Rezensionen
Almut Rößler spielte Olivier Messiaen in der Kreuzkirche Dresden
Sie ist die Grande Dame der Orgelmusik in Deutschland und ihre Verdienste insbesondere für die Musik des 20. Jahrhunderts sind immens: als Organistin, Kantorin, Professorin ist die in Düsseldorf lebende Organistin Almut Rößler eine Instanz. Anlässlich eines Konzertes innerhalb der Reihe "Dresdner Orgelzyklus" stattete sie nun der Kreuzkirche in Dresden einen Besuch ab und die Zuhörer konnten im Konzert wie auch im Einführungsvortrag wertvolle Einblicke in die Erfahrung dieser Musikerin gewinnen, die auch mit 79 noch für die Orgelmusik der Gegenwart brennt und diese höchst lebendig, aber auch stets mit dem hohen Anspruch einer dem Komponisten würdigen Interpretation zu vermitteln weiß.
Dem französischen Komponisten Olivier Messiaen, dem sie in Freundschaft verbunden war, dessen Werke sie ur- und erstaufführte, war dieses Porträtkonzert gewidmet. Messiaen hat die Orgelmusik seines Jahrhunderts um einen ganzen Kosmos an Klängen bereichert und Rößler stellte der großen Schar Zuhörer vor ihrem Konzert dieses "Geschenk" vor, dessen Reichtum man sich auf vielfältige Weise nähern kann. Ist man erst einmal offenen Ohrs und Herzens für den geistlichen Mittelpunkt seines Schaffens, so ergänzen sich andere Elemente der Musik von Messiaen auf natürliche Weise: der Umgang mit Farben (Messiaen war Synästhet, "hörte" Farben und beschrieb seine Musik oft mit Farbtönen), die Natur und der Vogelgesang, schließlich der Aspekt der Zeit, des Zeitbewusstseins.
Messiaen selbst lag wohl falsch mit seiner Behauptung "meine Musik ist vor allem für Eingeweihte geschrieben" - Almut Rößler öffnete durch eine kluge Programmdramaturgie und sorgfältigem Umgang mit der Jehmlich-Orgel Tor und Tür für einen außergewöhnlichen Konzertabend. Fast schon ein Klassiker ist die frühe "Apparition de l'Eglise Eternelle" (Erscheinung der Ewigen Kirche) - hier legte Messiaen das ganze Kraftzentrum seiner Musik in einem einzigen kurzen Werk bloß. Rößler behielt hier die Ruhe, den großen Crescendo-Decrescendo-Bogen für den Raum passend einzurichten.
Das "Verset pour la fete de la Dédicace" (1960) hingegen war ästhetisch vom Eingangswerk denkbar weit entfernt. Doch schimmerten die gregorianischen Melodien in Rößlers deutlich strukturierender Registrierung wie von ferne durch die moderne Anlage des Werkes. Waren dies noch Einzelwerke, die zum Einstieg in Messiaens Welt gut geeignet waren, so ist Messiaens zyklische Musik höchst anspruchsvoll für Hörer wie Interpreten.
Die 1950 entstandene "Pfingstmesse" zeigt Messiaen als avancierten Denker auf der Höhe der Zeit: Hindu-Rhythmen, Modi und Vogelstimmen durchdringen sich wie in einem bunten Kirchenfenster - die Farben ergeben in der Summe ein Bild tiefer Gläubigkeit. In dieser schillernden Welt zeigte Rößler transparentes Spiel und souveränen Umgang mit den Farben der Jehmlich-Orgel, die insbesondere im Mixturen- und Zungenvorrat den Messiaen-Stücken ganz eigene Prägung verlieh. Bei aller Modernität etwa des zerklüfteten Offertoriums waren die Quellen, das Recit des 3. Satzes und die unverrückbaren Pedalsäulen des 2. Satzes von Rößler so plastisch gestaltet, dass man sich schnell und gerne in dieser Welt verlor - am Ende stand mit der Auferstehungsdarstellung schlicht das pralle Leben in seiner ganzen Fülle. Die Zugabe gab es vor dem Schlussapplaus - das "Gebet nach der Kommunion" aus dem späten Zyklus "Livre du Saint-Sacrement", den Rößler übrigens 1986 in den USA uraufgeführt hat, war ein immens tröstlicher, bewegender Ausklang dieses beeindruckenden Konzertes.
Almut Rößler ist am 13.2.2015 im Alter von 82 Jahren verstorben.
Nachruf der Johanneskantorei in Düsseldorf
Morton Feldmans Oper "Neither" im Festspielhaus Hellerau
Nachdem uns das Dresdner "elole"-Ensemble kürzlich das 90minütige Klaviertrio des amerikanischen Komponisten Morton Feldman (1926-87) im Konzert in der Messe vorstellte, konnten Freunde dieser außergewöhnlichen Musik nun ein weiteres Werk des Komponisten im Festspielhaus Hellerau erleben. Das Europäische Zentrum der Künste gönnte sich nach dem erfolgreichen Abschluss der Tanzplattform kaum eine Woche des Durchatmens, bevor mit diesem rätselhaften, rückhaltlos modernem Werk erneut spannende zeitgenössische Kunst präsentiert wurde.
Feldmans Werke sind ab den 80er-Jahren von großen Zeitdauern bei gleichzeitiger Differenzierung und Feinarbeit in den Strukturen geprägt - die Musik fließt, Erklärungen und künstlerische Absichten vermied Feldman. Wie würde sich eine Oper des Komponisten in dieser selbstpostulierten "Losigkeit" anhören, wo keinerlei Ego oder Aussagedogma mitschwingt? Die Annäherung an den Dichter Samuel Beckett erscheint so logisch wie folgenschwer: nach kurzer, gegenseitiges (Anti-)Verständnis beschwörender Konversation erhielt Feldman auf einer Postkarte das Libretto zu "Neither".
Als "Anti-Oper" könnte man dieses Werk aber nur bezeichnen, wenn alle Elemente auch als solches umgesetzt würden. Die Inszenierung der Berliner Künstlergruppe "phase 7 performing.arts" wählte eine andere Vorgehensweise, behielt Feldmans Grundkonzeption dabei sensibel im Auge. Phase 7 katapultierte Feldman und Beckett kompromisslos ins 21. Jahrhundert und setzte damit eigentlich die Tradition fort, "alte" (wir sprechen vor 35 Jahren entstandenen Werk) Musik gegenwärtig oder gar mit Visionen der Zukunft zu betrachten. Dementsprechend war das Orchester synthetisch, es wurde aber durch eine Technik der Wellenfeldsynthese über 72 kreisförmig über dem Publikum angeordnete Lautsprecher ein dreidimensionaler Hörraum geschaffen, in der Kreismitte ein Kubus mit Beamerprojektionen und eine Plattform für die Sängerin, der einzigen (Nicht-)Akteurin der Oper. Hier würde klassische Regie kolossal versagen, denn der Text bietet keinerlei Handlungsanlass, weil er Zwischenräume, das Noch-Nicht oder "Weder" beschreibt.
Ein perfekter Saatboden für Kunst also, in dessen merkwürdiger Ausdruckslosigkeit die digitale Perspektive absolut plausibel erscheint. Und dennoch: am Ende erzeugen die zu Säulen und Gittern angeordneten Scheinwerfer, die jenseits aller "normalen" Tonhöhen entrückten Ausrufe der Sopranistin (betörend und kraftvoll die Norwegerin Eir Inderhaug) und die flirrenden Projektionen so etwas wie Schönheit, weil sie einen Geborgenheitsraum mit der Musik erzeugen. Und diese will eben nicht aufrütteln, zeigen, aussagen, sondern nur Musik sein. Da staunt man und fragt sich lediglich am Ende, ob es da der Verkünstelung des Orchesterklanges wirklich bedurft hat.
Es war das einzige Manko der Aufführung, dass Feldmans Arbeit mit den Klangfarben der Instrumente in diesem dreidimensionalen Klangraum keine ausreichende Wertschätzung erfuhr. Was offen blieb, ist die Frage, ob Feldmans Ästhetik nicht manchmal die Schönheit und Feinheit der Musik erschlägt. Das Nicht-Wollen in der Kunst stellt sich nicht selten als Sackgasse heraus, in diesem Fall allerdings ist es eine durchaus behagliche.
Lang Lang im Recital in der Semperoper
Was macht eigentlich einen "Starpianisten" aus? Die Suchmaschine Google hat längst verstanden, dass die Eingabe "Starpianist" zwangsläufig zu Lang Lang führen muss und auch das Programmheft huldigt den chinesischen Star mit ganzen sechs Textseiten zur Biographie und aktuellen "angesagten" Events. Doch hinter dem Wort "Star" lauert unweigerlich der fahle Geschmack der Selbstinszenierung, die natürlich dazugehört, in so einem feinsinnigen Genre wie der Klaviermusik aber nicht nur Freunde findet. Lang Lang hat die Klaviermusik auf jeden Fall massentauglich gemacht - von der Qualität des Spiels des mittlerweile 29jährigen Pianisten konnte man sich nun in Dresden überzeugen.
In der ausverkauften Semperoper, wo Lang Lang am Sonntagnachmittag auf Einladung der Sächsischen Staatskapelle gastierte, war es durchaus bemerkenswert, dass sich jeglicher Rummel beim mit Blitzlicht-Cams bewaffneten Publikum abspielte, nicht aber auf der Bühne. Dort hieß die Maxime: klassisches Klavierrecital, und der fast bedächtige Auftritt des freundlich in die Runde lächelnden Pianisten schien zu sagen: "Ich spiele doch nur Klavier". Die Programmauswahl vermied spätromantisches Donnerwerk - auch die Etüden von Frédéric Chopin taugen nur bedingt zu extrovertierten Schelmereien.
Lang Lang begann mit Bach, die erste Partita B-Dur interpretierte er mit leichter und klarer Gestaltung in den schnellen Sätzen und mit manchmal grenzwertiger Gefühlsbeladung in den langsamen. Lang Lang suchte oft zwischen staunender Detailverliebtheit und schnurrender Technik-Demonstration einen Ausgleich zu finden. Manchmal fehlte dabei aber Tiefgang und Übersicht - genau dies war die Hauptproblematik der Interpretation der B-Dur-Sonate von Franz Schubert, deren nachdenklich-verabschiedende Grundstimmung, erhabene Räumlichkeit und formale Eigenwilligkeit Pianisten vor große Aufgaben stellen. Dem kompletten ersten Satz widmete Lang Lang ein Piano, das oft verhangen und nebulös wirkte. Ist die Themengestaltung und Form bei Schubert ohnehin schon komplex angelegt, so verstrickt sich Lang Lang derart in eine Mystifizierung der Noten, dass nach dem fast zum Stillstand gelangenden 2. Satz Scherzo und Finale aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Hier gerät das Spiel von Lang Lang konventionell, mit Härte im Finale und einer phantasievollen Verspieltheit im Scherzo. Antworten auf den Problemfall Schubert gibt uns Lang Lang nicht mit, aber zumindest eine Menge Material zum Nachdenken.
Nach der Pause dann Chopin - hier ist der Pianist hörbar "zu Hause" und hat im Spiel dieser Werke einen unbestreitbaren Reifegrad erlangt. Die Etüden Opus 25 gerieten zu einer wahren Demonstration von Können, Spielfreude, Flexibilität und vor allem rhythmischer Sorgfalt. Und dass auch ein Lang Lang zwischen den Etüden eine Zäsur braucht und nach der elften Etüde einmal heftig ausatmet - es zeigt uns, dass der "Star" auch nur ein Mensch ist. Standing Ovations, eine sanfte Romanze von Liszt als Zugabe, dann war dieses Recital ganz starallürenlos vorbei.
Ensemble Meitar gastierte im "Global Ear"-Konzert
Die "Global Ear"-Konzertreihe, sonst im Societaetstheater beheimatet, zog für ihr aktuelles Projekt in den Veranstaltungssaal der Synagoge Dresden, und das aus gutem Grund - Israel hieß der Zielort der musikalischen Reise. Obwohl kurzfristig anberaumt, war das Konzert am Mittwoch gut besucht. Dirigent Lennart Dohms wies zu Beginn auf die Besonderheiten des Konzertes hin. Terminlich lag das Konzert noch nahe am Dresdner Gedenktag, wies aber in der Spezifik, israelische Komponisten der Gegenwart aufzuführen, in die lebendigen, aktuellen Zeitläufte. Gleichzeitig war mit dem
"Ensemble Meitar" nicht nur ein führendes israelisches Ensemble zu Gast, das Dresdner Ensemble
"El Perro Andaluz" führte ebenfalls ein Werk aus Israel auf, und für ein größer besetztes Ensemblewerk vereinigten sich die beiden Ensembles sogar.
Damit wird eine selbstverständliche, offene Partnerschaft innerhalb der Kunst gelebt, die ausstrahlen sollte. Noch dazu trug das Global-Ear-Konzert dazu bei, dass zumindest ein kleiner Ausschnitt der hierzulande kaum bekannten Neue-Musik-Szene in Israel klingend dokumentiert wurde. Das Wirken des "Vaters" der zeitgenössischen Musik in Israel, Josef Tal (1910-2008), hat Voraussetzungen geschaffen für eine hochqualifizierte Musikszene.
Die fünf im Konzert präsentierten Stücke stammten von Komponisten unterschiedlicher Generationen, waren aber alle in den letzten vier Jahren entstanden. Hadas Pe'erys "Quartet" atmete noch den Charakter einer Studie in der Konzentration auf wenige durch die Stimmen wandernde Klangeffekte. Hana Ajashvilis "Colour Games" untersuchte Bezüge zwischen Farben und Tönen, hier war das Klangspektrum schon ausgeweitet, vieles in diesem Quartett gut ausgehört. Wenig erfuhr man indes über die beteiligten Komponisten, von denen vier auch anwesend waren - Ayal Adler studierte in Jerusalem und Montreal und ist mittlerweile Composer in Residence des Ensembles. Sein Quintett aus dem Jahr 2009 war das vielleicht am schwierigsten zugängliche Werk, da Adler mit vielen unterschiedlichen Ebenen zwischen Statik und Bewegung arbeitet - Disparates steht gleichberechtigt nebeneinander und entfaltet oder zerstört Zusammenhang.
In Eitan Steinbergs "Cosmic Progressions in the Heart II" rückte schließlich traditionelle jüdische Musik erstmals in den Vordergrund, waren die anderen Werke doch sehr auch von europäischen oder amerikanischen Strömungen geprägt. Steinberg entwickelt mit wenigen Elementen enormen rhythmischen Drive ohne gänzlich in Popularmusik umzuschwenken. Das war spannend mitzuerleben, ebenso wie das Schlussstück "Do Bats eat Cats" (übrigens durch "Alice im Wunderland" inspieriert) von Ofer Pelz noch eine humorvolle Nuance in das Konzert brachte - sinnlich und spielerisch wirkten hier die Geräusche, die wahrlich eine klingende Märchenlandschaft hervorbrachten. "Global Ear" und den israelischen und deutschen Musikern gelang ein erhellendes Prisma durch die "Szene" der israelischen Musik, dafür dankte auch das Publikum mit offenen Ohren und Applaus.
Morton Feldmans Klaviertrio im elole-Konzert
Die Musik von Morton Feldman (1926-1987) ist anders. Was macht man mit Streichquartetten, die vier Stunden dauern? Mit Chorstücken, in denen sich ein Häuflein gehaltener Noten scheinbar "einfach" ausnimmt? Oder eben dieses Klaviertrio aus dem Jahr 1980, dessen 90minütige Spieldauer in einem Satz Interpreten wie Zuhörer gleichermaßen herausfordert, sich auf eine Reise in den Klang, in den Einzel-Ton zu begeben? Wer sich von Konventionen, Vergleichen, Althergebrachtem verabschiedet und offen für neue Klangerlebnisse ist, ist beim
elole-Trio gut aufgehoben, das damit schon zum zweiten Mal in diesem Jahr in Dresden konzertiert.
Die Messe als Aufführungsort ist neu im elole-Reisekalender, doch genau für solche außergewöhnlichen Ereignisse schien der moderne, verglaste Tagungsraum passend, auch in akustischer Hinsicht. Dass Feldmans Musik weder widerspruchsfrei in eine Minimalismus- noch Meditationsecke gestellt werden kann, demonstrierte elole mit zwei dem Konzert zugesellten Elementen - zum einen gab es da Computer, an denen die Zuhörer vor der eigentlichen Aufführung Modelle der Komposition selbst anordnen und wahrnehmen konnten, ein ungewöhnlich einfacher wie logischer Einstieg. Zum anderen musizierte elole das Trio gemeinsam mit dem Videokünstler Lillevan, selbst ein in der zeitgenössischen Musik höchst erfahrener Künstler. Auch dies erschien logisch und spannend angesichts der engen Verbindung, die Feldman zeitlebens zur bildenden Kunst pflegte. Die Aufführung war allerdings keinesfalls eine bebilderte Musik, vielmehr geriet das Trio durch die visuelle Komponente nun zum Quartett: eine weitere gleichberechtigte Stimme trat hinzu, die überdies in der Reduktion und Variation so nah an Feldmans Kompositionsprinzipien andockte, dass eine schillernde Harmonie aller Stimmen als Ergebnis hervortrat.
Diese allerdings kostet Kraft: den Interpreten stehen neunzig Minuten genaueste Partiturarbeit im stetigen akribisch ausnotierten Beinahe-Miteinander bevor, während der Zuhörer, gefangen in seinem eigenen Ohr, Versuche startet, wie diese Musik am besten wahrzunehmen sei. Es entstanden unterschiedliche Phasen der Konzentration - nach gut einer Stunde stellte ich sogar meine Sitzgelegenheit in Frage, nach weiteren fünfzehn Minuten fragte ich mich, ob ich noch in diesem Raum existiere oder nur die Musik eine Illusion sei. Am Ende bleibt es ein Experiment, Durchhänger und Jubel-Hören eingeschlossen, wenn man plötzlich entdeckt, mit welcher Schönheit ein einzelnes Pizzicato durch den Raum schwebt oder eine Phrase sich auspendelt ohne eine einzige Bedeutung als Ballast mitzuschleppen. Insofern, mit Abstand zur Darbietung, wirkte Feldmans Trio-Erlebnis als befreiendes visuelles und akustisches Ereignis, dessen Klarheit durch die Raum-Situation noch unterstrichen wurde.
Requiem "Dresden - Ode to Piece" in der Frauenkirche uraufgeführt
Unter großer Anteilnahme eines konzentriert die Darbietung verfolgenden Publikums ist am Sonnabend in der Frauenkirche Lera Auerbachs Requiem "Dresden - Ode an den Frieden" uraufgeführt worden. Das rund 75minütige Werk ist für Knabensoprane, Countertenor, Bariton, Kinder- und Männerchor sowie Orchester geschrieben - die einzige Frauenstimme führt somit die russisch-amerikanische Komponistin - in dieser Saison Capell-Compositrice der Sächsischen Staatskapelle Dresden - selbst.
Das Werk bot jedoch viele Schattierungen zwischen dunkelsten Bass-Grundierungen und hellem Knabensopran, der oft noch zusätzliches Licht durch Schlagzeug (Zimbeln und Flexaton) erhällt. Auerbachs Requiem ist nicht nur in Bezug auf die Klangfarben ein Werk der Kontraste, auch die Texte und die verwendeten musikalischen Mittel atmen durch das ganze Werk hindurch einen komplexen, dialektischen Anspruch. Es ist nicht nur ein Requiem für die Dresdner entstanden, das Werk versucht Welt-Religionen und Welt-Auffassungen innerhalb des liturgischen Requiem-Gerüstes zu verbinden. Fast alle Sätze vertonen Schrecken und Hoffnung fast immer in naher Nachbarschaft, so dass eine nicht völlig auspendelnde Spannung entsteht. Das irritiert an manchen Stellen, etwa wenn "Vater unser" oder "De profundis" in der Emotionalität schwankend geraten, stets alle Instrumente spielen, alles singt und tönt, aber nicht klar ist, wohin die Reise geht.
Auerbachs Sprache ist von viel traditioneller Melodik und Kontrapunktik geprägt, sie erreicht über eingängige Motive wie dem "Dresdner Amen" das Publikum. Oft ist ein spezifisch jüdischer Tonfall in Harmonik und Melodik einbezogen, der sich wie im "100. Psalm" natürlich und frei entfaltet. In der Nivellierung bestimmter Zeichen und Materialien lag aber auch eine Schwäche des Werkes, das bei so vielen guten Ideen eine Schärfung der musikalischen Aussage vertragen könnte; zu schemenhaft wirkten etwa das "Tuba Mirum" oder "Libera Me".
Stärker wiederum wirkte die archaisch-dunkle Vertonung des Gedichtes von Christian Lehnert, das auf der Friedensglocke der Frauenkirche eingraviert ist. Akustische Schwierigkeiten im Kirchenraum waren nicht zu beheben, die Parallelität von Sprachen und Religionen im Text war selten verständlich. Viele Texte reihten sich syllabisch vertont wie an einer Schnur auf, ein gesprochenes Wort oder ein Innehalten der Instrumente wurde da schon zum Ereignis. Ein nahe am Kitsch vorbeikomponiertes tonales "Amen" zur Einleitung des sanfte Hoffnung vermittelnden Schlusses fiel aus der Reihe, dies um so mehr, da als Folgesatz eine Engelsanrufung erfolgte, die in der Manier des Synagogalgesanges komponiert war und vom Knabenchor (Saint Thomas Boys Choir aus New York) und den Knabensolisten (Richard Pittsinger, Jack Keller) packend umgesetzt wurde.
Überhaupt sind die Leistungen der mutig agierenden Chöre (St. Paul's Cathedral Choir, Herren des Staatsopernchores Dresden) sowie der Solisten Maarten Engeltjes (Countertenor) und Mark Stone (Bariton) hoch zu schätzen. Vladimir Jurowski am Pult der Staatskapelle hatte jede Menge koordinierende Arbeit zu leisten - es braucht sicher noch einige Aufführungen, bis dieses Stück auch frei schwingt. In einigen Momenten des Loslassens, das Auerbach selbst als Teil des Kompositionsprozesses beschrieb, waren jedenfalls wunderbare Momente zu hören. Dort, wo das Requiem losgelöst von Botschaft und Denken plötzlich reiner Klang wurde, wirkte es stark nach - so auch in der Stille der Gedenkminute, zu der sich alle Anwesenden nach der Aufführung erhoben. Schön wäre es, das Werk erneut zu hören, ist es doch nun mit der Stadt und seiner Geschichte als ein musikalisches Geschenk der Hoffnung verbunden - dafür ist man Lera Auerbach und den Interpreten dankbar.
Philharmonisches Kammerorchester gestaltet Hommage an Stefan Frenkel
Man wäre gern dabei gewesen - bei den Konzerten, Ausstellungen und Zirkeln der 20er Jahre, in denen die Kunst diskutiert und hinterfragt wurde, schließlich umgestülpt und ad absurdum geführt wieder neue Freiheit genoss. Kreative Schübe und Aufbrüche vollzogen sich mit enormer Geschwindigkeit, und die Eilmeldungen und Premierenberichte waren auch ohne Facebook in aller Munde. Viele kleine und große musikalische Revolutionen von damals wirken bis in heutige Zeiten, anderes wurde schnell wieder vergessen oder abgelöst. Schließlich begrub ein grauenhafter Krieg und Genozid nicht nur die Hoffnungen auf eine freie Kunst, sondern löschte große Talente jäh aus oder zwang sie ins Exil.
Zur letzteren Gruppe gehört der Geiger Stefan Frenkel, der 1924 bis 1926 Erster Konzertmeister der Dresdner Philharmonie, die damals von Eduard Mörike (1877-1929) geleitet wurde. In dessen Amtszeit fallen viele Ur- und Erstaufführungen des Orchesters. Die Programme verabschiedeten sich vom bunten und abendfüllenden Potpourri-Stil der Kaiserzeit, und abseits des Orchesterpodiums fand man sich mit dem umtriebigen Komponisten und Veranstalter Paul Aron (auch diesen gilt es wiederzuentdecken) zu Aufführungen Neuer Musik zusammen, bei denen Paul Hindemith, das Kolisch-Quartett oder eben Stefan Frenkel neueste Kompositionen musizierten. Dass wir uns dieser Persönlichkeit erinnern dürfen, verdanken wir der aktuellen, höchst aktiven Musikergeneration in der Dresdner Philharmonie, die nicht duldet, dass bedeutende Schätze in den Archiven Patina ansetzen.
Dementsprechend kündigte Konzertmeister Wolfgang Hentrich das Konzert des Philharmonischen Kammerorchesters im Hygienemuseum als Auftakt zu einer Reihe "Dresdner Konzerte" an, die sich zukünftig dieser spannenden Historie widmen wird. Die Hommage an Stefan Frenkel bildete den Auftakt und konnte musialisch zumindest ein kleines Zeitfenster öffnen. Hentrich selbst stellte zwei Sätze aus der noch sehr traditionsverhafteten Sonate für Violine Solo von Frenkel vor, bevor seine Konzertmeisterkollegen Heike Janicke und Ralf-Carsten Brömsel ihren Amtsvorgänger würdigten.
Janicke spielte eine Vivaldi-Bearbeitung von Frenkel, die zwar ganz stilecht mit Klavierbegleitung aufgeführt wurde, genau dieses Instrument wurde mit geöffnetem Deckel zur Rückwand leider komplett akustisch verschluckt. Ansonsten verleugnete die Aufführung die aktuelle Aufführungspraxis nicht - es ist eher fraglich, ob Vivaldi damals so musiziert wurde. Frenkels "Kleine Suite" für Violine und Streichorchester offenbarte allerhand virtuose Schmankerl für den Solopart und befand sich im burlesken Hindemith-Stil am Puls der Zeit. Anders der Schreker-Schüler Karol Rathaus (1895-1954), der dem Dresdner Primarius eine Suite widmete: dieses von der Tonalität stark gelöste, expressive Werk wurde von Ralf-Carsten Brömsel und Andreas Hecker sehr ernsthaft und nuancenreich angegangen.
Dass man sich zum Schluss dieses anspruchsollen Programms für Ernest Blochs 1952 entstandenes Concerto Grosso Nr. 2 entschied, war sinnfällig für die Beschäftigung mit dieser Künstlergeneration - der emotional oft dunkle Unterton dieses in den USA entstandenen Werkes kündete mehr vom Ende und der Traurigkeit des Erlittenen denn von einem (nochmaligen) Neubeginn.
6. Kammerabend der Staatskapelle Dresden
Bemerkenswert an den Kammerabenden der Sächsischen Staatskapelle ist nicht nur die Programmvielfalt und der hohe Anspruch, den die Musiker immer an die Aufführungen stellen, sondern auch die kurzfristige Bekanntgabe der Programme. Damit bewahren die Musiker sich Flexibilität - den Zuhörern offenbart sich dadurch meist ein Schatzkästlein voller Überraschungen. Im 6. Kammerabend war es wohl der Kontrast, der vehement die Hauptrolle für sich beanspruchte.
Beim besten Willen war keine Verbindung zwischen den Stücken herzustellen und so freute man sich einfach darüber, wie vielgestaltig Kammermusik sein kann. Schön, dass wieder einmal ein komponierender Instrumentalist aus der Staatskapelle ein eigenes Werk vorstellen durfte. Diesmal war es der Stellvertretende Solokontrabassist Petr Popelka, der den Bass für diese Aufführung gegen das Klavier eintauschte. Sein Melodram "Der Geier" auf einen Text von Franz Kafka stand in guter Nachbarschaft zu ähnlichen Werken aus der Schönberg-Tradition. Das für Violine, Viola, Cello, Bass und Klavier instrumentierte Werk bevorzugte dem Text entsprechend düstere, tiefe Klangreviere. Robert Augustin (als Gast) deklamierte den Text zwar gut, aber die Tonverstärkung in den Saal war nicht glücklich gelöst. Popelkas Musik hingegen konnte die Hörer gut erreichen, da er mit plastischen, bekannten Idiomen arbeitete. Ob Kafka eine solche Klangumgebung verträgt, durfte jeder selbst für sich feststellen.
Anschließend - Schnitt - ging es nach Amerika. George Gershwins Oper "Porgy & Bess" war ein derartiger Welterfolg, dass nicht nur die Hits allerorten gesummt und gesungen wurden - man wollte die Melodien auch auf seinem eigenen Instrument spielen. Daraus erklären sich auch die Piècen, die der berühmte Geiger Jascha Heifetz aus der Oper transkribierte. Anja Krauß (Violine) stellte diese Goldstücke mit Jobst Schneiderat am Klavier vor, beide zeigten hierbei eine betont klassische Lesart, in der Schmelz und Pomp zugunsten von Genauigkeit und technischem Raffinement zurücktraten - so schummelte sich der Virtuose Heifetz ein ums andere Mal geschickt in den Vordergrund der Hörwahrnehmung.
Gespannt war man dann auf die Interpretation der großartigen "Gran Partita" von Wolfgang Amadeus Mozart, die ohnehin aufgrund ihrer fast orchestralen Bläserbesetzung selten zu hören ist. Unter Leitung von Helmut Branny musizierte eine hervorragend aufgelegte Bläsercombo der Staatskapelle das facettenreiche Stück, in welchem besonders das Adagio und der Variationensatz mit viel agogischem Feingefühl ausgestaltet waren. Virtuosität zeigte sich in den Menuetten und Ecksätzen so selbstverständlich und spielerisch, dass es ein reiner Genuss war. Für eine Fortsetzung desselben ist gesorgt, denn der 7. Kammerabend findet bereits am 2. Februar statt!
"elole"-Klaviertrio spielte im SGNM-Konzert im Kulturrathaus
Gleich zu Beginn des neuen Jahres machen zwei in Dresden sehr umtriebige Institutionen innerhalb der zeitgenössischen Musik auf sich aufmerksam und verbanden sich gleich in klingender Weise: als Veranstalter sorgt sich die "Sächsische Gesellschaft für Neue Musik" besonders um die aktuelle Musik lebender Komponisten, gleiches hat sich das Klaviertrio "elole" auf die Fahnen geschrieben. So war das Konzert am Sonntagabend im Kulturrathaus recht gut besucht, zieht man die Tatsache in Betracht, dass kein gespieltes Werk älter als vierzig Jahre war.
Uta-Maria Lempert (Violine), Matthias Lorenz (Cello) und Stefan Eder (Klavier) gruppierten diesmal zwei Dresdner Komponisten um gleich zwei Werke der in Bonn lebenden Komponistin
Charlotte Seither. So ergab sich eine Dramaturgie, die ein energetisches Zentrum aufwies und möglicherweise Prolog und Epilog dazugesellte. Diese These war auch gar nicht so abwegig, verglich man etwa die musikalischen Handschriften: Manfred Weiss' 2. Klaviertrio aus dem Jahr 1973 fusst auf dem Boden der Tradition. Mit klar erkennbaren Formen und Strukturen zu arbeiten, ist ein Markenzeichen des 1935 geborenen Komponisten - spannend waren in den beiden Sätzen die jeweiligen Sprengungen des Materials hin zu einer starken Emotionalität zu beobachten. Auf der anderen Seite, am Ende des Konzertes, erklang "al-gabr - Pfade und Wesen", ein Klaviertrio der 1973 geborenen Thuon Burtevitz, erst im letzten Jahr von "elole" uraufgeführt.
Hier hat derjenige Mühe zu folgen, der in den Repetitionen und Überlagerungen scheinbar nichtiger Gestalten Traditionelles entdecken will. Burtevitz erfand eine sehr eigene Musiksprache: ähnlich einer Ballwurfmaschine auf dem Tennisplatz wurden die Töne herausgeschleudert, standen zunächst beziehungslos als Ereignisse neben- und übereinander, wurden dann zu streng geformter Gestalt zueinander gesetzt, zusätzlich waren die Instrumente durch Verstimmung und Verfremdung in eine Art Schräglage versetzt. Ein einziger stehender Akkord ließ das Stück nach mehreren Sätzen regelrecht wegbrechen, statt zu beenden.
Charlotte Seithers Beiträge zur Gattung Klaviertrio standen da mit Recht genau in der Mitte, waren sie doch packende Beispiele für einen kritischen Umgang mit dem Genre, den Instrumenten, dem gefundenen Tonmaterial - sie verleugnen aber auch nie die Basis im langen Zeitband der Musikgeschichte. Sowohl in "Champlève" als auch in "Equal ways of difference", das elole zu seinem 10jährigen Jubiläum im Oktober 2011 uraufführte, überraschte eine sich im Verlauf der Stücke offenbarende Ordnung, die in einem ebenfalls in beiden Stücken zu findenden, sanften Abgesang reflektiert erschien. Was "elole" da in diesen vier Stücken für Klangwelten entblätterte, war in der Zusammenstellung wie in der Interpretation sehr überzeugend und wieder einmal ein guter Beweis, wie die intensive Aufmerksamkeit für die gegenwärtig entstehende Kunst ein packendes Konzerterlebnis erzeugen kann - dafür dankte auch das Publikum mit starkem Applaus.
Messiaen, Prokofjew und Strawinsky im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Drei Klassiker des 20. Jahrhundets - so wurde das 5. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle angekündigt und umschrieben. Das mag für Igor Strawinskys "Le Sacre du Printemps" auf jeden Fall zutreffen, doch im ersten Konzertteil ist die Titulierung allenfalls auf die Komponisten anzuwenden, nicht auf die Werke. Denn Olivier Messiaens sinfonische Meditation "Les Offrandes Oubliées" ("Die vergessenen Opfergaben") taucht dafür doch zu wenig in den Konzertprogrammen auf. Eine wirklich dramaturgische Motivation fehlte denn auch in diesem Konzert; dem Frühwerk des Franzosen kann man eigentlich nur gerecht werden, wenn man weitere Messiaen-Werke dazugesellt oder die religiöse Thematik im Rest des Konzertes intensiver beleuchtet.
So stand Messiaen diesmal in der unrühmlichen "Ouvertürenecke" des Sinfoniekonzertes und da gehört er wahrlich nicht hin, daran konnte Gastdirigent Yannick Nézet-Séguin, designierter Chefdirigent des Philadelphia Orchestra wenig ändern. Die Interpretation hätte zudem in den Eckteilen noch mehr Ruhe und Innigkeit vertragen, die Strahlkraft der Klangideen des Komponisten war im Ergebnis nicht beim Optimum angelangt.
Völlig unbeeindruckt von den Neuerungen junger Kollegen zeigte sich Sergej Prokofjew ein Jahr vor seiner Rückkehr in die Sowjetunion mit seinem 2. Violinkonzert derart traditionsbewusst, dass man sogar heute noch mit leichtem Schrecken vor manchen Banalitäten dieses Werkes steht. Doch das Geheimnis dieses Konzertes liegt im opulenten Solopart, dessen Vergoldung nur exzellenten Virtuosen zusteht. Dafür war im 5. Sinfoniekonzert die Holländerin Janine Jansen zuständig, längst den "jungen Talenten" entwachsen und weltweit für ihr charaktervolles, reifes und vielseitiges Spiel gelobt. Und sie legte Blattgold auf dieses Konzert, das ja schon mit einer kleinen Horrorsituation beginnt: Alleine anfangen, und dann auch noch mit dieser harmlosen Melodie! Jansen bewährte sich im Märchenerzählen, im Drama, im verinnerlichten Selbstgesang und im 3. Satz im von ihr rhythmisch an die Zügel genommenen hispanisierten Holzschuhtanz. Wunderbar legte sie einen Spannungsbogen über das ganze Werk, der sich auch auf das Orchester übertrug, das nur im ersten Satz etwas Probleme hatte, den richtigen Ton für dieses Werk zu finden - später gab es hier samtige Streicher und rassige Bläsereinwürfe zu bewundern.
Zum Finale gab es das - etwas verfrühte - Frühlingsopfer "Le Sacre du Printemps" von Igor Strawinsky zu Gehör, das in knapp 100 Jahren vom Skandalstück zum Publikumsliebling mutiert ist. Leider gab sich Yannick Nézet-Séguin hier zu sehr der Showtime hin, als dass wirklich eine spannungsgeladene Interpretation heraussprang. Wenn man dieses Stück nicht metrisch erdet (was übrigens auch jeder Tänzer tun würde, will er Ausdruck erzeugen), entstehen gefährlich unpräzise Passagen. Das war das Manko des kompletten ersten Teils, der schon in der (von den Bläsersolisten der Kapelle dennoch hervorragend ausmusizierten!) Einleitung schlicht zu schnell gedacht war und später oft sinnfrei nach vorne stürzte. Dadurch erhielt das Stück nicht die nötige Intensität und Wucht, die möglich gewesen wäre. Auch der zweite Teil wog das nicht mehr auf, dem in seinen langsamen Teilen eine zielgerichtete Grundspannung fehlte. Hier wäre Nézet-Séguin künftig ein wenig mehr gelassene Coolness zu wünschen - das Werk beherrscht er zweifelsfrei.