Hisako Kawamura im Abschlusskonzert des Pianoforte-Fest Meißen
Das diesjährige Pianoforte-Fest-Meissen ist seit Mittwoch beendet. Im Gymnasium St. Afra fand das Abschlusskonzert statt. Seit Juni hatte es insgesamt 10 Abende mit Klaviermusik gegeben. Fünf dieser Abende wurden von Pianisten asiatischer Herkunft gestaltet, was zumindest zu interessanten Vergleichen einlud, nicht aber zwingend zu einem Urteil über den "Markt" führt. Feststellen läßt sich, dass die meisten dieser Musiker hervorragen in Ost und West ausgebildet wurden und zumeist eine illustre Biografie vorweisen.
So auch die Japanerin Hisako Kawamura, die etwa den ARD-Musikwettbewerb und den Clara-Haskil-Concours gewonnen hat. Am Ende zählen jedoch nicht die erworbenen Meriten, sondern das Erlebte im Konzertsaal - Hisako Kawamura spielte in der Aula des Landesgymnasiums ein klassisch-romantisches Programm und löste hohe Erwartungen leider kaum ein. Dabei begann sie mit zwei dynamisch gut ausbalancierten Choralvorspielen von Bach in der Busoni-Bearbeitung, wobei der ruhige Choralfluss noch intensiver, auch barocker gestaltet vorstellbar wäre. Eine Beethoven-Sonate folgte, später Brahms und Chopin, somit gleich drei berühmte Säulen der Klavierliteratur.
Beethovens Sonate Es-Dur Opus 31/3 gilt als vermeintlich "kleine" Sonate und anfangs ging Kawamuras Konzept auf, das Stück in eine Haydnsche Leichtigkeit zu versetzen. Das jedoch hätte zumindest Graziösität und Farbenreichtum verdient, was Kawamura ebensowenig anbot wie Beethovens Hakenschläge in der Harmonik auszugestalten. Stattdessen setzte sie auf Virtuosität und einen Tempoturbo, der bald das ansonsten liebenswerte Stück aus den Fugen geraten ließ: nach-hören, atmen, inszenieren, empfinden, all diese pianistischen Tugenden ließ sie in der hitzigen Hast von Allegro, Scherzo und Finale außer acht, nur das Menuett nutzte sie zum (notwendigen) Innehalten.
Ähnlich gleichgeschaltet wirkten die vier späten Klavierstücke Opus 119 von Johannes Brahms. Auf guter rhythmischer Basis angelegt, versagte die Interpretation dort, wo die eigentliche Kunst des Brahms-Spiels beginnt: in der Anschlagskultur. So wurden etwa die Final-Akkorde gründlich als äußerlicher Kraftakt missverstanden. Wo aber Kraft keinerlei Spannung überträgt, Haupt- und Nebenstimmen nicht getrennt sind und nur Ton neben Ton planvoll gesetzt ist, teilt sich der Zauber dieser Stücke nicht mehr mit.
Im zweiten Teil des Konzertes gab es jedoch eine Steigerung, offenbar lagen der Japanerin die Werke von Frédéric Chopin mehr: die b-Moll-Sonate konnte im Largo durchaus klangschön überzeugen, während Kawamura die Außensätze wieder ihrer technischen Brillanz widmete. Damit lag sie hier zumindest nicht falsch, jedoch teilte sich ein tieferes Interpretationsverständnis der Sonate nicht mit: der Trauermarsch "passierte" einfach ohne weitere Nachwirkungen zu verursachen. Schönster Beitrag des Konzertes waren dann ausgerechnet die Drei Mazurkas Op. 59 in leichtfüßiger Schlichtheit und kantabler Auszeichnung. Beim abschließenden Scherzo Op. 39 war die Konzentration überbeansprucht, Fehler schlichen sich ein, die die Pianistin mit wuchtigen Passagen auszugleichen versuchte. Angesichts der bereits demonstrierten Klasse des Festivals war dieses Konzert nicht der qualitativ hochwertige Abschluss, den man sich erhofft hatte.
Das "Tonlagen"-Festival der zeitgenössischen Musik Hellerau geht im Oktober in sein zweites Jahr - insgesamt wird seit nunmehr 24 Jahren immer im Herbst die Neue Musik in den Vordergrund des kulturellen Interesses in Dresden gerückt. Intendant Dieter Jaenicke hat innerhalb von zwei Jahren das Festspielhaus neu profilieren können und dabei bereits bestehende Tendenzen fortentwickelt - zeitgenössische Musik ist längst angekommen im bunten Mix der Kunstausübung.
Jaenicke stellt sich der Auseinandersetzung mit dem provokanten (und dabei uralten) Thema "Populär versus Elitär" und wird diese Fragestellung sowohl im Symposium als auch in einer Diskussionsreihe "Hellerau Talks" aufwerfen, doch die Besucher der Tonlagen werden sich in rund 24 Veranstaltungen vom 1. bis zum 16. Oktober selbst davon ein Bild (und Ohr!) machen können, ob diese Gegenüberstellung in der Realität anwendbar ist. Jaenicke vermochte keinen Höhepunkt zu nennen, dafür biete das Festival in diesem Jahr "eine Fülle von musikalischen Erfahrungen und Experimenten". Die Hellerauer setzen auf reichlich Reibungs- und Kontaktflächen zwischen den Künsten, kaum ein Konzert der Tonlagen wird als klassischer "Frontalunterricht" stattfinden.
Sinnlichen Klangwirbel wird ein Prolog von Moritz Gagern verursachen: Ein Konzert für 50 Windgongs und Ensemble lädt bereits am Sonnabend, 4. September zu einem besonderen Erlebnis ein - als begeh- und bespielbare Installation sind die Gongs dann auch während der Tonlagen präsent. Schlagwerke spielen ohnehin eine besondere Rolle: dem altehrwürdigen Drumset wird (im Quartett!) ein Uraufführungskonzert am 3.10. gewidmet, bei dem Zappa, Reich und Varèse sich die Hand geben. Kooperationen mit der Dresdner Philharmonie und den Dresdner Sinfonikern dürften zwei große, aber völlig unterschiedliche Konzertereignisse bescheren: die Philharmonie lädt mit dem österreichischen Dirigenten und Chansonnier HK Gruber zu einem Pandämonium namens "Frankenstein!", während sich die Sinfoniker auf eine Klangreise nach Ost-Anatolien begeben. "Neue Musik" heißt dann vor allem unbekannte Kulturkreise zu entdecken, ebenso wie in "Waft" 500 Jahre alte Sutartiné-Gesänge aus Litauen auf eine audiovisuelle Performance trifft (11.10.). Im Projekttheater läßt sich dieser Kulturschatz einen Tag vorher pur genießen (Trys Keturiose, Gesang - 10.10., 17 Uhr).
Ensemblekonzerte bilden eine Konstante des Festivals, denn neue Kammermusik bildet ein unerschöpfliches Feld. Ensemble Resonanz, Ascolta und courage gastieren mit außergewöhnlichen Programmen zwischen Aktion und "Avantcore"; Uraufführungen wird es dabei u. a. von der Performerin und Komponistin Jennifer Walshe (11.10.), Michael Hirsch, Klaus Lang und Michael Wertmüller geben. Ein Musiktheater des amerikanischen Elektronik-Pioniers Morton Subotnick namens "Jacob's Room" nach Virginia Woolf wird die Festspiele am 1.10. eröffnen. Neben Theater und Konzert sind auch Film (Andy Warhols Screen Tests neu betrachtet und vertont, 5.10.) und Tanz (Gastspiel der kanadischen Compagnie O Vertigo am 14.10.) in das Festival integriert. Eine Neuauflage des MELT-Klubs am 16.10. dürfte ein Publikumsmagnet sein, am 2., 8. und 14. Oktober wird zudem jeweils um 21.30 intimere Elektronika-Kultur vorgestellt.
Die Musikhochschule wird nicht nur Partner für das Symposium (1. und 2.10. im Wettinum) sein, sondern auch Aufführungsort für das Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden (16.10., 16 Uhr). Zwei Konzerte sind der Orgel gewidmet, davon dürfte das Konzert am 8.10. in der Auferstehungskirche Plauen in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Gesellschaft für Musik schon aufgrund einer Uraufführung von Jörg Herchet ("Namen Gottes") spannend geraten. Die Tonlagen genießen wird, wer die Bilder, Töne, Worte und Aktionen täglich mit Neugier und Offenheit empfängt - was mit einem Festivalpass ermöglicht wird. Kombitickets und ein Gruppentarif werden ebenso angeboten. Fest steht in diesem Jahr: keiner wird leer ausgehen, und den vermeintlichen Elfenbeinturm gilt es selbst knallbunt anzumalen, die Palette mit den Farben hält Hellerau bereit.
Vollständiges Programm und Kartenbestellung unter www.hellerau.org
Schade. Ich hatte es geahnt: dieses wunderbare Buch meiner Kindheit ist eigentlich tabu für eine Verfilmung. Dennoch habe ich mich überreden lassen, ihn anzuschauen (die Alternativen wären auch dieser Tage noch schlimmer gewesen...) und muss leider sagen: es kam schlimmer, als ich dachte. Ich hatte mir ja noch ein bißchen "Emil und die Detektive"-Flair im Kino vorgestellt, aber dieser französische Weichspülerhumor läßt einen sprachlos in den Kinosessel sinken. Jede Pointe, jeder zauberhafte Witz wird an der entscheidenden Stelle zusammengefaltet, von smoothiger Chansonmusik übertüncht und mit einer Grimasse des Hauptdarstellers gekrönt. Na, nicht gelacht? Pech, aber der nächste Witz kommt gleich...MUSIK! Das hat mit dem aparten Buch von Sempé und Goscinny leider gar nichts zu tun. Gerade gelingt es den Regisseuren noch, ein paar wunderbare Kinderdarsteller auszuwählen, was diese allerdings nicht verhindern können, ist das holperige Drehbuch, das sogar mit der "nackten Kanone" mithalten kann: Die Katze war in der Waschmaschine. Ha, nun ist sie naß. HARHAR.
Da darf man auch ungeniert den letzten Satz des Filmes zitieren: Nicks Berufswunsch: "Ich möchte die Leute zum Lachen bringen" - Richtig, das haben die Bücher geschafft. Dieser Film schafft es nicht. Trotzdem hier der Trailer, der das beste, den papiernen Sempé-Vorspann leider nicht zeigt:
Er ist unberechenbar, der Herr Petrus, und heute schlug er erbarmungslos zu - Die Berliner Philharmoniker spielen ihr Saisoneröffnungskonzert nicht nur live in der Berliner Philharmonie, sondern werden per SAT-Übertragung auch in 60 Kinos in ganz Europa gehört.
In Dresden gab es zu diesem Anlass ein besonderes Public Viewing in der Jungen Garde. Waldbühnenfeeling sollte sich einstellen, doch Veranstalter Bernd Aust wird den Dresdner Himmel verfluchen, denn die Ausläufer des Starkregen-Tiefs trafen just zu Konzertbeginn den Großen Garten. Mit Blitz und Donner verabschiedete sich dann auch der Satellit, der die Übertragung garantieren sollte und notgedrungen kam Sir Simon dann per eingelegter DVD als Aufzeichnung zum etwa 80köpfigen Volk: Konservenbrahms statt Livebeethoven.
Kurz nach 20 Uhr gab es dann aber Entwarnung: die Leitung stand wieder, und pünktlich zu den ersten waldigen Tönen der 1. Sinfonie von Gustav Mahler tauchte "der echte" Rattle (und Albrecht Mayer nun mit Bart...) auf dem Bildschirm auf. Den wenigen Hartgesottenen gefiel die vorzügliche Darbietung, auch die Akustik war bestens eingestellt. Mahler unterm Schirm für ein exquisites Publikum - nur die etwas vorschnell in den Buden gerösteten Bratwürste dürften heute keinen Abnehmer mehr finden...
Musikalischer Flashmob begleitete den Sounding-D-Zug in Dresden
Früher verabredete man sich unter dem Lindenbaum am Dorfplatz zum Tanzen und Singen. Heute heißt die spontane Versammlung "Flashmob" und fordert die Kreativität der Beteiligten. Auf dem Altmarkt trafen sich gestern zu einem musikalischen Flashmob-Konzert rund 800 Teilnehmer, singend und spielend begeisterte man die Passanten.
Hintergrund war der Auftakt zu "sounding D" - einer Präsentation der 15 Projektorte, an denen seit zwei Jahren das Netzwerk Neue Musik, ein Förderprojekt der Bundeskulturstiftung, aktiv ist. Verbunden werden diese Orte von Passau bis Kiel, Köln bis Dresden derzeit durch einen speziellen "sounding D"-Hörzug, der zwei Wochen lang die Städte der Netzwerkprojekte anfährt und jeweils musikalische Darbietungen an und um die Bahnhöfe herum auslöst.
Der Zug erreichte den Dresdner Hauptbahnhof gegen halb zwölf und bot auf Bahnsteig 14 den ganzen Tag über im Inneren Klangkunst und Hörüberraschungen an. Der Komponist Robin Minard hatte einen Waggon komplett zu einer Licht-Klang-Installation umgebaut und vorproduzierte Klänge mit aktuellen, alltäglichen aus den Standorten des Zuges mischte. In einem anderen Waggon konnte man in speziellen Sitzen körperliches Hören von Musik erfahren. Zudem ist für jede Stadt ein Soundwalk entstanden mit jeweils 15 Hör-Orten (darunter in Dresden die Waldschlößchenbrückenbaustelle, die Hochschule für Musik oder die Skateranlage an der Lingnerallee). Der Soundwalk kann während der Reise des Zuges auch im Internet verfolgt werden.
Der Leiter des Sounding D-Projektes Bojan Budisavljevic betonte, dass zwar an allen Stationen des Zuges natürlich Neue Musik-Konzerte der Projektteilnehmer erklingen würden, jedoch sei gerade der Zug auf das Erfahrbarmachen des Hörens selbst abgestimmt, ein Prozess, den wir oft zu unbewusst in unseren Hörumgebungen geschehen lassen. Neue Musik drängt so in die Öffentlichkeit und die Klänge des urbanen Alltags werden im Umkehrprozess wieder zu einer Sound-Installation.
Dresden als Auftaktort hat mit dem "KlangNetz Dresden" schon seit zwei Jahren viele Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik erlebt, nun war es der Flashmob auf dem Altmarkt, der an einem ganz normalen Mittwoch Besucher zum Zuhören und Mitmachen animierte. Die Noten gab es vorher im Internet zum Ausdrucken - Carsten Hennig hatte ein Stück komponiert, das mittels farbiger Ballons seine Dramaturgie erhielt und auch für Laienmusiker machbar war. Und sie kamen in Scharen: Ensembles des Heinrich-Schütz-Konservatoriums, der Carl-Maria-von-Weber Chor Dresden, das Hornquartett der Dresdner Philharmonie und sogar eine Gruppe des Meeting Points Messiaen Görlitz versammelte sich vor den Ballons; mancher nutzte den Flashmob, um wieder einmal aktiv seiner Klarinette oder Blockflöte Töne zu entlocken.
Kurz vor Beginn war der Wind der härteste Widersacher der Notenblätter, doch bald hallten die Fassaden des Altmarktes von den neuen Tönen wider - Lennart Dohms koordinierte mit Schildern den Ab- und Aufstieg der Ballons. Zwischen Liegetönen und flatterhaften Passagen gab es da so manchen überraschenden Zusammenklang, vor allem für die wandelnden Passanten. Nach gut fünfzig Minuten hieß es "Die Luft ist raus" und man formte (Ballon Gold) einen strahlenden D(resden)-Dur-Akkord. Am Ende gab es großen Applaus für die Aktion und für den Komponisten Carsten Hennig, der auf diese unkonventionelle Weise das musikalische Dresden jenseits der hehren Konzertbühnen zusammengeführt hatte.
In einer bunten musikalischen Parade zogen die Flashmobber anschließend die Prager Straße hinunter, um am Hauptbahnhof mit einem Konzert des Philharmonischen Kammerorchesters und des Staatsopernchors in der Wandelhalle den Abschied des Zuges vorzubereiten. Der verließ Dresden am Abend in Richtung Berlin, der nächsten Station von sounding D, am 10. September wird die Reise mit einem dreitägigen Fest in Eisenach enden. Alle Mitwirkenden und Zuhörer auf dem Altmarkt hatten großen Spaß an der Sache, allerdings war auch der recht kurze Zugbesuch selbst in Dresden fast ein Flashmob, denn gerne hätte man sich länger mit dem wichtigen Anliegen, das Zu-Hören im Alltag neu zu entdecken, beschäftigt.
Strahlender Sonnenschein begleitete die Saisoneröffnung der Sächsischen Staatskapelle am Sonntagvormittag in der Semperoper. Der Übergang von der genussvollen Sommerzeit hin zur neuen Konzertsaison gelang fließend. Großen Pomp sparte sich die Staatskapelle diesmal, denn die Saison 2010/2011 ist noch "cheflos", allerdings keineswegs führungslos, denn namhafte Dirigenten bekommen die Chance, das hervorragende Orchester zu leiten, so im 1. Sinfoniekonzert der Este Paavo Järvi.
Die Qualität des Auftaktkonzertes lag in einer den Geist fordenden Dramaturgie, denn mit dem Thema "Zeit-Raum" wurde eine imaginäre Thematik über das Konzert gebreitet, die zum Ursprung der Musik selbst führt. Wer anders setzte sich mit diesem Thema genialer auseinander als Ludwig van Beethoven? Viele seiner Werke wirken wie eine Forschungsarbeit der Zeit-Nahme oder der Überwindung der Zeiten. Tonlängen und Pausen, Plötzlichkeit und Abwarten werden zu fokussierten Objekten der Betrachtung. Damit beschäftigt sich auch der estnische Komponist Erkki-Sven Tüür, dessen Werk "Zeitraum" zu Beginn erklang.
Bei allem Respekt vor der Ernsthaftigkeit der Aufgabe: die Wirkung misslang. Möglicherweise lag es an der Übermacht Beethovens, dass die teils minimalistisch tickenden Skalen und die herausplautzenden Zusammenballungen der Bläser nur ein Gerüst eines Zeitraums artikulierten, aber eben keine Botschaft. Zu unscharf war das kompositorische Material der anvisierten Zeit-Architektur ausgestaltet. Trotz engagierten Spiels der Kapelle unter der akkuraten Leitung Järvis wird man sich einem neuen Umgang mit Musik der Gegenwart zukünftig stellen müssen, das ungeliebte Pflichtstück der ersten Konzertviertelstunde sollte man begraben.
Neben dem Capell-Compositeur (in diesem Jahr Johannes Maria Staud) gibt es nun auch einen Capell-Virtuos bei der Sächsischen Staatskapelle und die Dresdner dürften hocherfreut sein, dass Rudolf Buchbinder mehrere Abende gestalten wird. Der herausragende Beethoven-Interpret zeigte denn auch im 5. Klavierkonzert Es-Dur, dass ein überlegter, frischer Zugang dieses Werk wohl niemals altern lassen wird. Dazu ist zuviel Leben, zuviel Mensch, zuviel Herz ist in diesem Werk und Buchbinder zeigte davon eine ganzes Füllhorn. Wohl darf man ihn im besten Sinne als "Nuntius" der Werke Beethovens betrachten, denn Buchbinders Auseinandersetzung mit von ihm gespielter Musik ist jederzeit komplex und spiegelt sich bereits in der Maxime wieder, dass keine Note dem Zufall überlassen wird. Auch das selbstbewusste Frei-Spielen im dritten Satz wirkt gesteuert, kraftvoll, überzeugend. Dem niemals übertriebenen oder ungestümen ersten Satz folgte Achtsamkeit im Adagio - Buchbinder erzählt die Musik immer noch mit einer fast kindlichen Neugier und der Zuhörer schafft es, das Werk wieder in frischen Farben zu entdecken. Paavo Järvi arbeitete in guter Partnerschaft mit dem Solisten und entlockte dem Orchester einen runden und sehr flexiblen Gesamtklang.
Die Kompetenz und Hingabe, mit der Järvi bei Beethoven zu Werke geht, beschert dem Dirigenten und seiner Kammerphilharmonie Bremen in diesem Jahr übrigens eine ECHO-Klassik-Auszeichnung. Eine sehr überzeugende, in den Tempi durchaus avancierte Interpretation gelang ihm mit der Kapelle mit der 5. Sinfonie c-Moll Opus 67. Das (unzulängliche) Motto namens "Schicksals-Sinfonie" bettete Järvi in ein satzübergreifendes Konzept ein, das schon bei Beethoven angelegt ist. Das Andante bildet daher nur eine Brücke, eine Farbschattierung hin zum offenen, sonnendurchtränkten Feld des Finales, das Järvi mit einem überaus spannenden Übergang aus dem Scherzo erreichte. Die Ecksätze waren wie aus einem Guß gemeißelt und mit klarem Vorwärtsgedanken hingesetzt: so wies das 1. Sinfoniekonzert am Ende in einer meisterlichen Interpretation in die musikalische Zukunft der neuen Konzertsaison. Und es ist eine gut, dass uns Beethovens Musik solche Erkenntnisse heute immer wieder zu geben vermag.
Seit zwei Wochen proben und konzertieren herausragende Instrumentalisten aus aller Welt gemeinsam beim 18. Moritzburg Festival - am vergangenen Wochenende ging das Festival mit zwei Konzerten in der evangelischen Kirche Moritzburg zu Ende. In diesem Finale entlud sich die Musik noch einmal regelrecht und in der vollbesetzten Kirche stellte sich am Sonnabend eine tolle Atmosphäre ein.
Henri Demarquette begann mit einer innovativen halbstündigen "musical voyage" - der Cellist teilte sein Programm nicht mit, sondern verband verschiedene Stücke, die ähnliche Formen, gleiche Schluss- und Anfangstöne oder eben einen Kontrast miteinander bildeten, zu einer überraschend geschlossenen Suite. So traf Bernd Alois Zimmermann auf Johann Sebastian Bach und Domenico Gabrielli auf Benjamin Britten. Dankbar war man für die Entdeckung der spannenden Stücke von Eric Tanguy und dem viel zu früh verstorbenen Olivier Greif. Demarquette entwickelte einen klaren erzählerischen Bogen und man lernte die vielen Farben des Cellos auf diese Weise neu kennen.
Im Abendkonzert stand zu Beginn Franz Schuberts Klaviertrio B-Dur auf dem Programm - Viviane Hagner, Jan Vogler und Nicole Hagner trafen genau den Ton der changierenden Leidenschaften dieses umfangreichen, oft grüblerischen Werkes und wussten detailreich zu phrasieren, so bekam das Stück in allen Sätzen natürlichen Fluss und Charakter, der seine Kraft aus den lyrischen Melodielinien schöpfte.
Die Werke des aus Tschechien stammenden amerikanischen Komponisten Karel Husa sind hierzulande weitgehend unbekannt. Charles Neidich (Klarinette), Benjamin Rivinius (Bratsche) und Li-Wei Qin (Cello) engagierten sich stark für die "Evocations of Slovakia", die allerhand virtuose wie schlichte Instrumentalfarben und volkstümlichen Duktus im Bartókschen Sinne bargen. Das kam beim Publikum gut an, wurde aber noch übertroffen von einer wahren Sternstunde der Kammermusik nach der Pause: Robert Schumanns Klavierquintett Es-Dur wurde in absolut hinreißender Weise dargeboten. Für den Klavierpart konnte die französische Pianistin Lise de la Salle gewonnen werden, die in den letzten Jahren als Solistin aber auch als begehrte Kammermusikpartnerin die Bühnen erobert hat. Ihr nuancierter und willensstarker Ausdruck am Klavier sowie Viviane Hagners Führung an der 1. Violine waren die treibenden Motoren einer höchst intensiven Darstellung, bei der einfach alles stimmte. Mira Wang, Kyle Armbrust und Henri Demarquette komplettierten gleichrangig eine wunderbar atmende und vorwärtsdrängende Aufführung, die lange im Gedächtnis bleiben wird. In der Doppelfuge des Finales, im rasanten Scherzo und auch im innigen zweiten Satz staunte man über sprühende Musikalität, von der Schumann sicher begeistert gewesen wäre.
Am Sonntagvormittag erklangen im Abschlusskonzert neben dem stets an dieser Stelle musizierten Oktett von Felix Mendelssohn noch einmal Werke von Daniel Schnyder, dem Composer-in-Residence des Festivals. Die Festivalleitung resümierte nach dem Finalkonzert 6200 Besucher bei insgesamt 21 Veranstaltungen, was einer Auslastung von 99% entspricht. Intendant Jan Vogler zeigte sich mit dem Jahrgang zufrieden: "Ich freue mich, dass das Moritzburg Festival weltweit immer mehr Liebhaber findet. In Moritzburg treffen außergewöhnlich enthusiastische Aufführungen auf ein wunderbares und über 18 Jahre gewachsenes Publikum. Moritzburg hat sich zu einer der schönsten Oasen der Kammermusik entwickelt." - 2011 findet das Festival vom 7. bis 21. August statt.
Moritzburg Festival mit Werken des 19. Jahrhunderts
Kurz vor dem Endspurt vom Moritzburg Festival befinden sich Musiker und Zuhörer tief in den Gefühlswelten der romantischen Kammermusik - ein rein dem 19. Jahrhundert gewidmeter Konzertabend spannte am Mittwoch einen Bogen vom 1811 entstandenen Streichquintett von Mendelssohn bis hin zur 1. Violinsonate von Camille Saint-Saëns. Dieses 1885 komponierte Werk atmet schon die großen Flächen der kurz danach entstandenen berühmten Orgel-Sinfonie und wirkt auch trotz der Duo-Besetzung durchaus machtvoll-sinfonisch. Im Künstlerporträt vor dem Abendkonzert stellten sich Viviane und Nicole Hagner mit diesem Werk vor - die Schwestern verstehen sich musikalisch gut und ihre Temperamente ergänzen sich dort famos, wo emotionales Spiel Flexibilität verlangt. So gelang eine packende Darstellung, die aber noch etwas mehr Präzision und rhythmische Basis in schnellen Passagen vertragen darf. Drei großen Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Konzert im Speisesaal gewidmet - Jubilar Robert Schumann machte den Anfang, wobei seine "Märchenerzählungen" einen verhalten-melancholischen Auftakt bildeten. In der schwierigen Akustik des Saales kam es in den vorgestellten Werken ohnehin auf Konturen und Zwischentöne an - dies gelang in Schumanns Werk Charles Neidich (Klarinette), Kyle Armbrust (Viola) und Oliver Triendl (Klavier) vortrefflich, lediglich die Bratsche hätte präsenter sein dürfen. Neidich verstand es, einen fast streicherhaften Ton auf der Klarinette zu erzeugen, der sich optimal einband und viele Nuancen des Klanges bot. Dieses außerordentliche Spektrum bot er auch im folgenden Werk, dem Klarinettenquintett B-Dur von Carl Maria von Weber, seinen Musikerkollegen feil. Wohl ist die Klarinette hier der selbstbewusste Primarius, doch das Quartett aus Kai Vogler, Friederike Starkloff, Kyle Armbrust und Henri Demarquette sorgte eben genau für die Zwischentöne, die etwa den delikaten 2. Satz bestimmten oder Scherzo und Finale vor unbändiger, dennoch kontrollierter Musizierlust strotzen ließen. Es waren (wenige) Passagen der Streicher, die mehr Schärfe vertragen hätten, aber die Interpretation war mit Recht nicht auf Äußerlichkeiten aus, sondern zum wirklichen Hin-Hören gedacht. Keine Phrase verlor sich im Nebenbei, sondern war stets der Melodielinie nachempfunden und ausphrasiert - so erhielt das Werk Ruhe und Kraft. Im Streichquintett A-Dur Opus 18 von Felix Mendelssohn Bartholdy setzte sich (trotz veränderter Besetzung mit Karen Gomyo, Valeriy Sokolov, Benjamin Rivinius, David Aaron Carpenter und Li-Wei Qin) das konzentrierte, hochrangige Spiel fort. Die Dynamik war allerdings zwischen der sehr kraftvoll agierenden Kanadierin Karen Gomyo an der 1. Violine und dem Rest des Ensembles zu oft unausgewogen. Zwar ist die Führungsposition des höchsten Instrumentes bei Mendelssohn unbestritten, doch gerade polyphone Passagen sowie Themenvariationen in den tieferen Instrumenten waren dynamisch zu schwach. Eine Ausnahme bildete das fugierte Scherzo: hier meinte man im famos ausgehaltenen Pianissimo kleine Geister tanzen zu hören. Die unerschöpflichen Bilderwelten und Ausdrucksspektren der Kammermusik brachte dieser Abend jedenfalls vortrefflich zur Entfaltung.
Kontrastreiche Kammermusik des Moritzburg Festivals in der Frauenkirche
Dass Moritzburg mitten in Dresden liegt, wissen die Geografen zu widerlegen, aber es gibt es hinreichend historische Bezüge zwischen der Hofstadt und Jagdschloss. Und so ist es nur natürlich, wenn auch die Musik diese Grenzen ignoriert - selbstverständlich präsentiert sich das Moritzburg Festival in der Frauenkirche und führt so die "auf dem Lande" einstudierte Kammermusik wieder in die Metropole. Dass die akustischen Gegebenheiten der Frauenkirche gewöhnungsbedürftig sind, ist bekannt. Das gilt leider auch für (dort natürlich seltener zu hörende) kleinbesetzte Kammermusik, in dem es gilt einen tragfähigen Klang zu erzeugen, der weder im Nirgendwo wegbricht noch im Volumen ertrinkt und verschwimmt. Wer sollte da für ein anspruchsvolles Konzertprogramm besser geeignet sein als die hochrangigen Solisten des Moritzburg Festivals? Trotzdem lag eine schwere Aufgabe vor den Musikern und das war der Charakteristik der ausgewählten Werke geschuldet: Die "Sechs Gesänge", Opus 107 von Robert Schumann sind in ihrer Zartheit nun wirklich keinesfalls für einen Kuppelbau komponiert worden. Auch die vorgestellte Quartettfassung, die Aribert Reimann 1994 schrieb, bewahrt diesen intimen Charakter. Kai Vogler, Friederike Starkloff, David Aaron Carpenter und Nicolas Altstaedt spürten den Linien nach, doch trotz höchster Hingabe geriet die Ausführung zu porzellanesk, so dass man vor allem den harmonischen Verlauf im Kirchenrund kaum mehr wahrnahm. Die Sopranistin Christiane Iven konnte hier nicht überzeugen, mit geringem Ausdrucksspektrum wusste sie mit den unterschiedlichen Textwelten, den starken Emotionen und Gedanken der Gedichte kaum etwas anzufangen. Diese Zurückhaltung gab sie in Dmitri Schostakowitschs Romanzen-Suite nach Alexander Blok, Opus 127 (mit Kai Vogler, Violine, Li-Wei Qin, Viola und Oliver Triendl, Klavier) auf und wagte sich an eine nunmehr viel intensiver gestaltete Melodieführung, die auch dramatische Formung annahm. Dieses Werk - den russischen Originaltext des Lyrikers hätte man sich gern im Programmheft gewünscht - ließ keinen Zuhörer kalt, denn die erst am Ende aus den Soli entwickelte Klaviertriobesetzung wusste mit ausdrucksstarkem Spiel besonders in den Streichersoli und im Finalsatz zu glänzen. Das einkomponierte innere Wutstampfen des Komponisten sollte allerdings nicht durch Tritte und Stöhnen des Pianisten in eine krampfartige Haltung gebracht werden, der der Musik die Intensität sofort wieder nimmt. Überraschenderweise hatte sich die Konzertpause an diesem Abend offenbar ihren freien Tag genommen: sie fiel aus. Die verordnete Bewegungsunterdrückung war sicher nicht in jedermanns Sinne, aber so bekam man die Gelegenheit, den Übergang von der fein gesponnenen vokalen Kammermusik zur fast sinfonischen Sextettbesetzung als direkten Kontrast zu erleben. Der Ausklang mit dem G-Dur-Sextett von Brahms war superb: Karen Gomyo, Friederike Starkloff, Teng Li, Benjamin Rivinius, Jan Vogler und Nicolas Altstaedt spielten mit Höchstkonzentration und wiegten sich bereits im 1. Satz auf schnell gefundenen Schwerpunkten in ausgefeilter Dynamik. Immer wieder wurde das Sextettgebäude freudig neu errichtet und erstrahlte in vielen Lichtbrechungen; das Dur-Leuchten des Eingangssatzes verschwand in der schattigen Durchführung und einem selbstbewussten Adagio folgte ein sorglos auftrumpfendes Finale: Kammermusik auf höchstem Niveau.
Lange Nacht der Kammermusik mit den Akademisten des Moritzburg Festivals
Dreieinhalb Stunden Musik mit zwei Pausen, na was ist das? Nein, falsch gedacht, es ist weder Lohengrin noch Götterdämmerung. Es war die "Lange Nacht der Kammermusik", die beim Moritzburg Festival am Donnerstagabend stattfand und somit fast nahtlos in die schlechterdings bewölkte Nacht der Sternschnuppen überleitete. Für derlei Wunderwerk am Himmel ist allerdings das Festival (noch) nicht zuständig, hingegen staunte man über mannigfaltige musikalische Wunder in den zahlreichen Kammermusikformationen. Der Rahmen: die Moritzburg Festival Akademie, aus 38 jungen Studenten aus aller Welt bestehend. Man hatte in der ersten Woche bereits ein Orchesterprogramm einstudiert und aufgeführt - mit diesem Konzert wurde das Festival auch eröffnet. Nun widmete man sich unter Anleitung der in Moritzburg teilnehmenden, erfahrenen Profis der Kammermusik - auf einem Parforce-Ritt durch die Musikgeschichte durften sich die Zuhörer auf fast zwei Dutzend Stücke freuen und während die Abfolge solcher Bruchstücke im Klassikradio kaum ertragbar ist, war sie hier geeignet, ein Schlaglicht auf den Nachwuchs zu werfen. Fraglos sollte man sich einige der Musiker gut merken - man wird sie auf internationalen Bühnen wiederhören, so hoch ist der Standard der Akademie anzusetzen. Intendant Jan Vogler betonte zu Beginn, dass alle Werke ausnahmslos während dieser einen Woche in Moritzburg einstudiert wurden. Da sich einige Musiker gleich in mehreren Formationen betätigten, dürfte auch der logistische Aufwand ordentlich gewesen sein. Zudem war es spannend zu hören, wie ein Mozart- oder Dvorak-Trio sich von jungen Musikern darstellt, die quasi aufeinander losgelassen werden, mit all ihren Talenten, ihren persönlichen kulturellen und musikalischen Hintergründen. Doch genau dort setzt Moritzburg an: der kammermusikalische Gedanke löst genau an der Nahtstelle zwischen individuellem Genius und dem Sinn für das Miteinander die "kleinen Wunder" aus und so wurde das Publikum auch nach drei Stunden noch nicht müde, den höchst engagierten Instrumentalisten tosenden Applaus zu servieren. Das hatte auch einen weiteren Grund, denn der Freundeskreis des Kammermusikfestivals hatte erstmals einen Akademiepreis ausgelobt und die gestrenge Jury war niemand anders als das Publikum. Manch einer wird sich allerdings nach dem Konzert gedacht haben, es hätten alle 38 Musiker einen Preis verdient, denn auch die vermeintlich leichtesten Werke wurden ansprechend interpretiert. Daher sei hier auch allen für die Musik gedankt und keiner namentlich herausgehoben. Doch machte die packend emotionale Darstellung der "2 Stücke für Streichoktett" Opus 11 von Dmitri Schostakowitsch am Ende beim Publikumspreis das Rennen vor einer preziösen, sehr homogen dargebotenen Serenade des Dänen Emil Hartmann und einem furiosen Piazzolla-Stück. Immer wieder war man erfreut zu beobachten, dass nicht nur inspiriert musiziert wurde, sondern viele der Ensembles einen gemeinsamen Atem fanden, Risiko nicht scheuten und vor allem Freude bei der Sache hatten. Ausreißer befanden sich bei so hoher Qualität nicht im Programm, stattdessen freute man sich über eine Ehrerbietung an Siegfried Kurz (ein Satz aus dem 1. Streichquartett) und viele Entdeckungen zwischen Biber, Rossini und Hindemith, mal signalhaft mit Trompeten von der Empore, mal ernst und melancholisch von der Bühnenrampe und oft auch heiter und ungezwungen - ein rundum gelungener Abend, der die vorangeschrittene Zeit schnell vergessen machte.