Rezensionen

Sonntag, 30. Januar 2011

Querbeet durch die Gegenwart

Studio Neue Musik an der Musikhochschule Dresden

Seit zwei Jahren ist der neue Konzertsaal der Musikhochschule in Dresdens Musikleben fest verankert, dabei ist ein Großteil der Veranstaltungen Bestandteil des Studienalltags an der Hochschule: Diplomabende, Professorenkonzerte und Podien der verschiedensten Instrumentalklassen finden hier nahezu täglich statt - nicht selten ist der Eintritt frei und man bekommt anspruchsvolle Aufführungen geboten. In der hervorragenden Akustik ist vom Solo-Recital bis zum Oratorienkonzert vieles möglich. Das an der Hochschule beheimatete KlangNetz Dresden und das Studio Neue Musik nutzen den Saal für Zeitgenössisches.

In der Instrumentalpraxis spielt das von Christian Münch geleitete Studio eine wichtige Rolle - gleich beim ersten Programmbeitrag wies Jörn Peter Hiekel in der Moderation darauf hin, dass das Horn-Solo aus Olivier Messiaens "Des Canyons aux Etoiles" Pflichtstück bei vielen Wettbewerben ist. György Zsovár hatte da bereits eine reife eigene Interpretation gezeigt, die sich im Raum hervorragend entfaltete. Ab hier ging es querbeet durch die Landschaften der Gegenwartsmusik, wobei die meisten Komponisten einen Bezug zu Dresden aufwiesen.

Günter Schwarze etwa ist als Tonsatz- und Kompositionslehrer am Institut tätig und vier junge asiatische Studenten stellten sein Streichquartett aus dem Jahr 1978 vor - es wäre interessant zu wissen, ob die Musiker den zeitgeschichtlichen Background dieses Werkes mit erarbeitet haben. Für Friedrich Goldmanns "durch dick und dünn" trifft ähnliches zu. Jana Potuckova (Piccoloflöte) und Radek Zabka (Tuba) bildeten ein ungleiches Paar, das lustvoll das Gegen-den-Strich-bürsten dieses garstigen sprach-losen Manifestes exerzierten. Aktueller waren die Kompositionen von Hans Zender, Matthias Pintscher und Franz Martin Olbrisch, wobei Pintschers "Figura I" für Akkordeon und Streichquartett trotz engagierter Interpretation als recht dröge Klangfarbenetüde vielleicht auch im farbigen Kontext des Konzertes kaum beeindrucken mochte. Olbrisch wiederum betonte den forschenden Aspekt des Komponierens in seinem Soloflötenwerk, das in einer Neufassung (Martin Baumgärtel, Regie) angereichert mit Zuspiel und Live-Elektronik spannende neue Mischfarben des Flötenklangs vorstellte und am Ende opulent-poetisch verrauschte.

Stark nachwirkend wie Darja Baumgärtels Flötenspiel war auch die gute Interpretation der "Tres Canciones" von Hans Zender. Ah Young Yoon, David Sitka und Florian Kießling gestalteten die höchst lyrischen, aber in eine klare Tonwelt gesetzten Gesänge auf Texte von Juan de la Cruz emotionsvoll und selbstverständlich. Gerade die fast zufällig scheinende Dramaturgie des Abends gelang in der Summe spannend - ein solcher Streifzug wirkt immer inspirativ und dürfte hoffentlich den Studenten selbst ebensolchen Gewinn bringen.

Mittwoch, 19. Januar 2011

Beschwörungen an der Marimba

Martin Grubinger im 5. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie

Nach knapp zwei Jahren war er wieder zu Gast bei der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast - der Hexenmeister am Schlagzeug namens Martin Grubinger, der in aller Welt staunendes Publikum hinterläßt und doch einfach nur macht, was ihm Spaß macht: Schlagzeug spielen. Aber dies eben auf einem Niveau, dass die Komponisten mittlerweile Bestkenntnisse in höherer Arithmetik aufweisen sollten, um dem Herrn einigermaßen Herausforderungen zu bieten.

Was da möglich ist, zeigte Grubinger in seiner bescheiden "...und nun zum Sport" angekündigten selbstkomponierten Zugabe. Die kannten die Dresdner zwar schon von seinem letzten Gastspiel, aber die Wiederholung war notwendig, damit nun die erneute Bestätigung hatte: es war real, dieses aberwitzige Tempo und diese Präzision, mit der Grubinger seinem Stick sogar einen Weg auf dem Arm bis zur Schulter anweist - wahrlich ein Hexenmeister.

Als solcher ("Conjurer") wird er auch im 2007 entstandenen Schlagzeugkonzert des Amerikaners John Corigliano (geb. 1938) betitelt, das im 5. Zykluskonzert seine deutsche Erstaufführung erlebte und von Grubinger erstmals gespielt wurde. Corigliano trennt die Klangwelten Holz, Metall und Fell und entwickelt relativ geschlossene und zumeist konventionelle Formen. Das der Percussion zugeordnete Streichorchester versagt allerdings dann aus akustischen Gründen schon seinen Sinn, wenn Grubinger aufdreht; hier ist (mal wieder) ein anderer Konzertsaal vonnöten, um diese Überblendungen hörbar zu machen. Andererseits stellte sich der Sinn des Begleitapparates ohnehin nicht ganz ein, denn außer flachen Dialogstrukturen wurde keine tiefer wirkende Ebene erreicht. Ohnehin dominierte der Solist völlig - im 1. Satz waren die Marimbabeschwörungen durchaus noch spannend, doch zu langatmig rollte der 2. Satz in süßlicher Idylle dahin. Grubingers sensible und kraftvolle Klasse machte diese Schwächen der Komposition wett - schließlich wartete im Finale ein abzubrennendes Feuerwerk auf Pauken und Trommeln - Grubinger empfing großen Jubel für diese Demonstration von Rhythmus und Klangsinn.

Der finnische Gastdirigent Hannu Lintu war bereits hier als verläßlicher Partner des Solisten aufgetreten. In der 1. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius erreichte er nach der Pause mit den Philharmonikern eine höchst bemerkenswerte Leistung. Für einen sinfonischen Erstling im Dunstkreis zwischen Brahms und Strauss ist dieses Werk nämlich nur dem Anschein nach am damaligen Geschmack orientiert: zahllose Abbrüche, eine erweiterte, überraschende Harmonik und die formalen Weiten dieses Werkes wollen entdeckt und herausgekitzelt werden. Lintu gelang dies mit dem Orchester hervorragend, wenngleich manchmal der gute Wille noch einen vielleicht freieren, extremeren Ausdruck verhinderte. So aber freute man sich über einen höchst homogenen, ausgeformten Bläserklang, rassiges Fundament in den Streichern und viele ausgehörte Details. Kein Werk zum Glänzen, aber eines, das intensiven Zugang von Hörern und Interpreten verlangt und dann zeitlose Schönheit offenbart.

Zwischen Phantasy und Reißwolf

Szenische Miniaturen von Kompositionsstudenten

Die jungen Komponisten an der Dresdner Musikhochschule haben ihre neuesten Schöpfungen im Institut bisher zumeist in den als "Podium" bekannten Abenden vorgestellt. Oft war dies bunt gemischte Kammermusik, und es fanden sich immer Kommilitonen, die die noch tintenfeuchten Partituren zur Uraufführung brachten. Die Zeiten ändern sich, der Komponist von heute ist gestählt in multimedia-Anwendungen, schreibt für alle Gattungen und Genres und bindet performative, bildende und literarische Kunst wie selbstverständlich in sein Werk ein. Aus der Fülle der Möglichkeiten jedoch zeitenüberdauernde Kunst zu schöpfen, ist nicht planbar. Doch zumindest bietet das Kompositionsstudium ein Füllhorn von Spiel-Möglichkeiten in Theorie und Praxis zum Entwickeln der künstlerischen Persönlichkeit.

Ein Abend der Klasse von Prof. Manos Tsangaris stellte daher sozusagen Momentaufnahmen, Streiflichter vom gegenwärtigen Schaffen der Kompositionsstudenten dar. Der Abend war außerdem als Suite von szenischen Miniaturen unter dem Titel "Briefmarkenopern" zusammengefasst - die Bildkraft dieses Begriffes regt an und irritiert zugleich, und genau so war auch die Wirkung der Darbietung. Im Konzertsaal wurde das Publikum auf der Bühne platziert, auf diese Weise entstand zwar ein enger, begrenzter Raum von Sicht- und Hörflächen, doch wollte sich der "klassische" Frontalaspekt zwischen Publikum und Interpreten nicht völlig aufheben. Außerdem ist das Auditorium von Natur aus gleichzeitig geduldig und träge und reagiert selbst dann nicht genervt, wenn gleich zu Beginn dieser Zustand als erlaubt annonciert wird.

Was erklang? Verschiedene Zugänge zu szenischer Musik, die oft als Ansatz, Annäherung, Skizze zu begreifen waren, in seltenem Fall in ihrer Dringlichkeit oder Abstraktion aber durchaus als starkes Ganzes wirkten - "recycle" von Neele Hülcker etwa formte mit lediglich drei Sängerinnen samt Diktiergeräten eine beängstigend kalte Meta-Ebene des Theaters und überzeugte mit einem konsequent durchgeführten Material, das Kraft entwickelte. Katharina Vogt formulierte einen sanften Antibeginn mit schweigenden Musikern und Blockflötenstörungen vom Nachbarplatz. Christian Rheber wiederum lockte in einen Phantasy-Raum mit einem theatralischen Fragment, das sich selbst in Frage stellte. "Come and Go" von Nicolas Kuhn war der vielleicht introvertierteste, aber auch stimmungsvollste Beitrag, während Peter Motzkus' "ARIA" für Sängerin und Smartphone auf merkwürdige, vielleicht einsame Parallelwelten zwischen Leben und Technik hinwies.

Martin Baumgärtel erschien für eine szenische Miniatur der Schaffensprozess in seiner Spiegelung als Ansatz spannend und die Briefmarkenoper "In Liebe, Agnes" erinnerte vor allem in ihrer musikalischen Unbekümmertheit stark an Milhauds "Minutenopern". Wunderbar, wie engagiert und professionell alle Aufführenden agierten und so einen erhellenden Streifzug durch die Werkstatt der in Dresden studierenden Komponisten ermöglichten. Und schön, dass ein Klassenabend Komposition neben sicherlich auch notwendigem Diskurs über Theorie und Ästhetik einmal fünfe grade sein lässt und mit den Augen zwinkert: Baumgärtels Ringen mit dem Skizzenblatt verschwand live im - Reißwolf.

Montag, 17. Januar 2011

Auf der Reise zum Ich - Sophie Marceau in "Vergissmichnicht"

Nein, so wird das nichts. Der Ansatz von "Vergissmichnicht" (im Original L'Age de Raison) von Yann Samuell könnte unterhaltsam sein, denn er passt perfekt in die breite Palette des Genres Selbstfindungsfilm oder auch Wie-werd-ich-ein-besserer-Mensch-Film: Business-Frau erinnert sich mitten im Karriereschwung an ihre eigene Kindheit und besinnt sich auf die wahren Werte des Lebens. Soweit, so gut. Allerdings hapert es in dem Film massiv an der Umsetzung. Das Strickmuster, die 7jährige Marguerite ihrem 40jährigen Ich Briefe zu schreiben, die diese dann schnitzeljagdmäßig per altersweisem Notar in ihr Leben integriert, fällt doch zu überzogen aus. Zeitweise wirkt die Kleine wie eine Fremde, denn man mag sich jede andere Kindheit für Margaret (der Kindesname musste aus karrieretechnischen Gründen weichen) vorstellen, aber doch nicht diese. Und Kinder, die reflexiv in die Zukunft Briefe schreiben und dabei eine Moral- und Erkenntniskeule schwingen, auf die andere weit nach ihrem 80. Geburtstag immer noch warten? Mon Dieu! - So hangeln wir uns durch diese einfältige Schwarz-Weiß-Geschichte zwischen Konferenztischen, hektischen Fahrten im SUV oder fetten Audi aufs Land und unachtsamen Filmfehlern (so oberflächlich, wie die Schatzkiste im Brunnen hockt, hätte sie schon vor 30 Jahren gefunden werden müssen...) - Ach ja, Sophie Marceau ist die Hauptdarstellerin. Hatten wir schon fast vergessen, denn in diesem Film agiert sie wirklich, als stecke sie in einer Drehbuchröhre, die ihre schauspielerischen Stärken fast ersticken läßt. Und am Ende blicken wir auf glückliche afrikanische Kinder. Dass Franzosen träumen können, wissen wir. Dass sie es besser als in diesem Film können, wissen wir nun auch.



Rezensionen:
* Die ZEIT: Von Tränen reichlich aufgeweicht
* Hamburger Abendblatt: Nur schön reicht nicht
* Deutschlandradio: Radiofeuilleton - Film der Woche

-> läuft diese Woche noch im Thalia Dresden

Dienstag, 11. Januar 2011

Apotheose der Farben

Tschaikowsky und Schostakowitsch im 5. Sinfoniekonzert der Staatskapelle

Vorbei ist die Silvesterseligkeit mit leichter Muse - gleich das erste Sinfoniekonzert der Staatskapelle im neuen Jahr widmete sich in Gestalt der 4. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch existenzieller musikalischer Ausdruckskraft. Vorangestellt war das Violinkonzert von Peter Tschaikowsky - ein hinlänglich bekanntes und geschätztes Repertoirestück, das aber in der Nachbarschaft zur sinfonischen Wucht nach der Pause kaum ins Erinnerungsgewicht fiel. Wohl aber bleibt die Interpretation im Gedächtnis, mit Vadim Repin stand ja immerhin ein russischer Teufelsgeiger zur Verfügung. Wer nun eine "authentische" Darstellung erwartete, durfte seinen Horizont erweitern, denn wer will den Anspruch erheben, das spezifisch russische Element der Musik eindeutig erfassen zu können?

Repin versuchte es mit makellosem Schmelz, der nur in der Exposition des 1. Satzes etwas lapidar und unauffällig wirkte. Dass Repin ein Meister von Virtuosität und Geschwindigkeit ist, weiß das Dresdner Publikum von seinen Gastspielen, allerdings sei die Frage erlaubt, ob die im Kopfsatz erfolgte Demonstration geflitzter Passagen wirklich adäquat ist; trotz vertracktem solistischen Part ist dieses Konzert bei weitem keine Konzertetüde. Man hechtete mit dem Hören hinterher und verstand überdies nicht, warum das Orchester unter der höchst detailgenauen Leitung von Vladimir Jurowski in der Partitur ganz andere Tempoauffassungen vorfand. So konnten sich die Ebenen zwischen Virtuosensport und empfundenem Ausdruck (die Canzonetta gelang wunderbar) vor allem im 3. Satz nicht immer einpendeln - der Eindruck blieb zwiespältig.

Nach der Pause füllte sich die Bühne - Dmitri Schostakowitschs 4. Sinfonie c-Moll verlangt nicht nur ein Riesenorchester, die 60-minütige Partitur reizt dynamische, harmonische und rhythmische Möglichkeiten bis ins Extrem aus und erschüttert auch ein dreiviertel Jahrhundert nach ihrer Vollendung noch durch ihre direkte Ansprache und einer Apotheose der Farben und Formen. Dass am Ende nach einer spannungsvollen Stille im Opernrund ein sichtlich mitgenommener Vladimir Jurowski einen wahren Beifallssturm entgegennehmen durfte, war Ausdruck einer exemplarischen, höchst intensiven Interpretation.

Ein überaus zwingend nach vorne gerichtetes Moderato bestimmte den ersten Satz, in dem Jurowski vor allem den Holzbläsern harsche Klangfarben zuordnete, die in jeder Brahms-Sinfonie zum Rauswurf führen würden. Doch eben diese Schärfe und Genauigkeit, dieser letzte Wille im Ausdruck war das Besondere dieser Interpretation. Dies manifestierte sich vor allem im höllenartigen Fugato, nach welchem der 1. Satz kaum beruhigt auspendelte. Jurowski wahrte auch im 2. Satz die Übersicht und legte dann das Finale als Kompendium aus Schostakowitschs Frühwerk an: Ballettklänge überschlugen sich mit anrollenden avantgardistischen Stürmen; immer wieder brachen sich solistische Stimmen Bahn, so etwa die ausgedehnten Monologe für Fagott und Posaune. In der Kapelle perfekt, musikalisch und musikantisch ausgeführt. Mit diesem Programm gastiert das Orchester in dieser Woche in Paris und Köln - in der derzeitigen Form und mit einem solch impulsiv-kompetenten Dirigenten am Pult wird sich das dortige Publikum auf herausragende Konzerte freuen dürfen.

Übrigens besorgte die Staatskapelle Dresden auch die deutsche Erstaufführung der 4. Sinfonie im Februar 1963, zwei Jahre nachdem das Stück in Russland durch das Engagement von Kyrill Kondraschin uraufgeführt wurde - Schostakowitsch selbst hatte das Werk 25 Jahre zurückgehalten und damit womöglich weitere Repressalien gegen ihn und seine Musik verhindert. In der Staatskapellen-Edition ist die Aufnahme des DDR-Rundfunks von 1963 unter Leitung von Kyrill Kondraschin wieder zugänglich geworden und stellt auch klangtechnisch eine höchst aufschlussreiche, wenn nicht gar authentische Dokumentation dar, denn Schostakowitsch vertraute Kondraschin, dieser wiederum hatte eine exzellente Beziehung zum Dresdner Orchester. Hörenswert.

Montag, 10. Januar 2011

CD-Tipp Januar: Mahler Herreweghe

In loser Form, mindestens jedoch einmal im Monat, stelle ich hier ein paar Neuerscheinungen vor, die mich bewegen. Das heißt, es wird sowohl Jubelstürme als auch Ärgerliches geben, ich hoffe allerdings, dass die positiven Anlässe überwiegen. Allerdings verliere ich nicht viele Worte - wer mich kennt, weiß um meinen Geschmack und meine Ansichten. Jedoch hoffe ich, dass auch aus den kurzen Zeilen vielleicht der eine oder andere einen Hörtipp mitnimmt oder sogar kommentieren mag.

Die CD des Monats Januar steht für mich bereits fest:


Philippe Herreweghe hat nicht nur ein neues Label gegründet (Gardiner und das LSO, auch der Bayrische Rundfunk haben es vorgemacht) - er widmet sich auch meines Wissens erstmalig in einer Produktion einer Mahlersinfonie (vom "Lied von der Erde" und den Liedern gibt es bereits Aufnahmen). Nun ist gerade diese Sinfonie sehr häufig auf dem Plattenmarkt vertreten, vermutlich weil sie auch in ihrer kantablen Faktur sehr zugänglich ist. Herreweghe aber schockiert in positiver Weise, weil er das Stück bis in die letzte Achtelnote ausmalt und durchinterpretiert. Und zwar in einer höchst frühlingshaft-pointillistischen Weise, die das Werk im Gesamt-OEuvre als unverhohlenen Lichtblick, als Sonnenaufriß zeigt. So musikantisch und tänzerisch leicht, so zwingend natürlich habe ich Mahler selten gehört. Dazu kommt Herreweghes intensiver Zugang zum Originalklang, ohne dogmatisches "Müssen" anzusetzen. Heraus kommt ein Orchesterklang von lauter völlig kammermusikalisch aufspielenden Solisten, die aber dennoch gemeinsam eine Linie gehen. Einziges Manko sind vielleicht die wenigen doch etwas zu weich angegangenen forte-Passagen und mit Rosemary Joshua als Solistin kann ich mich (noch) nicht hundertprozentig anfreunden. Auf jeden Fall, auch für Mahler-Neulinge höchst empfehlenswert.

Weitere neue CDs im Januar:
* Hilary Hahn spielt Tschaikowsky & Higdon (DGG) - siehe auch mein Preview
* Nils Mönkemeyer widmet sich barocker Musik auf "Folia" (Sony)
* das Collegium 1704, in Dresden wohlbekannt, produzierte auf einer Doppel-CD oratorische Werken von Jan Dismas Zelenka (accent)

Freitag, 7. Januar 2011

Howl - Das Geheul. Ein filmischer Versuch.

Das scheint ja ein üppiges Kinojahr zu werden - diesmal ging es allerdings auf eine schleppend-langweilige Reise in mir eher fremde Gefilde.

Bevor ich länger um den heißen Brei herumrede: es handelt sich um "Howl" der US-amerikanischen Regisseure Rob Epstein und Jeffrey Friedman. Es ist der Versuch, das Gedicht filmisch in einer Art Hommage widerzugeben. Ich wiederhole mich, aber ich habe mich bisher weder intensiv mit Ginsberg, Kerouac und der socalled Beat Generation beschäftigt noch würde mich das, was ich bisher gelesen und gehört habe, zu weiterer Beschäftigung hinreißen. Auf deutsch: es ist mir fremd, teilweise sogar trivial und uninteressant. Dieser Film, so hoffte ich, würde mein Bild etwas verändern und den Horizont erweitern.

Er tat es nicht und ich befürchte, Ginsberg-Lover sind die einzigen, die diesem Film sozusagen als spezielle Bauchpinselung ihres Idols einen Sonderplatz im DVD-Regal zuweisen werden. Filmisch jedenfalls pendelt das Machwerk zwischen einem peppig mit bunten Animationen aufgemotzten Literaturwissenschaftsseminar und einem Dokudrama mit drittklassigen Schauspielern, dabei schleicht sich sogar die Vermutung ein, der Wechsel und die Länge der einzelnen Szenen wurden bewusst gleich lang gestaltet, um den Zuschauer auch ja nicht von der Größe des Gedichtes abzulenken, leider entsteht dabei eine innere Kapitellastigkeit, die schon fast bürokratisch wirkt.

Die Interviewszenen wiederum zeigen nicht einen genialen Dichter, sondern allerhöchstens einen stinknormal vor sich hin palavernden Raucher und Mitmenschen ...so what? Wozu denn dieses - fiktive? - Sofagelaber über den "richtigen Moment, ein Gedicht zu schreiben" und die Analyse der Freude beim Analsex, während sich der Ginsberg-Schauspieler (mehr ist er wirklich nicht) gerade in der Küche einen Tee aufgießt.

Nach der vierten steifen Gerichtsszene und dem slamartig rezitierten Schluss des Gedichtes zweifelt man, ob nun wirklich Schluss ist. Und siehe: es erscheint der fixe Biographie-Abgesang, um wieder in die nüchterne Welt zurückzufinden (denn auch Beatniks sterben friedlich), und Abspann. What a jazz.

[Vielleicht doch besser --lesen--, hier im Original als txt (danke an kleefunkelchen!)

Kurzes Interview mit rundum begeisterten Regisseuren:


Rezensionen:
* Die ZEIT: Die flammende Schrift
* FAZ: Versandeter Schrei
* Tagesspiegel: Prosa statt Poesie

Sonntag, 2. Januar 2011

Stephen Frears - Immer Drama um Tamara

Bereits am zweiten Tag des neuen Jahres habe ich den ersten Film des Jahres konsumiert - nein, falsch - genossen. Wobei ich bei der Übersicht über das Kinoprogramm schon dachte: lass es besser. Aber dann habe ich mich doch für Stephen Frears neues Opus entschieden, weil ich dachte, dieser Mann kann einfach keinen schlechten Film machen. Richtig geschätzt. Schon seit dem Wunderbaren Waschsalon war klar, dass dieser Mann ein Gespür hat für die feinen, bedeutsamen und doch uns allen so bekannten Situationen zwischen Menschen. Die er mit Genuss und Humor inszeniert. "Immer Drama um Tamara", ja, welcher (sorry) Idiot kommt denn auf so einen blödsinnigen deutschen Titel? Im Original heißt der Film schlicht (Vorname/Nachname) "Tamara Drewe", basierend auf dem gleichnamigen, in England sehr populären Comic von Posy Simmonds (hier ein kleiner Ausschnitt). Hoffentlich zahlt der Übersetzer die Einspielverluste aus der eigenen Tasche...
Zunächst könnte man Angst bekommen, wenn man sich den Plot von "Immer Drama um Tamara" durchliest: südenglisches Landleben mit Schriftstellern, Kühen und einigen einfliegenden Paradiesvögeln samt erotischer Verdrehung in Form von Gemma Arterton. Doch der Film geht gut, mehr noch, er ist höchst unterhaltsam und steuert auf einen völlig abgedrehten Showdown zu, an dem auch zwei Teenager (glänzend: Jessica Barden und Charlotte Christie) nicht unschuldig sind. Wie stets bei Frears weiß man nicht, ob er nach dem nächsten Schnitt "ernst" macht oder die Geschichte völlig ins Absurde abdriftet. Da beides im stetigen Wechsel den ganzen Film über passiert, kommt man kaum zum Luftholen und freut sich über die detailliert gezeichneten Charaktere vom intellektuellen Schriftsteller in der Sommerfrische bis hin zur Dorf-Bardame, die weitaus mehr Weisheit aufweist als mancher Schreiberling auf der Farm. Einziger Schwachpunkt des Films: Boxer würden niemals Kühe jagen. Sondern sich davor hinsetzen und die Ohren anlegen. Maximal.
Website des Films: Tamara Drewe - deutsche Website

Da ich mir den Film ohnehin noch einmal in OmU anschauen werde, gibt es auch den Trailer auf englisch:



Reviews:
* The Guardian
* Die ZEIT
* FAZ.net

Montag, 20. Dezember 2010

Tom Tykwer - DREI

Liebe Leute, vergesst mal den ganzen Adventsramsch, Disney und Harry Potter. Man kann auch am 23.12. noch einen guten Film sehen, und das ist auch das Premierendatum für den neuen Film von Tom Tykwer, DREI. Der Name ist Programm bei dem Film, bei dem man nicht eine Minute lang an öselige Beziehungskomödien denken muss, weil Tykwer es schafft uns die Wirklichkeit eines ganz normalen Lebens uns so um die Ohren zu hauen, dass wir am Ende baff ob solch filmischer Gestaltungskunst im Sessel ruhen. Dabei gelingt Tykwer gar nicht mal der "perfekte" Film, im Gegenteil, hier sind Ecken und Kanten drin und er selbst sagte bei der Premiere (am Sonntag im Programmkino Ost, schön, dass er da war!), es sind Kniffe darin, "für sowas wird man normalerweise von der Filmhochschule geschmissen, weils angeblich nicht funktioniert". Tut es doch, und so freut man sich über fantastische Schnitte, über die grandiosen Schauspieler Sophie Rois, Sebastian Schipper und Devid Striesow und eine Geschichte, die so gefühlvoll und ehrlich erzählt ist, dass man es mit dem eigenen Leben im Nacken stellenweise mit der Angst zu tun bekommt: DAS hat jeder von uns schonmal erlebt. Die Handlung nachzuerzählen erübrigt sich hier: man nehme ein Paar, das seit 20 Jahren zusammenlebt - "der Mensch strebt lebenslang nach Erneuerung." - Bei diesem Urinstinkt setzt der Film an und entwickelt einen fabelhaften Spannungsbogen in allen drei Charakteren: genau das kleine, unglaubliche, fiese, liebevolle, schmerzende oder himmelhochjauchzende, von diesen Gefühlen erzählt Tykwers Film. Nein, eigentlich alle seine Filme. Und das macht ihn so stark. Und irgendwo isser auch immer noch der sympathische Junge ausm Tal. Genug gejubelt - Kinokarte kaufen oder verschenken und rein da.



Rezensionen:
* Frankfurter Rundschau: Das Wunder von Berlin
* Interview mit Tykwer in der Märkischen Allgemeinen
* Kino-Zeit.de

Freitag, 10. Dezember 2010

...mit eigenen Augen das Wunderbare sehen

Ehrenprofessur und ein kleines Festival für Helmut Lachenmann an der Musikhochschule

Während andernorts adventliche Klänge das hektische Vorweihnachtstreiben bestimmen, setzte die Hochschule für Musik Dresden um den zweiten Advent herum einen deutlichen Akzent auf die zeitgenössische Musik. Für Helmut Lachenmann, eine der prägendsten und faszinierendsten Stimmen der Musik der Gegenwart wurde zum 75. Geburtstag ein kleines Festival initiiert, das in Kooperation mit der Sächsischen Akademie der Künste und der Dresdner Philharmonie unter Regie des "KlangNetz Dresden" stattfand.

Lachenmann ist seit Jahren der Hochschule freundschaftlich verbunden, erst im letzten Jahr führte der Dresdner Kammerchor seine "Consolation II" im Konzertsaal der Hochschule auf. Jetzt waren es gleich drei Konzerte, eine Filmvorführung, und vor allem die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Musikhochschule, die Lachenmann am vergangenen Freitag entgegennahm - die Laudatio hielt der ehemalige Bundesminister Dr. Gerhart Baum. Der Gabentisch zum 75. hielt reichlich Musik bereit und die Programme beleuchteten den Komponisten vor allem im Kontext von Schülern, Weggefährten oder auch einfach mit Musik, die in einer erhellenden Weise Lachenmanns Denken und Wirken nahesteht.

Das Ensemble Courage präsentierte unter Leitung von Titus Engel ein Doppelporträt von Mark Andre und Helmut Lachenmann, in dem die im Klang forschende Arbeit von Schüler und Lehrer zu Tage trat. Schwerpunkt im Festival war der vokale Aspekt, die Nutzung von Sprache als autarkes Instrument oder als Auslöser von ganzen Klanglandschaften. Eine Uraufführung von Robin Hoffmann beleuchtete das Thema Zauberei und Illusion, im Konzert des KlangNetz-Ensembles am Dienstag war es die 5. Sinfonie von Galina Ustwolskaja (Solist Olaf Bär), die in eindringlicher Weise "Pression" (Solist am Cello: Wolfgang Lessing) und "...Zwei Gefühle..." von Helmut Lachenmann einrahmte.

Eine schöne Erfahrung war es auch, den Meister einmal selbst als Interpreten zu erleben. Im "Kinderspiel" für Klavier lud Lachenmann zu einer fast heiteren Klangwanderung auf den Tasten ein, während er als Sprecher in "...Zwei Gefühle..." gemeinsam mit dem Ensemble unter Leitung von Lennart Dohms eine intensive Reise auf den Grund vielfältiger Klangerzeugung unternahm. Anton Weberns Konzert Opus 24, ein Schlüsselwerk der zeitgenössischen Musik, sowie eine Miniatur von Yuval Shaked ergänzten das Programm sinnfällig. Wer Helmut Lachenmanns auf dem Podium geäußerter "Einladung zum Hineinhören" gefolgt war, stellte bei diesem ehrgeizigen Projekt fest, dass der Eintritt in die Welt des Komponisten wie von Leonardo da Vinci beschrieben geschehen kann: "...mit eigenen Augen zu sehen, was darin an Wunderbarem sein möchte."

Diese offene Neugier aufzubringen kann für Interpreten und Zuhörer höchst gewinnbringend sein. Dringt man etwa in "Pression" ins Innere der Musik vor, erschließt sich schnell das Neue und Schöne, das den Geist wachhält. Zu entdecken gibt es in dem großen OEuvre von Lachenmann also noch vieles. Und für weitere willkommene Entdeckungen in Dresden ist dem Professor honores causa ungetrübte Schaffenskraft zu wünschen.

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