Rezensionen

Sonntag, 28. August 2011

Passable Leistung

Werkstattorchester der Hochschule im Konzert

Man mag es kaum glauben, aber das Werkstattorchester an der Hochschule für Musik hat bereits elf stolze Jahre auf dem Buckel und dabei viele Mitglieder und Dirigenten gesehen. Gegründet im Jahr 2000 von einigen Schulmusikstudierenden, sollte es vor allem der Praxis dieser Studenten dienen und nebenbei Laien auch die Möglichkeit geben, in einem Ensemble zu musizieren. Die Idee bewährte sich, hier und da gab es größere und kleinere Projekte und in diesem Jahr bemerkt man staunend, dass sich da ein ganzes Sinfonieorchester gemausert hat - ein paar Hornisten und Posaunisten wird man sicher noch finden.

Offenbar hat das Orchester für sein sommerliches Konzert auch ordentlich die Werbetrommel gerührt: der Konzertsaal der Hochschule für Musik war trotz des sommerlichen Sonnabendnachmittags sehr gut gefüllt - vielleicht auch ein Zeichen, dass sich die Veranstaltungen der Hochschule mehr und mehr zum Geheimtipp gerade auch für die älteren Semester der umliegenden Wohnviertel entwickeln. "Werkstattorchester" heißt das Ensemble auch nach zehn Jahren noch und betont ausdrücklich den Anspruch der Freude an der Musik als oberste Priorität. Freilich ist damit allein nicht zu erklären, wie es bei einem recht schweren, bunt gemischten und daher auch anspruchsvollen Programm zu einer so passablen Leistung wie am Sonnabend kam. Es muss wohl doch einige intensive Proben mit dem Leister Michael Ellis Ingram und den Schulmusikstudenten gegeben haben.

Sonst hätte das "Bacchanal" aus Saint-Saens' Oper "Samson et Dalila" nicht so rund und feurig geklungen, wäre die ohnehin selten aufgeführte Filmmusiksuite "Die Hornisse" von Dmitri Schostakowitsch kaum so differenziert ausmusiziert gewesen. Beide Stücke waren auch gut geeignet, klingenden Erfolg und rhythmischen Drive zu kombinieren.

Das war bei den anderen Werken des Konzertes nicht immer so glücklich gelungen, besonders Händels' Feuerwerksmusik litt nicht nur unter einer ächzenden Orchestration sondern entpuppte sich gerade in der Ouvertüre auch als verteufelt schwer zusammenzubekommen. Michael Hiemke gelangen aber Bourrée und "La Paix" dann sehr gut. Ebenso erfreut war man über Ausschnitte aus der Tschechischen Suite von Dvorak (Leitung Felix Weickelt) und dem 1. Satz der 2. Sinfonie von Ludwig van Beethoven (Claudia Pitzer).

Sicher, hier und da wackelte die Intonation oder war die Phrasierung noch etwas eckig, aber es war schön zu hören, wie alle sich den wechselnden Wünschen der Dirigenten anpassten und eine gute Spielkultur entwickelten. Der sonst oft als Zugabenknaller missbrauchte Ungarische Tanz Nr. 5 von Johannes Brahms wurde als schöner Abschluss ins Programm integriert, und das Orchester wurde vom Publikum mit großem Beifall in die Semesterferien geschickt.

[Nachtrag vom 17.7.2011]

Guter Schliff

Absolventenkonzert der Hochschule mit der Erzgebirgischen Philharmonie Aue

Mancher Besucher wird sich gefragt haben, was die Erzgebirgische Philharmonie Aue nach Dresden treibt? Und warum findet auch noch ein reguläres Spielzeit-Sinfoniekonzert so fern der Heimat statt? An der Hochschule für Musik ist man hocherfreut über das Gastspiel und Rektor Ekkehard Klemm betonte in der Begrüßung die gute Zusammenarbeit mit den Orchestern der Region in Sachsen. Denn die kommt nicht nur den Zuhörern des Konzertes im Saal der Hochschule für Musik zugute, sondern auch den jungen Solisten und Dirigierstudenten, die hier wertvolle Praxis erüben können.

Dem Absolventenkonzert, welches das Orchester natürlich auch in Annaberg-Buchholz und Aue vorgestellt hatte, ging ein einwöchiges Seminar mit intensiver Probenphase voraus. Auf nicht weniger als sieben junge Dirigenten und drei große Werke des Repertoires hatte sich das Orchester dabei eingelassen. Im dritten Konzert in Dresden war dann der gute Schliff und die Souveränität in der Interpretation überall spürbar. Die Offenheit der Instrumentalisten gegenüber den Absichten der Dirigenten versteht sich von selbst - sieben Jahre währt schon die Zusammenarbeit und für die Musiker ist es immer eine Herausforderung, sich auf die verschiedenen Persönlichkeiten am Pult einzulassen.

Mit Igor Strawinskys Ballettsuite "Jeu de Cartes" war eine witzig-virtuose Eingangsmusik gewählt, die Theodor Schubach - ein sich derzeit im Bereich der Orchesterleitung weiterbildender Kompositionsstudent - mit straffem Zugang leitete und somit sowohl die rhythmische Basis als auch den spezifisch ironisch-trockenen Klang dieses Werkes fand.

Franz Liszts 2. Klavierkonzert scheint derzeit ein Dauerbrenner unter den Studenten der Hochschule zu sein - es erklang bereits im letzten Absolventenkonzert in der Semperoper. Die Russin Anna Ryaguzova (Klasse Prof. Arkadi Zenziper) bot nun eine recht robuste Darstellung des Konzertes mit harter Abgrenzung der unterschiedlichen Teile. Cheng Jie Zhang übertrug das zackige Temperament nahtlos auf das Orchester - dem Publikum gefiel diese saftige Interpretation.

Nach der Pause wurde zunächst das Posaunenquartett der Hochschule für Musik mit einem Musikförderpreis der BASF Schwarzheide ausgezeichnet; es stellte sogleich sein Können in drei kleinen sauber ausmusizierten Stücken unter Beweis. Zum Ausklang dirigierte Cornelius Volke die 3. Sinfonie F-Dur von Johannes Brahms. In ruhigem Grundpuls den ersten Satz ausgestaltend und mit viel Sinn für Details der Mittelsätze fand Volke die richtigen Mittel um eine runde Gesamtleistung zu formen: da bedankte sich sogar das Orchester, das auch in den letzten Tönen des umfangreichen Konzertes noch hochmotiviert und konzentriert wirkte, beim Dirigenten herzlich.

[Nachtrag vom 24.6.2011]

Samstag, 27. August 2011

Ernst, virtuos und dramatisch

8. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle

Der letzte Aufführungsabend der laufenden Saison der Sächsischen Staatskapelle bot wieder einmal Gelegenheit, kleiner besetzte Werke, einen jungen Dirigenten und einen Solisten aus den Reihen des Orchesters kennenzulernen.

Erstmalig stand der als Dirigent freischaffend wirkende Niederländer Lawrence Renes am Pult der Kapelle und stellte zunächst mit dem "Requiem" für Streicher (1957) ein Werk eines der wichtigsten japanischen Komponisten des 20. Jahrhunderts vor - Toru Takemitsu, der 1996 verstarb. Gleichwohl dürfte das Stück trotz der Bedeutung des Komponisten Neuland für die Zuhörer gewesen sein. Die Aufgabe für die Staatskapelle lag darin, eine fast sprachlos anmutende Klanglichkeit, die immer wieder Verwehungen und Pausen beinhaltete, umzusetzen. Der durchweg verhaltenen, vorsichtigen Lesart fehlte eine Tiefenschärfe - als unkommentiertes Werk zu Beginn hatte es dieses sehr ernste Stück schwer.

Das folgende Cellokonzert Nr. 1 von Camille Saint-Saëns stand in keinerlei Bezug zum Vorhergehenden. Es ist ein typisches Virtuosenkonzert des 19. Jahrhunderts und wird bis heute dank seines Melodiereichtums und einem durchaus sportlichen Charakter gerne von den Cellisten aufgeführt. Simon Kalbhenn, Solocellist in der Kapelle seit 1996 und bestens auch als kammermusikalischer Partner geschätzt, stürzte sich mit reichlich Temperament in die Wogen dieser Partitur. Technich bewältigte Kalbhenn das Stück sehr souverän, doch lag im Vorwärtsdrang der Interpretation einiges Problempotenzial, zumal Renes das Orchester nicht immer ruhig auf den Punkt zusammenbekam. Sehr schön hingegen waren die Ruhepunkte im Allegretto verteilt und Kalbhenn musizierte sämtliche Linien voll aus. Ein zweites Manko wurde in diesem Werk offenbar, was ungewöhnlich für ein Kapellkonzert ist, sich aber dann im abschließenden Schubert-Werk fortsetzte: man mag es auf die Gewitterfeuchtigkeit der Luft an diesem Abend schieben, aber die Intonation der Streicher war in diesem Konzert nicht zum Besten bestellt.

Gustav Mahlers Streichorchesterfassung des bekannten Quartetts d-Moll von Franz Schubert mit dem Beinamen "Der Tod und das Mädchen" deutete Lawrence Renes ganz und gar sinfonisch - von betulicher Hausmusik im Quartett ist hier nichts mehr zu spüren, dies läßt Schuberts Musik aber auch gar nicht zu. Drängende Tempi, ein dynamisch oft zu offener Klang und leider auch eine gewisse Unruhe im Dirigat sollten wohl das dem Stück innewohnende Drama herauskitzeln. Doch die Untiefen dieses Werkes kamen so eben nicht zur Geltung. Der 2. Satz mit den bekannten Variationen aus dem Klavierlied hastete dahin und den Ecksätzen fehlten scharfe dynamische Kontraste ebenso wie die bei Schubert (selbst auch in dieser auffüllenden Bearbeitung) notwendige Flexibilität in der Themengestaltung.

[Nachtrag vom 23.6.2011]

Montag, 15. August 2011

Struktur und Oberfläche

elole-Trio veröffentlicht CD zum 10jährigen Bestehen

Kammermusikformationen gibt es in Dresden viele. Klaviertrios schon eher weniger. Entweder sind es ad-hoc-Ensembles oder studentische Gruppen, oder es sind Musiker der großen Orchester, die nebenbei die Hausmusik pflegen. Doch ein Ensemble aus der freien Szene, das sich komplett der zeitgenössischen Musik verschrieben hat, kann in diesem Jahr das 10jährige Bestehen feiern: elole heißt das Trio, das beständig das Dresdner Musikleben aufmischt und zwischen Hellerau, der Blauen Fabrik oder dem Leonhardi-Museum seine innovativen Programme vor einem treuen und aufgeschlossenen Publikum darbietet.

Der Name "elole" ist gebildet aus den Mitgliedernamen: Uta-Maria Lempert (Violine), Matthias Lorenz (Cello) und Stefan Eder (Klavier) können nicht nur auf rund drei Dutzend Uraufführungen verweisen, die meisten Werke spielen sie auch mehrfach und legen großen Wert darauf, in der Entstehungs- und Erarbeitungsphase mit den Komponisten zusammenzuarbeiten. So entsteht Nachhaltiges, und wer meint, das Klaviertrio sei eine antiquierte Besetzungsform wird angesichts der Repertoireliste des Ensembles schnell eines Besseren belehrt.

Pünktlich zum Jubiläum haben die drei ihre erste CD veröffentlicht - es ist ein Mitschnitt eines Konzertes in der Denkmalschmiede Höfgen 2009. Der Motto-Titel "Struktur und Oberfläche" weist auf die Besonderheiten der Werke hin: zwei Uraufführungen von Stefan Streich und Jürg Frey gesellen sich zum Klaviertrio von Nikolaus Brass. Wenn Brass vom "Aufspüren und Aufdecken" im Komponieren spricht, so ist dies auch eine Haltung, die den Hörern bei dieser CD anempfohlen sei - nebenbei wird man die Tonerforschungen, Momentaufnahmen und Entwicklungen nicht hören können, aber selbst ohne erschließende Worte erschließen sich faszinierende Landschaften:

"Paysage pour Gustave Roud" von Frey verweigert sich in atemlosen Pochen fast dem Fortgang, während Streichs "Bagatellen" eine eigenwillige Eigendynamik entwickeln. Brass' rund vierzigminütiges Trio nimmt sich da schon wie ein Großgemälde gegenüber den anderen Werken aus. Auf der elole-Homepage finden sich übrigens zum Weiterlesen viele interessante Informationen zu den Werken und Komponisten, auch dies ein Hinweis auf den eigenen Anspruch, mit den Konzerttönen nur den spannenden Anfang einer Auseinandersetzung mit Musik anbieten zu wollen.

Das Trio selbst feiert sein Jubiläum konzertierend: den bereits vergangenen Konzerten im Leonhardimuseum und beim Kirchentag folgt ein großes Jubiläumskonzert am 5. Oktober, 20 Uhr beim "Tonlagen"-Festival in Hellerau, auf dem Programm stehen dann Werke von Friedemann Schmidt-Mechau, Charlotte Seither und Michael Maierhof. Der gar nicht alltäglichen und doch für die Musiker leidenschaftlichen und selbstverständlichen Aufgabe, das Neue in der Musik immer wieder in den Blickpunkt zu rücken, kann man nur mit hohem Respekt, Glückwunschen und der Hoffnung auf mindestens weitere 10 Jahre elole begegnen.
Alexander Keuk

"Struktur und Oberfläche" - Werke von Streich, Frey und Brass
elole Klaviertrio, Label Beoton, erhältlich bei Opus61 Dresden

https://www.elole.de

Sonntag, 3. Juli 2011

Ein Beethoven-Fest

Sinfonieorchester "medicanti" im Konzert in der Dreikönigskirche

Bei Laienorchestern erlebt man oft angenehme Überraschungen - nur wenige dieser Ensembles geben sich mit den beliebten "Best of Classics" zufrieden. Leichte Literatur, große Wirkung - das taugt nicht immer als Konzept, wenn Musiker und Leitung sich derart leidenschaftlich der Musik hingeben, dass ein gewisser Anspruch nicht unterschreitbar ist. Darf man sich dann noch rühmen, dass das Orchester gerade sein 25jähriges Bestehen feiert, so ist es nur verständlich, dass ein Konzert mit zwei großen Werken der klassischen Literatur in Angriff genommen wird. Dass dies gelingen würde, daran ist bei den "medicanti" - dem Orchester der medizinischen Fakultät an der TU Dresden, ohnehin kein Zweifel, das bewiesen vergangene Konzerte.

Dirigent Wolfgang Behrend kann sich auf einen motivierten Klangkörper verlassen und Nachwuchsprobleme hat das in der Streichern opulent besetzte Orchester wohl derzeit auch nicht. Ist schon eine Beethoven-Sinfonie im Programm zumeist ein hartes Stück Arbeit (und das noch mitten in der Prüfungszeit!), so bieten derer zwei reizvollen Kontrast und natürlich einen tiefen Innenblick in das sinfonische Werk. Doch auch bei den Profis erlebt man eine Kombination der 3. Sinfonie Es-Dur "Eroica" mit der 5. Sinfonie c-Moll, der sogenannten "Schicksalssinfonie" eher selten.

Dabei ist der Vergleich dieser großen, genialen sinfonischen Konzeptionen (dass Behrend die schlanke 4. Sinfonie unterschlägt, sehen wir angesichts der Konzertlänge nach) sinnfällig - kaum vier Jahre stehen zwischen den Entwürfen beider Sinfonien und doch gibt es sowohl Ähnlichkeiten als auch deutliche Weiterentwicklungen zu beobachten. Behrend und die medicanti gehen aber noch weiter in ihrem Anspruch, das zeigte die sorgfältige Interpretation der Stücke beim Konzert am Sonntag in der Dreikönigskirche. Da waren nicht nur Tempi und Ausdruck gut vorbereitet und auf den Punkt gebracht, sondern es gab viele Details zu entdecken, angefangen bei der vibratoarmen Klanggestaltung in den Streichern, prägnanten Bläsereinsätzen und von Behrend gut betreuten Soli. Der Trauermarsch der 3. Sinfonie behielt sein ruhiges Tempo bei ohne stillzustehen - auch der zusammenfallende Schluss war gut ausmusiziert. Auch den 3. Satz nahm Behrend gemäßigt schnell, damit gelangen ihm aber schöne Schattierungen in den Bläsern, gerade auch der Hörner im Trio. Im Finale verhalf er den Konzertmeistern zu einem feinen Streichquartettsolo und setzte die kontrapunktischen Teile immer wieder fest ins Tempo.

Die konsequent verfolgte rhythmische Basis war es auch, die in der 5. Sinfonie fasznierte - dabei war das berühmte Anfangsthema fast zweitrangig, viel toller zu entdecken war die Intensität des 2. Satzes. Natürlich konzentrierte sich das Scherzo hier in seiner Hinwendung auf das befreiende Finale und Behrend entlockte seinen Musikern, nun auch voll besetzt mit Posaunen und Kontrafagott, noch einmal zu vollem Klang. Damit gelang schon vor dem eigentlichen Jubiläumskonzert am 6. November ein großes Festkonzert - in der nahezu ausverkauften Dreikönigskirche gab es dafür jubelnden Applaus.

Freitag, 24. Juni 2011

Gewaltige Wirkung

Sakrale Musik aus Frankreich im TU-Sinfoniekonzert

Ein spannendes, ungewöhnliches Programm hatten sich die Protagonisten von TU-Sinfonieorchester und TU-Chor für ihr gemeinsames Frühjahrskonzert zurechtgelegt. In vergangenen Jahren hatte man sich Musik aus England und der Schweiz gewidmet, am Sonntagnachmittag lagen in der - übrigens trotz aller Festivitäten sehr gut gefüllten - Kreuzkirche drei Partituren französischer Herkunft auf Monica Bucklands Pult. Alle diese Werke atmeten einen geistlichen Hintergrund, ohne jedoch zu tiefgründig zu sein. Kirchenmusik "light" also?

Zumindest von Georges Bizet ist zweifelsfrei festzustellen, dass er keinesfalls als bedeutender Komponist geistlicher Musik in die Geschichte einging. So fließt sein jugendlich-akademisches "Te Deum" in vier braven, durchkomponierten Teilen dahin ohne wirklich Akzente zu setzen. Das blieb der Interpretation überlassen und Monica Buckland führte mit Übersicht durch das Werk. Manuel Günther (Tenor) und Barbara Böhi (Sopran) unterstrichen in den Solopartien den lyrischen Grundcharakter des Werkes treffsicher.

Nach dieser kompakten Einleitung verschwand das gesamte Orchester auf die hintere Empore, um unter der Orgel die "Sinfonia Sacra" von Charles-Marie Widor zu begleiten, ein etwas im Schatten von Saint-Saens berühmter Orgelsinfonie stehendes Werk gleichen Genres. Solist war der Schweizer Philipp Mestrinel, der klug abgestuft registrierte, so dass das Orchester auch im forte nicht völlig verdeckt wurde. Dass die dickichtartigen Strukturen des Variationswerkes über den Choral "Nun komm der Heiden Heiland" sich nicht wirklich im Raum mitteilten, war zweitrangig zugunsten der gewaltigen Wirkung der Fuge, die auch von den Streichern plastisch umgesetzt wurde.

Krönender Abschluss des Konzertes war das "Gloria" von Francis Poulenc, wiederum ein Werk, das mit ungewöhnlicher Zeichnung eine große Atmosphäre schafft. Der TU-Chor (Einstudierung Maja Sequeira/Karl-Friedrich Winter) nahm hier noch einmal Kraft und Können zusammen - trotz der Leichtigkeit der Wirkung ist der Anspruch des Werkes nämlich nicht zu unterschätzen. Die gute Deklamation (etwa des "Suscipe") im Chor erfreute hier ebenso wie das schön ausgeformte Spiel des Orchesters, trotzdem wäre im Chor noch mehr Deutlichkeit und Genauigkeit vor allem in der gemeinsamen Klangausformung wünschenswert gewesen. Barbara Böhi konnte in ihren beiden Soli mit einem abgehangenen piano nicht mehr gefallen. Schade auch, dass der aus Zürich mitgebrachte Chor "ars cantata", dem Buckland bis 2009 als Dirigentin vorstand, nicht einmal optisch auf der Bühne auszumachen war - er diente lediglich als Verstärkung und bekam nicht die Gelegenheit, sich mit eigenem Programm vorzustellen.

Russischer Touch mit neuen Glocken

Jugensinfonieorchester des HSKD beim Benefizkonzert in der Kreuzkirche

Zum wiederholten Male war das Dresdner Jugendsinfonieorchester am Heinrich-Schütz-Konservatorium zu Gast bei den Benefizkonzerten zugunsten der Innensanierung der Kreuzkirche. Am für den ehemaligen Kruzianer Milko Kersten heimischen Ort war es dennoch eine Herausforderung, den Jugendlichen zu einem satten Orchesterklang zu verhelfen, der die Schwierigkeiten des Raumes überbrückt. Doch die zahlreichen Instrumentalisten (diesmal mit auffällig vielen Celli, während nur zwei Kontrabässe um ihr Leben spielten) bemühten sich konzentriert, das anspruchsvolle Programm gut zu interpretieren.

Alle Stücke am Pfingstsonntagnachmittag hatten solistische Beteiligung - damit verabschiedeten sich aus dem Orchester junge Talente wie der Schlagzeuger Eike Nürnberger. Andere wie die Klarinettistin Franziska Scheffler, die bereits in Lübeck studiert, kehrten gerne zu ihrem Ensemble als Solisten zurück und auch im Orchester saßen Ehemalige. Kersten verlieh dem Konzert programmatisch einen russischen Touch: Reinhold Glières Hornkonzert machte den Anfang.

Aaron Hornschild, seit 12 Jahren in der Hornklasse von Andreas Roth, überzeugte mit mächtigem Ton und einiger Virtuosität. Dem Orchester war der farbige spätromantische Satz etwas ungewohnt, Kersten zeigte die Phrasierungen deutlich, aber recht freispielen mochte sich das Orchester noch nicht. Ebenso musikalisches Neuland dürfte auch für manchen Zuhörer das Konzert für Klarinette, Viola und Orchester von Max Bruch gewesen sein. Christina Voigt und Franziska Scheffler interpretierten das lichte, lyrische Werk kundig und mit vollem Ton, das Orchester musizierte hier dicht und aufmerksam.

Schlagzeuger Eike Nürnberger hielt dann mit dem "Hummelflug" von Rimski-Korsakov das Bonbon des Nachmittags parat und beeindruckte in der Marimbaphonfassung nicht mit Geschwindigkeit, sondern mit sauberem Spiel. Den Abschluss des Konzertes bildeten Alexander Borodins "Polowetzer Tänze" aus der Oper "Fürst Igor" in einer melodramatischen Fassung, die Milko Kersten auf Basis des von Rainer Maria Rilke ins Deutsche übertragenen "Igor-Liedes" selbst erstellt hatte.

Trotz schöner Deklamation der beiden Hochschul-Gesangsstudenten Elisabeth Auerbach und Daniel Müller (Sprecher) blieb der Eindruck des blutrünstig-wortschwangeren Heldenepos zwiespältig. Obwohl Kersten durch die Hinzufügung des Textes den historischen Urgrund der Oper beleuchtete, wurde die musikalische Faktur der Tänze zerschnitten und zumindest darf man Zweifel hegen, ob die Schlachtopfer am Ufer des Don wirklich die jugendlichen Musiker und Zuhörer interessieren. Schön allerdings, dass das Heinrich-Schütz-Konservatorium nun mit geballter Fördervereinskraft ein neues Röhrenglockenspiel anschaffen konnte, das mit diesem Stück und einer kernigen Zugabe von Fried Walter eingeweiht wurde.

Freitag, 10. Juni 2011

Pessimistische Litanei des Urbanen

Monodram "Der Riß durch den Tag" von Johannes Maria Staud uraufgeführt

Nach dem Orchesterstück "Tondo" des aktuellen Capell-Compositeurs Johannes Maria Staud, das vor Monatsfrist im Sinfoniekonzert der Staatskapelle uraufgeführt wurde, kam es am vergangenen Sonnabend in einem Sonderkonzert zu den Dresdner Musikfestspielen zu einer weiteren Premiere, diesmal in der Halle der VW-Manufaktur.

Dabei trafen zwei Capell-Compositeure erstmals in einem Konzert aufeinander, denn Isabel Mundry, 2007 erste Capell-Compositrice der Staatskapelle, war eingeladen, ihre 2010 uraufgeführten "Scandello-Verwehungen" für Chor und Ensemble erneut zu präsentieren. Das "Vocal Concert Dresden" (Leitung Peter Kopp) präsentierte zunächst von einer Empore wirkungsvoll Gloria und Credo aus der 1553 entstandenen Messe von Antonio Scandello - ebenfalls ein früher Hofcompositeur in Dresden und einer der ersten, der aus Italien eintraf und damit eine äußerst fruchtbare musikalische Epoche in Dresden einleitete. Mundrys "Verwehungen" bewegen sich ganz auf dem Boden dieser Musik; sie verwischen, verstärken und spiegeln bestimmte Aspekte - eine Art neuer Renaissance-Drive entsteht da, der Altes nicht verleugnet und mit Wahrnehmungsphysiologien bewusst spielt. Akustisch konnte man mit dem Ergebnis (der Chor stand nun vor einem immensen schwarzen Vorhang) aber nicht zufrieden sein, so transparent das kleine Kapell-Ensemble unter Gastdirigent Asher Fisch auch musizierte.

Nach der Pause wurde Stauds Monodram "Der Riß durch den Tag" aus der Taufe gehoben - es ist nach der Oper "Berenice" (2004) Stauds zweite Zusammenarbeit mit dem Dichter Durs Grünbein. Zwar ist dieser in Dresden geboren und sein Text (aus: "Nach den Satiren" aus dem Jahr 1999) zeigte ganz eindeutig die Beschäftigung mit urbanen Perspektiven und Atmosphären, doch ist der Rahmen weiter gefasst. Im Mittelpunkt steht eine dramatische, be- und aufgeladene und wenig optimistische städtische Bilderwelt, die Staud vermutlich eine mühelose musikalische Projektionsfläche anbot - Poesie wird hier zu einer Litanei des kaum Erträglichen, der Ausweg geht nur über Ignoranz oder einer möglichen Wendung nach innen. Die bleibt (fast) aus in Grünbeins Text - Wandlung oder Reinigung scheint nicht beabsichtigt.

Trotzdem ordnet Staud die musikalischen Formen in fünf Teilen fast klassisch an und strukturiert daher den oft blutigen Wörtersee stimmig, um nicht zu sehr in die Abstraktion zu gleiten. Durch die kluge Proportionierung von Wort und Musik sorgte Staud auch für eine Deutlichkeit in der Darstellung. In den Möglichkeiten des großen Kammerensembles fand er zudem plastische Gesten des (nur selten theatralischen) Kommentars - von der Staatskapelle wurde das sehr engagiert umgesetzt. Eine bessere Besetzung als der Schauspieler Bruno Ganz in der Sprecherrolle war kaum denkbar - Ganz füllte das Monodram nicht mehr und nicht weniger als ein professionell geführtes Instrument aus, stellte sich in den Dienst der Musik und des Textes und ließ so ausreichend Gedankenfreiheit beim Zuhören zu.

Aufrechter Untergang

Mahlers 6. Sinfonie mit den Berliner Philharmonikern

Äußerst gespannt erwartete das Publikum im voll besetzten Semperbau das Gastspiel der Berliner Philharmoniker unter Leitung ihres Chefdirigenten Sir Simon Rattle bei den Dresdner Musikfestspielen. Vor dem Konzert wurde dem Orchester der "Glashütte Original Musikfestspiel Preis 2011" verliehen, und zwar für das Education-Programm "Zukunft@BPhil", das seit mehreren Jahren auf höchstem Niveau nicht nur Nachwuchskünstler fördert, sondern umfangreich Vermittlung, Workshops und Projekte mit Jugendlichen innerhalb und außerhalb von Schulen initiiert.

Dass Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt die Laudatio hielt, war nicht nur als nette Geste zwischen beiden Veranstaltungen gemeint, sondern zeigte einmal mehr, dass gesellschaftliches Engagement alle angeht und in den vielfachen Verbindungen ein nicht zu unterschätzender Wert geschaffen und gehalten wird. Wie konnte man sich aber nach dieser festlichen und Hoffnung machenden Preisverleihung auf das einzige sinfonische Werk des Abends einlassen, Gustav Mahlers 6. Sinfonie, die einem bereits mit den ersten harten Schlägen des "Allegro Energico" alle Zuversicht raubt?

Das nur als großartig zu bezeichnende Konzert schaffte genau diesen Brückenschlag: Musik eröffnet einem ungeahnte Welten, wenn man sich als Interpret wie als Zuhörer hundertprozentig darauf einläßt - der stürmische Beifall am Ende war also auch ein Akt des bedingungslosen Nachvollzugs, den die Interpretation von Sir Simon Rattle möglich gemacht hatte und so enorm tief ging. Alle Sinfonien von Mahler mögen einzigartig in ihrer Konzeption sein, in ihrer Konsequenz der Darstellung des Unabwendbaren, einhergehend mit einer sich immer dunkler färbenden, zerstörischen und bitteren Emotionswelt, ist diese Sinfonie vergleichslos.

Rattle interpretierte die Sechste daher auch schonungslos und doch mit höchster Aufmerksamkeit und Kontrolle. Dies bedeutete auch ein scharfen Hineinleuchten in feinste Details, dazu kam eine satzübergreifende Tempoarbeit, die von allen mitgetragen wurde und so brauchte Rattle selbst bei flexiblen Übergängen kaum Unterstützung leisten: der Weg war allen klar, Rückkehr unmöglich. In immer neu aufgeladenen Wellen formte sich schon im 1. Satz in eine unglaublich greifbar klingende Energie. Für jedes Thema, jede noch so kurze Geste des gefühlvollen Aufflimmerns gab es bei allen Musikern genaueste Klangvorstellungen; so entstand ein monumentales Fresko einer inneren Katastrophe, in der selbst die Herdenglocken kaum mehr als glaubhafte Reminiszenz vergangener Welten wahrgenommen konnten.

Das Andante inszenierte Rattle nicht als Beruhigung, stattdessen setzte sich der Bildersturm auf einer inneren Ebene fort; die Berliner behielten den dumpf-herben Ton selbst in den letzten Resten eines unmöglich scheinenden lyrischen Ausweges bei. Der morendo-Ausklang dieses Satzes verhieß nichts Gutes mehr, die Tür zum Jenseits war mit Beginn des Scherzos, in dem die Bläser einen Höllentanz vollführten, weit aufgestoßen. Und doch hatte Rattle selbst im Finale noch Mut, Akkuratesse und zauberhaften Glanz in zurückhaltenden solistischen Passagen zu formen: den beiden Hammerschlägen und dem Ende, dem nichts mehr folgen kann, wurde mit offenen Augen entgegengesehen: ein aufrechter sinfonischer Untergang.

Montag, 6. Juni 2011

Starke Kontraste

Christian Münchs Requiem-Uraufführung "bleiben" in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen

Musik erklang beim Kirchentag in Dresden bereits an vielen Orten, unzählige Chöre und Instrumentalisten zeigten die breite Vielfalt geistlicher Musik in organisierten und spontanen Konzerten. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben oder einer weit gefassten Spiritualität interessiert auch zeitgenössische Komponisten, umgekehrt gibt es gerade zu ambitionierten kirchlichen Musikveranstaltungen ein offenes Publikum, das bereit ist, sich auch mit neuen, ungewöhnlichen Klängen auseinanderzusetzen.

So war es auch in der Auferstehungskirche Dresden-Plauen am Donnerstagabend, Ort der Uraufführung eines neuen Werkes des Dresdner Komponisten Christian Münch. Das Vokalensemble "AuditivVokal" (Leitung Olaf Katzer), diesmal mit sechs Frauenstimmen besetzt, Blechbläser überwiegend aus der Musikhochschule Dresden, sowie Reimund Böhmig-Weißgerber an der Orgel sorgten für eine eindringliche Interpretation des Stückes - zuvor hatte Lydia Weißgerber mit George Crumbs Orgelwerk "Pastoral Drone" (1982) quasi ein musikalisches Vorwort gegeben - klar umrissene Klangflächen und bewegte Splitter über gehaltenen Fundamentaltönen formten eine volltönende Einleitung.

Christian Münchs Komposition "bleiben" läßt sich als moderne Requiem-Variante verstehen - das Festhalten an der Liturgie und den althergebrachten Formen ist da obsolet, wo Münch durch eindeutige Strukturierung und eine emotional stark wirkende Musiksprache sich der Region der Totenmesse neu annähert und sie persönlich interpretiert. In wechselnden Besetzungen mit dem kleinen Frauenchor (der fast ausschließlich auf textlos auf Vokalisen sang und somit zu einem eigenen Instrument verschmolz), den Bläsern und der Orgel, dazu in changierenden Raum- und Lichtanordnungen entstanden abgegrenzte, blockhafte Abschnitte, die eher diskurshaft eine Klanglichkeit umkreisten, oft mit Wiederholungen oder Zu- und Abnahme der musikalischen Dichte versehen.

Zu Boden fallende schwere Eisenkugeln waren das wohl bildhafteste Element des Werkes und erzeugten in der Parallelität mit den fast körperlos schwebenden Frauenstimmen eine ungeheure Wirkung. Insgesamt entstanden extreme Wahrnehmungen von Länge, Lautheit und Intensität und damit genau eine "bleibende" Erinnerung starker Kontraste. Und um nichts anderes ging es Münch: Musik zu schaffen, die über Zeiten und Befindlichkeiten hinaus gilt und tönt. Letztlich war diese von allen Musikern mit höchstem Können ausgeführte Interpretation auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit Kunst und Gegenwart im geistlichen Raum, die Freiraum ließ für eigene Gedanken, dafür gab es am Ende großen Beifall.

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