Rezensionen

Mittwoch, 28. Juli 2010

Sounding D Dresden - Countdown läuft...

Langsam kann der Countdown angeworfen werden, denn wir zählen nicht mehr ganz vier Wochen, bis in Dresden am 25. August, 17.30 Uhr auf dem Dresdner Altmarkt der Auftakt zu "sounding D" stattfindet - für den noch jede Menge Dresdner Musiker (Laien wie Profis!) gesucht werden. Gemeinsam wird das "sounding d - dresden" betitelte Stück von Carsten Hennig uraufgeführt. Alsdann setzt sich abends vom Dresdner Hauptbahnhof der klingende Sonderzug „sounding D“ vom Netzwerk Neue Musik in Bewegung. Der Zug wird bis 12. September quer durch Deutschland eine Klangspur legen. An den Haltepunkten des „sounding D“-Zuges wird Neue Musik gefunden, aufgeführt, diskutiert und genossen. Ab Ende August wird das Neue-Musik-Deutschland so im Wortsinne „erfahren“ und zum Klingen gebracht, und zwar jeweils an den Bahnhöfen und in den Innenstädten der 15 Netzwerkstandorte.



In Dresden ist das Netzwerk Neue Musik-Projekt „KlangNetz Dresden“ seit 2008 aktiv und hat mit seinen Partnern bisher eine beeindruckende Zahl von Konzerten und Workshops durchgeführt. Das Konzert auf dem Altmarkt wird kein vorgefertigtes Konzertereignis von Profis, das Ergebnis ist offen, denn jeder kann mitmachen, der Stimme und / oder Instrument besitzt. So ergeht seit einigen Monaten der Aufruf in der ganzen Stadt. Das Stück berücksichtigt die Vielfalt der Mitwirkenden und lebt vor allem von der großen Anzahl der teilnehmenden Personen, ein "Flashmob" wird entstehen - Je mehr Menschen sich dafür begeistern, desto wirkungsvoller wird sich das Klanggeschehen vor Ort entwickeln.

Grundlage der Komposition sind zwölf sehr charakteristische Klangmaterialfragmente, die als Noten-PDFs für verschiedenste Instrumente und Singstimmen im Internet zum Download verfügbar sind. Professionelle und semiprofessionelle Ensembles werden sich außerdem innerhalb des Werkes per Live-Einspielungen in einer Art Ensemblekadenz präsentieren. Die Mitwirkenden bestimmen mit Ihrem individuellem Spiel bzw. Gesang den Verlauf des Stückes, wobei erst durch die hohe Anzahl der Musikerinnen und Musiker ein sich beständig veränderndes Klangfarbenspiel erzeugt wird.

Zusätzlich zu diesem Projekt von Carsten Hennig werden am Starttag des Zuges weitere Veranstaltungen stattfinden: nach der Aufführung von sounding D - Dresden wird eine soundparade zum Hauptbahnhof ziehen, dort wird die Abfahrt des sounding D-Zuges gesondert zelebriert.

sounding D - Dresden im Internet: https://www.sounding-d-dresden.de

Ablauf sounding D - Dresden am 25.8. 2010
17.30 Uhr Flashmobkonzert zum Mitmusizieren auf dem Altmarkt
18.30 Uhr soundparade zum Hauptbahnhof
19.30 Uhr Konzert auf dem Hbf.
20.30 Uhr Start des Klangzuges

Digitale Postkarten mit den "klingenden" Bahnhofsschildern der Netzwerkstandortefinden sich hier (einfach auf die entsprechenden Orte klicken)

Netzwerk Neue Musik: https://www.netzwerkneuemusik.de/

Barockstadt Dresden - Interview mit Nicholas McGegan

Unter dem Motto "Glanzvolles Sachsen" wird am kommenden Sonnabend das Orchester der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen mit Arien und Konzerten von Hasse, Graun, Quantz, Mattheson und Händel in der Frauenkirche gastieren. Mit dem britischen Dirigenten, Festspielleiter und Spezialisten für alte Musik Nicholas McGegan sprach Alexander Keuk.

Herr McGegan, Sie sind seit 19 Jahren Intendant der Göttinger Händel-Festspiele, leiten seit über 20 Jahren das Philharmonia Baroque Orchestra, Sie haben über 100 Aufnahmen herausgebracht, macht Ihnen Barock-Musik eigentlich noch Spaß?

Ja, absolut! Es gibt noch so viel wundervolle Barockmusik zu entdecken. Ich habe zum Beispiel erst die Hälfte von Händels 40 Opern aufgeführt. Vor kurzem habe ich Aufnahmen von Vivaldis Opern gehört, die wundervoll und sehr dramatisch sind. Bach hört niemals auf, mich zu begeistern. Und ich bin mir sicher, dass sich meine Interpretationsansätze immer weiter entwickeln werden.

Wenn Sie einmal spontan antworten, welches musikalische Ereignis ihrer Laufbahn war für Sie prägend, wovon profitieren Sie heute noch?


Dies ist wirklich eine schwierige Frage, da es mehrere Ereignisse gab. Eines war zweifellos während meiner Studienzeit, als ich in einem Orchester unter der künstlerischen Leitung von Benjamin Britten gespielt habe. Wir gaben Elgars „Der Traum des Gerontius“ und ich spielte die erste Flöte. Eine weitere Situation war, als ich meine erste Bach Passion auf einem Originalinstrument gespielt habe.

Die Aufführungspraxis alter Musik hat eine enorme Entwicklung hinter sich. Sind wir schon beim „Optimum“ angekommen?

Natürlich hat sich die Art und Weise, auf Originalinstrumenten zu spielen, in den vergangenen 40 Jahren verändert. Heutzutage ist der Stil vielleicht nicht mehr so „gekünstelt“ und das Wissen um die Technik ist viel umfangreicher. Aber Kunst ist ja nicht wie Wissenschaft. Es gibt keine endgültige oder richtige Antwort in der Kunst. Interpretationen sind immer eine Sache der persönlichen Sichtweise. Ich hoffe, dass die Aufführungen, die ich mache, in zehn Jahren genauso anders sind wie diejenigen, die ich vor zehn Jahren gemacht habe. Die Historische Aufführungspraxis kann nicht wirklich eine spezifische Aufführung aus einem anderen Jahrhundert nachahmen. Alle Menschen, die daran teilhaben, bringen ihre eigene Persönlichkeit mit ein. Es gibt auf der ganzen Welt keine zwei Sänger, die sich wie Klone gleichen. Je mehr wir aber natürlich über Aufführungen aus der Vergangenheit wissen, desto besser.

Ihr Festspielorchester in Göttingen ist ein kleines "Bayreuth" der alten Musik. Ist es eher leichter oder schwerer, mit so vielen Spezialisten und Individualisten zusammenzuarbeiten?

Die Arbeit mit einem Barockorchester, das aus Spezialisten für Alte Musik aus über zwölf verschiedenen Ländern der Welt besteht, ist eine absolute Freude. Jeder von Ihnen ist sehr flexibel und ich freue mich in gleicher Weise über jeden Vorschlag, der von ihnen gebracht wird, wie sie umgekehrt meine Interpretation akzeptieren. Häufig kommen die Orchestermitglieder noch nach Proben zusammen, um Folk Musik aus ihren verschiedenen Ländern zu spielen: Polkas aus der Slowakei, spanische Songs, sogar texanischen Two Step.

Barockmusik ist doch eigentlich "leicht" zu spielen, jeder Instrumentalschüler wird mit Barockmusik anfangen. Wie erreicht man die besondere Qualität Ihrer Aufführungen?

Ehrlich gesagt ist nicht jede Barockmusik einfach zu spielen. Denken Sie an die Cellosuiten von Bach oder einige Arien von Händel. Manche mögen technisch leichter sein als Liszt oder Boulez, aber sie sind in der Interpretation genauso herausfordernd. Auf eine Art ist es sogar schwieriger, weil die Komponisten weniger Hinweise geben, mit denen Du arbeiten kannst: In der Barockmusik muss man z.B. seine eigenen Verzierungen hinzufügen und seine eigene Dynamik entwickeln. Ich finde, dass die Musik von Bach und Händel eine so große Tiefe hat, dass eine Interpretation immer eine große Freude und zugleich eine große Herausforderung darstellt.

Ich habe Bekannte, die können mit Barockmusik gar nichts anfangen, sie dudelt nur im Hintergrund. Was würden Sie ihnen raten? Welches Stück sollen sie einmal hören oder wie erschließt man sich die Welt der Barockmusik?

Sie stellen wirklich schwierige Fragen. Es gibt viele Stücke, die jemanden, der zum ersten Mal mit Barockmusik in Kontakt kommt, inspirieren können. Bachs Brandenburgische Konzerte oder Händels Wassermusik natürlich: Ihr Klang ist brillant mit einem tänzerischen Rhythmus, einem guten „Beat“, wenn Sie so mögen. Das gleiche gilt für Vivaldi Konzerte. In der Vokalmusik sind es z.B. Arien von Händel, von denen es heute so viele Aufnahmen gibt. Sie können direkt ans Herz gehen.

Sie sind auch bekannt für viele Entdeckungen und Erstaufführungen, aber auch für Experimente mit Szene und Tanz. Ist das Barockzeitalter offen für gewagte Interpretationen? Oder erliegt man nicht eher der Gefahr, dem "äußerlichen", der Ornamentik zu huldigen?

Ich denke, dass Barockmusik offen ist für alle Arten der Interpretation und Inszenierung. Aber man muss ein Gefühl für die Musik haben. Zu oft sind Regisseure zu ignorant und eitel. Ihr Konzept ist wichtiger als das des Komponisten. Glücklicherweise gibt es ja aber auch gute Regisseure, die einen modernen Inszenierungsstil haben und gleichzeitig die Musik verstehen.
2009 habe ich eine Händel-Oper aufgeführt, die von Doris Dörrie inszeniert wurde, eine meiner bislang aufregendsten Produktionen. Es macht großen Spaß mit Doris zu arbeiten und das Ergebnis war spektakulär. Etwas Ähnliches ist passiert, als ich mit dem Choreographen Mark Morris in den USA zusammengearbeitet habe.
Genauso faszinierend ist es aber auch, eine barocke Inszenierung zu realisieren, besonders, wenn Tanz eine Rolle spielt. Hier stammen der Stil der Produktion und die Gesten des Tanzes aus der gleichen Welt wie die Musik. Solche Produktionen funktionieren besonders gut in kleinen Theatern wie denen aus der Barockzeit. Wie auch immer, man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass es die Aufgabe ist, das Publikum zu unterhalten und nicht ihnen etwas rein Akademisches zu präsentieren.

Es gibt gerade in England viele Spezialisten für alte Musik - Parrot, McCreesh, Hillier, um einige Kollegen zu nennen - auch in den Interpretationen gibt es schon eine "englische" Handschrift, teilen Sie diese Meinung? Oder sind die Engländer gerade in den Tempi einfach sehr lebendig?

Obwohl ich gebürtiger Engländer und auch so sozialisiert bin, habe ich doch über 25 Jahre in Kalifornien gelebt. Deshalb denke ich, dass mich meine englischen Kollegen nicht länger als einen der ihren sehen oder meinen, dass ich auf eine englische Art und Weise handle. Wenn ich Purcell dirigiere, versuche ich natürlich genauso englisch zu sein wie sie. Aber bei anderer Musik bin ich eher ein Einzelgänger. Schließlich lebe ich im „Wilden Westen“. Und was die Schnelligkeit der Tempi anbelangt, sind einige von den jüngeren Dirigenten aus Franreich oder Italien sogar schneller als die Briten. (Es muss am Espresso liegen!)

Wie schätzen Sie das barocke Musikleben in Dresden ein, wie gewichtig war der Anteil der Dresdner Hofkapelle und der Komponisten an der Entwicklung der Musik?

Dresden war eine der wichtigsten Städte für Barockmusik. Ich denke, dass diese Bedeutung in unserer Zeit zu langsam erkannt wurde, besonders bei den Musiklabels. Es gibt so viele CDs von Bach und Händel, aber es gibt erst seit kurzer Zeit Aufnahmen von Hasse oder Zelenka. Dresden kann sich wirklich glücklich schätzen, dass es hier einige wundervolle Ensembles für Alte Musik gibt, die viel dafür tun, um für das reiche musikalische Erbe der Stadt zu werben. Ich wünsche ihnen viel Glück.

Warum muss man dennoch für manche Komponisten (etwa Heinichen oder Hasse) immer wieder viel Empathie aufbringen? Ist der Schatten von Bach und Händel zu groß? Oder haben wir die Musik einfach zu lange vergessen?

Persönlich habe ich eine sehr hohe Meinung von Hasse und Heinichen. Es ist wirklich eine Schande, dass es so wenige CD Aufnahmen von Hasses Opern gibt. Er war ein wundervoller Komponist für Sänger. Ganz besonders mag ich sein Oratorium „Die Bekehrung des heiligen Augustinus“. Ein fabelhaftes Werk. Heinichens Konzerte sind brillant und sehr vergnüglich.

Sie bringen nach Dresden barocke Cleopatra-Musiken mit - warum hat dieser antike Stoff die Komponisten so sehr angesprochen?

Cleopatra war schon immer eine faszinierende Frau für Musiker wie Autoren. Shakespeare sagt, sie war eine Frau von unbegrenzter Vielfältigkeit. Sie hatte zweifellos ein leidenschaftliches Leben mit keinem langweiligen Moment, daher ist sie die ideale Figur für Opern. In diesem Konzert haben wir verschiedene Arien aus Opern zusammengebracht, die unterschiedliche Phasen ihres Lebens betrachten. Zwei Opern, Händels „Giulio Cesare“ und Grauns „Cesare e Cleopatra“, handeln von ihrem frühen Leben und ihrer Liebesaffäre mit Julius Cäsar. Die Opern von Hasse und Mattheson erzählen von ihrer Liebe zu Marcus Antonius und ihrem Selbstmord.

Im italienisch geprägten Dresden gab es immer auch ein Stelldichein der besten europäischen Instrumentalvirtuosen - ist es gerade dieses italienische Vorbild, was so fasziniert? Ist das ariose, virtuose barocke Konzert eine kleine Revolution in der ansonsten kirchlich geprägten Zeit?

Die meisten barocken Höfe in Deutschland waren kulturell von Frankreich oder Italien geprägt. Dresden und Würzburg waren vielleicht am stärksten „italienisch“. Man kann eventuell sagen, dass Cleopatra ein „freier Geist“ war, deren Leben sich sehr von dem Leben unterschied, das die Kirche propagierte. Cleopatra hat keinen ihrer Liebhaber geheiratet und sie war vielleicht am Mord ihres Mannes beteiligt, der gleichzeitig ihr Bruder war.

Sie haben schon mehrfach in der Frauenkirche dirigiert und dort auch Händel-Oratorien aufgenommen. Ist es für Sie ein authentischer Ort? Welche Atmosphäre des Musizierens stellt sich dort ein?

In der Frauenkirche zu musizieren ist wundervoll. Der akustische Nachhall ist für die Texte der Vokalmusik ein bisschen schwierig, aber der Klang ist herrlich. Und ganz eigennützig formuliert, ich habe als Dirigent einen tollen Blick auf den Altar und die Orgel.

Wäre Dresden nicht auch ein geeigneter Ort für barocke Festspiele? Oder wäre das eine eher fragwürdige Reanimation vergangener Zeiten?

Dresden wäre ein wundervoller Ort für ein Barockfestival. Es gibt so viele schöne Orte, an denen man Aufführungen machen könnte, kirchliche und weltliche Orte. Auf all dies kann die Stadt sehr stolz sein. Ich hätte dabei sicher nicht das Gefühl einer Disneyisierung der Stadt.

Sonnabend, 20 Uhr, Frauenkirche Dresden
Arien und Concerti von Georg Friedrich Händel, Georg Philipp Telemann, Joachim Quantz und Johann Adolph Hasse

Dominique Labelle Sopran
Brian Berryman Flöte

Orchester der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen
Leitung Nicholas McGegan

Mittwoch, 21. Juli 2010

Enorme Qualitäten

Windsbacher Knabenchor gastierte in der Frauenkirche

Die Sonnabendkonzerte in der Dresdner Frauenkirche werden auch während der Ferienzeit im Sommer fortgesetzt. Viele Besucher weilen in der Stadt, die sich die hochkarätigen Klassikkonzerte in der Kirche nicht entgehen lassen. Mit einem geistlichen, von schlichter Eleganz geprägten Programm gastierte nun der Windsbacher Knabenchor in der Frauenkirche. In der Schar der traditionsreichen Knabenchöre und Kurrenden gehören die Windsbacher zu den jüngeren Ensembles. Gleichwohl haben sie sich in ihrer bald 65jährigen Geschichte eine hohe Reputation erarbeitet und sind eines der musikalisch anspruchsvollsten Ensembles dieser Zunft.

Die Dresdner Frauenkirche ist für die Windsbacher ein gerne angesteuertes Gastspielziel und nach einigen absolvierten Konzerten ist das Ensemble überaus sicher in der Findung eines idealen Chorklanges für diesen Raum. Davon konnten sich die Zuhörer überzeugen und staunten mit Recht über eine außergewöhnliche Gesamtleistung, der eine intensive Vorarbeit vom Leiter Karl-Friedrich Beringer vorausgegangen sein muss. Im Chor weiß jeder Sänger um seine spezielle Aufgabe, sowohl seine individuelle Stimmkraft einzusetzen, als auch im Miteinander einen homogenen Chorklang zu formen.

Das Ergebnis ist beeindruckend und offenbarte sich schon im eingangs musizierten Gloria D-Dur von Antonio Vivaldi, einem dankbaren und immer wieder gerne musizierten Werk des Barock-Repertoires. Die Interpretation wurde von klug gesetzte Deklamation, klarer Phrasierung und dynamischer Arbeit bestimmt. Der leicht im Tempo überfahrene Beginn und die weniger im Focus stehende federnde Rhythmik (etwa des "Quoniam") schmälerte den guten Gesamteindruck etwas. Im "Domine Deus" von Ingeborg Danz (Alt) litt die Intonation im Continuo, das Oboensolo der Sopranarie (Jutta Böhnert - Sopran) war zu sehr romantisch aufgefasst. Überhaupt war das begleitende Münchner Kammerorchester nicht auf der Höhe seines Könnens, oft herrschte Unordnung in den Streichern und man schwankte zwischen falscher Zurückhaltung im Bassregister und barockem Individualismus auf modernem Instrumentarium. In der folgenden Bachkantate "Wer weiß, wie nahe mir mein Ende", BWV 27 hätte die verstolperte Altarie zwingend dirigiert werden müssen. Beeindruckend war hier die chorische Ausgestaltung der Ecksätze, der Windsbacher Knabenchor zeigte hier wieder eine große Palette des Ausdrucks. Markus Schäfer (Tenor) und Thomas Laske (Bass) fügten souveräne Soli hinzu, die Damen hingegen konnten nicht immer überzeugen: Danz wirkte nicht rund genug, Böhnert gab zu wenig Intensität in ihre Sopranstimme.

Nach einem etwas zu flüchtig-schnellen Beginn fand Beringer zum Abschluss des Konzertes in der G-Dur-Messe von Franz Schubert bald einen ruhig-gestaltenden Fluss, der zu den nur beeindruckend zu nennenden Interpretationen von Gloria und Credo führte. Das Crucifixus geriet zum zwingenden Höhepunkt des ganzen Werkes, tröstlich war der Beschluss im Agnus Dei, bei welchem im Orchester immer noch dieses geheimnisvoll-überzeugende Element fehlte, das doch die Windsbacher im ganzen Konzert so selbstverständlich zelebriert hatten: schärfenloser, tragend-homogener Klang, niemals von Kraftverbrauch oder Einzelstimmen dominiert. Dieser Knabenchor hat derzeit enorme musikalische Qualitäten und läßt Werke, die geradezu zur Detailgestaltung und zum Affekt auffordern, zum auch durch das am Ende wild fotografierende Publikum nicht trübbaren Genuss gelingen. Denn der musikalische Eindruck im Gedächtnis ist weitaus wertvoller als jede emotionslose Urlaubs-Diashow.

Freitag, 16. Juli 2010

Die Eleganz der Madame Michel

Wer ihn bis jetzt noch nicht gesehen hat: unbedingt ansehen. Allerdings ist dieser Film etwas für die Freunde des etwas ruhigeren Erzählkinos und in den ersten Minuten muss man auch noch ein Harry-Potter-Figürchen in seinem Klischee-Hirn erschlagen. Wenn dieses aber dann still geworden ist - und das schafft die 13jährige Garance le Guillermic binnen Minuten, entwickelt sich eine schöne Milieuzeichnung zwischen der reichen, unaufmerksamen Familie des schlauen Kindes und den Mitbewohnern des Hauses. Die Concierge Renée kennen wir alle, jeder hat die belesene, bescheidene aber ein wenig verwahrloste Hausdame irgendwo schon einmal gesehen, auch wenn sie unscheinbar ist und ihr Wissen selten mit mehr Leuten als mit ihrer Katze teilt. Da bedarf es dann schon eines verwitweten (und natürlich überhöflich-gesitteten) Japaners, um sie aus der Reserve zu locken. Am Scheidepunkt der Kulturen zwischen Tolstoi, Chabrol und Samurai kippt der Film etwas aus der fast zu perfekten Melodramatik heraus, um sich dann aber am Ende den großen Themen des Lebens zuzuwenden. Und das natürlich in bester französischer cineastischer Manier. Dieser Film tat gut.



* Interview mit der Regisseurin Mona Achache
* Rezension bei critic.de
* Süddeutsche - Filmrezension

Dienstag, 6. Juli 2010

Fast auf dem Gipfel

Schumann und Bruckner im 9. Zykluskonzert der Philharmonie

Zum letzten Mal in dieser Saison fanden sich am vergangenen Sonnabend die Philharmoniker und ihr Publikum zum Zykluskonzert im Kulturpalast ein. Die große Hitze und der Viertelfinalsieg der Deutschen Nationalmannschaft bildeten den Rahmen für das Konzert, ob diese Ereignisse die musizierten Töne oder das Zuhören derselben beeinflussten, wäre spekulativ. Sicherlich musste mancher im Publikum sich zumindest einmal die Ohren beim Betreten des Kulturpalastes reiben, denn der Lärmpegel auf dem Altmarkt war im Vergleich zum folgenden Schumann-Violinkonzert ungleich höher und zudem reichlich unkoordiniert. Es hieß, sich zunächst auf ein Werk einzulassen, das heutzutage so gar nicht durch die Konzertsäle rauschen will, zumal es ohnehin eine schwierige Rezeptionsgeschichte hat: 1937 wurde das späte Violinkonzert erst uraufgeführt. Im Gegensatz etwa zum Klavierkonzert haben Florestan und Eusebius ihren leidenschaftlichen Überschwang weitgehend eingestellt, gedankliche Schwere überwiegt und der Solopart ist gespickt von kompositorischen Finessen, bei denen aber kaum die Ergötzung eines Publikums im Vordergrund gestanden haben dürfte. Thomas Zehetmaier war der gefeierte Solist einer Interpretation, die reif, souverän und eigentümlich zugleich war. Zehetmaier befreite das Werk nicht nur von der melancholischen Schwere, sondern gab ihm durch seinen beherzten Zugriff eine virtuose Leichtigkeit zurück. Intensive Klanggestaltung gesellte sich hinzu, so dass man am Ende den Eindruck einer höchst respektvollen Annäherung an das Werk erhielt. Unter der Leitung von Marc Albrecht, der oft und gerne in Dresden dirigiert, konnten die Philharmoniker nicht immer an die solistische Leistung anknüpfen, zu abdedeckt war der Klang des in der Mitte der Bühne eng platzierten Orchesters. Überraschung dann bei der Zugabe: Zehetmair entschied sich für einen Ausschnitt aus der Solosonate von Bernd Alois Zimmermann und legte trotz der Kürze des Stückes höchst spannende emotionale Schichten des Werkes frei. Nach der Pause wartete ein sinfonisches Großereignis auf Publikum und Musiker: die 7. Sinfonie E-Dur von Anton Bruckner ist nicht so gefällig wie etwa die 4. Sinfonie, sie erreicht auch nicht die gewaltigen Ausmaße der folgenden 8. Sinfonie. Marc Albrecht arbeitete viele Charakteristika der Siebten überzeugend heraus, hätte aber durchaus noch mehr auf Kontraste und rhythmische Energie setzen können. Fast alle Sätze hatten einen flüssigen, flexiblen Ansatz, was der Farbigkeit des Adagios sehr zupass kam, dem Finale aber einen eher dramatischen Stempel aufdrückte. Nicht ganz auf dem Bruckner-Gipfel angelangt waren die Philharmoniker. Immer wieder gab es wunderbar ausmusizierte Themengestaltung etwa in tiefen Streichern, auch mancher Holzbläsersatz im Adagio klang warm und empfunden. Doch unter Albrechts kontinuierlich arbeitenden, zeigenden und zeichnenden Armen wurde das Orchester oft zu laut und im 3. und 4. Satz auch zu unpräzise. Die Blech-Apotheosen des Finales überschritten die Grenzen, in denen noch genug Obertöne für einen runden Gesamtklang entstehen können. Insgesamt aber war es eine ordentliche, mit vielen schönen Details versehene Interpretation. Nach einem Konzert in der Frauenkirche (10. Juli) mit Wayne Marshall und dem musikalischen Picknick auf Schloss Albrechtsberg (11. Juli) werden die Philharmoniker dann in ihren wohlverdienten Urlaub gehen.

Montag, 5. Juli 2010

Der überflüssigste Film der Welt.

Ich habe ihn noch nicht gesehen, ich habe nichts darüber gelesen und ich bin trotzdem überzeugt: die Welt braucht diesen Film nicht. Denn wie anders sollte man sich Mahler nähern als über seine Musik? Um wieviel schöner müssen Bilder (und -innere- Filme) sein, die NUR und ausschließlich durch die Musik entstehen, da braucht es nicht mal mehr Mahlers eigener blumiger Anmerkungen zwischen den Noten. Daneben graut mir besonders vor dem Ansatz, Mahler schon per Filmtitel in die Nähe von Freud zu rücken und damit seinen musikalischen Kosmos deuten zu wollen. Einzelmomente aus einem großen Leben werden unters Brennglas genommen (scheint grade Mode zu sein, siehe Coco Chanel & Igor Strawinsky), dabei werden fragwürdige Bezüge und filmisch passende Fiktionshandlungen erstellt und im Hintergrund dudeln sinnfrei illustrierend die Partituren der Komponisten. Muss ich mir das antun? Belehrt mich jemand eines Besseren? Vielleicht ist mir der Mahler-Schatz aber auch schlicht zu wertvoll, als dass ich ihn auf einer Leinwand entzaubert vorfinden mag.

Trailer:

Kinostart: 7. Juli
Filmseite: *klick*

Mittwoch, 16. Juni 2010

Ein doppelter Schubert

Philharmonisches Zyklus-Konzert unter Markus Poschner

In einer bestimmten Hinsicht war das 8. Zyklus-Konzert der Dresdner Philharmonie am vergangenen Wochenende Labsal für die von zahlreichen Jubilarehrungen doch ein wenig strapazierten Ohren: Einmal kein Chopin, Mahler oder Schumann, stattdessen gleich zwei Sinfonien eines gewissen Franz Schubert. Nicht, dass der große Schubert zu wenig erklingen würde, aber die Koppelung der frühen 3. Sinfonie D-Dur mit der berühmten "Unvollendeten", beileibe nicht seinem letzten Werk, war doch ein gewichtiges Ausrufezeichen. Der ab der nächsten Spielzeit als erster Gastdirigent der Dresdner Philharmonie tätige Markus Poschner zeigte hier schon einmal vorab, mit welcher Qualität man bei seinen Interpretationen zu rechnen hat, und das ging in den ersten Takten der 3. Sinfonie los, einem Stück, dem man eigentlich keinerlei Überraschungen zutraut. Doch wie Poschner hier den Klang der Philharmoniker auffing, modellierte und wieder an die nächst folgenden Instrumente abgab, das war höchst eindrucksvoll. Das ständige Geben und Nehmen inspirierte das Orchester zu einem fülligen, natürlichen Gesamtklang, bei dem alle einander derart aufmerksam zuhörten, dass die Sinfonie vor dem Ohr wie neu entstand. So konnte sich federnd-leichtes Musizieren entwickeln, wirkten die flüssigen Mittelsätze elegant, das italienischem Vorbild nachempfundene Finale klar und spritzig. Solchermaßen gut aufgelegt erwarteten die Zuhörer das Violinkonzert "Tala Gaisma" (Fernes Licht) des lettischen Komponisten Peteris Vasks (*1946). Spannendes und bislang Unentdecktes der Konzertliteratur des 20. Jahrhunderts ist bei Konzertmeister Wolfgang Hentrich in besten Händen, das wissen wir nicht erst seit den Interpretationen der Werke von Bernstein und Hindemith, die in guter Erinnerung sind. "Fernes Licht" ist zwar sehr virtuos und ausgesprochen dankbar für die Geige komponiert, allerdings dürfte das 1996 durch Gidon Kremer uraufgeführte Werk kaum als zeitgenössische Musik durchgehen. Munter bedient sich Vasks aus dem Fundus der Kompositionstechniken aller möglichen Epochen, doch Aleatorik, Walzerschübe und bittertraurige (warum bloß?) diatonische Melodien fügen sich auch über die Brücke von drei halsbrecherischen Kadenzen kaum ineinander. Was als "gut verständliches" Werk im Programmheft benannt wird, kommt an zu vielen Ecken eben als beliebig und sattsam bekannt daher. So konnte man nur die vollkommene Hingabe von Hentrich bewundern, der gemeinsam mit Poschner und dem Orchester die luziden Klänge zu einem runden Ganzen formte und den Fokus auf die Klangfarbe legte, dem Kern des Geschehens. Wer anschließend meinte, ein just angepfiffenes, höchst wichtiges Fussballspiel am Sonntagabend hätte alsdann die Musiker zu eiligem Beenden des Konzertes verleitet, war auf dem Holzweg. Markus Poschner gelang eine intensive, flüssige und niemals melancholisch-überzogene Darstellung der 7. Sinfonie von Schubert. Damit wurde Gewichtiges gesagt und einmal mehr zeigte die Philharmonie ihre Klasse im detailschönen und homogen aufeinander abgestimmten Musizieren.

Wiederentdeckung eines Meisterwerkes

Paul Ben-Haims Oratorium "Joram" erklang erstmals in Dresden

Dass die Stiftung Frauenkirche in diesem Jahr eine Veranstaltungsreihe mit Neuer Musik ins Leben gerufen hat, überrascht nicht und erfreut dazu. Nicht nur ist die Frauenkirche über die Jahrhunderte immer wieder Uraufführungsort geistlicher Werke gewesen, auch seit der Weihe 2005 erklangen vielfach eigens für Aufführungen in der Kirche geschaffene Werke. Das erste Konzert der Reihe am vergangenen Sonnabend irritierte jedoch in diesem Rahmen, denn das aufgeführte Werk wurde bereits vor 77 Jahren vollendet, in seiner Originalfassung wurde es erst 2008 in München uraufgeführt. Auch zur Zeit seiner Fertigstellung 1933 wäre Paul Ben-Haims opus magnum, das Oratorium "Joram" keinesfalls als neue Musik zu bezeichnen gewesen, allerdings gibt es viele Ebenen in dem Werk, die eine starke eigene musikalische Handschrift tragen. Selten entpuppt sich ja eine vergessene Komposition noch als Meisterwerk, doch in diesem Fall ist es unerklärlich, dass der als Paul Frankenburger in München 1897 geborene Komponist zu Lebzeiten nur eine Aufführung einer gekürzten Fassung seines "Joram" erleben durfte, denn das Stück ist eines der faszinierendsten Oratorien der Neuzeit, es ähnelt in seiner Wirkung dem wenig später entstandenen "Buch mit sieben Siegeln" von Franz Schmidt, ist aber ungleich moderner in der Tonsprache. An der Nahtstelle der Fertigstellung des Werkes musste Frankenburger nach Palästina emigrieren und fand fortan keine Aufführungsmöglichkeiten für das großbesetzte Werk, auch das übrige OEuvre dieses spannenden Komponisten harrt immer noch der Wiederentdeckung. Musikwissenschaftlern und vor allem den Münchner Protagonisten der Aufführung in der Frauenkirche ist die Edierung der Erstfassung des "Joram" zu danken. Schade, dass sich kaum 300 Zuhörer für diese moderne Hiob-Adaption (Text: Rudolf Borchardt) interessierten, doch diese dankten den Interpreten ergriffen für eine großartige Aufführung. Ben-Haim-Biograf Jehoash Hirshberg von der Jerusalemer Universität gab zuvor eine plastische Einführung in das Werk, das formal an die Passionen von Bach, aber auch an den Elias von Mendelssohn anknüpft. Musikalisch geht Ben-Haim eigene Wege und überrascht den Zuhörer mit einer unglaublichen Farbigkeit des Orchestersatzes, ganz eigener Ausdeutung spätromantisch-freitonaler Harmonik und massiv ausufernder Dramatik, die aber niemals platt wirkt, sondern von großer rhythmischer und melodischer Energie getragen wird - oft kontrastieren feinste Passagen in Solo-Instrumenten als Beruhigung der Massen. Problematisch ist die zu bewegende Textmasse in lutherischem Duktus: man hätte es schwer, den zahlreichen Erklärungen und Beschreibungen zu folgen, wäre da nicht die exakte Deklamation des Münchner Motettenchores und eines hervorragenden Solistenquartettes (Carolina Ullrich, Carsten Süß, Bernd Valentin und Miklós Sebestyén mit einheitlich starker Darstellung) gewesen. Der Chor hat enorme Aufgaben zu bewältigen, wurde von seinem Leiter Hayko Siemens aber optimal betreut. Neben dem Mut zum piano überzeugte die harmonische Sicherheit und der Krafteinsatz bei Steigerungen in den drei Schlußchören - letztlich waren bei einigen von Ben-Haim raffiniert gesetzten a-cappella-Passagen Grenzen festzustellen. Die Münchner Symphoniker schließlich klangen unter Siemens kundigem Dirigat transparent und glänzten mit vielen empfundenen Soli (Flöte, Kontrabass). Die Dramaturgie spannte sich weit bis zu den Anklagen des Joram und den Engelserscheinungen des 3. Teils, nach mehr als zwei Stunden musikalischer Reise durch die Themen von Schuld und Leid, Glaube und Individuum gelingt ein tröstlicher, menschlicher Ausklang, gemäß der Weisheit des von Ben-Haim als Mittelpunkt des Werkes vertonten Chorspruchs: "Handle! Lebe! Und es ist Passion."

Mittwoch, 9. Juni 2010

Massiv und langsam

"Die Schöpfung" im 8. Philharmonischen Konzert

Im Gegensatz zu den ernsten Ereignissen des Kirchenjahres, die in der Musik von vielerlei Passionen und Kantaten begleitet werden, bildet die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte reichlich Anlass zur Ergötzung eines Publikums, erst recht wenn Biblisches und Profanes eine so unterhaltsame Ehe eingehen wie in Joseph Haydns Schöpfungs-Oratorium. Doch der blumige Text von Gottfried van Swieten und Haydns farbige Partitur funktionieren heutzutage nicht von selbst, hier ist reichlich Interpretenlust gefragt, um eine spannende Aufführung zu formen. Im 8. Philharmonischen Konzert am Sonntagabend im Kulturpalast blieb diese Spiellust fast komplett den Solisten vorbehalten, denn erschreckend inspirationslos war die Führung, die Chefdirigent Rafael Frühbeck de Burgos seinem Orchester und den Philharmonischen Chören (großer Chor und Jugendchor) angedieh. Die Entscheidung für 120 Choristen und 50 Streicher hätte einiges an Arbeit hervorrufen müssen, um den Klang zu entschlacken. Das genaue Gegenteil war der Fall: dick und breit wälzte sich das Oratorium über mehr als zwei Stunden dahin - solche Aufführungspraxis wähnt man eigentlich als längst vergangen. Bereits die "Vorstellung des Chaos", ein Geniestreich Haydnscher Kompositionskunst, versank in der Mittelmäßigkeit: der erste Einsatz war zu weich und zu kurz, um Aufmerksamkeit zu erreigen. Danach war vieles zerdehnt und diffus, erst der sichere erste Choreinsatz versöhnte. Die Ausdehnung der Tempi hätte im weiteren Verlauf nur Sinn gemacht, wenn sich Frühbeck de Burgos interpretatorisch dem Orchester intensiv gewidmet hätte, doch er reduzierte den Klangkörper auf ein reines Begleitinstrument, das dann aufgrund von Orientierungslosigkeit in den Details auch nicht mehr homogen klang. Weder in den (von Haydn sensationell komponierten) Rezitativen mit eigentlich überaus bildhafter Vorstellung von Natur, Tieren und Menschen noch in den durchweg zu langsam musizierten Arien und Chören stellte sich Freude ein, obwohl alle Musiker aufrichtig bei der Sache waren. Frappierendes Beispiel der Ignoranz der Haydnschen Ereignisse war das Orchestervorspiel zu "Nun scheint in vollem Glanze der Himmel", das abgedeckt und dumpf genau das Gegenteil vom gesungenen Text ergab. Matthias Geißler und Jürgen Becker hatten die Philharmonischen Chöre auf dieses Konzert sicher vorbereitet, doch in den langsamen Tempi war kaum Schlankheit und zielgerichtete Federung der Musik erreichbar. Dennoch überzeugte die gute Textdeklamation und trotz Massierung der Kräfte waches und schnelles Reagieren. An der Bühnenrampe zeigte ein wackeres Solistentrio, wie fantastisch Haydn mit Engagement klingen kann: Florian Boesch (Bass) überzeugte mit intensiver, keinesfalls übertriebener Gestaltung und einer sehr wandlungsfähigen Stimme. Markus Schäfer (Tenor) hätte bei der völligen Beherrschung der Partie ruhig mehr fließendes Legato zeigen können. Die junge Amerikanerin Robin Johannsen (Sopran) war ebenso eine Bereicherung dieser Aufführung - mit ihrer stilsicheren und schlanken Stimmführung gab sie dem Oratorium die nötige Fröhlichkeit und Frische zurück.

Gelungene Verbindung

Theatre of Voices mit Werken von Arvo Pärt und Alter Musik in der Frauenkirche

Es war vielleicht eines der außergewöhnlichsten Konzerte der Musikfestspiele. Kompositionen von Arvo Pärt gepaart mit Meistern der frühen Vokalpolyphonie, das musste unter die Haut gehen. Erst recht, wenn dasfür so kundige Protagonisten wie das Vokalensemble "Theatre of Voices" unter Leitung von Paul Hillier angekündigt waren. In Quartettbesetzung präsentierte sich das englische Ensemble, dass sich seit Jahren der zeitgenössischen und parallel der alten Musik widmet, woraus besondere Spannungen und Qualitäten entstehen.

Die Nabelschau der Töne in diesem Konzert fiel sehr meditativ aus und endlich war ein akustisches Labsal in der Frauenkirche zu vernehmen: vier Singstimmen und vier Streichinstrumente genügen völlig, um den Raum in eine spirituelle Atmosphäre zu tauchen - Augen schließen war angebracht, denn ansonsten würden Architektur und Komposition weidlich aneinandergeraten. Bei "Theatre of Voices" ist die angenehm-respektvolle Grundhaltung zur Musik immer spürbar, so gerieten zu Beginn Perotins Verse "O mira novitas" zu einer freundlichen Aufforderung, in die geheimnisvollen sakralen Welten einzusteigen.

Im Ensemble machte sich im Laufe des Konzertes eine leichte akustische Dominanz des Soprans (Else Torp) bemerkbar, doch fiel das kaum ins Gewicht, da auch die anderen Sänger (William Purefoy, Chris Watson und Paul Hillier) mit geraden, gut geführten Stimmen gestalteten. Die Ausgewogenheit in der Ausgestaltung der oft blockhaften Abschnitte schien bei der Erarbeitung der Werke im Vordergrund zu stehen - das ist für manche Pärt-Kompositionen wie die "Missa Syllabica" förderlich, um eine extreme Selbstverständlichkeit zu erzeugen und die Spannung zwischen Musik und Text auszugleichen.

Andererseits, das war im abschließenden "Stabat Mater" dann doch spürbar, führt die Entscheidung zur stetigen Weichheit des Klanges zu etwas flacherer Emotion: wo Pärt Dissonanzen, Akzente, plötzliche Homophonie zur Interpretation anbietet, hätte ich mir stärkere, impulsivere Ausdeutung gewünscht. So war das lebendigste, verschlungenste Werk ausgerechnet ein "Veni creator spiritus" von Guillaume de Machaut, vollendeter Beweis, wie Jahrhunderte vor Bach kunstvoll gesetzte Mehrstimmigkeit zum Ausdruck tiefen Glaubens geschaffen wurde. Eine ähnliche Beweglichkeit der Stimmen weist Pärts "Wallfahrtslied" auf - ein Weg muss gegangen werden, ein Ziel ist vor Augen: die Pilgerfahrt bleibt hier den Streichern vorbehalten, während Tenor und Bass eine gerade Text-Linie zeichnen.

Das estnische NYYD-Quartett war unglaublich gut in seinem Einfühlungsvermögen für die Sänger und in der eigenen Gestaltung der Töne der Pärt-Werke, bei denen die Streicher zum Teil weitere Gesangsstimmen übernahmen. Etwas betrüblich war, dass das Publikum die Stille nach den einzelnen Stücken nicht immer genießen mochte - am Ende breitete sich freudiger Dank für die hochklassige Darbietung aus.

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