Rezensionen
Mal zur Abwechslung eine Doku-Kurz-Rezension. Der im Zusammenhang mit diesem Film bereits gelesene Vergleich mit Michael Moore hinkt arg, denn Walter Boote ist nicht nur Österreicher, er hat auch einen erfrischend anderen Themenzugang und filmische Realisation.
Plastic Planet ist eine Expedition in die Welt der Kunststoffe, die dem Kinogänger zunächst einmal eindrucksvoll die heutige Plastikwelt, in der wir Leben, recht erschütternd vors Auge führt: da räumen x-beliebige Familien ihr ganzes Plastikinterieur aus dem Haus in den Vorgarten, und die Erkenntnis, dass sich in der Sahara mindestens ebensoviel Plastikmüll wie in den Ozeanen befindet, erschreckt ebenso wie die Kaltschnäuzigkeit der Chinesen, die auf geldstarke Kunden hoffend, den Doku-Regisseur ahnungslos durch eine Kunststofffabrik-Hölle führen. Die bittere Erkenntnis nach dem Film: Vegetarier werden mag noch realisierbar sein, aber gegen die ca. 200jährigen Verwesungsprozesse des Plastikmülls, der auf dem ganzen Erdball verteilt ist, sind wir reichlich machtlos. Und das Beste: keiner weiß, was wirklich drin ist. Und bist die Schädigung eines bestimmten Inhaltsstoffes im Gummikrokodil zu 100% erforscht ist, haben wir alle schon das Zeitliche gesegnet. Unbedingt ansehen, auch die
umfangreiche Homepage mit viel Aufklärungsmaterial, auch für Schulen.

(c) Thomas Kirschner
weitere Rezensionen:
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ZEIT
* Interview mit Boote in der
Süddeutschen
6. Zykluskonzert der Dresdner Philharmonie
Eingängig und unterhaltsam, so könnte das Resümee des 6. Zykluskonzertes der Dresdner Philharmonie ausfallen. Für Liebhaber abgründig ernster Orchestermusik oder dramatischer Heldenepen bot das Programm diesmal kein einziges Werk feil, wenngleich man Antonín Dvořáks Versuche, brahmssche Melancholie und Erdenschwere in seine 7. Sinfonie d-Moll einzuverleiben, als ernsthaft begreifen muss - auch ein Sinfoniker am Ende des 19. Jahrhunderts maß sich mit seinen Kollegen und hatte den Erfolg des Publikums im Blick. Darum scherte sich Hector Berlioz herzlich wenig, der sich ohnehin als Genie begriff und zeitlebens die ganze Achterbahn zwischen Missgunst und Sensationserfolg auf und ab fuhr. Zwar sind selbst seine kürzesten Ouvertüren wahre Kleinode der musikalischen Erfindung, doch die althergebrachte Sitte der Programmfolge "Ouvertüre-Konzert-Sinfonie" in Verbindung mit einer recht leidenschaftslosen Interpretation des "Römischen Karneval" von Berlioz läßt Zweifel aufkommen, ob an solchen Einspielriten wirklich festgehalten werden muss. Der amerikanische Gastdirigent Leonard Slatkin zeigte freundlich Verlauf und Akzentuierung des Werkes an, aber bis auf das schöne Englisch-Horn-Solo blieb wenig im Gedächtnis. Das berühmte Sahnehäubchen fehlte auch der Interpretation des Konzertwerkes. Der Dresdner Komponist Rainer Lischka schrieb für das wohl berühmteste klassische Saxophonquartett der Welt, das "Raschèr Saxophone Quartet" ein neues Werk, schlicht "Konzert" benannt. Nach der Uraufführung in Kiel 2007 kam nun das Dresdner Publikum in den Genuss des dreisätzigen Stückes. Wer Lischka kennt, durfte vielleicht ein Feuerwerk erwarten, doch genau mit dieser Intention geriet man in eine Sackgasse. Im langsamen Eingangssatz suchte Lischka stattdessen eine spannende flächige Verschmelzung der Saxophone mit dem Orchester, der mittlere Satz hatte einige rhythmische Höhepunkte, die aber meist schnell wieder entspannten. Freundlichkeit überzog das ganze Konzert und wer sich hier sanft unterhalten lassen wollte, hatte die richtige Veranstaltung gewählt. Ausgereizt hat Lischka die virtuosen Fähigkeiten der Raschèrs sicher nicht, doch wirkte gerade die Subtilität der Farbpalette in Lischkas Konzert als Bereicherung, denn im Bereich des Melos gab es viel zu entdecken. Recht brav begleitete hingegen das Orchester, da wäre mehr Leidenschaft in einem keineswegs schweren Stück wünschenswert gewesen. Auch der Dvořák-Sinfonie nach der Pause fehlte ein Quentchen Tiefgang und Spielfreude. Leonard Slatkin musizierte mit dem Orchester ordentlich und zumeist klangschön, das Finale kennt man aber im Tempo auch in feurigeren Interpretationen. Licht und Dunkel standen sich hier gegenüber: der slawische Duktus wollte sich nicht recht entfalten, die Anklänge an Brahms hatten hingegen zu wenig innere Spannung. Aus dieser Sinfonie hätte sich mit etwas Genauigkeit und Auf-den-Punkt-Spielen viel mehr herausholen lassen können. So blieb bei diesem Konzert ein eher matter Eindruck bestehen.
Was für eine Überraschung, dieser Film.
Der Uni-Professor Walter Vale, der das wohl langweiligste aller Leben führt, fährt zu einem Vortrag nach New York und trifft in seiner Stadtwohnung ein Einwandererpärchen an. Nach anfänglicher Reserviertheit taut er langsam auf, läßt die beiden weiter bei sich wohnen und freundet sich sogar mit dem jungen Tarek an, der ihm das Djembe-Spielen beibringt. Als Tarek in der U-Bahn-Station verhaftet wird, kippt der Film von der anfänglichen Weltmusik-Komödie in ein Drama. Schlagartig verändert sich Walters Leben und die Prioritäten verschieben sich. Die seit 20 Jahren immer gleichen Uni-Vorlesungen werden wertlos, als Walter anfängt, für seinen Freund in der Abschiebehaft zu kämpfen. Grandios spielt
Richard Jenkins, der dafür zu Recht für den Oscar nominiert wurde. Dem Regisseur Thomas McCarthy (
"Station Agent") gelingen famose Milieubilder in New York und ein subtiler Einblick in die Macht eines Staates und die Ohnmacht der Betroffenen, deren Kampf an der Plexiglasscheibe des Abschiebegefängnisses endet: "Bitte treten Sie von der Scheibe zurück.
Rezensionen:
Filmstart.de /
Hamburger Abendblatt
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Möchten Sie in diesem Jahr einmal einen Klavierabend hören, bei dem keinesfalls der Jubilar Frédéric Chopin auf dem Programm steht? Schwierig, aber nicht unmöglich - einen solchen haben Sie offenbar beim Lesen dieser Zeilen gerade verpasst. Dabei wehte der Hauch des romantischen Klavierkomponisten durchaus durch den Raum des Geschehens - schließlich fanden sich der Interpret Winfried Apel und das Publikum in der Villa Teresa von Eugen d'Albert in Coswig zusammen, um vor allem der Musik des 19. Jahrhunderts zu huldigen.
Viele Besucher schätzen die Atmosphäre der Villa vor allem, weil der bürgerliche Salon hier mehr als gegenwärtig ist. Väterchen Liszt grüßt von der Wand hinter dem Flügel, aber auch auf seine Werke wurde verzichtet. Stattdessen wartete Pianist Winfried Apel am Freitagabend mit einem abwechslungsreichen Programm auf, als Hauptwerk des zweiten Teils erklangen die "Symphonischen Etüden" von Robert Schumann.
Wollte man für den ersten Teil einen einenden Begriff finden, so wäre "Farbe" angebracht. So unterschiedlich die Kompositionen auch sein mochten - Apel hatte keinerlei Mühe, spezifische Farben der Stücke zum Leuchten zu bringen. Während Brahms' Erdungen in den Capricci aus Opus 76 dem Thürmer-Flügel eher schwierig zu entlocken sind, kam die leicht dunkle Färbung der 6. Skrjabin-Sonate sehr entgegen. Immer wieder sank Apel in die anrollenden Wellen dieser Musik hinein und formte aus der Einsätzigkeit einen Gedankenstrom, der vom Komponisten nur an wenigen Stellen zu offen loderndem pianistischem Feuer entfacht wird.
Sorgfältig ausmodelliert gelangen dann vier Stücke aus den "Préludes" von Claude Debussy. Apels Interpretation überzeugte durch gut angelegte Kontrastierung sowohl der rhythmischen als auch der dynamischen Ebenen. In "La puerta del vino" und in "Feux d'artifice" wurden die kleinen Geschichten und Inspirationen, die Debussys Stücken zugrundeliegen, äußerst plastisch erzählt.
Nach der Pause widmete sich Winfried Apel den "Symphonischen Etüden" von Robert Schumann. Hierbei wirkte der erste Konzertteil nach, denn auch hier sind kleine Gemälde und Charakterstücke versteckt, die alle einer eigenen Zeichnung bedürfen. Den raschen Wechsel der Temperamente vollzog Apel in natürlicher Weise und rang dem jungen Schumann sogar einiges an klassischer, fast beethovenesker Strenge ab. Besonders in den kantablen Variationen des Themas erlaubte sich Apel die Überschwänglichkeit des Melodischen, die Leidenschaft, die auch Freiheiten am Klavier ermöglicht. Dieses Atmen in der Musik nahm er mit bis ins hämmernd-optimistische Finale dieser noch kaum zweifelnden Komposition. Für diesen pianistisch sehr anspruchsvollen Abend dankten Winfried Apel die Zuhörer mit großem Applaus, Apel seinerseits bedankte sich meisterlich mit einer sanft perlenden Debussy-Etüde.
Daniel Barenboim begeisterte in der Semperoper
Voll waren die Ränge in der Semperoper zu einem besonderen Konzert am Donnerstagabend: Daniel Barenboim gastierte in der Elbestadt und gab einen Klavierabend anläßlich des 200. Geburtstages von Frédéric Chopin.
Den erst kürzlich mit dem Deutschen Kulturpreis ausgezeichneten, vielfach honorierten Musiker und Musikbotschafter Barenboim vorzustellen, hieße einen ganzen Eulenzoo nach Athen tragen. Dennoch sei an dieser Stelle herausgehoben, dass es nicht viele Musiker gibt, die sowohl als Solist als auch als Dirigent gleichermaßen seriös arbeiten und denen in beiden Metiers eine Weltkarriere beschieden ist. Und doch hat man das Gefühl, der Musiker Barenboim findet besondere Ruhe und eine Art musikalisches Heimkehren am Flügel, ist doch das Instrument unter seinen Fingern direkter Träger des Ausdrucks und der Interpretation. Äußerlich nimmt man dies kaum wahr, Barenboim wirkt stets überlegt und über den Werken stehend, nur selten einmal sinkt er auch körperlich tief in eine Phrasierung hinein. Diese Seriösität überwiegt im ganzen Konzert und sie läßt uns auch das Geburtstagskind und seine Musik ernstnehmen, was wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist. Schon zu Beginn des Jubiläumsjahres überschüttet uns die Phonoindustrie mit dem Besten und Schönsten des romantischen Klavierkomponisten - allzuoft ist da Zweifel angebracht, wo Chopin allenfalls im Schatten des Candlelightdinners aus dem Lautsprecher vor sich hinsäuselt. Barenboim tritt der Konsum- und Ohrwurmgefahr, den letztlich der Komponist selbst mit einigen höchst eingängigen Werken heraufbeschwört, mit einem klug durchdachten Programm entgegen. Angesichts des Facettenreichtums des Chopinschen OEuvres vermisste man keine Kontrastwirkung, denn diese war bereits durch die Abfolge gegeben: Bereits dem Variationswerk "à la mode" über eine Melodie aus der Oper "Ludovic" von Hérold und Halévy konnte Barenboim klare Kontur geben. Im folgenden Des-Dur-Nocturne findet der Pianist eine Natürlichkeit, eine Ebene, auf der die Musik wie von selbst dahingleitet. Immer markant ist die Melodiegebung der rechten Hand; in der 3. Sonate h-Moll gelingt ihm ein auf Kissen gebettetes Scherzo und eine jederzeit gefasste, geerdete Themenführung im Largo. Die virtuosen Ecksätze der Sonate haben Ecken und Kanten und Barenboim scheute sich nicht vor manchmal etwas roh wirkendem Kraftausdruck. Nach der Pause sprach Barenboim das ohnehin bei diesem Konzert reichlich interagierende Publikum persönlich an und verbat sich die Hobbyfotografie aus dem Parkett - die Hustenlandschaft diesseits und jenseits der Bühne allerdings bildete ein eigenes Continuum. Das minderte aber auch nicht den guten Eindruck des zweiten Konzertteils, lediglich die 1. Ballade g-Moll wirkte in den dramatischen Teilen nicht voll kontrolliert. Zwei volkstümliche Mazurken umrahmten dann die wunderbar ausgeformte melancholische Mazurka a-Moll. In den folgenden drei Etüden ließ die dynamische Ausgeglichenheit etwas nach, obwohl Barenboim immer wieder zurück zu Besonnenheit und natürlichem Fluß fand. Perlende Läufe und vor allem harmonische Transparenz zeichnen sein Spiel aus. Zwischen den Kontrastpolen vehement virtuosem Vorwärtsganges und inniger Melodiegestaltung pendelte auch das Scherzo, Opus 39 - überzeugend. Dem restlos begeisterten Applaus des Auditoriums folgte die fällige Sahnetorte für Chopin: ganze fünf Zugaben gab Barenboim, der nun mit dem Publikum spielte und auf dieser Torte nun doch die Wunderkerzen des "Best of Chopin" abbrannte. Jedoch war in solch hochrangiger Qualität die Würdigung eines Komponisten gelungen, den man hoffentlich künftig nicht mehr nebenbei hören wird. Dies lehrte uns Barenboim vortrefflich.
3. Aufführungsabend der Staatskapelle Dresden
"Am Aschermittwoch ist alles vorbei", so lautet das bekannte Karnevalslied. Mit Beginn der Passionszeit dürften auch in die Konzertsäle wieder ernstere Klänge einziehen. An diesem speziellen Übergangstag entschied sich die Staatskapelle Dresden, noch einmal Frohsinn zu verbreiten. Dies allerdings nicht mit Büttenkalauern, sondern statusgerecht mit allerfeinst dargebotenen musikalischen Werken. Trotz der Absage des amtierenden GMD Fabio Luisi war von Katerstimmung keine Spur, denn die Staatskapelle hatte für den 3. Aufführungsabend hervorragenden Ersatz finden können und dies ganz im Sinne dieser Konzertserie, in denen jungen Talenten ein Podium geboten wird - nicht selten starteten Debütanten aus dem Semperbau heraus eine große Karriere. Der aus Andalusien stammende Dirigent Pablo Heras-Casado (geb. 1977) hatte nicht nur das ursprüngliche Konzertprogramm ohne Änderungen übernommen, er dirigierte die beiden sinfonischen Werke des Abends auch auswendig und gelangte dabei zu einem sehr intensiven Kontakt zum Orchester - ein abwechslungsreicher, lebendiger Konzertabend entfaltete sich. Auch die Dramaturgie des Konzertes stimmte: Haydn und Mozart bildeten den Rahmen für die Kammermusik Nr. 3 für Cello und 10 Instrumente von Paul Hindemith. Gerade der Ideenreichtum dieses nicht als solches bezeichneten Cellokonzertes verband sich in idealer Weise mit den Werken der Wiener Klassik. Heras-Casado hatte keinerlei Mühe, den Spielwitz herauszukitzeln, ein rasanter Eingangssatz in der Haydn-Sinfonie rief alle Musiker auf die Stuhlkante. In diesem Kleinod der sinfonischen Literatur war es schon auffällig, dass Heras-Casado keinesfalls auf rohes Galoppieren setzte: jede Kadenzierung war samtweich abgeschlossen, die Dynamik einfühlsam ausgehört. Wer den stets fein ausgestalteten Cello-Ton des Kapell-Solocellisten Isang Enders nicht bereits aus vielen Konzerten und Opernaufführungen herausgehört hat, durfte diesen nun in einem kompletten konzertanten Werk erleben. Enders Entscheidung für Hindemiths "kleines" Cellokonzert dankten ihm die 10 Kapellisten um ihn herum mit vitalem Zugriff etwa in dem wie einen musikalischen Bienenstock auskomponierten 2. Satz. Die durchweg von großer Spannung getragene Interpretation, bei der Enders die klanglichen Möglichkeiten des Instrumentes voll ausreizte, läßt die leise Frage aufkommen, was dieser herausragende Solist noch in einem Orchester macht. Aber vermutlich sind gerade die Entfaltungsmöglichkeiten der Staatskapelle für einen jungen Musiker ohnehin nicht zu überbieten, insofern hoffen wir einfach, dass ein Cellist von diesem Rang uns noch lange erhalten bleibt. Musikalische Überraschungen gab es dann auch nach der Pause: Was Pablo Heras-Casado an Differenzierung und Verve aus Mozarts "Prager Sinfonie" D-Dur herausholte, machte baff. Auch hier überwog das kammermusikalische Miteinander, der langsame Satz zerschmolz sanft, ohne in den Kitsch hinüberzukippen. Im Finale wurde an einem gemeinsamen musikalischen Strang gezogen - überzeugend. Pablo Heras-Casado wurde für sein erstaunliches Debütkonzert mit begeistertem Applaus geehrt - wir freuen uns auf ein Wiederhören mit dem sympathischen Spanier.
Dvořák-Requiem erklang zum Dresdner Gedenktag in der Philharmonie
Zum 13. Februar gibt es in Dresden traditionell viele Möglichkeiten des Gedenkens. Im Gottesdienst, in der Stille ist dies möglich und Rituale helfen gegen das Vergessen, lassen die Geschichte noch einmal lebendig werden und uns, die wir zum Teil schon der nächsten oder übernächsten Generation angehören, den Wert erkennen. Dabei kommt der Musik eine unabdingbar wichtige Brückenrolle zu, schafft sie es doch, Unaussprechliches über Zeiten und Befindlichkeiten hinweg zu transportieren. So wissen wir heute auch das "Requiem" von Antonín Dvořák als für den Konzertsaal entstandenes oratorisches Werk der Spätromantik einzuordnen. Eine innere Lebendigkeit erhält es aber erst durch eine ansprechende Aufführung zu einem passenden Anlass. Dieser war am Sonnabend gegeben; die Dresdner Philharmonie wählte das konzertfüllende Werk zum Gedenktags-Konzert aus. Der tschechische Gastdirigent Jiří Kout war nicht nur Garant für eine authentisch zu nennende Interpretation der Musik seines Landsmannes, Kouts biographische Stationen zwischen Tschechien, Berlin, Düsseldorf, Leipzig und der Schweiz stehen eben auch für den Brückengedanken der Musik, der keine Grenzen kennt. Eine weitere Beziehung zum 13. Februar erhält das Dvořák-Requiem durch den Uraufführungsort Birmingham, war doch das nahe Coventry 70 Jahre später Widmungsort des "War Requiem" von Benjamin Britten. Die philharmonische Aufführung des Dvořák-Requiems war von einem tiefen Ernst und hohem Anspruch getragen. Da der Anlass der Aufführung eine Beifallsbekundung verbot, sei hier zumindest das uneingeschränkte Lob für die Aufführenden nachgetragen. Vor allem der Philharmonische Chor Brno (Einstudierung Petr Fiala) überzeugte mit einer insgesamt nur famos zu nennenden Leistung. Kleinste Einwürfe des Kyrie oder Luceat Eis erschienen wie Nadelstiche, homophone Sätze waren auf den Punkt musiziert. Der Chor offenbarte eine hohe, differenzierte Klangkultur, die in selbstverständlicher Homogenität nicht nur viele Nuancen aufwies, sondern gleichzeitig die Voraussetzung für kraftvolle Steigerungen war. Diese Chorleistung wurde von Jiří Kout vehement durch ein immer fließendes, federndes Dirigat unterstützt, die Fugen des "Quam Olim Abrahae" erhielten so Präsenz und Leichtigkeit. Der Introitus faszinierte bereits durch eine hervorragend angelegte Welt der leisen Töne, später faszinierte vor allem der niemals versiegende Grundpuls des ganzen Werkes, der natürlich entwickelt schien und von Kout durch die attacca-Übergänge zu einem unmissverständlichen Ganzen gefügt wurde - nicht das Grauen des Todes wurde in den Vordergrund gestellt, sondern die Betrachtung des Lebens in allen Nachdenklichkeiten, aber auch Freuden. Im Ausdruck erschien Dvořáks Werk daher nur selten gewaltig (dann aber mit unpassend dröhnendem Orgelpedal), die lyrischen Facetten überwogen und zeigten sich in vielen schön ausmusizierten kammermusikalischen Formationen des Orchesters. Luba Organosova, Alexandra Petersamer, Michael König und Rudolf Rosen bildeten ein Solistenquartett mit großen, souveränen Stimmen, allerdings war die Tempoaufnahme und Intonation nicht immer glücklich. Stille folgte der Aufführung und die innere, tröstende Nachwirkung dieser Requiem-Musik gelang in besonderer Weise durch diese exzeptionelle Ausführung aler Mitwirkenden.
Gewandhausmusiker gastieren bei der Kammermusik der Staatskapelle
Verbreitet ist die Ansicht (und auch die Bauernregeln beschreiben dieses Datum so), dass nach dem Lichtmess-Fest die Tage wieder länger werden, der Blick wendet sich dem aufziehenden Frühling entgegen. Am 2. Februar findet die Weihnachtszeit - wo sie nicht schon ohnehin beendet wurde - in manchen Regionen ihren endgültigen Abschluss. Betrachtet man musikalische Werke der Romantik, so finden sich dort etliche Tag- und Nachtmusiken. Mal schlägt das Pendel zugunsten der Helligkeit aus, oft aber treibt die romantische Sehnsucht in die nächtlichen Farben hinein. Das 4. Kammerkonzert in der Semperoper am Lichtmess-Tag bekam einen tagesaktuellen Subtext durch die Auswahl von Werken von Robert Schumann und Felix Mendelssohn - gerade dort sind die Kontrastwelten besonders ausgeprägt; die musikalische Farbpalette zwischen Nacht und Tag weist unzählige Nuancen auf. Tradition ist es in den Kammermusiken der Sächsischen Staatskapelle, dass ein Konzert von Musikern des Gewandhauses Leipzig gestaltet wird. Diesmal war das "Sächsische Klaviertrio" mit Veronika Starke (Violine), Hartmut Brauer (Cello) und Roland Fuhrmann (Klavier) zu Gast. Zu Beginn stand ein Trio von Joseph Haydn auf dem Programm, das lediglich als gefällige Einleitung diente. Leicht und flüssig musiziert konnte die Musik wohl unterhalten, neue Horizonte wurden da aber nicht eröffnet. Es standen ja auch noch zwei gewichtige Werke auf dem Programm, und man durfte gespannt sein, wie die direkte Gegenüberstellung der Moll-Welten in den Klaviertrios von Mendelssohn und Schumann wirken würde. Doch leider kam es zu diesen Eindrücken nicht, denn die Interpretationen beider Werke ließen zu sehr zu wünschen übrig. Bescheinigen muss man den drei Musikern eine Solidität auf der technischen Ebene. Fuhrmann hat 30 Jahre Ensembleerfahrung, Starke und Brauer sind ebenfalls schon lange dabei und durch die Orchestertätigkeit mit den Partituren insbesondere der Leipziger Hauskomponisten vertraut. Doch ist es mit dem bloßen Hinunterspielen der Noten nicht getan und dieser Eindruck stellte sich leider im Verlauf des Konzertes immer stärker ein. Mendelssohns Emotionswelten im c-Moll-Trio, Opus 66 bewegen sich noch stark innerhalb recht streng gewählter Formen, in typischer Manier drängt das Werk zum Finale mit Tastendonner und Bach-Anklängen. Schade, dass eine atmende Kommunikation der drei Musiker untereinander komplett fehlte und sich eine intensiv wirkende Interpretation nicht einstellte. Das Trio huldigte zumeist einem imaginären, eingeübten Metrum, das die meisten Sätze gleichförmig ablaufen ließ, abgesehen von einigen im Tempo voranstürzenden Stretta-Teilen in schnellen Sätzen, die aber ebenso starr ihren Zielpunkt fixierten. Veronika Starkes Geigenklang behauptete sich kaum einmal neben dem Klavier und reichliches Vibrato und Legatospiel mochte nicht überdecken, dass etliche Steigerungen ins Leere liefen, der Instrumentenklang selbst auf der G-Saite dünn und eng blieb. Dieser Eindruck setzte sich fort: in Robert Schumanns Klaviertrio d-Moll wurde man das Gefühl nicht los, dass in puncto Kraftaufwand und musikalischer Tiefe (wozu auch ein Nachgeben, ein Entdecken von Freiheiten in der Agogik gehört hätte) bei allen drei Musikern sehr viel mehr möglich gewesen wäre, wofür beispielgebend der attacca-Übergang in den finalen Schumann-Satz steht, dessen plötzlicher Temperamentswechsel kaum zum Zuhörer drang. Eine stets saubere Intonation und Souveränität in flinkesten Passagen waren natürlich zu beobachten, mehr allerdings hätte ich mich gefreut, wenn ich über eine spannende Lesart der präsentierten Werke hätte berichten dürfen.
Frank Peter Zimmermann im 8. Sinfoniekonzert der Staatskapelle
Auf vertrauten Pfaden wandelte das Programm des 8. Sinfoniekonzertes der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Für GMD Fabio Luisi sprang Christoph Eschenbach am Pult ein und statt Strauss' "Sinfonia Domestica" erklang Antonin Dvoraks 8. Sinfonie G-Dur, das Violinkonzert von Brahms blieb im Programm. Damit waren natürlich musikalische Leckerbissen der Romantik zu erwarten, doch der anspruchsvolle Hörer durfte auch die Frage nach dem Repertoirewert stellen, schließlich kolportieren die Klassik-Radios die Vier-Minuten-Häppchen aus beiden Werken ständig ins heimische Wohnzimmer. Was in der Semperoper gelingt, ist eine Momentaufnahme der Gegenwart: so klingt Brahms, so klingt Dvorak mit der Kapelle heute, und dieses Erlebnis ist wahrlich nichts für die Repertoireschublade, sondern Takt für Takt eine spannende Erfahrung. Schließlich stand mit Frank Peter Zimmermann auch einer der erfolgreichsten und vor allem innovativsten Geiger der jüngeren Generation als Solist auf der Bühne. Christoph Eschenbach wusste eine wunderbare Orchestereinleitung hinzulegen, bevor Zimmermann mit seinen ersten Tönen einen seltenen Gedanken hervorrief: "Das muss genau so klingen." - Wem dieser Satz angesichts eines Hörerlebnisses über die Lippen rutscht, und das ist wahrlich selten genug, der hat Besonderes erlebt. Zimmermanns selbstbewusster Beginn zieht ein ganzes Interpretationskonzept nach sich, das sich bis in die Kadenz und schließlich über die Sätze hinweg fortsetzt. Der 1. Satz war stark auf die Kontrastwirkung der Themen hin angelegt; viele Motivausprägungen haben bei Zimmermann den Charakter des Unbedingten, der unabänderlichen Aussage. Man könnte diese Haltung weit jenseits der Romantik ansiedeln, wäre da nicht der jederzeit voluminöse, rassige Klang seines Instrumentes. "Non troppo", das zurückgehaltene Tempo wird auch von Eschenbach ernstgenommen - es gibt Lesarten dieses Konzertes, die gefährlicher und dramatischer sind. Zimmermann ist vor allem ein Freund der klaren Worte und des natürlichen, volltönenden Klanges. So redet er, singt und brilliert auf seinem Instrument, lediglich im 1. Satz fallen zu viele Tonverschleifungen auf. Der 2. Satz gelingt Zimmermann äußerst zart, während er im Finale wieder kontrolliert zupackt. Im Orchester war in dieser Aufführung noch ein wenig das Sicherheitsnetz gespannt, so wirkte manches Zwischenspiel nicht mit vollem Risiko angegangen, das legte sich aber im 3. Satz dann mit Erreichen eines gemeinsamen Flusses mit dem Solisten. Antonin Dvoraks 8. Sinfonie wirkt lichter und freundlicher als die oft grüblerische 9. Sinfonie. Beide haben ihren Weg auf den Bühnen der Welt gemacht. Christoph Eschenbach motivierte das Orchester immer wieder zu üppigem, strahlendem Klang und legte so die Schönheiten des Werkes frei. Sehr gut waren die Musiker aufeinander abgestimmt und Eschenbach konnte sich der sofortigen Reaktion auf kleine Tempoveränderungen sicher sein. Die Interpretation war schlüssig aufgebaut - mit viel Sinn für kleine Details und Nebenstimmen schien diese Sinfonie ernstgenommen und man bestaunte ein zutiefst aus einer vollkommen melodischen, musikantischen Haltung heraus entstandenes Meisterwerk in einer überzeugenden Darstellung.
Herbert Schuch und Michael Sanderling gastieren bei der Dresdner Philharmonie
Er gilt (noch) als ein Geheimtipp unter den Pianisten. Und seine bisherigen Konzerte und Aufnahmen belegen eindrucksvoll, dass hier nicht ein junges Talent über den Klassikmarkt fegt, bis das Pulver verschossen ist, sondern hier reifen besondere Interpretationen. Herbert Schuch, bei Karl-Heinz Kämmerling und Alfred Brendel ausgebildet gastierte zum ersten Mal in Dresden und zeigte im 4. Philharmonischen Konzert eindrucksvoll, dass Beethovens 5. Klavierkonzert weder das Egomanen-Schmankerl für vergessene Solisten ist noch ein verstaubtes Repertoirestück, dem nichts mehr hinzuzufügen wäre.
Schuch benennt einiges, was dieses Wunderwerk Beethovenscher Komponierkunst auszeichnet: im 1. Satz ist es vor allem die gelassene Geläufigkeit, das beinahe nebensächliche Mitspielen in einem großformatig-sinfonischen Orchestersatz. Im Mittelsatz lehrt uns Schuch durch seinen hervorragenden Anschlag, welche Nichtigkeiten Beethoven zu einem Thema oder einer ostinaten Wendung erhebt und wie dies alles zu einem Netz versponnen wird. Und am Ende brilliert Schuch auch noch mit frischen, unprätentiösen Virtuosentugenden, denn was da im 3. Satz so perlt, sind frech im Tempo angezogene Läufe.
Dieser durchdachten Interpretation setzte Schuch noch mit einer einfühlsam musizierten Bagatelle aus Opus 126 das Sahnehäubchen auf: Beethoven, zeitlos schön. Gastdirigent Michael Sanderling wurde zum wiederholten Mal nach Dresden eingeladen und begleitete das Beethoven-Konzert mit den Philharmonikern aufmerksam und mit ebenso frischem Orchestersatz, lediglich in den Holzbläsern war ein Balance und Homogenität eher von schwankender Qualität, dagegen hatten die beiden Hornisten wohl einen "Heute-gelingt-mir-alles"-Tag und glänzten mit sattem Wohlklang.
Nach der Pause wurde zunächst ein philharmonischer Violinist in den Ruhestand verabschiedet. Dass aus den Tutti-Reihen oft die engagiertesten und spannendsten Impulse emporsteigen, dürfte Volker Karp in den vergangenen 36 Jahren (!) bei der Dresdner Philharmonie hinlänglich bewiesen haben. Er führte den Orchestervorstand durch schwierige Wendezeiten, pflegte die philharmonische Kammermusik und initiierte Ausstellungen zu den Geigern David Oistrach und Szymon Goldberg - letzterer war vier Jahre Konzertmeister der Philharmonie. Mit großem Applaus wurde Karp verabschiedet und dankte seinen Kollegen und dem Publikum.
Ein eindrucksvolles und geschichtsträchtiges Dokument der Sinfonik des 20. Jahrhunderts stand dann auf dem Programm: Dmitri Schostakowitschs 10. Sinfonie e-Moll. Über die Sinfonie, ihren Ausdrucksgehalt und ihre besondere Stellung (im Jahr von Stalins Tod komponiert) wurde viel geschrieben. Als Dirigent steht man vor der schwierigen Aufgabe, diese Grenzen erschütternden und überschreitenden Ausdruckswelten zu bewältigen. Michael Sanderling gibt selbst an, viel durch seinen Vater gelernt zu haben, der ein großer Kenner der Musik von Schostakowitsch ist.
Seine eigene Sichtweise stellte er nun im Konzert bei der Philharmonie vor und diese war kontrastreich und intensiv. Sanderling verhehlt nicht sein Temperament, dementsprechend hart und vorwärtsgetrieben ging es insbesondere in den Tutti-Flächen zu, was im 2. Satz zu einer brutalen Klangmasse führte, die aber dem Stück angemessen erscheint. Dennoch: im allgemeinen Wirbel und Sturm fehlte (besonders im Finale) dann punktuell die Präzision, die letztlich den "Stachel" des Werkes ausmacht. Den Eingangssatz legte Michael Sanderling sehr überzeugend als eine große musikalische Gedankenarbeit an, die immer mehr Farben und Facetten entfaltet. Nur der abschließende Höhepunkt hatte zuviel Verve mitbekommen und hätte im Festhalten des Tempos kräftiger gewirkt. Im 3. Satz waren ebenfalls einige Temposchwankungen zu beobachten, auch der Hornruf war nicht aus einer anderen Welt, sondern eher beiläufig ins Spiel gebracht. Die recht schnell musizierte Walzerepisode bekam fast einen orientalischen Touch.
Von solchen Besonderheiten abgesehen überzeugten die Philharmoniker unter Sanderling vor allem in den ruhigen Passagen mit empfundenen Soli (Flöten / Fagotte), die der Dirigent ohne Hast ausmusizieren ließ. Diesen Inseln wohnte Melancholie inne und wer die Musik kennt, weiß dass der Komponist am Ende auf seinen Initialen trommelt - der Akt des Freischreibens findet im Finale seinen Höhepunkt. Die spannungsgeladene Aufführung wurde mit großem Beifall bedacht.
Noch bis 31.3.2010: "Szymon Goldberg" Sammlung Volker Karp. Ausstellung im Carl-Maria-von-Weber-Museum Dresden-Hosterwitz.