg Arbeit aussah. Denn so eifrig sich die fünf Musiker und zwei Vokalisten auch mühten, der Anspruch, dass "der Gehalt, nicht die Worte" vertont würden, teilte sich in den 70minütigen Tiraden aus dichter zeitgenössischer Musik vermischt mit Live-Elektronik, Noise- und Punkelementen kaum mit. Baudelaire wurde so im Gesamteindrück wirklich auf das Böse, auf Schmutz, Schmerz und Ennui reduziert. Damit tut man aber dem Dichter keinen Gefallen und dem Publikum auch nicht, zumal die Darbietung von piano possibile in der klassischen Frontalanordnung mit hübschen blauen und roten Scheinwerfern in krassem Gegensatz zum bruitistischen Ansatz des Komponisten stand.
Auch die Interpretation ließ an einigen Stellen Wünsche offen: die beiden Vokalisten Sascha Friedl und Mafalda de Lemos konnten die erforderliche Bandbreite und Intensität des Ausdrucks stimmlich nicht befriedigend umsetzen; Schedls Schnitte und Zerstückelungen der Gedichte führten auch mehrfach zur Auslöschung von lyrischen Momenten, die als Chance in Rezitation oder Wortvertonung bestanden hätten. Daher blieben wenige kreative Augenblicke des Staunens als positiver Eindruck, dann nämlich, wenn Hass, Wut und Tränen eben keine musikalische Entsprechung als Gewaltausdruck im Lärmen fanden, sondern sich einzelne Töne und Geräusche verästelten oder verebbten.
Dass schließlich auch der bewusste Umgang mit musikalischer Zeit eine andere Ebene hervorgebracht hätte als das vertikale Vernieten von Geräuschphasen wäre der letzte Wunsch an diesen Liederzyklus gewesen, dann wäre auch Baudelaire in seiner ganzen Pracht des Höllengesangs wieder zum Vorschein gekommen.
(3.10.)
1. Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit dem "Freien Ensemble Dresden"
Im elften Jahr seines Bestehens eröffnete das "Freie Ensemble Dresden" den Reigen der Kammerkonzerte der Dresdner Philharmonie auf Schloss Albrechtsberg. Das vom Cellisten Daniel Thiele geleitete Ensemble ist nicht nur "frei" in seiner oft außergewöhnlichen Werkauswahl, es läßt auch interessante, gemischte Kammermusikbesetzungen zu. Da die meisten Musiker der Dresdner Philharmonie angehören und das Ensemble schon auf eine reiche Konzerttätigkeit zurückblickt, dürfen sich die Zuhörer immer auf kompetente Darbietungen freuen. So war es auch am Mittwoch, als das Ensemble Klarinettentrios von der Klassik bis zur Gegenwart vorstellte.
Mit Werken von Beethoven, Bruch, Lischka und Zemlinsky war hier ein üppiges Programm angekündigt, doch die drei Musiker Fabian Dirr (Klarinette), Daniel Thiele (Cello) und Christoph Berner (Klavier) bewältigten die anspruchsvollen Stücke nicht mit äußerlicher Anstrengung, sondern mit auf gegenseitigem Verständnis beruhender Leichtigkeit. Den Beinamen "Gassenhauer" des Trios B-Dur Opus 11 von Ludwig van Beethoven strafte das Ensemble gleich Lügen, indem es vor allem die Schönheiten der ersten beiden Sätze bloßlegte: einem harmonisch bemerkenswerten Auftakt folgt einer der schönsten langsamen Sätze für diese Besetzung überhaupt, das machte die innige Interpretation klar. Der "Gassenhauer" selbst im Finale entpuppt sich als ökonomisch komponierter Variationssatz, der beim Freien Ensemble Klarheit und Musizierwitz vereinigte.
In den folgenden Stücken für Klarinettentrio aus Opus 83 von Max Bruch kam es hingegen auf große Bögen und die zu schaffenden Bilderwelten der Romantik an, hier beeindruckte vor allem die geschmackvolle "Rumänische Melodie", während der abschließende "Nachtgesang" wirklich zur reinsten Entspannung geriet. Der Dresdner Komponist Rainer Lischka hat für das Ensemble 2010 ein "Tritonus-Trio" komponiert, das im April dieses Jahres uraufgeführt wurde. Unabhängig vom sachlich formulierten Titel des Werkes bewegt sich das vorsichtig beginnende Stück schnell in Sphären von Jazz und Blues und formt dabei virtuos-dichte Höhepunkte, die an Bernsteins übermütigste Jahre erinnern. Faszinierend gerät, wie Lischka auf intelligente Weise Konzertmusik und improvisatorisch anmutende Lockerheit eines Jazz-Satzes verbindet; die Darbietung des Werkes gelang auf höchstem Niveau.
Nach der Pause war das Trio d-Moll von Alexander Zemlinsky eine Entdeckung, die Hörer und Spieler gleichermaßen forderte: allen drei Sätzen war eine immer wieder mal emphatisch, mal tragisch herausbrechende Leidenschaft zu eigen, die Dirr, Thiele und Berner jedoch stets mit ruhig atmendem Puls zu formen wussten. Solch kundige Interpretation wurde vom Publikum beglückwünscht und fand ihren Abschluss in einer Zugabe, einem weiteren, sehr kantablen Stück von Max Bruch.
(2.10.11)
Dresdner Sinfoniker eröffnen mit "Cinema Jenin" das Tonlagen-Festival
Wenn Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, auf der Suche nach neuen Klängen durch die Welt reist, bleibt er selten lange allein. Zu sehr interessiert er sich für die Kultur, das Leben und vor allem die Musik in den betreffenden Ländern, sei es Tadschikistan, Ost-Anatolien oder Palästina. Aus den vielfältigen Kontakten entstehen Ideen und Visionen; manche müssen über Jahre wachsen und reifen, um Weltkulturen, Meinungen und auch die Finanzierung zusammenzubringen und Hindernisse à la "Markus, das ist doch völlig unmöglich" im Handstreich aus dem Weg zu räumen. Wer im letzten Jahr die anatolische Reise "Hasretim" der Dresdner Sinfoniker bei den Tonlagen Hellerau besuchen konnte, hat ein tiefgehendes Musikerlebnis, Musikverständnis aus Anatolien mitnehmen können.
In diesem Jahr wird das Tonlagen Festival mit einem neuen Projekt des experimentierfreudigen Ensembles eröffnet. Diesmal wenden sich die Sinfoniker Palästina zu, genauer: der Stadt Jenin im Westjordanland. Der persische Komponist und Kamancheh- (ein iranisches Streichinstrument) Virtuose Kayhan Kalhor schrieb als Auftragswerk für die Sinfoniker und den Dirigenten Andrea Molino "Cinema Jenin - A Symphony" - eine konzertante Hommage an das weltweit bekannt gewordene Kino in Palästina. Das neue Werk wird er mit dem Orchester und mit vier weiteren Solisten aus dem Iran, Ägypten, Israel und den USA zur Uraufführung bringen.
Weltbekannt wurde die Stadt Jenin durch das Schicksal Ismael Khatibs, der 2005 die Organe seines von israelischen Soldaten getöteten 11jährigen Sohnes Ahmed an israelische Kinder spendete. Diese großartige Geste der Versöhnung bildete nur drei Jahre später den Ursprung für den Wiederaufbau des Kinos in Jenin, das seit der ersten Intifada 1987 geschlossen und dem Verfall preisgegeben war. Rindt lernte den Dokumentarfilmer Marcus Vetter in Jenin kennen, der Khatibs Geschichte preisgekrönt verfilmt hatte und mit ihm das Kino wieder zum Leben erweckte. Gemeinsam mit Vetter und dem Produzenten Ben Deiß wurde die Idee geboren, die Geschichte des Kinos auch musikalisch zu begleiten und Musiker aus der Region dafür zu begeistern - zu Kayhan Kalhors Musik werden nun Szenen aus Marcus Vetters gerade entstehenden Dokumentarfilm „Cinema Jenin“ gezeigt.
Ein weiteres Werk Kalhors, "Silent City" wird darüber hinaus in einer speziell für die Sinfoniker entstandenen Version uraufgeführt - besonders spannend wird zu erleben sein, wie sich die Musiker hier mit der traditionellen persischen Musik, die ganz eigene Regeln und Skalen kennt, auseinandersetzen werden. Bereits um 18 Uhr können die Konzertbesucher im Festspielhaus den preisgekrönten Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ von Marcus Vetter sehen.
-- Rezension des Konzertes: --
Heimkommen in der Musik
"Cinema Jenin - A Symphony" zur Eröffnung des "Tonlagen"-Festivals in Hellerau uraufgeführt
Der dritte Jahrgang des "Tonlagen"-Festivals in Hellerau wurde am Sonnabend mit einem Konzert der Dresdner Sinfoniker eröffnet. Zuvor wiesen Intendant Dieter Jaenicke und Bürgermeister Ralf Lunau in ihren Reden auf mehrere feierwürdige Jubiläen hin, die mit dem diesjährigen Festival verbunden sind: der 100. Geburtstag des Festspielhauses etwa, dessen Fassade zwei Tage vor der Festivaleröffnung fertiggestellt wurde. Neben der behutsamen denkmalpflegerischen Restaurierung ist nun auch wieder das Yin-und-Yang-Symbol im Giebel zu bestaunen. Außerdem finden - nach alter Zählung - die nunmehr 25. Tage der zeitgenössischen Musik statt, die 1987 von Prof. Udo Zimmermann begründet wurden und fundamental zur Entwicklung des Kunstortes Hellerau beigetragen haben. Schließlich werden die "Tonlagen" in diesem Jahr den Minimal-Komponisten Steve Reich ehren, der dieser Tage seinen 75. Geburtstag feiert.
Viele freudige Anlässe also, doch der musikalische Eröffnungsbeitrag geriet ernst, bewegend und auch politisch. Damit wurde ein Gegenzeichen gesetzt zur Unbekümmernis, in der die Musik der letzten Jahre sich zwar oft parallel, aber selten Position beziehend zu gesellschaftlichen und politischen Realitäten verhält. Die Sinfoniker lassen es selten dabei bewenden, die Welt lediglich musikalisch abzubilden, immer auch verbinden sich Botschaften, Visionen oder Experimente damit. In Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Marcus Vetter, dem arabischen Kamancheh-Spieler und Komponisten Kayhan Kalhor und dem Produzenten Ben Deiß wurde die Musik zum Film "Cinema Jenin" entwickelt. Das seit der Intifada 1987 verwaiste Kino im Westjordanland wurde von Vetter und Ismael Khatib unter großen Mühen wiederaufgebaut und 2010 eröffnet. Der Film zeigt nicht nur den Wiederaufbau und den komplexen Hintergrund dieses Projekts, sondern macht die besondere Position des Kinos in der von Krieg und Attentaten gebeutelten Stadt im Westjordanland deutlich. Keinesfalls geriet die Kino-Eröffnung zum Triumph, denn bei Vorführungen wurde über das Tragen von Waffen und die Bedeutung von Frieden und Freiheit intensiv debattiert. Doch damit manifestierte sich gleichzeitig der humanistische Akt des Wiederaufbaus: wo Menschen wieder miteinander reden, ist auch Frieden, ist Kultur möglich. Insofern geriet die Präsentation des Films gemeinsam mit der faszinierenden Musik von Kalhor zu einem tief bewegenden Erlebnis. Fast schon symbolisch wirkte da, dass der noch nicht ganz fertiggestellte Film von Vetter nur in Ausschnitten zu sehen war - das Unfertige, Unruhige der Region wurde so gleich noch einmal gespiegelt.
Wahre Beruhigung, eine Art Heimkommen im Klang strahlte indes Kalhors Musik aus. Mit Shane Shanahan (Percussion), Kamil Shajrawi (Oud), Sa'ad Mohamed Hassan (arabische Violine) und Ali Bahrami (Bass-Santour) war ein internationales Solistenensemble beteiligt. Die in Streicherbesetzung spielenden Sinfoniker agierten in dieser Partitur mehr als Background für die Stimmungen, die die Solisten mit virtuosen Arabesken auslösten. Dirigent Andrea Molino hatte zuvor schon "Silent City" von Kayhan Kalhor geleitet, ein Werk, dass im Gedenken an ein Kurdenmassaker an der iranisch-irakischen Grenze geschrieben wurde und eindrücklich Trauer und Hoffnung in einem Stück verband. Dabei waren die Sinfoniker auch in ihrem Improvisationstalent gefragt, denn zwei Drittel des Stückes wurden "live" in den Proben ohne Noten erarbeitet. Mit dem letzten Akkord des beschwingten Schlusstanzes dieses Werks versagte Molino, der ohnehin mit ganzem Körpereinsatz dirigierte, das linke Bein seinen Dienst - doch er konnte "Cinema Jenin" nach der Pause sitzend, doch gleichwertig beseelt, interpretieren. Dafür dankte ihm das Publikum besonders herzlich, wie überhaupt der ganze Abend zu einem nachdrücklichen Erlebnis geriet.
(2.10.11)
Zwei Uraufführungen bei "Rhythmik 100 Hellerau"
Es gibt Grund zum Feiern: genau 100 Jahre sind seit der Grundsteinlegung im Festspielhaus Hellerau vergangen, seitdem hat das Haus eine wechselvolle Geschichte erfahren. Seit dem Ende der DDR, der Restaurierung des Hauses selbst und dem Einzug des Europäischen Zentrums der Künste lebt der schöpferische Geist der Anfangsjahre im Haus wieder auf: Tanz, Musik und Bühne haben in vielfältigen Formen Einzug gehalten - Hellerau gilt heute international als Spielort und Labor der Moderne. Indes weist das seit zehn Jahren aktive Institut für Rhythmik Hellerau e. V. auf die revolutionäre Bewegung der ersten Jahre zurück: der Schweizer Komponist und Musikpädagoge Émile Jaques-Dalcroze installierte 1911 schon auf der Baustelle in Hellerau sein rhythmisch-gymnastisches Bildungsinstitut und leistete Pionierarbeit mit über 500 Schülern.
Grund genug, nach 100 Jahren mit der Internationalen Werkstatt "Rhythmik 100 Hellerau" zurückzublicken, aber auch einen Einblick in die Gegenwart zu geben und in Symposien, Workshops und Aufführungen Rhythmik lebendig erlebbar zu machen. Am Donnerstagabend erlebten unter großer Beteiligung der Teilnehmer gleich zwei neue Werke ihre Uraufführung, die in einem sehr straffen Probenprozess zuvor in Hellerau erarbeitet wurden:
Der Berliner Komponist Dieter Schnebel (*1930) scheint für ein Rhythmik-Projekt an diesem Ort geradezu prädestiniert, setzt er sich doch seit Jahrzehnten mit den Klang-Möglichkeiten von Stimme und Körper schöpferisch auseinander. So erschien "Sprechende Körper. Körper-Sprache" eben nicht als musikalisches Werk, sondern vor allem als optische, offene Partitur. Der Interpret mit allen seinen Möglichkeiten der Bewegung und Klangerzeugung wirkt als Instrument, als "Äußerer" von zu schaffender Sprache. In der Fassung mit acht Darstellern, behutsam von Annette Jahns und Christian Kesten (Regie) geführt, gelang hier ein fast meditativ bewegtes Bild, in welchem auch Steigerungen und Exzesse kontrolliert und spielerisch, aber eben nicht verspielt wirkten.
Dem gegenüber bildete Manos Tsangaris (*1956) "Vivarium - Reisen, Kochen, Zoo..." für Bewegung im Raum, Stimmen, Instrumente und Licht den denkbar größten Kontrast zu Schnebels Laboratorium. Tsangaris rhythmische Wirklichkeit ist eine gegenwärtige, von Umwelt, Menschen, Natur und Zeitfluss stark beeinflusste Welt, die bisweilen chaotisch wirkt und offenbar auch sozialkritische Fragen stellen möchte. Vieles bleibt hier als plötzliche Szene im Raum stehen, und es stellt sich angesichts von Kochutensilien-Kanons schneller die Sinnfrage als bei Schnebels von vornherein in der Abstraktion verbleibenden Körper-Arbeit. Manchmal kippt so bei Tsangaris komponierter Kitsch und Performance in eine bedenkliche Extrovertiertheit, seltsam unscharf bleibt der musikalische Anteil aus wenigen Solostimmen und Instrumenten. Unbestritten ist die hervorragende Leistung der zahlreichen Teilnehmer zu würdigen: den Rhythmikern (mit Gruppen aus der Schweiz und Taiwan), dem Ensemble "El Perro Andaluz" unter Leitung von Lennart Dohms sowie Goldfisch, Hunden und echten und falschen Paparazzi aus dem Publikum.
Als Auftakt für die 11. Rhythmikwerkstatt waren diese beiden Uraufführungen gut dazu geeignet, auch für ungeübte Zuhörer einen frischen Zugang zur Rhythmik zu bekommen, gleichzeitig den Umgang von Komponisten und Darstellern mit Sprache, Körper und Raum zu erfahren und vielleicht auch, wieder etwas vom künstlerischen Geist zu atmen, der bereits 1911 das Festspielhaus durchwehte und von dort in alle Welt getragen wurde.
1. Aufführungsabend der Staatskapelle mit Werken von Auerbach und Beethoven
Frische Klänge dringen dieser Tage aus dem Semperbau, denn die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden starten ebenso wie das Gesangsensemble und das Ballett in die neue Konzertsaison. Das Orchester war zum ersten Mal am Mittwoch im 1. Aufführungsabend zu erleben. Die Aufführungsabende gehören zur vom Orchester selbst veranstalteten Kammermusik und ergänzen die großen Sinfoniekonzerte um spannende, kleiner besetzte Entdeckungen des Repertoires, musiziert unter Beteiligung von Solisten aus dem Orchester und jungen Dirigiertalenten. So war auch es auch in diesem Konzert. Der erst 22jährige usbekische Dirigent Aziz Shokhakimov hatte zunächst die besondere Aufgabe, dem Publikum ein Werk der neuen Capell-Compositrice Lera Auerbach vorzustellen: Die 37jährige russisch-amerikanische Komponistin weist eine rasante Biographie auf, schrieb im Alter von 12 Jahren ihre erste Oper und man nimmt wahr, oft die Worte "Karriere" oder "Erfolg" mit ihr in Verbindung zu lesen, was für Komponisten allerdings selten als Erklärung für Meisterschaft herhalten sollte.
Auerbach, die bald drei neue Auftragswerke in Kapell-Konzerten vorstellen wird, führte sich mit den 2005 entstandenen "Dialogues on Stabat Mater" ein. Das Werk ist eine instrumentale Übertragung des berühmten geistlichen Werkes von Giovanni Battista Pergolesi zu einer Art Concerto Grosso. Leider blieb der Eindruck blass, zuweilen sogar verstörend. Das Original hätte mehr fasziniert, denn Auerbach verwischte und bearbeitete lediglich einige Kadenzen und Sequenzen, fügte hier und da dramatisch scheinende Cluster und ein solistisches Stimmungs-Vibraphon hinzu, während Solo-Violine und Viola mal die Gesangspartien ersetzten, mal die Sequenzen dramatisierten. Diese instrumentale Aufhübschung traf sicher den Publikumsgeschmack, war aber von einer intensiven, zeitgenössischen Äußerung einer im Stil auch wahrzunehmenden Komponistenstimme (wie es unlängst Isabel Mundry mit den eindrucksvollen "Scandello-Verwehungen" gelang) meilenweit entfernt. Eine Neukomposition eines "Stabat Mater" hätte vermutlich andere Ergebnisse hervorgebracht als diese simplen Schmerzbilder, die die Komponistin hier unter Hinzufügung einiger Dissonanzen einarbeitete.
Shokhakimov, die Solisten Jörg Faßmann, Sebastian Herberg und Christian Langer und das Orchester setzten sich sehr engagiert für das Stück ein, allerdings stellte die oft romantisiert aufgeladene Interpretation ein weiteres Problem zwischen den Zeiten dar. Es wäre schade, wenn die Partnerschaft mit dem KlangNetz Dresden, die die Einrichtung des Capell-Compositeurs begründete, nun mit dem Schielen nach der bequemen Quote ausliefe, anstelle mit Mut zur Auseinandersetzung gewichtigen Komponistenstimmen der Gegenwart ein Podium zu bieten.
Nach der Pause leitete Aziz Shokhakimov die 1. Sinfonie C-Dur von Ludwig van Beethoven und unterstrich mit selbstbewusster und gewitzter Interpretation sein Talent. Der 1. Satz war nach schöner Einleitung transparent und munter musiziert, das Andante gelang sorgfältig. Scherzo und Finale waren von rasanter Lesart, doch Shokhakimov konnte sich der jederzeit auf den Punkt musizierenden Kapelle gewiss sein. So entstand ein feuriges Spiel mit zahlreichen nach Mannheim grüßenden "Raketen" im letzten Satz - Shokhakimov wurde dafür mit Recht vom Publikum gefeiert.
(27.8.11)