Rezensionen

Montag, 4. April 2011

Wohlfühlabend mit Musik

Dienstagssalon in Hellerau mit dem Ensemble "AuditivVokal"

Einen Dienstagabend im Monat sollte man sich künftig für einen Besuch im Festspielhaus Hellerau vormerken: just startete im Europäischen Zentrum der Künste eine neue Reihe, die, das darf man vorausschicken, durchaus Kult-Charakter entwickeln könnte, nachdem sich der Kultur-Charakter in der ersten Ausgabe schon charmant unter dem Deckmantel des Salons zu verbergen suchte. Wein, Musik, Gespräche, nette Leute - was braucht man mehr? Im gemütlich zurechtgemachten Nancy-Spero-Saal gab der Autor, Zeichner und Musiker Max Rademann, bekannt aus der Lesebühne "Sax Royal", den hochinteressierten Conférencier.

Die überaus positiven Attribute, die er gleich zu Beginn dem eingeladenen Gastensemble des Dienstagssalons entgegenrief, waren keine Werbefloskeln, sondern entsprangen aufrichtiger Bewunderung. So war man auch als Zuhörer sofort in einer Atmosphäre des Staunens und Entdeckens gefangen - übrigens die schönste Art, sich selbst fremde Klänge zu erschließen.
Im schon bei der Premiere überaus gut besuchten Dienstagssalon sprach denn auch die Musik für sich selbst, und Rademann hatte keine Probleme, eine musikwissenschaftliche Debatte mit seinen Gesprächspartnern auf der Couch zu vermeiden, und das war gut so.

Was die Zuhörer musikalisch erlebten, war exzellent: Vokalkunst höchster Klasse mit dem Ensemble "AuditivVokal", das seit vier Jahren in Dresden unter der Leitung von Olaf Katzer außergewöhnliche Hörerlebnisse im Bereich von experimenteller Vokalmusik garantiert. Das bis etwa zum Doppelquartett besetzbare Ensemble hatte für diesen Abend Werke der Renaissance und der Gegenwart herausgesucht, die direkt aufeinandertrafen und somit reizvolle Bezüge und Kontraste schufen. Die körperlich unterstützte Interpretation der Lasso-Madrigale (Regie: Sylvia Freitag) gelang dabei ebenso erfrischend wie die durchaus zeitgemäße Rezitation der Texte von Max Rademann. Moderne Beiträge gab es von Jürg Wyttenbach, Georges Aperghis und Paul Barker, scharf war der Übergang von Ausschnitten aus Josquins Missa da Pacem zu Aperghis "Jactation Nr. 2" - in der Strenge der kompositorischen Arbeit lag jedoch eine Verbindung weit über die Epochen hinweg. Während diese drei heutigen Stücke einen eher spielerischen Ansatz des Umgangs mit der Stimme offenbarten, war die zweiteilige Aufführung von Michael Edward Edgertons "Anaphora" für Sopran-Solo ein in jeglicher Hinsicht Grenzen sprengendes Erlebnis. Edgertons akribische Vokalakrobatik wurde von Almut Kühne mit vollem Risiko und dennoch spannungsvoller Ruhe dargeboten, so dass auch im Publikum atemlose Stille herrschte.

Trotzdem blieb etwa die spannende Frage offen, ob diese katalogartige Darstellung von Lautäußerungen bereits Musik war und welche Eindrücke die Zuhörer daraus gewannen. Die angenehme Leichtigkeit des Salons wird auch erhalten bleiben, wenn das Publikum künftig stärker mit einbezogen wird. Und das Gespräch mit den Künstlern und untereinander gehört ohnehin mit dazu. Schön, dass Musik nicht vom pädagogischen Reißbrett aus vermittelt werden muss, sondern aus sich selbst heraus und in solch guter Interpretation einfach starke Wirkung entfaltet - der neue Dienstagssalon macht es möglich und wird auch künftig für einen Wohlfühlabend in Hellerau stehen.


Nächste Termine:
19.4., 20 Uhr // Garda
3.5., 20 Uhr // Anne Munka Quartett

Mittwoch, 30. März 2011

Offene Wünsche

Lukaspassion von Krzysztof Penderecki im 7. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie

Es ist mutig und mutmachend zugleich, dass die Dresdner Philharmonie in der Passionszeit nicht (nur) auf die großen alten Meister setzt, sondern auch einen Zeitgenossen zu Wort (und Ton) kommen läßt. Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki schuf 1965/66 seine "Lukaspassion" - das ist immerhin schon über 40 Jahre her. Heute blicken wir auf ein einzigartiges Dokument oratorischen Komponierens dieser Zeit. Untrennbar ist dieses Werk mit der Vita des Komponisten, vielleicht auch mit der Entwicklung der polnischen Musik im 20. Jahrhundert überhaupt verbunden, für die Penderecki bis heute Maßgebliches geleistet hat.

Stark verbindet viele polnischen Komponisten die Präferenz des Ausdruckes in der Musik - trotz aller damals modernen Spielarten der Instrumente und avancierter Komponiertechniken wird Pendereckis Lukaspassion vom Spannungsbogen des Textes getragen, vom Wechselspiel der hier gesprochenen Evangelistenerzählung (Ahmad Mesgarha löste diese Aufgabe eindringlich) über die Jesusworte und Arien bis hin zu der bei Penderecki extrem in den Fokus gerückten Rolle des Volkes. In der vom Komponisten selbst geleiteten Aufführung im 7. Zykluskonzert war man daher auch restlos beeindruckt von der konzentrierten Leistung des MDR Rundfunkchores Leipzig (Einstudierung Howard Arman), vor allem im "In pulverem" und im "Stabat Mater". Herausragend, mutig einsetzend und klangvoll die gemeinsamen Ausrufe formend agierte auch der Philharmonische Kinderchor Dresden (Einstudierung Jürgen Becker), allerdings musste hier ein Subdirigent her, um vor allem die Übersicht der Chorpartien herzustellen.

Der tollen interpretatorischen Leistung der Chöre folgten die Solisten Sandra Trattnig (Sopran), Tomasz Konieczny (Bass) und der kurzfristig eingesprungene Thomas E. Bauer (Bariton) mit hervorragender Gestaltung ihrer vom tiefsten Brummen bis zum Falsett oder Schrei ausgedehnten Partien. Man hätte gerne von einer authentischen Aufführung unter Leitung des Komponisten berichten mögen. Doch die Lukaspassion öffnet sich dem heutigen Ohr keinesfalls wegen ihrer avancierten Klänge schwer, sondern vor allem wegen der konsequenten Adagio-Lastigkeit. Wenn diese Erzählhaltung, die mit der Dramatik des Passionsereignisses weniger übereinstimmt denn mit der Wirkung - was einen durchaus spannenden Kompositionsansatz bedeutet - allerdings durch eine schleppendes, Rhythmik und Fluss kaum beachtendes Dirigat überhöht wird, bleiben Wünsche in der Ausführung offen.

Obwohl die Lukaspassion dem höchsten Ausdruck verpflichtet ist, fehlte genau dieses Element der Aufführung, weil der Komponist am Dirigentenpult mit den rein organisatorischen Aufgaben ausgelastet war. Das führte vor allem im bereitwillig engagierten Orchester zu vielen Differenzen der rhythmischen Präzision, und die melodische Ausgestaltung hätte facettenreicher umgesetzt werden können. In der Gesamtheit mochte sich aber dennoch diese vor allem in der Textauswahl und kompositorischen Umsetzung immer noch spannende Komposition als zeitloses Dokument mitteilen, insofern zollt man der Aufführung höchste Anerkennung.

Dienstag, 22. März 2011

Kontemplation und Hingabe

Wagner, Gubaidulina und Schönberg im 7. Philharmonischen Konzert

Mit einem spätromantisch-modernen Programm waren im 7. Philharmonischen Konzert alle musikalischen Kräfte und Fähigkeiten gefordert. Der Bogen von Wagner über Gubaidulina zu Schönberg wurde mit viel Leidenschaft gezogen; eine inhaltliche Klammer lag vor allem in der Liebestod-Thematik zwischen "Tristan und Isolde" und Maeterlincks Drama "Pelles und Melisande". Dazwischen erklang mit Sofia Gubadulinas Bratschendoppelkonzert (1998) eine außergewöhnliche Konzertmusik, die sich mit göttlicher Liebe und Hingabe beschäftigt.

Der Spanier Josep Pons leitete das Konzert mit guter Übersicht und reichhaltiger Detailausarbeitung. Obwohl "Vorspiel und Liebestod" aus Wagners Oper gerne im Konzert kombiniert werden, wird man selten das Gefühl los, man würde aus dem Anfang eines Films gleich zum Finale zappen. Pons setzte die Partitur vor allem dynamisch sehr gut um und wählte ruhige, doch nicht schleppende Tempi. Nicht in allen Teilen gelang ihm mit dem Orchester die nötige Linienspannung; offenbar war eine leichte Rücknahme des Orchesters und damit die Vermeidung der Grenzüberschreitung absichtsvoll - auch in den Höhepunkten der beiden Stücke setzte Pons auf einen relativ samtigen Gesamtklang. Das mag im Konzert angehen, doch das "Ertrinken, Versinken" im Liebestod erfordert vor allem eine emotionale Auslotung, die mir hier fehlte.

Mit dieser Einleitung war aber ein guter Boden geschaffen für die Interpretation von Sofia Gubaidulinas Konzert "Zwei Wege". Das 1999 entstandene Doppelkonzert für zwei Bratschen und Orchester thematisiert das biblische Schwesternpaar Maria und Martha, deren Hingabe zu Jesus für die Komponistin Ausgangspunkt für eine höchst plastische, fast "sprechende" Konzertmusik war. Dass diese Transparenz nahtlos zu den Zuhörern drang, ist das Verdienst der ebenfalls hingebungsvoll die Partitur interpretierenden Solisten Christina Biwank und Nils Mönkemeyer - repräsentieren diese beiden doch schon durch ihren eigene Biografie "zwei Wege": Biwank als Solobratscherin der Philharmonie und sehr aktiver Kammermusikerin, und Mönkemeyer, der früh die Solistenlaufbahn einschlug und heute mit anspruchsvollem Repertoire Begeisterung für das Instrument entfacht. Gubaidulinas Komposition entfaltet sich dialogisierend mit klarer Themengebung und Struktur; gerade die Arbeit am spezifischen Charakter der Stimmen der beiden Solisten war faszinierend zu erleben. Absolut eindringlich changiert die Musik im letzten Drittel nach einem Höhepunkt, der fast in Hitchcock-Manier mit Celesta und Schlagwerk erreicht wird: die allmähliche Verinnerlichung der Gedanken wurde solistisch wie im begleitenden Orchester toll umgesetzt - die Komponistin wäre von dieser Aufführung sehr bewegt gewesen, das Kulturpalastpublikum applaudierte stark. Kammermusik von Mendelssohn Bartholdy gab es als frische Zugabe, in welcher Biwank und Mönkemeyer agogisch zu hervorragender Gemeinsamkeit fanden.

Anschließend füllte sich die Bühne: Arnold Schönbergs sinfonische Dichtung "Pelleas und Melisande" erfordert nicht nur ein großes Orchester, sondern auch rhythmische und klangliche Brillanz. Vieles war gut ausmusiziert, doch Pons hätte sowohl klarere Impulse als auch flexibleres Dirigat zeigen müssen, um manche Mißverständnisse zu vermeiden. Insgesamt erreichte das Stück jedoch ein gutes Aufführungsniveau - vermutlich benötigt eine solch dichte, kontrapunktisch extrem anspruchsvolle Partitur ohnehin mehr Proben, als es der rasante Konzertbetrieb heute zu leisten vermag.

Mittwoch, 16. März 2011

CD-Tipp März: Claude Le Jeune

Diesmal gibt es ein wenig Sparflamme, da ich kaum zum Hören komme, vielleicht schiebe ich in diesen Artikel auch noch einige Neuerscheinungen nach, denn derzeit stapeln sich die CDs, als ob man im beginnenden Frühjahr nur am Player hocken würde...
Da ohnehin viel zu tun ist, freut man sich über eine CD, mit der man mal richtig abschalten kann und die überdies noch ein faszinierendes Hörerlebnis bildet, deswegen ist meine CD des Monats auch diese hier:



Le Jeune (übrigens einer der vielen Komponisten, deren Wikipedia-Artikel recht armselig ausfällt) ist ein spannender Vertreter der franko-flämischen Schule, seine 1564 veröffentlichten Psalmen Davids zählen zu seinen ersten geistlichen Werken. Das französische Ensemble Ludus Modalis verdient sich hier in puncto Klarheit und Klangschönheit höchste Meriten. (RAMÉE)

Weitere Neuerscheinungen:
- Italienische Madrigale von Schütz, interpretiert vom Dresdner Kammerchor - Ja, Eigenwerbung. Aber eine Schütz-Gesamtaufnahme, die der Dresdner Kammerchor nun bis 2017 unternimmt, ist sensationell genug. Und die Madrigale ebenso. Soviel zur Befangenheit. Selbst hören -> Urteil bilden :) (CARUS)
- Henri Vieuxtemps - Violinkonzerte - eine überraschende Edition mit allen Violinkonzerten von Vieuxtemps hat das belgische Orchester von Liège (Ltg. Patrick Davin) herausgegeben. Absolut spannend dabei: die Solopartien übernehmen Meisterschüler von Augustin Dumay an der Chapelle Musicale Reine Elisabeth - 7 neue Talente spielen 7 nahezu vergessene Perlen der Konzertliteratur. Toll. (FUGA LIBERA)
- neu erschienen auch zwei Produktionen, die ich live erleben durfte: die Missa Solemnis mit Thielemann und das Stabat Mater von Pergolesi mit Netrebko. Was in dem einen Fall zur absolut intensiven, auch ungewöhnlich persönlichen Hingabe an den Wiener Meister geriet (und damit unbedingt hörenswert ist, auch wenn man mit dem Ungetüm Missa Solemnis wohl nie "fertig" wird), ist im anderen Fall eine furchtbare Marketingente. Ob man Netrebko nach diesem Flop noch als Künstlerin ernstnehmen wird, muss man sehen. Aber wenn man von alter Musik keine Ahnung hat, sollte man auch die Finger davon lassen. Und erst recht nicht für diesen Schmarrn die Frauenkirche mißbrauchen.
- Hier noch zwei Nachzügler: Daniel Hope kann anpacken, was er will - es gelingt vorzüglich (wer ihn nicht mehr hören mag, soll ihn wenigstens lesen...), so auch seine kunstvoll zusammengestellte CD "The Romantiv Violinist". Von Gelingen kann bei Francesco Tristanos DG-Debüt "BachCage" kaum die Rede sein, denn beide Komponisten werden hier bis auf die Unterhose ausgezogen und ihrer Ausdrucksqualitäten beraubt. Warum Tristano Artikulation am Klavier völlig ignoriert und die DG so einen Nintendo-Bach auch noch bewirbt, ist mir schleierhaft. Cage dürfte hoffentlich im nächsten Jahr zum 100. Geburtstag hochklassige Interpreten anziehen, falls nicht, hören wir Steffen Schleiermacher. Der macht vor, wie man sich ernsthaft und mit künstlerischer Persönlichkeit einem Komponisten musikalisch nähern kann.

Freitag, 11. März 2011

Neu im Kino: Biutiful

Gerade angelaufen und schon gibt es hier die Kurzrezension. Diese muss auch kurz ausfallen, da es nur einen wesentlichen Satz gibt: Hingehen, angucken. Hinterher ist man ohnehin sprachlos, weil diese 148 Minuten erst einmal verarbeitet werden wollen. Nach diesem überharten Gefühlskino verbietet sich auch jegliches Palaver über Filmdetails, Kamera- und Schnittkram. Viel zu sehr ist die Story im Vordergrund, das Schicksal des Kriminellen Uxbal, dem sein Leben (übrigens ein konstantes Element in Iñárritus Filmen) prismaartig in eine Mündung fällt. Hier ist es der unausweichliche Krebstod - die Diagnose begleitet nicht nur die Hauptfigur, sondern auch den Zuschauer den ganzen Film hindurch. Doch Uxbal spricht selten, zu verstrickt ist er in seinen ganzen kriminellen Jobs zwischen Drogen und Schwarzarbeit. Sich seinem Schicksal, seinem Ich zu stellen, das rät ihm eine Vertraute, doch nicht alles "Aufräumen des Lebens" gelingt: die Chinesen, denen er endlich in ihrem Kellerloch eine Heizung schenken wollte, sterben an den billigen Gasbrennern. Seine Ehe ist kaputt, die Frau körperlich und seelisch ein Wrack, die Kinder liebt er und gibt sich dafür selbst auf. Der eigene Schmerz wird fraglos erlitten und selbst eine Nachtclubszene, die Vergnügen heuchelt, verwandelt sich in eine bizarr-düstere Gegenwelt. Der Tod, die Liebe, das Leben - in uns, und um uns herum. So einfach ist das Thema von Alejandro González Iñárritu, und damit hat er einen großen Film geschaffen. Oscar? Doch nicht für gute Filme und Schauspieler. Viel wichtiger ist, dass uns Iñárritu bewegt, anrührt und über viele im Film angesprochenen Lebenswerte neu nachdenken läßt. Also endlich: Hingehen.

Da der Youtube-Trailer in deutsch eine nicht mit dem Film zusammenhängenden Voice-Over-Stimme enthält, die was vom Sturm im Leben faselt und der andere Trailer vor lauter Werbung kaum zu sehen ist, gibts heute mal "nur" einen Vimeo-Link

Linktipps:
* bei ARTE TV gibt es ein Interview mit dem Regisseur zu sehen. Winziger "Filmfehler" in diesem Interview: ein "3. Klavierkonzert" von Ravel gibt es gar nicht... Aber das in G-Dur ist natürlich auch am Ende wunderbar eingesetzt...
* Die Dame der Süddeutschen wollte wohl was Hübsches, Buntes sehen...? Oder schlicht in der Kinotür geirrt?
* Auch die Kinorezensentin der Welt mag keine ausladend emotionalen, traurigen Filme. Ihr Pech.
* Die dritte Rezensentin spricht in der FR ebenfalls von der Wucht des Elends.
* Dame Nummer vier in der ZEIT schildert den Film als erbarmungslos.
* Und schließlich ist doch ein männlicher Rezensent noch mit ins Kino gegangen, dieser Herr schreibt für die Märkische Allgemeine.

Und Barcelonas Hinterhöfe sind eben so. Punkt.

Freitag, 4. März 2011

Black Swan

Nur der Vollständigkeit halber, weil ich mich viel zu spät diesem Film widme: Es ist ein guter Film. Da kann John Neumeier wettern wie er will, seine Argumente ziehen nicht, weil er einen anderen Film sehen wollte. Und mit so einer Erwartung geht Kino eben gründlich schief. Ich habe auch etwa zwei Drittel des Filmes gebraucht,um "reinzukommen", aber genau diesen Umstand scheint Aronofsky zu kennen. Entkommen zwecklos. Und genau an dieser Schwelle beginnt der Regisseur einen Taumel von Bildern und Emotionen, die bis zum Schluss anhalten. Wie Neumeier dann noch von Klischees brabbeln kann, ist mir unverständlich, vielleicht hat er die letzten zwanzig Minuten des Films an der Bar verbracht.
Ich verzichte auf weitere Details heute, erkläre, dass ich einen sehr guten, wenn nicht großartigen Film gesehen habe und schiebe Zückerchen nach:

Freitag, 25. Februar 2011

Zauberhafte Farbigkeit

Christian Thielemann würdigt Liszt im Sonderkonzert der Staatskapelle

Vorweg: Franz Liszt wäre über die reichhaltigen Geschenke aus Dresden hocherfreut gewesen. Bereits 1873 war der Meister schon zum "Ehrenmitglied auf Lebenszeit" des Tonkünstlervereines der Hofkapelle ernannt worden, hatte mehrfach in Dresden gastiert und auch die Dante-Symphonie zur Uraufführung gebracht. Mit Richard Wagner war er überdies familiär wie künstlerisch verbunden. Und über allem schwebte Goethes "Faust" als vielfältige Inspirationsquelle, der auch Gounod, Berlioz und Schumann umtrieb.

Grund genug für die Staatskapelle Dresden, Liszt, Wagner und Goethe in einem Würdigungskonzert zum 200. Geburtstag von Franz Liszt zu vereinen. Ein weiteres "Geschenk" für den Jubilar: Mit dem künftigen Chefdirigenten der Staatskapelle Christian Thielemann widmete sich ein enthusiastischer Interpret den beiden Werken in einer Weise, als ob die Herren daselbst in der Loge erschienen wären. Da wirft das Wagner-Jahr 2013 schon seine Schatten voraus, und Thielemann freut sich, nun auch die "Faust-Ouvertüre" in sein Repertoire aufgenommen zu haben. Im nahezu ausverkauften Semperbau zeigte Thielemann nicht etwa ein Gelegenheitswerk, sondern arbeitete vor allem an den wechselvollen, intensiven Emotionen dieses Werkes, ganz im Sinne der gestochen scharfen Perspektive auf den Faust-Charakter. Dass dabei ein fast modernes, zum Teil fahl schimmerndes Orchesterstück herauskam, wundert kaum - die Kapelle folgte Thielemanns flexiblen Tempi so exzellent, dass jeder noch so kleine Vorhalt sprachähnlich ausgedeutet erschien.

Im Zentrum des Konzertes stand dann die Faust-Sinfonie von Franz Liszt; was Wagner dann doch nicht als vollständiges Faust-Projekt realisierte, komponierte Liszt 1854 in Weimar als sein umfangreichstes, sinfonisches Hauptwerk, dabei vermengte er auf ihm eigene Weise die sinfonische Dichtung mit der Sinfonie und schuf in den Sätzen drei Charakterbilder von Faust, Gretchen und Mephisto. Höchst interessant war im 1. Satz zu bemerken, wie Liszt eng verwandte Ausdruckswelten zu Wagners kompositorischer Lösung findet und doch auf eigene Weise fortspinnt.

Bei aller Wertschätzung - die Faust-Sinfonie hat ihre Längen und manche Themen oder harmonischen Fortschreitungen breitet uns Liszt auch gerne doppelt und dreifach aus. Für Thielemann jedoch liegt genau dort eine Stärke der Partitur: da geht er mit den Musikern in die Tiefe, addiert zu einem seitenlangen Orgelpunkt der Kontrabässe zauberhafte Farben in den Bläsern und kümmert sich fast liebevoll um Linien in den Nebeninstrumenten oder einen abwartenden Hornruf. So erschließen sich die großen Bögen dieser Musik eben nicht durch lautstarkes Tutti, sondern durch viele solistische, kammermusikalische Bilder, die klanglich von allen Musikern superb ausgestaltet wurden. Besonders innig geriet so der zweite Satz, während Thielemann den dritten weniger als plauderhaftes Scherzo denn als rasanten Teufelsspuk auffaßte. So konnte das Finale des "Chorus Mysticus" (mit bestens aufgelegtem Männerchor der Staatsoper und dem strahlkräftigen Tenor Endrik Wottrich) nur als konsequente Beruhigung, als breit und groß angelegte Feierlichkeit wirken. Diese intensive, hochklassige Würdigung des Jubilars löste sehr heftigen Beifall aus. Beim Dresdner Publikum ist Christian Thielemann längst angekommen und dieses ist erst recht bei einem gar nicht so häufig aufgeführten Werk wie der Faust-Sinfonie begeisterungsfähig, wenn man wie Thielemann sein ganzes Können hineinlegt.

Mittwoch, 16. Februar 2011

CD-Tipp Februar: Monteverdi & Mahler

Diesmal konnte ich mich nicht recht entscheiden, und daher gibt es zwei Platten als Monatstipp, die sich bekannten Werken in einer solch intensiven Weise widmen, dass man die Stücke "neu" hören kann - das gelingt nicht jedem und zu oft hängt man ja auch an seinen eigenen Vorlieben und favorisierten Aufnahmen.
Die eine wäre diese hier:

Monteverdis Marienvesper - von Christina Pluhar und ihrem L'Arpeggiata-Ensemble mit viel Hingabe und Können musiziert. Man wagt nicht den Begriff "authentisch" heranzuziehen, doch zumindest ist es ein erfrischend lebendiger, hochmusikalischer Zugang zu diesem Werk, dazu gibt es einige Überraschungen in der Besetzungs- und Tempowahl. Spannend.


Und dann doch wieder Mahler. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, denn man vermeint "seinen" "Rattle-Mahler" (o Gott, doppelte Anführungszeichen) zu kennen. Falsch gedacht. Diese Live-Aufnahme der 2. Sinfonie läßt das Werk vor den Ohren extremst neu entstehen. Da sitzt jede Pause, jeder Hornruf. Seufzer sind exakt austariert, Steigerungen haben genau die richtige Welle, auf der das Orchester gemeinsam dem Höhepunkt entgegengleitet. So entsteht räumliche Kraft und Tiefe. Toll.

Weitere spannende Neuerscheinungen:
* Diana Damrau veröffentlicht Orchesterlieder von Strauss (Virgin) - Thielemann am Pult der Münchner Philharmoniker stiehlt ihr fast die Schau, und doch gehts zusammen: SO innig und sanft hat man die Lieder selten vernommen
* Geheimtipp für Chormusikfreunde: der junge britische Chor "Consortium" stellt eine ganze Platte mit Reger-Chören (hyperion) vor, darunter der atemraubende "Einsiedler" und das späte Requiem. Aufregend und dicht musiziert.
* Absolut hörenswert auch die nächste Neuveröffentlichung des RIAS-Kammerchores, der gerade knapp an einem Grammy vorbeigeschrammt ist: Hans-Christoph Rademann hat sich die Trauermusiken von Johann Ludwig Bach vorgenommen - eine Entdeckung für Barock-Spezialisten.
* Und die erste Jubiläumsjahr-Liszt-Platte, die richtig gelungen ist: Das Trio Wanderer (ohnehin ziemlich weit oben auf dem Kammermusikgipfel) koppelt nämlich höchst spannende Bearbeitungen (darunter Vallee d'Obermann) von Liszt mit dem Klaviertrio von Bedrich Smetana. Und da geht Weghören schonmal gar nicht.
* Auch in der leichten Muse gibt es zwei schöne Neuveröffentlichungen: An Adeles neuer Scheibe -- 21 -- (Indigo) kann man sich ebensowenig satthören, wie an Max Raabes kongenialer Kooperation mit Inga Humpe Küssen kann man nicht alleine (Universal)

Flops gibts im Februar auch:
* Simone Dinnerstein versucht sich an Bach (Sony) und bekommt eben nur die eine von vielen tausend hingeklatschten Bach-CDs hin. Überhörenswert.
* Ähnlich verhält es sich mit den beiden Brahms-Klavierkonzerten, die Rudolf Buchbinder mit dem Israel Philharmonic unter Zubin Mehta eingespielt hat. Dick klingt das Orchester, gediegen müht sich Buchbinder ohne dass einmal Ecken und Kanten dieses Komponisten hervorgearbeitet würden. Allenfalls was für die ältere Hörgeneration.
* Am liebsten würde ich ja Thomas Hampsons Wunderhorn-Lieder aufgrund der "Plastizität per Hammerschlag" in die Kinderabteilung einsortieren. Ein richtiger Flop ist das nicht, aber spätestens im 3. Lied geht einem die extrem überdeutliche Zeichnung durch den Sänger auf den Nerv. Weniger wäre mehr gewesen.

Zum Nachlesen:
* CD-Tipp Januar 2011

Wechselspiel von Schatten und Licht

Gedenkkonzert in der Frauenkirche mit Werken von Joseph Haydn

Das musikalische Erinnern an die Zerstörung Dresdens 1945 ist ein intensiver Weg des Gedenkens, der einhergeht mit der Reflektion über eine dem Anlass angemessene Musik. In der Frauenkirche kommt noch die besondere Atmosphäre des Ortes hinzu, und jeder Besucher bringt seine eigene Geschichte an diesen Ort mit. Im Gedenkkonzert am Sonnabend mögen nicht unbedingt viele Dresdner gewesen sein, aber dennoch stellte sich die ernste, aufrichtige Atmosphäre schon allein durch die besondere Werkauswahl ein.

Zwar ist eine Messe und eine Sinfonie per se keine Trauermusik, und bei Joseph Haydn könnte man vielleicht nicht im allerersten Bezug auf tiefen Ernst kommen, doch darin lag gerade der Reiz des Programmes. Frauenkirchenkantor Matthias Grünert musizierte zunächst mit dem "ensemble frauenkirche" die 26. Sinfonie d-Moll "Lamentatione", die ihren Namen auf den im 2. Satz zitierte gregorianische Weise des "Incipit Lamentatio Jeremiae Prophetae" gründet. Grünert schliff die Interpretation vom Cembalo aus und zeigte deutliche Kontraste, die auch die Ausdrucksebenen jenseits von Ernst und Trauer beleuchteten.

Als Wechselspiel von Schatten und Licht ist auch Haydns Messe C-Dur, die Paukenmesse, begreifbar. Kurze innige Solopassagen wechseln hier mit aufgeregten Chorszenen, in denen selbst immer wieder Stockungen, Emphasen und lichte Momente einkomponiert sind. Grünerts Verdienst ist eine abwechslungsreiche Darstellung dieses Werkes, das sich mit dem aufblitzendem "Et Resurrexit" und dem auch in dieser Aufführung als Befreiung musizierten "Dona Nobis Pacem" schließlich ganz bejahend dem Leben zuwendet. Der Kammerchor der Frauenkirche gestaltete den markanten Beginn, ein von Grünert äußerst flott genommenes Gloria und auch das Agnus Dei eindringlich, konnte sich aber in wortreichen Tutti-Passagen zu wenig über das Orchester erheben. Birte Kulawik (Sopran), Ulrike Zech (Alt), Eric Stokloßa (Tenor) und Matthias Weichert (Bass) gestalteten ihre Soli angemessen, lediglich in den Quartetten wäre mehr Agogik und Verschmelzung vorstellbar gewesen.

Der Friedensbitte in Haydns Messe folgte schweigendes Gedenken im Publikum, und die schöne, wiederkehrende Erkenntnis, dass Musik, in solch guter Interpretation dargeboten, uns wohl in adäquatester Weise mit den eigenen Emotionen und Gedanken zu diesem Tag verbinden mag.

Montag, 14. Februar 2011

Mit überbordender Lebendigkeit

Haydn, Berio und Schumann im 5. Zykluskonzert

Völlig auf Kontrast ausgelegt war das Programm des 5. Zykluskonzertes der Dresdner Philharmonie, mit dem der italienische Dirigent Roberto Abbado sein erfolgreiches Debüt beim Orchester gab. Zwei sinfonische Werke von Joseph Haydn und Robert Schumann umrahmten das Concerto für zwei Klaviere und Orchester von Luciano Berio, das der 2003 verstorbene Komponist 1972 für Bruno Canino und Antonio Ballista schrieb. Für dieses höchst anspruchsvolle Werk konnte das "GrauSchumacher Piano Duo" (Andreas Grau, Götz Schumacher) engagiert werden - Spezialisten gerade für zeitgenössische Musik und Entdeckungen in der Literatur für vier Hände.

Im Publikum traf das äußerst virtuose Werk allerdings kaum auf Anerkennung. Das lag weniger an der fahrlässigen Irreführung im Programmheft, das Concerto der "gemäßigten Moderne" zuzuordnen. Der schwierige Zugang kann vor allem darin begründet sein, dass das Stück nur ein einziges Hören zulässt: das offene, vorurteilsfreie Hören, das nicht vergleicht oder Erwartungen erfüllt. Läßt man sich darauf ein, erscheint Berios Concerto als eine einzigartige, zerklüftete Klanglandschaft, die deutlich um verschiedene Pole der Dichte und Klangschärfe zu kreisen scheint. Grau und Schumacher bemühten sich kundig und mit großer Selbstverständlichkeit um das Stück, vor allem der mit Akkordblöcken durchbrochene Schluss gelang intensiv. Vieles gab es da zu entdecken: immer wieder entstehende und sich auflösende Massierungen, Stillstand und exorbitante Bewegung. Doch das flimmernde Schmuckstück wollte nicht zum Zuhörer gelangen, und das lag auch an akustischen Problemen: die deckellosen, weit auseinandergestellten Instrumente der Solisten ließen den Klang nur flach in den Raum entweichen, sodass ein differenziertes Zuhören fast unmöglich war und die Solisten im Tutti untergingen.

Hier scheiterte wieder einmal eine gut gemeinte Aufführung am Saal; im Orchester konnte Abbado die Changierungen in den harmonischen Schichtungen und der ausgefeilten Rhythmik nur bis zu einem gewissen Grad zeichnen, die Balanceprobleme überwogen jedoch: die elektronische Orgel kam zu scharf über die Bühne, von der Marimba hingegen vernahm man fast gar nichts. Als kaum befriedigendes Ergebnis stellte man fest, bei einem zu lobenden Höchstmaß der Anstrengung aller Beteiligten nur einen Bruchteil der Schönheit des Werkes empfangen zu haben.

Zuvor demonstrierte Abbado an Joseph Haydn, dass im vertrauten Rahmen diese Differenzierung auch gelingen kann: wunderbar galant und edel im Ton musizierte die Philharmonie die 93. Sinfonie D-Dur. War der 1. Satz noch festmusikartig zelebriert, so spielte sich das Orchester mit schlankem Ton bis zum Finale völlig frei, ohne dabei schöne Details aus dem Auge zu verlieren.

Höhepunkt des Konzertes war zweifelsohne die 4. Sinfonie d-Moll von Robert Schumann. Abbado formte eine außergewöhnliche Interpretation, die das Publikum mit frenetischem Beifall quittierte: das ganze Werk atmete eine leichte Überspannung, die sich mal in intensiver Leidenschaft, mal in vorwärtsstürmender Dramatik niederschlug. Zurücknahme und Auskostung eines Pianos oder einer kantablen Linie stand hier weniger auf der Tagesordnung, dafür aber atmete diese Aufführung eine fast überbordende Lebendigkeit. Der Funke des stets mit ganzem Körpereinsatz den Klang formenden Dirigenten sprang auf die Philharmoniker über, die mit hervorragender Homogenität antworteten.

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