Rezensionen
"Les Fleurs du Mal" von Klaus Schedl bei den Tonlagen Hellerau
Nach der festlichen Eröffnung des "Tonlagen"-Festivals im Festspielhaus Hellerau war der zweite Konzertabend augenscheinlich einem "leisen" Genre gewidmet - ein Liedzyklus war angekündigt. Doch weder huldigte man dem klassischen Genre des Klavierliedes noch war mit Charles Baudelaires "Les Fleurs du Mal" (1857-1868) eine sinnlich-romantische Vorlage gegeben. Wer den etwas lobhudelnden Programmtext im Voraus gelesen hatte, war auf "beherzte Musiker" und "fragile Apokalypsen" vorbereitet. Der in München lebende Komponist Klaus Schedl (geb. 1966) hat insgesamt sieben Gedichte Baudelaires vertont und diese Musik in die Hände des von ihm 1993 gegründeten Münchner Ensembles "piano possibile" gegeben.
Damit standen ihm kundige Instrumentalisten zur Verfügung, die weder Komplexität noch Innovation scheuen und in den sieben Liedern eine Interpretation formten, die für die Zuhörer vor allem nach einem Berg Arbeit aussah. Denn so eifrig sich die fünf Musiker und zwei Vokalisten auch mühten, der Anspruch, dass "der Gehalt, nicht die Worte" vertont würden, teilte sich in den 70minütigen Tiraden aus dichter zeitgenössischer Musik vermischt mit Live-Elektronik, Noise- und Punkelementen kaum mit. Baudelaire wurde so im Gesamteindrück wirklich auf das Böse, auf Schmutz, Schmerz und Ennui reduziert. Damit tut man aber dem Dichter keinen Gefallen und dem Publikum auch nicht, zumal die Darbietung von piano possibile in der klassischen Frontalanordnung mit hübschen blauen und roten Scheinwerfern in krassem Gegensatz zum bruitistischen Ansatz des Komponisten stand.
Auch die Interpretation ließ an einigen Stellen Wünsche offen: die beiden Vokalisten Sascha Friedl und Mafalda de Lemos konnten die erforderliche Bandbreite und Intensität des Ausdrucks stimmlich nicht befriedigend umsetzen; Schedls Schnitte und Zerstückelungen der Gedichte führten auch mehrfach zur Auslöschung von lyrischen Momenten, die als Chance in Rezitation oder Wortvertonung bestanden hätten. Daher blieben wenige kreative Augenblicke des Staunens als positiver Eindruck, dann nämlich, wenn Hass, Wut und Tränen eben keine musikalische Entsprechung als Gewaltausdruck im Lärmen fanden, sondern sich einzelne Töne und Geräusche verästelten oder verebbten.
Dass schließlich auch der bewusste Umgang mit musikalischer Zeit eine andere Ebene hervorgebracht hätte als das vertikale Vernieten von Geräuschphasen wäre der letzte Wunsch an diesen Liederzyklus gewesen, dann wäre auch Baudelaire in seiner ganzen Pracht des Höllengesangs wieder zum Vorschein gekommen.
(3.10.)
1. Kammerkonzert der Dresdner Philharmonie mit dem "Freien Ensemble Dresden"
Im elften Jahr seines Bestehens eröffnete das "Freie Ensemble Dresden" den Reigen der Kammerkonzerte der Dresdner Philharmonie auf Schloss Albrechtsberg. Das vom Cellisten Daniel Thiele geleitete Ensemble ist nicht nur "frei" in seiner oft außergewöhnlichen Werkauswahl, es läßt auch interessante, gemischte Kammermusikbesetzungen zu. Da die meisten Musiker der Dresdner Philharmonie angehören und das Ensemble schon auf eine reiche Konzerttätigkeit zurückblickt, dürfen sich die Zuhörer immer auf kompetente Darbietungen freuen. So war es auch am Mittwoch, als das Ensemble Klarinettentrios von der Klassik bis zur Gegenwart vorstellte.
Mit Werken von Beethoven, Bruch, Lischka und Zemlinsky war hier ein üppiges Programm angekündigt, doch die drei Musiker Fabian Dirr (Klarinette), Daniel Thiele (Cello) und Christoph Berner (Klavier) bewältigten die anspruchsvollen Stücke nicht mit äußerlicher Anstrengung, sondern mit auf gegenseitigem Verständnis beruhender Leichtigkeit. Den Beinamen "Gassenhauer" des Trios B-Dur Opus 11 von Ludwig van Beethoven strafte das Ensemble gleich Lügen, indem es vor allem die Schönheiten der ersten beiden Sätze bloßlegte: einem harmonisch bemerkenswerten Auftakt folgt einer der schönsten langsamen Sätze für diese Besetzung überhaupt, das machte die innige Interpretation klar. Der "Gassenhauer" selbst im Finale entpuppt sich als ökonomisch komponierter Variationssatz, der beim Freien Ensemble Klarheit und Musizierwitz vereinigte.
In den folgenden Stücken für Klarinettentrio aus Opus 83 von Max Bruch kam es hingegen auf große Bögen und die zu schaffenden Bilderwelten der Romantik an, hier beeindruckte vor allem die geschmackvolle "Rumänische Melodie", während der abschließende "Nachtgesang" wirklich zur reinsten Entspannung geriet. Der Dresdner Komponist Rainer Lischka hat für das Ensemble 2010 ein "Tritonus-Trio" komponiert, das im April dieses Jahres uraufgeführt wurde. Unabhängig vom sachlich formulierten Titel des Werkes bewegt sich das vorsichtig beginnende Stück schnell in Sphären von Jazz und Blues und formt dabei virtuos-dichte Höhepunkte, die an Bernsteins übermütigste Jahre erinnern. Faszinierend gerät, wie Lischka auf intelligente Weise Konzertmusik und improvisatorisch anmutende Lockerheit eines Jazz-Satzes verbindet; die Darbietung des Werkes gelang auf höchstem Niveau.
Nach der Pause war das Trio d-Moll von Alexander Zemlinsky eine Entdeckung, die Hörer und Spieler gleichermaßen forderte: allen drei Sätzen war eine immer wieder mal emphatisch, mal tragisch herausbrechende Leidenschaft zu eigen, die Dirr, Thiele und Berner jedoch stets mit ruhig atmendem Puls zu formen wussten. Solch kundige Interpretation wurde vom Publikum beglückwünscht und fand ihren Abschluss in einer Zugabe, einem weiteren, sehr kantablen Stück von Max Bruch.
(2.10.11)
Dresdner Sinfoniker eröffnen mit "Cinema Jenin" das Tonlagen-Festival
Wenn Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker, auf der Suche nach neuen Klängen durch die Welt reist, bleibt er selten lange allein. Zu sehr interessiert er sich für die Kultur, das Leben und vor allem die Musik in den betreffenden Ländern, sei es Tadschikistan, Ost-Anatolien oder Palästina. Aus den vielfältigen Kontakten entstehen Ideen und Visionen; manche müssen über Jahre wachsen und reifen, um Weltkulturen, Meinungen und auch die Finanzierung zusammenzubringen und Hindernisse à la "Markus, das ist doch völlig unmöglich" im Handstreich aus dem Weg zu räumen. Wer im letzten Jahr die anatolische Reise "Hasretim" der Dresdner Sinfoniker bei den Tonlagen Hellerau besuchen konnte, hat ein tiefgehendes Musikerlebnis, Musikverständnis aus Anatolien mitnehmen können.
In diesem Jahr wird das Tonlagen Festival mit einem neuen Projekt des experimentierfreudigen Ensembles eröffnet. Diesmal wenden sich die Sinfoniker Palästina zu, genauer: der Stadt Jenin im Westjordanland. Der persische Komponist und Kamancheh- (ein iranisches Streichinstrument) Virtuose Kayhan Kalhor schrieb als Auftragswerk für die Sinfoniker und den Dirigenten Andrea Molino "Cinema Jenin - A Symphony" - eine konzertante Hommage an das weltweit bekannt gewordene Kino in Palästina. Das neue Werk wird er mit dem Orchester und mit vier weiteren Solisten aus dem Iran, Ägypten, Israel und den USA zur Uraufführung bringen.
Weltbekannt wurde die Stadt Jenin durch das Schicksal Ismael Khatibs, der 2005 die Organe seines von israelischen Soldaten getöteten 11jährigen Sohnes Ahmed an israelische Kinder spendete. Diese großartige Geste der Versöhnung bildete nur drei Jahre später den Ursprung für den Wiederaufbau des Kinos in Jenin, das seit der ersten Intifada 1987 geschlossen und dem Verfall preisgegeben war. Rindt lernte den Dokumentarfilmer Marcus Vetter in Jenin kennen, der Khatibs Geschichte preisgekrönt verfilmt hatte und mit ihm das Kino wieder zum Leben erweckte. Gemeinsam mit Vetter und dem Produzenten Ben Deiß wurde die Idee geboren, die Geschichte des Kinos auch musikalisch zu begleiten und Musiker aus der Region dafür zu begeistern - zu Kayhan Kalhors Musik werden nun Szenen aus Marcus Vetters gerade entstehenden Dokumentarfilm „Cinema Jenin“ gezeigt.
Ein weiteres Werk Kalhors, "Silent City" wird darüber hinaus in einer speziell für die Sinfoniker entstandenen Version uraufgeführt - besonders spannend wird zu erleben sein, wie sich die Musiker hier mit der traditionellen persischen Musik, die ganz eigene Regeln und Skalen kennt, auseinandersetzen werden. Bereits um 18 Uhr können die Konzertbesucher im Festspielhaus den preisgekrönten Dokumentarfilm „Das Herz von Jenin“ von Marcus Vetter sehen.
-- Rezension des Konzertes: --
Heimkommen in der Musik
"Cinema Jenin - A Symphony" zur Eröffnung des "Tonlagen"-Festivals in Hellerau uraufgeführt
Der dritte Jahrgang des "Tonlagen"-Festivals in Hellerau wurde am Sonnabend mit einem Konzert der Dresdner Sinfoniker eröffnet. Zuvor wiesen Intendant Dieter Jaenicke und Bürgermeister Ralf Lunau in ihren Reden auf mehrere feierwürdige Jubiläen hin, die mit dem diesjährigen Festival verbunden sind: der 100. Geburtstag des Festspielhauses etwa, dessen Fassade zwei Tage vor der Festivaleröffnung fertiggestellt wurde. Neben der behutsamen denkmalpflegerischen Restaurierung ist nun auch wieder das Yin-und-Yang-Symbol im Giebel zu bestaunen. Außerdem finden - nach alter Zählung - die nunmehr 25. Tage der zeitgenössischen Musik statt, die 1987 von Prof. Udo Zimmermann begründet wurden und fundamental zur Entwicklung des Kunstortes Hellerau beigetragen haben. Schließlich werden die "Tonlagen" in diesem Jahr den Minimal-Komponisten Steve Reich ehren, der dieser Tage seinen 75. Geburtstag feiert.
Viele freudige Anlässe also, doch der musikalische Eröffnungsbeitrag geriet ernst, bewegend und auch politisch. Damit wurde ein Gegenzeichen gesetzt zur Unbekümmernis, in der die Musik der letzten Jahre sich zwar oft parallel, aber selten Position beziehend zu gesellschaftlichen und politischen Realitäten verhält. Die Sinfoniker lassen es selten dabei bewenden, die Welt lediglich musikalisch abzubilden, immer auch verbinden sich Botschaften, Visionen oder Experimente damit. In Zusammenarbeit mit dem Dokumentarfilmer Marcus Vetter, dem arabischen Kamancheh-Spieler und Komponisten Kayhan Kalhor und dem Produzenten Ben Deiß wurde die Musik zum Film "Cinema Jenin" entwickelt. Das seit der Intifada 1987 verwaiste Kino im Westjordanland wurde von Vetter und Ismael Khatib unter großen Mühen wiederaufgebaut und 2010 eröffnet. Der Film zeigt nicht nur den Wiederaufbau und den komplexen Hintergrund dieses Projekts, sondern macht die besondere Position des Kinos in der von Krieg und Attentaten gebeutelten Stadt im Westjordanland deutlich. Keinesfalls geriet die Kino-Eröffnung zum Triumph, denn bei Vorführungen wurde über das Tragen von Waffen und die Bedeutung von Frieden und Freiheit intensiv debattiert. Doch damit manifestierte sich gleichzeitig der humanistische Akt des Wiederaufbaus: wo Menschen wieder miteinander reden, ist auch Frieden, ist Kultur möglich. Insofern geriet die Präsentation des Films gemeinsam mit der faszinierenden Musik von Kalhor zu einem tief bewegenden Erlebnis. Fast schon symbolisch wirkte da, dass der noch nicht ganz fertiggestellte Film von Vetter nur in Ausschnitten zu sehen war - das Unfertige, Unruhige der Region wurde so gleich noch einmal gespiegelt.
Wahre Beruhigung, eine Art Heimkommen im Klang strahlte indes Kalhors Musik aus. Mit Shane Shanahan (Percussion), Kamil Shajrawi (Oud), Sa'ad Mohamed Hassan (arabische Violine) und Ali Bahrami (Bass-Santour) war ein internationales Solistenensemble beteiligt. Die in Streicherbesetzung spielenden Sinfoniker agierten in dieser Partitur mehr als Background für die Stimmungen, die die Solisten mit virtuosen Arabesken auslösten. Dirigent Andrea Molino hatte zuvor schon "Silent City" von Kayhan Kalhor geleitet, ein Werk, dass im Gedenken an ein Kurdenmassaker an der iranisch-irakischen Grenze geschrieben wurde und eindrücklich Trauer und Hoffnung in einem Stück verband. Dabei waren die Sinfoniker auch in ihrem Improvisationstalent gefragt, denn zwei Drittel des Stückes wurden "live" in den Proben ohne Noten erarbeitet. Mit dem letzten Akkord des beschwingten Schlusstanzes dieses Werks versagte Molino, der ohnehin mit ganzem Körpereinsatz dirigierte, das linke Bein seinen Dienst - doch er konnte "Cinema Jenin" nach der Pause sitzend, doch gleichwertig beseelt, interpretieren. Dafür dankte ihm das Publikum besonders herzlich, wie überhaupt der ganze Abend zu einem nachdrücklichen Erlebnis geriet.
(2.10.11)
Zwei Uraufführungen bei "Rhythmik 100 Hellerau"
Es gibt Grund zum Feiern: genau 100 Jahre sind seit der Grundsteinlegung im Festspielhaus Hellerau vergangen, seitdem hat das Haus eine wechselvolle Geschichte erfahren. Seit dem Ende der DDR, der Restaurierung des Hauses selbst und dem Einzug des Europäischen Zentrums der Künste lebt der schöpferische Geist der Anfangsjahre im Haus wieder auf: Tanz, Musik und Bühne haben in vielfältigen Formen Einzug gehalten - Hellerau gilt heute international als Spielort und Labor der Moderne. Indes weist das seit zehn Jahren aktive Institut für Rhythmik Hellerau e. V. auf die revolutionäre Bewegung der ersten Jahre zurück: der Schweizer Komponist und Musikpädagoge Émile Jaques-Dalcroze installierte 1911 schon auf der Baustelle in Hellerau sein rhythmisch-gymnastisches Bildungsinstitut und leistete Pionierarbeit mit über 500 Schülern.
Grund genug, nach 100 Jahren mit der Internationalen Werkstatt "Rhythmik 100 Hellerau" zurückzublicken, aber auch einen Einblick in die Gegenwart zu geben und in Symposien, Workshops und Aufführungen Rhythmik lebendig erlebbar zu machen. Am Donnerstagabend erlebten unter großer Beteiligung der Teilnehmer gleich zwei neue Werke ihre Uraufführung, die in einem sehr straffen Probenprozess zuvor in Hellerau erarbeitet wurden:
Der Berliner Komponist Dieter Schnebel (*1930) scheint für ein Rhythmik-Projekt an diesem Ort geradezu prädestiniert, setzt er sich doch seit Jahrzehnten mit den Klang-Möglichkeiten von Stimme und Körper schöpferisch auseinander. So erschien "Sprechende Körper. Körper-Sprache" eben nicht als musikalisches Werk, sondern vor allem als optische, offene Partitur. Der Interpret mit allen seinen Möglichkeiten der Bewegung und Klangerzeugung wirkt als Instrument, als "Äußerer" von zu schaffender Sprache. In der Fassung mit acht Darstellern, behutsam von Annette Jahns und Christian Kesten (Regie) geführt, gelang hier ein fast meditativ bewegtes Bild, in welchem auch Steigerungen und Exzesse kontrolliert und spielerisch, aber eben nicht verspielt wirkten.
Dem gegenüber bildete Manos Tsangaris (*1956) "Vivarium - Reisen, Kochen, Zoo..." für Bewegung im Raum, Stimmen, Instrumente und Licht den denkbar größten Kontrast zu Schnebels Laboratorium. Tsangaris rhythmische Wirklichkeit ist eine gegenwärtige, von Umwelt, Menschen, Natur und Zeitfluss stark beeinflusste Welt, die bisweilen chaotisch wirkt und offenbar auch sozialkritische Fragen stellen möchte. Vieles bleibt hier als plötzliche Szene im Raum stehen, und es stellt sich angesichts von Kochutensilien-Kanons schneller die Sinnfrage als bei Schnebels von vornherein in der Abstraktion verbleibenden Körper-Arbeit. Manchmal kippt so bei Tsangaris komponierter Kitsch und Performance in eine bedenkliche Extrovertiertheit, seltsam unscharf bleibt der musikalische Anteil aus wenigen Solostimmen und Instrumenten. Unbestritten ist die hervorragende Leistung der zahlreichen Teilnehmer zu würdigen: den Rhythmikern (mit Gruppen aus der Schweiz und Taiwan), dem Ensemble "El Perro Andaluz" unter Leitung von Lennart Dohms sowie Goldfisch, Hunden und echten und falschen Paparazzi aus dem Publikum.
Als Auftakt für die 11. Rhythmikwerkstatt waren diese beiden Uraufführungen gut dazu geeignet, auch für ungeübte Zuhörer einen frischen Zugang zur Rhythmik zu bekommen, gleichzeitig den Umgang von Komponisten und Darstellern mit Sprache, Körper und Raum zu erfahren und vielleicht auch, wieder etwas vom künstlerischen Geist zu atmen, der bereits 1911 das Festspielhaus durchwehte und von dort in alle Welt getragen wurde.
1. Aufführungsabend der Staatskapelle mit Werken von Auerbach und Beethoven
Frische Klänge dringen dieser Tage aus dem Semperbau, denn die Musiker der Sächsischen Staatskapelle Dresden starten ebenso wie das Gesangsensemble und das Ballett in die neue Konzertsaison. Das Orchester war zum ersten Mal am Mittwoch im 1. Aufführungsabend zu erleben. Die Aufführungsabende gehören zur vom Orchester selbst veranstalteten Kammermusik und ergänzen die großen Sinfoniekonzerte um spannende, kleiner besetzte Entdeckungen des Repertoires, musiziert unter Beteiligung von Solisten aus dem Orchester und jungen Dirigiertalenten. So war auch es auch in diesem Konzert. Der erst 22jährige usbekische Dirigent Aziz Shokhakimov hatte zunächst die besondere Aufgabe, dem Publikum ein Werk der neuen Capell-Compositrice Lera Auerbach vorzustellen: Die 37jährige russisch-amerikanische Komponistin weist eine rasante Biographie auf, schrieb im Alter von 12 Jahren ihre erste Oper und man nimmt wahr, oft die Worte "Karriere" oder "Erfolg" mit ihr in Verbindung zu lesen, was für Komponisten allerdings selten als Erklärung für Meisterschaft herhalten sollte.
Auerbach, die bald drei neue Auftragswerke in Kapell-Konzerten vorstellen wird, führte sich mit den 2005 entstandenen "Dialogues on Stabat Mater" ein. Das Werk ist eine instrumentale Übertragung des berühmten geistlichen Werkes von Giovanni Battista Pergolesi zu einer Art Concerto Grosso. Leider blieb der Eindruck blass, zuweilen sogar verstörend. Das Original hätte mehr fasziniert, denn Auerbach verwischte und bearbeitete lediglich einige Kadenzen und Sequenzen, fügte hier und da dramatisch scheinende Cluster und ein solistisches Stimmungs-Vibraphon hinzu, während Solo-Violine und Viola mal die Gesangspartien ersetzten, mal die Sequenzen dramatisierten. Diese instrumentale Aufhübschung traf sicher den Publikumsgeschmack, war aber von einer intensiven, zeitgenössischen Äußerung einer im Stil auch wahrzunehmenden Komponistenstimme (wie es unlängst Isabel Mundry mit den eindrucksvollen "Scandello-Verwehungen" gelang) meilenweit entfernt. Eine Neukomposition eines "Stabat Mater" hätte vermutlich andere Ergebnisse hervorgebracht als diese simplen Schmerzbilder, die die Komponistin hier unter Hinzufügung einiger Dissonanzen einarbeitete.
Shokhakimov, die Solisten Jörg Faßmann, Sebastian Herberg und Christian Langer und das Orchester setzten sich sehr engagiert für das Stück ein, allerdings stellte die oft romantisiert aufgeladene Interpretation ein weiteres Problem zwischen den Zeiten dar. Es wäre schade, wenn die Partnerschaft mit dem KlangNetz Dresden, die die Einrichtung des Capell-Compositeurs begründete, nun mit dem Schielen nach der bequemen Quote ausliefe, anstelle mit Mut zur Auseinandersetzung gewichtigen Komponistenstimmen der Gegenwart ein Podium zu bieten.
Nach der Pause leitete Aziz Shokhakimov die 1. Sinfonie C-Dur von Ludwig van Beethoven und unterstrich mit selbstbewusster und gewitzter Interpretation sein Talent. Der 1. Satz war nach schöner Einleitung transparent und munter musiziert, das Andante gelang sorgfältig. Scherzo und Finale waren von rasanter Lesart, doch Shokhakimov konnte sich der jederzeit auf den Punkt musizierenden Kapelle gewiss sein. So entstand ein feuriges Spiel mit zahlreichen nach Mannheim grüßenden "Raketen" im letzten Satz - Shokhakimov wurde dafür mit Recht vom Publikum gefeiert.
(27.8.11)
Im Sommer gab es eine kleine Pause - auch mangels Neuerscheinungen, die aber nun gleich stapelweise kommen. Und voilá, une pianiste superbe:
2010 war sie schon für mich sozusagen die "Überraschung des Tages", als sie bei einem Konzert des Moritzburg Festivals im Schumann Klavierquartett gastierte, und man will ständig mehr hören von dieser gerade einma 23jährigen Künstlerin. Allerdings tourt sie auch ordentlich herum und hat ein beängstigend breites Repertoire, gerade gastiert sie mit Beethovens 4. Klavierkonzert in Ludwigshafen. Leider ist ihre
Website derzeit eine Baustelle. Aber auch auf facebook und twitter ist sie fleißig unterwegs und versorgt ihre Fangemeinde mit Neuigkeiten.
Nachdem sie 2009 noch mit Luisi das (in dieser Lesart ungewohnt breitwandige) 2. Chopin-Konzert und Balladen veröffentlichte, haben wir nun Liszt vor uns - was auch sonst. Bevor ich aber nun sinniere, ob der Wert des Komponisten relativ gesehen zur Anzahl der auf den Markt geworfenen Scheiben mit seiner Musik sinkt, lobe ich lieber diese CD. Lise legt die Platte auf Kontrast an, wagt es gar, die intimsten Liedbearbeitungen neben Dante-Sonate und Mazeppa zu legen - man muss ja schließlich auch einmal durchatmen, nachdem Frau de la Salle den Steinway offenbar mit einem Donnerspeer bearbeitet hat. Sicher: die sportlichen Zuhörer greifen lieber zu Volodos und Kissin, aber darum geht es auch gar nicht. Möchten wir nicht die Stücke erzählt bekommen, wollen wir nicht das spezifische Temperament der Pianistin erfassen können? Wollen wir gar überrascht und gepackt werden? Dann sind wir bei Lise de la Salle perfekt aufgehoben.
Wenn in "Nuages gris" dann noch dieser Schuß französischer Sanftmut hineingerät, sind wir vollkommen glücklich... Ach, Liszt, ein schlechter, langweiliger Komponist? Das steht und fällt, sieht man hier wieder deutlich, mit dem, der sich seiner Musik nähert. Und nähern will.
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Lise de la Salle bei facebook
Außerdem hörenswert:
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Björk - Biophilia -- ein bißchen Geduld brauchen wir noch, bis die CD am 7.10. erscheint. Trotzdem heute schon die Vorfreude, denn dann könnte die Geschichte der Sicht auf unsere Welt zumindest um ein kleines musikalisches Meisterwerk bereichert sein...
* Ich erwähnte schon oben das
Moritzburg Festival. So frisch wie her Jahr für Jahr Kammermusik zelebriert wird, könnte Kult daraus entstehen. Noch nicht überzeugt? Forelle hören! ->
Jan Vogler - Sony - Forellenquintett
* ein "neuer" Rattle bei EMI? nunja, zumindest eine
Schönberg-Platte, wenngleich die Hälfte von der Orchestration des Brahms-Klavierquartettes eingenommen wird. Trotzdem ein tolles Stück, ebenso wie die hier (leider) in großer Besetzung umgesetzte 1. Kammermusik und die Lichtspielszene. Nach dem zweiten Hören bin ich aber dennoch etwas entsetzt von einem durchweg aufrechterhaltenen sämigen Gesamtklang, der die CD leider höhepunktsarm erscheinen läßt.
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Bon Iver - Bon Iver: Hoppla, die Alternative (ich hasse Genres...) - Entdeckung des Monats. Beim Einsortieren in den Laden wird es hier wirklich schwierig. Folk trifft Einsamkeit, satter Bandsound trifft Ohrwurmkunst... Anhören. Überraschen lassen.
Gustav-Mahler-Jugendorchester gastierte unter Sir Colin Davis in der Semperoper
Es ist schon eine ganz kleine, feine Tradition geworden: bereits zum dritten Mal eröffnete das Gustav-Mahler-Jugendorchester mit einem spätsommerlichen Gastspiel in der Semperoper die neue Konzertsaison der Sächsischen Staatskapelle. Wohl müssen wir uns noch zwei Wochen bis zum 1. Sinfoniekonzert unter Leitung von Christian Thielemann gedulden, doch der Auftritt des Gustav-Mahler-Jugendorchesters war weit mehr als ein Appetithappen.
Schließlich stand mit Sir Colin Davis kein Geringerer als der Ehrendirigent der Staatskapelle am Pult, der das Jugendorchester nun zum zweiten Mal nach 2008 während seiner Sommertournee leitete. Die Zuhörer konnten sich bei dem Genuss eines abwechslungsreichen Programmes, das einen Bogen von Tschaikowsky über Ravel zu Strawinsky spannte, von der hohen Qualität des europäischen Instrumentalistennachwuchses überzeugen - viele ehemalige Mitglieder des Jugendorchesters spielen heute in den großen Orchestern in aller Welt, einige auch in Dresdner Orchestern.
Doch auch wenn in diesem, zweifellos einem der besten Jugendorchester Europas ein atemberaubend hohes technisches Niveau zu beobachten ist, die halbjährlichen Projektphasen dienen eben nicht nur dem professionellen Erarbeiten großer Konzertliteratur, sondern bieten auch das Erlebnis, in den Konzertzentren Europas unvergessliche musikalische Augenblicke mitzugestalten.
Ein solcher wurde den Zuhörern beim Dresdner Konzert ausgerechnet im leisesten, intimsten Stück des Abends geschenkt, nämlich in Maurice Ravels Liederzyklus "Shéhérazade". Was Sir Colin hier vor allem im zweiten und dritten Satz in enger Partnerschaft mit der herausragenden amerikanischen Mezzosopranistin Susan Graham an seidigem Klang aus dem Orchester hervorzauberte, war einzigartig. Man hatte das Gefühl, der Entstehung eines pastellenen Gemäldes beizuwohnen, und das auch noch in völlig entschleunigter Zeit. Grahams tolle Stimmführung kannte daher auch keine Grenzen in der poetischen Ausdeutung des Textes, und das Orchester folgte mit hervorragendem Piano und feinster Klanggestaltung.
Dass ausgerechnet diesem Werk nach der Pause eine der offenherzig lautesten Sinfonien der russischen Spätromatik folgte, war der Farbigkeit des Programms geschuldet und stellte kein Problem dar. Die jungen Musiker zeigten sich bei der 4. Sinfonie f-Moll von Peter Tschaikowsky hoch-, aber niemals übermotiviert und konnten auch in der thematischen Gestaltung brillieren. Im Pizzicato-Scherzo ließ Davis den mächtigen Streicherapparat ganz allein musizieren - das muntere Räderwerk der 74 Saiteninstrumente lief wie am Schnürchen. Im Andantino wurde flüssig und ohne Leidenspathos musiziert, in den Ecksätzen war ordentlich Pomp, aber auch staunenswerte Präzision aufgefahren - das führte zu großem Beifall am Konzertende.
Allerdings hatte das offenbar noch halb im Urlaub befindliche Publikum damit ohnehin nicht gespart und damit sowohl die Spannung im Liederzyklus zerstört als auch den Fluss der eingangs aufgeführten "Sinfonie in drei Sätzen" von Igor Strawinsky unterbrochen. Hier war dem Gustav-Mahler-Jugendorchester unter Davis kompromisslos klarer Führung bereits eine prägnante Interpretation gelungen, die Kraft und Leichtigkeit dieses manchmal fahl-rhythmischen, manchmal augenzwinkernd liebreizenden Werkes völlig selbstverständlich vereinte.
[24.8.2011]
Moritzburg Festival ging erfolgreich zu Ende
Mit zwei umjubelten Konzerten ist am Sonntag das diesjährige Moritzburg Festival zu Ende gegangen. Sowohl am Sonnabend als auch zum Abschlusskonzert am Sonntagvormittag war die Evangelische Kirche Moritzburg ausverkauft und die Zuhörer hatten noch einmal Gelegenheit, hochkarätigen Instrumentalisten im gemeinsamen Spiel zu lauschen.
Am Sonnabend stellte sich zunächst die Pianistin Alice Sara Ott im Porträtkonzert dem Publikum vor. Die junge deutsch-japanische Musikerin wählte dafür die Sonate Opus 3 Nr. 2 in C-Dur von Ludwig van Beethoven aus. Temperamentvoll und geschwind war ihr Ansatz; ein wenig zu nervös gerieten ihr die ersten beiden Sätze, in denen Atmung und Artikulation zu wenig ausgeprägt waren. Erst im Scherzo und Finale leuchtete luftigeres Spiel auf. In den beiden Zugaben von Liszt und Chopin war sie ungleich sicherer und konnte das Publikum begeistern.
Im darauf folgenden Konzert konnte man das auf den Musikpodien schon renommierte "Trio Zimmermann" kennenlernen, das bestehend aus dem Geiger Frank Peter Zimmermann, dem Bratscher Antoine Tamestit und dem Cellisten Christian Poltéra drei außerordentliche Solisten vereint. Dem D-Dur-Streichtrio von Ludwig van Beethoven wurde höchste Wertschätzung verliehen. Mit knackigen Impulsen komplett auf den Punkt musiziert und dabei dennoch flexibel und farbenreich gestaltet, war dies "früher Beethoven" par excellence.
Der britische Schwerpunkt des Festivals brachte diesmal Arnold Bax (1883-1953) ins Programm, dessen schwermütig-spätromantisches "Elegisches Trio" von Astrid von Brück, Max Mandel und Marina Piccinini mit schöner Ausgestaltung und toller Balance zwischen Harfe, Bratsche und Flöte erklang. Höhepunkt dieses Konzertes war das Streichsextett B-Dur, Opus 18 von Johannes Brahms. Frank Peter Zimmermann als Primarius gab die Richtung vor und doch entstand mit Serge Zimmermann, Antoine Tamestit, Nils Mönkemeyer, Christian Poltéra und Jan Vogler eine einzigartiges Miteinander in dieser Kammermusik, die oft sinfonische Dimensionen aufwies. Diese Brahms-Interpretation klang selbstverständlich, federleicht und vor allem in rhythmischer Hinsicht spannend. Wiegen, Insistieren, Drängen und Innehalten - alle Sätze bekamen in der Einmaligkeit der Live-Darbietung ihre hier sehr musikantische, höchst treffende Gestalt.
Dem staunenswerten Abend folgte das Abschlusskonzert, das noch einmal Perlen der Kammermusik hob: neben einem Gruß an die englische Consort-Musik des 17. Jahrhunderts in Form von Henry Purcells Chaconne g-Moll war dies vor allem das Klavierquartett g-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart (mit Chun-Wen Huang, Lise Berthaud, Danjulo Ishikaza und Alice Sara Ott), in dem besonders das nachdenkliche Andante gefiel. Nach einem "männlichen" ersten Satz setzten die Musiker das Stück leicht und flüssig fort; nicht immer befriedigend gelang der Klavierpart von Alice Sara Ott.
Der Abschluss gehörte traditionell dem Oktett Es-Dur von Felix Mendelssohn Bartholdy, in hervorragender Besetzung und so frisch musiziert, als wäre es das erste Mal - besonders das in leichtem piano zelebrierte Scherzo überzeugte sehr. Indes forderten die Zuhörer kräftig eine Wiederholung, und sie bekamen das Finale erneut geboten. Intendant Jan Vogler konnte am Sonntag zufrieden auf einen "diesmal äußerst kreativen Jahrgang" zurückblicken. Neben dem sehr abwechslungsreichen Programm der 13 Konzerte, Porträts und öffentlichen Proben durfte sich der Vogler über insgesamt 6600 Besucher und eine Auslastung von 97% freuen. Zudem war auch die Moritzburg Festival Akademie mit 38 Musikstudenten aus 13 Nationen mit mehreren Konzerten in Dresden und Moritzburg ein Besuchermagnet.
2012 findet das Moritzburg Festival vom 5. bis 19. August statt.
[Nachtrag vom 22.8.2011]
Familienkonzert des Moritzburg Festivals
Zum sechsten Mal lud die VW-Manufaktur die Musiker der Moritzburg Festival Akademie zum Familienkonzert in ihre gläsernen Hallen am Straßburger Platz ein. Viele Zuhörer fanden sich samt großem und kleinem Nachwuchs ein, die einmal Jonathan Swifts Abenteuerroman "Gullivers Reisen" anders erleben wollten. Dass nämlich die Liliputaner ein äußerst musikliebendes Völkchen sind, war so bisher nicht bekannt.
Schauspieler Tom Quaas, der aufgrund riesiger Gestalt die Geschichte glaubwürdig verkörperte, konnte etliche musikalische Gelegenheiten aus der Abenteuergeschichte herauslesen. So wurde Mozarts Oboenquartett in Gullivers musikalischer Analyse kurzerhand zum Seemannsstück. Der Liliputaner Kaiserhymne wurde natürlich von keinem anderen als Joseph Haydn komponiert - Ähnlichkeiten mit der deutschen Nationalhymne im "Kaiserquartett" waren rein zufällig. So spann sich der Bogen über zahlreiche Abenteuer Gullivers bis hin zur Abreise heim nach England - wo der Weitgereiste auch gleich von einem Divertimento von Franz Anton Hoffmeister begrüßt wurde. Das ist musikgeschichtlich gar nicht einmal weit hergeholt, denn Hoffmeisters Kammermusik erfreute sich europaweit großer Beliebtheit.
So ergänzten sich Geschichte und Musik im Familienkonzert vortrefflich, wurde statt Holzhammerpädagogik lieber kräftig an einer echten Windmaschine gerührt, und es war gerade bei den Bläserstücken von Martinu und Francaix deutlich zu beobachten, dass die muntere Spielkultur der jungen Akademisten des Moritzburg Festivals die Kinder rund um die Bühne in den Bann zog. Es blieb ein kleines, in der Manufaktur altbekanntes Manko: die mangelhafte Akustik, gegen die die Musiker, Trompeten ausgenommen, auch am Sonnabend tapfer anspielten.
Hier hatten jüngste Zuhörer im Schneidersitz direkt vor der ersten Geige hockend einen gewissen Vorteil. Großes Lob gebührt auch den jederzeit frisch aufspielenden Musikern der Akademie, die beim Festival keinesfalls unter Beschäftigungsarmut leiden - gleich nach dem Familienkonzert ging es - nach gemeinsamer Stärkung mit dem Publikum - in der Frauenkirche mit einem Orchesterprogramm weiter.
[Nachtrag vom 14.8.2011]
"Lange Nacht der Kammermusik" beim
Moritzburg Festival
Ein bißchen irreführend ist der Titel ja schon: Die "Lange Nacht der Kammermusik" beim Moritzburg Festival war schon um kurz vor 23 Uhr beendet, nach nicht einmal vier Stunden Dauer. Doch das Konzert mit den jungen Akademisten ist ohnehin bei den Zuhörern fester und beliebter Bestandteil des Festivals und dank ausreichender Weingabe und Pausen gerät der Abend so gesellig wie es die Griechen einst im Symposion vorexerzierten.
Dazu gehört natürlich musikalischer Diskurs, und hier sind es schon die nüchternen Daten, die faszinieren: Studenten aus 15 Ländern spielten 15 verschiedene Werke von Komponisten aus vier Jahrhunderten in Besetzungen vom Duo bis zum Tentett. Eine Bewertung dieser Leistung kann nicht die eines normalen Konzertes sein, denn hier trafen Talente aufeinander, die gerade mal nach einer Woche "Beschnuppern" gestandene Kammermusik im Konzert interpretieren sollten, und das neben allen anderen Engagements, die sie während des Festivals erwartet. Daher prognostizierte Intendant Jan Vogler zu Beginn auch einen "freundschaftlichen Wettstreit", und der war vor allem kurzweilig, dabei aber immer von hohem Anspruch getragen.
Es ist unmöglich, alle Stücke und Interpreten aufzuzählen; in der Kirche von Moritzburg gaben sich Mozart und Dvorak, Haydn und Strauss ein Stelldichein. Einige Perlen gab es zu entdecken, wie etwa Anton Reichas munteres Bläserquintett oder das "Kaiserquartett" von Joseph Haydn. Hier wie in vielen anderen Formationen war auch schon zu bemerken, dass über das reine Interpretieren der Noten hinaus der kammermusikalische Gedanke immer im Vordergrund stand. Obwohl man an vielen Instrumenten große individuelle Talente bemerkte, stellten sich doch alle Musiker in den Dienst der gemeinsamen Sache.
Bei den Proben erforderte dies auch logistisches Know-How, denn einige Musiker waren in bis zu drei verschiedenen Besetzungen vertreten. Das hohe Niveau setzte sich fort in Quartettkompositionen von Mozart und in dem aufmerksam musizierten Streichsextett aus "Capriccio" von Richard Strauss. Den Atem hielt man an, als "Chant de Linos" von André Jolivet erklang - Jared Harrisons (Flöte) fliegende Arabesken reihten sich aber mühelos in den Satz aus Streichtrio und Harfe ein - für mich war dies einer der Höhepunkte im Konzert.
Eine schöne Abwechslung bildete die von Jazz und Chanson inspirierte Musik von Bohuslav Martinu (aus "La Revue de Cuisine") und Jean Francaix ("Musique pour faire plaisir"). Diese Stücke wurden dann auch beim abschließenden Publikumspreis, der vom Förderverein des Festivals gestiftet wurde, auf den vorderen Plätzen erwähnt, das Rennen allerdings machte ein klangvoll und homogen interpretierter Satz aus dem Streichquintett G-Dur von Antonin Dvorak und das einzige Duo des Abends - ein Satz aus der Violinsonate von Richard Strauss, mutig von Armen Derkevorkian (Violine) und Hunter Noack (Klavier) in Szene gesetzt.
[Nachtrag vom 12.8.2011]