Rezensionen

Sonntag, 6. Juni 2010

"Kids on Stage" - Von HipHop bis Klassik

Zehn Tage wirbeln Jugendliche über die Bühne im Festspielhaus Hellerau



20 Stühle stehen auf der Bühne, darauf sitzen 20 Jugendliche und starren ins Publikum. Ein Stilleben, eine homogene Gruppe, möchte man meinen. Doch weit gefehlt: als nach und nach unter Beeinflussung der Band die Stühle verschwinden, offenbaren sich Individuen und Charaktere, wird die Gruppe zum Mob, wird der Einzelne zum Kämpfer. Nur augenscheinlich ist die bekannte "Reise nach Jerusalem" ein Kinderspiel, in der Betrachtung der Gruppe des Romain-Rolland-Gymnasiums (Regie/Betreuung Annette Jahns und Annette Hannemann) wird ein abwechslungsreiches Musiktheater daraus. Die Aufführung am 15. Juni ist Teil des Festivals "Kids on Stage" beim Europäischen Zentrum der Künste. Vom 10. bis 22. Juni wirbeln Schüler und Kinder über die Bühnen des Festspielhauses Hellerau. Ganz im Sinne des genreübergreifenden Profils der Veranstalter wird aber nicht nur Kindertheater gezeigt, die Grenzen zwischen Musik, Theater, Rhythmik und Show sind bei den Jugendlichen bewusst fließend. Eröffnet wird das Festival von "Geometronomics", einer rasanten Capoeira-HipHop-Show des brasilianischen Company Discípulos Do Rítmo, gemeinsam mit dem deutschen Choreografen und HipHopper Storm. Niels "Storm" Robitzky wird dann am 11. und 12.6. einen Open-HipHop-Workshop für alle von 8-18 geben, damit auch der Nachwuchs lernt, wie man sich zur angesagten Musik bewegen kann. Das bei den Landesbühnen Sachsen bereits gefeierte Tanzstück "Peter Pan" des Heinrich-Schütz-Konservatoriums wird an diesen beiden Tagen als Abendveranstaltung zu sehen sein. Der Sonntag steht im Zeichen jugendlicher Komponisten: im Jahreskonzert der Komponistenklasse Dresden begrüßt man als Gäste die neu gegründete Klasse "Malý Dvorák" aus Prag und die Tonsetzer widmen sich unter dem Titel "Von fremden Ländern und Menschen" augenzwinkernd und ganz ernst dem 200. Geburtstag Robert Schumanns. Ein Gemeinschaftsprojekt aus Polen und Deutschland wird gleich im Anschluss präsentiert: beim "Meetingpoint Music Messiaen" in Görlitz haben Kinder ein ganzes Theaterstück rund um die eifrigsten Komponisten der Natur gebaut - Vögel, von denen Olivier Messiaen einst die Melodien sammelte und in seine Kompositionen aufnahm. Die Mitte der Woche wird von vier Projekten aus sächsischen Schulen bestimmt; in der Nachfolge von "Musik erfinden in der Schule" werden nunmehr ganze Klassen und Bands "on stage" geschickt und man darf gespannt sein, wie etwa Komponisten wie Erwin Stache oder Hartmut Dorschner gemeinsam mit den Schülern Theaterstücke und Musiken erfunden haben - nicht etwa die Klassiker sind hier gefragt, sondern Themen, die die Jugendlichen ausgewählt haben. Eine Schule hat mit Gedichten und Farben gearbeitet, eine andere befasst sich mit den musikalischen Qualitäten einer Sport-Maschinerie. Doch damit nicht genug, auch die erfolgreichsten Beiträge des Performance-Wettbewerbes "unart" des Dresdner Staatsschauspiels sind noch einmal zu sehen (17.6., 19 Uhr). Gemäß dem wissenschaftlichen Anspruch des EZKH wird bei einem Symposium über Jugendtheater und Kunst diskutiert. Und schließlich wird am 18.6. noch ein Rhythmikprojekt (Konzeption Christine Straumer) mit klingenden und tanzenden Bildern gezeigt und das Chemnitzer Kinderensemble (Leitung Andreas Winkler) präsentiert neue Musik von Kindern, aber auch Terry Rileys faszinierendes Stück "In C" - Mit dem Jugendtanzprojekt der Staatsoperette Dresden "Pardon!" samt kritischer Podiumsdiskussion zum Thema Jugend und Alkohol im Anschluss an die Veranstaltung am 19. Juni findet das Festival dann sein Finale. Eine Festivalparty mit DJs darf natürlich auch nicht fehlen. Bei dieser Vielfalt sollte nicht nur für die Jugendlichen Interesse geweckt sein und mit dem Mut zum Experiment ist man in Hellerau ohnehin am richtigen Ort. Welcher Stuhl am Ende der "Reise nach Jerusalem" also übrigbleibt, erfährt nur, wer "Kids on Stage" einen Besuch abstattet.

"Kids on Stage" - Programm:
Do, 10.6. 20 Uhr Storm & Discípulos do Rítmo "Geometronomics"
Fr/Sa 11. und 12.6. OPEN HipHop Workshop
Fr/Sa 11./12.6. jeweils 18 Uhr HSKD-Ensemble "Peter Pan - Ein Tanzstück"
So, 13.6. 11 Uhr "Von fremden Ländern und Menschen", Komponistenklasse Dresden
So, 13.6. 14 Uhr "Alle Vögel fliegen hoch in die Luft" - Meetingpoint Messiaen
Di, 15.6. 19 Uhr Projekte des Romain-Rolland-Gymnasiums und der Kreuzschule Dresden
Mi, 16.6. 19 Uhr Projekte der Kurfürst-Moritz-Schule Boxdorf und des Glückauf-Gymnasiums Dippoldiswalde/Altenberg
Do, 17.6. 19 Uhr Best Of "Unart" - Performancewettbewerb
Fr/Sa 18./19.6. Symposium "War das jetzt schon Kunst?"
Fr 18.6. 15 Uhr Rhythmikprojekt "Bildermobile", anschl. Konzert des Chemnitzer Kinderensembles, abends Festivalparty
Sa/So 19./20.6. jeweils 20 Uhr Jugendtanzprojekt "Pardon!"

https://www.hellerau.org
Foto: PR / Hellerau

Disparater Eindruck

"Global Ear" wirft ein Licht auf Musik der Gegenwart in Russland

Die russische Musik steht bei den Dresdner Musikfestspielen in diesem Jahr im Vordergrund. Damit auch für jeden etwas dabei ist, schöpft man aus allen Genres und aus mehreren Jahrhunderten Musikgeschichte. Ziemlich am Rande des Festivals steht dabei die zeitgenössische Musik. Dass die meisten Musikfestspielkonzerte sich modern wähnen, wenn ein Werk von Schostakowitsch oder Strawinsky eingewebt ist, erscheint ebenso seltsam, wie das fast zufällige Auftauchen zweier winziger Theatermusiken für Akkordeon von Alfred Schnittke im "Global Ear"-Konzert am Mittwochabend. Hätte einem der wichtigsten zeitgenössischen russischen Komponisten nicht mehr Aufmerksamkeit bei einem "Russlandia"-Festival gebührt? Andere musikalische Entwicklungen, etwa der russische Futurismus oder das Komponieren neben und nach Schostakowitsch fanden im Festival leider ebensowenig Beachtung. Am Abend des Konzertes im Societaetstheater fand auch noch parallel die Erstaufführung des Mansurian-Cellokonzertes statt, wahrlich keine glückliche Terminierung zweier Neue-Musik-Ereignisse. Dennoch: das Global Ear-Konzert, veranstaltet in Verbindung mit dem KlangNetz Dresden, lockte Publikum an und zumindest drei russische Komponisten der Gegenwart lernte man im Konzert mit dem Hochschul-Ensemble "El Perro Andaluz" unter Leitung von Lennart Dohms näher kennen: Olga Rayeva und Sergej Newski leben allerdings schon in Berlin - ihre musikalische Sprache ist nicht von einer geografischen Grenze oder Kultur beengt. Rayevas "Autumn street's relief" bleibt verstörend, da sie dem Zuhörer einen (Zitat Programmheft) "kontrollierten epileptischen Anfall" als Komposition zumutet und darüberhinaus weder durch ihre Musik noch durch einführende Worte einen Zugang ermöglichen will. Das kaum durchdringbare Dickicht der komplexen Partitur bot selbst einem erfahrenen Hörer kein Angebot zum Nachvollzug. Anders Newski in "Blindenalphabet" - das kleine Ensemble schnurrte in einer Meta-Sprache, die sensibel wie mit dünnem Bleistift gezeichnet war. Hier verbarg sich ein Stück hinter der Musik, das es hörend zu ertasten galt: spannend! Vladimir Tarnopolski schließlich ist einer der bekanntesten Vertreter aktueller Musik aus Russland. Sein Ensemblewerk "Eindruck-Ausdruck", das von energetischen Blöcken und Schnitten lebt, wurde insgesamt gut gespielt, wenngleich man sich von den Impulsen und der Balance her eine noch homogenere Fassung vorstellen kann. Mit Musik auf dem Akkordeon, gespielt vom Duo Ruslan und Elena Krachkovski, wurde versucht, eine Verbindung zur Folklore zu schaffen, letztlich standen aber beide Ebenen isoliert. Wie sich dann die überlange, kaum mehr als eine Material-Studie zu begreifende Komposition "Influenzas" des Chinesen Bowen Liu in dieses Programm geschlichen hatte, bleibt unerklärlich. Zerschnittenes, Unfertiges und Disparates stand in diesem Konzert nebeneinander und betonte einen Werkstattcharakter, der ins Offene wies.

Donnerstag, 3. Juni 2010

Starke Schwestern

Baiba und Lauma Skride begeistern mit Recital im Palais

Eine allein würde ja uns schon für feinsten Musikgenuss genügen. Die junge Geigerin Baiba Skride beschert uns seit einigen Jahren rassige Interpretationen, während ihre Schwester Lauma Skride als feinsinnige Entdeckerin am Klavier gilt. Dementsprechend weckt natürlich ein Konzert der lettischen Schwestern Erwartungen. Natürlich versteht man sich beim familiären Stelldichein fast blind und nimmt jede körperliche Regung des Partners wahr, doch sorgen gerade die unterschiedlichen Temperamente und Erfahrungshorizonte in musizierenden Familien-Ensembles für eine äußerst kreative Spannung. Das Konzert von Baiba und Lauma Skride im Palais im Großen Garten bestätigte diesen Eindruck. Baiba war oft der vorantreibende, energische Part, während Lauma kontrollierter wirkte und vor allem das dynamische Zusammenspiel zur Rundung brachte. Drei Sonaten völlig unterschiedlicher Couleur hatten die beiden Damen ausgewählt: Mit Werken von Schubert, Ravel und Schostakowitsch waren überraschenderweise weder die großen Klassiker der Sonatenkultur vertreten noch stand ein leichtfüßiger Piècen-Abend bevor. Und bereits die recht konventionelle D-Dur-Sonate von Franz Schubert durchwehte eine Art leichter Ernst, der nicht mehr weichen sollte - Baiba und Lauma Skride gaben sich der Musik vollends hin und wollten sich beim Musikfestspielgastspiel keinesfalls mit oberflächlichem Glanz zufrieden geben. So hielt sich Lauma Skride hier am Klavier noch zurück - die Schubert-Sonate bekam so einen ganz luftig-weichen Charakter. Die Violinsonate von Maurice Ravel hingegen Violinsonate ist ein ziemliches Unikat: die rasch wechselnden Farben und Spielarten gingen die Schwestern souverän und mit einigem Risiko an. So bekam man im Blues angesichts knallharter Pizzicati einige Male Angst um Baibas Saiten, sie fand aber am Ende dieses Satzes zu extremer Zartheit zurück, um anschließend in furioser Manier mit ihrer Schwester durch den 3. Satz zu jagen. Dass beide die Sonate bei dieser Leidenschaftlichkeit noch klar strukturierten und immer wieder zu schwebendem Spiel fanden, nötigt höchsten Respekt ab. Nach der Pause stand dann der Beitrag zu "Russlandia" auf dem Programm - die späte Violinsonate von Dmitri Schostakowitsch zählt wohl zu den traurigsten und auch verstörendsten Werken dieses Genres. Baiba und Lauma Skride erreichten einen Grad der Versenkung in dieses Werk, die die Zuhörer nachhaltig erschütterte. Vom dünnhäutigen einstimmigen Einstieg des 1. Satzes über die ziellose Cholerik des Mittelsatzes bis hin zum Schock der separierten, verzweifelten Solo-Ausbrüche beider Musiker im 3. Satz war dies eine große Interpretation, bei der Baiba mit oft scharfer Tongebung und trockenen Pizzicati die Partitur bis auf die Knochen führte. Lauma Skride war in allen drei Sätzen atmend präsent, leiseste melodische Passagen von Baiba Skriede wiesen immer Linie und Ziel auf - so demonstrierten beide die Unaufhaltsamkeit der musikalischen Aussage bis zum verzitterten, sich in Sprachlosigkeit flüchtenden Schluss dieses Meisterwerkes. Nach dieser Sonate hätte man den Konzertabend gerne beenden mögen, doch "Schön Rosmarin" von Fritz Kreisler flatterte als erste Zugabe von der Bühne, als ob vorher nichts gewesen wäre. Sollte darin eine Botschaft versteckt gewesen sein, so die, dass sich das Leben weiterdreht, erst recht im Tanze, wie die zweite Zugabe (Bartók) bewies. Starke Schwestern.

Mittwoch, 2. Juni 2010

Brahms in Moskau

Emanuel Ax und das Russische Nationalorchester in der Semperoper

Das zweite Wochenende der "Russlandia"-Musikfestspiele hatte einmal mehr orchestrale Leckerbissen zu bieten, dazu gab es beim zweiten Gastspiel des Russischen Nationalorchesters die (Wieder-)Entdeckung des russischen Komponisten Sergei Tanejew (1856-1915), der sehr zu Unrecht mehr Bekanntheit als Lehrer denn als Komponist erlangte. Im Konzert in der Semperoper stand aber zunächst das 2. Klavierkonzert B-Dur Opus 83 von Johannes Brahms auf dem Programm. Dabei stand natürlich der großartige Solist Emanuel Ax im Vordergrund, aber auch die klangfarbliche Behandlung der Partitur des Russischen Nationalorchesters ist erwähnenswert. In diesem spezifischen Gesamtklang sind kulturelle und historische Besonderheiten natürlich einzubeziehen, und so klingt dieser Brahms eben für unsere Ohren etwas gewöhnungsbedürftig: die Streicher sind in höheren Lagen oft eng und obertonarm, die Holzbläser formen einen eher abgedunktelten Klang. Das Tutti klingt robust, solistisch kann den Russen ohnehin keiner etwas vormachen - eher fremdartig wirkt eine stark terrassenartige Abstufung der Haupt- und Nebenstimmen. Emanuel Ax, sonst auf der anderen Seite der Erdkugel zu Hause, musizierte gut mit dem Orchester und seinem Gründer und Leiter Michail Pletnjow zusammen. Bezüglich emotionaler Tiefe hatte Ax allerdings einen gewaltigen Vorsprung gegenüber dem recht brav begleitenden Ensemble. Seine Interpretation darf man durchaus als saftig bezeichnen, aber dies im besten Sinne pro Johannes Brahms. Die ersten beiden Sätze strotzten vor Kraft und Männlichkeit, überschritten aber nie die Grenze zum Poltern oder zum demonstrativen Virtuosentum. Dafür ist Ax viel zu sehr interessiert an Entstehen und Vergehen des musikalischen Flusses und das war meisterlich etwa im 3. Satz ausgeführt. Der Pianist ließ sich auch nicht vom kontinuierlich zwischen den Sätzen klatschenden Publikum aus der Ruhe bringen und brachte das Konzert zu einem gebührenden Abschluss. Nach diesem Kraftakt war um so staunenswerter, dass Ax die (schon im langsamen Satz mit wunderbarem Solo brillierende) Cellistin vom ersten Pult zu sich rief und sichtlich gelassen dem Publikum mitteilte: "Wir spielen noch ein bißchen Schumann" - auswendig und mit dem Rücken zur ebenso souverän musizierenden Dame aus dem Orchester erklang ein Satz aus den "Phantasiestücken". Die Koppelung mit Sergei Tanejews Sinfonik erschien sinnfällig, denn hier sind harmonisch und kontrapunktisch enge Verwandtschaften zu beobachten. Unergründlich ist mir, warum dieses Werk es kaum von westlichen Orchestern gespielt wird, an Spannung, Seele und vielen typisch russischen Klangfarben fehlte es nicht. Michail Pletnjow führte mit ernster Miene und effizient-sparsamer Zeichengebung durch die Partitur und konnte sich aufmerksamer Reaktion im Orchester sicher sein. Schön, dass man hier erfahren konnte, dass Brahms in Moskau ganz anders klingt und die russische Seele nicht nur aus Tschaikowski-Melodien schöpft.

Imposanter Klassiker

Camille Saint-Saëns Orgelsinfonie im Frauenkirchen-Kapellkonzert

Wie bekommt man Freunde der Orgelmusik und Freunde der hochromantischen Sinfonik an einen Tisch? Oder anders gefragt: wie läßt sich die Frauenkirche fast bis auf den letzten Platz füllen? Richtig: man spielt die 3. Sinfonie c-Moll Opus 78, die "Orgelsinfonie" von Camille Saint-Saëns, einen imposanten Klassiker, der dennoch aufgrund seines Aufwandes selten erklingt. Wenn Raum, Orgel und Orchester dann noch eine so glückliche Verbindung eingehen, wie im Kapellkonzert am Sonnabend, das im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele stattfand, sind die Zuhörer begeistert. Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin, mehrfach bereits Gast der Sächsischen Staatskapelle, leitete eine überzeugende Aufführung, die trotz der bekannten akustischen Schwierigkeiten für den Orchesterklang das Optimum erreichte. Nézet-Séguin sparte nicht mit Vorwärtsdrang, legte die feurigen letzten beiden Sätze mit straffem Tempo und ordentlich Pomp an, ließ aber in den immer wieder sanft aufsteigenden Streicherthemen Ruhe walten. Es war keine Überraschung, dass sich die Kern-Orgel gleichrangig in den Orchesterklang mischte. Samuel Kummer sorgte für eine jederzeit präsente Farbgebung ohne das Instrument im Tutti verschwinden zu lassen, der warme Soloeinsatz im langsamen Satz geriet andächtig. Mit vollem Werk der Orgel und kraftvollem Einsatz von Schlagzeug und Blechgruppe war somit großer Beifall am Ende garantiert. Vor der Pause stand ein weiterer Klassiker auf dem Programm. Die hoch gelobte Geigerin Arabella Steinbacher sprang für den erkrankten Leonidas Kavakos in Ludwig van Beethovens Violinkonzert als Solistin ein. Während Saint-Saëns allerdings natürlich musizierten Esprit versprühte, entschieden sich Nézet-Séguin und Steinbacher bei Beethoven für die denkbar langsamste Variante der Darbietung. Natürlich gibt es kein abgesichtertes Falsch oder Richtig in der Tempowahl, aber zumindest Beethovens Tempoangaben und die rhythmisch-motivische Anlage geben eine Richtung vor. Doch im 1. Satz hatte bereits die Einleitung tiefromantischen Charakter und ein klar durchgehaltenes Allegro non troppo war dies keinesfalls: Steinbacher retardierte an jedem Phrasenende, insbesondere am Übergang zur Durchführung und bei triolischen Figuren. Nézet-Séguin folgte mit raumschwelgerischem Ausbreiten der Themen, so dass irgendwann auch die Tuttipassagen nicht mehr präzise genug gerieten. Das Larghetto geriet im völligen Adagio-Duktus einige Male fast zum Stillstand. Der Vorteil dieses Musizierens lag natürlich auf der Hand: Steinbacher konnte im Kirchenraum mit großem Klang und absolut sauberer Intonation intensivst gestalten, fremdartig wirkte dann die plötzliche Virtuosität der Kreisler-Kadenzen. Die Brillanz des Werkes blieb dem klar und frisch gespielten 3. Satz vorbehalten. Wieviel Feuer in der Solistin loderte, zeigte die zugegebene "Obsession" von Eugène Ysaÿe. Eine wenig mehr dieser nach vorne gerichteten, spannungsgeladenen Haltung hätte der Beethoven-Interpretation gutgetan.

Mittwoch, 26. Mai 2010

Extrem leidenschaftlich - Russische Romanzen mit Mischa und Lily Maisky in der Semperoper

Am Morgen des Pfingstmontages begaben sich die Zuhörer des Musikfestspielkonzertes in der Semperoper auf eine Reise in die wohl authentischsten Klangwelten Russlands. Denn ähnlich wie das deutsche Kunstlied mehrere Epochen der Musik geprägt und entwickelt hat, ist die russische Romanze eine eigene Kunstform, die sogar bis in die Gegenwart von Sängern und Komponisten gepflegt wird. Unzählige Romanzen wurden im 19. Jahrhundert gedichtet und vertont, Liebeswonne, -leid und intimster Klagegesang bilden darin eine Einheit und schwingen sich in den Kompositionen von Tschaikowsky und Rachmaninov zu höchster Meisterschaft auf.

Bereits vor vier Jahren hat der große Cellist Mischa Maisky einige dieser Romanzen eingespielt, er widmete sich ihnen auch im ersten Teil seines Konzertes in der Semperoper. Flüssige Übergänge zwischen den einzelnen Stücken schufen quasi ein großes russisches Liebeslied mit vielen Strophen und Facetten, wobei Maisky jedes Lied behandelte, als ginge es um sein persönliches Schicksal, das mit zumeist ersterbenden Schlußtönen seine Besiegelung fand. In atemberaubender Schlichtheit gestaltete Maisky die zarten Anfänge vor den oft gewaltigen Steigerungen in den Mittelteilen der Romanzen, so dass man trotz fehlender Texte die jeweiligen Gefühlswelten direkt von den von Maisky extremst gestalteten Tönen abnehmen konnte, es waren eben "Lieder ohne Worte" par excellence.

Am Klavier begleitete seine Tochter Lily kundig und aufmerksam, aber manchmal zu farblos, das änderte sich auch bei den pianistisch anspruchsvolleren Rachmaninov-Romanzen nur wenig. Mischa Maisky hingegen steigerte sich hier zu intensivster Klangmodellierung und ließ die Elegie, Opus 3/1 vor der Pause zum Höhepunkt werden.

Ein einziges Werk stand danach auf dem Programm: Dmitri Schostakowitschs Cellosonate d-Moll erhielt schon allein eine spannende Qualität durch die Nachbarschaft zu den Romanzen. Maisky wurde denn auch nicht müde, die melodischen Linien mit unbändiger Kraft des Bogens auszusingen. Allerdings legte sich die Dominanz der Interpretation oft so stark über die Partitur, dass - verbunden mit etlichen zum Teil unerklärlichen Freiheiten, die sich die Musiker in Tempogestaltung und Agogik nahmen - die Stimme Schostakowitschs vor allem im ruppigen Scherzo kaum noch zu erkennen war. Hier hätten beide zugunsten von klarer Tongebung und formaler Transparenz ihre Über-Leidenschaft etwas zurückfahren können, die trocken-lakonische Atmosphäre, die vor allem die Ecksätze bestimmt, wollte sich nicht einstellen. Zudem enttäuschte Lily Maisky hier auch mit einem kaum souverän bewältigten Klaviersatz. Das Publikum erklatschte sich noch weitere drei Romanzen, in denen Solisten und Zuhörer gemeinsam schwelgen durften, allerdings setzte ein Defekt der Klimaanlage in der dritten Zugabe einen unrühmlichen Schlußakzent unter ein ansonsten vor Spannung und Leidenschaft berstendes Konzert.

Mahlers Schatztruhen - Pittsburgh Symphony Orchestra unter Manfred Honeck gastierte in der Semperoper

Das kam genau richtig. Mitten in einem "Russlandia"-Programm gastierte das Pittsburgh Symphony Orchestra bei den Dresdner Musikfestspielen in der Semperoper. Damit gelingt den Festspielen nicht nur der orchestrale Seitenblick "übern Teich", man bekommt in diesem Jahrgang zudem einen tiefen Einblick in die Orchesterkultur diverser Länder. Im Programm gab es ein Paradestück für Sinfonieorchester - aber eben auch einen bekannten Prüfstein: Gustav Mahlers 1. Sinfonie D-Dur. Zudem gesellte sich den Amerikanern der Intendant der Musikfestspiele, Jan Vogler, als Solist zur Seite und musizierte das Schumannsche Cellokonzert.

Schön und fortführungswürdig ist, dass im Programmheft einige persönliche Worte des Solisten zum Interpretationsansatz zu finden waren - auf diese Weise erhellten sich einige musikalische Aspekte, die ansonsten möglicherweise fraglich geblieben wären: denn was Schumann selbst als "durchaus heiteres Stück" anpries, bürstete Vogler ordentlich gegen den Strich. Da musste im ersten Satz auch im Zusammenspiel mit dem Orchester erst ein gemeinsamer Klang gefunden werden und Vogler formte aus dem unaufhörlichen Notenstrom eine große Rede, in der es um Behauptung, vielleicht auch Befreiung ging. So blieb die Cellostimme auch im langsamen Satz groß und erhaben, wirklich intime Elementen fand Vogler eigentlich erst im letzten Satz, in welchem auch von der Komposition her mehr Licht durchschimmert. Diese Interpretation lief sicher konträr zu bekannten romantischen Sichtweisen, als intensiv-temperamentvolle Auseinandersetzung mit den Schumannschen Charakteren erschien sie in summa überraschend legitim.

Manfred Honeck, seit zwei Jahren Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra, konnte bereits in der Begleitung den silbrigen Glanz seines Ensembles hervorlocken und spielte dann in der Mahler-Sinfonie die Stärken des Klangkörpers voll aus. Die Aufführung geriet für Honeck zum Triumph, laut jubelte das Festspielpublikum und erklatschte sich drei Zugaben: neben dem unvermeidlichen ungarischem Tanz und einer echten Wiener "Libelle" fehlte auch nicht der augenzwinkernde Walzergruß an den Hauskomponisten der Semperoper. Mahlers sinfonischer Erstling jedoch ist lediglich im finalen Satz ein phonstarker Garant für Applausstürme - das Stück birgt einige Schatztruhen in sich, die Honeck eine nach der anderen liebevoll öffnete und mit präzisen Impulsen zum Klingen brachte.

Fantastisch sitzende Harmonik im Blech war ebenso zu bewundern wie eine in allen Sätzen fast lasziv ausmodellierte Piano-Melodik in den Streichern. Auf der Stuhlkante sitzen ohnehin alle Musiker; Freude und Hochspannung sind da in den Gesichtern abzulesen, just als würde man das Stück gerade aus der Taufe heben. Satter Zugriff im Scherzo und fahl schimmernde Nachtmusik im langsamen Satz - diese Kontrastpaare kumulierten im letzten Satz an der spannungsgeladenen Nahtstelle aller Motive der Sinfonie. Manfred Honeck krönte die Europa-Tour seines Orchesters mit einem umjubelten Gastspiel in Dresden und ist mit dieser hinreißenden Interpretation ohne Zweifel in der Reihe der ganz großen Mahler-Dirigenten angekommen.

Kurzweilige Moderne - Enno Poppe, Liza Lim und George Crumb im KlangNetz-Konzert

Beim an der Musikhochschule beheimateten KlangNetz Dresden konnte man am Mittwoch vor Pfingsten wieder einmal einem Konzert des Projektensembles lauschen. Der Fokus des Ensembles liegt auf den großen und dennoch wenig bekannten Meisterwerken, die für Kammerensemble im 20. und 21. Jahrhundert geschaffen worden sind - ein mittlerweile unüberschaubares Füllhorn zeitgenössischer Musik, aus dem manchmal einige Perlen auftauchen.

Die Kooperation mit der Philharmonie erfuhr im Projekt ebenso eine Fortsetzung wie der Vermittlungsgedanke, der sich in Einführung oder Interview wiederfindet. Die Wiederholung des Hauptwerkes am Ende des Konzertes führt indes zu einer veränderten Hörwahrnehmung und sollte eigentlich Pflicht für viele ähnliche Darbietungen werden. Doch der Normalfall eines Neue-Musik-Konzertes sieht zweieinhalb Stunden Überfall mit mindestens fünf Uraufführungen vor, kein Wunder, wenn da das Publikum gerne das Weite sucht. Man muss selbiges immer noch suchen, auch in der Hochschule für Musik fanden sich leider viele Reihen leer.

Wer anwesend war, konnte ansprechenden Interpretationen folgen: Enno Poppe dirigierte zweimal sein eigenes Werk "Öl 1" und verwahrte sich nicht gegen entstehende Assoziationsräume. Der Fluss der Töne und ihre Vielgestalt in der Beziehung zur Natur waren hier überzeugende Kompositionsmerkmale, die einen Spannungsbogen bis hin zum verschwindenden Schluss entstehen ließen. Anders die australische Komponistin Liza Lim (*1966), deren Programmheftnotizen von Spiritualität und Farbenschimmern wie auch der Werktitel "Songs found in a Dream" den Hörer völlig in die Irre führten. Was Poppe dort gerade noch im Interview als "expressive Qualität" herausfilterte, kam als höchst abstraktes, skulpturales Kunst-Werk daher - eine Annäherung im ersten hörenden Nachvollzug misslang. In beiden Werken mühten sich die Musiker keinesfalls an den außerordentlich tückischen Partituren ab, es herrschte im Gegenteil eine verstehende Leichtigkeit vor. Dabei wurde im Ensemble gut aufeinander gehört, fast erschien mir das "Öl 1" gar zu sensibel in der Klanggebung der Steigerung, dies verbesserte sich aber in der etwas griffigeren zweiten Aufführung.

In der Mitte stand einsam und allein die frühe Cellosonate des Amerikaners George Crumb. Genausogut hätte man Lachenmanns Schubert-Variationen kommentarlos dorthin setzen können - Frühwerke ohne Kontext entbehren nicht eines gewissen Amusements. So wagte sich diese Cellosonate kaum aus dem Schatten etwa von Bartók oder Britten heraus. Ihre Berechtigung hatte sie aber dennoch: zum einen weiß man nun, wie Crumbs spätere spannungsgeladenen Klangfarbenexperimente ihren Anfang nahmen. Und zum anderen freute man sich über eine vollkommen souveräne, spielerische Interpretation von Matthias Bräutigam.

Montag, 17. Mai 2010

Himmel und Hölle

Sinfonie von Allan Pettersson im 7. Sinfoniekonzert der Mittelsächsischen Philharmonie

Das Außergewöhnliche scheint am Freiberger Theater mittlerweile nicht nur zur lustvollen Pflicht, sondern gar zur Kür zu geraten. Neben dem ganz normalen Betrieb vom Kindertheater über Schauspiel und Repertoireoper entdecken die Theatermacher vergessene Opern (Franco Alfano) oder widmen sich zeitgenössischer Kammerkunst (Benjamin Schweitzer). Die Sinfoniekonzerte der Mittelsächsischen Philharmonie stehen diesem Willen zur Vielfalt in nichts nach.

Just ist ein Konzert mit beiden Klavierkonzerten von Maurice Ravel passé, da widmet sich das Orchester im 7. Sinfoniekonzert einem Komponisten, der sehr zu Unrecht im Schatten der Musik des 20. Jahrhunderts steht: Allan Pettersson (1911-1980) ist selten in den Konzertsälen zu hören, doch immer wieder trifft man begeisterte Zuhörer, die dessen Sinfonik als beispiellos und tief emotional beschreiben. Grund genug für GMD Jan Michael Horstmann, die 7. Sinfonie des Schweden zu präsentieren, ein Werk, mit dem der Komponist 1968 einen internationalen Durchbruch errang - neun weitere vollendete Sinfonien folgten diesem. Innerhalb von Sachsen dürfte die Darbietung der 7. allerdings eine Erstaufführung gewesen sein.

In der gut gefüllten Nikolaikirche in Freiberg kamen die flächig-ostinaten Blöcke der Sinfonie akustisch gut zur Geltung und dem Orchester ist hoher Respekt zu zollen. Die Sinfonie taumelt eine Dreiviertelstunde zwischen Hölle und Himmel und verlangt den Musikern großes Können ab. Immer wieder sucht Pettersson die Extremlagen, breitet vor dem Zuhörer eine zuweilen hoffnungslose Weltsicht mit hemmungslosem Wirbel des Schlagwerks aus, um dann in fast tonalen Abschnitten "den Gesang wiederzufinden, den die Seele einst verloren hat". Schön, dass Horstmann neben einer Einführung auch direkt vor der Aufführung der Sinfonie einen berühmten Brief von Pettersson zitierte, der klarmachte: Weghören gilt hier nicht. Und das Freiberger Publikum hörte staunend und konzentriert diesem sinfonischen Monolog zu; am tröstlichen Ende verharrte es in der Stille, bevor der Philharmonie großer Beifall für diese Entdeckung gezollt wurde.

Die Koppelung mit Jean Sibelius Violinkonzert d-Moll erschien sinnfällig, denn hier strahlt nicht nur ein ähnlich ernsthaft-melancholischer Geist, es gibt auch einige Ähnlichkeiten in der Kompositionsweise von Verläufen und Abbrüchen. Die aus München stammende Geigerin Rebekka Hartmann spielte ihren Solopart mit sinnlicher Tiefe und beherztem Zugriff, immer aber technisch souverän. Ihr charaktervolles Spiel offenbarte einen Zugang zum Stück, der das Ausmusizieren der Linien zuließ und sich melodischen Details sorgfältig widmete. Das erfreute auch die Zuhörer, die Hartmann nicht ohne zwei Zugaben (Kreisler und Bach) entließen. Mit ebensolcher musikalischer Sorgfalt stellte Horstmann die bekannte Peer-Gynt-Suite von Edvard Grieg an den Beginn des Konzertes und zeigte hier exemplarisch die Fähigkeiten seines engagierten, gut ausgehörten und aufmerksamen Ensembles.

Sonntag, 16. Mai 2010

Vorwärts und rückwärts: Tempora mutantur

Haydn, Morawitz und Gushchyan im Konzert von Sinfonietta Dresden

Beim dritten Konzert der neuen Reihe "Spiegelungen" der Sinfonietta Dresden widmeten sich Musiker, Komponisten und Rezitatorin diesmal dem Thema Zeit. Zeit-Kunst als Gestaltungsmittel der Musik ist mal mehr, mal weniger im Vordergrund des Focus der Komponisten. Aber schon der Einsatz einer Generalpause, einer Fermate, eines offensichtlich "zu langen" Tones läßt uns in der Musik aufhorchen und wir beschäftigen uns mit der (komponierten) Zeit. Literatur und Malerei sind indes in der Lage, sich ihr betrachtend und reflektierend zu nähern, wenngleich auch Phänomene wie Erinnerung, Zerfall oder Vorausschau mit der Zeit spielen und sie zum Gegenstand erheben. Joseph Haydn hat wenig Probleme, auf die Zeit aufmerksam zu machen: es genügen einige Stillstände und Pausen, um ein ganzes sinfonisches Gefüge aus der Bahn zu werfen, ob ironisch-absichtsvoll oder ernsthaft-irritierend, bleibt offen. Ekkehard Klemm und die Sinfonietta arbeiteten mit Unterstützung von Helga Werners Rezitation von Christian Morgenstern (der sich übrigens kongenial mit Haydn verbindet) die Besonderheiten der 64. Sinfonie "Tempora mutantur" heraus. In der Klangkultur des Ensembles ist in der Genauigkeit der Phrasierungen und der Grundintonation Potenzial vorhanden, dies betraf diesmal sowohl die klassische wie die neue Musik und dürfte zeitlichen wie besetzungstechnischen Gründen geschuldet sein. Die Platzierung der Sinfonie ziemlich genau in der Mitte des Programms erzeugte eine weitere "Korfsche Uhr", vorwärts und rückwärts weisend. Den Rahmen bildete Neue Musik, und auch die Textauswahl war hier mit Dzevad Karahasan und Ingeborg Bachmann avancierter und sorgte für eine eigene Ebene von Denkanstößen. Überhaupt war die Auswahl derart inspirierend, dass eine genaue Quellenangabe im Programm künftig zum Wiederauffinden und Weiterlesen empfohlen sei. Zu Beginn erklang eine Uraufführung des Dresdner Komponisten Alexander Morawitz. "Arktisches Licht" hebelt auf seine Weise die Zeit aus, denn in nordischen Gefilden scheint sie oft stillzustehen, gigantische Standbilder rufen fast automatisch Klänge hervor. Ob sich diese eigenen Vorstellungen mit den Fantasien von Morawitz decken, war die spannende Frage beim Zuhören. Dies hätte aber auch nur funktioniert, wenn Morawitz eine illustrative sinfonische Dichtung geschrieben hätte. Einige Male, etwa im unisono-Abschnitt oder in besonders flächigen, irisierenden Passagen, näherte er sich diesem Genre gefährlich, aber das Stück bezog seine Stärke durch die ungezwungene Neugier auf subtile Klanglichkeit und natürlich auch durch das recht offenbare "Vergessen" der Zeit. In der Wirkung des Werkes trat eine Problematik durch eine klangliche Unschärfe auf, bei der nicht immer klar war, ob sie absichtsvoll durch den Komponisten geformt war. Ganz anders verlief die Begegnung mit dem Armenier Arman Gushchyan (*1981). Dessen Kammersinfonie "Erlangung" spart nicht mit gewaltig aufgetürmten Klangmassen und fasziniert im ersten Teil durch spannungsgeladene solistische Passagen. Der Komponist exerziert einen Übergang zwischen verschiedenen Stilistiken und landet schließlich - zu Hause, denn gerade die armenische Musik ist stark traditionell bezogen. Diese melodisch-melancholischen Elemente waren dann auch sehr stimmungsvoll eingesetzt, wurden allerdings zum Schluss hin zu sehr in finaler Bombastik vereinnahmt. Ekkehard Klemm und das Ensemble zeigten erneut großen Einsatz für ein dramaturgisch hervorragend ausgearbeitetes Programm. Die Überschneidung mit dem gleichzeitig im selben Haus stattfindenden Konzert von "Lied in Dresden" demonstrierte einen eng gestrickten Terminkalender der Dresdner Musikkultur, der an manchen Stellen besserer und langfristigerer Absprachen bedarf.

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