Rezensionen
Musikhochschul-Matinee mit Beethoven, Liszt, Yun und Mozart
Am Himmelfahrtstag lud die
Musikhochschule in die Semperoper Dresden ein - die Matineekonzerte am Vormittag mit dem Hochschulsinfonieorchester haben schon eine lange Tradition. Der Termin parallel zum Kirchentag und im Rahmen der Musikfestspiele verführte Rektor Ekkehard Klemm zu einer besonderen Programmkonzeption, die weniger eine Quadratur des Kreises vollführte als vielmehr stimmig auf die Grundgedanken der umgebenden Festivitäten musikalisch einging.
Kurzum: der Gedanke der Freiheit war wie eine Klammer um das Konzert gelegt, umfasste Beethovens Leonoren-Ouvertüre ebenso wie Isang Yuns Kammersinfonie und auch Mozarts musikalische Freiheit in der knapp gehaltenen "Krönungsmesse". Dazu wurde dem Jubilar Liszt gehuldigt, asiatische Solisten und Dirigenten vorgestellt und Jörg Faßmann (Violine), Michael Schütze (Vokalkorrepetition) und Henry Philipp (Klarinette) bekamen Honorarprofessuren verliehen.
Solchermaßen festlich gestimmt startete das Orchester auch mit der selbstbewusst und klangstark musizierten dritten "Leonoren-Ouvertüre" (Leitung Cheng Jie Zhang). Anschließend bewunderte man die Koreanerin Seul Ah Youn auf ihrem durchweg sicheren, manchmal freilich noch etwas zu korrektem Weg durch das Klavierkonzert A-Dur von Franz Liszt. Auch Soo-Yeoul Choi am Dirigentenpult setzte mehr auf geradliniges Temperament - hier sei hervorzuheben, dass der junge Dirigent schon mehrfach zeitgenössische europäische Werke in Südkorea zur Aufführung brachte, der lebendige Kulturaustausch in alle Richtungen war also hier besonders spürbar.
Nach der Pause übernahm Ekkehard Klemm die Leitung in Isang Yuns umfangreicher "Kammersinfonie II - Den Opfern der Freiheit", die der politisch selbst verfolgte Komponist angesichts der Entwicklungen in Europa 1989 schrieb. Eindringlich, fremdartig und sehr persönlich geriet die Begegnung mit Yuns klar gesetzten Klangwelten - virtuos und zuverlässig auf den Punkt interpretierte das hier stark solistisch eingesetzte Orchester die keinesfalls leichte Partitur.
Die "Krönungsmesse" am Schluss wirkte dann wie eine freundlich-frische Bestätigung des Lebens und Klemm hatte keinerlei Mühe, diesen Affekt der Singakademie Dresdens zu entlocken, die mitsamt dem Orchester und einem vorzüglichen Solistenquartett der Hochschule (Sulki Chung, Henriette Gödde, Benjamin Glaubitz und Gunyong Na) für einen positiven und in den Tempi auch ordentlich flotten Ausklang sorgte.
Bejubeltes Recital von Arcadi Volodos in der Semperoper
Man vergleicht ihn gerne mit Horowitz und unbestritten ist, dass der 38jährige Pianist
Arcadi Volodos zur Weltelite seiner Zunft gehört. Dabei ist Volodos keinesfalls der Tastenlöwe, der durch die Konzertsäle der Welt gereicht wird und im Vierteljahresrhythmus die Plattenindustrie mit Aufnahmen versorgt. Seine Beschäftigung mit den großen Klavierkomponisten der Vergangenheit benötigt Zeit und Intensität, und die Ergebnisse sind einzigartige Konzerterlebnisse mit einem Künstler, der eine schier unglaubliche Technik, Intellekt und Persönlichkeit zu verbinden weiß.
So geriet das Recital in der Semperoper am Mittwochabend auch zu einem Höhepunkt der Musikfestspiele und ganz ohne es zu betonen standen die "Fünf Elemente" auch hier im Mittelpunkt. Volodos versteht es, nicht nur Feuer, Wasser, Erde, Luft und den Äther in seinem Spiel hervorzuzaubern, er erfindet auch mühelos noch weitere Elemente, kleine und große Klangwunder, von denen man nie glaubte, dass sie einem Konzertflügel entlockbar seien. Doch wie geht der Virtuose Volodos mit Franz Schubert um, einem Komponisten, dessen oft introvertierte Kantabilität gerade am Klavier einen fast objektiven Zugang verlangt?
Volodos beherrscht diese respektvolle Annäherung und so geraten die drei "Moments Musicaux" zu wertvollen Perlen, glasklar wie eine Wasseroberfläche, mit fast dokumentarischem Anspruch. Auch die Sonate f-Moll D625 atmet diese Ruhe: ökonomisch und doch mit impulshafter Kraft zeigt Volodos exemplarisch die Kanten und Risse dieses Werkes - nicht in offen virtuoser Manier, sondern immer mit Atmung und Zeitgefühl. Doch in diesem lyrischen ersten Teil spürte man bereits das Brodeln - Volodos fuhr den Schubertschen Weg ruhig und besonnen wie ein Lamborghini in einer 30er-Zone.
Himmel und Hölle waren durch die Konzertpause getrennt; im zweiten Teil stand nur ein Werk auf dem Programm: die h-Moll-Sonate von Franz Liszt, Gipfelpunkt und Markstein der romantischen Klaviermusik schlechthin. Volodos versank fast in der Lento-Einleitung, nahm das "Grandioso" wörtlich und zeigte ein entfesseltes Presto mit Oktavläufen, die den Resonanzkorpus des Steinways bis in die Grundfesten forderten. Und doch war alles Toben, alles Innehalten unter einen großen Bogen gesetzt, Volodos verlor niemals die innere Spannung für das gesamte Werk.
Atemlos folgte das Publikum im Semperbau dem Pianisten bis hin zu den letzten satt und leise gesetzten Tönen, dann brach sich begeisterter Jubel Bahn. Volodos dankte mit insgesamt sechs Zugaben, in welchen er zwischen intimstem Albumblatt und rasanter Paraphrase noch einmal alle Register zog - Standing Ovations bildeten das Finale dieses großartigen Konzertes.
Absolute Ensemble (New York) bei den Dresdner Musikfestspielen
Wo liegt eigentlich dieses "Arabien"? Wenn schon auf diese Frage die Antwort schwer fällt, weil man hierfür je nach Kriterium eine gedachte Linie von Westafrika bis in den Irak ziehen könnte, so muss man bei der Antwort auf die Frage, was denn dann arabische Musik sei, ganz tief Luft holen, denn das oft gehörte Statement "das klingt doch arabisch" ist lediglich eine idiomatische Wendung.
Das Interesse Europas und Amerikas an der traditionellen arabischen Musik hat zudem in den letzten Jahrzehnten zu reichlich Forschung und Erhellung beigetragen, aber auch zur kreativen Weiterentwicklung dieser Musik. Da passt dann erst recht keine Schublade mehr und so ist es folgerichtig, dass sich das amerikanische "Absolute Ensemble" genau auf dem Grenzgrat zwischen World, Jazz und Klassik bewegt - bei den präsentierten Stücken gaben sich Joe Zawinul, Abdullah Ibrahim und Marcel Khalife (dessen Sohn Bachar im Ensemble mitspielte) die Ehre.
Möglicherweise hat das Ensemble bei seinem Gastspiel bei den Dresdner Musikfestspielen in der VW-Manufaktur am Sonnabend ein ganz neues "Arabien" geschaffen, was es so noch auf keiner Landkarte gibt. Verrückt genug, dass die Herkunft der drei Solisten ein Dreieck zwischen Nordwestafrika, der Schweiz und dem Libanon bildet: hier Bassam Saba, der mit Nay (arabische Flöte) und Oud (Kurzhalslaute) das Publium verzauberte, dort Aziz Sahmaoui aus Marokko, der vielen der präsentierten Stücke eindringlichen Gesang zugab. Dazwischen ein Schweizer - aber das spielt nun wahrlich keine Rolle mehr, denn der Saxophonist Daniel Schnyder ist auf allen Pfaden ein Vollblutmusiker, so entstammte etwa das rhythmisch pulsierende Nay-Konzert in vier Sätzen seiner Feder.
Im "Absolute Ensemble", das charismatisch und natürlich auch mit ein bißchen Showfeeling von seinem Leiter und Gründer Kristjan Järvi geführt wurde, ist aber jeder Platz ein kreativer, und so staunte man über die völlig selbstverständliche Komplexität der Arrangements. Deren Beats schrammten frecherweise oft gefährlich nah an Rap oder Clubsounds vorbei, so dass das Füßestillhalten schwerfiel. Bei allem rhythmischen Drive, blieb aber eine Frage offen: sind denn "Arabian Nights" denn wirklich so gar von stetig vorwärtsdrängender Motorik geprägt? Gerne hätte man dem Ensemble die Stille und Weite arabischer Landschaften auch musikalisch entnommen, doch dafür hätte der opulente Satz mancher doch sehr amerikanisch aufgefrischter Arrangements erheblich ausgedünnt werden müssen. Es entstand ein Klangbild des turbulenten, vielleicht modernen Arabiens, das auch in der Geschwindigkeit längst mit der westlichen Welt Schritt hält. Nach Mitternacht war der hochinteressante Ausflug beendet, der Derwisch hielt inne, eine Khalife-Zugabe wurde noch einmal innig.
Das ist das Debut-Album der jungen Sängerin Anna Prohaska, unbedingter und einziger großer Hörtipp des Monats Mai. Wer auf die Zusammenstellung der Lieder schaut, könnte irritiert sein: Debussy, Dowland, Szymanowski, Dvorak? Wie passt das zusammen? Es passt, nicht nur thematisch mit dem Motto "Sirène", sondern auch gerade in der Abwechslung und im Kontrast der Stile und Geschichten, die Anna Prohaska uns hier plastisch und mit ihrem strömend warmen Sopranklang ausbreitet. Eric Schneider am Klavier begleitet ebenso zauberhaft - und wer meint, da nebenbei anderen Beschäftigungen nachgehen zu können, irrt - hier ist Zuhören gefragt, die Belohnung folgt auf dem Fuße (DGG)
Neues auf dem Plattenmarkt:
* Tolle Idee:
The Art of the Cigar - Das Huelgas-Ensemble widmet eine ganze CD dem Thema Tabak. Wie geht das? Es geht, und es klingt auch noch spannend mit recht unbekannten Bonbons der Musikgeschichte (DHM)
* Noch ein Lied-Album:
Sandrine Piau widmet sich wunderschönen Liedern von Fauré, Strauss, Mendelssohn, Chausson. Wer weiß, wie groß diese Sängerin im barocken Repertoire ist, wird schätzen, wie glasklar und ausgeformt sie sich in der Romantik bewegt.
* Die "LiegtwieBlei"-CD des Monats:
Erwin Schrott mit Tangomusik, etwas wüst zusammengepresst aus den letzten Sony-Tangoveröffentlichungen (Sony)
Asiatische Streichquartette bei "Global Ear" im Rahmen der Musikfestspiele
Wer, wenn nicht die schon seit Jahren in Dresden aktive Konzertreihe "Global Ear", hätte zum aktuellen Thema der "Fünf Elemente" der Dresdner Musikfestspiele einen spannenden Beitrag zu leisten? Der Blick nach Asien ist hier zeitgenössisch, keines der Werke war älter als 30 Jahre. Das renommierte Faust-Quartett stellte Kammermusik zweier Komponisten vor, die am Schnittpunkt verschiedener Kulturen arbeiten. Die kulturellen Wechselwirkungen im Schaffen östlicher wie auch westlicher (deswegen war Hans Zender im Programm präsent) Komponisten erschaffen mittlerweile eine ganz eigene Musikgeschichte im 20. und 21. Jahrhundert.
Der Chinese Tan Dun und der Japaner Toshio Hosokawa weisen zwar unterschiedliche Biographien auf, vereint sind sie aber in dem Aspekt, westliche Erfahrung und kultureller Verwurzelung in der Heimat spielerisch zu verbinden. Das führte im Konzert zu außergewöhnlichen Hörerlebnissen, die das Faust-Quartett hervorragend darbot: Tan Duns Streichquartett "Eight Colors" arbeitet mit bewusst gesetzten Gesten aus dem vokalen und instrumentalen Vorrat der chinesischen Musik und wirkte dabei seltsam zwiespältig auf einem Grat zwischen Folklore und Avantgarde.
Auf diese Miniaturen folgte Hosokawas Streichquartett "Eight Flowers", das stärker westlichen Strömungen verpflichtet ist. In der Modellierung der vielen einzelnen Gesten und Situationen war zwar das Faust-Quartett unglaublich gut, jedoch konnte dies nicht über eine Spannungsschwäche beider Stücke hinwegtäuschen, die an der Orientierung der Komponisten im (oft entwicklungslos konstruierten) Momenthaften lag.
Zenders Streichquartett "Hölderlin lesen I" verlegte die kulturellen Synthesen auf die Zeitachse: Klassisches Zeitalter traf auf Gegenwart und Zender scheute sich nicht, die Epochen musikalisch hart aufeinanderprallen zu lassen. Das führte zu einem zerrissenen Klangergebnis, bei dem am Ende trotz des dramatisch auffahrenden Schlusses musikalische Emotionen zugunsten der vom Komponisten intellektuell beleuchteten Hölderlin-Thematik zurücktraten. Das Faust-Quartett zeigte sich den hohen Ansprüchen der Stücke komplett gewachsen und präsentierte sich einem sehr konzentriert folgenden Publikum mit kenntnisreicher und klanglich höchst flexibler Spielkultur.
Ye-Eun Choi und Yu Kosuge auf Schloss Wackerbarth
Dass "Asiens Stars von morgen" innerhalb der so bezeichneten Reihe bei den Dresdner Musikfestspielen gleich fünf Mal im Weingut Schloss Wackerbarth auftreten, macht Sinn, wenn man die historischen Gebäude und Weinberge im Kontrast zur modernen Manufakturhalle betrachtet, die für diese Reihe als - auch akustisch sehr angenehmer - Konzertsaal fungiert. Hier verbinden sich Tradition und Gegenwart und in der Musik des ersten Konzertes war das nicht anders.
So erschienen nahezu alle Werke nicht als verstaubte Exemplare ihres Genres, sondern als schöpferische Gegenwartsaussage ihrer jeweiligen Zeit. Zum Auftakt der Reihe hatte sich die - von Anne-Sophie Mutter früh entdeckte und geförderte - junge koreanische Geigerin Ye-Eun Choi ein großes Programm vorgenommen: Sonaten von Beethoven, Mendelssohn Bartholdy und Strauss, dazu ein Solowerk von Isang Yun.
Dies sprengte etwas den Rahmen eines Kammerkonzertes, und am Ende reichten Kraft und Konzentration nicht mehr ganz für die Sonate Es-Dur, Opus 18 von Richard Strauss. Nun ist dies ohnehin ein nicht ohne Stirnrunzeln zu rezipierendes Werk, dessen noch jugendlicher Schöpfer kraftvoll hinlangte und man sich fragt, ob die Sonate nicht doch einem bearbeitetes Particell einer opulenten sinfonischen Dichtung entspringt. Dieser Schlusspunkt des Konzertes, in dem die vom Komponisten ausgebreitete Unruhe eine gelassene Sicherheit der Interpreten erfordert, konnte nicht recht befriedigen, da Choi und ihre Partnerin am Klavier Yu Kosuge (die Japanerin genießt auch hohes Renommee als Solistin) den enormen Energiewellen des Stückes einen interpretatorischen Eifer hinzufügten, der das Stück nahezu zum Überlaufen brachte.
Zuvor hatten die beiden aber schon hohen Ansprüchen entsprechende Interpretationen gezeigt. Das begann mit der ausgereiften Darstellung von Beethovens Sonate c-Moll Opus 30/2, bei der Choi schlanken Ton und kluge Phrasierung zeigte und die Sonate auf Kontraste anlegte. Choi zeigte Mut für eine innig-schwebende Gestaltung des zweiten Satzes und packende Impulse in den Ecksätzen, niemals aber überspannte sie den Bogen der Interpretation, so dass man die Geschliffenheit der Komposition sorgsam nachvollziehen konnte. Yu Kosuge begleitete hier wie auch in der Mendelssohn-Sonate F-Dur souverän und mit komplett überzeugender, intensiver Gestaltung. Auch der romantische Ton Mendelssohns lag Choi, immer behielt sie dabei Form und Fluss im Blick.
Das überzeugendste Werk war jedoch ausgerechnet Isang Yuns fünfsätzige Solophantasie "Li-Na im Garten", die keineswegs als ins Programm eingestreute Miniatur der Moderne wirkte, sondern als ein ausgewachsenes, virtuos gespicktes und doch eigenwillig kantables Solowerk erschien. Die Violinvirtuosin Ye-Eun Choi ist jung und zeigte in diesem Konzert bereits eine erstaunliche Reife - behält sie ihre erstaunliche Sinnlichkeit in der Formung der Töne und den gleichzeitigen Mut zum Eigenen, Außergewöhnlichen, werden wir noch viel von ihr hören.
Rott, Mahler und Bartók im 9. Zykluskonzert der Philharmonie
In verschiedenen Konzerten der laufenden Saison heißt es bei der Dresdner Philharmonie "Mahler, der Lyriker". Zwar könnte man dieses Attribut auch auf die Sinfonien des in diesem Jahr zu seinem 100. Todestag gewürdigten Komponisten anwenden, doch die Themenreihe ist vorrangig dem vokalen Schaffen gewidmet. Während man im Juli bei einem Konzert der Philharmoniker in der Frauenkirche den interessanten Kontrast zu Werken von Arvo Pärt erleben kann, stellte das 9. Zykluskonzert am vergangenen Wochenende den "Rückert-Liedern" ein sinfonisches Werk von einem Mahler-Zeitgenossen zur Seite, der erst in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde:
Dem Komponisten Hans Rott (1858-1884), Kommilitone Gustav Mahlers und Schüler unter anderem von Anton Bruckner war nur ein kurzes Leben bedacht und anstelle von Erfolgen, die sein unbestrittenes musikalisches Talent befördert hätten, stand bereits in jungen Jahren eine psychische Erkrankung. Eine klare persönliche Handschrift ist indes schon in Rotts 1. Sinfonie E-Dur und auch in dem von der Philharmonie aufgeführten "Pastoralen Vorspiel F-Dur" zu spüren. Der spanische Gastdirigent Juanjo Mena - designierter Chefdirigent des BBC Philharmonic Orchestra - wusste gut mit diesem im Tonfall zwischen Brahms und Reger changierenden Werk umzugehen. Die Besonderheiten, etwa harmonische Überraschungen oder plötzliches Versiegen des Verlaufes, wurden auch als solche inszeniert; somit bekam das Werk eigene, starke Qualität, die über die von Rott gewählte lapidare Betitelung hinauswies.
Das komplette Zykluskonzert hätte auch eine weitere Thematik bedienen können: Entdeckungen im Schatten des Repertoires - denn das traf mit sicher unterschiedlichen Begründungen auf alle drei Werke des Konzertes zu. Dass die Neugier auf ungehobene Schätze immer weniger den Kulturpalast zu füllen vermag, ist leider kein Geheimnis mehr, doch ob innere Bereicherung durch stetiges Wiederkäuen des Bekannten erreicht wird, sei dahingestellt. Die Schattenposition in der Rezeption gilt merkwürdigerweise auch für Gustav Mahlers "Rückert-Lieder", die vermutlich wegen ihrer zerbrechlich anmutenden, direkten Intimität den Standards der Popularität kaum folgen wollen. Die Philharmoniker zeigten dabei kammermusikalischen Geist und Raffinesse, konnten aber in Nuancen der Übergänge und Tempi gemeinsam mit dem Bariton Michael Volle nicht immer zur letzten Hingabe gelangen - dann nämlich wäre "Ich bin der Welt abhanden gekommen" zum luziden Diamanten geraten. Volles ausführliche Diktion bremste in "Ich atmet einen linden Duft" den Fluss etwas ab, doch im bitteren "Um Mitternacht" fand er wunderbaren, unwidersprechbaren Ausdruck.
Nach der Pause wartete dann in Gestalt des ebenfalls selten aufgeführten Tanzspiels "Der holzgeschnitzte Prinz" von Béla Bartók echte Schwerstarbeit auf die in voller Besetzung angetretenen Philharmoniker. Mena nahm die Orchestermusiker mit auf die Reise in die zerklüftete und farbenreiche Klangwelt des Märchens, das in einigen der Tänze nahezu taktweise komplett den Charakter wechselt und dabei in immer neuen kleinen und großen Wellen pulsiert. Alle Musiker schufen gemeinsam eine gute, von Intensität und mutigem Herangehen geprägte Interpretation; für das sorgfältige, stets energiegeladene Dirigat durfte Mena am Ende auch den Dank des Orchesters entgegennehmen.
10. Sinfoniekonzert der Staatskapelle mit einer Uraufführung von Johannes Maria Staud
Es brauchte in dieser Saison etwas Geduld - nachdem der Capell-Virtuos Rudolf Buchbinder seine Residenz in Dresden schon abgeschlossen hatte, konnte Orchester und Publikum zum 10. Sinfoniekonzert auch den Capell-Compositeur dieses Jahrgangs begrüßen, den Österreicher Johannes Maria Staud. Gleich drei neue Werke werden bis Saisonende bei der Kapelle erklingen - das ursprünglich für den Beginn der Saison gedachte Preludio "Tondo" wurde von der Sächsischen Staatskapelle unter Leitung von Christoph Eschenbach uraufgeführt und wird auch auf der nun folgenden Tournee durch europäische Konzertzentren im Gepäck sein.
"Tondo" ist trotz seiner klanglichen Kanten und Ecken eine "runde Sache", denn das Stück bezieht seinen Reiz aus der absichtsvoll vom Komponisten gewählten Kreisform, die auch beinhaltet, dass das Stück eigentlich kein Ende hat. Doch der Fluss der Zeit macht vor einem Konzertwerk nicht halt (auch das Orgelstück "as slow as possible" von John Cage in Halberstadt wird in 639 Jahren ein Ende haben), und so entschied sich Eschenbach für eine kurze Abrundung in Form der Wiederholung des ersten Teils des neuen Werkes. Da hatte das Publikum allerdings schon größtenteils abgeschaltet, und am dürftigen Applaus war leider nur zu deutlich spürbar, dass das Semperoper-Publikum am Sonntagvormittag kaum an einer lebendigen Auseinandersetzung mit der Musik unserer Gegenwart interessiert ist. Dabei war die Aufführung sehr engagiert und farbenreich - Staud versteht es sich mit dem Instrument Orchester auszudrücken und klare Klangsituationen zu komponieren, die oftmals im Untergrund mit einer welligen Unruhe einhergehen. Daher ragten besonders die stillen, gehaltenen Töne aus diesem Eröffnungsstück heraus.
Sehr scharf war dann der Übergang in bekanntere Klangwelten: Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll stand auf dem Programm. Manchem dürfte aufgefallen sein, dass auch dieses Stück schwer zum Mitsingen oder genießerischen Zurücklehnen geeignet ist. Was Staud von seinen Zuhörern fordert, ist bei Schumann nicht minder anspruchsvoll: dieses Konzert will nachvollzogen werden, und es braucht einen hervorragenden Solisten, der es zum Sprechen und Singen bringt. Der junge Cellist Leonard Elschenbroich stellte sich erstmals in einem Kapell-Konzert vor, konnte aber trotz selbstbewusster Herangehensweise nur dann überzeugen, wenn großbögige Melodik im Vordergrund stand. Elschenbroich agierte zwar immer hochmusikalisch in der Phrasierung, aber die Interpretation war stellenweise zu sehr von Überlegung und augenblicklicher Emphase geprägt. Doch wird man von dem Cellisten hoffentlich noch viel hören - die Hindemith-Zugabe zeigte großes Potenzial mit zupackender Gestaltung.
Im zweiten Teil des Konzertes bejubelte das Publikum Christoph Eschenbachs Darstellung der 1. Sinfonie c-Moll von Johannes Brahms - für den in der Spätromantik verwurzelten goldenen Klang der Kapelle ist es ein höchst dankbares Werk, bei dem Eschenbach keine Mühe hatte, die tiefgehende Wärme des Klanges auszubalancieren. Dem stand in den Ecksätzen eine große Energie gegenüber, die sich frei entladen durfte. Die Mittelsätze musizierte Eschenbach mit Raffinesse; Kai Vogler (Violine) und Robert Langbein (Horn) steuerten wunderbare Soli bei. Extreme Ausdruckswelten und Tempi vermied Eschenbach und fand stattdessen wunderbar atmende Übergänge. So wies die Sinfonie trotz rasanter Coda im Finale eine Erdung auf, die fast ein romantisches Idealbild zeichnete. Auszusprechen verbleibt der Wunsch, dass die Musik lebender Komponisten ebenso eine solche Selbstverständlichkeit und Tiefe in Rezeption und Wahrnehmung verdient hat - der Capell-Compositeur ist ein Schritt in die richtige Richtung.
"Spiegelungen"-Konzert der Sinfonietta Dresden
Verhext - dieses Wort benutzt man oft angesichts eines unerklärlichen Umstandes. Auch den Veranstaltern des letzten Sinfonietta Dresden-Konzertes dürfte das Wort über die Lippen gerutscht sein angesichts des leider nur spärlichen Besucherzustroms in der Dreikönigskirche am Sonnabend. Im doppelten Sinne verhext war es wohl, weil der Vorabend zum 1. Mai traditionell von vielerlei Feiervolk bestimmt wird - vielleicht hätte das Thema "Trauer" des halbjährlich stattfindenden Zyklus "Spiegelungen" der Sinfonietta dann doch besser ins November-Programm gepasst. Dennoch: die Zuhörer erfreuten sich wiederum eines anspruchsvollen Konzertes, das architektonisch gleich mehrere Bögen schlug zwischen Ländern und Zeiten, Literatur und Musik, Klassik und Moderne.
Die Präsenz der "Trauer" als Thematik war indes marginal, selbst in der so bezeichneten 44. Sinfonie e-Moll von Joseph Haydn ließ sich maximal die Tonart und der langsame Satz damit konnotieren, der Rest ist funkensprühender Sturm und Drang. Damit gelang der Bogen zum Beginn, denn mit einem ebenso bunten Werk startete die Sinfonietta: das 2001 entstandene Saxophonkonzert des Isländers Steingrimur Rohloff (geb. 1971) war trotz avancierter Klangsprache höchst abwechslungsreich - scharfe Schnitte und abrupt beendete Entwicklungen bestimmten das Werk, das aber immer wieder kleine Ruheinseln ausbreitete. Der hervorragende Solist Sascha Armbruster verstand es, seinen Solopart insbesondere mit seinem Double an der Klarinette zu verschmelzen. Ekkehard Klemm fügte mit übersichtlichem Dirigat eine Gesamtbalance hinzu, die Spannung trug und das Werk auch im Kirchenraum adäquat darbot.
Schön, dass es wieder eine Uraufführung mit einer Dresdner Verbindung gab - die Komponistin Annette Schlünz kehrt immer wieder einmal mit neuen Werken an ihren einstigen Studienort Dresden zurück. Ihre "Spuren)(Suche" war ein sehr sensibel tastendes Werk mit melancholischer Grundstimmung, das eher im Finden von Klangsituationen kreiste als fertige Formen anbot. Wenn hier schon literarische Subtexte aufschienen, so war die Rezitation von Texten von Oscar Wilde durch den Schauspieler Tom Quaas eine weitere Bereicherung des Konzertes - auch hier war weniger Trauer das Thema als vielmehr Menschlichkeit, die anrührte.
Ekkehard Klemm musizierte zum Abschluss die Haydn-Sinfonie mit Detailreichtum und jederzeit gut phrasierten Themen. Das gute Miteinander im Orchester angesichts der Vielzahl an Herausforderungen, die die Partituren dieses Abends stellten, ist bemerkenswert und macht diese Konzertreihe des in Dresden auch in Kirchenkonzerten stets aktiven Ensembles so wertvoll.
Studio für Elektronische Musik der Hochschule präsentiert sich im Konzert
Kleine und feine Konzerte mit Studierenden der Hochschule für Musik kann man fast täglich und zumeist kostenlos im Konzertsaal in der Schützengasse erleben. Am Donnerstag stellten sich Kompositionsstudenten mit elektronischen Arbeiten vor, seit Jahren besitzt die Dresdner Hochschule ein hervorragend ausgestattetes Studio für Elektronische Musik (Leitung Prof. Franz Martin Olbrisch), das in das Studium der Kompositionsstudenten integriert ist und vielfältige Möglichkeiten bietet.
Hinzu kommt der Konzertsaal als hervorragender Präsentationsort mit ebenso professionellem Equipment. Hier sollte die Hochschule aber baldmöglichst auch Schritte gehen, um interessiertes Publikum und Partner jenseits der Hochschule zu gewinnen, schließlich hat die Kombination aus erstklassigem Saal und auch die hohe Qualität der Kompositionen beste Voraussetzungen, um etwa ein wichtiger Aufführungsort für Klangkunstexperimente zu sein, die z. B. auch mit bildender und performender Kunst Verbindungen eingehen könnten.
Natürlich lassen sich im laufenden Studium eher kleine Projekte realisieren und man merkte den Stücken an, dass sich deren Urheber gerade mit dezidierten musikalischen Aspekten und Ästhetiken auseinandersetzten. So beleuchtete Johannes Voits "inTERjection" einen Zustand der vokalen Artikulation, die genau auf der Schwelle zur Sinngebung steht: Silben und Äußerungen fügten sich zu Situationen, ordnend von der Elektronik unterstützt. Hans Martin Baumgärtel ging da mit noch wissenschaftlicherem Eifer heran und reduzierte Laute auf Phoneme und Geräuschmaterial einer E-Gitarre - Konzentration der Struktur war auch hier das Maß der Dinge.
Neele Hülcker untersuchte in "Sie sind ja ein richtig kleines junges Fräulein" Aspekte von Kitsch im Gehörten, wurde allerdings von ihrer eigenen Klangauswahl überrumpelt, denn bis eine Gruppe von Zuhörern Kitsch im Klangangebot als solchen ausmacht, gehören viele Faktoren hinzuaddiert; die emotionale und soziologische Konditionierung läßt sich über Elektronische Musik eben noch nicht ganz beherrschen. Doch Elektronische Musik kann den Hörer herrlich entführen, ganz legal und doch in Grenzbereiche und Abgründe hinein: Jakob Gilles "Akoi Vibe" hätte das Zeug, sich installativ auch in die Clubszene einzumischen und dürfte auch VJs oder Filmemacher anregen, denn hier lief ein außerordentlich gut gemachter Akustikfilm mit überraschenden Überblendungen und Nachhörem im vermeintlich Populären ab, sorgfältig und mit dramaturgischem Gespür wurden die einzelnen Materialien begutachtet und fast zu einem Story-Board geschichtet. Tobias Eduard Schicks "Lost in Viola" war wiederum eine Studie mit Live-Elektronik, Katharina Vogt verschwand mit der Bratsche fast hinter den riesigen Notenblättern, und bevor das im pp-Bereich suchende Stück sich musikalisch auf eine Form oder Tönen festlegen wollte, war es auch schon wieder vorbei.