Rezensionen
Beethoven, Ravel und Tanejew im Schloss Moritzburg
"Moritzburg mobil", so könnte man eine neue Sparte des Kammermusikfestivals benennen, denn nicht nur innerhalb des Schlosses erkunden die Musiker mit dem Monströsensaal nun sperrungsbedingt eine neuen Spielort, bei dem ein Viertel des Publikums in einen zweiten Saal ausgelagert werden muss und man je nach Sitzposition interessante Halleffekte entdeckt. Längst haben die Künstler aber auch außerhalb des Schlosses ihr Netz aus feiner Musik über Schloss Proschwitz bis nach Dresden ausgebreitet und geben ja auch Gastspiele, um für die "Sommerpartie" zu werben.
Glücklich kann sich schätzen, wer einen solch sonnigen Sonntag in der Landschaft in vollen Zügen genießen kann; pünktlich zur Dämmerung am See lockte dann der Kulturgenuss ins Schloss: Werke von Ludwig van Beethoven, Maurice Ravel und Sergej Tanejew standen auf dem Programm des Konzertes, das ziemlich genau zur Halbzeit des Festivals stattfand. Von Müdigkeit ist nichts zu spüren, weder bei den Interpreten noch beim Publikum. Eher ist in der Atmosphäre des Konzertes der Suchtfaktor Kammermusik fast als Wölkchen greifbar.
Selten etwa dürfte der Rundfunk, der am Sonntag live übertrug, ein derart mucksmäuschenstilles Auditorium erlebt haben. Und die Mikrofone sorgten natürlich auch für besondere Spannung auf dem Podium. Allerdings waren alle Werke des Abends dazu geeignet, emotionale und durchaus auch effektvolle Momente hervorzubringen, das begann schon in Beethovens Streichtrio Opus 9/1, das Kai Vogler, Ulrich Eichenauer und Alban Gerhardt mit dem Wissen um diesen garstigen "Abschiedsgruß" an die leicht bekömmliche Welt eines Haydn oder Mozart interpretierten: da saß jede harmonische Überraschung, war die Dreistimmigkeit klug ausbalanciert.
In der durchaus intellektuellen Konzentration der Komposition, die subtil ihre Grenzen fasst, lag auch eine Gemeinsamkeit mit der Sonate für Violine und Violoncello von Maurice Ravel, die immerhin einen inspirativen Bogen von Schönberg über Poe zu Mozart fasst und in der Zweistimmigkeit vor allem in Rhythmik und Form virtuos spielerisch erscheint. Die Aufführung fand "in Familie" statt: Mira Wang (Violine) und Jan Vogler (Cello) ergänzten sich prächtig, hier und da hätte Mut eine gewisse Vorsicht in einigen - sicher waghalsig komponierten - Übergängen ersetzen dürfen. Den Hauptgang der Kammermusikspeise gab es in der zweiten Konzerthälfte, allerdings - um beim Thema zu bleiben - nicht "wie bei Muttern", sondern mit einer exquisiten Entdeckung: Das Streichquintett in G-Dur von Sergej Tanejew zeigt einen heute fast vergessenen Komponisten auf dem Gipfel seiner Kompositionskunst.
Mühelos zieht Tanejew alle Register von Kontrapunkt und Instrumentation: das Scherzo ist gewohnt russisch-dramatisch, der Variationensatz als Finale birgt ein vollmundiges Cello-Duo und natürlich eine Fuge in sich. Erstklassig kitzeln Baiba Skride, Gergana Gergova, David Aaron Carpenter, Jan Vogler und Alban Gerhardt mit all ihrem Können aus dieser Partitur die Leidenschaft heraus, die diesem verkannten Meisterwerk der russischen Spätromantik innewohnt. Mit dieser Entdeckung ging ein rundes, stimmiges, in seiner Intensität begeisterndes Konzert zu Ende.
Eldar Djangirov Trio - Klavierjazz beim Moritzburg Festival
Wenn man im Zusammenhang mit jungen, noch unbekannten Künstlern überproportional oft die Attribute Genie und Wunderkind wahrnimmt, wird man schnell vorsichtig mit seiner Begeisterung: zu oft waren es Persönlichkeiten, deren Stern am Musikerhimmel ganz schnell wieder verblasste. In der von solchen Geschichten nicht so oft erschütterten Jazz-Szene, wo das Publikum sehr sensibel auf diese seismologischen Schwankungen reagiert, zählt Können und eine entwickelte Persönlichkeit. Und da braucht man bei Eldar keine Sorge tragen.
Der in der kirgisischen Republik geborene Künstler zog samt Familie 1998 ins Mutterland des Jazz, um dort in Ruhe studieren zu können - da war er elf Jahre alt. Mit 18 spielte er auf namhaften Festivals und veröffentlichte sein erstes Album. Mit 25 ist er nun eine höchst anerkannte Größe im weltweiten Reigen der Jazzpianisten und vertritt durch seine markante, virtuose Spielweise zwischen Blues und Bebop (die Grenzen hebt er selbst mehrfach in den Stücken auf) seine eigene Handschrift. Auf Einladung von Jan Vogler gastierte er in einer Trio-Besetzung am Sonnabend beim Moritzburg Festival in der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen.
Für einen nicht so geübten Jazzhörer war dieses Konzert sicher eine Grenzerfahrung, denn die 80-minütige Tour de Force über 88 Tasten erforderte auch eine Höchstgeschwindigkeit im hörenden Nachvollzug. Djangirov perlt sich derartig fix durch die Arrangements, dass man mehrfach rätselt, wie er überhaupt die Übersicht über Rhythmen, Hände, Freies und Festgelegtes behält. Der Stil der Arrangements ist durchweg modern; dass neben vieler kreativer Eigenkompositionen auch Standards von George Gershwin und Cole Porter gespielt wurden, ist fast nur durch die kurzen Moderationen spürbar - ist ein Thema angespielt, verschwindet es auch schon in einem Tunnel aus pianistisch aberwitzigen Kaskaden, an denen selbst Sergej Rachmaninow seine helle Freude gehabt hätte. Womit auch eine wichtige Basis für Djangirovs Spiel genannt wäre: Immer wieder schimmert tiefes Verständnis für die Klassiker des Klaviers durch, bezieht er doch aus diesem Repertoire eine unglaubliche Variantenvielfalt.
Bei aller Virtuosität des Pianisten fehlten mir persönlich im Konzert aber dennoch einige Nuancen: dass den beiden hervorragenden Musiker Armando Gola (Bass) und Ludwig Afonso (Drums) in den ersten vier Stücken lediglich die Aufgabe des Schattenkabinettes zukam und auch später wenig Atmosphäre einer wirklichen Session entstand, liegt an der kaum verneinten Klavier-Dominanz und den in der Summe doch zu brav heruntergespielten Arrangements. Da wirkten am Ende auch die dynamischen Hochschraubungen zu vorhersehbar, hätten Witz und überraschende Momente noch das i-Tüpfelchen gesetzt. Und schließlich ist eine Landschaft doch oft mit viel mehr Details zu betrachten, wenn man - und sei es auch nur ab und zu - das Tempo ein wenig zurücknimmt. Dass Eldar nämlich die Qualitäten besitzt, auch im Nachsinnen, in der Anschlagskultur Großartiges zu gestalten, zeigte er in diesem Konzert viel zu wenig.
[13.8.12]
Lange Nacht der Kammermusik in Moritzburg mit den Akademisten des Festivals
Dafür, dass ein sommerliches Festival das Prädikat "wertvoll" erhalten kann, bedarf es vieler Komponenten, die vor allem Herz und Authentizität erfordern. Seit nunmehr sieben Jahren bestreiten junge Stipendiaten einen Teil des Moritzburg-Festivals, arbeiten mit den Profis, gestalten eine Tournee und das Eröffnungskonzert und eben auch die "Lange Nacht der Kammermusik", die fester Bestandteil des Festivals ist. Hier stellen die Stipendiaten - in diesem Jahr sind es 36 Instrumentalisten aus aller Welt - wobei ein starker amerikanischer "Block" auszumachen ist - Kammermusik vor, die sie während der ersten Festivalwoche gemeinsam in kleinen Formationen erarbeitet haben.
Der Abend dauert über drei Stunden, Sitzkissen und Leidenschaft für diese Art Musik sollten also ebenso mitgebracht werden wie die Unabhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln, denn der berühmte "letzte Bus" läßt sich mit diesem Konzert nicht vereinbaren. Zumindest dies wäre ein Punkt, der sich künftig verbessern ließe, ansonsten hatten alle viel Spaß an der Darbietung, die dank des vom Förderverein des Moritzburg Festivals ausgelobten Akademiepreises auch interaktiv gestaltet war - die Preisträger bestimmte das Publikum per Stimmzettel. Damit war auch ordentlich Motivation für die jungen Musiker gegeben.
Der Reigen der Kammermusik spann sich durch vier Jahrhunderte und die Akademisten begnügten sich nicht mit Preziosen: der Anspruch war durchweg hoch. Natürlich waren die Charaktere unterschiedlich (das ist bei den Profis nicht anders) und nicht jedes Werk wurde bis zur Perfektion durchdrungen. Doch der kammermusikalische Geist wehte durch alle Darbietungen, das begann mit der munter theatralisch umgesetzten Sonata XII von Heinrich Ignaz Franz Biber, setzte sich fort in eher unterhaltenden Ensemblestücken von Jean Francaix (Oktett) und Gordon Jacob ("Old Wine in new Bottles") und steigerte sich zu tollen Leistungen in Stücken, bei denen auch große Musiker ein gutes Stück Arbeit vorfinden, etwa in Robert Schumanns 2. Streichquartett.
Der Publikumspreis ging schließlich an eine Interpretation zweier Sätze aus Dmitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 2 - der Komponist scheint mittlerweile eine sichere Bank für das Siegertreppchen zu sein. John Garner (Violine), Samuel Justitz (Cello) und Ho Jeong Lee stürzten sich mutig und kundig in das hochdramatische Werk und wurden dafür belohnt. Besondere Erwähnung verdienen hier zwei zeitgenössische Interpretationen: Emilie-Anne Neeland, Katherine Williamson, Irina Kalinowska und Samuel Justitz formten eine eindrucksvolle, klanglich intensive Darstellung des 2. Streichquartettes von Sofia Gubaidulina, das auf diese Weise überraschenderweise dem tags zuvor aufgeführten dritten folgte.
Eine Entdeckung war auch das "Kleine Konzert für Streichquartett und Schlagzeug" von Karl Amadeus Hartmann, von Amy Hillis, Christine Li, Alfonso Noriega, Riana Anthony und David Cariano Timme rhythmisch prägnant und mitreißend interpretiert. Großen Applaus gab es jedoch am Ende für alle Mitwirkenden - der sympathische, nicht allzu ernste Wettstreit des Moritzburg-Nachwuchses war wieder einmal ein musikalisch sehr befriedigendes Erlebnis.
Erstes Kammermusikkonzert beim Moritzburg Festival
Eröffnet wurde das diesjährige Moritzburg-Festival am Sonntag mit einem Orchesterkonzert in der Gläsernen Manufaktur. Doch die wahre Eröffnung ist das erste "richtige" Kammermusikkonzert in der evangelischen Kirche Moritzburg, wenn nämlich die hinter und vor den Kulissen - wie tags zuvor schon vor Publikum geschehen - eifrig probenden Solisten das erste Mal gemeinsam konzertieren. Tradition ist auch das kurze Porträtkonzert als "Hors d'oeuvre". Doch diese Solovorstellung wird von den Musikern sehr ernst genommen, ist es doch die Gelegenheit, das eigene Instrument losgelöst von der Kammermusik vorzustellen.
Glücklich darf sich das Publikum schätzen, dass die Pianistin Lise de la Salle nach ihrem Auftritt 2010 erneut in Moritzburg weilt - neben ihrem Auftritt im Galakonzert am 10. August gestaltete sie das erste Porträt. Man fragte sich allerdings, warum die Kirche nur locker gefüllt war - gilt doch die 24jährige Französin als großes, längst in aller Welt gefeiertes Talent ihrer Generation.
Für ihr kleines Recital in Moritzburg suchte sie sich die 4. Ballade von Frédéric Chopin und einige Préludes von Claude Debussy aus. Die Ballade formte sie als aussagestarke Erzählung mit intensivem, nachdenklichem Beginn; später kostete sie die aus dem Thema erwachsenen Kontraste gut aus. Temperamentvoll und gleichzeitig mit großer Sensibilität zeichnete sie die Préludes (darunter "Des Pas sur la Neige" und "Feu d'Artifice") in all ihrer schillernden Farbigkeit - davon hätte man gerne mehr gehört.
Doch es stand ein Kammermusikkonzert besonderer Güte an, zwei Streichquintette umrahmten das 3. Streichquintett (1987) von Sofia Gubaidulina - die russische Komponistin ist (neben Jörg Widmann und Olli Mustonen) eine von gleich drei zeitgenössischen Komponisten, die das Moritzburg Festival in diesem Jahr vorstellt. In Moritzburg muss man sich auch für aktuelle Musik nicht mehr entschuldigen - es ist ein selbstverständliches, ernsthaftes Anliegen. Die fulminante Interpretation der starken, nach einer immer mehr dramatischen Pizzicato-Passage in ein großes Adagio mündenden Gubaidulina-Quartettes von Baba Skride, Gergana Gergova, Ulrich Eichenauer und Jan Vogler spricht für sich, daran änderte auch eine zersprungene Saite des Bratschers nichts.
Zuvor musizierten Gergova, Skride und Eichenauer mit David Aaron Carpenter und Alban Gerhardt das Streichquintett Es-Dur KV 614 von Wolfgang Amadeus Mozart, ein gewitztes Spätwerk, das kaum einmal nachdenkliche Töne anschlägt und von rhythmisch prägnanter Motivik bestimmt ist, die sich unter Führung von Gergana Gergova (Violine) nahtlos auf das Ensemble übertrug. Ein fliegendes Notenblatt von Baiba Skride sorgte hier für den sympathischen Beweis des Live-Erlebnisses und Mozart dürfte die beiden dadurch entstandenen Fermaten aus dem Himmel sicher goutiert haben.
Im abschließenden Streichquintett Es-Dur von Antonín Dvořák gesellte sich nun Mira Wang als Primarius hinzu und dieses "amerikanische" Werk des Tschechen wurde in all seiner unverfangenen Kantabilität - mit einem farbigen Variationensatz als Mittelpunkt - durchaus "saftig" wiedergegeben und erhielt den stärksten Applaus des Publikums, das sich für diesen abwechslungsreichen Auftakt des Festivals dankbar zeigte.
Paulus-Jugendchor Utrecht gastierte in der Dreikönigskirche
Die Ferien stehen an, und die Konzertsaison ist nahezu vorüber. Das merkt man auch im Kulturkalender der Stadt, doch gerade im Sommer gibt es oft interessante Gastspiele reiselustiger Ensembles. So gastierte der "Paulus-Jugendchor" aus der gleichnamigen Gemeinde in Utrecht am Sonnabend in der Dreikönigskirche. Trotz freien Eintrittes erschienen leider nur wenige Zuhörer, die aber fleißig Applaus spendeten und ein umfangreiches Programm empfingen. Leider bot weder Programmheft noch eine Moderation Information über den Anlass des Konzertes, so sei hier nachgetragen, dass der Dirigent Sebastian Holz (geboren 1963) ein ehemaliger Kruzianer ist, der schon lange in den Niederlanden lebt und seit 1998 den Paulus-Jugendchor in Utrecht leitet, ein 40köpfiges Laienensemble, das neben kirchenmusikalischen Aufgaben auch immer wieder eigene Konzerte veranstaltet.
Schade also, dass für das einzige Konzert der weiten Reise des Chores nicht mehr Aufmerksamkeit eingeworben wurde. Der mit 23 Sängern angetretene Chor hatte sich ein fast zweistündiges Programm vorgenommen, unterbrochen nur von zwei instrumentalen Zwischenspielen mit Tobias Kruit (Klarinette) und Maarten Teuben (Klavier), die ein "Rococo Concerto" von Jurrian Andriessen interpretierten. In dieser eingängigen, populären Stilistik war auch das gesamte Konzert gehalten, das zwischen Musik von niederländischen Komponisten, John Rutter und einigen "Klassikern" pendelte. In der Fülle allerdings ragten nur wenige Höhepunkte heraus, wo die Qualität der Kompositionen mit der Leistung des Chores zusammenging.
Deutlich zu merken war die Vertrautheit des Chores mit Sätzen aus dem "Requiem" von Gabriel Fauré oder den immer wirkungsvollen, aber doch auf Dauer recht ermüdenden Chorsätzen von John Rutter, auch Antoine Oornens minmalistische Unisono-Sätze waren vom Chor homogen interpretiert, deklamierten sich aber meist mühevoll am Text entlang. Felix Mendelssohn Bartholdys Motette "Jauchzet dem Herrn" hätte später im Konzert platziert werden müssen, ganz am Beginn zeigte der Chor noch keine Sicherheit in dynamischer Entfaltung und Legato-Gesang.
So konnte man beobachten, wie sich der Paulus-Jugendchor mit voranschreitender Zeit immer mehr freisang; der zweite Konzertteil geriet stärker - das frisch musizierte "Psallite Deo" von Bach überzeugte ebenso wie das zum Schluss dargebotene "In Paradisum" von Fauré. Maarten Teuben sorgte trotz Rückenlage zum Dirigenten für sichere Begleitung am Klavier und ohne Zugabe entließ man den sympathischen Chor nicht auf eine lange Rückreise.
(16.7.2012)
"Missa Solemnis" beim MDR Musiksommer in der Frauenkirche
Der MDR Musiksommer hat sich in Dresden rar gemacht. Wo früher sommers ganze Konzertreihen stattfanden, muss man nun mit zwei einzelnen Darbietungen in der Frauenkirche vorliebnehmen - dort finden Konzerte ohnehin jeden Sonnabend statt. Musikalisch bekommt Dresden in diesem Jahrgang allerdings zwei "Giganten" der oratorischen Musikgeschichte ab - am 4. August dirigiert Hellmuth Rilling "H-Moll-Messe" von Johann Sebastian Bach und am vergangenen Sonnabend erklang die Missa Solemnis von Ludwig van Beethoven.
Diese Aufführung bestritt der MDR Musiksommer bis auf die Solisten mit Kräften aus dem eigenen Haus und es war wohl auch eine besondere Herzensangelegenheit des Chefdirigenten des MDR-Chores, Howard Arman, dieses Gipfelwerk in der Frauenkirche selbst zu musizieren. Beethovens "Missa" wirft bis heute viele Fragen auf und stellt die Interpreten vor nicht zu unterschätzende Herausforderungen - Fugen mit aberwitzigen harmonischen Fortschreitungen, schärfste Kontraste und ineinander verschränkte Themen und Rhythmen zeigen Beethoven auf der Höhe seiner Meisterschaft, aber auch in radikalster Modernität und kompositorischem Ringen, das auch heute noch spürbar ist.
Howard Arman ging es weniger um die Ausstellung der Extreme der Partitur; er bevorzugte einen weichen Gesamtklang mit deutlicher Themengestaltung, der auch im forte gut differenziert war. Der MDR-Chor folgt ihm da so kompetent, dass viele Nuancen zu Tage traten und auch im Agnus Dei noch Kraftreserven in allen Stimmen, die sich stets homogen und mit schöner zielgerichter Tongestaltung zeigten, vorhanden waren. Gewaltig ist diese Messe in der Wirkung, gewalttätig darf sie nicht sein, und damit lag Arman in der Dosierung richtig. Dennoch stellte sich nicht immer eine unmittelbar berührende Atmosphäre ein, wie sie etwa nach dem jubelnden Gloria-Beginn im scharfen Tempokontrast des "In Terra Pax" entstand.
Vielleicht war einigen Sätzen eine zu bloßgelegte Architektur zu eigen (was aber bei diesem Werk ebenso fasziniert!), vielleicht aber auch erlaubte Arman dem Orchester zu wenig eigene gestalterische Kraft. Hier war eine Unschärfe zu bemerken, die mehrfach zu einem schwankenden Klangbild im Orchestersatz mit undifferenzierten Lautstärken und Tempi führte. Keinesfalls dürften eigentlich Armans klar gezeigte Übergänge zu derlei Irrungen führen, wie sie im solistischen Abschnitt des "Quoniam" fast den Satz aushebelten. Sehr überzeugend gerieten jedoch die barock empfundenen Zwischenspiele im Sanctus und Benedictus, letzteres mit dem gut in den Satz integrierten Violinsolo. Das Solistenquartett gestaltete seine Partien souverän, aber recht unterschiedlich. So hatte Dara Hobbs nicht durchgängig die Kraft ihres Sopranes zeigen müssen, viel Kantables im leiseren Bereich blieb da auf der Strecke. Silvia Hablowetz (Mezzo) und Christian Elsner (Tenor) gefielen sehr gut, wobei Elsner viel mehr Legato hätte riskieren können. Ain Anger konnte sich nur im Solo behaupten, im Quartett war sein stets abgedunkeltes Basstimbre nicht wirklich überzeugend. Bei der insgesamt guten Textverständlichkeit fiel ein überzogen deklamiertes "Sanctus" der Solisten doch arg aus der gerade gut entstandenen sanften Stimmung heraus.
In der Frauenkirche gab es großen Applaus für eine insgesamt sehr gute, vom sich in hervorragender Form präsentierenden MDR-Rundfunkchor getragene Aufführung, bei denen viele spannungsintensive Momente gerade des Ausmalens vorwärtsdrängender Gefühle zusammenkamen, jedoch im Zauber der Zurücknahme und des Innehaltens noch etwas Potenzial lag.
Händel, Brahms und Schönberg im 9. Philharmonischen Konzert
Die Konzertsaison der Dresdner Philharmonie neigt sich dem Ende zu, und auch die verbleibende Zeit im Kulturpalast ist gezählt. Dennoch stellte das Orchester im 9. Philharmonischen Konzert ein neues Format vor: im "Präludium" vor dem eigentlichen Konzert wird ein Werk vorgestellt, das in engem Zusammenhang mit dem Konzert steht. Hier waren es die Händel-Variationen von Johannes Brahms, die durch den Pianisten Christoph Berner zunächst im Original erklangen. Berner ist der Philharmonie schon durch viele Auftritte verbunden und auch ein geschätzter Kammermusikpartner.
Im großen Saal des Kulturpalastes wusste er die Variationen mit gutem Sinn für den formalen Zusammenhang zu interpretieren und stellte die unterschiedlichen Charaktere transparent und feinsinnig dar - so war die abschließende Fuge gut eingebunden in den Kontext und Berner bewies frischen Atem bis zu den Schlussakkorden des halbstündigen Werkes. Das Publikum nahm die neue, allerdings keinesfalls moderne (zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen Konzerte schon am Spätnachmittag und auch in den Pausen wurde musiziert) Konzertform völlig selbstverständlich auf.
Nur einzelne Gäste erschienen erst zum Orchesterkonzertbeginn, zu spannend war der Bezug zwischen Original und Bearbeitung. Für das Konzert indes benötigte man gleich mehrere Hör-Brillen. Zunächst musizierten die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Sanderling stilsicher ein Concerto Grosso von Georg Friedrich Händel, dem "Themengeber" der Variationen. Und auch hier ist schon die erste Brille gefragt, denn die barocken Concerti Grossi atmen natürlich das italienische Vorbild.
Vor der Pause durfte man sich dann rühmen, insgesamt 50 Variationen des Händelschen Themas (das allerdings einer Clavecin-Suite entstammt) gehört zu haben, nun allerdings die Brahms-Fassung in einer Orchesterbearbeitung von Mark Popkin, einem amerikanischen Fagottisten (1929-2011). Durch diese Brille erschien Brahms zwar freundlich instrumentiert, jedoch fehlte trotz der engagierten Interpretation der Philharmoniker mit Streichern und fünf Bläsern ein wirklicher Mehrwert - vielleicht wird Sanderling auch einmal die weitaus farbigere Fassung des Briten Edmund Rubbra vorstellen.
Nach der Pause wurde das Grundthema "Original-Bearbeitung" weiter verfolgt. Arnold Schönbergs Instrumentierung des Klavierquartetts g-Moll, Op. 25 von Johannes Brahms wird scherzhaft gerne "Brahms' Fünfte" genannt, wurde allerdings von Schönberg immerhin 104 Jahre nach Brahms Geburt erstellt. Hier fasziniert die große Dichte und Farbigkeit der durchweg spätromantischen Partitur. Der Orchestersatz schimmert und drängt zwischen edelster Kammermusik und vollem Tutti, der Meister Schönberg zeigt sich hier in der Instrumentationskunst und hebt das Original auf eine neue Ebene. Sanderling ging das Werk mit reichlich Emotion und viel motivierender Betreuung der Orchestergruppen an. Im ersten Satz überzeugte diese auf die Zielpunkte der Linien zeigende Grundhaltung. Allerdings verlor das Intermezzo an zweiter Stelle im zu schnellen Tempo den Grund und geriet einige Male ins Schwimmen.
Die scharfe Konturierung des Rondos führte zu einem äußerst leidenschaftlichen Finale und die Musiker folgten Sanderling in Höchstform - 185 Minuten philharmonisches Konzert wurden eifrig bejubelt. In der neuen Saison wird man dieses Format an den verschiedenen Spielorten zunächst nicht finden, allerdings wird es viermal einen "Epilog" geben, auf den man gespannt sein darf.
Absolventenkonzert mit der Erzgebirgischen Philharmonie Aue
Die meisten Prüfungen für die Musikstudenten an der Hochschule kommen ohne großen Aufwand aus. Der hervorragende Konzertsaal ist vorhanden, dort steht auch ein Flügel zur Begleitung der Instrumentalisten. Die Dirigierstudenten allerdings benötigen einige Instrumente mehr. Rektor Ekkehard Klemm, selbst Dirigierprofessor am Institut, setzt sich seit Jahren erfolgreich dafür ein, dass die Studenten zur praktischen Arbeit ein Orchester zur Verfügung bekommen. Dass mit der Kappung des Landesbühnenorchesters eine dieser Möglichkeiten in der Region künftig entfällt, ist höchst bedauerlich. Ein weiteres Orchester, mit dem die Hochschule kooperiert ist die Erzgebirgische Philharmonie Aue - dieses Ensemble integrieren sogar die studentischen Dirigate als Sinfoniekonzerte in ihr Jahresprogramm.
Für die Musiker bedeutet dies Mut zur Offenheit und immer ein außergewöhnliches Projekt, auch diesmal standen eine Instrumentalsolistin und insgesamt sieben studentische (!) Dirigenten in den Proben und drei Konzerten zur Verfügung. Das durch und durch romantische Programm hätte in der musikgeschichtlichen Verbindung nicht stimmiger sein können: Auf Johannes Brahms folgten Werke von Clara und Robert Schumann, vielfältige Bande ließ sich hier knüpfen.
Im Dresdner Konzert leitete Sung-Joon Kwon die "Akademische Festouvertüre" mit guter Organisation und das munter aufspielende Orchester hatte keinerlei Probleme, den Charakter umzusetzen. Lediglich für ein neues Kontrafagott sollten einmal gesammelt werden - der Klang wirkte doch arg verfremdet, wenn das Instrument zum Einsatz kam.
Ho Jeong Lee spielte ihren Solopart im Klavierkonzert Opus 7 von Clara Schumann in den Ecksätzen manchmal etwas zu auftrumpfend, legte zuviel Dramatik in die Noten, wo doch mehr Leichtigkeit angebracht gewesen wäre. Dabei gelang ihr aber der zweite Satz, der sich wie ein Albumblatt in dieses Konzert schleicht, gemeinsam mit dem Solo-Cello wunderbar. Pedro Andrade am Pult folgte der Pianistin gut, hätte aber noch mehr Ruhe in sein Dirigat bringen können.
Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe hatte ebenfalls André Brant Ribeiro mit Robert Schumanns 3. Sinfonie, der "Rheinischen" zu bewältigen. Das fünfsätzige Werk gelang mit guter Charakterisierung und Tempoanlage - den Intentionen von Ribeiro folgten die Musiker immer sehr wachsam. Insgesamt hätte man sich bei allen Dirigenten - beispielsweise in der Betreuung der zahllosen Streicherlinien in der Sinfonie - mehr Mut zur individuellen Gestaltung und Freiheit gewünscht, denn die Fähigkeiten dazu waren sicher vorhanden. Doch nötigt man den Studenten höchsten Respekt ab, den "Ernstfall" vor Publikum hier mit sehr guter, konzentrierter Leistung absolviert zu haben.
Festkonzert "20 Jahre HTW Dresden"
Mit verschiedenen Veranstaltungen feiert die Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft in diesem Sommer ihr 20jähriges Gründungsjubiläum. Bevor im Juli ein offizieller Festakt stattfindet, gab es schon einmal ein Festkonzert mit zwei besonderen Ensembles, die mit der HTW verbunden sind. Das "Kammerorchester ohne Dirigenten" und das "Bläserkollegium Dresden" darf im Herbst ebenfalls Jubiläum feiern, allerdings werden diese Amateur-Ensembles dann schon 45 Jahre alt, beide wurden 1967 an der damaligen Hochschule für Verkehrswesen gegründet - für deren Verdienste empfingen die Ensembles am Ende des Konzertes, das in der Obhut der Dresdner Musikhochschule stattfand, auch den Dank der Leitung der HTW.
Dass das Bläserkollegium von anfangs vier auf zeitweilig bis zu 85 Mitglieder anwuchs, zeigt das starke Interesse der Laienmusiker, unter professioneller Anleitung (Ludwig Güttler und Heinz Biskup gehörten zu den künstlerischen Mentoren) spannende Konzerterlebnisse auszugestalten. Seit 1988 wird das Bläserkollegium von Prof. Günter Schwarze geleitet, während das Kammerorchester ohne Dirigenten zwar wirklich ohne einen solchen auskommt, aber kompetente Anleitung der Einstudierungen etwa durch Mitglieder der Staatskapelle Dresden erfährt.
Olaf Spies (Violine) war denn auch der Primarius des ersten Konzertteils. Dieses Festkonzert widmete sich im übrigen komplett der Musik, was zwar eine gute Sache ist, aber für Außenstehende - auch vom Programmheft her - insgesamt etwas schmucklos wirkte. Das Kammerorchester ohne Dirigenten startete mit einer Händelfanfare und widmete sich sodann den klangschönen Variationen "Five Variants of Dive and Lazarus" von Ralph Vaughan Williams - mit Unterstützung von Astrid von Brück an der Harfe. Hier wurde das spätromantische Ideal mit schönem Legato umgesetzt. Leicht und frech folgten Benedikt Bryderns "Abenteuer des Tom Sawyer" und das d-Moll-Konzert von Johann Sebastian Bach war dann noch einmal ein anspruchsvoller Ausflug in die Barockzeit, von Olaf Spies und Urs Stiehler solistisch souverän angeführt.
Der zweite Konzertteil wurde vom Bläserkollegium ausgestaltet, das in vielen wechselnden Besetzungen existiert und musiziert, allerdings verwundert in beiden Ensembles, dass diese, obwohl an einer Hochschule beheimatet, kaum von der aktuellen Studentengeneration bevölkert sind. Von der "Harmoniemusik" - Haydns anspruchsvolles, in der Aufführung sehr feinsinnig musiziertes Oktett F-Dur war ein gelungenes Beispiel für diese Besetzung - bis hin zum-dreichörigen Blechbläserchor (Giovanni Gabrieli) zeigte das Bläserkollegium viele Facetten seines Wirkens.
Sicherlich waren hie und da noch Verbesserungen möglich, doch alle Darbietungen des Abends wurden mit großer Leidenschaft und Freude an der Musik ausgeführt. Das übertrug sich über den Bühnenrand und führte zu einem schönen Schluss mit den vereinigten Ensembles in einer dann doch etwas kurz ausgefallenen Fest-Musik von Alessandro Poglietti.
Saint Thomas Choir of Men and Boys gastierte in der Frauenkirche
Einen besonderen Eindruck hinterließ das Konzert des "Saint Thomas Choir of Men and Boys" aus New York, der am Sonnabend in der Dresdner Frauenkirche gastierte. Das war nicht nur der Fall, weil es das jährliche Dankeschön-Konzert für die Spender und Förderer von Wiederaufbau und Erhaltung der Frauenkirche war - der St. Thomas Choir war auch beteiligt an der Requiem-Uraufführung von Lera Auerbach im diesjährigen Gedenkkonzert der Staatskapelle. Kreise schließen sich, wenn man sich erinnert, dass auch ein Enkel einer Dresdnerin im St. Thomas Choir mitsingt (die DNN berichteten).
Es war außerdem ein Anliegen des Chores, nicht nur anglikanische Musik mit in die Frauenkirche zu bringen, sondern auch gleich drei Thomaskantoren zu huldigen. Denn auch der St. Thomas Choir trägt nicht nur den gleichen Namen, sondern hat ebenso eine Schule für musikalisch talentierte Knaben, bestehend seit 1919. 15 Männer aus Countertenören, Tenören und Bässen bilden das "Rückgrat" der 37 jungen Choristen - Leiter John Scott war schon als Musikdirektor an St. Paul's Cathedral in London zu Ehren gekommen, als er den Chor 2004 übernahm.
Für sein Gastspiel in Dresden hatte der Chor sich ein umfangreiches Programm ausgesucht, mit Motetten von John Sheppard, Orlando Gibbons und William Byrd gelang ein interessanter Einblick in die frühe anglikanische Musikgeschichte. Hier schon konnte man sich von der exzellenten Deklamation des Chores in allen gesungenen Sprachen überzeugen. Scott fordert viel von seinem Chor, bei dem keine Alterstrennung erfolgt: auch die Jüngsten sangen das komplette zweistündige Programm mit, wobei die Vokabel Höchstleistung für eine solche Darbietung fast noch untertrieben scheint, man sich eher angesichts der kraftraubenden Hymne "I was glad" von Hubert Parry am Ende des Konzertes fragt, ob ein Weniger nicht ein Mehr bedeutet hätte.
Gut, dass die Jungen bei diesem Pensum zweimal durchatmen konnten, während Frederick Teardo zwei Kompositionen von Bach und Dan Locklair an der Frauenkirchen-Orgel musizierte. Die Musik der Thomaskantoren Bach, Kuhnau und Hiller gelang dem Chor in etwas eigenwilliger Art und Weise - Scott legte ein zu durchgehaltenes schnelles Tempo in Bachs "Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf" an, in Hillers Motette "Alles Fleisch ist wie Gras" fehlte ein überzeugender Zugang. Erstaunlich aber, wie sicher und mutig alle Sänger seinen Intentionen folgten, homogen klang der Männerchor, zupackend und klar die Knaben.
Das setzte sich auch im zweiten Programmteil mit Musik des 20. Jahrhunderts aus Großbritannien und den USA fort, wenngleich hier nur Jonathan Harveys "Come Holy Ghost" als zeitgenössisch zu werten war. Aber auch diese Stilistik schien dem Chor selbstverständlich und immer wieder traten auch betörende Soli hervor.