Dienstag, 13. August 2013

Echo Klassik 2013 - Preisträger stehen fest

Ich sag es gleich vorneweg: am meisten gefällt mir am Echo Klassik in diesem Jahr, dass man auf der Website neuerdings richtig Krach machen kann (wenngleich selbst die Tastatur Fehler aufweist...und zu gerne würde ich Joyce diDonato mit "ihrem" Ton hören...). Leider landet die Kakophonie dann bei einem selbst im Zimmer, dabei müßte doch eigentlich in den Büros von Echo Klassik jedes Mal, wenn einer auf die Tasten haut.... Na, lassen wir das. Ich will ja hier brav über die Preise berichten, wie ich es hier schon einige Male getan habe.

Die Tirade der Überflüssigkeit und Angreifbarkeit könnte ich mir aufgrund von Wiederholung vielleicht sparen, aber da ich, wie mancher weiß, mir ausgerechnet in diesem Branchensegment auch ein paar Brötchen verdiene und Musik mir am Herzen liegt, gibt es doch wieder auf den Kopf, und zwar mit einem kleinen Vergleich. Als ich einmal einen Musikwissenschaftler danach befragte, warum denn doch Mozart und Haydn bekannter seien als Hasse, Heinichen und Naumann, da müsse doch etwas an der Rezeption oder Qualität der Werke liegen, fiel sofort das Wort "Heroendenken". Eigentlich müßte im Büro der Phonoakademie schon ein Stempel mit dem Wort geprägt sein, vielleicht wird der Preis auch 2014 endgültig umbenannt in "Cecila-Bartoli-et-alii-Echo" - Keine Kritik an Frau Bartolis Gesang, der ist wirklich umwerfend! Aber braucht sie denn ein Abo auf diesen Preis? Wir wissen es doch nun wirklich langsam, dass die Dame nicht nur sympathisch ist, sondern auch die gruseligsten Koloraturen vor allem der Meister ihres Heimatlandes beherrscht. Dass der bekannteste (weniger "der wichtigste") Tonträgerpreis sich weiterhin im Mainstream suhlt, wird wohl auch in fünfzig Jahren noch so sein. Dann aber erhält er seine volle Berechtigung, weil die kleinen feinen Plattenlabels, die hier gar nicht auftauchen samt ihren kostbaren Aufnahmen, dann auch tot sind. Dass der Echo auch am "Neuland" vorbeirauscht und damit auch gute wie schlechte Entwicklungen ignoriert, passt ebenfalls in die "Dashatdochimmergutgeklappt"-Schiene. Schließlich und endlich geht es um Umsatz. Was erwarte ich also eigentlich?

Nicht alle Alben sind mir bislang zu Gehör gekommen, daher fallen die Kommentare zu einigen Platten kurz aus oder ich enthalte mich eines Urteils. Wo ich doch einmal was sage, darf man mir gerne widersprechen - über Geschmack und Vorlieben läßt sich bekanntlich streiten. Wer wissen will, wer überhaupt die Preise festgelegt hat, kann sich hier die Jury anschauen - die Beschreibung "unabhängiger Branchenexperte" in Verbindung mit "Musikindustrie" darf man sich gerne auf der Zunge zergehen lassen.

Dass Bartoli wiederum einen Echo (den wievielten eigentlich?) bekommt, sei es drum - charmant wird sie dem Pott einen Platz in ihrer nun langsam berstenden Vitrine zuweisen. Jonas Kaufmann musste ihn dieses Jahr bekommen, er erhielt 2012 schon einen Echo für den "Fidelio" (gemeinsam mit Abbado) - aber das Wagner-Jahr war natürlich sein Jahr. Wer ihn erlebt hat, weiß warum - da ist niemand neben ihm derzeit. Die Auszeichnung Instrumentalist des Jahres (Klavier) erhält Martha Argerich auch völlig zu Recht. Eine Künstlerin, die sich rar macht, aber deren außergewöhnliches Spiel dank der aktuellen Aufnahmen bei ihrem Festival in Lugano weiterhin verfolgt werden kann - das ist und bleibt höchst spannend.

MDG ist diesmal mit fünf Auszeichnungen vertreten, darunter eine für Reinhold Friedrich (Trompete). Eine mir nicht bekannte Tuba-CD erhält weiterhin einen Preis. Ein wenig Exotismus ist schon dabei, wenn es nicht um Gesang, Klavier, Violine geht - nehmen wir dieses Jahr die Tuba oder doch die Harfe...? -- Schön, dass Kavakos Beethoven-Sichtung ebenso einen Preis erhält wie Esa-Pekka Salonens Würdigung des sinfonischen Werks von Witold Lutoslawski. John Adams hingegen wird ohnehin schon in den USA mit Preisen überhäuft, zudem wird hier eine CD mit recht geläufigen älteren Stücken prämiert - vermutlich haben die Juroren Adams zum ersten Mal wahrgenommen und fröhlich mit dem Fuß gewippt... -- Da man Anna Prohaska nicht noch einmal als Nachwuchskünstlerin auszeichnen kann, entschloss man sich für Julia Lezhneva, eine CD allerdings, die mir merkwürdig am Ohr vorbeigerauscht ist.

Sehr schön finde ich die Auszeichnung für Alexandre Tharaud. "Swinging Paris" war eine meiner absoluten Lieblings-CDs dieses Jahr, nicht nur wegen des Ohrwurms "Henri, pourquoi n'aimes tu pas les femmes?" - Mahlers 9. Sinfonie mit Bernard Haitink habe ich bisher nicht gehört, war aber auch nie wirklich ein Fan dieses Dirigenten. Ich lasse mich gerne überzeugen. Nicht überzeugen konnte mich der "Sacre" mit Simon Rattle - eine Prestigeauszeichnung? Auch Vilde Frang ist zwar eine interessante Nachwuchskünstlerin, die Platte mit Nielsen und Tschaikowsky ließ mich aber seltsam kalt. Anders Kristian Bezuidenhout - der bricht eine Lanze für das Hammerklavier und kann derartig singen und erzählen auf dem Instrument, dass man sich fragt, warum es soviele Mozarteinspielungen auf normalen Klavieren gibt. Oh ja, und Patricia Kopachintskaya - eine Frau, die mit der Geige arbeitet, die mühelos Grenzen überspringt und trotzdem so eindringlich interpretiert, als ginge es jedes Mal ums Leben. Gute Entscheidung!

Die Gesualdo-Einspielung des Vocalconsorts Berlin kenne ich noch nicht, werde ich mir aber umgehend zu Gemüte führen. Der "Artaserse" von Vinci ist wohl etwas für Spezialisten und verdient sicher auch seinen Preis. Ich musste etwa beim fünften Track abschalten, schlicht weil mir die Counterei in der Massierung völlig auf den Geist ging (Banause, ich.). Gergievs Wagner-Einspielung mag ich nicht kommentieren, wundere mich aber, warum an dieser Stelle der Name Marek Janowski nicht auftaucht, die Pentatone-Aufnahmen des konzertanten Berliner Zyklus sind (fast) durchweg hervorragend. Ax, Lugansky, Garanca, Villazón - nun ja, das sind alles Aufnahmen, die mich nicht vom Hocker gerissen haben. Britten ist zweimal vertreten, mit "Rape of Lucretia" (Bostridge) und dem grandiosen Mark Padmore in der Serenade für Horn/Tenor.

Kaum verstehen kann ich die Auszeichnung für Gabetta und Grimaud, die "Duo"-Platte, die "eben mal schnell" aufgenommen wurde, sie klingt leider auch so nichtssagend. Das Belcea-Quartett muss ich noch entdecken, wie überhaupt ich wenige der Kammermusikeinspielungen kenne. Schön, dass Steffen Schleiermacher dabei ist und Morton Feldman auf diese Weise auch eine Würdigung erhält. Nachdem mich neulich auch eine Radioaufzeichnung des "Requiem" des in letzter Zeit wiederentdeckten Komponisten Walter Braunfels schier umgerissen hat, werde ich mir auch die CD von David Geringas mit Braunfels Streichquintett sicher bald anhören.

Zuletzt die DVDs: Asche auf mein Haupt, ich habe den Cage-Film bisher ebensowenig gesehen wie "Klassik und Kalter Krieg". Daher kann ich nicht beurteilen, ob die Filme preiswürdig sind. Der Levine-Luisi-Ring der MET ist dann wohl noch einmal die Ehrerbietung an den Jubilar 2013.

Ich bitte um Verständnis, dass ich keine amazon-Links mehr setze, alle Platten findet man natürlich beim Laden Ihres Vertrauens.
Außerdem ergänze ich den Beitrag noch in den nächsten Tagen um einige Presseartikel. Vielleicht gibt es sogar einen kleinen Live-Blog zur Fernsehsendung im Oktober, die immer einen besonderen Charme hat... ;)

...

"Os amantes de hoje preferem a droga mais leve, o tabaco mais light ou o café descafeinado. Já ninguém quer ficar pedrado de amor ou sofrer de uma overdose de paixão. As emoções fortes são fracas e as próprias fraquezas revelam-se mais fortes. Os amantes, esses, são igualmente namorados da monotonia e amigos íntimos da disciplina. O que está fora de controlo causa-lhes confusão, e afecta-lhes uma certa zona do cérebro, mas quase nunca lhes toca o coração. O amor devia ser sonhado e devia fazê-los voar; em vez disso é planeado, e quanto muito, fá-los pensar. "

(kompletter Text: https://alterneactivo.blogs.sapo.pt/466.html / Rogerio Fernandes)

[pardon für's Portugiesische, ich schaffe es leider nicht, den Text sauber und dennoch so kraftvoll selbst zu übersetzen. Und die Maschinchen im Internet erwähne ich gar nicht erst. Wer sich dran versuchen will - ich freue mich drüber.]

Farben, Lichter, Schatten, Tänze

Håkan Hardenberger gastierte in der Frauenkirche

Der schwedische Trompeter Håkan Hardenberger scheint sich in Dresden wohl zu fühlen - bereits zum dritten Mal gastierte er im Frauenkirchen-Konzert und war ebenso schon Gast der Staatskapelle und der Philharmonie. Die Bravo-Rufe am Ende des Konzertes am Sonnabend lassen vermuten, dass sich in Dresden längst eine Fangemeinde gebildet hat. Die Zustimmung des Publikums, zollte sie der höchsten Kunst Respekt, die Hardenberger seit 30 Jahren auf seinem Instrument zeigt. Zudem freute man sich über ein abwechslungsreiches Programm, das einen Bogen von Johann Sebastian Bach zur Moderne schlug. Der Brite Jonathan Scott war Hardenbergers Partner an der Orgel - die Stücke waren so ausgewählt, dass man das ganze Ausdrucksspektrum beider Instrumente bewundern konnte.

Der barocke Teil des Konzertes gelang allerdings nicht so souverän wie der folgende mit Werken des 20. Jahrhunderts. Gleich zu Beginn bewältigte Hardenberger einen exorbitanten Solopart in der Bearbeitung des Cembalokonzertes A-Dur BWV 1055 - welches ohnehin schon eine Parodie eines Oboe d'Amore-Konzertes des Meisters ist. Ob Bach in einem Originalwerk Mut zu einem solchen Trompetenpart gehabt hätte? Die Interpretation fiel nicht ganz befriedigend aus, vor allem irritierte die etwas atemlose Vorwärtsbewegung der Ecksätze durch Scott an der Orgel. Das folgende Solowerk, Präludium und Fuge a-Moll BWV 543, wirkte ebenso hektisch und wies einige agogische Mängel auf. Die Aufregung, die Scott Bach zuteil werden ließ, konnte kein transparentes, auf metrischem Puls basierendes Spiel ermöglichen.

Mit einem kurzen, zur Beruhigung beitragenden Choralvorspiel leiteten Hardenberger und Scott in zeitgenössische Gefilde über. In Werken der französischen Komponisten Henri Sauguet ("Non morietur in aeternum") und Thierry Escaich ("Tanz-Fantasie") zeigte Hardenberger ein sehr ausdifferenziertes Spiel. Sanft ausgeführte Motive wirkten wie ein stilles Singen; man glaubt sofort, wenn Hardenberger einmal bemerkte, seine Trompete sei "wie ein Körperteil". Nur zu bewundern ist seine völlig selbstverständlich und leicht anmutende Virtuosität quer durch alle Lagen. Ein und derselbe Ton kann bei ihm von schneidend heller Strahlkraft bis hin zu sanftester Ansprache zigfache Nuancen aufweisen. Die aus tiefsten Lagen sich nach und nach entwickelnden Arabesken in Escaichs Komposition waren immer federleicht, vom Boden seltsam abgehoben.

Am Ende des Konzertes stand ein großes zyklisches Werk, das mit hohem Anspruch beide Instrumente in einen permanenten, spannenden Dialog führt. "Okna" ("Fenster") des tschechischen Komponisten Petr Eben nähert sich in Tönen vier von Marc Chagall gestalteten Synagogenfenstern. Fast greifbar wurde hier das Spiel mit Licht und Schatten und die geistlichen Szenarien der Fenster erschienen lebendig. Jonathan Scott und Håkan Hardenberger waren in dieser Musik ideale Partner und inspirierten sich gegenseitig. Bei der Zugabe schließlich durfte man sich nur noch im Klang baden: Astor Piazzolla, herausragend und innig gespielt.

Donnerstag, 8. August 2013

Gemeinschaft in der Musik - und weit darüber hinaus

Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar gastierte in der Frauenkirche

Unzählige Jugendsinfonieorchester gibt es in Deutschland, viele können schon mit einer großen Tradition aufwarten. Die meisten sind an Musikschulen und Konservatorien beheimatet, Landesjugendorchester versammeln schließlich die Besten ihres Jahrgangs in ihren Jahresprojekten und schließen oft die Lücke zwischen Musikschule und Hochschulausbildung. Die akademische Ausrichtung ist sehr wertvoll, wesentlicher ist aber der Aspekt, dass man es im Orchester immer mit einer Gemeinschaft junger musizierender Menschen zu tun hat. Stammen diese dann noch aus verschiedenen Kulturkreisen, so erstreckt sich das Miteinander oft weit über die Musik hinaus.

Das "Young Philharmonic Orchestra Jerusalem Weimar" führte auf Initiativen der beiden Hochschulen in Weimar und Jerusalem 2011 sein erstes Projekt durch - die Fußstapfen von Daniel Barenboims "West Eastern Diwan Orchestra" sind da erkennbar. Neben der Erarbeitung eines gemeinsam zur Aufführung gebrachten Konzertprogramms zählt auch das Kennenlernen des jeweils anderen Landes und seiner Menschen. Für das diesjährige Projekt stand der Dirigent Michael Sanderling - Chefdirigent der Dresdner Philharmonie - zur Verfügung, der beim Konzert in der Frauenkirche am Freitagabend quasi ein "Gastspiel zu Hause" gab.

Das Programm vereinte Musik dreier Komponisten mit jüdischem Hintergrund - die kurze "Passacaglia" Opus 4 von Berthold Goldschmidt war eine reizvolle Wiederentdeckung. Goldschmidt war ein Schüler von Franz Schreker und emigrierte 1935 nach England - erst im hohen Alter erfuhr er eine Renaissance seiner Musik. Das Stück ist im spätromantischen harmonisch erweiterten Stil sehr akademisch gehalten. Sanderling hatte keine Mühe, die große Besetzung zu zwei kraftvollen Steigerungen zu animieren.

Ähnlich ökonomisch ist das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy komponiert, wenngleich in einer ganz anderen musikalischen Epoche. So kommt es hier darauf an, die unterschiedlichen Motive und ihre Entwicklungen im Solo wie im Orchester genau herauszustellen. Die sicher erstmals in der Frauenkirche spielenden Musiker versuchten, einen schlanken, tragenden Klang herzustellen. Sanderling hätte das Orchester dämpfte sehr oft die Musiker ab - vieles war dann im Endergebnis nicht präsent genug. Die junge südkoreanische Geigerin Sunny Tae präsentierte sich mit mutigem Zugriff im Kopfsatz und Willen zu lyrischem Ausdruck im Mittelsatz. Die Reife, etwa den 3. Satz nicht als technische Presto-Etüde misszuverstehen, fehlt ihr allerdings noch - nicht immer hatte sie zudem Glück mit der Intonation.

Zuvor gab es eine kleine Auswahl der "Wunderhorn"-Lieder von Gustav Mahler zu hören. Doch in dem gerade einmal 60minütigen Konzert waren die vier Lieder zu kurz, um wirklich tief in den Kosmos der Mahler-Liedwelt eintauchen zu können. Der junge Bariton Florian Götz (am Theater Erfurt engagiert) stand völlig souverän über den Liedern und konnte viel Ausdruck hineinlegen, er wahrte auch stets den intimen Liedcharakter der Werke. Am trefflichsten gelang ihm die "Revelge", in der er das "Trallali" des Soldaten fast dem Wahnsinn zuordnete. Dafür bekam er großen Applaus, wie überhaupt am Ende das Publikum gerne noch eine Zugabe gehabt hätte. Doch sicherlich dürften die Jugendlichen mit dem Dresdner Konzert den Abschluss der ersten Projektphase gefeiert haben - im Oktober geht es dann gemeinsam auf Konzertreise nach Israel.

Montag, 5. August 2013

Musik Konzepte Band 162 - Allan Pettersson

Etwas Werbung darf auch hier erlaubt sein, zumal es sich hier um eine Veröffentlichung handelt, auf die ich auch ein bißchen stolz bin und die hoffentlich wieder einen kleinen Schub in die Pettersson-Rezeption bringen wird.

AP-Buch

Am 12. August erscheint ein neuer Band der Musik-Konzepte in der edition text+kritik. Der Band Nr. 162 ist Allan Pettersson gewidmet, damit erfährt der Komponist nun auch seine Würdigung in dieser wichtigen Reihe und wird im Buchhandel, aber vor allem auch in Bibliotheken und Hochschulen eine wichtige aktuelle Ergänzung der ohnehin nicht üppigen Bibliographie zu Allan Pettersson sein. Wie üblich bei den Musik-Konzepten greifen einige Autoren sehr spezielle Themen, den Komponisten betreffend, heraus, während sich andere mit bestimmten Werkphasen beschäftigen oder übergeordnet Pettersson in den musikalischen Kontext des 20. Jahrhunderts setzen. Auf jeden Fall dürfte der Band sowohl Erhellendes für “Neulinge” in Petterssons Werk bieten als auch Grundlage für weitere Beiträge, Diskurs und Analyse darstellen. Der Band ist für 24,00 € (114 Seiten) zu beziehen über die Edition text + kritik, München.

Zum Inhalt:

- Vorwort
- Michael Kube: “Då behöver man distansen” [Da braucht man Distanz]. Biografie und Werk zwischen Selbstinszenierung und Reflexion
- Alexander Keuk: Festhalten und Loslassen. Zur Konstituierung einer kompositorischen Handschrift in der Musik von Allan Pettersson
- Jens Malte Fischer: “Con accento doloroso”. Eine Annäherung an Allan Pettersson und an die 6. Sinfonie
- Martin Gelland: Erzwungene Kunst: Schmerz und Freiheitserlebnis. Allan Pettersson und Jean-Paul Sartre im Wechselspiel
- Martin Knust: Die Rezeption von Allan Petterssons Werk in Schweden und Deutschland: ein Vergleich
- Allan Pettersson/Sigvard Hammar: Radiointerview aus dem Jahr 1972. Transkribiert von Per-Henning Olsson
- Abstracts
- Bibliografische Hinweise
- Zeittafel
- Autoren

mehr über Allan Pettersson: https://www.petterssonblog.de

Freitag, 2. August 2013

Traum LVIII, LIX, LX

Drei Bruchstücke in Wochen, wo ich nahezu nichts träume.

LVIII: karges Bruchstück: A (eine flüchtige Bekannte) kommt vorbei, um mir meine Monatskarte für die DVB zu bringen.
LIX: ich trage wieder Briefe aus.
LX: Es ist Krieg. Merkel erscheint vor der Presse, ihr Gesicht ist von Pocken übersät.

(2.8./8.8./13.8.)

Donnerstag, 1. August 2013

El Tauscho

Es ist zwar noch kein öffentlicher Bücherschrank, wie man ihn in anderen Städten findet, aber die Idee ist schonmal gut. Allerdings frage ich mich, wie lange dieses Ding stehen bleibt. Aber die Ecke war ja schon öfters beliebt für Fundstücke, Schuhschränke (gegenüber auf der Mauer) und Sofapartys.
(gesehen Ecke Scheunenhofstr./Schönbrunnstr.)

Update: El Tauscho hat leider ein unrühmlich-bürokratisches Ende gefunden, wie heute die DNN berichten.

schrank

Mittwoch, 31. Juli 2013

Chromatisch rinnt der Schweiß

Cembalokonzert von Wolfgang Kostujak in der Hoflößnitz

Angesichts von Außentemperaturen von 35 Grad am Sonntagnachmittag erwies sich der Ausflug in die Hoflößnitz - mit dem am Südhang gelegenen, kaum kühler temperierten Berghaus - als eine nicht alltäglich zu erlebende, extreme Erfahrung. Eine mutige, treue Schar von Besuchern fand sich dennoch im Saal zum Konzert ein und Hoffnungen, man würde sogleich musikalisches Hitzefrei bekommen, zerschlugen sich umgehend. Cembalist Wolfgang Kostujak übernahm die Moderation seines Konzertes und stimmte frohen Mutes auf einen Parforceritt durch barocke Literatur ein.

Thematisch überschrieben war das Konzert mit "Ars chromatica" - ein weites Feld im 17. und 18. Jahrhundert, das aber durch Kostujaks pfiffige Werkauswahl zu einer höchst spannenden Reise durch feingeistige wie abenteuerliche barocke Welten geriet. Bildlich gedeutet erfuhren die herabrinnenden Schweißperlen aller Anwesenden des Abends eine passende Symbiose im musikalischen Thema - Hitzewallungen kommen von Claudip Monteverdi bis Alban Berg selten im diatonischen Gewande daher. Kostujak warnte denn auch vor einer zu erwartenden Rodelpartie seiner erwärmten Finger auf den Cembalotasten. Die Warnung erwies sich als unbegründet, denn in den folgenden neunzig Minuten erlebten die Zuhörer höchst inspirierte Musikalität, und jeder Ausrutscher wäre sowieso verzeihlich gewesen.

Vor allem ist hervorzuheben, wie Kostujak allen Stücken des Konzertes ihre eigene unverwechselbare Charakteristik in der Interpretation zuwies und dabei auch das Instrument in allen Spieltechniken weit ausreizte. Die sorgsam ausgearbeitete Fantasia von Jan Pieterszoon Sweelinck etwa spielte er mit maßvoller Klarheit, während Michelangelo Rossis "Toccata Settima" (Kostujak bat das Publikum, "sich anzuschnallen") von einem ungestüm hervorbrechenden musikalischen Irrwitz bestimmt ist, dessen Chromatik einen haltlosen Strudel, fast Schwindel erzeugt. Kostujak wählte dementsprechend rasante Tempi, strukturierte aber immer die großen Abschnitte so, dass man sich in markanten Themeneinsätzen oder plötzlichem harmonischen Schwenk wieder perfekt im Hören einfinden konnte.

Darin lag die Qualität dieses Konzertes, das natürlich - über Frescobaldi und Froberger, welcher unter Einbeziehung der Chromatik schon programmatische Geschichten zu erfinden wusste, die man eigentlich erst der späteren Opera Buffa zutraut - in Johann Sebastian Bachs Meisterwerken mündete. Dessen frühes "Capriccio über die Abreise des geliebten Bruders" und die berühmte chromatische Fantasie und Fuge d-Moll spielte Kostujak mit unermüdlichem Gestaltungswillen und klarer Zielsetzung in allen Stimmen. Und was da als Herausforderung zu Beginn des Konzertes noch jedermann schweißtreibend erschien, war am Ende doch reichlich erfrischend und erhellend zugleich.

Samstag, 27. Juli 2013

Ach, Elena

...ich geb dir Happi for Happiness.

mail

Donnerstag, 11. Juli 2013

Bilderbuch und Seelensturm

Haydn und Schostakowitsch mit Andris Nelsons im 12. Kapell-Sinfoniekonzert

Manchmal muss man sich nach Konzerten eine Weile alleine hinsetzen und erst einmal tief Luft holen, um das Gehörte zu begreifen. Vielleicht auch, um zurückzukehren in die Welt der Gegenwart, nachdem man soeben durch musikalisch durch Himmel und Hölle getragen wurde. Damit ist keinesfalls die Qualität des Dargebotenen gemeint, eher stehen die Begriffe für die größtmöglichen Kontraste und Extreme, die in der Musik möglich sind. Geschieht beides nahezu taktweise nacheinander, befindet man sich entweder bei Joseph Haydn oder Dmitri Schostakowitsch, was die ungewöhnliche Kopplung der Komponisten im 12. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden erklärt, zudem beherrschten beide Komponisten das musikalische Augenzwinkern auf ihre eigene Art und Weise.

Dass Haydns Sinfonien durchaus dramatische Qualitäten aufweisen können, machte die Interpretation des Letten Andris Nelsons klar - der erst 34jährige designierte Chefdirigent des Boston Symphony Orchestra debütierte in diesem Konzert bei der Staatskapelle, jüngst gastierte er bereits bei den Musikfestspielen mit dem "War Requiem" von Benjamin Britten. Bereits in den ersten Takten von Haydns 90. Sinfonie C-Dur stand fest, dass Dirigent und Komponist hier eine Verbindung eingingen, die bis zum feuersprühenden Finale schlicht Spaß machte. Nelsons ist ein Körperdirigent, er zeigt überdeutlich, was ihm in diesem und jenen Takt auf der Seele liegt - ein Widerspruch ist bei seiner fordernden Gestik ausgeschlossen. Und so blätterte man in diesem Haydn-Bilderbuch, staunte und frohlockte ob der bunten Farben, die die Staatskapelle in die ökonomische Motivik des Meisters hineinlegte. Nelsons ließ Raum für die schönen Flöten- und Streichersoli; der Kehraus mit einem typisch Haydnschen "Generalpausenwitz" gelang brillant.

Gut 150 Jahre nach der Entstehung dieser Haydn-Sinfonie befindet sich der Komponist Dmitri Schostakowitsch im Fadenkreuz unsäglicher Restriktionen der sowjetischen Kulturpolitik - seine 5. Sinfonie d-Moll Opus 47 ist Antwort und Weigerung zugleich: missverstanden von den Oberen, tief in die Seele brennend, wenn man den Noten auf den Grund geht. Dieses Verständnis transportierte Nelsons durch alle vier Sätze auf kongeniale Weise. Er vereinigte extremste Emotion und klare Führung, so dass es für keinen Musiker ein "Zurück" gab, sei es im leisesten Flimmern des Largos, von Nelsons als ein einziges Trümmerfeld der Einsamkeit gedeutet, oder in den unwirklich marschartigen Passagen etwa der Durchführung des 1. Satzes, die Nelsons mit unglaublichen Stichen versah. Genau diese Vorgeschichte brauchte es aber, damit er das Ende dieses Satzes in eine Sphäre heben konnte, in der weltentrückt nur noch die leisen Töne regieren durften.

Fratzenhaft und mahleresk ließ Nelsons das Allegretto ausmusizieren, im Finale legte er die Emphase weniger auf den hohlen Dur-Sturm des Schlusses denn auf das fein ausgehörte kammermusikalischen Vortasten dieses Satzes. Damit kippten die Proportionen und das Ergebnis war frappierend und einleuchtend: Nelsons wandte sich dem Individuum zu, das viel mehr zählt als die polternde Masse. Sichtlich bewegt von der Musik nahm Nelsons am Ende die starken Ovationen des Publikums entgegen - und wird hoffentlich bald wieder im Semperbau begrüßt werden können.

Voll ausgekostet

Wagner mit der Dresdner Philharmonie, René Pape und Juanjo Mena

Das Beste hebt man sich für den Schluss auf. Diese goldene Regel einer Spannungsdramaturgie befolgte die Dresdner Philharmonie allerdings nicht immer in dieser Saison, denn es gab schon einige Konzerte, deren musikalische Qualität so gut war, dass man klar von einem Höhepunkt sprechen durfte. Einen letzten Gipfelsturm vor der Sommerpause unternahmen die Philharmoniker am Sonnabend im Albertinum. Star des Abends war der Bassist René Pape, dessen voller Terminkalender nur wenig Platz für Konzerte in seiner Heimatstadt Dresden erlaubt. Um so schöner, dass die Dresdner ihn nun im philharmonischen Konzert mit Szenen aus Wagner-Opern erleben konnten.

Zugleich würdigte das Orchester erneut das Komponistenjubiläum und man leuchtete in den Kosmos Wagner hinein, ohne dem Potpourri oder dem "Best Of"-Gedanken zu verfallen. Der Spanier Juanjo Mena, seit 2011 Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra, hatte drei orchestrale Werke aus den Opern ausgesucht. Im Vorspiel zu "Tristan und Isolde" überzeugte zwar seine Einleitung, dann verlor Mena aber im oft verlangsamten Tempo die Spannung, überhastete aber überraschend den Höhepunkt des Vorspiels. Dem folgte allerdings eine warmherzige Interpretation des "Liebestodes", wo Mena zu einem guten Fluss der Musik fand. Die Philharmoniker, gerade zurückgekehrt von ihrer Japan-Tournee, durften zum Saisonabschluss in großer Besetzung antreten - sie überzeugten mit durchweg aufmerksamem und in den Gruppen schön ausbalanciertem Spiel.

Auftrumpfend positiv geriet das kurze "Lohengrin"-Vorspiel zum 3. Akt, aber des Orchesters Glanzstück in diesem Konzert war "Siegfrieds Rheinfahrt" aus der "Götterdämmerung". Hier lockte Mena jede Menge feinsinniger Klänge hervor und reihte die Motive wie an einer Perlenschnur aneinander - den Bläsern der Philharmonie blieb es vorbehalten, einen silbrig schimmernden Schluss auszugestalten. René Pape stellte zwei großen Szenen im Konzert vor, zunächst den Monolog des König Marke aus "Tristan und Isolde". Wie Pape vom ersten bis zum letzten Takt diesen Charakter ausfüllte, erst mit Erschütterung, dann Verratsahnung, schließlich das "Warum?" ohne Antwort auf den Lippen, das war ein großes Musikerlebnis. Auch beim "Abschied und Feuerzauber" des Wotan aus der "Walküre" zog Pape die Zuhörer in seinen Bann, formulierte die selbstbewusste Endgültigkeit der Trennung ebenso stark wie die Ahnung des Kommenden.

Jedes Wort ist bei ihm ausgekostet, seiner Stimme kann man sich im fiebrig-leisen piano ebenso wenig entziehen wie bei den großen Statements dieser Szene, die der Sänger voll auskostete. Die Philharmoniker folgten Pape "auf's Wort", gestalteten schöne Soli aus und schufen damit musikalisch die Atmosphäre eines großen Opernabends - eine Illusion, der man bei dieser qualitätvollen Darbietung gerne erliegt: die musikalischen Welten, die Pape und die Philharmoniker an diesem Abend eröffneten, benötigen nur auf den zweiten Blick Säle und Dekor.

Anspruchsvolles Sinfoniekonzert mit Studenten

Erzgebirgische Philharmonie Aue mit Weber, Strawinsky, Ibert und Beethoven in der Musikhochschule

Bei den Musikfestspielen und in der Frauenkirche kann man Gastspiele von Orchestern aus aller Welt erleben. Dass aber ein sächsisches Sinfonieorchester, das nicht in Dresden beheimatet ist, jedes Jahr eines seiner philharmonischen Konzerte in der Landeshauptstadt spielt, dürfte nicht jedem bekannt sein. Der sinfonische Gruß aus dem Erzgebirge hat einen besonderen Grund: schon seit einigen Jahren besteht eine Kooperation der Erzgebirgischen Philharmonie Aue mit der Dresdner Musikhochschule. Dirigenten und Instrumentalisten erhalten so die wertvolle Möglichkeit, in Proben und im öffentlichen Konzert mit dem Orchester zu arbeiten.

So erhalten die Studenten lebenswichtige Praxis und Erfahrung, können aber auch ihre eigenen Vorstellungen der Interpretation realisieren. Vier junge Dirigenten und zwei Solisten realisierten im Saal der Musikhochschule einen anspruchsvollen Konzertabend - keineswegs handelte es sich bei den Stücken um leicht zu studierende Werke. Auch das Orchester durfte glänzen, war aber auch mit verschiedenen Stilistiken gefordert. Zu Beginn erhielt Oboist Guido Titze, seit 1985 Philharmoniker, Mitbegründer des Dresdner Barockorchesters und der Hochschule lange als Lehrbeauftragter verbunden, von Rektor Ekkehard Klemm eine Honorarprofessur verliehen.

Den festlichen Rahmen dazu besorgte Karl-Friedrich Winter gleich im Anschluss mit der freundlich ausgestalteten Ouvertüre zur Oper "Euryanthe" von Carl Maria von Weber. In ganz andere musikalische Welten gelangte man mit dem "Concerto in D" von Igor Strawinsky. Dessen einziges Violinkonzert hat barocke Vorbilder, atmet aber gleichzeitig eine Mischung aus Neoklassizismus und scharfer Harmonik, die noch auf die Volkstümlichkeit von "Petruschka" zurückweist.

Mit Mirai Abe am Dirigentenpult und Elina Rubio Pentcheva an der Violine trafen zwei sehr unterschiedliche Temperamente aufeinander - Pentcheva faszinierte mit ordentlichem Zugriff auf das Stück und arbeitete vor allem die rhythmische Kraft der Motive gut heraus. Abe arbeitete mit dem Orchester eher besonnen, was meistens gut funktionierte. Lediglich der "Schulterblick" funktionierte nicht immer, man hätte eine bessere Platzierung der Solistin finden können. Nach der Pause durfte man den französischen Komponisten Jacques Ibert wiederentdecken - sein Flötenkonzert zählt noch zu seinen bekanntesten Werken. Warum das so ist, das zeigten André Brant (Dirigent) und Mayuko Sujako (Flöte) mit einer sehr schönen Interpretation, die den virtuosen Solopart mit einer galanten, einfühlsam ausgearbeiteten Orchesterbegleitung versah. Jederzeit präsent war Sujakos Flötenklang, an manchen Stellen hätte sie sogar etwas weniger geben können, denn die Erzgebirgische Philharmonie war aufmerksam bei der Sache.

Zum Abschluss widmete sich Karl Bernewitz der 8. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Hier musiziere das Orchester freudig und mit deutlicher Kontur, die Bernewitz von vorne auch mit viel Energie in allen Sätzen vermittelte. Damit ging ein abwechslungsreicher musikalischer Abend auf hohem Niveau zu Ende - alle jungen Musiker und erhielten für dieses wichtige Projekt und ihre sehr ansprechenden Leistung großen Applaus.

Sonntag, 7. Juli 2013

Impulsgeber der Zukunft - Wonach wir uns richten werden

Das Medienforum Mittweida hat eine Bloggerparade veranstaltet und sammelt Blogbeiträge zum Thema "Impulsgeber der Zukunft - wonach wir uns richten werden".

Ich beteilige mich gern mit einem recht spontan geschriebenen Text, der maximal ein Einpersonen-Brainstorming sein kann. Aber man kann sich ja auf eine Fragestellung unserer Zeit gerne einmal nach innen begeben und schauen, was die kleinen Handwerker im Hirn dazu von sich geben.
Als Präludium steht natürlich die Ratlosigkeit im Raum, wie man sich dem Thema überhaupt nähern soll, denn es erfolgt keinerlei Einschränkung in Richtung einer Anthropologie oder einem begrenzt zu beackernden Wissensfeld. Sehr schnell kommt man also bei dem Thema vom Hundertsten ins Tausendste. Gottlob ist hier nur ein Hirn (und zehn Finger) bei der Arbeit und ein sokratisches Gegenüber nimmt gerade seinen Urlaub, so stört also niemand bei der Formung der Gedanken, die ich (spontan, siehe oben) nun auf Kleistschem Wege in der "allmählichen Verfertigung beim Reden" niederschreibe.

Die Perspektive indes kann nur die des begrenzten eigenen Erfahrungshorizontes sein und da kommen bei mir schon zwei Persönlichkeiten ans Licht, die auf unterschiedliche Weise in der Welt agieren, Impulse aufnehmen, Impulse setzen. Da ist der Musikjournalist, der die große Welt der Musik an sich heran strömen läßt, um hier und da die eine oder andere Musikwolke zu ergreifen und mit der Rezensenten-Taschenlampe einmal auf den Grund zu leuchten. Das ist letztlich eine betrachtende Art, eine, die die Musik nicht beschädigt, sondern sie beschreibt, maximal verbal entwickelt und deutet, aber natürlich (da geht der Blick nach vorne) daraus auch Schlüsse ziehen kann. Die zweite Perspektive indes ist "impulsstärker". Der Komponist in mir betrachtet zwar ebenfalls, aber hier kommt das Schaffen, das kreative Moment und sogar auch die (körperlich-geistige) Impulsivität zum Tragen. Zeitlich gesehen liegt hier der Impuls deutlich auf der Gegenwart und richtet sich in die Zukunft einer kommenden Aufführung, einer noch erklingenden Musik, während der Musikjournalist immer anschaut, was gewesen ist und nur selten mutmaßt.

Meine erste Theorie wäre, dass die leichte Schizophrenie des Betrachtens des "Passierten" und der Schöpfungsprozess des "Neuen" eine günstige Verbindung eingehen kann. So diskutierte gerade die Avantgarde unter den Komponisten lange Zeit die Bedeutung der Tradition. Gerade in der Nachkriegs-Avantgarde der 50er-Jahre war der Bruch mit allem, was auch nur im entferntesten nach Dreiklang oder althergebrachter Verwendung eines Instrumentes zu tun hatte, en vogue. Diese Bewegung ist verschwunden, dennoch gibt es unverbesserliche "Neu-Töner", die auch heute noch dem Gott der Komplexität frönen und fast eine selbstzerfressende Psychose in der Vermeidung von Tradition entwickeln. In der (ich drösel die Begriffe hier und heute nicht auf, das ist ein anderes Thema...) U-Musik kann man ähnliche Phänomene beobachten, wenngleich der Vergleich unangebracht ist. Doch ich höre noch die Rufe der Techno-Jünger in den 80ern, die eine ganz neue Kultur beschwörten und die Pop-Musik für tot erklärten. Mit gutem Grund haben die jeweiligen "Impulsgeber" also ihre Pionierarbeit als Anbruch eines neuen Zeitalters gesehen.

Wir wissen es heute besser. Der Serialismus war EIN Weg, und natürlich ein wichtiger Impuls in der Musik im Nachkriegsdeutschland, ebenso wie Techno EINE logische und wichtige Musikentwicklung war. Beides aber war nicht voraussetzungs- und nicht folgenlos. Der Impuls hatte eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Umgebung, er kann auch zumeist nicht auf einen Punkt fixiert werden und genauso weit gefächert ist das "Danach". Die neuen Stile passten sich also ein in eine übergeordnete Entwicklung der Musik ein, beeinflussten sie gleichzeitig, waren aber niemals allein seligmachend. Stellen wir uns doch die Welt als ein Möbelstück vor, das niemals fertig wird und an dem alle arbeiten. Wo einer eine Schublade herausnimmt, bastelt der nächste eine neu hinein. Die Funktionalität wird kontinuierlich erweitert, der Nutzen immens - "viele Köche verderben den Brei" - diesen Spruch darf man angesichts heutiger Netzwerkarbeit getrost vergessen. Sie sind in der Lage, den besten Brei aller Zeiten zu zaubern.

Momentan scheinen wir in einer Zeit zu leben, in welcher sich Impulse in einen Fluss einordnen, altes auf Grundlage der gegenwärtigen Wahrnehmung weiterentwickeln und daraus ein "Mehr" (manchmal auch ein "Meer", wenn man etwa an die Retro-Schwemme der Popmusik denkt) entwickeln, also eine Bereicherung des Horizontes, die wir als Individuum aufgrund der Komplexität und Geschwindigkeit heutiger Informationen kaum noch zu fassen in der Lage sind. Egal auf welcher wissenschaftlichen oder künstlerischen Ebene wir arbeiten, WIR sind natürlich die Impulsgeber der Zeit und der Zukunft, entscheidend ist, an welchem Rädchen wir mitdrehen dürfen, können, uns einbringen.

Wenig halte ich davon, ein Postulat der Technik vornanzustellen, denn auch dahinter stehen Menschen. Natürlich haben wir es mit einer unglaublichen Geschwindigkeit zu tun, was die Weiterentwicklung der Möglichkeiten angeht, gerade im Medienbereich. Oft habe ich das Gefühl, dass die Impulsgeber hier gar nicht mehr namentlich benannt werden können. Dem Erfinder der Glühbirne kann man noch ein Denkmal setzen, aber die rasanten Entwicklungen etwa im Online-Medienbereich kommen aus vielen Richtungen, bedingen sich einander, plötzlich kommt aus dem Urgrund von Programmentwicklung ein neues Feature hinzu, dass die ganzen Entwicklungen wieder umwälzen kann, unser Medien-Verhalten schleichend oder plötzlich wieder verändert. Reiten wir auf der Welle? Haben wir noch Einfluss auf die Impulsbläschen im Meer der Technologie?

Ich komme zum Möbelstück zurück: Wenn wir uns auf uns selbst besinnen, halten wir es doch letztlich wie bei der Einrichtung einer Wohnung (und da sind wir ganz bei uns selbst, unseren Vorlieben, unseren Fähigkeiten und inneren Eigenschaften) - wir richten uns ein. Wir kommen klar mit dem was wir kennen, wir brauchen dringend das Neue, um Farbe und Horizont in unser "Nest" zu lassen. Wir fragen - ganz wichtig - auch die anderen, die uns auf Dinge bringen, die wir selbst nie gewusst hätten. Wir sind vielleicht auch offen für Überraschungen und - das wäre wichtig, liegt aber nicht jedem - als "Wohnungseinrichter der Impulse" sind wir auch zum Scheitern bereit.

Denn wenn wir heutzutage keine Revolutionen mehr anzetteln können (war der "Aufschrei" nicht doch nur eine furchtbare Trend-Blase? Ist das "Empört Euch" nicht nur ein kurzes Wachschütteln am eigenen Gewissen gewesen?), so sei uns der Lindberghsche Pioniergeist vergönnt. Einmal ordentlich die Flügel auf den Rücken geschnallt, auf den Hügel rauf und ab dafür. Dann liegen wir auf der Schnauze. Aber ohne Lindbergh und viele Purzler danach könnte heute kein einziges Flugzeug fliegen, wären wir gar nicht bereit für die Zukunft. Hier allerdings ist die Kunst als Impulsgeber weit voraus: wenn wir nicht gerade in Platitüden verfallen, ist das Scheitern durchaus mit Potenzial verhaftet. Jedes zusammengeknüllte Blatt Notenpapier bringt mich ja näher in die Richtung des wirklich Tönenden. Sicher dürfen wir uns trotzdem nicht wähnen. Wer Impulse setzt, sollte sich vor Endgültigkeit und Heilsversprechen hüten. Der nächste Impulsgeber steht eh schon in der Schlange vor der Tür. Lassen wir ihn herein, denn eins ist sicher: das Schillersche "Alle Menschen werden Brüder" werden wir ebensowenig erreichen wie den Hippietraum vom Weltfrieden.

Das Postulat von der Macht des Einzelnen gerinnt sofort zur Illusion, wenn man den Rand, das Offene, das Unbekannte, DEN Unbekannten nicht einbezieht. Ebenso wie das Scheitern kreativ anzuwenden ist es ratsam, von Zeit zu Zeit das "Ich weiß es nicht" auf der Zunge zergehen zu lassen. Anstelle wie in der Schule den Arm reckend "Ich, ich, ich" zu rufen, um danach ins Stottern zu verfallen, weil sich alles Wissen zum Chaos knäult, kommt man doch viel weiter, wenn man die Fragezeichen auf der Stirn pflegt wie die Blumenkästen auf dem Balkon. Es gibt Pflanzen, deren Blühen und Vergehen wir nie verstehen werden, andere, bei denen wir genau wissen, wieviele Tropfen Wassers zur Pracht verhelfen. Wir sollten uns aber jedes Jahr aufs neue fragen, was in den Blumenkasten soll. Und uns am Gestrüpp ebenso erfreuen wie am plötzlich Früchte tragenden Mandarinenbäumchen. Nur die alljährlich gleichen Geranien, die Früchte der Bequemlichkeit und des "hamwaschonseitjahrensogemacht", die gehören auf den Kompost.

Donnerstag, 4. Juli 2013

Traum LVI und LVII

leider nur noch bruchstückhaft in der erinnerung:
1) ein ehemaliger Mitschüler begeht Selbstmord, ich lese einen großen Zeitungsartikel darüber und zeige diesen verschiedenen Leuten. Keine Reaktion
2) stehe im Supermarkt an der Kasse. Die Kassiererin der nächsten Kasse sitzt von mir aus gesehen mit dem Rücken zu mir. Sie hat ein gefaltetes Namensschild oder eine Tischkarte neben sich stehen. Darauf steht "ernstgenommen". Sie dreht sich zu mir um und blickt mich über ihre rechte Schulter hinweg an.

Von ferne tönt ein Hammerklavier

Mozart-Abend mit Kristian Bezuidenhout und dem Freiburger Barockorchester in der Frauenkirche

Dass eine Werbeanzeige im Programmheft des Frauenkirchenkonzertes vom Sonnabend den Slogan "Musik für die Augen" verwendete, bekam angesichts des Dargebotenen einen leicht absurden Geschmack. Denn mit dem Hören hatte man in diesem Konzert so seine Schwierigkeiten. Offenkundig verhieß das Programm - ein reiner Mozart-Abend mit dem Freiburger Barockorchester und dem Pianisten Kristian Bezuidenhout - ein feines Musikerlebnis. Man muss wissen, dass der in Südafrika geborene, in Australien und den USA ausgebildete Bezuidenhout - im letzten Jahr begeisterte er bereits im Recital zu den Musikfestspielen - ein Spezialist des Hammerklavieres ist.

Diese historisch informierte Art des Mozart-Spiels hätte jedoch zwingend in einen anderen Raum gehört. Nur locker gefüllt war das Rund der Frauenkirche, man applaudierte dennoch fleißig und trotz deutlichem Hinweis im Programmheft nach jedem noch so kurzen Satz. Vielleicht wurde damit auch das stetige Bemühen des Orchesters goutiert, Bezuidenhout einen akustischen Boden zu bereiten, wo er möglicherweise doch noch das Ohr des Zuhörers erreichen würde. Es war ehrenwert, aber umsonst. Im Tutti sah man des Pianisten Arme über die Tasten fliegen, das Instrument hat aber keinerlei Resonanzmöglichkeit in einem Kuppelraum.

Ein verkrüppelter Mozart blieb übrig, bei dem man kammermusikalische Dialoge und Solokadenzen als Perlen suchen musste. Dabei hatte sich Bezuidenhout zwei Klavierkonzerte ausgewählt, die keineswegs zu den Selbstläufern unter den Mozart-Konzerten gehören: Das Konzert G-Dur KV 453 ist sehr zurückhaltend und konventionell gearbeitet, während das spätere Konzert Es-Dur KV 482, mit Klarinetten und Pauken besetzt, eine andere, sehr viel kunstvollere Luft zu atmen scheint. Was man in den solistischen Passagen (aber auch dort nur mit sehr viel Aufmerksamkeit) verfolgen konnte, war Bezuidenhouts Kompetenz an diesem Instrument - der Pianist verfügt vor allem über die Fähigkeit, genaue Ausarbeitung nicht zum Manierismus zu überhöhen.

Wenn sich Bezuidenhout Freiheiten in der Themengestaltung nimmt, wird dies durch ein überaus spritziges, lebendiges Spiel in den perlenden Passagen der Konzerte wieder ausgeglichen. Munter und von gegenseitiger Inspiration befruchtet war der Dialog mit dem Freiburger Barockorchester, das im ganzen Konzert keines Dirigenten bedurfte - Anna Katharina Schreiber übernahm diesen Part vom Konzertmeisterpult. Bezuidenhout musste damit "Augen im Rücken" beweisen, aber das ganze Ensemble musizierte so wach und mitatmend, dass die Vertrauensbasis eben eine gute Interpretation - vom akustischen Unbill abgesehen - schaffen konnte.

Gerahmt wurden die beiden Konzetre von frühen Werken des Meisters: die knappe Ouvertüre "Betulia liberata" überzeugte ebenso wie die Salzburger Sinfonie g-Moll, KV 183 und zeigte vor allem den jungen, stürmischen, stilistisch sich zwischen Italien und Mannheim orientierenden Komponisten. Schöne Bläsersätze, ein knackiger Hörnerklang und vor allem ein den Charakteristika der Sätze sehr angemessenes, fein abgestuftes Streicherspiel war da zu verfolgen - davon wollten die Zuhörer in der Frauenkirche mehr hören und bekamen auch eine Zugabe. Sollte man noch einmal ein Hammerklavier in die Frauenkirche platzieren, so sollte man die Zuhörer gleich mit in den Altarraum setzen - nur so wäre man dieser feinen Art, Mozart zu interpretieren, wirklich nahegekommen.

(1.7.2013)

Donnerstag, 27. Juni 2013

Kastilisches Liebesleid

Lieder zur Vihuela in der Hoflößnitz

Ab und an braucht es die kleinen, feinen Konzerte, die uns bewusst machen, dass wir uns mit unserer heutigen Musikrezeption doch allzusehr in vertrauten Gegenden aufhalten. Vor allem das 19. Jahrhundert ist in unserer heutigen Praxis präsent, die Werke der Meister werden gehegt und gepflegt. Das mag auch noch für das Barockzeitalter zutreffen, aber die Musik der Renaissance und früherer Zeiten belegt fast eine ähnliche Spezialposition wie die der Gegenwartsmusik. Es bedarf besonders ausgebildeter Musiker, der Aufführungsraum spielt eine nicht geringe Rolle und auch beim Hören erscheint das "Alte" plötzlich seltsam neuartig.

In der Hoflößnitz ist solche Musik denkbar gut aufgehoben - die Kammermusikreihe bemüht sich seit 20 Jahren um Konzerte mit ebensolchen Darbietungen im intimen Rahmen des Saales im Lust- und Berghaus. In Kooperation mit dem Musikfestival "Montalbane" gastierte am Sonntag die Sopranistin Maria Cristina Kiehr mit dem Vihuelisten Ariel Abramovich mit einem Programm kastilischer Musik des 16. Jahrhunderts. Die Musik der Vihuela, einem lautenähnlichen Vorläufer der Gitarre, war hochentwickelt und angesehen.

Die meisten Stücke des Konzertes stammten aus Manuskripten von Liederbüchern, wie sie von den Vihuela-Spielern in der Blütezeit des Instrumentes (um 1530-1580) gesammelt wurden - Villancícos, Romanzen und Cancíons, teilweise homophon, teilweise mehrstimmig (Stimme mit Begleitung) angelegt. Die Lieder sind ein einzigartiges Themenkompendium der damaligen Zeit - geistliche Musik ist ebenso vertreten wie schmerzvolles Liebesleid, Pastoralen und Burlesken. Maria Cristina Kiehr und Ariel Abramovich zeigten sich höchst vertraut mit diesem Repertoire, sie atmeten gemeinsam und gestalteten die zumeist einfachen Melodielinien mit Sinn für Ruhe und Tonentfaltung. Optimal konnte sich die warme Sopranstimme von Kiehr im Raum entfalten, auch die eher leisen Vihuelaklänge kamen dank Abramovichs Können gut zur Geltung.

Der vollbesetzte Saal schuf zwar die passende Atmosphäre, zwang aber auch zum häufigen Nachstimmen der Vihuela. Dass ein Großteil der Lieder einen abgrundtraurigen Inhalt hatte, machte das Konzert nicht weniger reizvoll ("Ach wäre ich ein einfacher Schäfer geblieben, als mich in Dich zu verlieben."). Schwierig erschien allerdings, dass in der Gesamtheit doch kaum eines der Stücke im Gedächtnis blieb (vom als Zugabe gegebenen "Las mis penas, madre" abgesehen). Obgleich Komponisten wie Luis de Milán zu den ersten gehörten, die überhaupt Tempovorschläge zu ihren Liedern angaben, ist bei dieser Musik natürlich viel Freiheit in der Interpretation möglich.

Kiehr bettete viele Lieder in einen so sanften, von langsamer Diktion bestimmten Schönklang, dass man der Dramatik des Textes oft nicht mehr bewusst wurde. Dass der Ursprung vieler Lieder im Tanz liegt, brachten einige Solostücke für die Vihuela zu Tage, aber auch Abramovich zeigte einen eher unprätentiösen Zugang. Etwas mehr Kontrast in der musikalischen Abfolge hätte dem Konzert gutgetan, so blieb ein doch sehr beruhigter, aber durchaus spannender Eindruck von der kastilischen Musik des 15. Jahrhunderts erhalten.

Dienstag, 25. Juni 2013

Gegen den Strich

Wagner, Lidholm und Beethoven im Kapell-Konzert mit Herbert Blomstedt

Wenn Herbert Blomstedt nach Dresden kommt, kann er sich eines vollen Konzertsaales sicher sein. Dabei sind es nicht nur Musikliebhaber, die noch Blomstedts Dresdner Chef-Zeit 1975-85 bei der Sächsischen Staatskapelle miterlebt haben. Kaum entziehen kann man sich diesem Musizierwillen und der Lebendigkeit, die der fast 86jährige Dirigent ausstrahlt. Und mag er auch auf ein reiches Lebenswerk zurückblicken, er ruht sich keineswegs darauf aus - seine Programme sind intelligent und vielseitig.

Im 11. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle wagte er es gar, einen kompletten Abend mit neuer Musik auszugestalten. Nicht im zeitlichen Sinne "neu", - das jüngste Werk war immerhin auch schon vor fünfzig Jahren geschrieben - doch im jeweiligen Kontext besaßen alle drei Stücke revolutionären Atem. Richard Wagners Oper "Tristan und Isolde" weitete den harmonischen Raum, die Ouvertüre ist von den Konventionen befreit.

Blomstedt wählte die auf Wagner selbst zurückgehende Konzertfassung samt dem "Liebestod" - ein auf 17 Minuten verkürztes Drama, das aber in der Unausweichlichkeit der drängenden Musik geschlossen wirkt. Mit der Kapelle realisierte Blomstedt eine auf noble Zurückhaltung zielende Interpretation, ließ den Beginn natürlich fließen und setzte auf die ohnehin angelegte organische Linienführung. Warm und edel, fast ein bißchen zu schön verklärte sich da am Ende die Bande der Liebenden und Blomstedt traf natürlich die Staatskapelle in Bestverfassung bei ihrem Hauskomponisten an.

Dass das Neue, Überraschende, Unerwartete ins Blickfeld des ganzen Konzertes rückte lag an dem im Zentrum stehenden Stück "Poesis" des Schweden Ingvar Lidholm (geboren 1921), ein hierzulande unbekanntes Dokument der schwedischen Avantgarde der 60er Jahre, stilistisch vor allem Lutoslawski und Ligeti verpflichtet. Blomstedt nutzte die Umbaupause, um dem Publikum in höchst unterhaltsamer Moderation das Werk nahezubringen - "Sie werden keine Melodie hören. Auch keine Harmonie. Und keinen Rhythmus." - Der Schrecken währte nur kurz. Blomstedt schaffte es, die Zuhörer für das Naturerlebnis "Poesis" zu öffnen ("Die Pilze im Wald wachsen ja auch nicht rechtwinklig"), trug dem Publikum Motive und Geräusche singend und klopfend vor und faszinierte anschließend mit einer in wilden Klangfarben wuchernden, teilweise improvisatorisch grundierten Interpretation, bei der Naomi Shamban souverän einen höchst perkussiven Klavierpart übernahm. Soviel Beifall für neue Musik hat man lange nicht gehört im Semperbau und die Kapelle trug mit Sensibilität für die ungewohnten Klangkaskaden unter Blomstedts klar organisierender Leitung dazu bei.

Dass unter den Sinfonien von Ludwig van Beethoven die "Eroica" alles damals Dagewesene, ja die gerade erst zur Blüte gebrachte sinfonische Tradition selbst gehörig gegen den Strich bürstet, ist bekannt. Bis heute stellt die Aufführung dieses Stücks Interpreten vor anspruchsvolle Aufgaben. Blomstedt setzte auf deutliche Akzentuierung und flüssige Gangart, ohne die Ecken und Kanten dieses Dramas zu vernachlässigen. Zu Beginn hatte die Kapelle allerdings einige Schwierigkeiten, das Metrum zu fassen, bis zum Ende der Durchführung im 1. Satz schwankte das Schiff doch gehörig. Blomstedt gelang es aber, Ruhe und Ausdruck in die Musizierweise zu bringen, so dass vor allem das fein ausgehörte Scherzo und die Variationenfolge des 4. Satzes noch zu einem Höhepunkt des Konzertes wurden. 85 und kein bißchen leise - bereits im November 2013 wird man Blomstedt im Semperbau wieder herzlich begrüßen, dann unter anderem mit der 2. Sinfonie von Jean Sibelius.

Bereichernde Interpretationen

Wagner, Mendelssohn Bartholdy und Brahms mit der Dresdner Philharmonie im Albertinum

Wagner-Freunde hatten am Sonnabend die Qual der Wahl, und würde der Komponist noch leben, er hätte mit der Kutsche eilen müssen: nahezu zeitgleich erklangen des Meisters Werke in der Staatsoper, im Albertinum und im Hygienemuseum. Die Dresdner Philharmonie hatte in ihrem 11. Konzert im Albertinum Wagners Ouvertüre zur Oper "Rienzi" auf das Programm gesetzt - im letzten Konzert vor der Sommerpause am 6. Juli wird dann gemeinsam mit René Pape ein reiner Wagner-Abend zelebriert.

Chefdirigent Michael Sanderling gesellte Wagner Mendelssohn und Brahms zur Seite - der Verbindung, die sich in der Historie und den Biografien offenbart steht die Einzigartigkeit der Musik aller drei Komponisten gegenüber. Überdies war man gespannt, ob die durchweg bekannten Stücke neue Hörerfahrungen ermöglichen würden. Das war aber bereits bei der Ouvertüre der Fall: Sanderling wählte einen fast samtigen Klang für den Beginn und formte aus innerer Ruhe heraus eine überaus geschlossene Interpretation, bei der ein warmer, sauberer Klang der Blechgruppe faszinierte und das Ausspielen der Phrasen Priorität hatte ohne dass der Fluss verlorenging.

Einen ganz anderen, aber ebenso frappierend überzeugenden Eindruck hinterließ das Violinkonzert e-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy. Wo andere Geiger mit sattem Schmelz zu glänzen versuchen, traute sich die Solistin Alina Pogostkina einiges: sie befreite das Konzert von allem Straß und Kitsch, startete mit der ersten Melodie fast so unschuldig wie ein Kinderlied, um nach und nach dem Lyrismus des Werkes auf den Grund zu gehen. Obgleich sie den ersten Satz in viel Legato kleidete, blieb ihr Ton immer schlank und überlegt, damit zwang Pogostkina die Zuhörer zum Hinhören. Sie verinnerlichte selbst die Kadenz des 1. Satzes und legte nach dem liedhaften zweiten Satz den fröhlichen Ausklang so gewissenhaft an, dass man sich ihrer freundlich-bestimmten Navigation kaum entziehen konnte.

Da war Aufmerksamkeit im Orchester vonnöten: Sanderling und die Musiker fielen fast ehrfürchtig in einen zuhörenden Modus, in der die Solistin sensibel kommentiert wurde. Diese Interpretation war mutig und selbstbewusst zugleich, hob sie Mendelssohn doch einmal auf ein intellektuelles Niveau, dessen Basis eine ganz andere, interessante Klanglichkeit ermöglicht. Eine Bereicherung war ebenfalls das "Recitativo und Scherzo Caprice" von Fritz Kreisler, mit dem sich Pogostkina für den Applaus bedankte.

Zum Abschluss durften sich die Dresdner wieder einmal auf die 1. Sinfonie von Johannes Brahms freuen - in den "Charts" der die Kulturstadt mit Musik versorgenden Dirigenten scheint sie sehr weit oben zu stehen. Sanderlings Interpretation betonte die Eigenheiten der vier Sätze, viel Flexibilität und Emotion lag in seinem Dirigat, das den ersten beiden Sätzen eine gewisse Gemessenheit verlieh, das Allegro im 1. Satz war von insistierender Präsenz, ohne dass die Spannung hochdramatische Züge bekam. Diese hob sich Sanderling für den Finalsatz auf, wo die impulsive Betreuung zwar risikoreich war, aber die Philharmoniker eben auch zu besonderer Intensität aufforderte. Mit schönen Soli in der Violine und im Horn gelang insgesamt eine gute Interpretation, die weniger auf den großen Wurf aus war, denn auf die Finessen der Klangkombination und Spannungserzeugung.

Kurz mal abheben und wegfliegen.

crLeipzig

Seit dem 24. Mai, dem Release-Konzert ihrer neuen CD Tales of a GrassWidow in Huxleys Neuer Welt in Berlin touren sie quer über das europäische Festland, ganze vier Tage Pause haben sie sich gegönnt. Statt eines fünten Pausentages wurde noch ein Zusatzkonzert in Leipzig gestemmt, und so kam ich auch noch in den Genuss des Konzertes von CocoRosie, nachdem ich Berlin terminlich nicht ermöglichen konnte. Kein bißchen müde wirken Sierra und Bianca Cassady bei ihrem Auftritt im UT Connewitz, das alte Lichtspielhaus sorgt für einen etwas steinernen, trotzdem passenden Rahmen, wenngleich die musikalischen Welten noch etwas andere Bilder hinaufbeschwören, als sie mit den üblichen Bühnenscheinwerfen erzeugbar sind.

Sie sind ein bißchen erwachsen geworden, und das ist gut so und klingt gut. 2007 und 2010 habe ich Cocorosie bereits in Dresden erlebt, das erste Konzert war damals fast noch ein Geheimtipp, die Dresdner Gemeinde überschaubar - "La Maison de mon Reve" erschien 2004 und ist immer noch ein faszinierendes Debutalbum. Etwas weniger ätherisch und dafür mehr beat- und liedlastig geben sie sich heute, selten einmal greift Bianca in die Saiten vom Flügel oder nutzt das Megafon für einige verzerrte Phrasen. Kinderklavier und Muh-Kuh sind hingegen nicht mehr vertreten, dafür schleicht sich tiefe Melancholie in einigen Liedern ein, brennt sich etwa "Poison" eindringlich in die Ohren.

Beatboxer TEZ liefert weiterhin die souveräne Grundierung und darf auch Solo begeistern, ansonsten überzeugt die kleine Band mit Bass, Synth, Klavier und Trompete mit Geschlossenheit. Nie jedoch geraten die Stimmen in den Hintergrund: Bianca mit dem unverwechselbaren Knarzen ihres Sprechgesangs, Sierra mit sphärischen Linien. Dazwischen in Zucker getauchter Hiphop, abdrehende kleine Melodiepatterns, hier und da ein flächiges In-den-Rausch-Spielen, pure Schönheit, wenn die beiden nur zum Klavier singen. Dem Gesetz der Regel folgend, geht es 2016 weiter mit dem vierten Konzert. Viel zu lange hin... - die Cassady-Schwestern sind aber längst auch schon mit Ausstellungen, Büchern und Theaterprojekten beschäftigt, so dass ein baldigeres Aufeinandertreffen möglich erscheint.

Fotogalerien vom Konzert gibt es bei flickr und beim fotokombinat.

Montag, 24. Juni 2013

Traum LV

Ich bin bei der Uraufführung eines neuen eigenen Orchesterwerkes. Es ist sehr kurz und besteht aus einem einzigen, ununterbrochenen Höllenlärm aller Instrumente. Der enthusiastische Dirigent kündigt an, es noch mehrfach aufführen zu wollen. Wir gehen die Termine durch, ich trage alles in einen Kalender ein. Es handelt sich um etwa 16 Aufführungen. Die nächsten drei erlebe ich noch im Traum mit. Ich wache auf. Vor meinem Fenster Baumpflegearbeiten mit einer Kettensäge. Kurzer, ununterbrochener Höllenlärm...

Samstag, 15. Juni 2013

Traum LIV

Ich habe einen Leihwagen, den ich dringend wieder abgeben muss, er steht vor dem Haus, es ist ein schöner roter, nagelneuer Audi A6.
Als ich oben aus dem Fenster schaue, trifft mich der Schlag. Am hellichten Tag ist eine Bande von 5 Männern damit beschäftigt, das Auto zu zerlegen und die Einzelteile in mitgebrachten Bollerwagen aufzuhäufen. Vom Audi selbst steht nur noch das vordere Chassis mit Kotflügeln und Kühler. Ich laufe runter, rufe noch im Hausflur die Polizei an, der ich alles schildere, auch den weiteren Fortgang. Ich traue mich nicht, die fünf zu stellen, also verfolge ich sie, denn mittlerweile ziehen sie mit ihren Bollerwagen die Straße hinunter. An der nächsten Kreuzung teilen sich die 5..einer geht geradeaus, zwei gehen rechts, einer links, jeweils mit Bollerwagen. Ich folge dem der geradeaus geht und wache auf.

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