Rezensionen

Dienstag, 11. September 2007

Stromerzeuger und Postkartenidylle

1. Sinfoniekonzert der Staatskapelle mit GMD Fabio Luisi

Ein frischer, neuer Wind weht durch den Semperbau, und nach dem 1. Sinfoniekonzert der Sächsischen Staatskapelle darf man mit Fug und Recht behaupten: dieser Wind weht von vorne. Denn der neue Generalmusikdirektor bot für sein erstes reguläres Konzert der neuen Saison für zwei Werke eine Riesenbesetzung auf, die trotz der großen Eigenstärke der Kapelle nur mit Aushilfen geleistet werden konnte. Allzuoft werden allerdings Werke mit 16 Schlagzeugern nicht aufgeführt und in diesem Fall war es sogar eine Dresdner Erstaufführung. Eine überfällige allzumal, denn "Arcana" von Edgar Varèse wurde bereits 1927 uraufgeführt. Für manchen im Publikum dürfte das Erlebnis dieses Werkes einer Schocktherapie gleichgekommen sein: wer Wohlklang und Entspannung erwartet hatte, wurde herb enttäuscht, aber zugleich auch in einen rhythmischen Sog gezogen, der eine ganz eigene Faszination entwickelte. Erstaunlich war die Leistung des Orchesters - die Musiker hatten ja gleich zwei verschiedene Konzertprogramme vorzubereiten und dieses Werk erfordert nicht nur höchste Konzentration, sondern auch absolut rhythmische Präzision und ein ständiges Anschwellen in extreme Klangballungen. Dennoch schaffte es Luisi mit übersichtlichem Dirigat, die einzelnen Schichten freizulegen, "Arcana" wirkte wie ein großer Stromerzeuger, dessen wenige leisen Abschnitte die nächsten Eruptionen bereits in der Spannung vorausnahmen. Wäre dieses Werk alleine mit Strauss' "Alpensinfonie" gekoppelt gewesen, hätte man Luisi gar philosophische Absichten unterstellen mögen: hier die zerklüftete, unbeschreibbare und quasi unmenschliche Mondlandschaft, dort das bayrische Postkartenidyll, dreizehn Jahre früher mitten in den 1. Weltkrieg hineinkomponiert. Doch in das Programm war gleichsam eine lyrische Insel eingewoben: Beethovens 4. Klavierkonzert mit der nach mehreren musikalischen Begegnungen nahezu in Dresden heimisch gewordenen Ausnahme-Pianistin Hélène Grimaud als Solistin. Gleich vorneweg: was sie an musikalischer Ausdruckskraft, Intellektualität und Sinnlichkeit in das Werk einfließen ließ, ist grandios. Im 1. Satz war ich zunächst irritiert, da Grimaud die disparate Anlage des Kopfsatzes durchaus auch eigensinnig interprierte, nämlich mit ungewohnt weicher und romantischer Emphase, die selbst das Hauptthema erfasste. Erst im Zusammenhang mit den anderen beiden Sätzen wurde völlig klar, dass Grimaud ein Gesamtkonzept zelebrierte, das den 1. Satz nunmehr als ein ausgeklügeltes Gedankenspiel, als Diskurs begriff, den 2. Satz als hundertprozentig emotionale Gegenwelt und den 3. Satz als vital-drängende Deutung von Lebensbejahung. Wenn eine Pianistin dem Zuhörer mittels variablem Anschlag, kluger Formgestaltung und vollauf atmender Phrasierung zu einem solchen tragenden und überzeugenden Gesamtergebnis fähig ist, nennt man das schlichtweg genial und ist dankbar dafür. Fabio Luisi folgte dieser Interpretation mit der Kapelle gut, mit enorm drängendem Ausdruck im 3. Satz und leichten Unsicherheiten in der Einleitung des Kopfsatzes, da war aber wohl noch die Varèse-Klangwolke zu präsent. Nach der Pause ging es in die Berge, und hier zeigte sich vor allem eine interessante Interpretation dieses vor allem in Dresden hinlänglich rezipierten Werkes: Luisi dürfte wohl eine der schnellsten Alpenübergänge geschafft haben, das deutete sich bereits beim flinken Sonnenaufgang an, setzte sich im gar nicht pathetischen Gipfelpanorama fort und auch der Schluss war kaum zu breit ausmusiziert. Eine Wertung dieser Darstellung scheint müßig, denn denkt man an gediegenere Aufführungen zurück, so erscheint einem das Werk so auch nicht gerade sinnfälliger, allerhöchstens zünftiger. So bleibt der Eindruck eines opulenten, virtuos instrumentierten Farbengemäldes, mit kaum ins Gewicht fallenden, dem Temperament geschuldeten Abstrichen in der Interpretation. Gerade Steigerungen und Tempoverschärfungen waren Luisis Stärke in den Aufführung, motivierend und mit auf den Punkt sitzenden Gesten formte er Attacken und breit strömenden Klang. Die Kapelle befand sich thematisch in diesem zweieinhalbstündigen Konzert wirklich auf einem "Klanggipfel" - man darf gespannt sein, wohin die Reise nun geht.

Leidenschaftlich

Antrittskonzert von GMD Fabio Luisi bei der Sächsischen Staatskapelle

Der Beginn einer neuen Ära ist unverkennbar: allein die Präsenz des neuen Generalmusikdirektors Fabio Luisi im Semperbau an seinen ersten Amtstagen macht das deutlich. Im Orchestergraben dirigierte er gleich zwei Salome-Aufführungen, es folgte ein Antrittskonzert und das 1. Sinfoniekonzert, und schon Mitte September geht das Orchester mit Luisi auf eine Europa-Tournee. Die ersten Konzertprogramme mit der Sächsischen Staatskapelle haben es auch programmatisch in sich und die Handschrift Luisis läßt gehörig aufhorchen. Nicht mit gängigem Repertoire begrüßte Fabio Luisi das vor allem prominente Publikum im Antrittskonzert am Sonntag, sondern gleich zu Beginn des Konzertes war eine Uraufführung platziert. Vom "Capell-Compositeur" Isabel Mundry werden in dieser Saison gleich mehrere neue Werke zu hören sein, ihr für die Sächsische Staatskapelle entstandenes Orchesterwerk "Balancen" war aber keinesfalls eine Eröffnungsmusik "mit Pauken und Trompeten". Das Gegenteil war der Fall, und es bedurfte bei Zuhörern wie Interpreten einiger Konzentration, um diese fein ausgehörte Musik zu erschließen. Die von Mundry in dem Stück eingearbeiteten Zeitschwankungen kamen durch die Aufteilung des Orchesters in drei Gruppen gut zum Tragen. Mundrys musikalische Sprache ist modern, aber durchaus facettenreich. Dass man aufgrund der räumlich wechselnden aber oft ähnlichen, repetitiven Klangereignisse sich nach einigen Minuten fadensuchend im Dickicht des Orchestersatzes verlor, gehört zur Absicht der Komposition und hat seinen Bezug in der literarischen Vorlage zum Werk. Poetischen Glanz verströmte der kurze Schlussabschnitt, der melodisches Vortasten ausprobierte - insgesamt ein sehr vorsichtig suchendes Werk, dessen Bezüge durch Fabio Luisis klar organisiertes Dirigat sehr deutlich wurden, das aber die Stärken und Möglichkeiten des Orchesters kaum ausreizte. Der zweite Programmpunkt im Konzert wäre ebenfalls poetisch zu nennen, dies aber auf einer ganz anderen klanglichen Ebene: der Musiksprache von Alban Berg. Dessen "Sieben frühe Lieder" schwanken zwischen Spätromantik und in vielen Details bereits antizipierter Moderne, ausgeklügelt ist die Instrumentation und der melodische Verlauf zwischen Singstimme und Orchester. Die Sopranistin Anja Harteros fand eine atemberaubend schöne Darstellung der Lieder zwischen träumerischem, fast distanziertem Duktus und herausbrechender Leidenschaft ("Die Nachtigall"). Ihr samtenes Timbre und die voluminöse und doch warm strahlende Höhe machten diese Interpretation zu einem Erlebnis, zumal Luisi mit der Kapelle die notwendige Flexibilität des Tempos kongenial mit der Solistin umsetzte - so erreichten die Musiker eine brüchige, märchenhafte Atmosphäre. Natürlich sind die Erwartungen an den neuen GMD hoch und viele Aufgaben und Ideen benötigen Zeit der Entwicklung. Doch die Aufführung der Tondichtung "Ein Heldenleben" von Richard Strauss zeigte bereits einen wunderbaren Stand der Zusammenarbeit zwischen Dirigent und Orchester, ist doch dieses Werk bereits im Mai auf CD eingespielt worden. Ein Markenzeichen des Dirigenten scheint der maßvolle Ausgleich zwischen impulsivem, leidenschaftlichen Musizieren und dem kontrollierten Ausformen des spezifischen Orchesterklanges zu sein. Kaum ein Werk scheint für diese Art des Zuganges besser geeignet als das von Richard Strauss. Opulent strahlend und klar gezeichnet stellte Luisi die Themenkomplexe vor, bevor er in der Durchführung den Kampf des Helden nahezu körperlich mitvollzog und sich das Orchester mit konsequenter, vorwärtstreibender Dynamik- und Tempoführung des Generalmusikdirektors von Höhepunkt zu Höhepunkt arbeitete. Innig und mit besonders deutlicher Charakterzeichnung trug das Violinsolo von Matthias Wollong zum schlüssigen Gesamtbild des Werkes bei. Die Entscheidung für den sanften Originalschluss, der ungedruckt in der Handschrift von Strauss vorliegt, aber kaum je musiziert wird, mag ebenfalls ein Zeichen sein, dass mit der Ära Luisi neue Klanghorizonte eröffnet werden, die Werke in neuem Licht erscheinen lassen und die Auseinandersetzung mit Altem wie Neuem fördern werden.

[Das Konzert wird heute bei MDR Figaro (Stream möglich) um 20 Uhr gesendet]

Sonntag, 9. September 2007

Balancen

Die Sächsische Staatskapelle installiert den "Capell-Compositeur"

Hoppla, möchte man ausrufen, die Staatskapelle traut sich was. Dabei war der Schritt, neue Musik selbstverständlich in die Konzertprogramme einzubeziehen in den letzten Jahrzehnten nicht immer mit Überzeugung vollzogen. Doch mit dem neuen Chefdirigenten Fabio Luisi hält nun der "Capell-Compositeur" Einzug in den Semperbau und damit die überfällige, intensive Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart. Was steckt
hinter diesem ehrenwerten Titel, den übrigens schon Johann Sebastian Bach bei der einstigen Hofkapelle innehatte? Ein namhafter Komponist der jüngeren Generation konzipiert für die laufende Saison ein oder mehrere Stücke exklusiv für das Orchester. Anders als bei in regulären Konzerten manchmal schamhaft versteckten Piècen steht aber in diesem Projekt der
Komponist im Mittelpunkt des Interesses. So werden bei der Staatskapelle auch gleich Nägel mit Köpfen gemacht - die für die erste Saison ausgewählte "Capell-Componistin" Isabel Mundry ist in gleich mehreren Konzerten vertreten, und ihr neuestes Werk "Balancen" für Orchester wird überdies im Antrittskonzert von Fabio Luisi uraufgeführt - als erstes Stück im Programm, als Auftakt zur neuen Saison. Neben Mundry geben sich in den ersten beiden Konzerten auch noch Alban Berg und Edgar Varèse im Kontrast zu Strauss und Beethoven die Klinke in die Hand: Tradition meets Gegenwart. Man mag dies gerne als Zeichen des Aufbruchs begreifen, spannend werden die Begegnungen mit der 1963 geborenen Isabel Mundry allemal. Die Komponistin studierte in Frankfurt und Berlin, lebte eine Zeitlang freischaffend und lehrt nunmehr als Professorin an der Musikhochschule in Zürich. Zahlreiche Preise, Einladungen (Lucerne Festival) und Aufführungen mit renommierten Klangkörpern wie den Berliner Philharmonikern oder dem Chicago Symphony Orchestra dokumentieren ihre künstlerische Biografie; ihre 2005 uraufgeführte Oper "Ein Atemzug - die Odyssee" (Deutsche Oper Berlin) wurde gar von der Fachzeitschrift "Opernwelt" zur "Uraufführung des Jahres" gewählt. Essentiell erscheint in ihrem OEuvre das präzise Erforschen von Formen, Situationen und der Interaktion musikalischer Ebenen vor allem in der Beschäftigung mit dem Thema "Zeit", dem Parameter, ohne den jegliche Musik undenkbar wäre, aber dessen Gestaltung zum spannendsten Thema des Komponierens geraten kann. Isabel Mundrys am Sonntag im Sonderkonzert erstmals erklingendes Werk "Balancen" war für sie aufgrund der besonderen Stellung zu Beginn der Saison eine besondere Herausforderung, es ist ein "Eröffnungsstück", und obwohl dieser Gedanke nicht im Vordergrund der Komposition stand, bestimmte es doch die Arbeit. "Balancen" beschreibt einen musikalischen Prozess, der von einer literarischen Vorlage, einem Text des Schweizer Autors Peter Weber, ausgelöst wurde - ein Mensch beobachtet an einem Ort eine Szenerie. Es sind verschiedene Arten von Bewegungen: Wellen, Vogelflüge, vorüberfahrende Autos. Aus diesen "Bildern" entstand bei Mundry ein Nachdenken über die Zeit und verschiedene rhythmische Strukturen und deren Wiederkehr. Die "Balancen" finden zwischen unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Abläufen und Wiederholungsmustern statt; in drei Gruppen aufgefächert, gestaltet das Orchester eine Art "schwankende
Zeit". Im Gespräch zeigt sich Isabel Mundry als anspruchsvolle
Künstlerin - Anspruch an sich selbst in dem Sinne, Gedanken präzise zu erfassen, auszukomponieren und sogar die Wirkung zu kontrollieren: "Möglicherweise verändere ich nach der Uraufführung noch etwas an einer bestimmten Stelle, ich muss es erst einmal hören". Diese Art der Selbstkontrolle, der Nachfrage an die eigene Musik ist nicht häufig in der zeitgenössischen Musik. Für den Hörer wünscht sie sich, dass dessen Wahrnehmung durch ihre Musik geschärft werde - "Es ist nicht mein Job, das Publikum zu bedienen", aber ihre Musik versteht sie auch nicht als Zumutung sondern als Bereicherung. Im günstigsten Fall erweitere gelungene Musik den Wahrnehmungshorizont. Die Bedürfnisse der Zuhörer,
auch die Kenntnisse und Befindlichkeiten sind sicher unterschiedlich, aber allein die Beantwortung der Frage, was die zeitgenössische Musik, Isabel Mundrys Musik erzählen kann, dürfte am Sonntag manchen Zuhörer auf eine unerwartet spannende Hörreise schicken. Isabel Mundry freut sich besonders, dass der "Capell-Compositeur" bei der Sächsischen Staatskapelle über einen längeren Zeitraum angelegt ist, somit sei die Möglichkeit für Zuhörer und Musiker gegeben, sich intensiv auch im Gespräch den Werken und ihrer Schöpferin auseinanderzusetzen. Der Arbeit
mit der Kapelle sieht sie entspannt entgegen: "In den Orchestern sind heutzutage viele Musiker der jüngeren Generation, die zeitgenössische Musik bereits im Studium genossen haben". "Im positiven Sinne konfliktfreudig" und mit einem guten Dirigenten als Vermittler, so schätzt sie die optimalen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit ein. GMD Fabio Luisi wird gleich drei Stücke von Mundry dirigieren: neben den "Balancen", die übrigens im 8. Sinfoniekonzert wiederholt werden, auch das Orchesterwerk "Nocturno" (12. Sinfoniekonzert) und das Klavierkonzert "Panorama ciego" (4. Aufführungsabend). Außergewöhnlich und mutig ist die Entscheidung der Kapelle, die "Balancen" im April nächsten Jahres auf einer Europatournee zu präsentieren. Zudem wird es im 5. Kammerabend ein Porträtkonzert von Isabel Mundry geben. Außerhalb der Semperoper ist die Komponistin in Dresden an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber präsent, dort ist im Januar 2008 eine Projektwoche geplant. Vor dem Konzert stellt sich Isabel Mundry am Sonntagnachmittag im Rundfoyer der Semperoper im Gespräch mit dem Dramaturgen Tobias Niederschlag vor.

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Sonntag, 9. September, 16 Uhr
Rundfoyer Semperoper
Der "Capell-Compositeur" 2007/2008 stellt sich vor: Die Komponistin Isabel Mundry / Karten zu 5 Euro an der Tageskasse und im Vorverkauf Schinkelwache.

Sonntag 9. September, 19 Uhr
Sonderkonzert zur Amtseinführung von Fabio Luisi
Isabel Mundry: "Balancen" für Orchester (2007) (UA)
außerdem Werke von Alban Berg und Richard Strauss
Sächsische Staatskapelle Dresden, Dirigent Fabio Luisi, Anja Harteros,
Sopran

Montag, 3. September 2007

Ein Gesicht des Orchesters definieren

Neuer Chefdirigent Jun Märkl beendet den MDR-Musiksommer in Dresden

Am ersten Amtstag des neuen Chefdirigenten Jun Märkl versammelten sich die Verantwortlichen der MDR-Klangkörper-Abteilung in Dresden zur Pressekonferenz. Das "Willkommen" für den 1959 in München geborenen, international erfahrenen Dirigenten fand nicht in Leipzig statt, da dieser in der Frauenkirche Dresden am Abend das Abschlusskonzert des MDR Musiksommers dirigierte. Als "Mann der Öffnung und der vielfältigen künstlerischen Bezüge" stellte Hörfunkdirektor Johann Michael Möller den neuen Chefdirigenten vor, der bereits in einigen Konzerten Erfahrungen mit dem MDR-Sinfonieorchester und auch mit der Landschaft der drei Länder, in denen es zu Hause ist, machen konnte. Märkl erkundet den Osten mit dem Wohnmobil und scheint in dieser Rolle prädestiniert nicht als unnahbarer Pultstar, sondern als kreativer Mensch mit Bezug zu Land und Leuten. Märkl selbst betonte, dass sein Vertrag zwar auf drei Jahre angelegt sei, er aber schon innerlich auf fünf Jahre hinaus plane und Ideen ausarbeite. Diese Zeit brauche es, um ein "Gesicht des Orchesters zu entwickeln und zu definieren". Märkl geht es um eine kontinuierliche Aufbauarbeit und bereits die erste Saison zeigt in der Dramaturgie, wohin die Reise geht. Den Spagat zwischen der wichtigen Pflege der Musiktradition der drei Bundesländer und der Neugier auf Neues will Märkl vor allem mit themenbezogenen Konzerten schaffen, wofür das Konzert in der Frauenkirche mit Vokalwerken im Bezug auf Krieg und Frieden gleich einen programmatisch überzeugendes Beispiel bildete. Zudem wurde das Konzert von Jun Märkl und Howard Arman geleitet, was die Verbundenheit ebenso wie die Individualität der Klangkörper ausdrückt. Märkl stellte sich den Journalisten als Maler vor: der Farbenreichtum der Orchesterpalette interessiere ihn besonders, so ist es verständlich, dass Märkl aus seiner zweiten Arbeitsstätte in Lyon vor allem frankophones Repertoire mitbringt, das aber beim Orchester spezielle Sensibilität im Spiel schärfe. Die bereits bestehende Städtepartnerschaft zwischen Leipzig und Lyon, bisher vor allem im wissenschaftlichen Bereich präsent, werde nun durch seine Person auch in der musikalischen Ebene gestärkt. Märkl lobte in seiner Antrittsrede außerdem die freundschaftliche Arbeitsatmosphäre zwischen ihm und dem Orchester und der Verwaltung sowie die gute Zusammenarbeit mit den Chören des MDR. Aufgaben stehen für den neuen Chef zur Genüge an, sei es die Profilierung der Klangkörper innerhalb der Sendeanstalt trotz der von Möller ausgesprochenen "Bestandsgarantie", sei es das leidenschaftliche Begegnen von Sparzwängen, die auch vor dem MDR nicht Halt machen. Am Beginn einer neuen Saison mit 74 Konzerten in verschiedenen thematischen Reihen in allen drei Bundesländern, dem 60jährigen Jubiläum des MDR-Kinderchors und einem treuen Abonnentenpublikum steht Aufbruchsstimmung. Jun Märkl bewies am Abend in der Frauenkirche mit einem höchst dynamischen und präzisen Dirigat, dass man hoffnungsvoll in die Zukunft schauen und vor allem hören darf. Lediglich das Publikum muss seine Ohren noch öffnen, denn der seltenen Gelegenheit, die anspruchsvollen Chorwerke von Arnold Schönberg zu hören, darunter sein letztes veröffentlichtes Werk, begegnete das Dresdner Auditorium mit eher gelangweilter Reaktion. Von der faszinierenden Klanglichkeit des jüdischen Gebetes "Kol Nidre" (mit einem intensiv deklamierenden Stephan Rehm in der Sprecherrolle des Rabbi) unbeeindruckt hörte man in der Pause Zuhörer sich über die Abwesenheit von Johann Sebastian Bach im Programm beklagen. Merkwürdig, dass die Wunschkonzertmentalität sich selbst dann nicht abschaltet, wenn man sich zu einem Konzertbesuch mit Schönberg-Werken entscheidet. Chordirektor Howard Arman leitete im Konzert die a-cappella-Werke aus Opus 50 und das berühmte "Friede auf Erden", letzteres war für meinen Geschmack ein wenig zu flüssig musiziert. Weltklasse war die Leistung seines homogen und differenziert auftrumpfenden Chores in den drei vokalen Spätwerken; im Psalm 130 konnte sich trotz irrwitziger Stimmführung ein wiegender, ruhiger Ausdruck entwickeln. Jun Märkl präsentierte nach der Pause in äußerst vitaler Musizierweise (das "Dona Nobis Pacem" war hier als einziger Satz etwas zu fix angelegt) die "Paukenmesse" von Joseph Haydn und legte Wert auf die Kontraste zwischen innigen langsamen und herausbrechenden schnellen Sätzen. Märkl konnte sich auf ein warm timbriertes, souverän agierendes Solistenquartett (Sybilla Rubens, Claudia Mahnke, Christoph Genz, Stephan Genz) und natürlich auf einen pointiert und den Kirchenraum stets mit großem Klang füllenden Chor verlassen. Über weite Teile war auch das Orchester sehr konzentriert bei der Sache, im Haydn mehr als in den Schönberg-Werken, wo Präzision und Intonation noch einige kleine Wünsche offen ließen.

Freitag, 24. August 2007

Großartige Künstlerin

Midori gastierte im Palais im Großen Garten

In diesem Jahr hat sich der MDR Musiksommer für Dresden die "Perlen" aufbewahrt: Eröffnung und Abschluss des Festivals in der Frauenkirche, dazu ein Höhepunkt im Palais im Großen Garten. Am Donnerstagabend gab dort die Ausnahmegeigerin Midori ein Recital. Die Zuhörer erlebten ein Konzert ersten Ranges, das zwei außergewöhnliche Künstler zusammenbrachte. Es muss bei der Betrachtung des Konzertes von vornherein von beiden gesprochen werden, denn der Begleiter Charles Abramovic gehört zu den Weltbesten seiner Zunft, und eine solche Homogenität, eine nahezu traumwandlerische Ergänzung der interpretatorischen Absichten erlebt man wirklich selten. Die Idee von partnerschaftlicher Kammermusik wurde hier in besonderem Maße plastisch. Das manifestierte sich bereits in der A-Dur-Sonate von Johannes Brahms. Im Überblick seines Sonatenschaffens ist diese Sonate sicherlich das lyrischste, wärmste Exemplar, welches nur im Mittelsatz zwischen zwei gegensätzlichen Stimmungen pendelt. Midori und Abramovic zeigten viel Liebe zum Detail ohne den großen Bogen zu verlieren, ruhig und mit Sinn für die unterschiedlichen Emotionen des Werkes gestaltete Midori die Themen aus. Eine echte Entdeckung stellt die 2. Sonate "Sonate mystique" von Ernest Bloch dar. Große Kantilenen spannen sich über einen rauschhaften Klaviersatz mit spannenden harmonischen Wendungen. In verschiedenen Wellen steigert sich das Werk bis zu ekstatischem Gesang, den Midori mit vollem Körpereinsatz Nachdruck verlieh. Die Gegenüberstellung von Geigenkammermusik von Robert Schumann und Franz Schubert bestimmte den zweiten Teil des Konzertes, auch hier hatte man permanent das Gefühl einer völlig überlegenen Durchdringung der Werke. Wenn überhaupt ein Manko festzustellen war, dann jenes, dass das konsequente Bemühen um weichen Klang und Schönheit der Melodie auf Dauer doch zu glatt wirken kann. Robert Schumanns "Phantasiestücke" sind aber in dieser Hinsicht auch nur begrenzt in Extreme auszuweiten, und Midoris wundervolle Klangbehandlung des Instrumentes ließ genussvolles Zurücklehnen zu. Franz Schuberts große Phantasie C-Dur erfordert hingegen die Virtuosin, noch dazu sparte der Komponist nicht an einem geradezu frechen Klaviersatz - staunend betrachteten die Zuhörer, mit welch grenzenloser Entspannung Midori und Abramovic auch in den zahlreichen Verstrickungen des Variationssatzes zu Werke gingen. Besonders bemerkenswert war die Einleitung der Phantasie, in welcher Abramovic im leisesten Spektrum nuancenreich gestaltete und so Midori jederzeit Freiheit zur Entfaltung ließ. Kleine Piècen von Glasunow und Kreisler beendeten ein großes Konzert einer gereiften und großartigen Künstlerin.

Musiktheater (er-)denken

Die Hellerauer Sommerakademie erfindet und betrachtet Kunst

Rauchend sitzen einige junge Teilnehmer der Sommerakademie auf der Treppe vor dem Festspielhaus Hellerau. Wer keine Zigarette hat, dem raucht sicherlich der Kopf, was bei dem Programm der erstmalig durchgeführten einwöchigen "Sommerakademie Hellerau" aber eher eine durchaus erwünschte Begleiterscheinung ist: Morgens gibt es theoretische Vorträge, mittags und nachmittags Projektvorstellungen oder -entwicklungen und abends Konzert oder Lesung. Doch bei dieser Akademie geht es nicht um die Verfeinerung des Virtuosenspiels auf einem Instrument, sondern vor allem um die Entwicklung eines künstlerischen Prozesses, um Begegnung, Kontakt und Austausch von Positionen. An dieser Stelle trifft Hellerau wieder auf seinen Ursprung, auf den Diskurs zwischen Kunst-Denkenden und Kunst-Schaffenden. Dass bei dieser Akademie also Komponisten, Tänzer, Regisseure und bildende Künstler gemeinsam arbeiten, ist nicht Hindernis, sondern Bereicherung. Der Untertitel "Klang-Raum-Bewegung" weist auf das experimentelle Musiktheater hin, das im Mittelpunkt der Akademie steht. 60 aktive Teilnehmer, Dozenten und Musiker zählt die Akademie, damit sei für einen auf den Weg zu bringenden produktiven Prozess die Höchstgrenze erreicht, so Marion Demuth, die für das Konzept der Akademie verantwortlich zeichnet. Neben der Präsentation von aktuell für Hellerau in der Entstehung begriffenen Projekten gibt eine sogenannte "Projektbar": ein offener Raum zum Experiment. Quasi in Fortführung des früheren Stipendiatenprogramms wird diese Sommerakademie unter der Mentorschaft des Komponisten Manos Tsangaris eine Aufführung für die nächste Akademie erarbeiten. Platz zum Erdenken von Situationen, Modellen, Konzepten ist in dieser Woche reichlich vorhanden. Am Mittwochnachmittag erläuterte beispielsweise die Komponistin Elena Mendoza-Lopez mit dem Team ihres Musiktheaters "Niebla" (UA am 29.9.2007 im Festspielhaus Hellerau) den Entstehungsprozess, bei dem von Anfang an Komponist und Regisseur, sehr bald auch Bühne und Kostüme einbezogen waren. Dabei wurden recht schnell die Unterschiede zwischen der institutionalisierten Oper und dem zeitgenössischen Musiktheater, das mit jedem neuen Werk Bühne, Raum, Kostüm, Musik und Darstellung neu erfindet, deutlich, denn der "traditionelle" Opernauftrag verlangt vom Komponisten lediglich eine fertige Partitur, danach stürzt sich ein Regieteam darauf und oftmals stimmen die Visionen des Künstlers mit den Realitäten des Bühnenbetriebes recht wenig überein. Wichtig war in dem Zusammenhang die Aussage des Dirigenten Titus Engel, dass das Nachdenken über Musiktheater parallel zu neuen Projekten entwickelt werden müsse und möglicherweise so bessere Bedingungen für zeitgenössisches Musiktheater geschaffen würden, denn der starre Opernbetrieb läßt Experimente kaum zu. Die Sommerakademie bildet so einen lichten Ort von Kunstentstehung und deren Betrachtung. Leider geschieht dies etwas unbeachtet vom Dresdner Publikum, das aufgefordert sein müßte, den neuen Dresdner Kunst-Ort Hellerau in Beschlag zu nehmen. Damit im Vorort kein denkender Kokon entsteht, werden die Akademie-Projekte bald schon tönende Wirklichkeit - als nächstes bei den 21. Tagen der zeitgenössischen Musik (29.9.-7.10.07), denen viele offene Zuhörer zu wünschen sind.

Mittwoch, 15. August 2007

Schlüsselwerk im Zentrum

Hansjürgen Scholze spielte in der Christuskirche Strehlen

Der Strehlener Orgelsommer ist als Benefizreihe für die Restaurierung der großen Jehmlich-Orgel in der Christuskirche konzipiert. Gottlob ist die Orgel noch in einem Zustand, in welchem Konzerte auf dem "corpus delicti" durchaus spielen lassen, doch die Vision, das hochromantische Originalinstrument von 1905 wiedererstehen zu lassen, ist unterstützenswert, befindet sich doch die Orgel in einem nahezu idealen akustischen Raum und zeitgeschichtlich wertvoller Umgebung. Am vergangenen Sonnabend gastierte Domorganist Hansjürgen Scholze in der Christuskirche, nicht wenige Besucher verfolgten dieses Konzert mit großem Interesse. Scholze hatte ein Programm ausgewählt, das verschiedene Facetten der Orgel hervorhob und überdies zwei absolute Orgelklassiker beinhaltete. Leider gab es wie so oft in Dresdner Orgelkonzerten nur einen spärlichen Handzettel, womöglich stehen die Programme zu kurzfristig fest. Gerade auswärtige Besucher sind aber oft ebenso interessiert an den dargebotenen Werken wie an Informationen über die reichhaltige Orgellandschaft in Dresden. Hier sollte man zukünftig über redaktionelle Konzepte nachdenken. Scholze begann mit Bachs "Präludium und Fuge" c-Moll BWV 546 und ergänzte den Choral "Wenn wir in höchsten Nöten sein", vor allem in den harmonischen Verästelungen kann man die Werke durchaus verwandt sehen. Scholze schöpfte hier noch nicht die volle Orgel aus, die Grundregistrierungen der Orgel genügten bereits für den prachtvollen Eingang des Konzertes. Diesem folgte eine Fantasie von Gustav Merkel (1827-1885), der Hoforganist in Dresden war. Scholze stufte hier die einzelnen Formabschnitte gut ab und präsentierte das Werk eher verhalten, aber zum Finale hin mit einer kurzen und prägnanten Steigerung. Ein Schlüsselwerk von Olivier Messiaen stand im Zentrum des Konzertes und es ist zu hoffen, dass die hervorragende Interpretation von Scholze ein Vorgeschmack ist auf das kommende Jahr, in welchem der 100. Geburtstag des Komponisten hoffentlich das Augenmerk auf dessen Orgelwerk richtet. "Apparition de l'Eglise éternelle" ist eines der Stücke Messiaens, die ein "Vorbeihören" nahezu unmöglich machen; die voranschreitenden Akkorde und die von Scholze in ruhigem Bogen genommene Steigerung zur Mitte hin fesselten die Zuhörer in der Kirchenbank. Ganz anders die "Suite Carmelite", die Jean Francaix 1960 zu einem Film über das Schicksal der Karmeliter-Nonnen schrieb. Die einzelnen Sätze sind Charakterstudien der Nonnen, die Scholze klar registriert darstellte, so kam der untrügliche Glaube ebenso zur Sprache wie die Schwatzhaftigkeit oder ein widersprüchlicher Kopf. Scholze beschloss das Konzert mit dem berühmten Choral E-Dur von César Franck, ein ideales Werk für die große romantische Orgel und hier gelang es Scholze auch in idealer Weise, die vielfältigen harmonischen Schattierungen und die Themenarbeit mit kluger Registrierung in adäquatem Tempo zu einer Einheit zu verschmelzen.

Donnerstag, 2. August 2007

Geschmeidig und natürlich

Kantaten von Bach und Buxtehude mit Dame Emma Kirkby

Vor einem Jahr gastierte Emma Kirkby zu den Musikfestspielen in Dresden, nun konnte man sie erneut in einem Konzert in der Dresdner Frauenkirche erleben. Seit Juni haben wir es bei der herausragenden Sopranistin mit einer Adligen zu tun, denn Queen Elizabeth II. ernannte sie zur "Dame", einem hochrangigen Titel, der z.B. auch an die Sängerinnen Gwyneth Jones oder Elisabeth Schwarzkopf verliehen wurde. Zahlreiche Aufnahmen dokumentieren vor allem ihr Engagement in der Barockmusik, gerühmt werden ihre Aufführungen vor allem für das natürliche Klangerlebnis. Genau dieses erlebten auch die Zuhörer in der Frauenkirche, die leider zu diesem Anlass nur halb gefüllt war. Mit dem Purcell Quartett verbindet Kirkby eine langjährige Zusammenarbeit und so war es ein besonderes Erlebnis, das homogene Zusammenspiel zwischen Instrumentalisten und Sängern zu verfolgen. Das Programm kombinierte drei frühe Kantaten von Johann Sebastian Bach, die übrigens gerade vom Ensemble auf CD eingespielt wurden, mit Kantaten von Dietrich Buxtehude - ein auf den ersten Blick recht unspektakuläres Programm. In der kleinstmöglichen Besetzung mit vier Sängern, Streichern und ebenfalls minimalem Continuo waren dennoch gerade die feinen Abstufungen spannend, sei es in den verschlungenen Violinpartien der Buxtehudekantaten oder im niemals monotonen Kreisen einer Ciacona. Konzentriert konnte man die zahlreichen, von den Musikern gut herausgearbeiteten Affekte und Verästelungen der Musik verfolgen. Überhaupt war anhand der Auswahl der Kantaten gut festzustellen, wie reichhaltig die Formen der barocken Kantate ausgeprägt waren: reine Arienkantaten (Buxtehude, "Jesu meine Freud") wechselten mit Litaneiformen (Bach, "Gleichwie der Regen") oder Choralkantaten ab. Die vier Solisten harmonierten sehr gut miteinander; Dame Emma Kirkby (Sopran) und Michael Chance (Altus) faszinierten besonders im Duett "Den Tod niemand zwingen kunnt" aus "Christ lag in Todes Banden" von Bach. In dieser Kantate wurde auch der Eingangschor mit einem rasanten "Halleluja!" besonders intensiv vorgetragen. Charles Daniels (Tenor) und Peter Harvey (Bass) zeigten ebenso vor allem Geschmeidigkeit und deutliche Diktion in der Stimme, sodass die unterschiedlichen Bibelerzählungen und Lobpreisungen der Kantaten äußerst plastisch wurden. Da sich zudem das Ensemble entschlossen hatte, vor dem Altarraum zu musizieren, war man als Zuhörer auch akustisch "mittendrin" und genoss einen wunderbaren Konzertabend.
(22.7.07)

CD-Tipp:
Johann Sebastian Bach, Frühe Kantaten Vol. 2
Kirkby, Chance, Daniels, Harvey, Purcell Quartett
(Chandos Records), erschienen 22.6.07

Montag, 9. Juli 2007

Hommage an das Clavichord

Florian Biersak gastierte beim Pianofortefest Meißen

Unsere Technik der Gegenwart ist ja hochentwickelt. Programme wie "Google Earth" beamen uns sekundenschnell an jeden Ort der Erde, auch die Kommunikation zwischen Menschen, die Tausende Kilometer voneinander entfernt wohnen ist kein Problem mehr. Bei Zeit- und Klangreisen tun sich die neuen Medien allerdings schwer und möglicherweise ist das auch gut so, wenn die Entwicklung dort nicht allzu schnell verläuft. So bleiben uns noch Konzerte wie das am Sonnabend in Meißen zum Pianoforte-Fest erhalten. Im Prälatenhaus aus dem 16. Jahrhundert saß man im Saal familiär beieinander um das Clavichord, dieses wiederum ein Friederici-Nachbau des Jahres 1765. In diese Zeit ging auch die Klangreise, die örtlich zwischen Thüringen, Salzburg und Eisenstadt changierte. In dieser besonderen Konzertatmosphäre war es überdies ein Glücksfall, dass der österreichische Solist Florian Birsak selbst moderierte. Er ist nicht nur Spezialist für die Instrumente der damaligen Zeit, sondern führte sehr prägnant in die Welt des jeweiligen Werkes ein. So erfuhren die Zuhörer manches über die Authentizität von Manuskripten oder über die Weitergabe von Stücken über die "Notenbüchlein", dessen bekannteste Vertreter die von Anna Magdalena Bach oder Mozarts "Notenbüchlein für Nannerl" sind. Birsak wählte aus diesen Büchern Stücke aus, die mancher gestandene Pianist "gerne übergeht", entweder weil es ein anonymer Komponist ist oder möglicherweise, weil auch nicht jeder ein Clavichord besitzt, auf dem diese Werke einfach am besten klingen. Welche extremen Spielnuancen auf diesem Hausinstrument des 18. Jahrhunderts möglich sind, demonstrierte Biersak bereits überzeugend im einleitenden Präludium, Fuge und Allegro B-Dur von Johann Sebastian Bach. Es folgten Mozart zugeschriebene Kompositionen, darunter eine deutsche Erstaufführung eines erst im letzten Jahr wiederentdeckten Werkes: "Allegro und Aria" aus eben einem dieser Notenbüchlein. In diesen findet sich auch ein "Allegro Assai"-Satz von Anton Cajetan Adlgasser, Mozarts Vorgänger als Hoforganist in Salzburg. Ein Ausflug zu dem von Mozart geschätzten böhmischen Zeitgenossen Georg Anton Benda, der in Thüringen wirkte, offenbarte eine spannende Sonate mit einem rasanten Finale. Nach der Pause ging es fast in die Gefilde des Hammerklaviers, mit ebenfalls unbekannten, aber reizvollen Werken von Michael und Joseph Haydn. Die Sonate G-Dur KV283 von Mozart, die zwischenzeitlich durch äußere Einflüsse leider zur Feuerwerksmusik mutierte, war sicherlich der kompositorische Höhepunkt dieses Abends. Alle musikalischen Wege dieses Abends kreisten um Mozart, und dieser nahm auch gerne Anregungen der "Kollegen" auf. Alles in allem war dies eine spannende, von Biersak absolut kompetent geführte Hommage an das Clavichord.

Dienstag, 26. Juni 2007

Raumgreifende Gedankenwanderung

Uraufführung der Jakobus-Kantate von Jörg Herchet im 8. Kammerabend der Staatskapelle

In zwei deutlich verschiedene Teile war der letzte Kammerabend der Sächsischen Staatskapelle Dresden unterschieden, die einzige Gemeinsamkeit lag wohl darin, dass man zum einen ein fälliges Wiederhören mit einem sehr guten Kammermusikduo erlebte, zum anderen eine Wiederbegegnung mit einer der interessantesten kompositorischen Stimmen der Stadt. Der erste Teil gehörte dem Duo Jörg Fassmann (Violine) und Gunther Anger (Klavier) und den Komponisten Mozart und Beethoven. Nun gehören beide Komponisten zwar zum Repertoire, dennoch hört man die beiden vorgestellten Sonaten recht selten. Das Verdienst der Interpreten war es, die Sonate Es-Dur KV 380 von Mozart mit der Sonate Es-Dur Opus 12 Nr. 3 von Beethoven zu kombinieren, reizvolle Parallelen waren da nicht nur aufgrund der tonartlichen Verwandtschaft zu hören, die Beethoven-Sonate erklang im Mozart-Licht ungleich schärfer konturiert. Dass solcherlei "Nachklänge" gelingen, lag an der hervorragenden Interpretation der beiden Musiker. Jörg Fassmann demonstrierte natürliches, die Themen sauber abgrenzendes Spiel, Gunther Anger war in jeder Note gleichberechtigter Partner. Die gegenseitige Inspirierung des Duos, die konzentrierte Darstellung von Durchführungen, Rondothemen und vor allem der langsamen Mittelsätze beider Werke war durchweg überzeugend, rund und stimmig gelangen Phrasierungen und Entwicklungen, deutlich war die stilistische Abgrenzung im 3. Satz der Beethovensonate, die ungleich sperriger als das Vorhergehende musiziert wurde. Nach der Pause erklang die Uraufführung von Jörg Herchets "kantate zum fest des apostels jakobus des älteren", einem weiteren Beitrag aus Herchets Kantatenfolge "Das Geistliche Jahr". Ekkehard Klemm leitete die beeindruckende Aufführung der Komposition für Vokalsextett, Soloflöte und acht Instrumente und musste dabei auch in die Emporen dirigieren, denn diese Kantate machte von Raumklängen und -wanderungen Gebrauch. Wandern, pilgern, Gedanken-Reisen, das ist auch die Essenz dieser Kantate, die Bibeltext und zeitgenössischen Standpunkt (Text Jörg Milbradt) vermischt, sortiert und immer neu anordnet. Im Vergleich zu früheren Werken wirkt diese Kantate sehr klar geformt, der Verkündigungsgedanke bricht sich in deutlich voneinander abgegrenzten Teilen Bahn und reicht vom Unisono-Gesang bis zur babylonisch anmutenden Sprach- und Geräuschvielfalt, die musikalischen Bezüge und Interpretationen Herchets sind dabei vielfältig und durchweg anregend, im flächig angelegten Schlussteil sogar mit überraschend scharfem, da abgeschnittenen Ende. Eckart Haupt (Soloflöten) zeigte auf verschiedenen Instrumenten sein ganzes Können und wirkte quasi als wortloser Erzähler des Werkes; die Kapellmusiker und Solisten des Chores der Staatsoper formten eine klangintensive Aufführung. Lediglich eine Publikumsgruppe im Parkett ließ sich auf diese aufrichtig zeitgenössischen Gedankenstrom nicht ein und artikulierte sich störend - wenn diese den Weg des Jakobus schon nicht klingend nachvollzogen, sei ihnen der Gang nach Santiago de Compostela wärmstens anempfohlen.

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