Rezensionen
Filarmonica della Scala mit Verdi, Strauss und Dvořák in der Kreuzkirche
Über zweieinhalb Wochen haben sich die Dresdner Musikfestspiele auf die Suche nach dem "Herz Europas" begeben. Sind wir ehrlich: in dieser Zeit tickte das musikalische Herz zweifelsfrei in Dresden selbst. Und welche großartigen Interpreten und Ensembles sich hier die Klinke in die Hand gab und vorrangig Musik aus dem Dreieck Wien-Prag-Budapest präsentierte, war staunenswert.
Je nach Position und Randverständnis reichte die Mitte von Frankreich bis nach Rumänien und auch mal "über den großen Teich", erst beim Abschlusskonzert zeigte die Kompassnadel deutlich nach Süden. Die Mailänder Scala darf man in diesem Kontext als eines der wichtigsten schlagenden Herzen Europas bezeichnen - das Gastspiel der Filarmonica della Scala in der Kreuzkirche wurde zu einem glänzenden Abschlussfest der Musikfestspiele.
Unter Leitung des Briten Daniel Harding geriet die Giuseppe Verdis Ouvertüre zur Oper "La Forza del Destino" zu einer superben Demonstration der feinen Klangkultur des Orchesters. Anstelle in der Kreuzkirche mit der Akustik zu hadern, gab Harding Blechbläser- und Schlussakkorden Raum zur Entfaltung, beeindruckten die Streicher mit gutem legato-Spiel und das Blech mit Wärme. Den emotionalen Höhepunkt des Konzertes bildeten die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss mit der Sopranistin Christine Schäfer. Ihre Mischung aus Unabänderlichkeit und sanfter Reflektion erzeugte einen so natürlichen Fluss der Musik, dass man jede Liedzeile nahezu mitatmen konnte. Harding nahm das Orchester sehr zurück und folgte Schäfers komplett lyrischer Interpretation aufmerksam, so dass insbesondere die Schlusstakte der Lieder als empfundene Ruhepunkte wahrnehmbar waren.
Mit Antonín Dvořáks 8. Sinfonie grüßten die Italiener nach Tschechien. Harding suchte hier genau den Zwischenton zwischen Melancholie und Musikantentum zu treffen. Gerade die beiden Mittelsätze hätten aber, so schön jeder Bogenstrich auch ausgeführt wurde, mit weniger Gestaltung mehr "böhmische" Natürlichkeit der Musik erzeugt, da wollte Harding einfach zuviel. Das rasante Finale lag dem engagierten Scala-Orchester dann wieder bestens, und so war es selbstverständlich, dass nach dem großen Applaus Puccini und Rossini zugegeben wurden - mit der Wilhelm-Tell-Ouvertüre klang das Konzert schwungvoll aus.
Intendant Jan Vogler zeigte sich nach den 35. Dresdner Musikfestspielen mit rund 50 Veranstaltungen angesichts eines Rekord-Einspielergebnisses und einer Auslastung von 94% sehr zufrieden: "Die musikalische Dichte und Qualität der Aufführungen schuf im Dialog mit dem wunderbaren Publikum jene Festivalatmosphäre, die noch lange in den Herzen der Zuhörer nachklingen wird."
Debussy, Chausson und Strauss im 8. Zykluskonzert der Philharmonie
Still wurde es im Rund des Kulturpalastes zu Beginn des 8. Zyklus-Konzertes der Dresdner Philharmonie. Auch als die Musik spielte, blieb es lange still, und dennoch ging es um ein Drama, an dessen Ende der Satz steht "lautlos hat sie uns verlassen" - Die Ruhe, mit der die Charaktere und Szenen entwickelt werden, und die lyrische Qualität der Musik ist ein Hauptmerkmal von Claude Debussys Oper "Pélleas et Mélisande". Darauf muss man sich als Hörer erst einmal einlassen, entdeckt dann aber nach und nach die Schönheit, die ihre eigene Zeit benötigt.
Von der Dresdner Philharmonie wurde die von Marius Constant arrangierte Symphonie aus der Oper zu einem ungewöhnlichen Klangbild jenseits von Pomp und Extrovertiertheit geformt. Der französische, lange Zeit in Wien wirkende Dirigent Bertrand de Billy hatte hier die richtigen Ideen, um eine schöne Piano-Kultur des Orchesters zu zeigen.
Ähnlich verhielt es sich bei Ernest Chaussons Liederzyklus "Poème de l'amour et de la mer", der eine interessante symmetrische Anlage aufwies und auch - oft an Wagner orientiert - die Gefühlslagen offener darlegte. Dass dieser Zyklus zu einem musikalischen Juwel geriet, lag an der hervorragenden Solistin, der Sopranistin Véronique Gens, die sich in dieser farbig schimmernden Musik ihrer Heimat vollkommen zu Hause zeigte und deren in schönstem Legato vorgetragenem Leid und Liebeskummer man sofort nachvollzog, sich gar infizierte an der Szene, die am Ende in erschütternder Bitternis keine Lösung fand.
Der dramaturgische Schnitt der Pause geriet hart, hier sogar recht unversöhnlich, denn man konnte und wollte Richard Strauss' Tondichtung "Also sprach Zarathustra" nicht wirklich mit der entstandenen Gefühlswelt des ersten Teils in Beziehung setzen. Doch Kontraste beleben den Geist und die Musiker hatten hier plötzlich ganz andere Aufgaben vor sich. Der Eindruck indes blieb zwiespältig:
Bertrand de Billy ritt derartig schonungslos durch die Partitur, dass sich der Sinn und Zweck dieser Interpretation nicht mehr mitteilte, die Intensität zugunsten der Geschwindigkeit nachließ. An einigen Stellen mochte die flotte Lesart dieses Lobliedes auf Nietzsche und den intellektuellen Menschen angehen, doch die harmonisch komplexen Themen verloren ihre Kontur, der Walzer samt dem feinen Violin-Solo von Heike Janicke stürzte vorbei. Tapfer hielten die Philharmoniker mit und zeigten damit ihre Klasse und Flexibilität, fanden sogar am Ende noch zu einem empfundenen und - nicht selbstverständlich - sauber intonierten Schluss.
Grandioses Recital mit Hélène Grimaud
Das Klavierrecital mit Hélène Grimaud in der Semperoper galt schon im Voraus als ein sicherer Höhepunkt der Dresdner Musikfestspiele, weiß man doch um das Können dieser sensiblen wie charismatischen Künstlerin, die zweifelsfrei stets ihren eigenen Weg gesucht und beschritten hat. Über die Jahre hinweg kann sie so dem Zuhörer zum freundschaftlichen Begleiter werden - in der ausverkauften Semperoper erlebte das Publikum nicht weniger als einen grandiosen Klavierabend, in dem Hélène Grimaud an ihre eigenen Grenzen ging und dabei Energien freisetzte, die den Hörer nicht mehr von der Musik losließen.
Einmal eingestiegen in das jeweilige Werk, arbeitete sich Grimaud wie in einem zu behauenden Steinbruch durch die Noten, als gelte es sich mit den letzten Takten daraus wieder zu befreien. Das traf zu Beginn Wolfgang Amadeus Mozart, für dessen Sonate a-Moll KV310 Grimaud ein grimmiges beethoveneskes Plädyer ablieferte: mit eigenwilliger Charakterisierung im zweiten, kaum Ruhe anbietenden Satz; rasant, mit viel Risiko und einer beängstigend souverän durchgehaltenen Unruhe in den Ecksätzen, die aber so wie aus einem Guss gerieten.
Der so gegen den Strich gebürstete Wolferl verzieh gnädig, und Hélène Grimaud setzte das einmal angefachte pianistische Feuer dann in der Sonate von Alban Berg Opus 1 in einen Flächenbrand um: so ruppig und mit extremen Steigerungswellen hat man dieses Werk selten wahrgenommen. Statt in einer zerbröselnden Fin-de-Siècle-Skizze fand man sich hier inmitten von Aufbegehren und Wüten wieder, trotzdem wirkte Grimauds großbögige Anlage der Sonate verstanden und in ihren Energieschüben schlüssig.
Das Konzept einer durchaus risikoreichen Herangehensweise an die Werke des Abends hatte allerdings einen klaren Zielpunkt: Franz Liszts h-Moll-Sonate schien wie eine dunkle Wolke bereits über dem ersten Programmteil zu liegen. Der wohl aus akustischen Gründen in der Pause heruntergelassene Eiserne Vorhang verstärkte die Aura des Unwirklichen, Weltentrückten noch mehr und Grimaud setzte nun zu einem Höhenflug besonderer Art an: Atmend geriet die Themengestaltung, risikoreich und kraftstrotzend stürzten die Arabesken vorwärts, glasklar setzte sie das Fugato an - diese Sonate gestaltete Grimaud überragend als ein pianistisches Drama ohne Rückkehr, in dem es nichts zu verbergen, nichts zu vergeheimnissen gab.
Wollte hier schon der Applaus kein Ende nehmen, so erst recht nach den fast als eine tänzerisch-derbe Entspannung nachgegebenen "Rumänischen Volkstänzen" von Béla Bartók. Dieses Recital zeigte Hélène Grimaud auf einer neuen, Höhe ihrer Kunst - und diese atmet Reife und ist höchst attraktiv.
Den meisten Zuhörern blieb allerdings verborgen, dass sie der diesjährigen Preisträgerin des mit 25 000 Euro dotierten Glashütte-Original-Musikfestspiel-Preises gelauscht hatten - die Preisverleihung fand erstmalig nicht im Konzert, sondern anschließend während eines Gala-Diners für Musikfestspielgäste und Sponsoren in der VW-Manufaktur statt. Grimaud erhielt den Preis für ihr soziales Engagement für das Internationale Kindercamp Sans Souci in Mecklenburg-Vorpommern und spendete den Preis auch für diese Einrichtung. Bereits im Dezember wird die Pianistin wieder in der Semperoper zu Gast sein - dann bei einem Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle.
Martin Grubinger & Friends im Eventwerk
Strömender Regen, strömendes Publikum - schnell wollten viele Besucher unter das schützende Dach des Eventwerks im Industriegelände gelangen, doch die Schlange der Menschen, die zum ersten Konzert der Musikfestspiele an diesem Ort Martin Grubinger erleben wollten, war lang. Wie nennt man ihn eigentlich? Schlagzeuger wäre tief gestapelt, Percussionist korrekt, Zaubertrommler wohl für das zu märchenhaft umschrieben, was sich da an Energien entlud.
Der junge athletische Österreicher ist als Klassikstar in aller Munde und verneint auch nicht wirklich, dass er den Rummel genießt, denn dafür übt er auch schon mal 15 Stunden am Tag. Wer allerdings im Eventwerk eine Ausgabe von "Menschen, Tiere, Sensationen" erwartete, war im falschen Zirkuszelt. Grubinger ist längst soweit, dass er Dynamikpegel, Wirbelgeschwindigkeit und Anzahl der Instrumentenwechsel pro Sekunde nicht mehr öffentlich beweisen muss. Ein solcher Musiker macht im besten Falle das, was er will, und widmet sich intensiv der Musik und den Interpreten, die er mag.
So hieß das Konzert auch "Grubinger & Friends" und wartete mit überraschenden Kammermusikarrangements auf. Im ersten Teil stand die komplette 15. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch in einer Bearbeitung für Klaviertrio und drei Schlagzeuger von Viktor Derevianko auf dem Programm. Die exponierte Rolle des Schlagzeugs kam hier gut heraus, der erste und dritte Satz "funktionierten" in diesem Arrangement, allerdings fehlte der Bearbeitung trotz der feinfühligen Darstellung durch die Musiker die orchestrale Klangfarbe, was im 4. Satz zu einiger Verzerrung führte. Trotzdem zwang diese Lesart zum genauen Hinhören und führte das keinesfalls als Unterhaltung durchgehende Werk zu spannungsvollem Tiefgang.
Martin Grubinger stellte nach der Pause gut gelaunt Iannis Xenakis' Solo-Klassiker "Rebonds B" vor und spielte die Zuhörer mit auseinanderdriftenden, archaischen Rhythmen erst einmal schwindelig. Verblüffend war die Gegenüberstellung dieses Werkes mit der von Roland Greutter fabelhaft dargebotenen 4. Violinsonate von Eugène Ysaye in den Korrespondenzen von Mathematik und Virtuosität. Und damit waren auch endgültig die Grenzen von Genres und Konventionen gefallen - die Musik war hier entfesselt und konnte für sich selbst sprechen. Statt für Leonard Bernsteins "West Side Story" entschieden sich die Musiker für die musikalisch wenig aussagekräftige "Prism Rhapsody" der japanischen Komponistin und Marimbaphonspielerin Keiko Abe, von Grubinger gefühlvoll und klangfarbenreich an der Marimba interpretiert, der Klavier-Orchesterpart mochte aber trotz des Einsatzes von Per Rundberg kaum überzeugen.
Am Ende kam es bei einem Astor-Piazzolla-Medley zum vom Publikum einhellig bejubelten Showteil: diese Tangos atmeten üppige Lebensfreude und schlicht eine Menge Spaß an der Musik, ebenso der zugegebene Ragtime "Look out little Ruth" von Kurt Engel, bei der Grubinger parallel zu fliegenden Händen dann auch den Rhythmus in den Beinen entdecken durfte.
Jüdische Kammerphilharmonie Dresden spielte verfemte Meisterwerke
Verfolgte, verfemte, vergessene Musik - es ist ein dunkles Kapitel der deutschen Musikgeschichte, das über einen langen Zeitraum nach dem zweiten Weltkrieg aufgearbeitet wurde. Dennoch harren viele Werke und Komponistenschicksale der Beachtung, der Wiederentdeckung, kann nur Klingendes die Gedanken und Inspirationen der damaligen Künstler lebendig erhalten. Um solch eine wertvolle Aufgabe kümmert sich seit nunmehr fünf Jahren die "Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden", die im Rahmen der Musikfestspiele ein Konzert in der Synagoge gab.
Es ist bemerkenswert, dass sich das Orchester auch um Rekonstruktionen, um Erst- und Uraufführungen bemüht. Erich Zeisl etwa ist einer der jüdischen Komponisten, deren Karriere in Europa jäh beendet wurde - bis heute sind seine Werke kaum bekannt. Seine "Variationen über ein slowakisches Volkslied" atmen spätromantische Tradition und sind dabei abwechslungsreich. Im Konzert zeigte die Kammerphilharmonie Konzentration für die unterschiedlichen Charaktere, dies setzte sich in den weiteren Programmpunkten fort und führte auch mit der Komplexität der Stücke zu einer deutlichen Steigerungskurve.
Über Miklos Rózsas an Bartók-Welten erinnerndes Andante gelangte das Orchester zum wohl eigentümlichsten Stück, der "Studie für Streicher" von Pavel Haas. Schön war hier wie auch im rasanten "Scherzo für Streicher" von Franz Schreker die Transparenz der Streichergruppen mit Sinn für Haupt- und Nebenstimmen und durch den Dirigenten Michael Hurshell jederzeit vermittelten Spannungsbogen.
Höhepunkt des Konzertes war das frühe Violinkonzert d-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, dessen jugendliche Ideenvielfalt vom Orchester lebendig gezeichnet wurde. Star dieser Aufführung war der junge amerikanische Geiger Arnaud Sussmann, dessen nur fabelhaft zu nennende Interpretation so begeisterte, dass der dritte Satz erneut gegeben werden musste. Es war ein spannendes, ohne Pause in einem großen Bogen geführtes Konzert, das wichtige Impulse zum Kennenlernen immer noch vergessener Musik des 20. Jahrhunderts setzte.
Orchester des Mariinsky-Theaters unter Valery Gergiev in der Semperoper
Vor zwei Jahren gastierte das Orchester des Mariinsky-Theaters St. Petersburg unter Leitung von Valery Gergiev bereits mit einem umjubelten Auftritt bei den Dresdner Musikfestspielen. Gergiev ist einer der großen Klangmagiere am Dirigentenpult - gespannt waren die Zuhörer auf das erneute Gastspiel dieser charismatischen Persönlichkeit, diesmal mit einem sinfonisch großformatigen und mitteleuropäischen Programm.
In einer akustisch nicht immer förderlichen flachen Aufstellung auf der Bühne der Semperoper musizierte das Orchester Béla Bartóks Konzertsuite aus dem "Wunderbaren Mandarin" ordentlich und präzise. Es folgte wohl auch einhundertprozentig Gergievs Intentionen, doch lief diese an sich wilde Musik Gefahr, sich zu einem sehr geschliffenen Standard zu verwandeln. Die leichte emotionale Unterkühlung von Beginn und Finale machten die exzellenten Holzbläsersätze in der Mitte des Werkes aber wett.
Als Preziose erwies sich das Solistenkonzert des Abends: Arthur Honeggers Cellokonzert aus dem Jahr 1930 ist in seiner ökonomischen Machart und Geradlinigkeit offenbar in einer Rezeptionsritze verschwunden. Zwar mühten sich Solist Jan Vogler und Gergiev mit dem Mariinsky-Orchester um eine freundliche Wiederentdeckung dieses Konzertes samt einem witzigen Tuba-Solo, locker gefügter Gershwin-Atmosphäre und sanft knarrenden battuto-Kontrabässen, aber die Interpretation konnte nicht die nötige Souveränität in den musikalischen Belangen aufweisen.
Nach der Pause begann Valery Gergiev Richard Strauss' sinfonische Dichtung "Ein Heldenleben" mit einer rasanten und kraftvollen Einleitung, nahm sich Zeit für Kirill Terentievs wunderbar strömendes Geigensolo und arbeitete dann eine bis ins Detail ausgefeilte Deutung aus, die mit wenig Pathos, aber eben auch mit wenig Breitwand-Klangdichte in den Streichern auskam.
Dieser Strauss-Held war vor allem eine Platzhalter-Figur für exzellente Soli im Orchester von der Soloflöte über die fabelhafte Horngruppe bis hin zu rasiermesserscharfen Schlagzeugeinsätzen. Die extrem silbrige Klangfarbe in der Zugabe - Anatoli Ljadows "Verzauberter See" - war im Konzert bis dahin wenig vertreten gewesen; unter Gergievs nun völlig beruhigtem Dirigat war dies zum Abschluss Magie und Klangzauber pur.
"Café Zimmermann" mit Barockmusik aus Wien
Manchmal passt vieles zusammen: der Pfingstsonntag mit feinem Ausflugswetter ließ am Vormittag keine "schwere" Musik zu, so traf man sich im Palais im Großen Garten bei den Musikfestspielen zu einer Wiener Matinée, bei der die Mauern des Palais dankend geseufzt haben dürften - waren diese doch stumme Zeugen ebensolcher sächsischer Lustbarkeiten (die Jahreszahl 1680 prangt außen an der Fassade), für die das Palais gebaut wurde.
Für die musikalische Ergötzung der Höfe in Wien und Salzburg waren zu dieser Zeit vor allem Heinrich Ignaz Franz Biber, Johann Heinrich Schmelzer und Johann Jakob Froberger zuständig, die ihre Positionen auch dafür nutzten, die Instrumental- und Ensemblemusik im Gönnerlicht stetig weiterzuentwickeln. Gerade der Übergang und die Zwischenräume zwischen der geistlichen und der profanen Welt spielt eine große Rolle, ebenso die Abbildung der Stimme und damit alle menschlichen Leidenschaften auf den Instrumenten, wie es beispielsweise in Schmelzers "Lamento auf den Tod Ferdinand III." zu erleben war.
Mehr noch: Auch die "Todtenglockh" findet Eingang, eine "Fechtschul" wird akribisch abgebildet und nebenbei vervollkommnen die Komponisten ihre Suitenideen, den Kontrapunkt und die Geigentechnik. Das international besetzte Ensemble Café Zimmermann - den Namen gab man sich nach dem berühmten Leipziger Kaffeehaus, in dem das "Collegium Musicum" konzertierte - um die französische Cembalistin Céline Frisch und den Geiger Pablo Valetti besann sich in den Sonaten und Tänzen auf ein nobel zu nennendes Zusammenspiel, dem stets gemeinsame Atmung und Phrasierung zu eigen war. Ab und an hätte man sich deutlichere Kontraste in der Dynamik gewünscht, wie sie das Ensemble zu Beginn des Konzertes bereits gezeigt hatte.
Während naturgemäß der Primarius der Streicher in dieser Stilistik oft im Vordergrund stand, wäre doch ein volleres Fundament mit Theorbe, Cello und Orgel an manchen Stellen möglich gewesen. Und obwohl insgesamt die Stimmigkeit mit dem Aufführungsort und der Historie in adäquater Interpretation gegeben war, hätte Abwechslung in den Besetzungen und der Werkauswahl, die hier höfische Geradlinigkeit der barocken Exzentrik vorzog, dem Konzert gutgetan.
Pierre-Laurent Aimard spielte Kurtág, Ligeti, Liszt und Schubert
Die Interpreten der Dresdner Musikfestspiele scheinen sich in diesem Jahrgang zu besonderen Höhenflügen bereiterklärt zu haben - anders läßt sich der exorbitant gute Klavierabend mit dem Franzosen Pierre-Laurent Aimard im Palais am Freitagabend nicht erklären. Aimard ist bekannt für sein intellektuell durchdrungenes Spiel, das Tradition und Gegenwart in einen inspirierenden Bezug setzt. So war es auch bei diesem Recital, in dem die Linie der Donauländer Österreich, Ungarn und Rumänien den äußerlichen Rahmen für ein weitreichendes musikalisches Spannungsfeld bildete.
Aimard ordnete die Komponisten György Kurtág, György Ligeti, Franz Schubert und Franz Liszt so geschickt aneinander, dass ein zweiteiliges musikalisches Gesamtkunstwerk entstand und den Hörern nach zwei Stunden Spieldauer einen seltenes Glücksgefühl vermittelte, wie stark doch Musik wirken kann, stellt man sich komplett in ihren Dienst und läßt die Stücke miteinander korrespondieren. So legte Aimard eine "dunkle" und eine "helle" Konzerthälfte an, gruppierte die aphorismenartigen Stücke aus Kurtágs "Játékok"-Zyklus so, dass eine fast philosophische Betrachtung zwischen Stille und Bewegung entstand.
Der erste Konzertteil war dem spielerischen, positiven Element gewidmet; Aimards Interpretation der ersten kleinen und kleinsten Stücke war bereits so tiefsinnig, dass man in eine Konzentration gezogen wurde, die sich dann bei den zerbrechlich-zarten Schubert-Walzern und Ländlern zögerlich auflöste und Liszt, von dem die "Wasserspiele" im ersten und der "Unstern" im zweiten Teil erklangen, in eine Umgebung verfrachtete, in der man ihm neu und unverkrampft begegnen konnte.
Als eine geistig-musikalische Zusammenfassung der Teile setzte Aimard jeweils drei Etüden von György Ligeti an das Ende, schuf nahtlose Übergänge auch in den Tonarten und Tonzentren und bearbeitete den Steinway in den Extremen der Lautstärken derart willensstark, dass einem beim Zuhören der Atem stockte. Auch in den extrem komplizierten Etüden waren die Korrespondenzen zu der Simplizität des Anfangs gegeben.
Aimard hielt eine wunderbare Spannung vor allem durch die Transparenz der Rhythmen und Tonlängen und einer nur fabelhaft zu nennenden Anschlagskultur. Auf diese Weise gelang es Aimard, die Hörer für die spannenden Werke der Zeitgenossen zu fesseln und gleichzeitig für das Neue im Alten zu öffnen. Musik kann kaum mehr leisten, eine Zugabe hätte dieses Kunstwerk auch nur beschädigt. Stark.
Jan Lisiecki erstaunt und begeistert auf Schloss Wackerbarth
Der Pianistensternenhimmel ist ein Kosmos eigener Art: manche halten sich hell und klar über die Zeiten, andere verblassen, neue treten hinzu. Am Firmament erschien jüngst ein neuer Stern: Jan Lisiecki heißt der junge Mann, Kanadier mit polnischen Wurzeln. In letzter Zeit hagelte es Auszeichnungen für das Ausnahmetalent, das in aller Welt konzertiert und doch gerade erst ein Musikstudium in Toronto aufgenommen hat.
Sehr gespannt war daher auch das Musikfestspielpublikum auf Schloss Wackerbarth - das Weingut wartet mit der für solche Gelegenheiten akustisch idealen Abfüllhalle auf, die während des Kulturgenusses auch den Blick auf die abendlichen Weinberge zuläßt. Lisieckis Programm war prall gefüllt - satte zwei Stunden Klaviermusik bot der 17jährige Pianist an und ließ es sich nicht nehmen, sein Recital zudem in knapper sympathischer Form zu moderieren. Das zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein, auch von jugendlicher Kraft und Frische. Davon bot Lisiecki reichlich in dem mitreißenden Konzert - seine beiden Bach-Darbietungen aus dem "Wohltemperierten Klavier" waren bewusst als Einsteiger in die Programmteile gewählt, um den Quell der späteren, darauf aufbauenden Klaviermusik zu zeigen.
Lisiecki scheute sich nicht, romantische Phrasierung einzubringen, musizierte die Fugen aber so deutlich, dass der Respekt vor dem großen Komponisten gewahrt blieb. Beethovens Fis-Dur-Sonate ist ein selten gespielter Edelstein der Klavierliteratur, hier stufte Lisiecki die Dynamik gut ab, hätte im zweiten Satz im schnellen Tempo noch mehr Ruhe finden können. Die drei Konzertetüden von Liszt folgten fast schon als Lockerungsübung für das folgende Mendelssohn-Werk; die "Variations Sérieuses" gelangen ebenfalls stilistisch sicher und mit jederzeit überlegter Interpretation.
Dass Lisiecki eine geistige wie technische Leichtigkeit in seinem Spiel als Basis benutzt, machte nicht nur das Chopin-Zitat im zweiten Teil klar - wer so unverkrampft und mit geduldiger Übersicht an die Etüden, Opus 25 herangeht, kann nur gewinnen. Perlendes Spiel, imposante Steigerungen und Mut zum Detail machten eine hervorragende Interpretation aus, bei der das Spiel nicht auf der pianistischen Überholspur stattfand, sondern auf einer die Noten tief durchdringenden Ebene. Das war in der Summe schlicht grandios und wurde mit tosendem Applaus belohnt.
Kristian Bezuidenhout mit Mozart auf dem Hammerklavier
Erst in den letzten dreißig Jahren wurde das Hammerklavier wiederentdeckt - der Wunsch, Klavierwerke möglichst authentisch auf den Instrumenten ihrer Zeit wiederzugeben führte zu intensiver Forschung und Nachbauten alter Instrumente. So erlebt das Hammerklavier in jüngster Zeit eine große Renaissance, spezialisierte Interpreten widmen sich dem Instrument und machen so vor allem die Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts neu erfahrbar.
Mit einem Nachbau eines Wiener Hammerklaviers nach Anton Walter von Paul McNulty wurde man im Palais im Großen Garten beim Konzert der Musikfestspiele in den Wiener Salon versetzt und genoss mit dem aus Südafrika stammenden Pianisten Kristian Bezuidenhout eine Zeitreise. Bei dem Facettenreichtum von Wolfgang Amadeus Mozarts Kompositionen war es kein Manko, dass das Programm ausschließlich ihm gewidmet war. Zwei Sonaten aus der Zeit um 1778 stellte Bezuidenhout ein Variationswerk und die späte Fantasie c-Moll gegenüber.
Bezuidenhout ist am Hammerklavier ein ruhiger, bedächtiger und doch sehr lebendiger Gestalter. Die F-Dur-Sonate KV332 zeigte er in kontrastreichen Farben, bei denen allerdings der Pegelausschlag der Ausdeutungen gerne noch etwas größer hätte sein können, gerade dem 3. Satz fehlte im rasanten Tempo etwas der Witz und die Ausstellung der kleinen, genialen Wendungen. Doch Bezuidenhout ist mehr ein Erzähler am Clavier, so bekamen die Variationen über eine Gluck-Ariette KV455 fast einen akribischen Charakter; auch die Fantasie war so behutsam und deutlich gezeichnet, dass Mozarts Phantasie nicht als wildes Paraphrasieren, sondern als kluges Nachsinnen ausgestellt wurde.
Dabei kostete Bezuidenhout alle Möglichkeiten des Hammerklaviers (und das sind mehr, als der Flügel-Liebhaber denkt!) überlegt aus, setzte Dämpfung und Haltepedale, die mit dem Knie bedient werden, ebenso abgestuft ein wie ein deutlich phrasierendes Spiel - der zweite Satz der B-Dur-Sonate KV333 wurde so zu einem großartigen Ruhepunkt des gesamten Konzertes. Auch die Zugabe galt Mozart, und die freundlichen Gesichter des reichlich erschienenen Publikums am Ende besagten, dass dieses Musikerlebnis keineswegs nur für Spezialisten taugte: es war ein angenehmer, auch sehr ernsthafter Zugang zu Mozart und seiner Welt.