Rezital der Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili
Um die Zukunft der klassischen Musik muss uns nicht bange sein - gerade bei den Instrumentalvirtuosen strebt eine jüngere Generation derzeit nach dem Olymp. Beständig werden jedoch kaum die Künstler sein, die über das beste Marketing verfügen, sondern stetig in ihren Interpretationen aufhorchen lassen. Die Georgierin Lisa Batiashvili (geboren 1979) ist einer der dieser hoffnungsvoll aufstrebenden Sterne - die Sächsische Staatskapelle konnte sich schon mehrfach von ihrem Spiel begeistern lassen und ernannte die Geigerin in dieser Saison zur Capell-Virtuosin.
Ein erstes Dokument dieser Zusammenarbeit war die CD-Veröffentlichung des Violinkonzerts von Johannes Brahms mit der Kapelle unter Leitung von Chefdirigent Christian Thielemann. Am Montagabend stellte sich die Künstlerin im ausverkauften Konzertsaal der Musikhochschule bei einem Violin-Rezital vor. Schubert, Liszt, Telemann, Beethoven - mit den Werken dieser Komponisten hätte man ein klassisches, möglicherweise "normales" Konzert erwartet.
Doch die Werkauswahl und die Interpretationen verwandelten diesen Kammermusikabend zu einem außergewöhnlichen Ereignis, in welchem Wiener Klassik und romantische Seele mal reizvolle Verknüpfungen eingingen, mal scharfe Kontraste bildeten. Lisa Batiashvili, das war von den ersten Tönen der Sonate A-Dur von Franz Schubert an klar, muss die Temperamente der Werke nicht erst herauskitzeln, sich nicht lange einfühlen. Batiashvili ist mit dem Aufschlagen der Noten bereits eingetaucht und verläßt diese erst mit Aufbranden des Applauses wieder. Was manchmal wie ein Kokon wirkt, wie die Geigerin in völliger Ruhe den musikalischen Linien nachgeht, erscheint im Nachklang höchst überzeugend. So arbeitete sie auf völlig natürliche Weise mit dem flexiblen Klang ihrer ex-Joachim-Stradivari sowohl die Liedwelten der A-Dur-Sonate als auch deren kantige Faustschläge im Scherzo heraus.
Schubert erscheint auf diese Weise nah, realistisch und gleichzeitig erbarmungslos - bei Batiashvili erreicht ein forte eine unbarmherzige Kraft, so dass in Schuberts "Rondo brillant" vor der Pause trotz des harmonischen Dickichts von atemloser Spannung getragen war. Kongenialer Partner dieses Spiels war der britische Pianist Paul Lewis - selbst ein hochgeschätzter Experte der Klaviersololiteratur zwischen Klassik und Romantik. Federleicht trug er Batiashvili durch das Programm, ein stetiges Geben und Nehmen intensivierte das Hörerlebnis. Lewis steuerte zwei späte Klavierstücke von Liszt ("Unstern" und "Schlaflos! Frage und Antwort") bei, deren ebenfalls ausgestellte Ruhe in der Interpretation den Eindruck verstärkten: Romantik durch ein Brennglas betrachtet, hier sogar verstörend und erschreckend schnörkellos.
Nach der Pause bewies Batiashvili mit einer kurzen Telemann-Fantasie, dass sie auch für Barockes einen klar perlenden, unwiderstehlichen Tonfall besitzt, bevor Beethovens letzte Violinsonate G-Dur Opus 96 das Programm beschloss - und erneut war Zurücklehnen hier strengstens verboten, zog Batiashvili das Publikum mit astreiner Intonation und einer unglaublich sanglichen Bogenführung im Adagio in ihren Bann. Auch das Scherzo war hier statt in lässiger Entspannung in einer gestochenen Schärfe verfolgbar, das Finale geriet noch einmal zum mustergültigen Diskurs über die verschiedenen in der Sonate aufgestellten Temperamente. Mit zwei Zugaben verabschiedete sich die Virtuosin am Ende und hinterließ ein begeistertes Auditorium, das hier Kammermusik par excellence erleben durfte.
Fazil Say und Gábor Boldoczki zu Gast im Philharmonie-Konzert
In der Reihe "Komponist und Interpret" stellte die Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende den türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say vor - ein exzellenter Pianist, der vielbeschäftigt neben Auftritten am Klavier in den letzten Jahren verstärkt zu verschiedenen Residenzen als Komponist eingeladen wurde und mittlerweile über ein interessanten Werkkatalog in instrumentalen und vokalen Genres verfügt. Dabei hebt Say als "Künstler zum Anfassen" gern die Grenzen konventioneller Darbietungen auf, äußert sich als zeitkritischer Kommentator der Zeitläufte und läßt aktuelles Geschehen und heimatliches Kolorit in sein Werk und Wirken einfließen.
Das absolute "Müssen" der künstlerischen Aussage bei gleichzeitigem Kreativitätsüberfluss wird bei Say zum Programm - in jedem Fall ist ein Konzerterlebnis mit diesem Künstler außergewöhnlich, davon überzeugte sich auch das Auditorium im ausverkauften Schauspielhaus am Sonnabend. Neben Fazil Say war ein weiterer Ausnahmemusiker zu Gast: der ungarische Trompeter Gábor Boldoczki interpretierte zu Beginn Says Trompetenkonzert Op. 31, 2010 von ihm bei den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern uraufgeführt. Zugänglich und zugleich raffiniert komponiert präsentierte sich dieses Werk, in dem Say bei nicht übergroßer Besetzung das Orchester farbig und vielseitig behandelt. In drei Sätzen werden die Ausdrucksqualitäten der Trompete ausgelotet, wobei an wenigen Stellen die Konventionalität der Harmonik und Motivik fragwürdig erscheint. Überraschende Klangfarben oder die im zweiten Satz durchgeführte parallele Rhythmisierung von "5 gegen 6" machen das Konzert aber kurzweilig. Boldoczkis völlig souveräne Interpretation mit Sinn für Cantabile und gleichermaßen rhythmischer Verve ließ aufhorchen - für die Philharmoniker unter umsichtiger Leitung von Chefdirigent Michael Sanderling war diese Art Musik sicher neu, man spürte aber Entdeckergeist und arbeitete die Schönheiten der Musik sehr gut heraus.
Als Interpret am Klavier gesellte sich dann Fazil Say im folgenden Stück mit auf die Bühne - Dmitri Schostakowitschs Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester war im Aufeinanderprallen unterschiedlichster Ausdruckswelten sicher eine gute Wahl. Doch Say und Boldoczki wollten temperamentsmäßig nicht recht zueinander passen. Wo Boldoczki fast zuviel Glanz und Noblesse verbreitete, fand Say an diesem Abend gar nicht zum Stück - der erste Satz war von holpernder, ungestümer Agogik gezeichnet, so dass die Partitur die Transparenz vermissen ließ, die die Kontraste erst zur Spannung führen kann. Auch im Orchester waren manche Reaktionen und Schattierungen nicht homogen auf den Punkt gebracht. Say steigerte zwar zum Finale hin seine Sicherheit in der Gestaltung, aber befriedigen konnte diese Interpretation, der vor allem eine ruhige Basis und Überlegenheit in der motivischen Darstellung fehlte, nicht.
Als sinfonisches Werk nach der Pause hatte Sanderling ein Stück ausgewählt, das in interessanter Korrespondanz zu den "Neutönern" der ersten Hälfte des Konzertes stand. Wolfgang Amadeus Mozarts Sinfonie g-Moll KV 550, die mittlere der drei großen letzten Sinfonien, ist wie kaum eine andere in Mozarts OEuvre vom intensiven Ringen um den Ausdruck, von Abbrüchen und Neuanfängen und letztlich einer nur genial zu nennenden Lösung in den Proportionen der vier Sätze gekennzeichnet. Sanderling zeigte mit der Dresdner Philharmonie eine hervorragende Interpretation, hob genau diese markanten Passagen vor allem in den Ecksätzen hervor, zeigte die feinen Kontraste im Menuetto auf und ließ den zweiten Satz in der klanglichen Themenausformung quer durch das ganze Orchester zum Juwel formen. Dafür gab es starken, berechtigten Applaus.
(ersch. 11.2.13)
Christian Thielemann dirigiert Gedenkkonzert der Sächsischen Staatskapelle
Dem Dresdner Gedenktag am 13. Februar kann man in verschiedener Weise beiwohnen - ganz im Stillen zum Glockengeläut, zu Andachten, Kundgebungen und Demonstrationen. Neben der Stille kann eine adäquate musikalische Darbietung zu derartigen Anlässen emotional intensiv berühren. Wo angesichts der Unfassbarkeit von Geschehnisse Worte versagen oder wo Leiden eines Ventils bedarf, hilft und tröstet Musik uns seit Jahrhunderten, leitet die Gedanken und kann zurück ins Leben führen.
So sind in Dresden Requiem-Vertonungen bedeutender Komponisten traditionell Gegenstand der Konzerte zum 13. Februar. Die Sächsische Staatskapelle Dresden wählte in diesem Jahr das Requiem d-Moll KV 626 von Wolfgang Amadeus Mozart aus - ein zeitloses Dokument genialer Größe, wenngleich der genaue Blick auf die Noten und Entstehungsgeschichte bis heute noch einiges an Diskussion bietet – Mozarts Requiem ist unvollendet und die hier praktizierte Süßmayr-Fassung ist verbreitet, aber auch in letzter Zeit zumindest um einige Varianten bereichert worden. Chefdirigent Christian Thielemann liegt ein "neuer Mozart" denkbar fern; aufführungspraktische Fragen oder Fassungsalternativen geraten nicht ins Blickfeld des Dirigenten, und für musikwissenschaftliche Diskurse ist das Podium an diesem Tag nicht bestimmt.
Doch fragt man sich nach dem Konzert, ob Thielemanns hier offenliegender konservativer Interpretationsansatz ein freies, heutiges Hören und damit eine Öffnung für die vielfältigen Emotionen im Werk ermöglicht hat – eine innerliche Bewegung, eine intensive Annäherung oder Identifikation mit der Musik war bei diesem Konzert schwierig zu erreichen. Es mag konzeptionell begründet sein, das Orchester nicht dynamisch zu reduzieren, wenn der Chor singt - die ersten drei Sätze wirkten auf diese Weise wie eine massive Wand, die auf den Zuhörer eindringt. Besonders angenehm erschien dieses von stets breit ausspielenden Streichern geprägte, kaum entspannte und historisierende Klangbild jedoch nicht – Thielemann verschiebt Mozart in eine Ausdruckswelt des 19. Jahrhunderts, wo er schlicht nicht hingehört. Viele Nuancen des Werkes gingen verloren, eine Themenausgestaltung mit Textausdeutung war zu wenig zu bemerken.
Christian Thielemann setzte in dem Werk viel mehr auf eine großbögige Satzspannung mit streng geführten, durchaus passenden Tempi in den Fugati. Erst ab dem Recordare griff Thielemann auch spontan stärker in das Geschehen ein und leitete die Streicher zu ausdrucksvollem Piano an. Spannungsvoll geriet das Insistieren im Lacrimosa, die erneute Übersteigerung der Dynamik bis zum fortissimo im Sanctus machte aber die Atmosphäre wieder zunichte. Der von Pablo Assante hervorragend einstudierte Chor der Staatsoper folgte Thielemanns Intentionen stets mit höchst professioneller Aufgabenerfüllung, hatte aber zu wenig Gelegenheit seine Potenziale zu zeigen - warum wurde etwa das Kyrie lediglich skandiert anstelle mit Zielpunkten und Emphase ausgefüllt?
Trotz vieler Fragen gab es in dieser Aufführung auch Genussmomente wie das vom Chor sehr empfunden vorgetragene Hostias , auch das aufmerksam und klangschön agierende Bläserensemble überzeugte sehr. Das homogene, mit dem Werk höchst vertraute Solistenquartett (Genia Kühmeier, Christa Mayer, Daniel Behle, Alastair Miles) brachte sich mit schlanker Stimmgebung ein und vermochte gut die Ruhepunkte zwischen den großen Chören zu bestimmen. Im in der Süßmayr-Fassung auf den Beginn verweisenden Lux Aeterna formte Thielemann eine Steigerung hin zur sehr gehaltenen Schlusskadenz, bevor das Auditorium der Musik noch einige Sekunden innerlich nachhören konnte und sich dann zu einer Gedenkminute erhob.
Kammermusik von Benjamin Schweitzer auf einer wergo-Porträt-CD
Beim renommierten Label Wergo, das sich der Musik der Gegenwart widmet, ist im Herbst 2012 eine neue Porträt-CD erschienen, diesmal kann man Werke des Komponisten Benjamin Schweitzer (*1973) entdecken. "courage" - das Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik interpretiert darauf insgesamt sechs Ensemble- und Kammermusikwerke, die zwischen 2005 und 2008 entstanden sind. Schweitzer ist dem Ensemble, das er selbst 1997 während seiner Studienzeit in Dresden gegründet hat, sehr verbunden - zahlreiche Werke entstanden direkt für das Ensemble oder deren Solisten.
Insofern muss man von einer glücklichen und auch kompetenten Verknüpfung sprechen, denn die Sprache des Komponisten ist den Musikern höchst vertraut, dies strahlen die Interpretationen unter dem Dirigat von Titus Engel bereits beim ersten Anhören aus. In Kenntnis von Benjamin Schweitzers Werkkatalog erscheint interessant, dass brennpunktartig aus einer bestimmten Schaffensphase heraus Werke ausgewählt wurden, die - so verrät der von Stefan Drees geschriebene Programmhefttext - einen Wendepunkt markieren, der sich einer Suche nach neuen Ausdrucksformen verdankt. Wer mit zeitgenössischer Musik nicht vertraut ist, mag Schwierigkeiten mit der wissenschaftlich fundierten Betrachtung der Stücke im Booklet haben, doch das Hörerlebnis zeichnet genau die "Erfahrungsräume" nach, die Schweitzer in seinen Kompositionen (er)findet.
Dass dies gut gelingen kann, dafür sorgt die extreme Konzentration, die Schweitzer den Stücken angedeiht. Auf diese Herangehensweise muss man sich auch beim Hören einlassen, denn im Vorbeigehen lassen sich die Stücke keinesfalls erschließen. Überflüssige Noten, Überraschungen und schroffe Gegensätze finden sich selten, stattdessen erhält jedes Stück seinen eigenen Klangraum, dessen Regularien eng oder weit gefasst werden können: im Abtasten der Möglichkeiten, im Ausreizen der selbst verordneten Grenzen entsteht die Spannung dieser Musik. Verschmerzbar ist das Fehlen des Textes zu den die CD umrahmenden "Dafne-Fragmenten" mit Sopran (Olivia Stahn), wenn man die instrumentale Einbettung der Vokalstimme verstanden hat - die ganz eigene Qualität des Abgesangs, des Abschiedes steht hier ohnehin im Vordergrund. Faszinierend ist auch, wie sich in "achteinhalb" für Ensemble ohne Schlagzeug ein recht rauher Ensembleklang nach und nach immer mehr erweitert und zu stets ausdrucksstarken Linien und Entwicklungen auffächert.
"Anfänge/Netze" lädt den Zuhörer zu einer Standortbestimmung ein und vermeidet Verbindlichkeit, während "dull roots & spring rain" versucht unter maximaler Reduktion eine einzige, in sich aber variantenreiche Klangebene zu entfalten. Was hier in verschiedenen Instrumentalbesetzungen (spannend auch das Quartett "entschlackt" in der ungewöhnlichen Anordnung von Oboe, Trompete, Cello und Klavier) in großer Vielfalt der Instrumentalfarben gezeigt wird, erinnert fast an biologische Vorgänge: Schweitzer ist ein Schmetterlingsforscher unter den Komponisten, der das behutsame Beschreiben der Arten beherrscht und am Ende in den Erfahrungsräumen nach "Schönheit" sucht, die sich eben nicht in der bequemen Konvention niederschlagen muss, sondern in fein ausgehörtem Ensembleklang, im Zusammenspiel von Ursache und Wirkung. Eine CD mit spannender, auch in einem sehr durchhörbaren Klangbild aufgenommenen Kammermusik, deren konzentriertes Hören - ein Kopfhörer erscheint für die Erkennung vieler Zwischentöne sinnvoll - in jedem Fall den musikalischen Horizont erweitert.
Alexander Keuk
* Benjamin Schweitzer: Kammermusik, courage - Dresdner Ensemble für zeitgenössische Musik, Leitung: Titus Engel (wergo)
Linktipp: Homepage Benjamin Schweitzer
Alfred Brendel und Peter Gülke im Gespräch über Franz Schubert
Er spielt nicht mehr. Das hinzunehmen haben wir eine Weile gebraucht, dass Alfred Brendel, einer der größten Pianisten der Gegenwart, sein Instrument in der Öffentlichkeit nicht mehr anrührt. Sein Lebenswerk ist uns durch Erinnerungen an große Konzertabende und eine überreiche Diskographie präsent - den Komponisten der Wiener Klassik hat er Denkmäler gesetzt, aber keine, die unverrückbar und unantastbar sind. Die Beschäftigung mit der Musik reicht bei großen Künstlern weit über die Einverleibung der Noten hinaus, und so dürfen wir uns glücklich schätzen, dass Brendel uns als brillanter Essayist, Poet und Gesprächspartner an seinem Erfahrungs- und Wissensschatz weiterhin teilhaben läßt.
Eines seiner Bücher trägt den pragmatischen Titel "Nachdenken über Musik" - das wird schon fast zum ironischen Understatement, wenn man weiss, wie tief Brendel musikalisch wie verbal - oft auch mit hintersinnigem Humor - in die Materie einzudringen vermag. Alfred Brendel war am Dienstagabend zu Gast bei der Sächsischen Akademie der Künste im Blockhaus - im Dialog mit Peter Gülke war der Abend der Persönlichkeit von Franz Schubert gewidmet. Es wäre ein Leichtes gewesen, allein die Verdienste beider Herren um dessen Musik, ihrer Aufführung, Editierung und Analyse herauszustellen - denn Gülke ist als Dirigent und Musikwissenschaftler sowohl interpretatorisch als auch als Autor und Herausgeber ebenfalls ein profunder Schubert-Kenner.
Doch das Gespräch bezog seinen Reiz vor allem aus dem sich entfaltenden Faden der spannenden Rezeptionsgeschichte von Schuberts Werk, die beide in lockerer Weise anhand ausgewählter Kompositionen, der Biografie und der unmittelbaren Musikgeschichte um und nach Schubert beleuchteten. Mit dem "großen Beethoven" im Nacken, der ja nur ein paar Straßen weiter in Wien wohnte, sind manche Feinheiten und kompositorische Entscheidungen, aber auch Merkwürdigkeiten im Werk Schuberts sicher begründbar, doch auf die "strapaziöse Nachbarschaft" eingegrenzt werden darauf darf die Persönlichkeit Schuberts keinesfalls. Brendel und Gülke wiesen deutlich auf die Problematik einer Vermengung von Biografie und Werk hin und zeichneten ein Bild des Komponisten, bei dem respektvoll eben nicht die letzten Antworten gegeben werden sollten - die schwierige Deutung etwa von Schuberts Akzent-Notation stand hier stellvertretend für das "Nachdenken", einen wissenschaftlichen Umgang mit dem Werk, der aber eben eine bestmögliche Annäherung darstellt und den Diskurs zuläßt.
Brendel bescheinigte Schubert einen "unglaublichen Instinkt" und widersprach dem Vorwurf "unpianistischer" Kompositionen - offenkundig und komplex sind da auch die Bezüge zum kammermusikalischen und sinfonischen Werk. Von Unruhe, Schaffensdrang und Schaffensgeschwindigkeit, Krankheit und dem persönlichen Umfeld des Komponisten war schlaglichtartig die Rede und insbesondere die letzten Werke wurden als Kosmos eigener Qualität charakterisiert. Obwohl nach Schuberts Tod 1828 des Komponisten Meisterschaft im Lied immer unbestritten war, setzte eine wirkliche Renaissance der Klavierwerke Schuberts erst nach dem zweiten Weltkrieg ein - maßgeblich auch unter Brendels Beteiligung, was hiermit nachgetragen sei.
Sehr treffend waren beider Äußerungen zum Liedschaffen Schuberts: das "mitredende" Klavier war damals eine außerordentliche Kühnheit, doch noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war der "Begleiter" eine eigene, eigenartige Profession. Lernen durfte man außerdem, dass dennoch der weit geöffnete Klavierdeckel nicht der Weisheit letzter Schluss im Liedspiel ist, und möglicherweise anwesenden Gesangsstudenten schrieb Brendel ins Lehrbuch, dass Diktion und Konsonanten auch heutzutage durchaus Würdigung vertragen. Brendel und Gülke zogen den Hut vor dem großen Komponisten, ohne aber in Ehrfurcht zu verblassen. Am Ende kam eine freundliche Naivität zu Tage, die dem durchaus akademischen Gespräch eine wunderbare Rundung verlieh: Schubert sei doch schlicht der Seele am nächsten - "man könne nicht mehr sagen, nur weiter staunen".
"Erste Anhörung" an der Musikhochschule
Eine äußerst sinnvolle und in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich erprobte Kooperation zwischen der Dresdner Musikhochschule und der Dresdner Philharmonie wurde am Montagabend im Konzertsaal der Hochschule fortgesetzt: die "Erste Anhörung", durchgeführt vom "KlangNetz Dresden", das seit November 2012 als gemeinnütziger Verein die vierjährige Projektphase des "Netzwerk Neue Musik" in Dresden in die Zukunft überführt. Die Erste Anhörung ist nur eines von vielen Vorhaben, die auch künftig fortgesetzt werden sollen.
Hier handelt es sich um die workshopartige Erprobung neuer Orchesterwerke von Kompositionsstudenten. Einmal im Jahr erhalten diese so die Möglichkeit coram publicam ihre Stücke von einem Profi-Orchester vorstellen zu lassen. Dass eine solche Veranstaltung Grenzen hat, ist vorstellbar, wenn man sich vergegenwärtigt, dass nur ein Tag Probe und Workshop machbar und möglich ist. Trotzdem lernen alle davon: Musiker und Dirigent lassen sich auf Neues ein und versuchen bestmöglich eine Partitur in Klänge zu verwandeln, die Komponisten - ohnehin selten mit Orchesteraufträgen gesegnet, können ihre Ideen "am Objekt" realisieren. Schließlich lernt das interessierte Publikum eine Handvoll neuer, junger Handschriften kennen. Am Montagabend repräsentierten drei Studenten aus den Klassen von Mark Andre und Manos Tsangaris auch die Internationalität der Hochschule: aus Japan, Griechenland und den Vereinigten Staaten stammen die Autoren der Stücke.
Moderator Jörn Peter Hiekel stellte im Gespräch mit den Studenten die Werke kurz vor - allerdings geriet genau dieser Part diesmal unbefriedigend, denn die drei Komponisten wollten oder konnten kaum Stellung nehmen zu ihren Stücken - vermutlich ist man zu sehr in der Materie, als dass man einen plastischen Überblick zu formulieren in der Lage ist, genau dies wäre aber für einen unvorbereiteten Hörer interessant gewesen. Trotzdem konnte man sich beim Zuhören den Stücken ebenso vorsichtig und aufmerksam nähern, wie dies auch die Philharmoniker auf der Bühne taten.
Unter Leitung des jungen Dirigenten Alexander Merzyn - der 2013 Chefdirigent Michael Sanderling in Dresden assistieren wird - erklang zu Beginn "Band" für Orchester von Aoi Kita, ein multimediales Projekt, in das auch die Künstlerin Carla Richter involviert war. Der Titel war hier Programm: Bänder und Wellen durchzogen das flächig angelegte Stück, das einige Male durch ständiges An- und Abschwellen des Apparates fast eine Schwerelosigkeit erzeugte. Joseph Lake (USA) erforschte mit "Signals of half-occulted senses" das Innenleben von Klängen. Hier entstanden viele reizvolle, sich ineinander webende Klangarchitekturen, die immer am Rande des Verklingens angesiedelt waren. Problematisch wirkte die Statik des Stückes auf dem Zeitstrahl, so dass eine Zweidimensionalität entstand, die ein wenig auf der Stelle trat.
Waren hier schon zwei völlig unterschiedliche Welten berührt, so fügte Eleftherios Veniadis mit "Gogo und Didi" nach Becketts "Warten auf Godot" eine dritte hinzu: eine Theatermusik entfaltete sich vor Auge und Ohr, bei dem die Weillsche Strenge der Orchesterbehandlung und Form sowie die etwas platte rhythmische Umsetzung von Sprache in Musik leider das ganze Stück ins Holpern brachte. Veniadis zwang Beckett in ein Korsett, das viel zu eng geschnürt war und zu stark an expressionistische Versuche in genau diesem Genre (Funkoper, abstrakte Theatermusiken) des beginnenden 20. Jahrhunderts erinnerte. Die Problematik offenbarte sich also gar nicht so sehr in den vermutlich erwarteten Spielschwierigkeiten, sondern im Umgang mit Aussage, Form und Zeit - letztlich der Formulierung der ästhetischen Position der Komponisten, wobei Aoi Kita vermutlich das am besten funktionierende Konzept des Abends gelungen ist. Die Lebendigkeit der Veranstaltung sei ebenfalls hervorgehoben: alle Protagonisten waren sehr engagiert bei der Sache, um den inspirierten Künstlern von Morgen eine professionelle Stimme zu geben - das ist ehrenwert.
(ersch. DNN 30.1.13)
[erster Traum @neue Wohnung]
1: Flug nach Tokyo. 2: Stempel in einen uralten Impfpass 3: Streit mit einem Dirigenten über Strawinsky.
Brahms und Mahler im Konzert der "medicanti"
Liegt da "Titanisches" in der kalten Luft des neuen Jahres? Oder soll mit den Vogellauten zu Beginn der 1. Sinfonie von Gustav Mahler ein Hauch von Frühling herbeigesehnt werden? Diese Fragen kommen derzeit auf, weil das großbesetzte Epos des Spätromantikers in Dresden gleich drei Mal innerhalb von zwei Monaten zu erleben ist. Just ist es noch von der Staatskapelle im Ohr, die Philharmonie wird sich im Februar in die Partitur vertiefen und am Sonntag stand das Werk auf dem Programm des Konzertes des Orchesters "medicanti" - dem Orchester der medizinischen Fakultät der TU Dresden.
Mahler von einem Laienorchester? Aber ja doch! Der Zweifel entpuppt sich schnell als flüchtige Seifenblase, wenn man Geschichte und Anspruch dieses Ensembles betrachtet. Seit 26 Jahren sind die "medicanti" in der Dresdner Musikszene aktiv, und sie haben vor allem in den letzten Jahren unter Leitung von Wolfgang Behrend einen großen Qualitätssprung gemacht. Auch von der Besetzung her ist man in der Lage, spätromantisches Repertoire zu verwirklichen. Herz, Können und Engagement aller Mitglieder gibt es inklusive, und man darf nicht vergessen, dass für ein solches Programm gut ein halbes Jahr hart geprobt wird.
Die Lorbeeren durften die "medicanti" in der Kreuzkirche ernten, und zwar von einem restlos begeisterten Publikum, das - keinesfalls Mahler-überdrüssig - in Scharen erschienen war, so dass sogar die Emporen geöffnet wurden. Mahler zur Seite gestellt war passenderweise das Violinkonzert D-Dur von Johannes Brahms. Interpretiert wurde es von der jungen Dresdner Solistin Anna Matz, die selbst vor ihrem jetzigen Geigenstudium in Weimar mehrere Jahre im Orchester mitspielte. Schön war ihr jederzeit im Kirchenraum vernehmbarer großer, sauberer Ton und ihr selbstbewusster Zugriff - das Orchester hätte in der Begleitung gar nicht so viel Vorsicht walten lassen müssen.
Man merkte jederzeit, wieviel Detailarbeit im Solopart steckte, doch ging durch den Ansatz eines überbreiten Ausspielens jeder Phrase im 1. Satz ein wenig die kontrastreiche Spannung des Themenwechselspiels verloren. Sehr viel überzeugender waren die anderen beiden Sätze ausgestaltet - Matz fand hier zu einem lockerem, lyrischen Spiel und kostete schließlich die Raffinessen des Finales gut aus.
Was dann nach der Pause auf die Zuhörer einströmte, kann in der Summe nur als beeindruckend bezeichnet werden. Behrend hatte das große Ensemble für Gustav Mahler optimal vorbereitet und betreute die Klangmassen sorgfältig und motivierend. Man geriet ein ums andere Mal ins Staunen: glasklare Ferntrompeten zu Beginn, harmonisch heikle Wechsel in makelloser, von Behrend auch sinnvoll ausmusizierter Ausführung, dann immer wieder plötzliche Eruptionen oder markante Akzentuierungen im Blech oder im Schlagzeug - die Liste der feinen Klangmomente ist lang. Nach der stets sicheren Fahrt durch "schwere Wasser" mit groteskem Scherzo und intensivem Trauermarsch hieß es "Feuer frei" für das dramatisch anhebende Finale.
Und auch hier bewahrten medicanti Contenance und überzeugten in allen Stimmgruppen. Als schließlich auch noch der gefährliche Soloeinstieg der Bratschen überaus klangvoll die schmetternde Reprise vorbereitete, atmete man durch, lauschte dem sich erhebenden Hörner-Septett und war am Ende baff: dass mir noch jemand erzählt, für Laienorchester käme Mahlers Sinfonik keinesfalls in Frage, verneine ich mit dem Hinweis auf dieses tolle Musikerlebnis zukünftig gerne.
Werke von Johannes Brahms im 5. Kammerabend der Staatskapelle.
Die laufende Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle bietet für Liebhaber der Musik von Johannes Brahms viele Höhepunkte. In den Orchesterkonzerten sind dies die Sinfonien und Solokonzerte, doch der Brahms-Reigen setzt sich auch in den Kammerabenden fort. Und das ist lobenswert und folgerichtig, denn gewichtige Kammermusikwerke gingen den sinfonischen Werken voraus, bilden gleichsam Herz und Schlüssel zum späteren Orchesterkosmos des Komponisten. Ungewöhnlich groß war das Publikumsinteresse für diesen 4. Kammermusikabend.
Das lag sicher nicht nur an der Popularität der Brahms-Werke, sondern auch an einem besonderen Gast des Abends. Myung-Whun Chung, neuer erster Gastdirigent der Kapelle und soeben mit einem Messiaen-Mahler-Programm im 5. Sinfoniekonzert gefeiert, hatte sich gerne bereiterklärt, den Klavierpart im kompletten Konzert zu übernehmen. Chung ist einer der wenigen Dirigenten, die regelmäßig am Klavier konzertieren. Extravagante Ausflüge sind die Sache Chungs nicht, diese Mitwirkung ist schlicht ein bescheidener, mit Kompetenz und spendabler Musikalität ausgeführter Freundschaftsbeweis.
Nicht unerwähnt bleiben darf ein der Jahreszeit geschuldeter gesundheitlicher Unbill, der auch ein Orchester nicht verschont. So stand das Programm des Kammerabends erst kurzfristig fest, sprang Andreas Kuhlmann an der Bratsche im so benannten "Arabella Quartett" ein, über das man leider ansonsten uninformiert blieb. Sollte man einer Neugründung eines - mit Peter Bruns am Cello quasi erweiterten staatskapellischen Ensembles (mit Matthias Wollong und Jörg Faßmann, Violine) beigewohnt haben, so war der Einstand gelungen.
Mit dem Trio H-Dur Op. 8 und dem Quintett f-Moll Op. 34 standen zwei Meisterwerke von Johannes Brahms auf dem Programm, die sich selbst genügten und keines Füllmaterials bedurften. Im H-Dur-Trio merkte man im Eingangssatz noch deutlich ein vorsichtiges Abtasten, hielt sich auch Chung am Klavier noch mit selbstbewusster Präsenz zurück. Doch einmal gestartet, verleitete die mehr und mehr spürbare Harmonie untereinander das Ensemble zu einer guten Interpretation, die auf viel Zuhören und maßvollem, differenzierten Spiel beruhte. Einem vor allem von Chung äußerst lässig und natürlich dargebotenen Scherzo folgte das empfindsam ausmusizierte Adagio; fulminant klang dieses stürmische Werk des 20jährigen Brahms aus.
Das nach der Pause musizierten Klavierquintett f-Moll war dieser Leistung ebenbürtig, wenngleich dieses Werk in gewisser Weise in der Klanggestalt erwachsener, seriöser daherkommt. Gut abgestuft waren die verschiedenen Kombinationen im gegenseitigen Zuwurf der Themen in den fünf Instrumenten, besonders das Finale war in der Entwicklung vom ruhigen Beginn bis zum herausbrechenden Furioso gut gezeichnet. Sicherlich lag aus verschiedenen Gründen in diesem Konzert der Schwerpunkt nicht auf einer lange gereiften und völlig durchdachten Interpretation, sondern auf einer spontan entwickelten, dennoch im wissenden Miteinander sich ausgewogenen präsentierenden Kammermusik. Dieses Konzept, vereint mit dem engagiert demonstrierten Können aller Beteiligten, füllte die Musik von Brahms jederzeit mit Leben und Verständnis.
ich bin zu Fuß auf einer Straße unterwegs und muss eine Schlange überspringen, die schräg die Straße vor mir quert. Nach jeder Wegbiegung tauchen neue Schlangen auf, zuletzt in Rudeln, so dass ich 20 auf einmal überspringen muss. [klingt nach flashgame?!]
Myung Whun-Chung und die Sächsische Staatskapelle mit Messiaen und Mahler
"Willkommen, Maestro Chung", so begrüßte die Sächsische Staatskapelle im Programmheft des 5. Sinfoniekonzert der Saison den koreanischen Dirigenten Myung-Whun Chung. Chung ist seit Beginn dieser Saison neuer erster Gastdirigent des Orchesters, eine Titulierung, die erstmals vergeben wurde. Dabei ist der "Neue" ein alter Bekannter, und die Ernennung beruht denn auch auf der in über zehn Jahren gewachsenen Freundschaft zwischen dem Orchester und dem 59jährigen Koreaner. Mehrfach leitete Chung die Staatskapelle auf Tourneen, vielen ist auch Chungs Messiaen-Ehrung zum Jubiläumsjahr 2008 mit der Aufführung der gigantischen "Turangalila-Sinfonie" in Erinnerung. Diesem Komponisten ist Chung besonders verbunden, erarbeitete mehrere Werke mit ihm persönlich und ist Widmungsträger von Messiaens "Concert a quatre".
Im 5. Sinfoniekonzert stellte Chung Messiaens "L'Ascension - Die Himmelfahrt" der 1. Sinfonie von Gustav Mahler gegenüber - Mahlers Sinfonien, so kündigte die Staatskapelle an, werden in Chungs Gastspielen künftig eine große Rolle spielen, denn es soll ein kompletter Sinfonien-Zyklus entstehen. Interessant war die Gegenüberstellung der beiden Komponisten mit Werken, die beide etwa im gleichen Lebensalter verfassten. Doch einen Vergleich sollte man mit der Feststellung bewenden lassen, dass die Persönlichkeiten trotz jugendlichem Selbstbewusstsein und Mut zur Erneuerung tradierter Formen zu unterschiedlich sind. Wo Mahler rauschhaft und manchmal durchaus widersprüchlich seine Außenwelt in einem persönlichen Drama reflektiert, wendet sich Messiaen über seinen starken Glauben sogleich nach innen.
Das zeigte bereits der Eingangssatz der "Vier sinfonischen Meditationen", den Demut und Bitte als charakteristischer Ausdruck beherrschen. Chung, der beide Stücke auswendig dirigierte, ließ hier Raum für ruhige Entfaltung der nicht leicht auszuhörenden Bläserakkorde, nahm die Meditation wörtlich und dehnte die narrative Kraft des Stückes auch auf den 2. Satz aus. Temperamentvoll und zuversichtlich geriet das an dritter Stelle stehende "Allelua", bevor das gebetsartige Finale ganz den Streichern vorbehalten blieb und diese mit toller dynamischer Ausbalancierung in immer höheren Sphären wirklich eine Himmelfahrt vollzogen.
Ebenso eindrucksvoll, wenngleich ganz andere Ausdrucksqualitäten hervorbringend, gelang der sinfonische Erstling von Gustav Mahler - übrigens ein Stück, das vielen Zuhörern sicher durch Georges Prêtres Interpretation an gleicher Stelle ziemlich genau vor einem Jahr präsent ist. In Myung-Whun Chungs Deutung zeigte sich über alle Sätze hinweg eine Seriösität, fast ein Respekt im Zugang zur Partitur, was aber sehr plausibel erschien, da Chung so die Natürlichkeit der Darstellung bewahrte. Naturlaute, Trauermärsche, Liedzitate und Schicksalhaftes erhielten ein kraftvoll-irdisches Temperament. Im 1. Satz bewahrte sich Chung den straffen Zug bis zum Satzende auf und konnte so mit weicher Klanggebung die Themen gestalten.
Das ausgestellte Selbstbewusstsein des 2. Satzes formte Chung nicht vertänzelnd-derb, sondern mit erdigem Zupacken, was dem Trio einen besonderen Kontrast verlieh. Das Finale modellierte Chung trotz des auskomponierten Höllensturms mit guter Kontrolle der Klangebenen und bewies noch einmal Besonnenheit in den leisen Passagen der Themen-Rückschau. Mit dieser überzeugenden Interpretation konnte Chung viel Begeisterung im Publikum entfachen - willkommen, Maestro Chung!
Anstelle von Jahresendgedichten und Rückblicken habe ich heute mal das Amt für Stadtgrün und Abfallwirtschaft angeschrieben. Da läuft nämlich, wenn ich aufmerksam durchs Viertel streife, etwas kolossal schief:
Sehr geehrte Damen und Herren,
erlauben Sie mir eine wichtige Anfrage. Ich habe (v.a. in den Stadtvierteln Neustadt und Pieschen, wo ich unterwegs war) beobachtet, dass mindestens seit Weihnachten keine Altglas- und Altpapierbehälter entleert wurden. Ich weiß, dass dies Entsorgungsunternehmen im Auftrag erledigen. Angesichts des morgigen Silvestertages (an dem vermutlich vormittags auch nichts entleert wird) erscheint mir die in diesem Jahr betriebene Logistik sehr fragwürdig. Wo sollen die Dresdner ihre Flaschen Silvester entsorgen, wenn die Abfuhrunternehmen genau zu diesen Tagen pausieren? Zudem befördern Sie damit Vandalismus (Scherben - die Flaschen stehen jetzt schon in Massen NEBEN den Containern, wie heute am Bischofsplatz gesehen) und Brandgefahr (Altpapier -> Silvester). Ich würde mich über eine Antwort von Ihnen sehr freuen, wohl wissend, dass auch diese vermutlich erst im neuen Jahr zu einem Werktag eintrifft.
Mit besten Grüßen
NACHTRAG, 2.1.: die Anfrage muss ich dann mal in ein dickes Lob umwandeln, denn heute waren wohl wirklich die Heinzelmännchen unterwegs, alle Container waren blitzblank geleert, wo ich vorbeikam. Alle Achtung :-)
Nachtrag zwei, 5.1.: Am 4.1. antwortete mir das Amt und wies auf einen Fahrzeugdefekt vor Silvester hin, erklärte aber auch die prekäre Situation mit den Feiertagen: "Gerade in diesen Tagen ist jedoch eine über das Normale hinaus gehende Entsorgungstätigkeit nicht realisierbar." - Das Amt empfiehlt, die Flaschen etc. zu Hause zu lagern, "bis sich die Situation an den Containerstandplätzen wieder entspannt hat".
Hier noch zwei Fotos von heute, Silvester, 15.30:

Dresden mehrLicht - 30. Dez, 23:55
Der Komponist Wolfgang Mitterer spielte in der Dreikönigskirche
Fester Bestandteil in den Ausbildungsveranstaltungen an der Hochschule für Musik Dresden ist seit Jahren die Begegnung mit renommierten zeitgenössischen Komponisten, die zu Workshops sowie Proben und Konzerten eigener Werke mit Studenten an die Hochschule eingeladen werden. In diesem Wintersemester ist der österreichische Komponist Wolfgang Mitterer (*1958) zu Gast in Dresden, der neben Gesprächskonzerten und Workshops auch der Hochschul-Produktion seiner Oper "Das tapfere Schneiderlein" (Premiere am 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus) beiwohnt und sich am Donnerstagabend in der Dreikönigskirche als Interpret und Improvisator vorstellte.
Dabei verband er zwei seiner zentralen künstlerischen Wirkungsebenen, nämlich die Orgel und die Elektronische Musik. Dass an diesem Nikolaustag die Kirche nicht gerade prall gefüllt war, war vorauszusehen, doch dankten die Zuhörer Mitterer für ein außergewöhnliches Musikerlebnis derart, dass dieser sogar noch eine Zugabe gab. Obwohl man sehr komplexe und originäre Klänge hörte, ist die Idee eigentlich frappierend einfach: die Orgel ist zwar die Königin der Instrumente, aber trotz ihrer Vielfalt im Klang und in den Spielmöglichkeiten ist sie endlich, und zwar an der Stelle, wo die Phantasie schon innerlich Klänge erfindet, die rein mechanisch gar nicht mehr möglich wären: der Organist hat eben nur zwei Hände und Füße, die Pfeifen lassen sich "live" schon gar nicht verbiegen und was wäre, wenn man dem tiefen 16-Fuß noch eine Wolke aus tieffrequenten Basstönen hinzuordnet, da wo kein Pedal mehr hin findet?
All diese Gedankenspiele sind auf erstaunliche Weise durch Elektronik (heute) lösbar. Wo Ligeti und Kagel mit ihren Orgelwerken noch an Grenzen stießen, manchmal sogar ein Kurzschluss dem wilden Treiben der Neutöner ein jähes Ende setzte, benutzt Wolfgang Mitterer Sampels der gleichzeitig gespielten Orgel, die einen enormen Klangraum eröffnen, der aber niemals zu weit vom Originalklang abweicht. Mitterers knapp einstündige "Mixture" für Orgel und Electronics bezog seinen Reiz daher auch durch den bruchlosen Übergang zwischen der Orgel und dem Sample-Kosmos, der quasi nicht ein neues Instrument, sondern lediglich ein erheblich im Frequenzspektrum und damit auch in der Klangfarbe erweitertes schafft. Mit dem Fehlen der optischen Komponente des Anblicks von Lautsprechern und Synthesizer war die Illusion perfekt. Mitterer war zudem in der Lage, Elektronik und Registrierung feinfühlig anzupassen, sodass mehrminütige, großbögig angelegte Entwicklungen entstehen und vergehen konnten. Nach dem Wegfliegen der Töne folgte das Wegfliegen der Gedanken, man konnte sich dieser Klanglandschaft ungehindert hingeben und die Musik fast wie eine Droge empfinden, so unmittelbar und unausweichlich war der Eindruck, in dem auch leise Klangflächen und melodische Erfindungen natürlich integriert schienen.
Interessant war ebenfalls, wie das Ohr sich nach und nach an die Farben und Entwicklungen gewöhnt, rhythmische Pulsationen wahrnimmt und zwischen den Ebenen mühelos wechselt, als würde man eine Bach'sche vierstimmige Fuge verfolgen. Mitterer schuf damit einen ganz eigenen Planeten aus Orgelklängen, mit Gebirgen, Tälern und Abgründen, Brausen und Wind, Stille und Nachhall. Dass ein adventliches Augenzwinkern an diesem Datum durchaus auch in Mitterers Phantasiekiste vorhanden ist, bewies die schöne, nach fast techno-artigem Beginn sauber tonal auskadenzierte Zugabe.
* Wolfgang Mitterer: Das tapfere Schneiderlein, Oper
Premiere 9.12., 16 Uhr im Kleinen Haus, Koproduktion der HfM, des Staatsschauspiels Dresden und der HfBK Dresden
Neue Ausgabe der "Briefmarkenopern" an der Musikhochschule
Seit zwei Jahren gibt es an der Musikhochschule schon das spezielle Format der "Briefmarkenopern" - ein Projekt der Kompositionsklasse von Manos Tsangaris. Hier werden bewusst Miniaturen zumeist szenischer und meist genreübergreifender Art präsentiert. Der zeitgenössische Komponist ist heute ohnehin eher seltener im klassischen Sinne ein "Tonsetzer", im Multimediazeitalter und im freien Spiel mit Gattungen und mit oder gegen Konventionen werden die Instrumente gleich mit erfunden, spielt der Raum eine Rolle, integrieren sich Literatur, Theater, Elektronik und Licht.
Die Grenzen setzende Form der Miniatur schließlich macht besondere Konzentration möglich - nicht nur der Interpreten, die innerhalb eines festen Zeitraums die jeweilige Spannungssituation der Werke fassen müssen, sondern auch für den Zuhörer, der unvorbereitet auf die verschiedensten Ansichten und Zustände trifft. Dass daraus dann auch eine unsortierte, überquillende Briefmarkenschachtel werden kann, tut dem Vergnügen keinen Abbruch - jedem bleibt es überlassen sich seine Perlen zu suchen.
Die Stücke der Kompositionsstudenten hatten diesmal mehr einen Hauch von "Briefmarkensinfonik" - behutsam und teilweise minimal wurde Raum und Szene eingebettet, etwa in "Macbeths Soliloquy" von Deokvin Lee nur mit einem Scheinwerfer oder in Bakchos von Eleftherios Veniadis als kreisförmig und gleichzeitig bewusst starr bewegte Musik. Als Gastinterpreten begrüßten die Dresdner ein Ensemble des Studiengangs "Theatre Musical" aus Bern, zu einem dort in der nächsten Woche stattfindenden Festival zum Thema Theater und Musik werden die "Briefmarkenopern" damit erstmals quasi den Postweg antreten.
Obwohl der Konzertabend fast durchweg schon in seinem bunten Angebot der Phantasie sehr viel Spaß machte, waren nicht alle Stücke bewusst auf Komik ausgelegt, entwickelte sich eher feine Ironie, wie in Tobias Schicks "Inkonsequenza"-Stücken für virtuelle Bassflöte und virtuelle Oboe. Schicks Stücke preisen die Ökonomie: wenn der Instrument künftig sein Instrument vergessen hat oder aus Finanzgründen verkaufen muss, mimt er es schlicht selbst. Sehr gespannt darf man daher wohl auf Schicks erstes virtuelles Orchesterwerk sein. Konsequent in der Gratwanderung des Ausdrucks verhielt sich "rumps" von Neele Hülcker mit wechselnden Musik-Attacken der Spieler an einem Tisch; die barschen Schnitte ließen das Spiel zwanghaft erscheinen, trotzdem erwuchs selbst aus dieser Enge ein poetisches Element. Still oder nachdenklich gerieten Stücke von Lorenz Grau und Carlos Gerardo Hernandez Canales - diese Stücke waren die einzigen des Abends, deren Verständnis sich nicht absichtsvoll sofort mitteilte.
Im Gegensatz dazu war "Tebel II" von Nicolas Kuhn ein ebenso schönes Theater-Mobile wie Katharina Vogts "Literarisches Quartett", hier die Elemente des Lesens neu sortierend. Im großen Finale setzte Deokvin Lee den Hochschul-Konzertsaal unter Wasser: "music for water und glasses" war eine ausgewachsene "Postkarte" unter den Briefmarkenopern - 8 Spieler bemühten sich um die facettenreichen Klänge aus Wasserbottichen und Gläserspielen. Hier wurde dann aber auch deutlich, dass nicht immer Idee und Umsetzung zueinander passen, denn der formal streng und üppig ausgearbeiteten Studie stand die Natur im Weg - und die plätschert eben seltenst im Viervierteltakt.
Lange habe ich mich hier nicht mehr zu Wort gemeldet außer mit meinen Rezensionen aus dem Dresdner Kulturleben. Diese immerhin bilden - seit 2005 geführt - hier schon ein interessantes Archiv, das über den Menüpunkt
Rezensionen oder über die Suche (links weiter unten) erreichbar ist.
Heute aber ist der 1. Dezember, das erste Türchen wird geöffnet und selbstverständlich gibt es für meine Leser (und mich selbst, ich gestehe es!) die
traditionellen Adventskalender-Links, vornehmlich aus der Flugbranche. Ich freue mich aber, wenn ihr in die Kommentare selbst noch Euren Favoriten eintragt. Es geht natürlich nichts über den traditionellen Schoko-Adventskalender, aber der läßt sich hier schlecht posten...
Also los:
* AirBerlin hat wieder einen
Aktions-Adventskalender, der bei Buchungen Sonderangebote verspricht
* Viele Firmen präsentieren ihre Gewinnspiele auf facebook, so findet sich auch der
Adventskalender von TuiFly ebendort.
* der
L'Tur-Adventskalender (Flash)
* beim
Fliegermagazin gibt es auch wieder einen Adventskalender, dort ist allerdings der Dauerklicker gefragt - jede Stunde öffnet sich da ein 10minütiges Zeitfenster, das zur Teilnahme berechtigt. Wer sich sowas ausdenkt...
* weg.de bietet keinen Kalender an, allerdings kommt an den vier Adventssonntagen
eine gute Fee und streicht einem Glückspilz die Euros aus der getätigten Buchung. So geht es auch...
Und very special dieses Jahr:
* Der
Semperoper-Adventskalender
* Der
Semperoper-Edition (CD-Serie bei Hänssler) - Adventskalender
* Die LVZ / DNN bietet ebenfalls
einen Kalender an, dort muss man sich aber für die Gewinne ein bißchen anstrengen und Rätsel lösen!
* In Berlin wettstreiten die Opernhäuser nicht nur um die besten Stimmen, sondern auch um die feinsten Adventskalender, hier sind sie:
Deutsche Oper Berlin (wer suchet, der...) -
Staatsoper Berlin und
Komische Oper Berlin
*
Frankfurter Rundschau
... (t.b.c.)
Weblog mehrLicht - 1. Dez, 07:48
Sächsische Staatskapelle in der Frauenkirche unter Vladimir Jurowski
Am Vorabend des Totensonntags gastierte die Sächsische Staatskapelle mit einem für diesen Tag angemessenen Programm in der Frauenkirche. Dass das Konzert aber gleichzeitig ein Gedenkkonzert für zwei herausragende und mit dem Orchester verbundene Musikerpersönlichkeiten werden sollte, war nicht geplant. Gerade dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres ist aber dazu bestimmt, zurückzublicken, sich Menschen zu erinnern, die Bedeutendes hinterlassen haben, damit weiterleben obwohl sie nicht mehr unter uns sind. Schmerzlich war der plötzliche Tod des großen Komponisten Hans Werner Henze am 27. Oktober in Dresden - da war bereits das "Requiem", das Henze 1992 in Gedenken an Michael Vyner schrieb, für das Frauenkirchen-Konzert projektiert.
Es wurde sein eigenes Requiem, eingebettet in eine Instrumentation der "Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach, die der Dirigent Rudolf Barschai kurz vor seinem Tod 2010 vollendete - postum wurde ihm 2010 der Schostakowitsch Preis Gohrisch zuerkannt, das Gastspiel beim Festival in Gohrisch kam nicht mehr zustande. Das Konzert der in großer Kammerorchesterbesetzung musizierenden Staatskapelle war äußerst bewegend und auch in der Musizierhaltung entsprechend von Respekt und Fürsorge für die Partituren geprägt. Dass ausgerechnet solch ein anspruchsvolles Programm als Partnerkonzert mit dem Gustav-Mahler-Jugendorchester, deren Mitglieder in allen Instrumentengruppen am Konzert mitwirkten, durchgeführt wurde, ist schon deshalb lobenswert, weil die jungen Musiker aus diesem gemeinsamen Konzert sicher viel mehr mitnehmen werden als die bloße Repertoire-Erfahrung. Vladimir Jurowski, Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra, war weniger Dirigent, als vielmehr behutsamer Sachwalter der Bach'schen Instrumentation und sorgte für allem für eine zur Transparenz führende dynamische Ausbalancierung der Stücke.
Was Bach uns da in höchster Meisterschaft unvollendet hinterlassen hat, durchlief bereits viele Versuche der Realisierung. Scheitern mochte vor allem der, der sich von Bachs Noten gar zu weit entfernte, zuviel Geschmack und Tand hinzufügte. Diese Gefahr besteht bei Barschais Umsetzung niemals - er wählte ein Streichorchester mit einem auf die Contrapuncti abgestimmten solistisch agierenden Ensemble aus Violine, Viola d'amore, Cello, Gambe und einigen Blasinstrumenten und besann sich auf die originale Stimmführung. Das Orchester bemühte sich um ein klares Klangbild, doch selbst vor dem Altarraum war die faszinierende Polyphonie im steten Widerstreit mit der Akustik des Raumes befindlich, so dass vor allem die abschließende Quadrupelfuge nicht mehr sauber zu verfolgen war, gleichwohl sich alle Musiker um Prägnanz und einen klanglichen Kompromiss zwischen heutigem Kapellklang und historisch informierter Spielweise bemühten.
Hans Werner Henzes "Requiem" bezog seine enorme expressive Kraft vor allem aus der Nachbarschaft mit der kühlen Klarheit der "Kunst der Fuge". Hier die Kontemplation des Denkens, dort die herausbrechenden Schreie und Stimmen des Individuums: Håkan Hardenbergers famos interpretiertes Trompetensolo ist nichts anderes als eine Humanitas in Notenschrift. Eines Textes bedarf es in diesem Requiem nicht, auch die Satzüberschriften aus dem Messtext wirken mehr wie Signale oder Haltungen, die sich formulieren. Hardenberger war 1993 schon Solist der Uraufführung des kompletten Requiems in der Kölner Philharmonie - vor drei Wochen wurde das Werk dort ebenfalls als Gedenkkonzert für Henze musiziert. "Rex Tremendae" und "Lacrimosa" des Requiems wirkten noch als von Brüchen und Gegensätzen geprägte Auseinandersetzung mit dem Unbill der Welt, das "Sanctus" schließlich formuliert Tröstung, Transzendenz und mit den Echo-Trompeten von den Emporen fast so etwas wie eine Himmelfahrt.
Dem Nachklang des letzten Satzes lauschte das Publikum lange, bevor starker Applaus aufbrandete - für eine intensive Interpretation dieses im OEuvre des Komponisten sehr aufschlussreichen, wichtigen Werkes, aber vor allem in Gedenken an Henze selbst. Håkan Hardenberger legte seinen Blumenstrauß sogleich auf die Noten des "Requiems", Bach/Barschai folgte erneut und damit erfuhr dieses Konzert einen als völlig natürlich empfindbaren Bogen hin zu dem unerschöpflichen, wertvollen Reichtum der Musik, die davon künden kann, woher wir kommen und wohin wir gehen.
Trompeterin Alison Balsom gastierte in der Frauenkirche
Als "Paganina" der Trompete wird sie bezeichnet - auch wenn man verstehen kann, was damit gemeint sein soll, wäre für die Britin Alison Balsom vermutlich der königliche Begriff der "Queen" angebrachter, es scheint auch geografisch einleuchtender und verbindet sich zudem mit ihrem neuesten CD-Album. Doch mit solchen Titulierungen erfasst man ohnehin nur äußerlich das eigentliche Musikerlebnis. In der Frauenkirche war am vergangenen Sonnabend die Startrompeterin gemeinsam mit dem "kammerorchesterbasel" im Konzert zu erleben.
Das Programm mochte sich nicht recht entscheiden zwischen Wiener Klassik und "British Light Classics", darin lag auch eine gewisse Schwierigkeit in der Abfolge. Für die Rezeption zumindest von James McMillans Trompetenkonzert und Edward Elgars Streicherserenade müßte man den Begriff der "Leichtfälligkeit" oder gar Überbekömmlichkeit noch erfinden. Dass MacMillans Concertino "Seraph" (Engel) erst im letzten Jahr uraufgeführt wurde, mochte man bei all den süffigen Kantilenen und postromantischen Streicherflächen gar nicht glauben. Alison Balsom erledigte dennoch pflichtgemäß ihre solistischen Aufgaben im Gewusel der Stilkopien - dass ein bedeutungsloser Triller das Konzert abschloss, wirkte nicht einmal als Effekt sondern bloß als Karikatur einer Komposition, deren strikte Ästhetik der Gefälligkeit jeglichen Ausdruck erschlug.
Der Kürze dieses Werkes ist zu verdanken, dass Balsom noch genügend "Luft" für ein zweites Solokonzert hatte. Das bekannte Trompetenkonzert Es-Dur von Joseph Haydn ist ein Geniestreich vor allem in der Effektivität der Mittel, was auch dazu geführt hat, dass das Thema des dritten Satzes heute von allen Dächern gepfiffen wird. Balsom zeigte hier erneut ihren schönen, perfekten, manchmal jedoch zu geradeaus geführten Ton. Sowohl MacMillan als auch Haydn gerieten vielleicht eine Spur zu akademisch, um wirklich mitreißend zu wirken. Trotz der exzellenten Begleitung des Kammerorchesters dominierte Balsoms Trompete im Raum derart, dass man vor allem im Tutti-Satz des Haydn-Konzertes nur noch ein Rauschen wahrnahm - ein rein akustisches Problem, das aber auch nicht zu ignorieren war. Man musste bis zur Zugabe warten, um mehr faszinierende Klangfarben von Alison Balsom zu erhaschen: die in schwindelnder Höhe samtweich angesetzte Bearbeitung des Flötenstücks "Syrinx" von Claude Debussy zeigte die Künstlerin in völliger Verschmelzung mit ihrem Instrument.
Zu Beginn stahl das kleine, in der Frauenkirche schon bestens arrivierte kammerorchesterbasel fast der Solistin die Schau: die als Ouvertüre musizierte "Oxforder" Sinfonie Nr. 92 G-Dur von Joseph Haydn geriet mustergültig und ausdrucksstark. Mit kompetenter Aufführungspraxis (Naturhörner und -trompeten) und mit feinem Sinn für die Ecken und Kanten dieses vor Synkopen und Vorhalten strotzenden Werkes überzeugte die Interpretation, die - wie das gesamte Konzert - von der Konzertmeisterin Yuki Kasai geleitet wurde. Das war eine famose Leistung des Zusammenspiels, welche in den weiteren Werken nicht mehr ganz die Einzigartigkeit des Beginns erreichte.
Alexander Keuk
CD-Tipp:
Alison Balsom: "Kings and Queens", Musik von Henry Purcell und Georg Friedrich Händel / EMI
Beethoven und Weber in der "Blauen Stunde" der Dresdner Philharmonie
Gerade zurückgekehrt von ihrer erfolgreichen Tournee durch Großbritannien verwöhnte die Dresdner Philharmonie ihr heimisches Publikum erneut mit einer "Blauen Stunde" im Hygiene-Museum, die sich, dass zeigt der überaus gute Publikumszuspruch, schon jetzt als Erfolgsgeschichte erweist. Neben der angenehmen Sonntagsatmosphäre ist auch die historische Verbindung naheliegend - der Steinsaal diente den Philharmonikern vor der Eröffnung des Kulturpalastes bereits als Spielstätte. Auch das Konzept, eine Stunde Musik ohne Pause anzubieten, geht auf, wenn man eine ansprechende Dramaturgie anbietet - diesmal war es der Einblick in die Musikgeschichte zwischen der Blütezeit der Wiener Klassik und der deutschen Frühromantik - zeitlich gibt es da nahezu keine Grenzziehung, stilistisch jedoch war das Aufeinandertreffen zwischen Ludwig van Beethoven und Carl Maria von Weber erhellend.
Stellt der eine seine sinfonischen Raffinements ganz in den Dienst des Intellekts, der Erbauung durch Reibung und Erweiterung des bisher formulierten sucht, so setzt bei Weber schon das unprätenzöse unterhaltende Element ein, das sich vor allem in der Kammer- und Salonmusik des 19. Jahrhunderts fortsetzt: der Komponist tritt zurück zugunsten des Virtuosen. Sebastian Manz war der Solist in Webers Klarinettenquintett B-Dur, das in einer Fassung mit Streichorchester erklang. Nicht immer ganz abgerundet wirkte der erste Satz, doch Manz fand dann immer mehr zu einer spritzigen, ausgefeilten Spielkultur und ließ die Klarinette singen und tanzen, die Philharmoniker begleiteten aufmerksam, wenngleich die Instrumentation nicht die Feinsinnigkeit des Originals besitzt. Der Rausch der Geschwindigkeit im Finalsatz hätte da gar nicht mehr als Leistungsbeweis herhalten müssen - Manz bekam großen Applaus und bedankte sich mit einer jazzigen Strawinsky-Pièce.
Um Weber herum hatte Chefdirigent Michael Sanderling späte, reife Werke von Beethoven platziert, die - vor allem in der vorwärts stürmenden, aber leider kaum bekannten Ouvertüre "Zur Namensfeier" schon den Duktus der 9. Sinfonie antizipierten. Sanderling selbst schien an diesem Sonntag offenbar von der "Blauen Stunde" weniger das entspannende denn das erregende Farbelement zeigen zu wollen - sehr temperamentvoll und energisch leitete er die Ouvertüre, die so einen großen Spannungsbogen erhielt und mit volltönender Dynamik zelebriert wurde. In der zum Abschluss dargebotenen 8. Sinfonie F-Dur war mehr Raum für Details, Übergänge und eben die raffinierten Nebenstimmen der Werkanlage gegeben. Sanderling kostete die Partitur mit flotter, aber nicht hektischer Tempogebung aus und setzte mit dem jederzeit homogen und stilistisch sicher und punktgenau aufspielenden Orchester einen schönen Schlusspunkt.
Opernausschnitte von Kunad, Matthus und Hanell an den Landesbühnen
Wenn man in unseren Breiten von zeitgenössischer Musik spricht, ist zumeist die aktuelle, gegenwärtig entstehende Musik gemeint. Zwanzig Jahre nach der Wende wird uns bewusst, dass die Pflege der Musik, die zu DDR-Zeiten entstanden ist, heute kaum noch eine Bedeutung hat. Wenige ostdeutsche Komponisten konnten mit ihren Werken den Weg ins Repertoire der Bühnen und Orchester finden. Befragt man heute Komponisten der Generation, die zu Zeiten der DDR häufiger gespielt wurden, so ist eine eindeutige Bewertung nicht zu erreichen - zwar gab es früher mehr Aufträge, Kultur zeigte sich aber immer eingebunden in einen politischen Auftrag, in dem der Kunst in vielfacher Ebene Zügel angelegt waren und Querdenker subtiler formulieren oder gar das unproduktive Schweigen vorziehen mussten.
In diesem Zusammenhang erscheint das Engagement der Landesbühnen Sachsen, in Kooperation mit der Dresdner Musikhochschule eine Reihe namens "Musikzonen - Zonenmusik" zu etablieren, allein schon verdienstvoll im Sinne der Dokumentation und Auseinandersetzung. Diese kann nur geführt werden, wenn man die Werke lebendig erhält und auch von Versuchen und Experimenten berichtet. Der erste Abend enthielt Ausschnitte aus drei Opern, die in verschiedener Weise mit den Landesbühnen Sachsen verbunden sind.
Der im Konzert mitwirkende Tenor Guido Hackhausen war an der Dramaturgie maßgeblich beteiligt und verfasst derzeit eine Dissertation über das ostdeutsche Musiktheater zwischen 1949 und 1989. 1965 wurde an den Landesbühnen "Bill Brook" von Rainer Kunad uraufgeführt, ein Einakter nach einem Text von Wolfgang Borchert, der in vielfältiger Weise die Emotionen im Nachkriegsdeutschland reflektiert. Der Ausschnitt mit dem an einem wüsten Ort herumirrenden Feldwebel (Henrik Marthold) zeigte exemplarisch diese Expressivität, aber auch eine strenge, auf wesentliche Gesten reduzierte Kompositionsweise, in der die drei zu fragwürdigem Leben erwachten Gestalten (Iris Stefanie Maier, Stephanie Krune und Henriette Gödde) kurze, fast irrationale Klagelieder singen. Im von Jan Michael Horstmann moderierten Konzert kam es dann zu einer Wiederbegegnung mit Siegfried Matthus komischer Oper "Noch einen Löffel Gift, Liebling" - buffonesk arbeitete sich die Elbland Philharmonie Sachsen unter Leitung von Hans-Peter Preu durch diese augenzwinkernde Partitur, in der "very british" ein Pilzgericht zur doppelten Vergiftung führen soll.
Den Höhepunkt dieses Abends bildeten die auch musikalisch sehr überzeugend dargebotenen Ausschnitte aus Robert Hanells 1976 in Radebeul uraufgeführten Komödie "Reise mit Jou Jou". Das Orchester und ein großes Sängerensemble brachen eine Lanze für dieses musikalische Feuerwerk. Mit Dietmar Fiedler als Graf wirkte im Ensemble der sich gegenseitig bekriegenden Reisegesellschaft sogar ein Protagonist der Uraufführung mit. Dass in der DDR Unterhaltung auch auf höchstem Niveau stattfand und heute keineswegs als muffiger Zeit-Spiegel wirkt, zeigt diese von nur zauberhaft zu nennender Musik umgebene Geschichte. Hanell zieht - auch im Orchesterintermezzo - alle Register kompositorischen Könnens; die Kutsche, die "nicht vom Fleck kommt", bleibt als Sinnbild bestehen.
Bach und Bruckner mit Herbert Blomstedt in der Frauenkirche
Dresden, Leipzig, Kopenhagen, San Francisco. Diese Orte stellen nur eine kleine Auswahl der bisherigen Schaffensmittelpunkte des Dirigenten Herbert Blomstedt dar. Zu seinem 85. Geburtstag machte sich Blomstedt selbst wohl das bescheidenste Geschenk, seinem großen Publikum in aller Welt aber das größte: er arbeitet und dirigiert, will "seinen" Orchestern und den Zuhörern Musik schenken, die er besonders gerne aufführt - in diesem Jahr sind dies das "Deutsche Requiem" von Brahms, Beethovens "Missa Solemnis" und Sinfonik von Beethoven und Bruckner. In Dresden, wo Blomstedt zehn Jahre die Geschicke der Sächsischen Staatskapelle leitete, ist er stets hochwillkommen - auch wenn diesmal "seine" Dresdner nicht zur Verfügung standen.
Für das Gastspiel in der Frauenkirche reiste er mit den Bamberger Symphonikern an, deren Ehrendirigent er ist, und mit denen er Anfang November eine Tournee nach Japan unternimmt, von wo die Staatskapelle dann gerade zurückkehrt.
Dass rund um den Globus Blomstedts Interpretationen gefeiert werden, ist nicht eine späte Ehrerbietung, sondern die Würdigung eines Lebenswerkes, die sich vor allem - das sah man beim Gastspiel in der Frauenkirche deutlich, in der nie versiegenden Freude am Musikmachen und in der Erfüllung in der Arbeit an den Partituren niederschlägt. Solches Musikmachen verschafft Respekt und führt den Zuhörer tief in die Werke ein.
Im Dresdner Konzert stellte Blomstedt der 4. Sinfonie Es-Dur von Anton Bruckner ausgerechnet eine Kantate von Johann Sebastian Bach zur Seite. Obwohl das eigentlich eine völlig verständliche Kombination ist, hört man diese Gegenüberstellung im Konzert selten und dementsprechend erhellend war das Musikerlebnis. Bei allen Unterschieden der Epochen und Persönlichkeiten zeigen sich beide vereint beim "lieben Gott" und in der Meisterschaft des Kontrapunktes. Ein Meisterwerk ist Bachs Kantate "Jauchzet Gott in allen Landen" zweifellos, die Virtuosität des Werkes, das ohne Chor auskommt, weist auf das italienische Vorbild hin. Ruth Ziesak (Sopran) war für dieses Stück ideal besetzt und kostete die in allen Registern geforderten Koloraturen genüsslich aus - Blomstedts kleinbesetztes Ensemble begleitete zuverlässig und klangschön, jederzeit dem Wort untergeordnet.
Kaum jemand im Publikum mochte zur Pause aufstehen - zu gespannt war man auf die große Bruckner-Sinfonie, die dann zu einer musikalischen Sternstunde geriet. Blomstedts unprätentiöses Dirigat, das sofort Vertrauen schafft und zu Homogenität und Spannung aufruft, brachte eine lichte, traumhaft geschlossene Interpretation hervor. Schon der einleitende Hornruf beschwor eine selbstbewusste, überhaupt nicht mystifizierende Klangwelt, die durch Blomstedts stets federnd-leichtes Metrum und dem hervorragenden Können der Orchestergruppen Leben erhielt.
Sorgsam ausgehört war die Balance im Orchester, Steigerungen erhielten von Blomstedt in organischer Weise Zeit und Atem. Von irisierender Schönheit waren die Kantilenen der Bratschen im Andante; selten hörte man auch, dass schlichte Tonwiederholungen oder Oktavsprünge so spannungsvoll gestaltet werden können - das besorgte eine exzellente Holzbläsergruppe, während das Blech warm intonierend selbst im Tutti des 4. Satzes zwar strömende Wucht, aber nie Gewalt verbreitete. So glanzvoll, positiv und stimmig hört man diese Sinfonie selten in einem Konzert und die Standing Ovations des Publikums für Herbert Blomstedt und das auf allerhöchstem Niveau musizierende Orchester waren nicht nur berechtigt, sie kamen auch - Geburtstagswünsche inklusive - von Herzen.
(22.10.12)
Constanza Macras Roma-Stück "Open for Everything" in Hellerau
Das Tanztheater kehrt nach dem Abschluss der "Tonlagen" ins Festspielhaus Hellerau zurück. Constanza Macras' Company "Dorky Park" gastiert regelmäßig mit neuen Produktionen in Hellerau - zuletzt mit "Berlin Elsewhere" bei der Tanzplattform im Februar. Ihr neues Werk "Open for Everything", erstmals bei den Wiener Festwochen in diesem Jahr vorgestellt, beschäftigt sich mit der Kultur der Roma, einem Volk, das uns als ethnische Minderheit zwar bekannt erscheint, doch die bruchstückhafte Überlieferung von Geschichte, Demografie und verfälschender, manchmal sogar romantisierender Darstellung macht es schwer, Klischee von Wirklichkeit zu unterscheiden. Insofern ist Macras Ansatz, das Tanztheater nicht über die Roma, sondern gemeinsam mit Roma zu entwickeln und aufzuführen, richtig, weil so statt einer Deutung die Dokumentation im Vordergrund steht.
Der Titel "Open for Everything" wirkt da fast wie eine Distanzierung - Macras will weder Polittheater noch Sozialtheater schaffen. Das opulente Bilderspektakel, vom begeisterten Publikum in Hellerau verfolgt, regte aber zu reichlich Auseinandersetzung an. Spannend ist in Macras Werken immer die Initialzündung zur Reflektion, die nicht über Belehrung und Ausbreitung intellektueller Materialien geschieht, sondern zuerst über die Sinne. Tanz und Theater, Musik, Bühne und Choreographie werden dabei revueartig vermischt. "Open for Everything" formt einen schönen Bogen im Wechsel zwischen Soli und großen Ensembles und erreicht eine packende Bildersprache, wenn es um Identität oder Selbstfindung geht.
Auf ein operettenhaftes Finale verzichtet Macras, stattdessen weist der stille Schluss nach innen, in die Gedanken- und Traumwelt. Fünf Musiker aus Tschechien und der Slowakei heizen zuvor Tänzern und Publikum ordentlich ein. Gleich ob es melancholische Lieder sind, "Carmen" oder Pop-Musik - alles wird mit gehörig Herzblut gespielt und nach eineinhalb Stunden weiß man, dass es ebenso wenig eindeutige Roma-Musik gibt wie auch die Legende vom "fahrenden Zigeuner" kaum mehr haltbar ist - das ausgebeulte Auto auf der Bühne dient dennoch als skurriler Lebens- und Tanzraum, die Europakarte ist ständig im Kofferraum parat. Es präsentiert sich ein musikalisches, rhythmusbetontes Volk, das seine eigenen Traditionen und Werte hat - Macras weist mit subtilen Szenen darauf hin: ein Taschendieb, eine Madonnenfigur im Hintergrund oder ein Bericht über eine Beerdigung werden eingeflochten. Kurze autobiografische Erzählungen der mitwirkenden Roma zeigen, dass immer der Mensch und sein Schicksal auf eine respektvolle Weise im Mittelpunkt steht.
Die Schnittpunkte zur westlichen, modernen Welt sind gleichzeitig hart wie überraschend fließend - Dorky Park bringt durch seine eigenen Tänzer Internationalität in das Stück, mal ist das Aufeinandertreffen skurril ("Du siehst indisch aus, bist Du Inderin?"), dann wieder zeigen hemmungslos sinnenfrohe Ensembleszenen, dass Emotionen in allen Ecken der Welt gemeinsam gefühlt und getanzt werden dürfen. Mit "Open for Everything" ensteht eine Nische auf der Bühne, ein Theater-Raum, in dem alles darf, nichts muss, aber wir nach der Aufführung einmal mehr wissen, was uns als Mensch ausmacht und auch von anderen Menschen unterscheidet - wenn diese Leidenschaften so authentisch und temperamentvoll über die Rampe kommen, kann man nur von einem gelungenen Abend sprechen.
(19.10.12)
Henze und Brahms im 3. Kapell-Konzert mit Christian Thielemann
Lange warten muss man in der neuen Kapell-Saison nicht, um den neuen Chefdirigenten Christian Thielemann am Pult des Orchesters zu erleben, schon das 3. Sinfoniekonzert stand wiederum unter seiner Leitung und mit dem "Rosenkavalier" gibt er bald sein Operndebüt. Das Konzert zeigte zwei Schwerpunkte der diesjährigen Saison. Der Capell-Compositeur Hans Werner Henze wird mit Aufführungen auf der Opernbühne wie auch in Kapell-Konzerten geehrt; Johannes Brahms' sinfonische Werke ziehen ein Band durch die Sinfoniekonzerte.
Zu Beginn dirigierte Thielemann "Sebastian im Traum", ein im Untertitel "Salzburger Nachtmusik" benanntes Orchesterstück mit Bezug auf einen Gedichtzyklus von Georg Trakl. Mit etwa 15 Minuten Dauer und einem starken Bezug zur spätromantischen Tradition mag man das 2004 entstandene Werk als verspäteten Beitrag zur sinfonischen Dichtung auffassen, Henzes eigene Worte bekräftigen diesen Eindruck. Das Stück lebt von Hell-Dunkel-Kontrasten und einer eigentümlich auf der Stelle tretenden, teilweise belastenden Stimmung. Trotz Thielemanns engagiertem Eintreten für das Werk und einer durchaus farbigen Interpretation fiel das Stück beim Publikum am Sonntagvormittag durch - als pures Anhängsel zu gleich zwei gewichtigen Brahms-Sinfonien war kaum Begeisterung für Zeitgenössisches zu holen, fehlte vielleicht auch das Verständnis für die disparate, oft stockende Anlage des Werkes.
Im Nachvollzug der Interpretation der darauf folgenden 3. Sinfonie F-Dur war aber durchaus eine schlüssige Verbindung zu sehen, denn auch hier zeigt sich ein Komponist mit oft zögerlich, ja vorsichtig entwickelten Gedanken, die viel mehr einen Prozess oder eine Entwicklung zeigen denn ein Auftrumpfen klassischen Selbstbewusstseins. Thielemann zeigte ein reifes, überzeugendes Konzept, indem er die F-Dur-Umgebung eindeutig pastoral und lyrisch deutete. Dazu gehörte eine breit angelegte Exposition des 1. Satzes mit scharfen Kontrasten in der Durchführung, eine zauberhaft schlichte Demonstration liedhafter Schönheit im 2. Satz und die Ablehnung jeglicher Scherzo-Derbheit im 3. Satz.
Die Kapelle folgte seinen Intentionen mit absoluter Konzentration und war empfänglich für extrem fein angelegte Dynamik- und Temporeduzierungen, so dass sich etwa das Hornsolo im 3. Satz exquisit auf einem Piano-Teppich entfalten konnte. Brahms' sinfonischer Erstling in c-Moll erzählte nach der Pause eine andere Geschichte, nämlich die von Bezügen zu Schumann und Beethoven, vom Ringen um die sinfonische Form und von leidenschaftlichem Ideendrang. Die Interpretation war von Thielemann so sorgfältig angelegt worden, dass nach dem selbstbewussten Kopfsatz und den sehr kammermusikalisch aufgefassten Mittelsätzen die Dur-Wandlung im Finale sowohl schlüssig als auch mit den Reserven aufgesparter Kraft explosionsartig geschah.
Thielemanns Brahms zeigte sich keinesfalls als ein simpler Griff in die Repertoirekiste. "Brahms geht immer" erweist sich dann als falsch, wenn ein Dirigent in die Tiefen der Partitur eindringt und verborgene Linien, harmonische Überraschungen und unerwartete Übergänge immer im Sinne des Ganzen und ohne Detailübertreibung musiziert, damit ein Bild des Komponisten formt, das weitaus komplexer ist, als es uns die Popularität seiner Werke vorspielen mag. Genau das ist Christian Thielemann mit seiner an diesem Sonntagvormittag famos aufspielenden Staatskapelle sehr gelungen, und das macht durchaus gespannt auf den weiteren Fortgang des Brahms-Zyklus mit Thielemann.
(15.10.12)
1. Konzert der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus
Fünf Schritte braucht Chefdirigent Michael Sanderling, dann steht er am Pult der Dresdner Philharmonie im Schauspielhaus. Die Plötzlichkeit des Erscheinens war im Kulturpalast nicht vorhanden, da konnte man von der Bühnentür bis zum Pult fast noch einmal die erste Partiturseite innerlich durchgehen. Auch akustisch ist das Schauspielhaus natürlich ein anderer Ort - man wähnt sich optisch zwar näher am Geschehen, ist aber nicht wirklich befriedigt durch den leicht dumpfen, resonanzarmen Klang von der Bühne.
Für die Musiker kommt es hier auf Genauigkeit und Homogenität an, um einen möglichst tragfähigen Klang zu erzeugen. Mit einem spätromantischen Programm wartete das Orchester im 1. Konzert der Schauspielhaus-Reihe auf. Sergej Prokofjew ordnete fünf Sätze aus dem Ballett "Aschenbrödel"/"Cinderella" Opus 87 zu einer kleinen Suite, bei der aber durch die Handlungsabbrüche der Eindruck der Miniatur überwog, dies aber lösten die Philharmoniker mit gutem Sinn für die jeweilige Szene, mit strömendem Klang wurde der bekannte Walzer zelebriert, der "Streit" gelang mit markiertem Zugriff überzeugend.
In der Mitte des Konzertes wurde erneut ein Streiflicht auf Armenien geworfen; das Land stand in den bisherigen Konzerten thematisch schon mehrfach im Mittelpunkt. Diesmal widmete man sich dem Violinkonzert von Aram Chatschaturjan, der zwar in Georgien geboren wurde und den Großteil seines Lebens in Moskau verbracht hat, aber sich der armenischen Kultur stark verbunden fühlte. So ist auch die Folkloristik seines Violinkonzertes keine Effektenhascherei, sondern Bekenntnis des Komponisten zu seiner Tradition und Herkunft. Mit dem Solisten Mikhail Simonyan (der das Konzert auch unlängst für die CD einspielte) war ein Botschafter der armenischen Musik gefunden, der einen ganz spezifischen Klang und Zugang für das Werk fand.
Dieser immer vom Gesang und von einer leicht melancholischen Stimmung ausgehende Ansatz sprang als Funke auch schnell auf die Philharmoniker über, die Sanderling mit Temperament und Sensibilität für die großen melodischen Linien im Andante führte. Simbotyan zeigte eine packende Kadenz im 1. Satz und eine tolle Linienführung, die das Kolorit nie verleugnete - Simonyan bedankte sich für den Applaus, wie neulich schon beim Museumskonzert, mit dem "Armenischen Gebet" von Komitas. Dass "Folklore" ein weitläufiger und im Einzelfall zu untersuchender Begriff ist, zeigte auch das bekannte Schlusswerk des Konzertes: In Dvořáks 9. Sinfonie findet man viel Gefallen an der amerikanischen Kultur, aber eben auch den böhmischen Musikanten.
Sanderling gab Raum für beides, fand schöne Tempi und ließ vieles ausmusizieren. Erst das Finale bekam einen unerbittlichen, aber positiv leidenschaftlichen Zug bis hin zum letzten sauber intonierten Akkord. Kein spektakulärer, aber musikalisch intensiver und angemessener Auftakt für die Philharmoniker "unterwegs" im Schauspielhaus.
CD-Tipp: "Two Souls" Aram Chhatschaturjan, Samuel Barber, Violinkonzerte
Mikhail Simonyan / London Symphony Orchestra / Kristjan Järvi (DGG 2012)
(15.10.12)
Kontrabassklarinette mal Fünf bei den Tonlagen in Hellerau
Es wird sicher Menschen geben, die noch nie im Leben eine Kontrabassklarinette gehört haben, vielleicht auch gar nicht wissen, dass dieses Instrument existiert. Sie sind zu bedauern, dass sie den Weg ins Festspielhaus Hellerau zum Tonlagen-Festival am Freitagabend nicht gefunden haben, denn der Abend mit fünf (!) Kontrabassklarinetten war ebenso verrückt wie faszinierend. Doch so exotisch das Instrument ist, so überraschend groß war der Publikumsandrang. Und man darf gratulieren, dass in diesem Fall das so wichtige akustische Ambiente berücksichtigt und der große Saal als Spielort ausgewählt wurde. Zudem standen große Kissen für den Hörgenuss aus einer entspannten Haltung heraus zur Verfügung.
Wie aber kam es zu dem Konzert? Die Kontrabassklarinette selbst ist ja noch ein recht junges Instrument, findet sich vor allem in zeitgenössischen Ensemble- und Solowerken, aber auch in Blasorchestern und im Jazz ist sie anzutreffen. Der besonders große Tonumfang, die enormen klanglichen Möglichkeiten in raunender Tiefe, aber eben auch der sehr spezifische Höhenklang des Instrumentes sowie deren Überlagerungen mit mehreren Instrumenten reizten den Solisten Theo Nabicht, hervorragende Kollegen (in der Kontrabassklarinettenszene ist man ohnehin gut vernetzt, um plötzliche Einsätze des - eben seltenen - Instrumentes zu koordinieren) für ein Konzert zu fünft zu gewinnen. Mit 85 Minuten "Bass-Surround" wurde das Publikum beglückt.
Dass man trotz der - psychisch zumindest Beruhigung versprechenden - Tieffrequenzlastigkeit keinerlei Langeweile verspürte, lag an einem sehr intelligenten Programm, das Solo und Quintett ebenso miteinander verband wie Freies und Festgelegtes, Aufwühlendes und Sphärisches. Spaß machte das Programm also eher durch seine Klangsinnlichkeit denn durch komödiantischen Bass-Wumms, den man aus vorweihnachtlichen Meetings der Bläserklasse noch in eigener Erinnerung hat. Durch die pausenlose Verklammerung von Stücken u. a. von Marc Andre, Giacinto Scelsi und Gerard Grisey traten die Komponisten auch hinter ihre Musik zurück - die Instrumente führten den Dialog. So entstanden fernab von den intendierten Geschichten der Komponisten Bilder vor dem "geistigen Auge" - eine hoch geführte Solopassage wäre mit der Assoziation "kleine Vögel in Notlagen" noch am besten zu beschreiben, während Marc Sabats "Rameau"-Komposition in langsam-stetiger Überlagerung von drei Kontrabassklarinetten wirklich an eine gemächliche Bewegung von Walen im Ozean erinnerte.
Andere Stücke wiederum klangen wie Tiere, die noch erfunden werden müssen - eben einzigartig. Das Duo "Antiphon" von Georg Friedrich Haas erzeugte so viele Interferenzen, Resonanz- und Obertöne, dass man mindestens ein drittes Instrument im Raum vermutete, was aber nicht der Fall war. Griseys Solostück "Anubis-Nout" nähert sich dem Jazz an, auch einige Improvisationen überschritten diese Grenze mühelos; unbelastet von jahrhundertealter Geschichte ist die Kontrabassklarinette (man glaubt es bei der Größe kaum) vor allem flexibel in den Genres und Spielarten.
Begeistert war das Publikum am Ende des Konzertes nicht nur wegen der Begegnung mit einem nun gar nicht mehr so unbekannten Instrument, sondern auch wegen der unglaublichen Virtuosität von Theo Nabicht, Richard Haynes, Bohdan Hilash, Manfred Spitaler und Hans Koch, die sich am Ende in Louis Andriessens minimalistischem "Workers Union" zu atemberaubend rasanten rhythmischen Ketten zusammenfanden, getreu dem Motto: Wer atmet, verliert.
(13.10.12)
Erster "Dresdner Abend" der Philharmonie im Hygienemuseum
Wenn ein Konzertprogramm "ambitioniert" erscheint, ist das in gewissen Kreisen schon fast ein negativ besetzter Begriff. "Schwere Kost" wird da solcher Musik nachgesagt, die das Zurücklehnen nicht befördert und dem Intellekt Herausforderung bietet. Das aber ist ein reines Rezeptionsproblem und man sollte nicht die Komponisten dafür verantwortlich machen. Zwar waren zum ersten "Dresdner Abend" der Dresdner Philharmonie im Hygienemuseum die Reihen nur locker gefüllt, die überaus begeisterten Reaktionen zeigten jedoch, dass die Konzeption dieser neuen Reihe, die schon in verschiedenen Konzertformen der Vergangenheit Vorgänger hatte, Erfolg verspricht.
Konzertmeister Wolfgang Hentrich ist maßgeblich an der Dramaturgie beteiligt und setzt die gute Tradition fort, wonach ein Konzertmeister nicht nur den "Tonangeber" spielt, sondern auch kreative Impulse für die Konzerte liefert und sich der Geschichte und Dokumentation des Orchesters widmet. Für den ersten Dresdner Abend dieser Saison hatte sich Hentrich mit dem Philharmonischen Kammerorchester das Jahr 1930 und vor allem den Komponisten Othmar Schoeck vorgenommen. Dessen Oper "Penthesilea" (jüngst von der Staatsoper wiederaufgeführt) und weitere Werke wurden damals in Dresden uraufgeführt - Dirigent Fritz Busch war ein wichtiger Förderer des Schweizer Komponisten, dessen Werke heute selten gespielt werden und der allenfalls durch sein enormes Liedschaffen ein Begriff ist.
Undine Röhner-Stolle (Oboe) und Isabel Kern (Englischhorn) waren zunächst die Solisten in Schoecks Serenade Opus 27, einem kurzen, eingängigen Werk, das als Intermezzo für dessen Oper "Don Ranudo" diente. Gut aufgelegt trafen die Philharmoniker sogleich den entspannt-romantischen Ton dieses Werkes. Die weitere Musikfolge hätte durchaus einem Konzert der 30er-Jahre entsprechen können, "junge Wilde" folgten da auf Werke von spätromantisch verpflichteten Zeitgenossen. Nicht selten tobte das Publikum - besonders bei Werken von Anton Webern, Vertreter der Zweiten Wiener Schule um Arnold Schönberg. Dabei faszinieren heute dessen "Fünf Sätze für Streichorchester" durch die behutsame Konzentration auf Tonlängen und Lagen, die einen zerbrechlich wirkenden Ausdruck hervorrufen. Im Hygienemuseum war dieses Werk akustisch nicht besonders gut aufgehoben, aber die Erkundungen am Rand der Hörschwelle verrieten, dass die Philharmoniker die Komposition in Ausdruck und Dynamik sehr ernst nahmen.
Passend zu diesen Stücken gab es einen Beitrag von Paul Hindemith, dessen Konzertmusik für Solobratsche und größeres Kammerorchester Opus 48 aus unverständlichen Gründen völlig aus dem Konzertsaal verschwunden ist. Es ist ein musikantisch mitreißendes Werk, dessen Solopart (der Bratscher Hindemith grüßt mit Raffinement) halsbrecherisch virtuos gesetzt ist. Die Solobratschistin der Philharmonie Christina Biwank erstürmte diesen Notengipfel mit Können und Übersicht, brachte Eleganz in den quer durch die Tonarten schaukelnden zweiten Satz und konnte mit den sensibel begleitenden Bläsern auch die rhythmisch anspruchsvollen schnellen Sätzen sehr gut ausformen - dafür gab es einen Riesenapplaus vom Publikum.
Mit der "Suite für Streichorchester" Opus 59 von Othmar Schoeck ging es im zweiten Teil des Konzertes weiter - der Gattungsbegriff irritiert hier, wenn man an eine unterhaltende Reihungsform denkt. Markiert und schwer kam der Kopfsatz daher, bis zum Finale in etwas lichterer Dur-Umgebung kämpft sich der Tonsatz durch ein Dickicht aus Fugati und Vorhalten. Wolfgang Hentrich und seinem Ensemble gelang auch hier eine von großer Spannung getragene Interpretation. Eine schöne Abrundung erfuhr das Programm am Ende durch die Wiederholung der Serenade Opus 27 - mit dem Schoeck-Porträt gelang ein hochinteressanter, fast authentischer Einblick in die Konzertpraxis in Dresden um 1930.
(11.10.12)
Komik, Groteske und Humor beim Konzert von AUDITIVVOKAL in Hellerau
Wie ist das eigentlich mit dem Lachen? Da hüpft vor uns ein Clown auf und ab, und wir finden es runzeln nur die Stirn. Das Kind neben uns lacht sich derweil kaputt, die Oma schmunzelt leise. Lachen ist ein Urinstinkt des Menschen, viel zu selten lassen wir es in der angestrengten heutigen Zeit heraus. In Verbindung mit Musik und Bühne ist das Lachen differenzierter zu betrachten, der "gespielte Witz" erreicht den Zuhörer über die Inszenierung, durch subtile Wort- und Musikspiele des Komponisten. Das Lachen erhält Zügel, Richtung und Ausdruck.
All diese Facetten konnte man am Sonntag im Konzert des Vokalensembles "AUDITIVVOKAL" im Rahmen des Tonlagen-Festivals erleben. Das Ensemble feierte mit dem Projekt "Enkomikos" gleichzeitig seinen fünften Geburtstag und ist in Dresden auf einem sehr hohen Niveau einzigartig in der Umsetzung neuester Vokalkompositionen in der vom Solo bis zur Achtstimmigkeit variablen Besetzung. "Komik macht oder entdeckt man, Humor hat man", wusste schon Robert Gernhardt - und so konnte jeder Zuhörer die feinen Spielarten musikalischer Groteske für sich entdecken, angefangen beim "lachKaps" von Hans-Joachim Hespos, der bereits vor dem Einlass der Zuhörer für gute Stimmung sorgte.
Jubilar John Cage kam mit Ausschnitten aus den "Song Books" ebenso zu Ehren wie die "Unpolitische Rede" von Karl Valentin. Sprachwitz, Gesang, Solo und Ensemble - dafür hat Ensembleleiter Olaf Katzer eine charismatische Truppe geformt und mit Sylvia Freitag (Regie) gelang eine kammermusikalisch-stimmige Inszenierung der Stücke, die auch die Wurzeln der Musik nicht verleugnete, wie etwa die Barbershop-Atmosphäre von William Brooks "Nellie was a lady". Falk Joosts schöne Palindromkomposition "Die Liebe Tote Beileid" (Uraufführung) war in seiner bildlichen Verstrickung ganz auf den Verlauf der Musik reduziert, während Cathy Berberians Solo "Stripsody" (Maria Meckel, Sopran) den ganzen körperlich-stimmlichen Einsatz der Sängerin verlangt.
Hier wie an einigen anderen Stellen im Konzert hätte man sich eine passendere Lichtregie gewünscht, manchmal verschwomm die doch so wichtige Mimik in einem grünlichen Dämmerlicht. Carola Bauckholts "Nein Allein" war im Nebeneinander zwischen Sprachspiel und konventioneller Komposition der schwierigste Beitrag zur Komikdebatte (Komik darf auch durchaus "seltsam" sein!); mit Purcells deftig umgesetzten Madrigalen wurde dann der Beweis geführt, dass Absurdes nicht nur in unsere Gegenwart zu verorten ist. Im zweiten Teil des Konzertes stand dann als Uraufführung "kaps" von Hans-Joachim Hespos auf dem Programm.
Hier wurde Komik endgültig als genüssliche Gratwanderung exerziert und erhielt durch die klare Kompositionsstruktur und vielerlei szenische Ideen einen choreographischen Charakter: Sänger bewegten, stürzten, schwankten in wechselnden Ensembles auf der Bahn einer Komik, die zwischen improvisierter Freiheit und bestimmtem, explosivem Ausdruck pendelte. Dabei gelang hier fast eine Abstraktion, in der die vielen Gesten und Szenen wie ein Katalog menschlicher und unmenschlicher Äußerungen wirkte - absichtsvoll "kippte" mehrfach die Stimmung und die Untersuchung von Tragik/Komik, das "Alberne" und unfreiwillig Komische lag hier nah beieinander. Das alles wurde vom Ensemble konzentriert mit hervorragender stimmlicher und schauspielerischer Leistung umgesetzt und somit war für einen hervoragenden Abend gesorgt, der viel mehr Theater denn Musik war, aber dies durchweg vergnüglich.
(8.10.12)
Ensemble Contempo Beijing gastierte in Hellerau
Mit einem außergewöhnlichen Gastspiel wurden am Donnerstagabend die "Tonlagen" im Europäischen Zentrum der Künste in Hellerau fortgesetzt. Der Blick über Genre- und Ländergrenzen gehört im Festival immer dazu. Dass China am Freitagabend in den Focus geriet, ist nicht bloß eine Multikulti-Angelegenheit, sondern soll die Bestandsaufnahme einer ganz aktuellen Entwicklung darstellen.
Das Schlaglicht auf chinesische zeitgenössische Musik mit dem Ensemble Contempo Beijing ist allerdings vom Dialog zwischen Deutschland und China bereits geprägt - das Ensemble entstand erst 2011 als Ergebnis einer Zusammenarbeit des Central Conservatory of Music in Peking mit der Siemens Stiftung; die Akademie des Ensemble Modern unterstützte das Projekt, das chinesische Musiker im Ensemblespiel förderte und mit dem Gründungskonzert des neuen Ensembles beendet wurde. Hier taucht natürlich die Frage auf, ob denn China vordem keine zeitgenössische Musik besessen hat. Dies muss insofern verneint werden, da die Definition dieses Begriffs in beiden Kulturkreisen völlig verschieden ist und sich heutige Komponisten sehr stark mit der sehr lebendigen Tradition der chinesischen Musik auseinandersetzen.
Es ist aber ebenso erstrebenswert für viele Komponisten, in Europa zu studieren, um westliches Denken und Handwerk als bereichernde Inspiration in ihre Musik einfließen zu lassen. Im Konzert im Festspielhaus war äußerst spannend zu erleben, wie die Musik ausschließlich chinesischer Komponisten gespielt auf ausschließlich chinesischen Instrumenten wirkt. Nicht nur das Hören wird da auf eine Probe gestellt, man wagt auch kaum, die Werke nach unserem Empfinden zu bewerten, weil man der Kultur damit kaum gerecht wird. Schließlich hat man es bei Zheng und Pipa mit Jahrtausende alten Instrumenten zu tun - allerdings schreibt das Bestreben der Begegnung der musikalischen Kulturen im 20. Jahrhundert auch schon seine eigene Musikgeschichte - durch viele Solisten der sogenannten "Weltmusik" sind uns Pipa und Sheng nicht mehr gar so fern.
Deswegen war es eine gute Entscheidung, einen ganzen Abend lang einmal chinesische Komponisten "sprechen" zu lassen. Deren Ensemble-Werke garantierten Abwechslung, denn sie kennen ihre Instrumente natürlich genau und es war faszinierend festzustellen, welche Formen und Farben da entwickelt wurden, sei es in Tan Duns eher ariosen "Dual Passages" oder den facettenreichen "Primitive Songs" von Tang Jianping, das sich ebenso wie Yang Liqings "Thinking" auf traditionelle Kultur bezieht. Überall war aber festzustellen, dass die Spielweisen der Instrumente stark erweitert wurden, vor allem die Zither Zheng und die Laute Pipa bieten den Komponisten reichlich Potenzial zur Kreativität.
In der Verschmelzung der Instrumente im Ensemble lagen weitere sehr reizvolle Momente, besonders in Jia Guopings "Whispers of a gentle wind" mit leise flimmernden Klängen und Wang Feinans flächigen Strukturen in "The Enchanting Beauties". Bei aller Fremdheit war es außerdem eine Freude festzustellen, mit welcher Homogenität und hochklassigen Virtuosität die Musiker zu Werke gingen, rhythmisch komplexe Überlagerungen wurden ebenso feinfühlig angegangen wie halsbrecherische Soli auf Saiten und Schlagwerk. Das war ein Blick in eine von der Tradition auf natürliche Weise stark geprägte musikalische Gegenwart Chinas, die sich mit erfrischender Kreativität offenbart.
(6.10.12)
Porträt Jani Christou bei den Dresdner "Tonlagen" in Hellerau
Dass zeitgenössische Musik den Horizont der Erfahrung des Tönenden erweitert, uns damit bereichert, wissen die Zuhörer, die offenen Ohres Konzerte mit solcher Musik besuchen. Der Akt der Befriedigung von Neugier, der Weiterentwicklung bereits gefasster Gedanken oder der von Überraschung und Übertölpelung, das alles kann zeitgenössische Musik leisten. Besonders beeinflusst durch die Darmstädter Schule und Entwicklungen nach dem 2. Weltkrieg gab es eine Reihe von Komponisten, die die Musik radikal immer wieder auf den Prüfstand stellten und stetig zu erneuern versuchten.
Karlheinz Stockhausen etwa ist heute aufgrund eines großen, innovativen OEuvres eine der Vaterfiguren dieser Ästhetik, die sich schnell verzweigt und heutzutage im Rund der vielen Komponistennamen manchmal schwer auszumachen ist. Dem griechischen Komponisten Jani Christou war bei den "Tonlagen" in Hellerau ein Porträtkonzert gewidmet - nach dem Konzert zweifelte man, ob das zu beobachtende Vergessen dieses Komponisten wirklich mit seiner Biografie (Christou starb 1970 im Alter von 44 Jahren bei einem Autounfall) oder vielmehr der Radikalität seiner Werke zu tun hat, dem sich selbst in der Neue-Musik-Szene nur wenige Ensembles widmen wollen oder können.
Denn dazu gehört eine Menge Mut, und dem Dresdner Ensemble Courage ist die Begegnung und die Umsetzung der Werke von Jani Christou in einer Weise gelungen, dass man nur den Hut ziehen kann vor solcher Aufrichtigkeit im musikalischen Tun. Denn Christou ist radikal in einer Weise, die Interpret wie Zuhörer direkt und unmittelbar berührt, verletzt, reinigt, erschüttert. Und das kann alles zugleich passieren. Auf Basis breiter philosophischer Erfahrung, im Kontext der politischen Entwicklungen der 60er-Jahre entstehen Werke, die über den Notentext hinaus in körperliche Erfahrungen von Improvisation und Entäußerung münden. In "Anaparastasis I" ist die Baritonpartie (mühelos Grenzen sprengend: Cornelius Uhle) diesen Wandlungen ebenso unterworfen wie Orchesterpart und Dirigententätigkeit, dies setzt sich in "Praxis for 12" für 11 Streicher und Dirigent in einer fast spielerisch-klaren Variante fort und erreicht in "Anaparastasis III" den Zustand des Exzesses (mit großer Spannung impulsgebend hier die Tänzerin Katja Erfurth als Pianist-Performerin).
Dass am Ende die Bühne ein Schlachtfeld ist, die Interpreten ebenso "durch" sind wie manche Zuhörer, gehört unbedingt zur Konfrontation mit Christou dazu. Doch keinesfalls ist Christous Musik bloßer Krach, dafür sind viele Passagen äußerst sensibel angelegt, bricht sich die Gewalt eben als natürlich Ur-Äußerung Bahn, die Meta-Ebenen freilegt und sich von heutiger negativer Konnotation befreit. So verrückt es klingt: wenn man den klischeehaften Satz "Trommel dich frei" ernst nimmt und sich von Christou unter Einsatz des vollen Bewusstseins und der körperlich verfügbaren Kraft an die Hand nehmen läßt, entsteht etwas wirklich Neues, vielleicht Unbeschreibbares. Gut, dass Christou zwei Werke zur Seite gestellt wurden, die ein Seitenfenster öffneten: Sergej Newskis "J'etais d'accord", die quasi die Christou'sche Musizierhaltung wie in einem übersetzten musikalischen Gestus unter ein Brennglas nimmt (und gleich der Ort der Kunstausübung selbst - ein LEGO-Modell des Festspielhauses mit dem Hammer zerstört wird) und Francesco Filideis "Funerali dell'Anarchico Serantini" für 6 Spieler, deren Anti-Haltung der Illustration einer Katastrophe ebenfalls Christou in einer konzentrierten Form kommentiert. Titus Engel und seinem Ensemble Courage ist zu danken für einen Abend, der im Sinne von Christou eine Menge Seele schuf, und wo, wenn nicht in diesem Zusammenhang, ist ein markerschütternder Schrei glaubhaft und ernst.
(5.10.12)
Sieger des 5. Internationalen Anton-Rubinstein-Wettbewerbes wurden gekürt
Geduld und Sitzfleisch musste mitbringen, wer zum Finalausscheid des 5. Internationalen Klavierwettbewerbes Anton G. Rubinstein in der Dresdner Musikhochschule erschienen war. Am Feiertag wetteiferten dort drei Pianisten um die Preise, sie hatten zuvor unter 130 Teilnehmern aus 22 Ländern die international ausgetragenen Vorausscheide und das Seminfinale, das am vergangenen Wochenende in Dresden stattfand, glücklich für sich entschieden.
Nach vier Stunden Konzertdauer am Feiertag konnten sich im vom Forum Tiberius veranstalteten Wettbewerb alle drei Teilnehmer über gestiftete Preise in Gesamthöhe von 16.000€ freuen. Eine mit 17 Mitgliedern außergewöhnlich umfangreich besetzte internationale Jury tagte lange und Jurychef Prof. Arkadi Zenzipér wies auf das hohe Niveau des gesamten Wettbewerbs hin. Ein Wermutstropfen bleibt die schwache Vertretung durch deutsche Teilnehmer - die zwei einzigen schieden vor dem Semifinale aus; ob dies mit der mangelnden Wertschätzung des Wettbewerbes oder unzureichender Qualität der Ausbildung zu tun hat, wäre zu fragen.
Drei Pianisten aus China, Russland und Tschechien verblieb die Aufgabe, nicht nur die Jury, sondern auch die Zuhörer im bis auf den letzten Platz gefüllten Konzertsaal der Hochschule mit spannenden Interpretationen dreier romantischer Klavierkonzerte zu erfreuen. Dazu zeigte sich die Hochschule für Musik nicht nur als engagierter Veranstaltungspartner - das Hochschulsinfonieorchester unter Leitung von Ekkehard Klemm meisterte auch noch glänzend die schwierige Aufgabe, über neun Tage hinweg die Finali zu begleiten, was angesichts der stetig wechselnden Literatur und der vielfältigen musikalischen Persönlichkeiten am Klavier eine beachtliche Leistung darstellt.
Die Tschechin Veronika Böhmová (geb. 1985) überzeugte im 1. Klavierkonzert von Franz Liszt mit feiner Anschlagskultur und überzeugendem emotionalen Zug zum Finale hin, für diese Darbietung erhielt sie den 2. Preis. Andrey Dubov (geb. 1987) musizierte das 1. Klavierkonzert von Peter Tschaikowsky mit solider Perfektion und überraschte im 3. Satz mit einer durchaus eigenwillig-flotten Tempo-Auffassung. Seine Belohnung war der 3. Preis. Dass im Vorfeld des Wettbewerbs mit der "Suche nach dem neuen Lang Lang" geworben wurde, mag nicht jeden Fachmann als Slogan begeistern, doch den Klavierwettbewerb gewann - ein Chinese. Der in Shanghai gebürtige Hao Zhu (geb. 1986) holte sich neben dem 1. Preis auch den Publikumspreis für seine Interpretation des 2. Klavierkonzertes von Sergej Rachmaninov ab, nuancenreich und am großen Yamaha-Flügel technisch jederzeit souverän, aber nie den Bogen überspannend konnte er die Zuhörer begeistern.
Die Sonderpreise für die beste Interpretation eines Rubinstein-Werkes und die der zeitgenössischen "Sonata", eines Auftragswerkes von Sara Zalcikova wurden jeweils geteilt und gingen an Veronika Böhmova, Jeong Yoon Lee, Vera Zyryanova und Ji-Hwan Hong. Am Ende der Veranstaltung stand Dank an die Hochschule, an die Gasteltern in Dresden, die die internationalen Künstler beherbergten und großer Applaus des Publikums. Den drei Finalisten ist nun Erholung und ein weiterer guter Werdegang zu wünschen - keine leichte Aufgabe in der heutigen Zeit, doch dass die Wettbewerbsveranstalter deutlich betonten, großen Wert auf die künstlerische Persönlichkeit zu legen, erwies sich bereits angesichts der spannenden Interpretationen im Finalkonzert als richtig und wegweisend.
(3.10.12)
Festivalprolog der Tonlagen mit einer John-Cage-Schüler-Performance
Mit einem wunderbar kreativen und lebendigen Prolog begann am Montagabend das Tonlagen-Festival vor der offiziellen Eröffnung. Warum musste es eigentlich ein Prolog sein? Die Veranstaltung führte auf ideale Weise in das Festivalthema "John Cage" ein, führte Ungläubige im Handstreich zur Kunst und verband soziale, zeitkritische und mystische Elemente auf verblüffende Weise. Das Werk von John Cage, dem das Festival zum 100. Geburtstag mit zahlreichen Aufführungen gewidmet ist, ist ein Kosmos, der zwar in Vielschichtigkeit schillert, aber nicht in Komplexität erschlägt.
Es sind überhaupt wenige zeitgenössische Komponisten denkbar, bei denen ohne Hintergrundwissen und gehörigem Anspruch solch ein direkter Zugang möglich ist. Cage überläßt den Zuhörern die Tiefe des Eindringens, auch die Interpreten werden behutsam an die Hand genommen: Von völlig offen gestalteten, zuweilen kryptischen konzeptuellen Werken bis hin zu akribisch ausnotierten Instrumentalkompositionen reicht die Vielfalt. Und doch verwehrt sich das Werk von Cage einer Beliebigkeit in der Wahrnehmung wie in der Ausführung. "Music is everywhere" kommt selbst in der Erzeugung von Stille nicht ohne Ursache und Wirkung aus.
Somit war eigentlich schon vor dem Besuch des Festivalprologes klar, dass ein spielerisch-kreativer, immer bewusster Umgang mit Cage durch Schüler des Franziskaneums Meißen, des Landesgymnasiums für Musik Dresden und des Vitzthum Gymnasiums Dresden nur zum Erfolg führen würde, und dies bestätigte sich. Aufgehoben war die starre Konzertsituation von vornherein, das Publikum teilte sich in mehrere Gruppen auf und durchwanderte sieben musikalische Ereignisse. Dabei waren auch die Räume intelligent gestaltet, sei es der Sesselfriedhof in der "Radio Music" oder das kreisförmige Matratzenlager in "Sculptures Musicales", letzteres übrigens eine Station, an der man - durch fließende und im Wortsinn flüssige Klänge in Entspannung begriffen - die Regel der festgelegten Dauer des musikalischen Ereignisses doch gerne durchbrochen hätte. Faszinierend war, wie offen, spielerisch und gleichzeitig hochkonzentriert die Schüler überall zu Werke gingen.
Das berühmte Stück "4'33''" im Schnellrestaurant und auf einer Straßenbaustelle aufgeführt war da ebenso frappierend (aber über Video dann doch in eine weitere Interpretation "übersetzt") wie die "Variations IV" mit genialem Klebeband-Surroundsound, nachdem dort schon ein Kaktus, ein Fahrrad und etliche Küchenutensilien ihr musikalisches Eigenleben entfalteten. Cage beförderte stets die Entfaltung des Interpreten in neue Richtungen, so war die Performance von Schüler-Eigenkompositionen, die durch Cage inspiriert wurden, ein interessantes Experiment, Formen und Klangverläufe selbst zu bestimmen.
Die Schallplatteninstallation "33 1/3" brachte nicht nur erschreckende Dachbodenfunde der Hellerau-Mitarbeiter zu Tage, sondern etliche DJ-Talente im Publikum hervor und genau in der Mitte des Konzertes versammelte man sich im Foyer um das präparierte Klavier von Susanne Frenzel-Wohlgemuth zu den "Sonatas and Interludes" - wiederum ein spannendes Schlaglicht auf eine ganze Werkreihe von John Cage. Spiel, Ernst, Zufall, Humor, Stille und Geräusch, es war alles vertreten an diesem vergnüglichen Abend, der stimmig war und bei dem Cage sicher milde und zufrieden lächelnd seinen Geburtstag sehr genossen hätte.
(2.10.12)
Erste "Blaue Stunde" der Dresdner Philharmonie im Hygiene-Museum
Mit der 1. Museums-Matinée und der 1. Blauen Stunde startete die Dresdner Philharmonie am Sonntag im Hygiene-Museum ein neues Doppelformat, und gleichzeitig ging mit der "Blauen Stunde" ein philharmonisches Musikwochenende zu Ende, denn bereits am Sonnabend gastierte das Orchester in der Frauenkirche. Mit dem Motto des Konzertes ist keinesfalls nur eine lässig-ungezwungene Sonntagnachmittagstunde der Freizeit und Plauderei beschrieben - die blaue Stunde ist auch ein Lichtphänomen kurz nach Sonnenuntergang und vor Sonnenaufgang. Der Farbe Blau wird zudem eine beruhigende Wirkung zugeschrieben.
Insofern mögen Synästheten im bordeauxfarbenen Saal des Hygienemuseums einige Aufgaben gestellt bekommen haben. Jedenfalls gefiel das kompakte Format von einer Stunde Musik Marke "für Kenner und Liebhaber" außerordentlich und lockte eine große Zahl Zuhörer zum Konzert. Mit Beethoven, Mozart und Prokofjew wurde der bekannte Mix aus Ouvertüre, Konzert und Sinfonie beibehalten, der Anspruch jedoch war am Nachmittag hoch und wurde unter Beteiligung junger Künstler umgesetzt. Da war zunächst der 27jährige finnische Gastdirigent Santtu-Matias Rouvali, bisher vorrangig im skandinavischen Raum aktiv, den Namen wird man sich merken müssen.
Mit Temperament und Umsicht gestaltete er zu Beginn die erste "Leonoren-Ouvertüre" von Ludwig van Beethoven, die seltener aufgeführt wird, aber ihren Reiz aus ruhiger, spannungsvoller Themenentfaltung bezieht. Rouvali fand den richtigen Atem für das Stück und beließ der Ouvertüre ihren zurückhaltenden, nachdenklichen Charakter. Im Mittelpunkt des Konzertes stand Wolfgang Amadeus Mozarts 5. Violinkonzert A-Dur, ein Werk, das Virtuosität oft den thematischen Einfällen unterordnet. Insofern kam dem Solisten Mikhail Simonyan die Aufgabe zu, dem Konzert seinen speziellen Charakter zu verleihen. Das gelang weitestgehend, vor allem in den schön ausbalancierten Solokadenzen. Minimal hätte die rhythmische Kontur des Kopfsatzes differenzierter sein können, fehlte auch dem 3. Satz eine Spur die Abphrasierung und der atmende Neubeginn. Für den großen Applaus bedankte sich Simonyan mit einer Melodie aus seiner Heimat Armenien, das "Armenian Prayer" wurde bordunartig stimmungsvoll von philharmonischen Celli unterstützt.
Vor einem gewichtigen sinfonischen Beitrag hätte es nun einer Pause bedurft, doch Sergej Prokofjews 1. Sinfonie, die "Symphonie Classique" ist ein knapp gefasstes Kehraus-Stück, das die Zuhörer mit gehörig Ohrwurm-Material entläßt. Rouvali beförderte eine frische, geschlossene und vor allem nicht überzogene Interpretation, die die "Blaue Stunde" perfekt abrundete. In zukünftigen Konzerten wird das Repertoire insbesondere in für den Raum sehr gut geeigneten kleineren Orchesterbesetzungen erweitert - bereits am 10. Oktober kann man dort mit den Philharmonikern den ersten "Dresdner Abend" mit Werken von Othmar Schoeck und Paul Hindemith erleben.
(1.10.12)
Dresdner Philharmonie und der Armenische Kammerchor musizierten in der Frauenkirche
Mutig erscheint der Schritt der Dresdner Philharmonie, einen außergewöhnlichen Programmschwerpunkt gleich zu Beginn einer von Umbrüchen geprägten Spielzeit umzusetzen. Der Blick nach Armenien schafft zumeist fremdartige, intensive Musikerlebnisse, wenn man sich nicht gerade ausschließlich mit der populären Musik von Aram Chatschaturjan beschäftigt. Ursprünglich war für das Konzert am Sonnabend in der Frauenkirche ein rein amerikanisches Programm geplant. Wohl durch das Zustandekommen eines Gastspiels des Armenischen Kammerchores musste umdisponiert werden, dadurch entstand aber eine nur als verunglückt zu bezeichnende Dramaturgie: zwei Orchesterwerke des amerikanischen Komponisten Samuel Barber wurden im Programm belassen und mit Chorwerken von Schnittke und Komitas in eine Nachbarschaft gesetzt, die nicht nur nicht passen wollte, sondern auch den höchst spannenden Einblicken in die armenische und russische Klangwelt einen im Kontext nur aufgesetzt wirkenden Neoklassizismus und suggestive Illustrationsmusik entgegensetzte.
Doch damit nicht genug - nachdem der Chor unter Leitung von Robert Mlkeyan das erste armenische Stück stimmungsvoll von der Orgelempore sang, wurde die gerade entstandene Atmosphäre jäh zerstört, da sich nach unnötig provozierter Klatscherei das "Adagio" für Streicher von Samuel Barber anschloss, ein Werk, das aufgrund seiner emotionalen Unausweichlichkeit ohnehin nur bei passenden Anlässen ertragbar ist. Vermutlich wollte man dem Chor nicht allein das Feld überlassen, lediglich ein einziges kurzes Werk wurde gemeinsam musiziert. So litt vor allem die erste Konzerthälfte unter den unvereinbaren Musikwelten. Bemerkt werden muss ebenfalls, dass in diesem Armenien-Schwerpunkt die stärkste kompositorische Stimme dieses Landes - der Komponist Awet Terterjan - komplett fehlt, wodurch im vermittelten musikalischen Bild des Landes eine Schieflage entsteht. Terterjan wäre eine sinnfällige Ergänzung des Programms gewesen, in dem das Barber-Violinkonzert am Ende des viel zu langen ersten Teils als bloßer Fremdkörper stand.
Die Interpretation mit dem Geiger Mikhail Simonyan und Sergey Smbatyan am Dirigentenpult war nicht durchweg befriedigend. Zu viele Unsicherheiten im Orchesterpart konnten Simonyans engagiertes Spiel nicht aufwiegen; der dritte Satz war in seiner vorbeifliegenden Hektik wiederum ein Beweis, dass man bestimmte Stücke in der Frauenkirche aus dem Altarraum heraus nur schwerlich überzeugend präsentieren kann. Ganze fünf Minuten Pause gönnte man dem Publikum in dem über zwei Stunden langen Konzert, versöhnend wirkte jedoch die Klangkultur, mit der der Armenische Kammerchor vor allem im zweiten Teil aufwartete. Zu exaltiert und dynamisch trotz der Fähigkeiten der Sänger als grenzwertig zu bezeichnen war noch im ersten Teil die Interpretation der "Drei Gesänge" von Alfred Schnittke - der hinzugefügte Bombast ist sicher nicht vom Komponisten intendiert.
Tigran Mansurians drei Chorwerke auf Texte von Avetik Sahakyan waren aber ebenso eine spannende Entdeckung wie die rhythmisch und melodisch faszinierenden Gesänge von Komitas Vardapet, dem großen armenischen Musikforscher und Komponisten. Strömend dicht und obertonreich musizierte der Armenische Kammerchor diese Musik, die keine Vergleiche benötigt, sondern kulturelle Identität ausstrahlt. Etwas einsam stand Eduard Hayrapetyans "With Ecstasy..." für Chor und Streichorchester am Schluss des Programmes, war aber schlüssig ausgewählt als Beispiel einer auf den kulturellen Wurzeln des Landes fußenden, zeitgenössischen armenischen Musik, wenngleich auch hier im Dickicht polytonaler Flächen und ohne Kenntnis des Textes der Zugang für den Hörer nur bruchstückhaft gelang. Mit Konzentration und Zugeständnissen wäre hier vielleicht ein überzeugendes Konzert gelungen, insgesamt überwog aber leider der Eindruck, dass im Vorfeld verschiedene Planungen nicht zu einem befriedigenden Ergebnis zusammengeführt werden konnten - es ist schade, dass so das Wichtigste, die Musik selbst, ins Hintertreffen geriet.
(30.9.12)
Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann beenden Antrittstournee
Die letzten Töne des Antrittkonzertes von Christian Thielemann als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle liegen noch gut im Ohr. Nicht nur in Dresden wurde der Auftakt zur neuen Saison gefeiert, Thielemann und das Orchester begaben sich direkt im Anschluss des letzten Konzertes auf eine Tournee durch vier europäische Städte. Das Programm war minimal verändert und blieb an allen Stationen gleich: mit Werken von Richard Wagner und Anton Bruckner war garantiert, dass sich die Staatskapelle auch in den ausverkauften Konzertsälen an Rhein, Main, Donau und Isar von ihrer besten Seite zeigen durfte - Thielemanns vor allem die Klangausformung betonende Interpretation der 7. Sinfonie von Anton Bruckner erhielt ja bereits in Dresden großen Beifall.
Dieser steigerte sich auf der Tournee zu wahren Jubelstürmen. Bereits in der Alten Oper Frankfurt und in der Kölner Philharmonie lief das Orchester zur Hochform auf, weiterhin stand ein Besuch beim Musik-Festival im österreichischen Grafenegg und ein Konzert an Thielemanns ehemaliger Wirkungsstätte in München auf dem Programm. Dass das Orchester auch unter Open-Air-Bedingungen beste Kunst zu entfalten vermag, zeigte das Gastspiel in Grafenegg vor den Toren von Wien. Das Festival wird vom Pianisten Rudolf Buchbinder - in Dresden 2010/2011 durch seinen Beethoven-Zyklus bestens in Erinnerung - künstlerisch geleitet und liebevoll betreut. In Grafenegg geben sich neben dem residierenden Tonkünstler-Orchester die großen Orchester der Welt die Klinke in die Hand - für Thielemann war es eine Premiere, die Staatskapelle gastierte bereits 2010 dort. Neben der Funktion als vorzügliche "Sommerfrische" für Picknick-Ausflüge im Schlosspark verfügt Grafenegg über den "Wolkenturm", eine architektonisch ebenso faszinierende wie akustisch sehr befriedigende Open-Air-Konzertstätte - freilich nur bei gutem Wetter nutzbar, aber das hatten die Dresdner gleich mitgebracht.
Bei herrlicher Atmosphäre in der eintretenden Dämmerung zeichnete der neue Chefdirigent der Staatskapelle Richard Wagners "Vorspiel und Isoldes Liebestod" aus "Tristan und Isolde" mit akribischem Sinn für das Detail, immer aber den strömenden Klang im Auge behaltend. Dies zeichnete ebenso die Bruckner-Interpretation aus, für die die Dresdner in Österreich enormen Applaus erhielten. Das einen Tag später folgende Gastspiel am Gasteig in München war von besonderen Emotionen geprägt, und zwar auch, weil es das letzte Konzert war. Für das Orchester stellte die Serie von sieben Aufführungen eine dankbare Gelegenheit dar, an der Interpretation zu feilen und zum Ende noch einmal alles zu geben.
Dass das Konzert in München seit Wochen ausverkauft war, ist kein Wunder: groß ist die Gemeinde der Anhänger des ehemaligen Chefs der Münchner Philharmoniker und die Begeisterung für Christian Thielemann ist ungebrochen - schon der Begrüßungsapplaus überstieg das normale Maß deutlich. An Christian Thielemann gingen diese Emotionen nicht spurlos vorbei. Er schenkte den Münchnern mit der Staatskapelle eine spannungsgeladene und von vor allem samtig schillernden Farben geprägte Bruckner-Interpretation, zauberte auswendig vor allem in den dynamischen Registern mit vielen Nuancen und auch spontaner, immer aber organisch wirkender Gestaltung. Nach diesem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Musikerlebnis brach ein wahrer Beifallssturm los, in dem sowohl die herzliche Gratulation als auch der Respekt vor der Leistung des Orchesters zu spüren war. Thielemann und sein Orchester machten bei dieser ersten gemeinsamen Tournee in den vier Musikzentren eine blendende Figur, und die Musiker waren während der Reise, das spürte man im Miteinander, stets offen, erwartungsfreudig und gut aufgelegt.
Damit ihn die Münchner nicht zu gar vermissen, stellte der Dirigent dort am Montag sein am 14. September im Handel erscheinendes Buch "Mein Leben mit Wagner" vor. Es ist Thielemanns persönliche Widmung an den Jubilar des kommenden Jahres und stellt vor allem die musikalische Praxis in Bayreuth aus der Dirigentensicht vor; eine
Audiobuch-Fassung (Lesung: Ulrich Tukur) mit Musikbeispielen erscheint Anfang Oktober.
(10.9.12)
Christian Thielemanns Antrittskonzert als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Selten wohl wurde ein Ereignis von vielen Seiten so herbeigesehnt und so gründlich vorbereitet wie der Beginn der Konzertsaison 2012/2013 der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit Christian Thielemann als neuem Chefdirigenten. Fast erleichtert ist man nun, dass die Spannung des "Noch nicht" sich mit dem Antrittskonzert am Sonnabend in ein "Jetzt aber!" löste. Dafür bedurfte es einer Inauguration der besonderen Art - das Antrittskonzert atmete eine feierliche Atmosphäre, für die Prise Mystik sorgte zudem die Auswahl der Werke, die Thielemanns und Dresdens "Götter" Wagner und Strauss zwar offiziell vermied, aber dennoch waren beide in intelligenter Weise anwesend: Orchesterlieder von Hugo Wolf waren ausgewählt worden, einem Komponisten also, dem zwischen Wagner, Brahms und Mahler stehend ein nur kurzes schöpferisches Leben beschieden war, der aber in seinem Liedschaffen Schubert und Schumann weiterdachte und Strauss und Schönberg vorwegnahm.
In der überwiegend im intimen Klanggewand erscheinenden Auswahl von fünf Liedern nach Texten von Eduard Mörike und Johann Wolfgang von Goethe zeigte Thielemann gemeinsam mit der amerikanischen Sopranistin Renée Fleming seine Klasse im Ausgestalten scheinbar einfachster Sinnlichkeit. Wie bereits im ersten Lied "Verborgenheit" durch Ruhe und Geborgenheit innerhalb der melodischen Phrase eine große Spannung entstand war hörenswert. Dies steigerte Fleming mit überaus warmer und strömender Stimme bis hin zur dramatisch bewegten "Mignon" - das augenzwinkernde "Er ist's" eingeschlossen, bei dem der Frühlings-Tusch der Staatskapelle zur überschwänglichen Begrüßung für den Chef am Pult geriet. Weniger als Encore denn als tief bewegende Geste - die Staatskapelle und Thielemann widmeten das Konzert dem Gedenken an die verstorbene Intendantin Ulrike Hessler - erschien das Orchesterlied "Befreit", Opus 39/4 von Richard Strauss, das den ersten Teil des Konzertes beschloss.
Dass sich Thielemann nach der Pause für ein sinfonisches Werk von Anton Bruckner entschied, war nicht nur nach den Liedern folgerichtig, sondern setzt auch eine schon jetzt zu schreibende Erfolgsgeschichte fort: Mit Bruckner sprang Thielemann 2009 "auf Brautschau" bei der Kapelle ein und begeisterte damit in diesem Frühjahr erneut in Sonderkonzerten. Die großformatigen Werke sind höchst anspruchsvoll, vermögen dabei aber auch gerade die Interpretationsstärke eines Dirigenten bloßzulegen: die Bandbreite zwischen rasanter Lärmigkeit und auseinanderfallender Entschleunigung kann hier groß sein. Entscheidend ist jedoch die spezifische Ausformung des Klanges - Bruckners Sinfonien sind also dankbare Partituren für die Staatskapelle. Ausgerechnet in der lichteren, nicht immer klar verständlichen 7. Sinfonie E-Dur ist Thielemanns bei Wolf so kongenial nachzuvollziehende Huldigung der Singstimme als Konzept ebenso stimmig; der Dirigent wird zum Modulator der unzähligen strömenden Themen, der kleinen Nebenfiguren und sanft dahinströmenden Passagen der Hörner und Tuben, die gerade im Finale für sensationell schöne Klangerlebnisse sorgten.
Viel verständnisvoller Augenkontakt hatte in den ersten beiden Sätzen eine durchaus freie Lesart einiger Themendurchläufe zur Folge. "Rubato" war das Zauberwort, das aber innerhalb natürlicher, von allen gemeinsam bestimmten Grenzen floss. Thielemann nahm das Adagio dann selbst in seinen "Moderato"-Teilen enorm langsam und geriet damit einige Male an eine Grenze - der Abgesang nach dem befreienden Höhepunkt bis zum weich verklingenden Schlussakkord hingegen war ein echtes Juwel. Im Scherzo gönnte sich Thielemann fast eine böhmische Leichtigkeit, während er die Themen des Finalsatzes klug aus der Rhythmik heraus mit unterschiedlichen Tempoflüssen gestaltete und wiederum im Tutti-Schluss trotz fortissimo ohne plautzende Gewalt auskam - dies beherrscht das Orchester exzellent. Nach dieser von Hochspannung auf allen Plätzen (auch im Publikum) bestimmten Interpretation war eine kurze Phase des Nachsinnens angebracht; Thielemann gewährte sie sich selbst und dem Auditorium, bevor sich tosender Jubel Bahn brach. Die stehenden Ovationen waren nicht nur Dank für ein herausragendes Konzert, sie waren gleichzeitig die lautstarke Bestätigung, dass Christian Thielemann in Dresden längst angekommen und willkommen ist und letztlich drücken sie auch die Hoffnung und freudige Erwartung auf viele weitere gemeinsame musikalische Erlebnisse aus.
[3.9.12]